IN ST. MICHAELIS - Hauptkirche St. Michaelis zu Hamburg

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IN ST. MICHAELIS - Hauptkirche St. Michaelis zu Hamburg
IN ST. MICHAELIS

       Hauptkirche St. Michaelis
                    zu Hamburg
                   Programmheft 2021
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IN ST. MICHAELIS - Hauptkirche St. Michaelis zu Hamburg
IN ST. MICHAELIS
                    30. Juni bis 1. September 2021
                    mittwochs 19 Uhr Einlass 18.30 Uhr

    EIN RAUM – VIER ORGELN
    30. Juni 2021
    Jörg Endebrock St. Michaelis Hamburg                 6
    7. Juli 2021
    Susanne Rohn Erlöserkirche Bad Homburg              10
    14. Juli 2021
    Sebastian Küchler-Blessing Essener Dom              14
    21. Juli 2021
    Johannes Zeinler Wien                               18
    28. Juli 2021
    Henry Fairs Universität der Künste Berlin           22
    4. August 2021
    Gerhard Gnann Hochschule für Musik Mainz            26
    11. August 2021
    Wolfgang Zerer
    Hochschule für Musik und Theater Hamburg            30
    18. August 2021
    Mona Rozdestvenskyte St. Johann Bremen              34
    25. August 2021
    Peter Van de Velde Kathedrale Antwerpen             38
    1. September 2021
    Jörg Endebrock St. Michaelis Hamburg                42

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IN ST. MICHAELIS - Hauptkirche St. Michaelis zu Hamburg
Liebe Musikfreunde,
    herzlich willkommen zum diesjährigen Orgelsommer in
    St. Michaelis! In zehn Orgelkonzerten mit Organisten und Orga-
    nistinnen aus Deutschland und anderen europäischen Ländern
    können Sie erleben, wie der einzigartige, lichtdurchflutete Raum
    von St. Michaelis mit seiner großartigen Orgelanlage, die zu den
    größten und vielseitigsten in Deutschland gehört, eine faszinie-
    rende Symbiose eingeht.
    Vom Zentralspieltisch auf der Nordempore aus kann man drei
    unserer vier Orgeln zu einer symphonischen Großorgel zusam-
    menfügen und gemeinsam anspielen: die Große Orgel über
    dem Eingang, die Konzertorgel auf der Nordempore sowie das
    Fernwerk, das im Dachstuhl der Kirche steht und nur durch das
    Schallloch in der Mitte der Decke mit dem Kirchraum verbunden
    ist und erstaunliche sphärische Effekte ermöglicht.
    Im Jahr 2010 wurde das jüngste Instrument in dieses Ensemble
    eingefügt: die Carl-Philipp-Emanuel-Bach-Orgel auf der Süd-
    empore, gewidmet dem zweitältesten Bach-Sohn, der viele Jah-
    re in St. Michaelis wirkte und in der Krypta der Kirche begraben
    liegt. Dieses Instrument ist als einzige der vier Orgeln ungleich-
    schwebend gestimmt und deshalb nicht mit den anderen Orgeln
    zusammen spielbar. Durch ihre Platzierung auf der sogenannten
    »Kaiserloge« ist sie im Raum aber wunderbar präsent, fasziniert
    durch Klangschönheit und Durchsichtigkeit und ist prädestiniert
    für kammermusikalische Musik der Barockzeit.
    Sie dürfen sich auf ein breites Spektrum an Orgelliteratur und
    Interpretationen freuen. Werke bekannter Komponisten treten in
    den Dialog mit neuen Kompositionen und zu Unrecht vergesse-
    nen Schätzen vergangener Jahrhunderte.
    Breiten Raum nehmen in den Programmen auch die diesjährigen
    Jubilare ein: Wir gedenken unter anderem des 400. Todestages
    von Jan Pieterszoon Sweelinck, des 100. Todestages von Camille
    Saint-Saëns und des 50. Todestages von Marcel Dupré. Ein herz-
    licher Dank gilt an dieser Stelle auch der Internationalen Rhein-
    berger-Gesellschaft, die das achte Konzert des Orgelsommers
    durch eine großzügige Spende fördert.
    Ich wünsche Ihnen viele erhebende und anregende Hörerlebnis-
    se in den zehn Konzerten des Orgelsommers!
    Ihr

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IN ST. MICHAELIS - Hauptkirche St. Michaelis zu Hamburg
Mittwoch, 30. Juni 2021 · 19 Uhr                      Oskar Fredrik Lindberg gehört zu den bedeutendsten Kompo-
                                                      nisten Schwedens. Er studierte am Konservatorium seiner Hei-
                                                      matstadt Stockholm, wo er später auch als Professor wirkte. Er
                                                      hinterließ ein umfangreiches kompositorisches Schaffen von
Eröffnungskonzert                                     mehr als 400 Werken, darunter eine Oper nach Texten von Sel-
                                                      ma Lagerlöf. Seine Orgelsonate aus dem Jahre 1924 erhält ihren
                                                      Charme von vielen »Skandinavismen«, typischen harmonischen
Jörg Endebrock St. Michaelis
                                                      und melodischen Wendungen aus der nordischen Volksmusik,
                                                      wie wir sie auch aus Edvard Griegs Kompositionen kennen. Die
                                                      Sonate ist sehr orchestral angelegt und bezaubert durch viele
Zentralspieltisch                                     lyrische Farben in den Mittelsätzen und eine dramatische und
                                                      virtuose Energie in den Ecksätzen.
                                                      Der heutzutage fast unbekannte niederländische Komponist
   Oskar Fredrik Lindberg (1887–1955)
                                                      Gerard Bunk war zu seiner Zeit einer der berühmtesten und
   Sonate g-Moll op. 23
                                                      gefragtesten Orgelvirtuosen. Er wirkte an der Reinoldikirche in
     I.   Marcia elegiaca                             Dortmund, in der eine der damals größten deutschen Orgeln
    II.   Adagio                                      stand, gebaut von der Firma Walcker mit 105 Registern.
   III.   Alla Sarabanda                              Die »Variationen«, die heute auf dem Programm stehen, sind
   IV.    Finale (Allegro con brio)                   eines der attraktivsten Werke Bunks und wurden auch von
                                                      den Zeitgenossen sehr gerühmt. So schrieb z. B. Charles-Marie
                                                      Widor: »…habe Ihre Variationen mit größtem Interesse gelesen –
   Gerard Bunk (1888–1958)                            Wissenschaft, Einheit und Tiefe – Tausend Glückwünsche«.
                                                      Nach einer machtvoll-dramatischen Einleitung erklingt das The-
   Einleitung, Variationen und Fuge über ein
                                                      ma der Variationen sehr leise in tiefer Lage und schält sich erst
   altniederländisches Volkslied op. 31               langsam heraus. Es ist das alte Volkslied »Hoe groot, o Heer«,
                                                      ein Freiheitslied gegen die spanische Unterdrückung im 16. Jahr-
                                                      hundert.
   Joseph-Ermend Bonnal (1880–1944)
                                                        3                œ œ œ # œ . # œj
   Paysages Euskariens                                & 2 œ œ œ ˙.                        œ œ œ œ œ . œj œ œ œ œ œ œ
   (Landschaften des Baskenlandes)
                                                                 ..                                   j
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     I. La vallée du Béhorleguy, au matin
   		 (Morgenstimmung im Tal von Béhorleguy)

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    II. Le berger d’Ahusquy (Der Hirte von Ahusquy)
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   III. Cloches dans le ciel (Glocken im Himmel)

                                                      Es entspinnen sich nun sieben Variationen:
                                                         I. die Melodie wird eingehüllt von einer sanften Bewegung
                                                      		 aus Achtelnoten
                                                        II. reizvolle Rhythmik durch gleichzeitiges Erklingen von Triolen
                                                      		 und Duolen
                                                       III. eine Art »Fandango« mit spanisch angehauchter Rhythmik,
                                                      		 vermutlich eine Anspielung auf den Liedtext
                                                       IV. die Melodie erklingt in der Trompete des Pedals, darüber
                                                      		 schichten sich Akkordblöcke

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IN ST. MICHAELIS - Hauptkirche St. Michaelis zu Hamburg
V. eine sphärische Variation mit dem Register »Voix célèste«
		 (Himmlische Stimme)
 VI. eine virtuos-toccatenhafte Variation, die, obwohl sie ein-
		 stimmig ist, doch den Eindruck von Mehrstimmigkeit er-
		 zeugt. Bunk schreibt als Vortragsbezeichnung »volante« (da-
		 hinfliegend)
VII. Variation als eine Art Schreittanz
Bunk greift nun zurück auf die Musik der Einleitung, die in eine
Schlussfuge überleitet. Nach einer mächtigen Steigerung wird
das Werk beschlossen und gekrönt von der Liedmelodie im Klang
der vollen Orgel.

                                                                                                   Foto © Michael Zapf
Joseph-Ermend Bonnal stammte aus Bordeaux und war 21 Jahre
lang Direktor des Konservatoriums in Bayonne im französischen
Baskenland, bevor er seine Karriere als Organist an der berühm-
ten Orgel von St. Clothilde in Paris beendete. Sein bedeutends-
tes Orgelwerk ist der Zyklus »Landschaften des Baskenlandes«,
der von einer tiefen Liebe zu den saftig-grünen Tälern und majes-
tätischen Bergen dieses Landstrichs Zeugnis ablegt. Wundervoll,
wie Bonnal im ersten Stück das besondere morgendliche Licht,        Jörg Endebrock
das sich sanft im Frühnebel bricht, einfängt und nachzeichnet.      wurde Anfang 2020 als Kantor und Organist an die Hamburger
Im zweiten Satz erklingt zunächst eine bukolische Schalmeien-       Hauptkirche St. Michaelis berufen und leitet dort mit dem Chor
melodie, die Bonnal kunstvoll weiterspinnt und in immer neue        St. Michaelis einen der renommiertesten Chöre Norddeutsch-
impressionistische Harmonien kleidet.                               lands. Neben der Pflege eines breiten Repertoires von Monte-
Der letzte Satz »Glocken im Himmel« ist eine Liebeserklärung        verdi bis Martin setzt er mit den jährlichen Aufführungen des
an die Bergkette der Pyrenäen, die sich majestätisch am Hori-       Weihnachtsoratoriums, der Matthäuspassion von Bach und des
zont erhebt und deren Gipfel wie gigantische Glocken im Himmel      Brahms-Requiems lange Hamburger Traditionen fort.
aufgehängt zu sein scheinen. Entsprechend herrscht hier eine        Endebrock wurde 1970 in Osnabrück geboren und studierte ev.
Glockenmotivik vor, im rauschenden Geläut stürmt das Stück          Kirchenmusik (A) in Hamburg sowie Orgel als Stipendiat des
voran. In der Mitte des Satzes beruhigt sich das Geschehen und      »Deutschen akademischen Austauschdienstes« in Paris bei
es übernimmt eine ausdrucksstarke Melodie, die in ihrer Gestalt     Susan Landale. Im Jahr 1999 schloss er das Aufbaustudium mit
einem gezackten Berg nachempfunden zu sein scheint, bevor           einem »Prix d’éxcellence« sowie einem »Prix de virtuosité avec
der rauschende Beginn wieder aufgenommen und zu einem               félicitations« ab.
überwältigenden Schluss geführt wird. Eine der glanzvollsten        Er war Preisträger bei den Internationalen Orgelwettbewerben
und virtuosesten Toccaten der gesamten Orgelliteratur!              von Haarlem sowie Paris. Schon während seiner Studienzeit
                                                                    sammelte er wichtige Erfahrungen in renommierten Chören,
                                                 Jörg Endebrock     u. a. im Chor des NDR. Von 1999 bis 2008 war er Kantor der
                                                                    Christuskirche Freiburg, von 2008 bis 2019 verantwortete er die
                                                                    vielfältige Musik an der Lutherkirche Wiesbaden und leitete den
                                                                    Bachchor Wiesbaden.
                                                                    Als Konzertorganist übt er eine rege Konzerttätigkeit in Deutsch-
                                                                    land und seinen europäischen Nachbarländern aus. Rundfunk-
                                                                    aufnahmen beim NDR, SWR, Deutschlandradio und bei Radio
                                                                    France sowie zahlreiche CD-Einspielungen runden das Bild sei-
                                                                    ner künstlerischen Tätigkeit ab.

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IN ST. MICHAELIS - Hauptkirche St. Michaelis zu Hamburg
Mittwoch, 7. Juli 2021 · 19 Uhr                         Jan Pieterszoon Sweelinck, dessen 400. Todestages wir in die-
                                                        sem Jahr gedenken, war zu seiner Zeit eine Art »Superstar« auf
Susanne Rohn Erlöserkirche Bad Homburg                  der Orgel. Viele der norddeutschen Organisten seiner Zeit pilger-
                                                        ten zu ihm in die »Oude Kerk« nach Amsterdam, um sich unter-
                                                        weisen zu lassen. Deshalb trug er auch den Beinamen »deutscher
                                                        Organistenmacher«. Interessanterweise war Sweelinck nicht bei
Carl-Philipp-Emanuel-Bach-Orgel                         der Kirche, sondern beim Magistrat der Stadt als Organist ange-
                                                        stellt: die calvinistische Reformation hatte keine Verwendung für
                                                        Organisten, denn im Gegensatz zu Martin Luther in Deutschland
   Jan Pieterszoon Sweelinck (1562–1621)
                                                        war Johannes Calvin der Musik gegenüber sehr misstrauisch
   Ricercar in a                                        eingestellt. So kam es, dass Sweelinck täglich Konzerte auf der
                                                        Orgel für die Bürger der Stadt gab. Meist improvisierte er über
   Fitzwilliam Virginal Book (frühes 17. Jahrhundert)   bekannte und beliebte Liedmelodien oder beeindruckte die Zu-
   Vier Tänze                                           hörer mit seinen kunstvollen und überaus virtuosen Kompositio-
   - William Byrd (1543–1623): Galliarda                nen. Vermutlich ist auch das Ricercar so entstanden.
   - Anonymus (England, 16. Jhd.): Alman                Auch in England war Sweelinck offenbar sehr berühmt, denn
   - Martin Peerson (ca. 1572–1650): Alman              viele seiner Kompositionen finden sich im »Fitzwilliam Virginal
   - Peter Philips (ca. 1560–1628): Galliarda           Book«, der mit annähernd 300 Kompositionen umfangreichsten
                                                        Sammlung der Cembalo-Musik des späten 16. und frühen
                                                        17. Jahrhunderts in England. Sie wurde vermutlich vom Kompo-
                                                        nisten Francis Tregian (1574–1619) zusammengestellt. Fast alle
Zentralspieltisch                                       großen Komponisten der elisabethanischen Zeit und der Epoche
                                                        Jakobs I. sind hier mit verschiedenen Tänzen und anderen kunst-
                                                        vollen Kompositionen vertreten, die einen lebhaften Eindruck
   Franz Liszt (1811–1886)                              von der populären Musik dieser Zeit vermitteln.
   Fantasie und Fuge über
                                                        Im Jahre 1849 schrieb Franz Liszt unter dem Eindruck der Pariser
   »Ad nos, ad salutarem undam«
                                                        Erstaufführung der Oper »Der Prophet« von Giacomo Meyerbeer
                                                        drei »Illustrationen« für Klavier, die sein stetes Interesse an al-
                                                        lem Neuen bezeugen. Die Oper, die den religiösen Fanatismus
                                                        und Furor der »Wiedertäufer« in Münster in den 1530er Jahren
                                                        zum Inhalt hat, scheint ihn sehr bewegt zu haben, denn im fol-
                                                        genden Jahr erweiterte er diese ersten Klavierskizzen zu einem
                                                        monumentalen Fresko, von dem Saint-Saëns beeindruckt sagte,
                                                        es sei das »außergewöhnlichste Stück, das je für Orgel kompo-
                                                        niert worden ist«.
                                                        Liszt legt dem Werk den Choral der Wiedertäufer »Ad nos ad
                                                        salutarem undam« zugrunde. Daraus entwickelt er monothema-
                                                        tisch ein großartiges Werk, das fast wie eine Sinfonie in einem
                                                        Satz wirkt und aus drei Teilen besteht: ein zentrales Adagio wird
                                                        umrahmt von einer einleitenden Fantasie und einer krönenden
                                                        Fuge. Die Fantasie wurde Vorbild für seine h-Moll-Klaviersonate
                                                        und auch für die Sonate über den 94. Psalm von Julius Reubke.

                                                                                                           Jörg Endebrock

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IN ST. MICHAELIS - Hauptkirche St. Michaelis zu Hamburg
Foto © privat
     Susanne Rohn,
     geboren in Waldshut am Hochrhein, studierte evangelische Kir-
     chenmusik in Freiburg im Breisgau sowie Orgel und Cembalo als
     Stipendiatin des Deutschen Akademischen Austauschdienstes
     in Toulouse. Ihr Aufbaustudium Orgel (Solistendiplom) in Basel
     (bei Guy Bovet) und ihr Aufbaustudium Dirigieren in Freiburg (bei
     Hans Michael Beuerle und Peter Gülke) schloss sie jeweils mit
     Auszeichnung ab.
     Seit 1998 ist Susanne Rohn Kantorin der Erlösergemeinde in
     Bad Homburg. Mit drei herausragenden Instrumenten (histori-
     sche Sauer-Orgel von 1908, Bach-Orgel von Gerald Woehl 1990,
     Orgelpositiv von Bernhard Fleig 2008) sowie zwei leistungsfähi-
     gen Chören gestaltet sie dort ein reichhaltiges und anspruchs-
     volles Musikprogramm, das über die Grenzen der Stadt hinaus in
     der ganzen Region Beachtung findet.
     Susanne Rohn nahm erfolgreich an nationalen und internationa-
     len Orgelwettbewerben teil und gibt regelmäßig Orgelkonzerte.
     Nach Lehraufträgen für Orgel und Dirigieren an verschiedenen
     Musikhochschulen war sie von 2006 bis 2009 als Professorin für
     Chorleitung an der Robert-Schumann-Hochschule Düsseldorf
     tätig. Seit Oktober 2011 lehrt sie Dirigieren an der Johannes-
     Gutenberg-Universität in Mainz.

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IN ST. MICHAELIS - Hauptkirche St. Michaelis zu Hamburg
Mittwoch, 14. Juli 2021 · 19 Uhr             Vielschichtig ist das Programm des heutigen Abends ineinander
                                             verbunden: Die prachtvolle Toccata in d BuxWV 155 von Diete-
Sebastian Küchler-Blessing Essener Dom       rich Buxtehude ist ein geradezu idealtypisches Beispiel einer
                                             mehrteiligen norddeutschen Form. Diese war inspiriert von
                                             den wiederentdeckten rhetorischen Lehren der Antike und ori-
                                             entiert sich im Aufbau an deren Lehren einer guten Rede: zum
Große Orgel                                  einen sind einzelne Figuren gestisch gedacht und auszuführen,
                                             zum anderen sollten sich freie Abschnitte wie das anfängliche,
                                             den gesamten Tonraum vorstellende Exordium abwechseln mit
   Dieterich Buxtehude (1637–1707)
                                             streng kontrapunktisch durchgeführten Teilen. In der Propositio
   Toccata d-Moll BuxWV 155                  bzw. Narratio, hier der ersten Fuge, wird das Thema der gedach-
                                             ten Rede dargestellt. Ganz klassisch stellt dann eine Confutatio
                                             das eben Formulierte in Frage (musikalisch realisiert mit unver-
Carl-Philipp-Emanuel-Bach-Orgel              muteten harmonischen und rhythmischen Entwicklungen), bevor
                                             eine zweite Fuge als Confirmatio die Bestätigung der Hauptthese
                                             des gedachten Redners verkörpert. Eine rauschende Conclusio
   Johann Sebastian Bach (1685–1750)         schließlich setzt einen machtvollen Schlusspunkt hinter dieses
   Concerto a-Moll nach Vivaldi BWV 593      grandiose Werk.
      I. ohne Satzbezeichnung                Johann Sebastian Bach galt als sehr guter Streicher, und so ver-
     II. Adagio                              wundert sein Interesse an den Instrumentalkonzerten Vivaldis
    III. Allegro                             nicht. Die Übertragung des Concerto a-moll aus Vivaldis L’Estro
                                             armonico (»die harmonische Eingebung«), ist meisterhaft gelun-
                                             gen: Bach vermag es, einen »orgelgemäßen« Satz zu schreiben
                                             und gleichzeitig die violinistischen und bei diesem hochvirtuo-
Zentralspieltisch
                                             sen Werk fast schon artistischen Aspekte in den Vordergrund zu
                                             stellen.
   Johann Sebastian Bach                     Etwas missverständlich ist der Titel des folgenden Werkes Toc-
   Toccata und Fuge E-Dur BWV 566            cata und Fuge E-Dur BWV 566: Man erwartet dabei automatisch
                                             ein zweiteiliges Werk, in dem Präludium und Fuge ganz klar
   César Franck (1822–1890)                  voneinander getrennt sind, so wie es bei Bachs großen Meis-
   Choral III a-Moll                         terwerken der späten Jahre üblich ist. Hier führt der zweiteilige
                                             Titel allerdings in die Irre: dieses vermutlich in Bachs Arnstädter
                                             Zeit entstandene Frühwerk nimmt eindeutig die überkommene
   Wolfgang Amadeus Mozart (1756–1791)       norddeutsche Form auf und ist, ähnlich wie die eingangs gehörte
   Adagio für Glasharmonika KV 356           Toccata von Buxtehude, fünfteilig – es ist, wenn man so möchte,
                                             Bachs Hommage an Buxtehude.
   Sebastian Küchler-Blessing (*1987)        Wie eine Binsenweisheit klingt, dass die choralgebundenen Wer-
   Improvisation über zwei gegebene Themen   ke Bachs überkommene evangelische Choräle samt ihrem Text
                                             (-gehalt) vertonen. Dieses Wissen wurde nach Frankreich erst
                                             wieder eingebracht durch Albert Schweitzer, der etwa Charles-
                                             Marie Widor so einen völlig neuen Erkenntnishorizont erschloss,
                                             zu einem Zeitpunkt allerdings, zu dem César Franck längst den
                                             Folgen eines schweren Unfalls erlegen war – diesen sicheren Tod
                                             vor Augen schrieb er drei Choräle ungemeiner Ausdruckskraft,

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IN ST. MICHAELIS - Hauptkirche St. Michaelis zu Hamburg
die als Hommage an Bach gedacht waren: der heute erklin-
gende dritte Choral a-moll führt Motivik des Präludiums a-moll
BWV 543 zusammen mit einem »Bach-Choral«, einem durch
Franck frei komponierten Satz, der nach einer großen Cantilene
in einem Finale mit großer Meisterschaft mit der anfänglichen
Motivik kombiniert wird: ein Schwanengesang selten erlebter
Tragik!
                                   Sebastian Küchler-Blessing

                                                                                                               Foto © privat
                                                                 Sebastian Küchler-Blessing,
                                                                 der Essener Domorganist, ist seit 2014 verantwortlich für die
                                                                 Orgelmusik in Liturgie und Konzert an der Kathedralkirche des
                                                                 Ruhrbistums. Er konzertiert bis an den Ural und persischen Golf
                                                                 in Konzerthäusern und Kathedralen wie Elbphilharmonie und
                                                                 Kölner Dom sowie bei den großen Klassikfestivals. Von Publi-
                                                                 kum und Fachwelt auch als Improvisator und Kammermusiker
                                                                 geschätzt, ist Sebastian Küchler-Blessing Bachpreisträger des
                                                                 Leipziger Bach-Wettbewerbs, gewann den Mendelssohn-Preis
                                                                 und den 1. Preis der Internationale Orgelwoche Nürnberg. Er wur-
                                                                 de mit dem Publikumspreis der Festspiele Mecklenburg-Vorpom-
                                                                 mern und dem Arthur Waser-Preis des Luzerner Sinfonieorches-
                                                                 ters ausgezeichnet. Von Sontraud Speidel, Christoph Bossert,
                                                                 Martin Schmeding und Zsigmond Szathmáry ausgebildet, wurde
                                                                 er von der Deutschen Stiftung Musikleben, der Jürgen-Ponto-
                                                                 Stiftung und der Mozart-Gesellschaft Dortmund gefördert. Be-
                                                                 reits als Schüler wurde er in die Studienstiftung des deutschen
                                                                 Volkes aufgenommen. Sebastian Küchler-Blessing unterrich-
                                                                 tete an der Freiburger Musikhochschule und lehrt Orgel und
                                                                 liturgisches Orgelspiel/Improvisation an der Robert-Schumann-
                                                                 Hochschule Düsseldorf. Im Jahr 2020 erschien unter dem Namen
                                                                 »Jubilissimo« eine CD mit Werken für Blechbläser und Orgel von
                                                                 Enjott Schneider, zu der ein Blechbläserensemble um Reinhold
                                                                 Friedrich im Essener Dom musizierte.

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IN ST. MICHAELIS - Hauptkirche St. Michaelis zu Hamburg
Mittwoch, 21. Juli 2021 · 19 Uhr                  »Der Hörer steht dieser Chaconne gegenüber wie einer elemen-
                                                  taren Erscheinung, welche in ihrer unbeschreiblichen Großar-
Johannes Zeinler Wien                             tigkeit begeisternd wirkt und zugleich schwindelerregend und
                                                  sinnverwirrend. Der überflutende Gestalten-Reichtum, aus weni-
                                                  gen kaum bemerkbaren Quellen sich ergießend, verrät sowohl
                                                  die genaueste Kenntnis der Violintechnik als die absoluteste
Zentralspieltisch                                 Herrschaft über eine Phantasie, wie sie kolossaler wohl niemals
                                                  ein Künstler besessen hat. […] Wer die musikalischen Gedanken
                                                  einmal abstract betrachtet, wird glauben, das Instrument müs-
   Johann Sebastian Bach (1685–1750)
                                                  se bersten und brechen unter dieser riesigen Wucht, und vieles
   Chaconne d-Moll                                davon würde sicherlich den Klangmassen der Orgel und des Or-
   aus der 2. Partita für Violine solo BWV 1004   chesters gewachsen sein.«
   Transkription für Orgel von Arno Landmann      Inspiriert durch diesen Abschnitt aus Phillip Spittas Bach-Biogra-
                                                  fie, transkribierte Arno Landmann die monumentale Chaconne
   Thomas Lacôte (*1982)                          etwa 200 Jahre nach ihrer Entstehung für Orgel. Dabei handelte
                                                  er im Sinne Bachs, der selbst auch einige seiner Kompositionen
   Phteggomai (2017)
                                                  für Violine in Orgelstücke umarbeitete. Von seiner Zeit geprägt,
                                                  hüllt Landmann das Werk allerdings in einen spätromantischen,
                                                  orchestralen Mantel und präsentiert eine wertvolle Auseinander-
Carl-Philipp-Emanuel-Bach-Orgel                   setzung mit diesem bedeutenden Meisterwerk.
                                                  Thomas Lacôte zählt als Nachfolger Olivier Messiaens an der
   Wolfgang Amadeus Mozart (1756–1791)            Kirche La Trinité zweifelsohne zu den interessantesten Musi-
                                                  kerpersönlichkeiten der heutigen Pariser Szene. An die fran-
   Andante F-Dur KV 616
                                                  zösische Tradition anknüpfend, entdeckt er mithilfe intensiver
   »für eine Walze in eine kleine Orgel«          musikwissenschaftlicher Forschung und Experimentierfreudig-
                                                  keit auf beeindruckende Weise neue Klangwelten. Das zentrale
                                                  Element von »Phteggomai« bildet das bis heute über Jahrhun-
Zentralspieltisch                                 derte für französische Orgeln typische »Grand Cornet«. Sein
                                                  markanter Klang diente zu Beginn vor allem als Verstärkung für
                                                  die im Diskant schwächeren Zungenregister und kam prinzipiell
   Charles-Marie Widor (1844–1937)                nur im Ensemble zum Einsatz. Deshalb wird dieses Register übli-
   Symphonie Romane op. 73                        cherweise erst ab dem c1 gebaut, was auch dem Ausgangspunkt
     I.   Moderato                                von »Phteggomai« entspricht. Ein weiteres wichtiges Element in
    II.   Choral                                  dieser Komposition ist der Raum, welcher im Allgemeinen ein
   III.   Cantilène                               wesentliches Element beim Musizieren darstellt. Dieses Stück
   IV.    Final                                   bindet bewusst die Akustik des Raumes ein und konzentriert
                                                  sich somit auf das Verklingen von Tönen und deren Charakteris-
                                                  tik. Dabei wird unter anderem ganz subtil versucht, den Nachhall
                                                  durch spezielle Kompositions- und Spieltechniken zu beleben
                                                  bzw. zu verzerren, ohne dass man zusätzliche Töne wahrnimmt.
                                                  Obwohl etliche Briefe über Mozarts Begeisterung für die Orgel
                                                  berichten und er sie als den »König aller Instrumente« bezeich-
                                                  nete, sind uns aus seiner Feder kaum originale Stücke erhalten.
                                                  Als Glücksfall können es Organisten bezeichnen, dass Mozart
                                                  drei zauberhafte Werke für die damals beliebten Flötenuhren

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komponierte. Dabei handelt es sich um mit Pfeifen ausgestatte-
te mechanische Automaten, die zu bestimmten Zeiten Musik von
einer Walze wiedergaben. Nachdem der Klang dieser Flötenuh-
ren dem Orgelklang am nächsten ist, bedienen sich Organisten
gerne dieser Stücke. Im Gegensatz zu den beiden teils drama-
tischen bzw. heroischen Fantasien in f-Moll, hat das Andante in
F-Dur einen sehr lieblichen, entzückenden Charakter in Form
eines Rondos.
Die »Symphonie Romane« ist Charles-Marie Widors zehnte und
letzte Orgelsymphonie und wurde der romanischen Basilika
Saint-Sernin in Toulouse gewidmet. Als Thema dient das Oster-
graduale »Haec dies«, welches die gesamte Symphonie prägt.
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Nach einer kurzen, frei einleitenden Geste erklingt im Moderato
sogleich das Thema, das im Laufe des Stückes durch die Stim-
men wandert und am Höhepunkt des Satzes in Doppelpedal-              Johannes Zeinler
spielweise erklingt. Der zweite Satz Choral bringt das Thema         Als Gewinner des 1. Preises beim Internationalen Orgelwett-
zunächst in Form eines strengen Satzes, welcher sich sodann          bewerb in St. Albans 2015 und des »Grand Prix de Chartres« 2018
in einer freieren Textur mit einer solistischen Oberstimme und       zählt der österreichische Organist, Cembalist und Kirchenmusi-
Imitationen in der Begleitung auflöst. In weiterer Folge tritt ein   ker zu den erfolgreichsten Nachwuchsorganisten seiner Gene-
freies Thema hinzu, welches durch eine Arpeggio-Begleitung in        ration. Ihm gelang es als Erstem, bei beiden prestigeträchtigen
der linken Hand getragen und vom Hauptthema im Pedal unter-          Wettbewerben als Sieger hervorzutreten.
mauert wird. Die Cantilène entfernt sich mit ihrem elegant freien    Sein Studium absolvierte er an der Universität für Musik und dar-
Klarinettensolo am weitesten vom »Haec dies« und lässt Anklän-       stellende Kunst Wien in Orgel bei Pier Damiano Peretti und Klaus
ge an die Ostersequenz »Victimae paschali« vermuten. Das Final       Kuchling, in Klavier bei Christiane Karajev sowie in Kirchenmu-
ist eine typische französische Orgeltoccata, welche mithilfe ihrer   sik. Während eines einjährigen Studienaufenthaltes in Toulouse
motorischen Bewegungen den Osterjubel noch einmal versinn-           erhielt er wichtige Impulse im französischen Repertoire von
bildlicht.                                                           Michel Bouvard, Jan Willem Jansen (Orgel) und Yasuko Bouvard
                                                                     (Cembalo). Das Masterstudium führte ihn an die Hochschule für
                                               Johannes Zeinler     Musik und Theater Hamburg, wo er sich im Bereich der Alten
                                                                     Musik bei Wolfgang Zerer (Orgel) und Menno van Delft (Cemba-
                                                                     lo, Clavichord, Kammermusik) weiterbildete. Im Rahmen dieses
                                                                     Studiums fand eine enge Zusammenarbeit mit dem Prins Claus
                                                                     Conservatorium in Groningen statt, wo er weitere Anregungen
                                                                     durch Theo Jellema (Orgel und Improvisation) und durch Johan
                                                                     Hofmann (Cembalo) erhielt.
                                                                     Seine Engagements führten ihn bereits an das Kings College
                                                                     Cambridge, in die Bavokerk Haarlem, die Hauptkirche St. Jaco-
                                                                     bi Hamburg, das Stift Klosterneuburg, die Basilika St-Sernin in
                                                                     Toulouse, die Kathedrale von Poitiers, die Kirche Ste-Croix in
                                                                     Bordeaux, die Kathedrale Notre Dame de Paris, die Philharmo-
                                                                     nie Essen, das Mariinsky Theater St. Petersburg und den Wiener

                               20                                                                   21
Mittwoch, 28. Juli 2021 · 19 Uhr                    Mitte der 1840er Jahre litt Robert Schumann unter einer Le-
                                                    bens- und Schaffenskrise und war von schweren Depressionen
Henry Fairs Universität der Künste Berlin           heimgesucht. Studien des »Wohltemperierten Klaviers« und
                                                    der »Kunst der Fuge« seines erklärten Vorbilds Johann Sebasti-
                                                    an Bach sind Schumanns »täglich Brod« und helfen ihm in der
                                                    schwierigen Phase. Im Jahr 1845 findet sich jene denkwürdige
Zentralspieltisch                                   Notiz in Schumanns Tagebuch, dass sich »eine ganz andere Art
                                                    zu componiren zu entwickeln begonnen« habe und die Werke
                                                    nun nicht mehr am »subjektiven Clavier« entstünden, sondern
   Johannes Brahms (1833–1897)                      er von nun an »alles im Kopf zu erfinden und ausarbeiten« wolle.
   Präludium und Fuge a-Moll WoO 9                  Ein gänzlich anderer Kompositionsprozess also, in den sich sein
   »Herzlich tut mich erfreuen« aus op. 122         op. 56 sinnvoll einfügt. Die »Studien« übertitelten Werke sind in
                                                    Wahrheit lyrische Preziosen, die zwar für den Pedalflügel konzi-
                                                    piert wurden, aber auch auf der Orgel wundervoll klingen.
                                                    Schumann steckte auch den jungen Johannes Brahms mit seiner
Carl-Philipp-Emanuel-Bach-Orgel
                                                    Bach-Begeisterung an. Präludium und Fuge in a-Moll stammen
                                                    aus der Zeit, in der Brahms im Haus der Schumanns ein und aus
   Carl Philipp Emanuel Bach (1714–1788)            ging und sind ein eindrucksvolles Beispiel dafür, wie eigenwillig
   »Ich ruf zu dir, Herr Jesu Christ« BWV Anh. 73   er die alten Formen mit seiner hochexpressiven Klangsprache
                                                    verschmilzt. Die Choralvorspiele op. 122 sind dagegen kurz vor
                                                    Brahms’ Tod entstanden. Er bearbeitet darin vornehmlich Chorä-
   Johann Gottfried Müthel (1728–1788)
                                                    le, die sich mit den letzten Dingen befassen. Brahms nimmt sich
   Fantasia F-Dur                                   dabei die schlichten Choralvorspiele aus Bachs Orgelbüchlein
                                                    zum Vorbild.
                                                    Auch der zweitälteste Bachsohn Carl Philipp Emanuel beschäf-
Konzertorgel                                        tigte sich immer wieder mit dem Werk seines Vaters. Das be-
                                                    kannte schlichte Choralvorspiel »Ich ruf zu dir, Herr Jesu Christ«
                                                    aus dem »Orgelbüchlein« des Vaters erweitert der Sohn durch
   Robert Schumann (1810–1856)                      expressive Vor- und Zwischenspiele und verstärkt dadurch er-
   aus: Studien für den Pedalflügel op. 56          heblich den Affekt.
    II. Mit innigem Ausdruck
                                                    Auch Johann Gottfried Müthel ist eng mit dem Namen Johann
   III. Etwas schneller
                                                    Sebastian Bach verbunden. Er stammte aus Mölln, wo sein Vater
                                                    als Organist tätig war und wurde einer der letzten Schüler Bachs,
                                                    in dessen Haushalt er auch wohnte. Auch wenn Bach bereits drei
Zentralspieltisch                                   Monate nach seinem Eintreffen verstarb, konnte sich Müthel
                                                    als Kopist des schon erblindeten Meisters intensiv mit dessen
                                                    Schaffen auseinandersetzen. Mit Carl Philipp Emanuel Bach ver-
   Edward Elgar (1857–1934)                         band ihn eine lebenslange Brieffreundschaft.
   Sonata G-Dur op. 28                              Müthel gilt als ein Hauptvertreter des »Sturm und Drang« in der
     I.   Allegro maestoso                          Musik. Es gelang ihm dabei, einen neuen, expressiven Persön-
    II.   Allegretto                                lichkeitsstil zu entwickeln. Daniel Schubart bezeichnete seine
   III.   Andanto espressivo                        Musik als »dunkel, finster, eigensinnig und unbeugsam gegen
   IV.    Presto (comodo)                           den Modegeschmack seiner Zeitgenossen.« Und über seine
                                                    Spieltechnik: »Kenner, die ihn spielen hörten, können nicht ge-
                                                    nug die Leichtigkeit bewundern, mit der er sich über Gebirge von
                                                    Schwierigkeiten hinwegsetzt.«

                               22                                                  23
Edward Elgar ist heute vor allem als Komponist prachtvoller
romantischer Orchestermusik bekannt, gleichwohl war auch er
ein großer Verehrer Bachs. Er orchestrierte unter anderem eini-
ge von Bachs Orgelwerken auf so ungemein originelle Weise für
großes Orchester, dass auch heutige Bach-Puristen ihre Freude
daran haben können.
In seiner Orgelsonate finden sich allerdings kaum Spuren baro-
cker Vorbilder. Vielmehr ist das Werk ausgesprochen orchestral

                                                                                                                  Foto © privat
konzipiert und nutzt dabei die Möglichkeiten der spätroman-
tischen symphonischen Orgel effektvoll. Die Sonate entstand
1895 als Auftrag von Hugh Blair, Kathedralorganist von Worces-
ter, kurz bevor Elgar seinen Durchbruch als Komponist der »Enig-
ma-Variationen« hatte. Es ist ein raffiniertes Werk von großzügi-
gen Proportionen, weitgreifend, aber ohne Längen, wunderbar
volltönend und hervorragend adaptiert für das Instrument Orgel.     Henry Fairs
Der erste Satz, in Sonatenform konzipiert, eröffnet mit einem       wurde in Hereford (GB) geboren, dort erhielt er seine früheste
festlichen, noblen, typischen Elgar-Thema im 3⁄4-Takt. Das zweite   musikalische Ausbildung als Chorsänger am Leominster Priory
Thema ist kontrastierend dazu melodisch ausschwingend nach          und studierte am Birmingham Conservatoire, wo er mit den
Art eines »Lied ohne Worte«. Kunstvoll dialogisieren nun beide      höchsten Auszeichnungen abschloss. Ein Stipendium der Coun-
Themen miteinander.                                                 tess of Munster Trust ermöglichte ihm ein Aufbaustudium in Pa-
Der zweite Satz »Intermezzo« ist vermutlich die Umarbeitung ei-     ris, Köln und Wien. Prägende Lehrer waren David Saint, Thierry
nes früher entstandenen Werkes für Cello und Klavier. Die sonore    Mechler, Susan Landale, David Sanger und Michael Radulescu.
Melodie in der linken Hand kontrastiert dabei mit den aparten       Neben seinem Wirken als Lehrer betreibt Henry Fairs eine rege
Girlanden der rechten Hand.                                         Konzerttätigkeit, die ihn zu Festivals und Instrumenten in aller
Der ausdrucksstarke dritte Satz weist auf die langsamen Sätze       Welt führt. Fairs ist ebenso regelmäßig als Jurymitglied bei in-
des Violinkonzerts und der Sinfonien voraus und ist von großer      ternationalen Orgelwettbewerben tätig. Studierende seiner Or-
Poesie und Klangschönheit. Der letzte Satz ist wiederum in der      gelklasse gingen als Preisträger aus zahlreichen internationalen
Sonatenform konzipiert. Ein energiegeladenes Hauptthema und         Wettbewerben hervor und wirken nun auf bedeutenden Stellen
Passagen lyrischen Charakters wechseln sich effektvoll ab, bevor    in Kirche und Hochschule.
das Werk einem virtuosen Ende entgegenstürmt.                       Henry Fairs ist mehrfacher Preisträger internationaler Orgelwett-
                                                                    bewerbe: u. a. in Odense (DK), Chartres (FR), St Albans (GB) und
                                                 Jörg Endebrock     Paris (FR). Zahlreiche Aufnahmen für den Rundfunk liegen vor.
                                                                    Von 2005 bis 2020 wirkte Henry Fairs am »Royal Birmingham
                                                                    Conservatoire« (GB), 2018–2020 war er zudem Gastprofessor an
                                                                    der Musikhochschule Leipzig. Seit 2014 ist er als »Visiting Pro-
                                                                    fessor« an der University of St Andrews (Schottland) tätig. Seit
                                                                    dem Wintersemester 2020/2021 ist Henry Fairs Professor für
                                                                    künstlerisches Orgelspiel an der Universität der Künste Berlin.

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Mittwoch, 4. August 2021 · 19 Uhr                        Der Leipziger Spätromantiker Sigfrid Karg-Elert schöpfte aus
                                                         dem reichhaltigen Schatz des protestantischen Chorals immer
Gerhard Gnann Hochschule für Musik Mainz                 wieder erstaunliche Inspiration. In seinem op. 65 bearbeitet er
                                                         insgesamt 66 Choräle auf einfallsreiche und ganz und gar neuar-
                                                         tige Art und Weise. »Herr Jesu Christ, dich zu uns wend« ist eine
                                                         feurig dahinstürmende Toccata, in deren Klangrausch immer wie-
Zentralspieltisch                                        der die Melodie des Chorals in langen Notenwerten auftaucht.
                                                         Wie der Name »Symphonischer Choral« schon andeutet, wird
                                                         der Choral »Ach bleib mit deiner Gnade« im op. 87 deutlich um-
   Sigfrid Karg-Elert (1877–1933)
                                                         fangreicher bearbeitet. Karg-Elert führt hier nach dem Vorbild
   »Herr Jesu Christ, dich zu uns wend« aus op. 65       der Reger’schen Choralfantasien den Choral mehrfach durch und
   Symphonischer Choral                                  deutet den Text der einzelnen Strophen dabei aus.
   »Ach bleib mit deiner Gnade« op. 87, 1                Der venezianische Komponist Baldassare Galuppi galt als der
                                                         berühmteste Opernkomponist seiner Zeit. In Zusammenarbeit
                                                         mit Carlo Goldoni erneuerte er die »Opera buffa« und beeinfluss-
Carl-Philipp-Emanuel-Bach-Orgel                          te so die weitere Entwicklung der Gattung entscheidend mit. Ob-
                                                         wohl Galuppi nur in diesem Bereich musikhistorische Bedeutung
                                                         erlangte, ist auch sein Werk für Tasteninstrumente beachtens-
   Baldassare Galuppi (1706–1785)                        wert. Es sind meist eher kleine Stücke, die sich zwischen Scarlatti
   aus: Sonata in D                                      und Haydn einordnen lassen. Diese durchaus anspruchsvollen
   Adagio – Allegro                                      Sonaten und Divertimenti zeigen eigenständigen Charakter und
                                                         vermeiden eine allzu kurzatmige Melodieführung. Er selbst be-
                                                         nannte als wichtigste Elemente guter Musik »vaghezza, chiarez-
                                                         za e buona modulazione« (Anmut, Klarheit und schöner Tonfall).
Zentralspieltisch
                                                         Die Fantasie und Fuge c-Moll gehört zweifellos zu den schönsten
                                                         Werken, die Carl Philipp Emanuel Bach für die Orgel hinterlas-
   Carl Philipp Emanuel Bach (1714–1788)                 sen hat. Der heftig-pathetische und düstere Charakter der Fanta-
   Fantasia con Fuga c-Moll H 103                        sie wird durch herausfordernde Septakkorde und kühne Modula-
                                                         tionen erreicht. Die Akkorde werden immer wieder unterbrochen
                                                         von dramatischen, rezitativischen Passagen. Der vierstimmigen
   Robert Schumann (1810–1856)
                                                         Fuge liegt ein schroffes Thema zugrunde, das sich jedem Forma-
   aus: Studien für den Pedalflügel op. 56               lismus verweigert. Ein Werk wie dieses, in dem das überkomme-
   IV. Innig                                             ne musikalische Erbe mit neuen und frischen Gedanken belebt
    V. Nicht zu schnell                                  wird, lässt uns bedauern, dass CPE Bach nur so wenige Werke
                                                         der Orgel gewidmet hat.
   Sigismund Ritter von Neukomm (1778–1858)              Mitte der 1840er Jahre litt Robert Schumann unter einer Le-
   Grand Dramatic Fantasia                               bens- und Schaffenskrise und war von schweren Depressionen
   Konzert am See, unterbrochen von einem Donnerwetter   heimgesucht. Studien des »Wohltemperierten Klaviers« und
                                                         der »Kunst der Fuge« seines erklärten Vorbilds Johann Sebasti-
   Louis Vierne (1870–1937)                              an Bach sind Schumanns »täglich Brod« und helfen ihm in der
                                                         schwierigen Phase. Auf dem damals neuartigen »Pedalflügel«
   Allegretto op. 1
                                                         konnte er auch die Orgelwerke Bachs studieren. Die »Studien«
   aus: Symphonie Nr. 6 op. 59                           übertitelten Werke op. 56 sind in Wahrheit lyrische Preziosen,
    V. Final                                             die zwar für den Pedalflügel konzipiert wurden, aber auch auf
                                                         der Orgel wundervoll klingen.

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Sigismund Ritter von Neukomm war Komponist, Pianist, Diplo-
mat und wurde auch der Spionage verdächtigt. Er war ein Schü-
ler Michael Haydns, später ein enger Mitarbeiter Joseph Haydns
und ein großer Verehrer Mozarts. In vielen Ländern der Welt tä-
tig, war er zum Beispiel von 1804 bis 1808 Kapellmeister in Sankt
Petersburg und von 1816 bis 1821 in Rio de Janeiro. Die meiste
Zeit lebte er jedoch in Paris.
Sein großes Vorbild Mozart lernte er nie kennen, war aber Kla-
vierlehrer von dessen Sohn Carl Thomas Mozart.
Die Grand Dramatic Fantasia ist ein zauberhaftes Werk, das ei-
nen unbeschwerten Tag in der freien Natur, unterbrochen von
einem schweren Gewittersturm, musikalisch beschreibt, eine
Naturschilderung, wie sie damals ausgesprochen beliebt war

                                                                                                      Foto © privat
(man denke nur an Beethovens 6. Symphonie mit dem Titel »Pas-
torale«). Hinreißend die Modernität, mit der er das einsetzende
Gewitter in Klang umsetzt.
Zuletzt zwei Werke des Organisten der Pariser Kathedrale
»Notre-Dame«, Louis Vierne. Der fast blinde Komponist zählt
neben Charles-Marie Widor zu den herausragendsten Vertretern          Gerhard Gnann
der französischen Orgelsymphonik. Es ist reizvoll, sein erstes        wurde 1962 in Bad Buchau geboren und studierte Orgel, Cem-
und letztes veröffentlichtes Orgelwerk nebeneinanderzustellen:        balo und Kirchenmusik in Freiburg, Amsterdam und Basel. Zu
das liebliche Allegretto op. 1 und das furiose Final seiner letzten   seinen Lehrern zählten Ludwig Doerr, Ton Koopman, Ewald Kooi-
Sinfonie. In diesem Satz herrscht pure Ausgelassenheit. So tän-       man und Guy Bovet. Er war mehrfach Preisträger bei internatio-
zerisch, so rhythmisch kraftvoll hört man Vierne in seiner Musik      nalen Wettbewerben, u. a. 1988 in Brügge, 1992 beim Schweizer
sonst selten. Besonders wirkungsvoll ist der Schluss: außer-          Orgelwettbewerb und gewann 1993 den Großen Preis »Dom zu
ordentlich schwierig zu spielende schnelle Tonleitern im Pedal        Speyer«.
führen zu einer virtuos mitreißenden Schluss-Apotheose des            Von 1994–1997 war er Bezirkskantor der Erzdiözese Freiburg mit
gewaltigen Werks.                                                     Dienstsitz in Münstertal. In dieser Eigenschaft begründete er die
                                                                      Reihe »Konzerte in St. Trudpert«. 1997 wurde Gerhard Gnann als
                                                   Jörg Endebrock     Professor für künstlerisches Orgelspiel an die Hochschule für
                                                                      Musik der Johannes Gutenberg-Universität Mainz berufen. Er
                                                                      ist dort zugleich Leiter der Abteilung Kirchenmusik/Orgel. 2003
                                                                      wurde er mit dem Preis der Johannes Gutenberg-Universität für
                                                                      exzellente Leistungen in der Lehre ausgezeichnet.
                                                                      2012–2015 war Gerhard Gnann Domorganist am Freiburger
                                                                      Münster und künstlerischer Leiter der dortigen Orgelkonzerte.
                                                                      Als ausübender Künstler, Juror bei internationalen Wettbewer-
                                                                      ben sowie als Pädagoge ist er im In- und Ausland gefragt. Als
                                                                      Dozent von Meisterkursen ist er regelmäßig in Italien, Polen,
                                                                      Norwegen, Dänemark, Frankreich und der Schweiz zu Gast.
                                                                      Des Weiteren hat er mit CD-Aufnahmen bei Labels wie audite,
                                                                      hänssler Classic, organum, coviello classic u. a. auf sich aufmerk-
                                                                      sam gemacht. Gnann wurde mehrfach mit Schallplattenpreisen
                                                                      ausgezeichnet – zuletzt 2013 mit dem »ECHO Klassik« – sowie
                                                                      2015 für die CD »arranging bach« auf den Orgeln des Freiburger
                                                                      Münsters.

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Mittwoch, 11. August 2021 · 19 Uhr                Einige Präludien und Fugen Johann Sebastian Bachs sind in
                                                  zeitgenössischen Quellen mit einem Trio als Mittelsatz über-
Wolfgang Zerer                                    liefert. Möglicherweise spiegelt dies eine liturgische Praxis der
Hochschule für Musik und Theater Hamburg          Zeit wider (Präludium am Beginn des Gottesdienstes, Trio sub
                                                  communione, Fuge als Nachspiel). Im heutigen Konzert wurde in
                                                  Anlehnung daran eine etwas ungewöhnliche Zusammenstellung
                                                  gewählt: das Präludium (BWV 541) wird mit der Fuge eines ande-
Große Orgel                                       ren Werkes (BWV 550) kombiniert, dazwischen erklingt das Trio
                                                  über den Choral »Herr Jesu Christ, dich zu uns wend« aus den
                                                  sogenannten 18 Leipziger Chorälen. Alle drei Werke sind von ei-
   Johann Sebastian Bach (1685–1750)              ner »sprühenden Vitalität« geprägt und die Tonart G-Dur drückt
   Präludium G-Dur BWV 541/1                      in der Barockzeit in besonderer Weise Freude aus.
   Trio super                                     Georg Muffats »Apparatus musico-organisticus« wurde 1690 pu-
   »Herr Jesu Christ, dich zu uns wend« BWV 655   bliziert. Die Sammlung vereinigt die beiden in der damaligen Zeit
   Fuge G-Dur BWV 550/2                           besonders populären Stile (italienisch und französisch) zu einem
                                                  sog. »vermischten Stil«. Die 5-teilige Toccata tertia ist dafür ein
                                                  besonders schönes Beispiel: nach einer italienisch geprägten
                                                  Einleitung folgen eine Canzona, ein ruhiger Mittelteil im soge-
Carl-Philipp-Emanuel-Bach-Orgel                   nannten »stile di durezze e ligature« und eine 2-teilige franzö-
                                                  sische Fugue.
   Georg Muffat (1653–1704)                       Johann Sebastian Bach hat zahlreiche Werke sowohl anderer
   Toccata tertia                                 Komponisten (z. B. von Antonio Vivaldi) als auch eigene Kom-
   aus: Apparatus musico-organisticus             positionen (Kantatensätze, Concerti) für Orgel übertragen. Ein
                                                  besonderes Beispiel dafür ist die Fuge in d-Moll (BWV 539): die
                                                  Vorlage dafür stammt aus der Partita für Violine solo (BWV 1001).
   Johann Sebastian Bach                          Es ist beeindruckend, wie Bach das typische Streicher-Idiom auf
   Fuge d-Moll BWV 539/2                          die Orgel mit deren spezifischen Möglichkeiten überträgt.
                                                  Die »Messe de la Pentecôte« (Pfingstmesse) von Olivier
                                                  Messiaen ist 1950 entstanden. Der 2. Teil (»Les choses visib-
Zentralspieltisch                                 les et invisibles« – die sichtbaren und die unsichtbaren Dinge/
                                                  Nizänisches Glaubensbekenntnis) ist der umfangreichste und
                                                  vielfältigste Satz daraus. Die verschiedenen Abschnitte sind sehr
   Olivier Messiaen (1908–1992)                   kontrastreich gestaltet und einige Charakteristika seien kurz be-
   »Les choses visibles et invisibles«            nannt: Verwendung von Hindu-Rhythmen, dunkle Registrierun-
   (Die sichtbaren und die unsichtbaren Dinge)    gen (Kampf gegen die Finsternis und ihre Mächte), helle Farben,
    aus: »Messe de la Pentecôte« (Pfingstmesse)   Vogelstimmen, Nachahmung von Wassertropfen u. a.
                                                  Messiaen hat sich selbst zu diesem Werk geäußert: »Das Un-
   César Franck (1822–1890)                       sichtbare ist die Domäne des Heiligen Geistes: ›der Geist der
   Grande Pièce Symphonique op. 17                Wahrheit, den die Welt nicht fassen kann, weil sie ihn nicht
                                                  sieht und nicht kennt‹ (Johannes-Evangelium). Das Leben, dem
                                                  die Gnade verborgen ist, vermutet die Wohnung des Heiligen
                                                  Geistes in der gläubigen Seele.«

                          30                                                      31
Berühmt ist César Francks emphathische Äußerung über die
Orgel: sie »ist mein Orchester«. Diese orchestral-symphonische
Ausrichtung hat sicher besonders Gültigkeit für sein 1863 ent-
standenes Werk »Grande pièce symphonique«. Es markiert den
Beginn der französischen Orgelsymphonik der Spätromantik.
Dieses Werk (von enormer Ausdehnung) ist nicht in mehrere Ein-
zelsätze aufgeteilt, sondern in einem »großen Wurf« konzipiert,
bei dem die einzelnen Formteile nahtlos aufeinander folgen:

                                                                                                               Foto © privat
langsame Einleitung (Andantino serioso), Hauptsatz (Allegro
non troppo e maestoso), langsamer Satz (Andante), Scherzo
(Allegro), Kombination der einzelnen Teile und abschließende
Fuge. Manche Parallelen und gegenseitige Inspirationen gibt es
im symphonischen Werk von Franz Liszt und insbesondere in den
Werken von Francks Freund Charles Henri Valentin Alkan, dem       Wolfgang Zerer,
das Werk gewidmet ist.                                            geboren 1961 in Passau, erhielt seinen ersten Orgelunterricht
                                                                  vom Passauer Domorganisten Walther Schuster. Ab 1980 stu-
                                              Wolfgang Zerer     dierte er in Wien (Orgel bei Michael Radulescu, Cembalo bei
                                                                  Gordon Murray, Dirigieren bei Karl Österreicher sowie Kirchen-
                                                                  musik). Weitere Studien führten ihn nach Amsterdam (Cembalo
                                                                  bei Ton Koopman) und nach Stuttgart (Kirchenmusik/Orgel bei
                                                                  Ludger Lohmann).
                                                                  Er war Preisträger verschiedener Orgelwettbewerbe (u. a. in
                                                                  Brügge und Innsbruck). Nach Lehraufträgen in Stuttgart und
                                                                  Wien wurde er 1989 auf eine Professur für Orgel an die Hoch-
                                                                  schule für Musik und Theater Hamburg berufen.
                                                                  Seit 1995 ist er als Gastdozent am Prins Claus Conservatorium
                                                                  Groningen/Niederlande tätig, seit Oktober 2006 lehrt er als
                                                                  Dozent für Orgel an der Schola Cantorum in Basel/Schweiz.
                                                                  Konzerte, Kurse, Jurytätigkeit und Aufnahmen führten ihn in die
                                                                  meisten Länder Europas, nach Israel, Nord- und Südamerika,
                                                                  Japan, China und Südkorea.

                              32                                                                33
Mittwoch, 18. August 2021 · 19 Uhr                           Eine Wiener Attraktion gegen Ende des 18. Jahrhunderts war
                                                             das von Joseph Graf Deym eingerichtete Kuriositätenkabinett,
Mona Rozdestvenskyte Bremen                                  in dem Plastiken und Wachsfiguren zu sehen waren, während
                                                             zugleich Spieluhren und -automaten für musikalische Unterma-
                                                             lung sorgten. Im Winter 1790/91 beauftragte Graf Deym Wolf-
                                                             gang Amadeus Mozart, mehrere Stücke für diese Flötenuhren
Große Orgel
                                                             zu schreiben. Mozarts f-Moll-Fantasie diente als Trauermusik für
                                                             Feldmarschall Laudon, Maria Theresias erfolgreichsten General,
   Wolfgang Amadeus Mozart (1756–1791)                       dessen Wachsfigur stündlich mit der Musik Mozarts geehrt wur-
   Fantasie f-Moll KV 608                                    de, die dessen stürmisches Leben eindrucksvoll illustriert.
                                                             Jan Pieterszoon Sweelinck war der berühmteste Organist sei-
                                                             ner Zeit. In der Oude Kerk in Amsterdam spielte er täglich für die
Carl-Philipp-Emanuel-Bach-Orgel                              wohlhabenden Bürger der Stadt kleine Konzerte, vermutlich die
                                                             ersten öffentlichen Orgelkonzerte überhaupt. Hier improvisierte
   Jan Pieterszoon Sweelinck (1562–1621)                     er über bekannte und beliebte Melodien oder spielte Komposi-
   Fantasia Chromatica SwWV 258                              tionen wie die ausdrucksstarke »Fantasia chromatica«.
                                                             Johann Sebastian Bach gilt als größter Meister der klassischen
   Johann Sebastian Bach (1685–1750)                         Fuge, einer der strengsten und komplexesten Formen der Musik.
   Fantasie c-Moll BWV 562                                   Die große Anzahl seiner Fantasien zeigt aber, dass er genauso
                                                             den freien, expressiven Ausdruck liebte.
                                                             Die c-Moll Fantasie ist ein sehr konzentriertes und etwas in sich
Zentralspieltisch                                            gekehrtes Werk. Es sind die ausdrucksstarke Dichte des Satzes,
                                                             die zunehmende innere Spannung, vor allem aber die schmerz-
   Josef Gabriel Rheinberger (1839–1901)                     lich-lyrische Harmonik, die den Reiz der Komposition ausma-
                                                             chen.
   Sonate Nr. 12 Des-Dur op. 154
     I. Phantasie                                            Josef Gabriel Rheinberger darf wohl neben Mendelssohn als
    II. Pastorale                                            einer der wichtigsten Komponisten der Gattung »Orgelsonate«
   III. Introduktion und Fuge                                im 19. Jahrhundert gelten. Nicht weniger als 20 Sonaten schuf
                                                             er ab 1875. Rheinberger konzipierte sie eher für den Konzertsaal
                                                             als für die Kirche, denn im Laufe des 19. Jahrhunderts wurden
   Camille Saint-Saëns (1835–1921)
                                                             immer mehr Orgeln in Konzertsäle eingebaut und man bedurfte
   Danse macabre                                             adäquater nichtkirchlicher Werke für diesen Rahmen. Die einzel-
   Transkription: E. H. Lemare                               nen Sätze der Sonaten sind meist inspiriert von barocken for-
                                                             malen Vorbildern und tragen wie auch im Falle der 12. Sonate
   Max Reger (1873–1916)                                     barocke Titel. Rheinberger füllt diese barocken »Gefäße« jedoch
   Fantasie über den Namen B-A-C-H op. 46                    mit seiner sanft-lyrischen, mitunter leicht süßlichen, aber immer
                                                             meisterhaften hochromantischen Tonsprache.
                                                             Der englische Orgelvirtuose Edwin Lemare galt als der virtuo-
   Dieses Konzert wird freundlicherweise gefördert von der   seste Konzertorganist seiner Zeit. Ende des 19. Jahrhunderts
   Internationalen Josef Gabriel Rheinberger-Gesellschaft.   verbrachte er die meiste Zeit auf Reisen und machte sich durch
                                                             seine Arrangements bekannter Orchesterwerke in einer Zeit vor
                                                             Erfindung der Schallplatte und des Radios enorm verdient um
                                                             die Verbreitung der damals modernen und fortschrittlichen Mu-
                                                             sik. Hochvirtuos und gekonnt ist denn auch sein Arrangement

                                 34                                                         35
der 1875 entstandenen Tondichtung »Danse macabre« (Toten-
tanz) von Camille Saint-Saëns.
Bei der Uraufführung 1875 in Paris traf das Werk auf wenig En-
thusiasmus, wurde später gar ausgepfiffen, möglicherweise,
weil das Publikum das Spiel der »diabolischen« Sologeige mit
ihrer auf Es umgestimmten E-Saite als unsauber missverstand.
Innerhalb von zehn Jahren jedoch erlangte das Werk so große
Bekanntheit, dass Saint-Saëns sich in seinem »Karneval der Tie-

                                                                                                                   Foto © privat
re« ironisch selbst daraus zitierte.
»Seb. Bach ist für mich Anfang und Ende aller Musik, auf ihm
ruht und fußt jeder wahre Fortschritt!« Mit diesen programmati-
schen Worten beginnt Max Reger seine Antwort auf die 1905 von
einer Zeitschriftenredaktion gestellte Rundfrage »Was ist mir Jo-
hann Sebastian Bach und was bedeutet er für unsere Zeit?«. Ein-     Mona Rozdestvenskyte
drucksvolles Zeugnis dieser Bach-Verehrung legte er bereits mit     wurde 1994 in Moskau geboren. 2012 begann sie mit dem Stu-
der im Jahr 1900 komponierten und veröffentlichten grandiosen       dium der Kirchenmusik an der Hochschule für Musik Detmold,
Bach-Hommage ab, seinem wohl bekanntesten Orgelwerk: Fan-           an der sie 2018 ihren Master und 2020 den Master Solist Orgel
tasie und Fuge über B-A-C-H (im heutigen Konzert erklingt nur       bei Prof. Martin Sander absolviert hat. Seit Oktober 2020 stu-
die Fantasie). Was bei anderen seiner Kompositionen irritieren      diert sie in der Meisterklasse von Prof. Martin Schmeding an der
mag, die komplexe Harmonik, die Weitschweifigkeit, das schein-      Hochschule für Musik und Theater »Felix Mendelssohn Barthol-
bare Umherirren von einem wie zufällig erhaschten Ruhepunkt         dy« Leipzig.
zum nächsten, das ist hier durch das omnipräsente B-A-C-H-Mo-       Weitere künstlerische Impulse erhielt sie bei Meisterkursen mit
tiv verklammert und verhilft dem Werk zu einer bemerkenswer-        Olivier Latry, Wolfgang Zerer, Arvid Gast, Michael Radulescu,
ten Geschlossenheit.                                                Hans-Ola Ericsson, Ben van Oosten, Guy Bovet, Jaroslav Tuma
Reger widmete die Komposition Josef Rheinberger, der sich an-       und Bine Bryndorf.
gesichts der hochexpressiven Modernität aber vorsichtig-kri-        Mona Rozdestvenskyte war Preisträgerin bei zahlreichen natio-
tisch zur Fantasie geäußert haben soll.                             nalen und internationalen Wettbewerben: u. a. erhielt sie 1. Prei-
                                                                    se beim VII. internationalen M. K. Ciurlionis-Orgelwettbewerb in
                                                Jörg Endebrock     Vilnius, bei der Northern Ireland International Organ Competi-
                                                                    tion, beim internationalen Orgelwettbewerb Fugato in Bad Hom-
                                                                    burg, 3. Preis beim Orgelwettbewerb in Saint-Maurice (Schweiz,
                                                                    2018), beim Orgelwettbewerb in Korschenbroich und den Preis
                                                                    der Rheinberger-Gesellschaft beim Rheinberger-Orgelwettbe-
                                                                    werb in Vaduz.
                                                                    Sie konzertierte unter anderem in der Dresdner Frauenkirche, in
                                                                    der Lorenzkirche in Nürnberg, im Dom zu Paderborn, im Mozarte-
                                                                    um Salzburg, im ORF-Sendehaus in Wien, in Westminster Abbey,
                                                                    in der St. Thomas Church 5th Avenue in New York City, im Rigaer
                                                                    Dom sowie an weiteren Orten in Deutschland, der Schweiz, Po-
                                                                    len, den baltischen Staaten, Spanien und England.
                                                                    Von 2017 bis 2021 war Mona Rozdestvenskyte als Kirchenmusi-
                                                                    kerin im Pastoralverbund Bad Driburg tätig. Seit Februar 2021 ar-
                                                                    beitet sie als Regionalkantorin an der Propsteikirche St. Johann
                                                                    in Bremen.

                               36                                                                  37
Mittwoch, 25. August 2021 · 19 Uhr                Carl Philipp Emanuel Bachs Orgelsonaten stehen immer noch
                                                  im Schatten des »übermächtigen« Vaters. So schrieb etwa
Peter Van de Velde Kathedrale Antwerpen           der Bach-Biograph Forkel fast entschuldigend: »Diese Orgel-
                                                  Solos sind für eine Prinzessin gemacht, die kein Pedal und
                                                  keine Schwierigkeiten spielen konnte, ob sie sich gleich eine
                                                  schöne Orgel mit zwei Clavieren und Pedal machen ließ und
Carl-Philipp-Emanuel-Bach-Orgel                   gerne darauf spielte.« Die Pedallosigkeit der Werke dürfte al-
                                                  lerdings weniger an den fehlenden Fähigkeiten der Prinzessin
                                                  Amalia von Preußen gelegen haben, sondern am Wandel des
   Carl Philipp Emanuel Bach (1714–1788)
                                                  Musikgeschmacks, und auch die technischen Anforderungen
   Sonata A-Dur H 85                              sind durchaus beträchtlich. Kennzeichnend für den Stil des zweit-
     I. Allegro assai                             ältesten Bach-Sohnes ist der häufige, oft abrupte Wechsel der
    II. Poco adagio                               Affekte. Sein wichtigstes Anliegen war ein starker Gefühlsaus-
   III. Allegro                                   druck. Der Interpret sollte aus der Seele oder aus der Empfin-
                                                  dung heraus die Finger gleichsam »reden« lassen, um die Zuhö-
                                                  rer »in Leidenschaft zu versetzen«.
Zentralspieltisch                                 Das gewaltige Werkpaar »Präludium und Fuge e-Moll« BWV 548
                                                  zählt zu den späten großen Orgelwerken Johann Sebastian
                                                  Bachs, entstanden vermutlich um das Jahr 1730, als Bach im Ze-
   Johann Sebastian Bach (1685–1750)              nit seiner Kompositionskunst stand. Souverän werden hier die
   Präludium und Fuge e-Moll BWV 548              Gattungen »Präludium und Fuge« und »Konzert« miteinander
   Fassung von Karl Straube                       verschmolzen. Vor allem die Fuge überrascht durch äußerst vir-
                                                  tuos-konzertierendes Laufwerk, das einzigartig sogar in Bachs
   Naji Hakim (*1955)                             Orgelwerk dasteht. Schon Bachs Biograph Philipp Spitta erkann-
   Sinfonia in honore sancti Ioannis Baptistae    te Ende des 19. Jahrhunderts, »dass die hergebrachten Bezeich-
                                                  nungen nicht mehr ausreichen«, so dass man das Werkpaar
     I. Ut queant laxis
                                                  »eine zweisätzige Orgelsymphonie nennen müsste, um unsrer
    II. Ecce agnus Dei
                                                  Zeit eine richtige Vorstellung von ihrer Größe und Gewalt nahe
   III. In Spiritu et Igni
                                                  zu legen«. Der berühmte Thomasorganist Karl Straube richtete
                                                  Bachs Werke Anfang des 20. Jahrhunderts für die orchestralen
   Camille Saint-Saëns (1835–1921)                Großorgeln seiner Zeit ein, wobei der symphonische Charakter
   Poco Adagio                                    dieses Werkes noch einmal besonders unterstrichen wird.
   aus: Sinfonie für Orchester und Orgel op. 78   Die Orgelsinfonie »zu Ehren Johannes des Täufers« des fran-
   arrangiert für Orgel solo von Emile Bernard    zösisch-libanesischen Organisten Naji Hakim entstand im Jahr
                                                  1997 für die »Church of St. John the Baptist« in Newcastle/Eng-
   Marcel Dupré (1886–1971)                       land. Ihr liegt folgendes Programm zugrunde:
   Prélude et Fugue en si-majeur op. 7 Nr. 1      1. Satz: »Es ist eine Stimme eines Predigers in der Wüste: Berei-
                                                  tet den Weg des Herrn!« (Lukas 3, 4)
                                                  Variationen über den gregorianischen Hymnus zu Ehren Johan-
                                                  nes des Täufers »Ut queant laxis«.
                                                  2. Satz: »Siehe, das ist Gottes Lamm, das hinwegnimmt die Sün-
                                                  de der Welt.« (Johannes 1, 29)
                                                  Der Satz basiert auf einem baskischen »Agnus Dei«.

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