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Dokumentation Rechte älterer Menschen Langzeit- und Palliativpflege Autonomie und Selbstbestimmung Die Gruppe Älterer: Definitionsmöglichkeiten Fachgespräche zur Vorbereitung der 9. Sitzung der UN Open Ended Working Group on Ageing (OEWG-A) 2018
Das Institut Die Autorin Das Deutsche Institut für Menschenrechte ist Dr. Claudia Mahler ist wissenschaftliche die unabhängige Nationale Menschenrechtsinsti Mitarbeiterin am Deutschen Institut für tution Deutschlands. Es ist gemäß den Pariser Menschenrechte. Sie ist zuständig für wirtschaft- Prinzipien der Vereinten Nationen akkreditiert liche, soziale und kulturelle Rechte. Zu ihren (A-Status). Zu den Aufgaben des Instituts gehören Arbeitsschwerpunkten zählen die Menschenrechte Politikberatung, Menschenrechtsbildung, Informa- Älterer. tion und Dokumentation, anwendungsorientierte Forschung zu menschenrechtlichen Themen sowie die Zusammenarbeit mit internationalen Organisa- tionen. Es wird vom Deutschen Bundestag finan- ziert. Das Institut ist zudem mit dem Monitoring der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonven- tion und der UN-Kinderrechtskonvention betraut worden und hat hierfür entsprechende Monitoring- Stellen eingerichtet.
Dokumentation Rechte älterer Menschen Langzeit- und Palliativpflege Autonomie und Selbstbestimmung Die Gruppe Älterer: Definitionsmöglichkeiten Fachgespräche zur Vorbereitung der 9. Sitzung der UN Open Ended Working Group on Ageing (OEWG-A) 2018
Inhalt 1 Einleitung 7 2 Menschenrechtlicher Hintergrund 8 2.1 Menschenrechte Älterer 8 2.1.1 Die UN-Arbeitsgruppe zur Stärkung der Rechte Älterer 8 3 Fachgespräch 4: Langzeit- und Palliativpflege 10 3.1 Menschenrechtliche Grundlagen 10 3.1.1 Relevante Rechte in der Langzeitpflege 10 3.2 Ablauf des Fachgesprächs 11 3.3 Ergebnisse der Diskussion 12 3.3.1 Entwicklungen in der Pflegeversicherung 12 3.3.2 Palliativpflege – ein Menschenrecht? 12 3.3.3 Praktische Probleme in Deutschland 13 3.3.4 Diskriminierungsschutz 14 3.3.5 Rechtsumsetzung und -durchsetzung 14 3.4 Ergebnisse der OEWG-A 15 4 Fachgespräch 5: Autonomie und Selbstbestimmung 16 4.1 Menschenrechtliche Grundlagen 16 4.1.1 Autonomie und Selbstbestimmung 16 4.1.2 Der Menschenrechtsrahmen 16 4.2 Ablauf des Fachgesprächs 17 4.3 Ergebnisse aus der Diskussion 17 4.3.1 Inhaltliche und rechtliche Vorgaben für Autonomie und Selbstbestimmung 17 4.3.2 Autonomie und Selbstbestimmung im Alter 18 4.4 Ergebnisse der OEWG-A 20
5 Fachgespräch 6: Die Definition oder Beschreibung der Gruppe der Älteren 22 5.1 Welche Elemente, Lebenslagen und Bedarfe müssen durch die Definition gedeckt sein? 23 5.1.1 Ergänzungen und Überschneidungen im Menschenrechts- schutz 24 5.1.2 Regionale Definitionen 24 5.1.3 Heterogenität der verschiedenen Lebenslagen 25 5.1.4 Vorschläge für Anknüpfungspunkte zu einer Definition der Gruppe Älterer 26 6 Der weitere internationale Prozess 28
E I NLEIt UNG 7 1 Einleitung Im Jahr 2018 veranstaltete das Deutsche Institut der UN-Arbeitsgruppe eingebracht werden für Menschenrechte (DIMR) gemeinsam mit dem konnten. Die in den Fachgesprächen entwickel- Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen ten Eckpunkte waren gute Grundlagen zur Fort- und Jugend (BMFSFJ) drei Fachgespräche zur entwicklung der koordinierten Position der Vorbereitung der 9. Sitzung der UN Open Ended EU-Mitgliedstaaten. Working Group on Ageing (OEWG-A). Die Fachge- spräche bauten auf der guten und erfolgreichen An den Fachgesprächen nahmen Vertreter_innen Zusammenarbeit im Rahmen der Vorbereitungen aus Wissenschaft, Praxis, Zivilgesellschaft, Verbän- der 8. Sitzung des OEWG-A im Jahr 2017 auf. Die den, Aufsichtsbehörden, den zuständigen Ressorts Ergebnisse der Vorbereitungen zu der 8. Sitzung und dem Deutschen Institut für Menschenrechte wurden bereits in einer Dokumentation festge- teil. halten. Zur Vorbereitung der 9. Sitzung fanden Fachgespräche zu den themen Langzeit- und Die vorliegende Dokumentation stellt die Hinter- Palliativpflege, Autonomie und Selbstbe- gründe des UN-Prozesses zur Stärkung der stimmung – sie standen im Fokus der OEWG-A Menschenrechte Älterer vor, dokumentiert die Diskussionen – und zur Frage der Definition Ergebnisse der beiden deutschen thematischen Älterer statt. Fachgespräche zur Vorbereitung der 9. Sitzung der OEWG-A und informiert über die Erkenntnisse des Es war Ziel der Fachgespräche, Erkenntnisse, Fachgesprächs zur Definition der Gruppe Älterer. Erwartungen und gute Beispiele aus Deutsch- Ergänzt wird die Dokumentation durch einen land zu bündeln, damit diese dann von den Überblick über die Ergebnisse der 9. Sitzung der Vertreter_innen der deutschen Regierung, der UN-Arbeitsgruppe im Juli 2018. Zivilgesellschaft und des DIMR in die 9. Sitzung
8 MEN S cH EN R EcH t L IcH ER H IN t ERGRUND 2 Menschenrechtlicher Hintergrund 2.1 Menschenrechte Älterer muss man sich nicht verdienen, sie ist unab- hängig vom Lebensalter und der individuellen Ältere Menschen sind im Rahmen des demografi- Leistungsfähigkeit und dementsprechend auch schen Wandels in den Fokus vielschichtiger Diskus- unabhängig von einem Unterstützungsbedarf oder sionen gerückt. Weltweit, wenn auch nicht auf allen möglichen demenziellen Erkrankungen. Die aus Kontinenten in der gleichen Ausprägung, ist die der Menschenwürde entwickelten und verbrieften Gruppe der Älteren der am stärksten wachsende Menschenrechte gelten gleichermaßen auch für Bevölkerungsteil. In Deutschland sind derzeit etwa Ältere und haben kein Ablaufdatum. 20 Prozent der Bevölkerung über 65 Jahre alt. Ältere Menschen werden als besonders hetero- Sie stellen somit auch einen Bezugsrahmen für gene Bevölkerungsgruppe beschrieben, dabei ist nationale Senior_innenpolitiken dar. Zur Gewähr- das kalendarische Alter wenig aussagekräftig. Die leistung eines menschenrechtlichen Ansatzes Situation Älterer ist abhängig von ihrer jeweiligen müssen Politik und Gesetze mit den bestehenden wirtschaftlichen und sozialen Lage. Insbesondere menschenrechtlichen Verpflichtungen des Staates der Familiensituation, dem Bildungsgrad, dem im Einklang stehen. Politische sowie rechtliche städtischen oder ländlichen Wohnumfeld, der Handlungen und Strategien müssen an Menschen- Beschäftigungs- sowie den Lebensumständen rechten ausgerichtet sein und sich an menschen- in der Rente. Dementsprechend unterscheiden rechtlichen Vorgaben messen lassen. sich die menschenrechtlichen Gefährdungslagen. Die Herausforderungen, die sich im Rahmen des Menschenrechte und menschenrechtliche Prin- demografischen Wandels ergeben, werden zwar zipien müssen folglich auch Grundlage für die wahrgenommen und in vielen Foren diskutiert, Weiterentwicklungsprozesse in der Senior_innen- bisher aber noch wenig unter menschenrechtli- politik sein. Sie bilden die Ansprüche jedes chen Gesichtspunkten. Ältere Menschen sind im einzelnen Menschen gegenüber dem Staat ab. Menschenrechtsschutzsystem fast unsichtbar, dies Der Einzelne muss daher als Rechtsträger_in im zeigt sich sowohl in den Staatenberichtsverfahren Mittelpunkt staatlicher Politik stehen. Der Staat als auch im Universellen Berichtsverfahren der hat die Verpflichtung, die Achtungs-, Schutz- und UN.1 Ältere Menschen müssen auch im Menschen- Gewährleistungspflichten zu erfüllen. rechtsschutzsystem Beachtung finden und als Rechteträger wahrgenommen werden.2 2.1.1 Die UN-Arbeitsgruppe zur Stärkung der Rechte Älterer Fundament der Menschenrechte ist die Menschen- Im Jahr 2010 hat die UN-Generalversammlung auf würde. Alle Menschen sind „gleich an Würde und Betreiben von Argentinien und Brasilien mit der Rechten geboren“ (Art. 1 der Allgemeinen Erklä- Resolution A/Res/65/182 eine Arbeitsgruppe zur rung der Menschenrechte). Die Menschenwürde Stärkung der Menschenrechte Älterer (Open ended 1 Die Zahlen zu den Empfehlungen zu älteren Menschen der Menschenrechtsgremien beträgt 2400, das sind 0,8 Empfehlungen und die Zah- len des UPR der Empfehlungen zu Älteren hat sich zwar verdoppelt, dennoch sind es im Verhältnis zu anderen Gruppen kaum welche, die genauen Zahlen finden finden sich im Bericht zur 8. Sitzung der OEWG-A auf Seite 9 http://undocs.org/A/Ac.278/2017/2 (abgerufen am 14.12.2018). 2 OHcHR Analytical Paper on Older Persons (2012), https://social.un.org/ageing-working-group/documents/ohchr-outcome-paper-older- persons12.pdf (abgerufen am 14.12.2018).
M ENScHENREcHt LI cH E R HI NtE RG RU ND 9 working group on ageing, OEWG-A)3 ins Leben geändert. Diese Entwicklungen haben zu mehr gerufen, um die Sichtbarkeit der Älteren zu erhö- Klarheit bezüglich des Inhaltes der Menschen- hen, die Stärkung ihrer Rechte voranzutreiben und rechte für Ältere geführt. die Rechte klarer zu fassen. Dass hier ein neuer Fokus erforderlich ist, zeigen auch Forschungs- Seit der 8. Sitzung im Juli 2017 wurde die Sitzungs- ergebnisse von Menschenrechtsexpert_innen,4 struktur verändert. Die Diskussion wurde auf demnach finden ältere Menschen im bestehen- zwei themen beschränkt und diese wurden durch den Menschenrechtsschutzsystem und bei den Hintergrundpapiere der Geschäftsstelle der OEWG-A Verbesserungsvorschlägen der Vertragsstaaten vorbereitet.7 Im Vorfeld wurden die Staaten auf- kaum Berücksichtigung. Das Mandat beinhaltet gefordert, zu den OEWG-A Hintergrundpapieren die Überprüfung und Diskussion des bestehenden nationale Informationen anhand beantworteter menschenrechtlichen Rahmens, die Identifizierung Fragebögen zur Verfügung zu stellen.8 In der 9. Sit- und Schließung von Lücken sowie weiterführende zung war der thematische Fokus von der Arbeits- Überlegungen bezüglich eines zukünftigen men- gruppe auf Langzeit- und Palliativpflege sowie schenrechtlichen Instrumentes zum Schutz der Autonomie und Selbstbestimmung gelegt worden. Rechte Älterer. Bis April 2017 haben sieben Sitzun- Hinzu kam, dass in dieser Sitzung zum ersten Mal gen stattgefunden, in denen viele Lebensbereiche normative Elemente zu spezifischen Rechten bzw. und menschenrechtliche Gefährdungslagen Älterer Gefährdungslagen diskutiert wurden, nämlich zu den ausführlich und mehrfach diskutiert wurden, bei- Schwerpunktthemen der 8. Sitzung: Altersdiskri- spielsweise Altersdiskriminierung, Pflege, Gewalt minierung und Gewalt, Misshandlung und Vernach- gegen Ältere, soziale Sicherheit, Gesundheit und lässigung Älterer. Damit sollen die themen unter Autonomie. Andere Elemente – so die Definition rechtlichen Gesichtspunkten besprochen werden der Gruppe Älterer oder Überprüfungsmöglichkei- und dadurch für die teilnehmenden Staatenvertre- ten für die Einhaltung der Menschenrechte Älterer ter_innen ein noch klareres Bild schaffen, wie weit wurden bisher ausgespart. Jede Sitzung endete der bestehende menschenrechtliche Schutz zu den damit, dass von den Staatenvertreter_innen zwei themen reicht und wo er noch weiter spezifiziert unterschiedliche Positionen vertreten wurden: Stär- werden muss, um die Menschenrechte Älterer kung der Rechte Älterer durch bessere Implemen- zu schützen. Zu dieser Fragestellung wurden nur tierung bestehender Menschenrechtsinstrumente wenige schriftliche Eingaben von teilnehmenden der oder neues Instrument zum Menschenrechtsschutz OEWG-A gemacht. Auch dieser teil der Diskussio- für Ältere. Zudem hat sich die Diskussionsgrund- nen der Arbeitsgruppe soll in der 10. Sitzung zu den lage durch die Entwicklung menschenrechtlicher themen der 9. Sitzung (Langzeit- und Palliativpflege Instrumente auf regionaler Ebene5 und die Arbeit sowie Autonomie und Selbstbestimmung) fortge- der Unabhängigen Expertin für die Rechte Älterer6 führt werden. 3 Offene Arbeitsgruppen werden bei den Vereinten Nationen als zwischenstaatliche Gremien zur vertieften Diskussion neuer menschenrecht- lich relevanter themen eingerichtet. Offene Arbeitsgruppen diskutieren mit großer Beteiligung zivilgesellschaftlicher Akteure und Expert_ innen. Die Ergebnisse können unterschiedlich sein, münden aber oft in dem Auftrag, an die Arbeitsgruppe einen Vertragsentwurf zu erstellen. 4 Brownell, Patricia/ Kell, James J. (Hg.) (2013): Ageism and Mistreatment of Older Workers: current Reality, Future Solutions. Springer Netherlands; Doron, Israel /Georgantzi, Nena (Hg.) (2018): Ageism, Ageism and the Law. European Perspective on the rights of older persons. cheltenham: Edward Elgar Publishing. 5 Die Interamerikanische Konvention zum Schutz der Rechte älterer Menschen (http://www.oas.org/en/sla/dil/inter_american_trea- ties_a-70_human_rights_older_persons.asp, abgerufen am 17.12.2018) und das Protokoll zur Afrikanischen Menschenrechtscharta (https://au.int/en/treaties/protocol-african-charter-human-and-peoples%E2%80%99-rights-rights-older-persons) wurden 2015 bzw. 2016 als verbindliche Menschenrechtsverträge verabschiedet. Die Staaten haben bereits 2014 im Rahmen des Europarates ein nicht binden- des, ausdifferenziertes Instrument (https://search.coe.int/cm/Pages/result_details.aspx?ObjectID=09000016805c649f) erarbeitet. 6 https://www.ohchr.org/en/issues/olderpersons/ie/pages/ieolderpersons.aspx (abgerufen am 14.12.2018). 7 Unter dem Link https://social.un.org/ageing-working-group/eighthsession.shtml/Background Analytical Overview Papers (abgerufen am 14.12.2018) können die Hintergrundpapiere des Sekretariats abgerufen werden. 8 Unter dem Link https://social.un.org/ageing-working-group/eighthsession.shtml/to submission from sind alle Antworten und State- ments der Staaten, Nationalen Menschenrechtsinstitutionen und Nichtregierungsorganisationen zu den Fragebögen des Sekretariats einzusehen.
10 FAcH G ES PR ÄcH 4 : L AN G Z EIt- U N D PAL L IAt IV P F L E GE 3 Fachgespräch 4: Langzeit- und Palliativpflege 3.1 Menschenrechtliche nicht der Folter oder grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung unterworfen zu Grundlagen werden (Artikel 7) und das Recht auf Privat- und Familienleben (Artikel 17). Der Schutz wirtschaft- 3.1.1 Relevante Rechte in der licher, sozialer und kultureller Rechte für ältere Langzeitpflege Personen in Pflegeheimen ist hier von besonderer International anerkannte Menschenrechtsnormen Bedeutung. Aufgrund diverser gesundheitlicher und -grundsätze, wie die, die in internationalen Beeinträchtigungen sind Pflegeheimbewohnerin- Menschenrechtskernverträgen enthalten sind, nen und -bewohner davon abhängig, dass Pflege- beziehen sich auf ältere Personen und schüt- kräfte sie beim Essen oder der täglichen Hygiene zen sie. trotz dieses impliziten Schutzes wurde unterstützen, Grundlagen eines würdevollen festgestellt, dass Ältere im internationalen Men- Lebens. schenrechtssystem unsichtbar sind und Rege- lungslücken vorhanden sind, da es aktuell kein Im Internationalen Pakt über wirtschaftliche, universell gültiges Menschenrechtsinstrument soziale und kulturelle Rechte (Sozialpakt, cEScR)11 bezüglich der Rechte Älterer gibt. heißt es in Artikel 12: „Die Vertragsstaaten erken- nen das Recht eines jeden auf das für ihn erreich- Die Arbeit der Unabhängigen Expertin9 ist auch für bare Höchstmaß an körperlicher und geistiger die Stärkung der Menschenrechte älterer Men- Gesundheit an“, während Artikel 11 „das Recht schen in der Pflege von zentraler Bedeutung. Zum eines jeden auf einen angemessenen Lebens- thema Autonomie und Langzeitpflege hatte die standard für sich und seine Familie, einschließlich Unabhängige Expertin 2015 einen eigenen Bericht ausreichender Ernährung, Bekleidung und Unter- verfasst.10 bringung“ vorsieht. Ein Recht auf Langzeitpflege für Ältere sehen die Die Inanspruchnahme der in den unterschiedli- Internationalen Menschenrechtsverträge nicht chen Menschenrechtskonventionen dargelegten explizit vor. Allerdings enthalten Artikel in diversen Rechte und Freiheiten muss ohne Diskriminierung Übereinkommen Bestimmungen zum Recht auf gesichert werden. Dies ist von zentraler Bedeu- den gleichberechtigten Zugang zu Gesundheits- tung, damit älteren Personen Dienste, Unter- diensten sowie Bestimmungen zum Recht auf die bringungen oder Behandlungen nicht versagt Wahl eines Langzeitpflegeumfeldes. werden. Die Umsetzung der Rechte im Zivil- und Sozialpakt wird jeweils von einem Fachausschuss Der Internationale Pakt über bürgerliche und poli- überwacht. Beide Ausschüsse haben ihre Sorge tische Rechte (Zivilpakt, IccPR) enthält zahlreiche über die verletzliche Situation älterer Menschen Bestimmungen, die für Menschen in der Langzeit- in Pflegeheimen zum Ausdruck gebracht und in pflege von besonderer Bedeutung sind, beispiels- ihren an Deutschland gerichtete Abschließende weise das Recht auf Leben (Artikel 6), das Recht, Bemerkungen wiederholt darauf hingewiesen, 9 2014 wurde die erste Unabhängige Expertin für die Menschenrechte Älterer (Independent Expert on the enjoyment of all human rights by older persons), Rosa Kornfeld-Matte aus chile, gewählt. 10 https://www.ohchr.org/EN/Issues/OlderPersons/IE/Pages/Reports.aspx (abgerufen am 14.12.2018). 11 https://www.ohchr.org/EN/ProfessionalInterest/Pages/cEScR.aspx (abgerufen am 14.12.2018).
FAcHGESPRÄcH 4: L A NG Z E I t- U ND PA LLI AtI V P F LE G E 11 dass es bei der Gewährleistung dieser Rechte Die Inter-American convention regelt in ihrem zu Verletzungen von Menschenrechten kommen Artikel 12 explizit das Recht älterer Menschen, kann. Darüber hinaus äußerte der Fachausschuss Langzeitpflege zu erhalten. Die Regelung vertritt zur Überwachung des Sozialpaktes, dass Deutsch- einen ganzheitlichen Ansatz von Gesundheit bis land größere Anstrengungen unternehmen solle, hin zur Versorgung mit Kleidung. Die Unterstüt- um den Pflegesektor neu zu strukturieren, mehr zung sowohl Einzelner als auch von Familien ist ein qualifiziertes Personal auszubilden und zur Ver- zentrales Anliegen. Hinzu kommt die Einbeziehung besserung des Pflegestandards einzubinden sowie der Älteren und Wahrung ihrer autonomen Ent- notwendige Mittel zu Verfügung zu stellen. Bei der scheidungen, sodass der informierte Wille älterer Anwerbung von Pflegepersonal im Ausland muss pflegebedürftiger Personen im Zentrum steht. Des der WHO-Verhaltenskodex eingehalten und in Weiteren wird vorgegeben, dass die Staaten eine Pflegeheimen häufiger und gründlicher kontrolliert ausreichende Struktur zur Versorgung älterer Men- werden.12 Der Ausschuss forderte Deutschland im schen vorsehen müssen und die entsprechenden Oktober 2018 auf, über die Umsetzung der Maß- Einrichtungen regelmäßig überprüft werden sollen nahmen zur Verbesserung der Situation für ältere und die Pflege von dafür ausgebildeten Personen Menschen in Pflege innerhalb von 24 Monaten zu durchgeführt werden muss. berichten. Die nicht verbindlichen Empfehlungen des Europa- Der Ausschuss zur Überprüfung der Umsetzung rates enthalten ausführliche Regelungen, Regelun- der Rechte aus der UN-Behindertenrechtskon- gen zu Betreuungsleistungen, der Zustimmung zur vention (UN-BRK) hat klargestellt, dass Ältere in medizinischen Versorgung und zur Betreuung in Langzeitpflege aufgrund ihrer Beeinträchtigungen Pflegeeinrichtungen und Heimen sowie zur Pallia- unter den Schutz der UN-BRK fallen. Das Recht auf tivversorgung. Aus diesen – nicht verbindlichen – Selbstbestimmung und Freiheit gilt als Ausgangs- Regelungen ist abzulesen, dass sich die Vertreter punkt für die freie Wahl jeder Art von Langzeit- in den Verhandlungen sehr intensiv mit dem pflege. Artikel 19 der UN-BRK legt Vertragsstaaten menschenrechtlichen Rahmen und den Klarstel- die allgemeine Verpflichtung auf, es Menschen mit lungen aufgrund von Lücken in den bestehenden Beeinträchtigungen zu ermöglichen, unabhängig Regelungen auseinandergesetzt haben. Durch die in der Gemeinschaft zu leben und frei zu wählen, explizite Berücksichtigung und den Verweis auf die wo und mit wem sie leben wollen. Zusätzlich muss Bedürfnisse Älterer erhalten die Regelungen einen die Regierung sicherstellen, dass ältere Personen neue spezifische Schwerpunktsetzung. Auffällig mit Beeinträchtigungen Unterstützung bekommen, ist, dass die familiale Pflege nicht erwähnt wird. die es ihnen ermöglicht, unabhängig und selbstbe- stimmt zu leben. 3.2 Ablauf des 3.1.1.1 Regionale Regelungen Fachgesprächs Spezifische Regelungen zum Recht auf Pflege und Rechte in der Langzeit- und Palliativpflegesitua- Das Fachgespräch am 15. Dezember 2017 tion finden sich hingegen in den Inter-American wurde durch Begrüßung und Einleitung von Prof. convention on Protecting the Human Rights of Dr. Matthias von Schwanenflügel (BMFSFJ) und Older Persons13 und der Europarats-Empfeh- Dr. Petra Follmar-Otto (DIMR) mit einem Vortrag lung des Ministerkomitees an die Mitgliedstaa- von Dr. christian Berringer (BMG) eröffnet. In ten zur Förderung der Menschenrechte älterer seiner Präsentation führte der Leiter des Refe- Menschen.14 rats medizinischer und pflegerischer Fragen in 12 Entnommen aus den Abschließenden Bemerkungen zum sechsten Staatenbericht Deutschlands des Ausschusses über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte der Vereinten Nationen (E/c.12/DEU/cO/6) vom 12. Oktober 2018, Abs. 48-49. 13 http://www.oas.org/en/sla/dil/docs/inter_american_treaties_A-70_human_rights_older_persons.pdf (abgerufen am 14.12.2018). 14 https://rm.coe.int/1680695bce (abgerufen am 13.12.2018).
12 FAcH G ES PR ÄcH 4 : L AN G Z EIt- U N D PAL L IAt IV P F L E GE der Pflegeversicherung des BMG in das thema auch die der Angehörigen durch ein breiteres Ange- des Fachgesprächs ein, er stellte die neuesten bot von Entlastungsmöglichkeiten und weitergefä- Entwicklungen in der Pflegeversicherung vor, cherte Beratung gefördert. erläuterte sie und beschrieb an ihrem Beispiel die Perspektiven für Menschenrechte in der Pflege. So sollen beispielsweise Pflegebedürftige, die unter Inkontinenz leiden, nicht allein physische Im zweiten einführenden Vortrag stellte Prof. Dr. Hilfe zur Bekämpfung der Symptome bekommen, Lukas Radbruch von der Universitätsklinik Bonn gleichermaßen soll auf die Menschen persönlich für Palliativmedizin und Malteser Krankenhaus und respektvoll eingegangen werden, um bei- Seliger Gerhard, der auch der Vorsitzendende der spielsweise Schamgefühle zu vermeiden. Pfle- Internationalen Vereinigung für Hospiz und Palli- gebedürftige Menschen sollen stets und überall ativpflege (chair of the International Association würdevoll behandelt werden, um einer möglichen for Hospice and Palliative care) ist, Palliativpflege Exklusion aus der Gesellschaft vorzubeugen oder als Menschenrecht sowohl aus nationaler als auch sie zu verhindern. internationaler Perspektive vor. Er thematisierte, dass vor allem der Zugang zur Palliativpflege, der Als eine weitere menschenrechtliche Hilfestellung Diskriminierungsschutz und die Qualitätssicherung auf nationaler Ebene wurde die nicht bindende von Pflege in der Diskussion um Palliativpflege Pflegecharta genannt. Durch die Überarbeitung als Menschenrecht aufgegriffen werden. An die der Pflegecharta soll aus Sicht der Bundesregie- Vorträge schloss sich eine Diskussion der versam- rung das neue Konzept der Pflegebedürftigkeit melten Expert_innen anhand von Leitfragen an. abgebildet werden. Im Vordergrund steht nun nicht mehr allein die medizinische Pflege, sondern 3.3 Ergebnisse der vor allem die Inklusionsfrage der pflegedürftigen Person. Das Gesetz zur Verbesserung der Hospiz- Diskussion und Palliativversorgung (2015) soll den Ausbau der Palliativversorgung voranbringen. 3.3.1 Entwicklungen in der Pflegeversicherung 3.3.2 Palliativpflege – ein Während der 18. Legislaturperiode wurden meh- 15 Menschenrecht? rere neue Gesetze, beispielsweise die Pflegestär- Ein ausdrückliches Menschenrecht auf Palliativ- kungsgesetze und das Präventionsgesetz, erlassen, pflege existiert nicht, es ist lediglich über das um qualitative hochwertige Pflege sicherzustellen. Menschenrecht auf ein Höchstmaß an Gesundheit Dies hat aus Sicht der Bundesregierung dazu beige- herzuleiten. Dies bedarf jedoch der Auslegung tragen, dass mehr pflegebedürftigen Personen ein und lässt großen Interpretationsspielraum für den verbesserter Zugang zur Pflege ermöglicht wurde. Begriff der Palliativpflege und -versorgung, ähn- Nun stehen knapp 3,3 Millionen pflegebedürftige lich wie Art. 2 Grundgesetz (Recht auf Leben und Personen im Leistungsbezug, während es im Jahr körperliche Unversehrtheit). 2017 noch weniger als 3 Millionen waren. Das Pfle- gestärkungsgesetz bezweckt unter anderem einen In vielen Ländern ist das Sterben ein thema, verbesserten Zugang von Einzelnen zu Leistungen über das in der Öffentlichkeit nicht gesprochen und Unterstützungen im Gesundheitssystem. wird. Der stigmatisierende Sprachgebrauch kann Zudem wurde der Begriff der Pflegebedürftigkeit problematisch sein. Schmerzmedikamente werden neu definiert.16 Darüber hinaus wird nicht allein beispielsweise als Droge bezeichnet und hierdurch die Unterstützung des Pflegebedürftigen, sondern mit negativen Zuschreibungen verbunden. Anhand 15 Die 18. Legislaturperiode von 22. Oktober 2013 bis zum 24. Oktober 2017. 16 Noch in den 90er Jahren bezog sich die Pflegeversicherung ausschließlich auf Pflegebedürftige, Beratung und Unterstützung sowohl der Pflegenden als auch des sozialen Umfeldes werden zurzeit weiter ausgebaut. Durch den neu definierten Pflegebedürftigkeitsbegriff, hat sich nicht nur die Begrifflichkeit, sondern auch die Art und Weise der Pflege verändert.
FAcHGESPRÄcH 4: L A NG Z E I t- U ND PA LLI AtI V P F LE G E 13 internationaler Beispiele wurde aufgezeigt, dass Älterer, ebenso wenig enthalten die allgemeinen oft Barrieren beim Zugang zu Palliativversorgung Menschenrechtsverträge ein spezielles Recht, bestehen, es aber auch niedrigschwellige Lösungs- welches das Recht auf Langzeitpflege und Palli- ansätze geben kann. ativpflege vollständig abdeckt. Das zuständige BMFSFJ will den internationalen Prozess zur Als Beispiel wurde in dem Vortrag von Prof. Rad- Stärkung der Rechte Älterer durch die inhaltliche bruch17 die Beschriftung eines Apothekenschranks Diskussion voranbringen, daher befürwortet es in Soweto genannt, der als Poison Cupboard die Vertiefung der Diskussionen und Verbreitung gekennzeichnet ist, dies hat bereits eine negative der Informationen innerhalb der Bundesrepublik Konnotation. In Südafrika werden die Patienten Deutschland. Auf diesem Weg sollen Regelungen, nicht nur mit Schmerzmitteln, sondern auch mit die bereits in der 18. Legislaturperiode vereinbart Reis und Wasser versorgt, da das Krankenhaus wurden, zügiger und umfassender durchgesetzt so weit entfernt liegt, dass die Patient_innen und die Pflege in Deutschland optimiert werden. teilweise mehrere tage lang unterwegs sind. Eine positive Entwicklung wurde aus Uganda berichtet, Der internationale Rahmen, in dem die Diskussi- es wurde erreicht, dass mobile Krankenschwes- onen zur Weiterentwicklung der Menschenrechte tern auf dem Land Patient_innen mit Schmerzmit- geführt werden, darf nicht außer Acht gelassen teln versorgen können. Dabei führen sie lediglich werden, Deutschland sollte als Mitgliedstaat einen kleinen Koffer mit Medikamenten mit sich. der Vereinten Nationen bei den Diskussionen im Rahmen der OEWG-A diejenigen Positionen Im November 2017 wurde die Häusliche Kran- einbringen, die auf nationaler Ebene ausgehandelt kenpflege-Richtlinie geändert18 und enthält worden sind. Im internationalen Vergleich findet nun den Begriff der Palliativversorgung, für die Langzeit- und Palliativpflege in Deutschland auf allerdings keine Qualitätskontrolle vorgesehen einem anderen Niveau statt, als beispielweise in ist. Im Rahmen der Diskussionen zu nationalen Ländern des Südens. Dabei kann das unterschied- Rahmenbedingungen wurde darauf verwiesen, liche Verständnis der Mitgliedstaaten über die dass die Palliativpflege von älteren an Demenz konkrete Ausgestaltung von Langzeitpflege und erkrankten Menschen äußerst schwierig ist, da Palliativpflege durchaus zu Spannungen auf inter- die Einschätzung der Schmerzen des Erkrank- nationaler Ebene führen. ten problematisch sein kann. Ebenso ist es in diesem Zusammenhang schwer, den Willen der 3.3.3 Praktische Probleme in Patient_innen zu ermitteln, da die Methoden zur Deutschland Willensermittlung noch nicht ausgereift sind. Bei In Deutschland besteht ein zentrales Problem näherer Betrachtung der Palliativversorgung aus im Rahmen der Palliativpflege in einer zeitnahen menschenrechtlicher Perspektive stellt sich neben Sicherstellung von sowohl qualifiziertem als auch einer expliziten Regelung ebenfalls die Frage nach zahlenmäßig ausreichendem Personal. Mitarbei- Vorgaben für die Qualität. ter_innen in Krankenhäusern und Pflegeheimen sind durch die neuen, in der 18. Legislaturperiode 3.3.2.1 Perspektiven für Menschenrechte in beschlossenen Regelungen und ihren Auswir- der Pflege kungen auf die Praxis oft sehr überlastet. Vieles Im internationalen Menschenrechtssystem gibt muss erst erprobt werden, die Umsetzungsmög- es aktuell kein explizites und universell gültiges lichkeiten – beispielsweise die neue Definition Menschenrechtsinstrument bezüglich der Rechte von Pflegebedürftigkeit oder die Neuerungen 17 Der Vortrag von Prof. Radbruch ist auf https://www.institut-fuer-menschenrechte.de/themen/rechte-aelterer/nationale-aktivitae- ten-zur-oewg-a/#c21957 abrufbar. (abgerufen am 14.12.2018) 18 Bundesministerium für Gesundheit (16.03.2017): Bekanntmachung eines Beschlusses des Gemeinsamen Bundesausschusses über eine Änderung der Häusliche Krankenpflege-Richtlinie: Belange von Palliativpatientinnen und -patienten im Rahmen der häuslichen Kranken- pflege. BAnz At 24.11.2017 B1.
14 FAcH G ES PR ÄcH 4 : L AN G Z EIt- U N D PAL L IAt IV P F L E GE der Pflegegrade – sind teilweise noch nicht klar. der die Bedarfe der unterschiedlichen pflegebe- Die Ausbildung ist nicht einheitlich geregelt, die dürftigen Personen in Betracht zieht, ist noch unterschiedlichen Ausbildungsstandards führen fraglich. Konkret wird ein ungleicher Zugang zur zu Qualitätsunterschieden, die sich nicht selten Pflege als Diskriminierung bezeichnet. Vom Bun- in Wissenslücken und unterqualifizierten Pfle- desministerium für Gesundheit wurde für Men- gekräften widerspiegeln. Der Begriff der Pflege schen mit Migrationshintergrund, Alleinstehende umfasst wesentlich mehr, als der aktuelle gesetz- und Menschen mit Behinderungen untersucht, ob liche Rahmen vorsieht, beispielsweise finden ihnen der Zugang zu Pflege diskriminierungsfrei ganzheitliche Ansätze keine Berücksichtigung. Um gewährt wird. einen verbindlichen Pflegestandard bei der Ver- sorgung zu gewährleisten, wird das Konzept einer Für diese Personengruppen fehlen allerdings einheitlichen Grundausbildung zum Pfleger oder empirische Untersuchungen zu Diskriminierung, zur Pflegerin begrüßt. Aktuell besteht bereits die dies wird äußerst kritisch gesehen. Der Zugang Möglichkeit, eine Zusatzausbildung zum qualifiziert zur Pflege wird ebenso durch Ängste und Scham Pflegenden durch einen 160-Stunden-Kurs in der behindert, auch innerhalb der LGBt community Palliativpflege zu erlangen. und religiöser Gruppen. Diskriminierungsfreie Pflege soll den Zugang zu ganzheitlicher Pflege Speziell bei diesem Diskussionspunkt wird hervor- gewähren, der auch die Palliativversorgung in gehoben, dass die Ursache der unterschiedlichen sich trägt. Die deutsche Delegation solle dies als Ausbildungs- und Qualifikationsgrade des Pflege- Mitgliedstaat in der 9. Sitzung der OEWG-A erneut personals in den fehlenden Gesetzesvorgaben für vorbringen und konkretisieren. die Qualifikation der Pfleger_innen liegt. Überein- stimmend wurde festgestellt, dass der Gesetzgeber 3.3.5 Rechtsumsetzung und nicht alles regeln kann und soll, es liegt im Ermes- -durchsetzung sen der jeweiligen Behörden, funktionstüchtigere Neben dem Diskussionspunkt der unzureichenden Konzepte zu erstellen. Die zuständigen Behörden Regelungen wird auch das Problem der Rechtsum- sind mit den alltäglichen Problemen vertrauter als setzung erkannt. Denn selbst gute Regelungen der Gesetzgeber und können schwierige Situatio- müssen konsequent umgesetzt werden. nen gegebenenfalls nachvollziehen. Nicht zuletzt müssen finanzielle Gesichtspunkte beachtet werden Beispielhaft wird hier die Pflege-charta erwähnt. und die kommunale Finanzierung geklärt werden. Während einige Einrichtungen sie in ihre Leitli- nien aufgenommen haben, bleibt sie in anderen Somit besteht weiterhin sowohl in rechtlicher vollkommen unberücksichtigt. Die Einrichtungen als auch konzeptioneller Hinsicht wesentlicher haben als Adressaten der Pflege-charta eine Klärungsbedarf darüber, wie die Pflege qualitativ wichtige Rolle. Da es sich bei der Berücksichtigung verbessert und umgestaltet werden kann. Denn der charta lediglich um eine Selbstverpflichtung die neuen Qualitätskriterien zur Pflege müssen handelt, kann sie nicht rechtsverbindlich durchge- anhand des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs und setzt werden. Hier muss durch eine breite öffent- den Pflegestärkungsgesetz noch erstellt werden. liche Diskussion Aufmerksamkeit hergestellt und Förderung unterstützt werden. Hinzukommt, dass eine neue, generalistische Aus- bildung in der Pflege erst in Zukunft zeigen wird, In der Diskussion wird gefordert, dass den Kom- wie welche Qualitätsstandards in den curricula munen mehr Verantwortung für Pflege im weiten verankert werden und ob es nach wie vor große Sinn (Organisation kommunaler teilhabeangebote, Unterschiede in der Ausbildung – je nach Schule – Qualitätskontrolle) übertragen werden sollte und geben wird. so Zuständigkeiten klarer ersichtlich und durch die Öffnung in die Gemeinden der menschliche Bezug 3.3.4 Diskriminierungsschutz der Pflege innerhalb der Gesellschaft verstärkt Schutz vor Diskriminierung muss auch in der wird. Die Gesellschaft sollte in die Umsetzung der Pflege gewährleistet sein. Ob bereits ein ausrei- Pflege miteinbezogen werden, Wissen und Verant- chender Schutz vor Diskriminierung geboten wird, wortung könnten so breiter verteilt werden. Die
FAcHGESPRÄcH 4: L A NG Z E I t- U ND PA LLI AtI V P F LE G E 15 Verbreitung über die Menschenrechte in der Pflege strukturelle Mängel aber durchgängig erkennbar könnte beispielsweise durch einfache Innovatio- seien: beispielsweise fehlendes Monitoring, das an nen – die Schaffung einer Website zur aktualisier- Menschenrechten ausgerichtet ist oder nicht aus- ten Pflege-charta – unterstützt werden, sodass reichende Aus- und Fortbildung von Beschäftigten sich jeder darüber informieren kann. in der Pflege. Darüber hinaus findet Pflegearbeit immer öfter in einem informellen Sektor statt. Das Idealerweise müssen alle relevanten Akteure zu Fehlen internationaler Definitionen und Standards einem Konsens auf nationaler Ebene finden, um wurde ebenso kritisiert wie die fehlende Partizipa- diesen dann auf internationaler Ebene in den Ver- tion älterer Menschen – obwohl diese die Expert_ handlungen zu vermitteln. innen in eigener Sache seien. Auch Missbrauch und Gewalt gegen Ältere in der Pflege wurden als 3.4 Ergebnisse der OEWG-A länderübergreifende Phänomene identifiziert. Die themen Langzeitpflege und Palliativpflege In den nachfolgenden Diskussionen, die wieder wurden in der 9. Sitzung der OEWG-A in Vorträ- interaktiv gestaltet wurden, meldeten sich sowohl gen von Expert_innen ausführlich vorgestellt, die der Delegationsleiter Matthias von Schwanenflü- komplexen themen wurden aus sehr unterschied- gel, christian Berringer (BMG), Heidrun Mollenkopf lichen Perspektiven präsentiert. Die einführenden für die BAGSO als auch das DIMR zu Wort. Viele Vorträge wurden von der Unabhängigen Expertin, Beiträge und gute Beispiele der deutschen Ver- einem Vertreter des OHcHR, der ehemaligen treter_innen beruhten auf dem vorbereitenden Vorsitzenden des Ausschusses zur Prüfung der Fachgespräch. UN-BRK, einem Staatenvertreter der Niederlande, der Menschenrechtskommissarin der Philippinen Die Vorträge und Präsentationen sowie vorab ein- und einem Professor für Geriatrie der Universität gereichte Stellungnahmen sind auf der Homepage Haifa gehalten. Als Ergebnis der anschließenden der OEWG-A zu finden.19 Die Zusammenfassung interaktiven Diskussion wurde festgestellt, dass der Sitzung ist sowohl im allgemeinen Bericht zur die nationalen Gegebenheiten in der Langzeit- Sitzung als auch in der Zusammenfassung des und Palliativpflege zwar sehr unterschiedlich, Vorsitzenden der Arbeitsgruppe zu finden. 19 https://social.un.org/ageing-working-group/eighthsession.shtml (abgerufen am 20.12.2018).
16 FAcH G ES PR ÄcH 5 : AU tO N O MIE U N D S EL B St B ESt IM M UNG 4 Fachgespräch 5: Autonomie und Selbstbestimmung 4.1 Menschenrechtliche gelebt werden kann. Sie ist relational konzipiert. Autonomie bedeutet also nicht, dass Menschen Grundlagen auf sich alleine gestellt sind oder dass es um Durchsetzungsvermögen oder Selbstständigkeit Das Recht auf Autonomie und Selbstbestim- geht. Vielmehr geht es um eine selbstbestimmte mung speziell für ältere Menschen ist im bisher Lebensführung, die ohne fördernde und unter- bestehenden menschenrechtlichen Schutzsys- stützende soziale Strukturen nie gelingen kann. tem lediglich auf regionaler Ebene zu finden. Die Selbstbestimmung als Prinzip der Konvention UN-Behindertenrechtskonvention hat sich ausführ- stellt daher nicht nur ein grundsätzliches Ziel dar, lich mit diesem thema befasst und betont, dass sondern gleichzeitig auch immer einen Maßstab Autonomie ein menschenrechtliches Prinzip ist, für die Bewertung angemessener Unterstützung, das bei der Umsetzung jedes Rechtes berücksich- bei der die Willensäußerungen von Personen ohne tigt werden muss. Dieses Prinzip ist in seiner Wir- Einschränkung geachtet werden. Als Prinzip ist kung sehr eng mit der Menschenwürde verbunden. Selbstbestimmung also, genau wie alle anderen Prinzipien, bei der Umsetzung der Konvention ins- Die UN-BRK hat das Prinzip der Autonomie fest- gesamt zu berücksichtigen und ist für alle Artikel geschrieben. Es wird in Art. 3 der Konvention relevant. unter den acht allgemeinen Prinzipien genannt. Der Autonomiebegriff der UN-BRK wird mit dem 4.1.1 Autonomie und Anspruch gekoppelt, eine inklusive Gesellschaft Selbstbestimmung für alle Menschen zu schaffen. Daraus folgt, dass Ältere Menschen haben, wie alle anderen Men- Autonomie im Sinne der Konvention nur in sozialen schen auch das Recht, unabhängig, selbstbe- Beziehungen erlebt wird. In diesen sozialen Bezie- stimmt und autonom zu leben. Das bedeutet unter hungen muss Selbstbestimmung – wenn erforder- anderem auch, dass sie unabhängige Entschei- lich – mit Unterstützungsleistungen gewährleistet dungen zu allen sie betreffenden Fragen, insbe- sein. Damit eng verbunden ist auch die Möglich- sondere bezüglich ihrer Besitzstände, Einkommen, keit der eigenen Zustimmung, die beispielsweise Finanzen, Wohnort, Gesundheit, medizinischen zur Gestaltung des eigenen Lebensendes durch Behandlung oder Betreuung sowie Vorkehrungen Unterstützung gewährleistet werden soll und – zur Gestaltung ihres Lebensendes und zu ihrer wenn möglich – nicht durch Zustimmung anderer Bestattung selbst treffen können. ersetzt werden soll. Mit diesem Prinzip hat sich der zuständige Ausschuss in seiner Allgemeinen 4.1.2 Der Menschenrechtsrahmen Bemerkung zum Recht auf gleiche Anerkennung Die Anforderungen hinsichtlich der Autonomie vor dem Recht, Art. 12, auseinandergesetzt. und Selbstbestimmung älterer Menschen werden vermehrt sowohl in nationalen als auch internatio- An der Spitze der Prinzipien steht die Menschen- nalen Diskussionen von Wissenschaft und Zivil- würde, ergänzt um Autonomie, Entscheidungsfrei- gesellschaft aufgegriffen. So soll beispielsweise heit und Selbstbestimmung. Die Menschenwürde ein selbstbestimmtes Leben im familiären Umfeld wird in Art. 3 der UN-BRK um die individuelle Auto- möglich bleiben. nomie und die Selbstbestimmung ergänzt. Dem liegt die Annahme zu Grunde, dass Autonomie nur Deutschland hat sich durch Ratifizierung verschie- durch gesellschaftliche Unterstützungsleistungen dener Menschenrechtsverträge dazu verpflichtet,
FAcHGESPRÄcH 5: AU tONOM I E U ND SE LB StB E StIMMU N G 17 Menschenrechte auch umzusetzen. Deshalb muss Deutschland in den internationalen Diskurs in New der Staat auch seiner Pflicht nachkommen, die York einbringen kann. Menschenrechte aller in seinem Hoheitsbereich lebenden Personen zu achten, zu schützen und zu gewährleisten. Dies beinhaltet auch die gesetzli- 4.3 Ergebnisse aus der che Rahmensetzung, die dem Schutz der Autono- Diskussion mie und Selbstbestimmung Älterer hinreichend dient. 4.3.1 Inhaltliche und rechtliche Vorgaben für Autonomie und Die unterstützende Hilfe zur Gestaltung der Auto- Selbstbestimmung nomie und Selbstbestimmung wird daher immer Während der gesamten Diskussionen zur Behin- bedeutender. Der Schutz älterer Menschen mit dertenrechtskonvention entzündeten sich am Beeinträchtigungen erfolgt größtenteils im Rah- thema Autonomie die intensivsten Kontrover- men der UN-Behindertenrechtskonvention, die sen. Letztendlich wurde eine Kompromissformel neue Anforderungen bezüglich des Abbaus von hinsichtlich der Definition erzielt. Autonomie ist Barrieren formuliert und den Gedanken der Unter- in der in der UN-BRK an verschiedenen Stellen zu stützung bzw. Assistenz im Kontext von Selbstbe- finden. Bereits in Art. 3 UN-BRK ist die individu- stimmung fördert. elle Autonomie explizit erwähnt und als eines der Konventionsprinzipien festgeschrieben. Zudem ist der Staat angehalten, gerichtliche Mög- lichkeiten zu bieten, damit die Betroffenen vollen Autonomie stellt kein Menschenrecht dar, viel- Zugang zum Recht haben und sie ihre Rechte mehr handelt es sich um ein menschenrechtliches vollumfänglich ausüben können. Prinzip. Ein solches Prinzip bestimmt die Ausle- gung aller Menschenrechte und wird umgekehrt 4.2 Ablauf des durch ausformulierte Menschenrechte näher spezifiziert. Fachgesprächs In den Artikeln 9 (Zugänglichkeit) und 12 (Rechts- Das Fachgespräch am 18. Januar 2018 wurde und Geschäftsfähigkeit) wird das Autonomiever- durch die Begrüßung und Einleitung von Prof. ständnis der Konvention erkennbar. Auch wenn in Dr. Matthias von Schwanenflügel (BMFSFJ) und diesen Artikeln das Wort Autonomie nicht genannt Michael Windfuhr (DIMR) eröffnet. In seinem wird, lässt sich durch die dortigen Formulierungen Vortrag über die Behindertenrechtskonvention erkennen, dass die Autonomie untrennbar mit der der Vereinten Nation und Autonomie widmete Menschenwürde und dem Gleichheitssatz verwo- sich Dr. Leander Palleit (DIMR) der Frage, welche ben ist: Autonomie ist allen Menschen gleicher- inhaltlichen und rechtlichen Vorgaben die UN-BRK maßen gegeben, sie kann weder verdient werden, für den Begriff der Autonomie vorgesehen hat. noch muss man fähig zu ihr sein. Autonomie kann Anschließend thematisiert Prof. Dr. Susanne nicht in unterschiedlichen Lebensphasen variieren Kümpers, Professorin für qualitative Gesund- und nicht geringer werden. heitsforschung, soziale Ungleichheit und Public Health-Strategien von der Hochschule Fulda den Autonomie hat einen relationalen charakter, die Zusammenhang von Autonomie, Selbstbestim- Grenze der Autonomie ist die Autonomie des mung und Alter. Anderen und kann nur in Interaktion bestehen und setzt somit Unterstützung und soziale Struk- An beide Vorträge schloss sich eine Diskussion turen voraus. Dabei darf sie jedoch nicht mit der anhand von Leitfragen an. Hier wurde die Bedeu- bloßen Unabhängigkeit verwechselt werden, denn tung involvierter Akteur_innen und insbesondere entscheidend ist die Steuerungshoheit des Ein- ihre Rolle bei der Umsetzung und beim Schutz zelnen. Autonomie ist ein Konstrukt, das sowohl der Autonomie und Selbstbestimmung diskutiert. Optionen als auch Informiertheit voraussetzt und Zuletzt widmet sich die Diskussion den Erfahrun- somit nur durch Inklusion ermöglicht werden gen, Herausforderungen und gute Beispiele, die kann.
18 FAcH G ES PR ÄcH 5 : AU tO N O MIE U N D S EL B St B ESt IM M UNG 4.3.1.1 Die Grenzen der Autonomie Option der Hilfe und Unterstützung erschwert zu Zum einem ist die immanente Grenze zu beach- erreichen sind. ten, die sich durch die Autonomie und Rechte anderer begründet. Zum anderen wird oft in der Dabei sollen die Fähigkeiten der Generationen Praxis die Autonomie eines Menschen unter gestärkt werden, vor allem Ältere sollen mobil und Verweis auf seine Fähigkeiten oder sein objektives stark bleiben, um laut einer Stellungnahme der Wohl beschränkt. Dies ist äußerst problematisch, Bundesregierung aus dem Jahr 2010 weiterhin denn die UN-BRK etabliert die Bedeutsamkeit einen Beitrag für die Wirtschaft und Gesellschaft des Willens und setzt voraus, dass der zu ermit- zu leisten. Diese Aussage ist eng mit der stigma- telnde Wille des Einzelnen gewichtiger ist, als sein tisierenden Vorstellung von Altersschwachen objektives Wohl. Zwar hat die UN-BRK das Prinzip verknüpft. der Autonomie festgeschrieben und dient sowohl rechtlich als auch inhaltlich als beispielhafte Vor- Die Kehrseite der Autonomie besteht aus Abhän- gabe, doch ist nicht außer Acht zu lassen, dass die gigkeit, Passivität, Unproduktivität und Nichterfolg. UN-BRK nur für ältere Menschen mit Beeinträch- Autonomie ist letztendlich im Spannungsfeld zwi- tigungen anwendbar ist, nicht für alle Älteren. Die schen Bezogenheit und Abtrennung zu verorten. UN-BRK dient nämlich gerade nicht zum Schutz Es handelt sich um einen Ansatz zur Überwindung vor Altersdiskriminierung. internalisierter und faktischer Exklusion, insbeson- dere für Menschen aus benachteiligten Gruppen. 4.3.2 Autonomie und Dabei soll die einseitige Perspektive des erfolgrei- Selbstbestimmung im Alter chen Alters gemieden werde, da sich dies diskri- Im zweiten teil des Fachgespräches setzten sich minierend auf schwächere Randgruppen auswirkt. die teilnehmenden mit Autonomie und Alter aus- Zudem berechtigt beschädigte Autonomie (bei- einander. In einem ersten Schritt wird die histori- spielsweise von Demenzerkrankten) keine stellver- sche Herleitung des Begriffs vorgenommen. tretende Entscheidung, es gilt der subjektive Wille der Betroffenen. 4.3.2.1 Begriff der Autonomie Autonomie kommt aus dem Griechischen und 4.3.2.2 Altern und Stereotype bedeutet Eigengesetzlichkeit. Diese hat sich mitt- Altern ist nicht allein ein biologischer Prozess, lerweile zu einer Subjektkonzeption der Moderne hinzukommen Aspekte der Stereotypisierung und entwickelt. Das Subjekt, der Mensch, ist der Sou- soziokulturellen Etikettierung, die einen bemer- verän seiner Selbst und der Individualität. Daher kenswerten Einfluss haben. Bloßes Altern an sich kann Autonomie in einem entscheidungsfreien führt nicht zum Verlust der Fähigkeit, von seiner Vakuum nicht existieren. Autonomie Gebrauch zu machen, sondern durch soziale Konstrukte wird der Anschein vermittelt, In den politischen Diskursen zu Älteren geht es dies zu tun. Eine Konvention für Rechte Älterer oft um die Übernahme von Verantwortung. In würde dem Schutz vor der Stigmatisierung dienen diesem Zusammenhang kann Autonomie dem und präventiv rechtsfortbildend wirken. Einzelnen auch aufgezwungen werden, wenn der Gesellschaft mehr Verantwortung abgesprochen Hinsichtlich des stigmatisierenden Sprachge- wird und dem Individuum im Umkehrschluss mehr brauchs wird Besorgnis geäußert, dass eine zugesprochen wird. Dies wird häufig als Wunsch Konvention für Rechte Älterer die negative Eti- Älterer kundgetan. Wenn durch die gesellschaftlich kettierung als soziales Konstrukt verstärkt. Dies getragene Verantwortung keine Hilfeleistungen wird jedoch kritisch gesehen, da es sich bei einer mehr ermöglicht werden, wird dem Einzelnen Menschenrechtskonvention um Mindeststan- der Entscheidungsspielraum aus Optionen und dards handelt und eine theoretische Forderung Unterstützung beschnitten und somit auch seine als Grundlage jeder praxisbezogenen Umset- Autonomie beeinträchtigt Durch eine steigende zung dient. Ohne eine Konvention drohen Ältere Regelungsdichte soll zwar autonomes Leben unsichtbar zu bleiben und nicht über einen ausrei- gefördert werden, doch gerade dadurch wird die chenden Menschenrechtsschutz zu verfügen. Autonomie in ihrem Gehalt geschwächt, da die
FAcHGESPRÄcH 5: AU tONOM I E U ND SE LB StB E StIMMU N G 19 4.3.2.3 Abgrenzung zur menschenrechtsbasierter Dienste nachgedacht UN-Behindertenrechtskonvention werden, die Älteren die Kontrolle über das eigene Es wurde diskutiert, ob eine Konvention für Leben auch in schwierigen Situationen ermögli- Rechte Älterer eine Doppelstruktur zur UN-BRK chen. Der Pflege kommt beispielsweise gerade darstellen könne. Das Fehlen eines hinreichenden dann große Bedeutung zu, wenn der subjektive Menschenrechtsrahmens ist sehr bedenklich, da Wille Betroffener berücksichtigt werden soll, die Umsetzung und Überprüfung von Reformen anstatt des bereits näher erörterten objektiven anhand der menschenrechtlichen Grundsätze Wohls. gemessen werden soll. Es wird betont, dass es sich beim Altern gerade nicht um eine Beeinträch- Betreuer_innen sind gewichtige Akteur_innen in tigung im Sinne der UN-BRK handelt und dies auch diesem Feld, da sie bei der Willensermittlung der nicht so gehandhabt werden sollte. Dadurch bleibt Betroffenen in deren Autonomie eingreifen. Das jedoch die schutzwürdige Gruppe der Älteren ohne Paradigma des subjektiven Interesses des Einzel- expliziten menschenrechtlichen Schutz, und die nen muss an die Stelle seines Wohles treten. In Frage, ob der Staat seiner Schutzpflicht Genüge der alltäglichen Praxis stellt sich eine Willenser- getan hat, bleibt weiterhin unbeantwortet. Autono- mittlung bei Älteren oft als zeitaufwendiger und mie spielt eine sehr große Bedeutung im Alter, es mühseliger Prozess dar, der aufgrund fehlenden sprechen gute Gründe dafür, dies durch ein men- Personals häufig nicht gewährleistet werden kann. schenrechtliches Fundament zu festigen – abgese- Durch die strukturelle Barriere des Pflegenot- hen davon, ob eine Beeinträchtigung gegeben ist stands ist die Autonomie und Selbstbestimmung oder nicht. Dieser Ansicht schließen sich weitere der Betroffenen besonders gefährdet, hierbei teilnehmende mit dem Argument an, dass Autono- handelt es sich nicht um etwas Biologisches, mie im Alter auch jenseits einer Beeinträchtigung sondern um etwas gesellschaftlich Hergestelltes/ gefährdet ist. Verursachtes. Dieser menschenrechtlich prekäre Umstand könnte gerade durch staatliche Akteur_ In diesem Zusammenhang wurden Beispiele von innen und politische Maßnahmen aufgehoben Ungleichbehandlung eingebracht: Einem Mann werden. wurde der Dispokredit von seiner Bank verkürzt, mit der Begründung er befinde sich mit 65 Jahren Durch staatliche Maßnahmen kann Autonomie und in einem Alter, das auf das Lebensende zusteuere Selbstbestimmung in Sozialräumen verbessert und somit nicht auf die hinreichende Zurückzah- werden. Dabei ist Barrierefreiheit und eine funkti- lung vertraut werden könnte. Ein weiteres Beispiel onierende Infrastruktur, besonders bei der Bera- der Altersdiskriminierung liefert die Rosenbladtent- tung und Versorgung durch Betreuer_innen, sowie scheidung, in der vom EuGH entschieden wurde, kulturelle teilhabe von großer Bedeutung. Es muss dass die Zwangsbeendigung eines tarifvertrages sowohl die Sicherheit und Mobilität der Einzelnen ab einem bestimmten Alter zulässig sei.20 gewährleistet und vor allem eine gesellschaftliche Exklusion von Gruppen in verletzlichen Lebensla- 4.3.2.4 Bedeutung von Akteur_innen gen vermieden werden. Unklar bleibt, welche Bedeutung Akteur_innen bei der Umsetzung und dem Schutz der Autono- Der Staat als Akteur hat einen Bildungsauftrag, in mie und Selbstbestimmung Älterer haben. Um dessen Rahmen er ältere Menschen aufklärend deren Autonomie und Selbstbestimmung besser unterstützen soll, damit sie von ihrer Autonomie gesellschaftlich und rechtlich zu verankern, muss Gebrauch machen. So haben viele Ältere Angst, über eine De-Institutionalisierung21 und Schaffung medizinischer Behandlung hilflos ausgeliefert zu 20 https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/tXt/HtML/?uri=cELEX:62009cJ0045&from=de (abgerufen am 20.12.2018). 21 Deinstitutionalisierung ist ein Begriff, der vor allem im Zusammenhang mit dem Wohnen von Menschen mit Behinderungen verwendet wird. Damit gemeint ist der Prozess der Umwandlung von Unterstützungsangeboten: Statt in Heimen und Wohneinrichtungen sollen Menschen mit Behinderungen so wohnen wie alle anderen Menschen auch. Ausführlich https://www.institut-fuer-menschenrechte.de/ monitoring-stelle-un-brk/themen/deinstitutionalisierung/ (abgerufen am 17.12.2018).
20 FAcH G ES PR ÄcH 5 : AU tO N O MIE U N D S EL B St B ESt IM M UNG sein. Hier zeigt sich ein deutlicher Informations- in New York, die Unabhängige Expertin für die bedarf der Betroffenen, der eng mit der Willens- Menschenrechte Älterer, Vertreter des türkischen bildung einer selbstbestimmten Entscheidung Sozialministeriums sowie die Vorsitzende des verknüpft ist. Im Alltag kommt es häufig zu einem Zentrums für Menschenrechte und Entwicklung sanften Paternalismus, indem der Einzelne – ein aus der Mongolei. An der Diskussion beteiligten Subjekt – in ein Objekt der Pflege und Versorgung sich sowohl die Bundesarbeitsgemeinschaft der verwandelt wird. Die Autonomie des Einzelnen Senioren-Organisationen (BAGSO) als auch das wird weder durch das Altern noch durch sonstige Deutsche Institut für Menschenrechte (DIMR). Beeinträchtigungen geringer. In den Vorträgen wurde betont, dass rechtliche Als nichtstaatliche Akteure werden Angehörige Grundlagen durch die UN-Behindertenrechts- genannt, die eine große Rolle in der Caring Com- konvention vorgegeben sind. Wahlmöglichkeiten munity spielen. Durch sie kann die soziale teilhabe stellten eine Voraussetzung für autonome Ent- sowie kulturelle Inklusion der Betroffenen gestärkt scheidungen dar. Die Möglichkeit, frei zu entschei- werden. den, hängt nicht zuletzt von den Informationen ab, die einem älteren Menschen zur Verfügung gestellt Weiterhin wurde die willentliche Abgabe von werden. Eine bindende Konvention wurde von den Autonomie und Selbstbestimmung an betreuende meisten Vortragenden als stärkster Schutz für die Dritte diskutiert. Speziell die willentliche Abgabe Menschenrechte Älterer identifiziert. Unabhängige der Autonomie an Angehörige soll ebenfalls Lebensweisen können durch technologien unter- geschützt bleiben, sie kann eine autonome Hand- stützt werden, dieser Bereich muss ausgebaut lung darstellen. Ein weiteres Dilemma der Auto- werden. Abschließend stellten die Vortragenden nomie wird angesprochen: Während oft auf die fest, dass Behinderung und Alter nicht zwangsläu- Unabhängigkeit und Selbstbestimmung abgestellt fig miteinander verbunden seien und deshalb die wird, wird die Sehnsucht nach Bedeutung des UN-BRK auch nicht für alle Älteren gelte. Einzelnen übersehen. In der anschließenden Diskussion wurde darauf Bei der Realisierung der eigenen Autonomie ent- verwiesen, dass Autonomie in den bestehenden steht ein Spannungsfeld zwischen sozialen Konst- Menschenrechtsschutzsystemen bisher nicht rukten und dem menschenrechtlichen Prinzip. Es ausreichend definiert sei. Die Barrieren für Ältere ist zwischen den Beeinträchtigungen des Alters, beim Zugang zu ihren Rechten würden aber bei die eventuell unter die UN-BRK fallen, und anderen weitem noch überwiegen. Dies werde durch das Aspekten, die menschliche Autonomie einschrän- weltweit verbreitete Phänomen von ageism (der ken (Ageism), zu differenzieren. Altersdiskriminierung) noch verstärkt. 4.4 Ergebnisse der OEWG-A Es wurde festgestellt, dass die Autonomie als Ach- tungsanspruch eines oder einer Älteren nicht auto- Das Fachgespräch zu Autonomie und Selbstbe- matisch mit zunehmendem Lebensalter oder durch stimmung diente zur Vorbereitung der interna- Krankheit geringer werde. Die mögliche Finanzie- tionalen Diskussion im Rahmen der 9. Sitzung. rung von Unterstützung wurde diskutiert. Neue Die Ergebnisse des nationalen Austausches technische Entwicklungen könnten – speziell bei waren dort deutlich in den Beiträgen des BMFSFJ personellen Engpässen – Entlastung für Pflegende abgebildet. bieten. Erforderlich sei nach wie vor ein Paradig- menwechsel, da negative Einstellungen hinsicht- Zum Schwerpunktthema Autonomie und Unabhän- lich der Kapazitäten Älterer in den Gesellschaften gigkeit diskutierten Vertreter_innen. aus dem Bun- immer noch überwiegen würden. Hierfür müssten desministerium für Familie, Senioren, Frauen und strukturelle Änderung vorgenommen werden. Ins- Jugend Deutschlands (BMFSFJ), eine Vertreterin besondere in Ländern des Westens werde älteren der Global Alliance of National Human Rights Ins- Menschen beim Übergang in Pflege sehr schnell titutions (GANHRI), der Direktor des Office of the ihre Autonomie entzogen, obwohl in diesen Staaten High commissioner for Human Rights (OHcHR) oft gute gesetzliche Rahmen vorhanden seien.
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