Industrie aktuell 2 2020 - WKO
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industrie aktuell 2 2020 Industrieforum Auf dem Weg aus der Krise Industriepolitik Mineralölindustrie: Fokus auf zukunftsfähige Lösungen Industriekonjunktur aktuell Heimische Industrieproduktion: Rückgang schon im 2. Halbjahr 2019
Bundessparte Industrie (BSI) Industriewissenschaftliche Institut (IWI) Industriellenvereinigung (IV) Die Bundessparte Industrie der Wirtschaftskammer Das Industriewissenschaftliche Institut (IWI) setzt Die Industriellenvereinigung (IV) ist die freiwillige und Österreich vertritt mit ihren Fachverbänden die einen markanten industrieökonomischen For- unabhängige Interessenvertretung der österreichi- Interessen von rund 4.000 Mitgliedsunternehmen, schungsschwerpunkt in Österreichs Institutsland- schen Industrie und der mit ihr verbundenen Sek- die schwerpunktmäßig der Industrie zuzuordnen schaft. Seit 1986 steht das Institut für die qua- toren. Seit 1946 nimmt die IV an allen Gesetzwer- sind. In der österreichischen Industrie sind rund litativ anspruchsvolle Verschränkung zwischen dungsprozessen als anerkannter Partner der Politik 400.000 Personen beschäftigt. Theorie und Praxis. teil. Eine Bundesorganisation, neun Landesgruppen Die Bundessparte Industrie ist nicht nur für eine Das intensive Zusammenspiel unterschiedlicher und das Brüsseler IV-Büro vertreten die Anliegen aktive Mitgestaltung der österreichischen Indus- Forschungsbereiche dient dazu, Produktions- ihrer aktuell mehr als 4.400 Mitglieder aus produ- triepolitik zuständig, sondern auch für die Koor- strukturen systemorientiert zu analysieren und zierendem Bereich, Kredit- und Versicherungswirt- dination und die inhaltliche Artikulierung aller darauf aufbauend zukunftsweisende wirtschafts- schaft, Infrastruktur und industrienaher Dienstleis- industrierelevanten Interessen vor allem in der politische Konzepte zu entwickeln. Besondere tung – in Österreich und Europa. Die IV-Mitglieder Kollektivvertragspolitik, im Umwelt- und Energie- Schwerpunkte finden sich in der Analyse lang- repräsentieren mehr als 80 Prozent der heimischen bereich, in der Forschungs- und Technologiepoli- fristiger makroökonomischer Entwicklungsten- Produktionsunternehmen. Ihr Anspruch an der tik sowie in der Infrastrukturentwicklung. denzen sowie in der Untersuchung industrieller Schnittstelle zwischen Unternehmen und Politik ist Netzwerke (Clusteranalysen). es, mit innovativen Konzepten und Expertise Öster- reichs Gesellschaft zukunftsfit zu gestalten. Bundessparte Industrie der Industriewissenschaftliches Institut Industriellenvereinigung Wirtschaftskammer Österreich Mittersteig 10/4, 1050 Wien Schwarzenbergplatz 4, 1031 Wien, Österreich Wiedner Hauptstraße 63, 1045 Wien Telefon: 513 44 11-0 Telefon: 43 1 71135 – 0 Telefon: 05 90 900-3460 Telefax: 513 44 11-2099 Internet: www.iv.at, www.facebook.com/ Telefax: 05 90 900-113417 Internet: http://www.iwi.ac.at, industriellenvereinigung, www.twitter.com/iv_ Internet: http://wko.at/industrie, E-Mail: office@iwi.ac.at news E-Mail: bsi@wko.at Vorstand E-Mail: office@iv.at Präsidium Vorsitzender Hon.Prof. Dr. Wilfried STADLER, Präsidium Obmann Mag. Sigi Menz, Ottakringer Getränke AG Wirtschaftsuniversität Wien, Vorstandsvor- Präsident Mag. Georg Kapsch, Kapsch AG Stellvertreter Hon.Konsul KommR Veit sitzender des IWI Vizepräsident Ing. Hubert Bertsch, Schmid-Schmidsfelden, Rupert Fertinger GmbH Mag. Markus BEYRER, Business Europe BERTSCH-Holding Stellvertreter KommR DI Dr. Clemens Malina- Dr. Wolfgang DAMIANISCH, Kassier des IWI Vizepräsident Dr. Axel Greiner, Greiner Gruppe Altzinger, Reform-Werke Bauer & Co. Ges.m.b.H. Mag. Christian DOMANY, Unternehmensberater Vizepräsident KR Mag. Otmar Petschnig, kooptiert: Günter Dörflinger, MBA Christof GF Mag. Andreas MÖRK, Bundessparte Industrie Fleischmann & Petschnig Dachdeckungs GmbH Industries GmbH der Wirtschaftskammer Österreich Geschäftsführung kooptiert: MEP Dr. Paul Rübig, Rübig GmbH & Co KG Dr. Erhard FÜRST, Generalsekretär Mag. Christoph Neumayer Geschäftsführer Gen.-Sekr. Karlheinz KOPF, Wirtschaftskammer Vize-Generalsekretär Ing. Mag. Peter Koren Mag. Andreas Mörk Österreich, stv. Vorstandsvorsitzender des IWI Gen.-Sekr. Mag. Christoph NEUMAYER Industriellenvereinigung, stv. Vorstandsvor- sitzender des IW Vorst.dir. DI Dr. Manfred MATZINGER-LEOPOLD, Münze Österreich FH-Hon.-Prof. Dr. Dr. Herwig W. SCHNEIDER, Industriewissenschaftliches Institut Kuratorium Vorsitzender Hon.Konsul KommR Veit Schmid-Schmidsfelden, Rupert Fertinger GmbH Dir. Mag. Dr. Johannes Turner,OeNB Geschäftsführer FH-Hon.-Prof. Dr. Dr. Herwig W. Schneider Wissenschaftlicher Leiter Univ. Prof. DI Dr. Mikuláš Luptáčik 2 industrie aktuell | 2020 | 2
inhalt editorial konjunktur Mag. Georg Kapsch Kommentar zur internationalen An der Krise wachsen 4 Konjunkturentwicklung FH-Hon.-Prof. Dr. Dr. Herwig W. Schneider 30 forum Heimische Industrieproduktion: Rückgang Auf dem Weg aus der Krise 6 schon im 2. Halbjahr 2019 Mag. Andreas Mörk 32 Interview: Mein Ziel ist es, unsere Wirtschaft schnell konjunktur nach branchen wieder in Schwung zu bringen. Dr. Margarete Schramböck Branchenübersicht 34 Bundesministerin für Digitalisierung und Gesamtindustrie 35 Wirtschafsstandort 8 Bergwerke und Stahl 35 Interview: Stein- und keramische Industrie 36 Der Weg aus der Krise führt über Entlastung Glasindustrie 36 und Investitionen. Chemische Industrie 37 Mag. Christoph Neumayer Papierindustrie 37 Generalsekretär IV 10 PROPAK – Industrielle Hersteller von Produkten aus Papier und Karton 38 Interview: Bauindustrie 38 Nach jedem Tal kommt wieder ein Anstieg und Holzindustrie 39 auf diesen müssen wir uns vorbereiten. Lebensmittelindustrie 39 Gerald Mayer Textil-, Bekleidungs-, AMAG Austria Metall AG 12 Schuh & Lederindustrie 40 NE-Metallindustrie 40 Metalltechnische Industrie 41 politik Fahrzeugindustrie 41 inhalt Megatrend Plattformökonomie 16 Elektro- und Elektronikindustrie 42 Offenlegung, Impressum 42 Versorgungssicherheit und Lieferketten: ein globales Problem 18 FFG: Forschung ist der Lösungsansatz und gleichzeitig ein Konjunkturmotor 21 Fotos: OMV, beigestellt Serie: Mineralölindustrie Fokus auf zukunftsfähige Lösungen 24 industrie aktuell | 2020 | 2 3
forum kommentar An der Krise wachsen Die Ereignisse und Herausforderungen des Jahres 2020 und darüber hinaus, werden wohl einer ganzen Generation im Gedächtnis bleiben. Das „Wie“ haben wir zum großen Teil selbst in der Hand. Autor: Mag. Georg Kapsch K aum jemand hätte sich wohl vor einem Jahr und eine langfristige Stärkung der Krisenresilienz die Herausforderungen vorstellen können, des Standortes, um für künftige Herausforderun- vor denen wir heute stehen – als Gesellschaft, gen besser vorbereitet zu sein. als Wirtschaft, als Menschen und Unternehmen. Nicht nur für Österreich bedeuten die COVID- Der sicherste und nachhaltigste Weg aus der Kri- 19-Maßnahmen einen konjunkturellen Fadenriss. se kann nur über ein investitionsgetriebenes Wirt- Die Welt sieht sich den schwersten wirtschaftli- schaftswachstum führen. Es braucht daher ge- chen Verwerfungen seit vielen Jahrzehnten ge- eignete Rahmenbedingungen für Investitionen, genüber. Als kleine, offene und exportorientierte sinnvollerweise in Zukunftsbereiche wie Innova- Volkswirtschaft können wir uns davon nicht ent- tion, Technologie, Klima- und Umweltschutz. Ös- koppeln. Aber wir können – und müssen – geeig- terreich sollte hier seine Chance nützen, indem nete Maßnahmen setzen, damit aus der Wirt- es innovativen, forschenden Unternehmen An- schaftskrise nicht noch weitere gesellschaftliche reize bietet, im Land zu investieren und neue Ar- Verwerfungen resultieren, denn der massive Ver- beitsplätze zu schaffen. Generell ist Entlastung lust von Arbeitsplätzen geht mit allgemeinem für Menschen und Unternehmen gerade jetzt in Wohlstandsverlust und einer wachsenden sozia- dieser schwierigen Aufbauphase ein Gebot der Stunde – vor allem im Bereich der Steuer- und Abgabenlast, die in Österreich im internationalen Vergleich nach wie vor sehr hoch ist. Völlig kont- raproduktiv sind daher jegliche Rufe nach neuen Der sicherste und nachhaltigste oder höheren Steuern als vermeintlicher Weg aus der Krise. Das Herbeireden von Verteilungs- Weg aus der Krise kann nur über kämpfen schürt lediglich Unsicherheit und steht ein investitionsgetriebenes daher der Schaffung einer positiven Investitions- atmosphäre – und damit Wachstum und Beschäf- Wirtschaftswachstum führen. tigung – klar im Weg. Unbestritten bleibt die Notwendigkeit einer Rück- führung der durch die Krisenmaßnahmen ange- wachsenen Staatsschulden. Ansonsten droht der len Unsicherheit einher. Ein Mittel gegen Unsi- Schuldenberg kommende Generationen zu erd- cherheit sind stets Zuversicht und klare Perspek- rücken und ihnen dringend benötigte Handlungs- tiven. Beides muss den Menschen nun rasch spielräume zu nehmen. Österreich braucht daher vermittelt werden. Ad-hoc-Hilfspakete für einzel- – ähnlich wie bei der Klimaneutralität – einen ne Branchen mögen kurzfristig in der Krise taug- konkreten, verbindlichen, mehrjährigen Stufenplan lich sein. Um aber gestärkt aus ihr hervorzugehen, zur Rückführung der COVID-19-Stützungspakete braucht es drei Dinge: ein strategisch durchdach- bis 2030. In einem Hochsteuerland wie Österreich tes, langfristiges Konzept für den heimischen besteht einnahmenseitig dafür wenig bis gar kein Wirtschaftsstandort als Ganzes, das die Voraus- Spielraum. Zu groß wäre die Gefahr, aufkeimendes setzungen für neue, sichere Arbeitsplätze schafft; Wirtschaftswachstum regelrecht abzuwürgen. Der eine Konsolidierung des öffentlichen Haushalts; Fokus muss dementsprechend auf der Ausgaben- 4 industrie aktuell | 2020 | 2
kommentar forum seite liegen, wo es bekanntlich viel Potenzial gibt. Man denke etwa an die exorbitanten Kosten des Föderalismus, wie er hier- zulande gelebt wird. Effizienzsteigerungen in diesem Bereich wären ebenso wün- schenswert, wie ganz generell die Verbesserung der staatlichen Handlungsfähigkeit für einen et- waigen nächsten Krisenfall. Den zahlreichen Vorteilen einer inter- national vernetzten Wirtschaft können und sollen wir uns als kleine, exportorientierte Volks- wirtschaft auch künftig nicht entziehen. Dennoch haben die vergangenen Monate gewisse unvorteilhafte Abhängigkeiten Mag. Georg Kapsch, Präsident der Industriellenvereinigung (IV) Europas und Österreichs von an- deren Teilen der Welt offenbart, die es zu reduzieren gilt. Der Industrie kommt bei Aufrechterhaltung zahlreicher Arbeitsabläufe er- all diesen Überlegungen eine zentrale Bedeutung wiesen. Das wird auch in Zukunft so sein. zu, hat sie sich doch schon während der unmittel- baren Krisenphase als unverzichtbar für die Auf- Aber vergessen wir bei all dem nicht die mensch- rechterhaltung der Versorgungssicherheit im Land liche Komponente. Die Analyse der wirtschaftli- erwiesen. Diese stabile Basis gilt es daher weiter chen Folgen und daraus resultierende Schluss- zu stärken, insbesondere in bestimmten Bereichen. folgerungen müssen stets den Menschen mit Das umfasst etwa die Sicherung von Produktions- einbeziehen. Wir müssen uns daher fragen, wie standorten forschungsintensiver Unternehmen in wir als Gesellschaft mit der Krise umgegangen Österreich. Systemrelevante Produktionen – sei es sind, wie uns all das beeinflusst hat und wie ent- im Technologie- oder Medizinbereich – müssen hier sprechende Resilienz-Strategien für die Zukunft gehalten bzw. ins Land geholt werden, indem wir aussehen können. Als Gesellschaft und Volks- Österreich zum Life Science-Zentrum im Herzen wirtschaft an dieser Krise zu zerbrechen war Europas machen. Energie, Mobilität und Ressour- niemals und ist auch jetzt keine Option – an ihr ceneffizienz sind wesentliche Bestandteile für den zu wachsen muss sehr wohl eine sein. Daran gilt Aufbau künftiger Strategien zur Krisenbewältigung. es gesamthaft und mit allem Nachdruck mitein- Wir sollten daher danach streben, bis 2025 unter ander zu arbeiten. Dies gilt für alle Bereiche der den Top 3 der europäischen Energieforschung zu Gesellschaft und Politik. sein. Auch die Möglichkeiten moderner Informa- tions- und Kommunikationstechnologie für den Gesamteuropäische Lösungen und europäische Energie-, Verkehrs- und Produktionssektor sind Solidarität wurden in dieser Krise ignoriert. Dies Foto: Heidrun Henke voll auszuschöpfen. darf niemals wieder geschehen, denn national- staatliche Ansätze werden uns weder in Krisen- Reibungslose Online-Kommunikation hat sich im zeiten noch in Zeiten des Booms in die Zukunft Zuge der Corona-Krise als entscheidend für die führen können. industrie aktuell | 2020 | 2 5
forum cover | weg aus der krise Die Industrie und ihre Zulieferbereiche sichern jeden zweiten Job in Österreich ab, es müssen daher nachhaltige Wege gefunden werden, um die Krise zu überwinden. Auf dem Weg aus der Krise Der Standort Österreich muss sich jetzt für die Zeit nach der Coronakrise stark und wettbewerbsfähig aufstellen, um den drohenden Schaden zu minimieren. D ie derzeit herrschende weltweite Krise be- gehend aufrecht zu erhalten, sind die Auswir- trifft alle Branchen und Bereiche der Wirt- kungen auf die Industrieunternehmen entspre- schaft, entsprechend umfassend werden chend groß. In einigen Branchen werden die auch die zu erwartenden negativen Auswirkun- Folgen der Krise erst Zug um Zug kommen. gen sein. Auch die Industrie ist von der Krise erfasst worden. Weltweit wächst der Druck auf Eine Umfrage der Wirtschaftskammer Österreich die Industrienachfrage, zusätzlich wurden wich- in Zusammenarbeit mit dem Complexity Science tige internationale Lieferketten unterbrochen. Hub zeigt deutlich die Auswirkungen der Coro- Fotos: MIBA Auch wenn es der heimischen Industrie gelungen nakrise auf die Unternehmen der Industrie sowie ist, trotz Shutdown die Produktionen weitest- notwendige Maßnahmen. (siehe Tabelle 1 und 2) 6 industrie aktuell | 2020 | 2
cover | weg aus der krise forum Konkrete Auswirkungen wegen Covid-19 auf Unternehmen, damit es zu keiner „Insolvenzwel- das Unternehmen in der Sparte Industrie* le“ kommt. Eine enge Abstimmung seitens der Reiseeinschränkungen 65 % Regierung mit Banken und Kreditversicherern, Umsatzrückgänge 62 % um die Liquidität sicherzustellen. Bis Krisenende Absagen von Messen oder Veranstaltungen 55 % muss das bestehende Kurzarbeitsmodell auf- Quarantäne von Mitarbeitern 49 % rechterhalten werden damit die Arbeitsplätze Stornierung von Aufträgen 45 % erhalten bleiben – das vermeidet eine generelle Unsicherheit 44 % Depression (Existenzängste) und ermöglicht es Belieferungs- bzw. Zustellungsprobleme 41 % den Unternehmen wieder schnell „durchzustar- Zulieferungsprobleme 33 % ten“, wenn die Nachfrage wieder steigt.“ Zusätzliche Lageraufstockung 32 % Liquiditätsengpässe 18 % Für die Zeit am Ende bzw. nach der Krise sind Vermehrte Zahlungsausfälle 17 % verschiedene Konjunkturmaßnahmen notwendig Fehlen von Schlüsselarbeitskräften 14 % – ideal mit speziellem Fokus auf die Umwelt, da Personalabbau 8% der European Green Deal ja auch auf der Agen- Drohende Betriebsschließung 7% da steht und durch Corona maximal „aufgescho- Drohender Konkurs 3% ben“ wurde. Dazu zählen z. B. eine Abwrackprä- Vertragsstrafen 2% mie für Autos, Zusatzförderungen für die Keine 7% Anschaffung von E-Autos, die Förderung von Quelle: WKO; *Mehrfachantworten möglich Maßnahmen auf dem Weg aus der Es braucht weiterhin schnelle Krise und unbürokratische Hilfe Jetzt sind wirkungsvolle Maßnahmen und Stra- tegien notwendig, damit die österreichische Wirt- für besonders betroffene schaft gut aus der Krise und wieder in Schwung Unternehmen, damit es zu keiner kommen kann. Dazu F. Peter Mitterbauer, CEO Insolvenzwelle kommt. Miba AG: „Mit der Corona-Kurzarbeit und den sonstigen Maßnahmen haben wir in Österreich im internationalen Vergleich gute Instrumente, um Betriebe und Arbeitnehmer durch die erste thermischer Sanierung von Gebäuden und dem Phase der Krise zu bringen. Doch der Staat kann Ausbau von regenerativen Energien. Aber auch langfristig die Wirtschaftsleistung des Landes Förderungen für Industrieinvestitionen, Inves- nicht ersetzen. Daher ist es wichtig, alles zu un- titionen in die Infrastruktur und natürlich wich- ternehmen, um die Wirtschaft vorsichtig wieder tige Steuerentlastungen. zurück ins Leben zu führen. Entscheidend wird sein, den Menschen eine Perspektive zu geben Autor: Herta Scheidinger und diese klar zu kommunizieren – denn wenn die Bevölkerung und die Betriebe zuversichtlich nach vorne schauen, dann werden sie wieder TOP-3 Maßnahmen in der Industrie* konsumieren und investieren.“ Kurzarbeitsunterstützung 77 % Stundungen bei Steuern und 56 % Sozialversicherungsbeiträgen Rob van Gils, CEO der HAI-Gruppe, wird konkre- ter: „In der aktuellen Phase ist weiter gutes Kri- Haftungsübernahmen bei 48 % Liquiditätsengpässen senmanagement gefragt: Weiterhin schnelle und Quelle:WKO; * Mehrfachantworten möglich unbürokratische Hilfe für besonders betroffene industrie aktuell | 2020 | 2 7
forum interview | schramböck „Mein Ziel ist es, unsere Wirtschaft schnell wieder in Schwung zu bringen“ Dr. Margarete Schramböck, Bundesministerin für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort, über Kurzarbeit, weitere Hilfspakete und eine größere Autarkie Europas bei kritischen Produkten. Aktuell haben 549.662 Menschen in Österreich schrittweise zur Normalität zurückzukehren. Jede keinen Job und 1,3 Millionen Menschen arbeiten in und jeder trägt dafür Verantwortung, dass wir die Kurzarbeit. Wird sich die Lage durch die Coronakrise Infektionsrate geringhalten. noch verschärfen, oder haben wir das Schlimmste bereits überwunden? Lässt sich dieser Schaden durch die aktuelle Krise mit den aktuellen Hilfspaketen aus Ihrer Sicht be- Margarete Schramböck: Die Coronakrise hat leider wältigen oder wird es noch teurer werden? zu hohen Arbeitslosenzahlen in Österreich geführt. Derzeit gehen die Zahlen aber in die richtige Rich- Laut Frühjahrsprognose der EU-Kommission soll tung. Damit das auch so bleibt, setzen wir als Bun- das heimische Bruttoinlandsprodukt heuer um 5,5 desregierung mehrere Maßnahmen. Beispielswei- Prozent sinken und im Jahr 2021 wieder um fünf se sind Jugendliche besonders betroffen. Mit einem Prozent wachsen. Im EU-Vergleich steht nur Polen Lehrlings-Bonus von 2.000 Euro pro neu einge- und Luxemburg besser als Österreich da. Wir haben stelltem Lehrling geben wir Unternehmen einen also eine gute Startposition. Mein Ziel ist es, unse- Anreiz, damit diese auch dieses Jahr junge Men- re Wirtschaft schnell wieder in Schwung zu bringen schen in ihren Betrieben ausbilden. und dafür bereiten wir gerade ein umfassendes Maßnahmenpaket vor. Mit steigender Zuversicht Fürchten Sie keine Pleitewelle Ende Juni, wenn die der Menschen und mehr Konsum werden auch die Kurzarbeitsprogramme enden? Unternehmen vermehrt investieren. Hier werden wir auch Maßnahmen setzen, um Anreize für Die spezielle Corona-Kurzarbeit hat bisher mehr Investitionen zu setzen. als 1,3 Millionen Arbeitsplätze gesichert und ist eines der wichtigsten Kriseninstrumente. Daher Viele Unternehmen gehen davon aus, dass weitere haben wir sie von drei Monaten um weitere drei Hilfspakete bzw. eine Verlängerung der Kurzarbeits- Monate verlängert. Uns ist wichtig, dass die Be- regelung noch notwendig sein werden. Plant die schäftigten in den Unternehmen bleiben, damit sie Regierung hier noch weitere Schritte? nachher wieder schnell beginnen können und die Produktion und die Dienstleistungen rasch wieder- Ja, wir werden mehrere zielgerichtete Pakete vor- aufgenommen werden können. legen, um ein rot-weiß-rotes Comeback möglich zu machen. Erstens braucht es nun Steuerentlas- Ist ein neuerlicher Shutdown bei einer zweiten Wel- tungen für die arbeitenden Menschen. Der private le der Pandemie denkbar? Konsum, der in den letzten Jahren eine wichtige Stütze der österreichischen Konjunktur war, soll Wir werden mehrere zielgerich- Oberstes Ziel ist damit gefördert werden. Ein zweiter Schwerpunkt es, einen neuerli- müssen Maßnahmen zur Entlastung der Wirtschaft tete Pakete vorlegen, um ein chen Rückschlag sein, damit wieder Arbeitsplätze geschaffen und rot-weiß-rotes Comeback möglich bei den Infizier- bestehende erhalten werden können. Drittens brau- zu machen. Besonders wichtig ist tenzahlen zu chen wir Investitionen, insbesondere in den Berei- Fotos: BMDW dabei eine Steuerentlastung für vermeiden. Da- chen Klimaschutz, Digitalisierung und Regionali- arbeitende Menschen. her haben wir uns sierung. Hier werden wir zeitnah unsere Pakete dafür entschieden, vorlegen. 8 industrie aktuell | 2020 | 2
Wären jetzt nicht auch steuerliche Maßnahmen – Investitionsfreibeträge, Steuerbegünstigten und der- gleichen – als Hilfsmaßnahmen für die heimischen Betriebe sinnvoll? Für heimische Betriebe sind Steuerstundungen und -erleichterungen bereits möglich. Insgesamt wur- den bereits über sechs Milliarden Euro an Steuern gestundet. Natürlich braucht es noch weitere Maß- nahmen, wie bereits vorhin erwähnt. Vor allem, wenn es um die Stärkung der Produktion im Inland geht, können Steuerentlastungen für ein indust- riefreundliches Umfeld sorgen. Besonders in der Industrie hat sich eine hohe Ab- hängigkeit von globalen Lieferketten offenbart. Wird man in Zukunft eine Reindustrialisierung Österreichs fördern, um diese internationalen Abhängigkeiten zu reduzieren? mit welchen Maßnahmen sollen diese Schwächen Wirtschaftsminis- Wir wissen nicht, wie die nächste Krise aussieht. ausgemerzt werden? terin Margarete Aber wir müssen vorbereitet sein. Daher braucht Schramböck will es eine Renaissance der Produktion in Europa, um Wir wollen Österreich zu einer der führenden Digi- aus Österreich eine der führenden in Zukunft noch schneller reagieren zu können und tal-Nationen Europas machen. Bisher werden die Digitalnationen für weitere Krisen gerüstet zu sein. Wir müssen Chancen der Digitalisierung von Österreichs KMU Europas machen. zentrale Bereiche, die sich jetzt als lebensnotwen- noch nicht in vollem Umfang genutzt. Die Corona- dig herausgestellt haben, stärken und die Autarkie krise war nun für viele ein Weckruf, künftig auch Europas bei kritischen Produkten erhöhen. Ich den- stärker auf digitale Geschäftsmodelle zu setzen. ke hier vor allem an sensible Bereiche, wie beispiels- Beispielsweise gibt es nun einige Unternehmen, weise die Produktion von Medikamenten oder von die erstmals im E-Commerce tätig sind. Wir haben medizinischer Schutzausrüstung. Gleichzeitig müs- hier als Erstmaßnahme einen Online-Marktplatz sen wir die Wertschöpfungsketten in Zukunftstech- auf oesterreich.gv.at in Kooperation mit verschiede- nologien und Schlüsselbereichen wie der Digitali- nen bereits bestehenden österreichischen Platt- sierung und der Dekarbonisierung in Europa stärken. formen ins Leben gerufen. Unser Ziel ist, dass un- In der Vergangenheit ist es uns bereits bei Halblei- sere KMU nicht vor den großen Digitalkonzernen tern oder auch bei Batterien gelungen. Wir haben in die Knie gehen, sondern ihnen die Stirn bieten. in Österreich hochinnovative Unternehmen, die in Außerdem werden wir die digitalen Services der Höchstqualität und schnell produzieren. Wir haben Verwaltung weiter ausbauen. auch ein Investitionskontrollgesetz vorgelegt, um den Ausverkauf von zentralen Unternehmen an Eine große Frage, die sich heute schon viele stellen strategisch agierende Investoren aus dem EU- ist, wer wird die Kosten dieser Krise bezahlen? Ausland zu verhindern. Mehr Steuern sind nicht die Lösung. Es geht nicht Es zeigte sich, dass Österreich in den letzten Jahren um Einzelmaßnahmen, zunächst geht es einmal zwar seine Hausaufgaben im Bereich Digitalisierung darum, wieder die Wirtschaft anzukurbeln. gemacht hat, aber noch immer Schwächen vorhan- den sind. Wo sehen Sie großen Handlungsbedarf und Interview: Stephan Scoppetta industrie aktuell | 2020 | 2 9
Christoph Neumayer, Generalsekreträr der IV, ist davon überzeugt, dass die „Der Weg aus der Krise führt über Entlastung und Investitionen“ Österreicher bisher gut durch die Krise gekommen sind. Digitalisierung, Forschung und Technologie sind für Christoph Neumayer, Generalsekretär der Industriellenvereinigung (IV), nach Corona die Wachstumstreiber der Zukunft – sofern sich Österreich dafür attraktiv positionieren kann. Corona hat tiefe Spuren in der heimischen Wirtschaft Welche Auswirkungen erwarten Sie hier auf den hei- hinterlassen. Lässt sich abschätzen, wie dramatisch mischen Arbeitsmarkt? die Folgen sein werden? Derzeit sind wir mit mehr als 500.000 Arbeitslosen Christoph Neumayer: Die weltweiten Auswirkungen und 1,3 Mio. Menschen in Kurzarbeit konfrontiert. der COVID-19-Pandemie sind nicht nur menschlich, Die Corona-Kurzarbeit ist ein wichtiges Instrument, sondern auch wirtschaftlich dramatisch. Was Ös- um Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mög- terreich betrifft, sehen wir uns – abgesehen von lichst in Beschäftigung zu halten. Dennoch wird Kriegszeiten – der schwersten Rezession seit 1929 eine langfristige Erholung am Arbeitsmarkt sicher- gegenüber. Die Prognose der Industriellenvereini- lich noch dauern. gung geht angesichts dessen von zumindest einem realen Bruttowertschöpfungs-Rückgang von 7,6 Hat es uns wirklich Vorteile gebracht, dass wir in Prozent für das Gesamtjahr 2020 aus. Österreich quasi Musterschüler der Coronakrise waren und mit dem Shutdown sehr früh dran waren? Wie lange werden wir aus Ihrer Sicht brauchen, um diesen Schaden wieder zu kompensieren bzw. wann Es zeigt sich, dass Österreich bisher jedenfalls bes- werden wir wieder auf dem Vor-Corona-Niveau sein? ser als viele andere Länder durch diese Krise ge- kommen ist. Das lässt sich nicht nur an den sehr Geht man von den momentanen Voraussetzungen positiven medizinischen Kennzahlen ablesen, son- aus, rechnen wir mit einer ersten wirtschaftlichen dern auch am Tempo und Ausmaß der Lockerungen. Erholung in Österreich voraussichtlich erst im 3. Insofern kann man hier – relativ zu anderen Staa- Fotos: Markus Prantl/IV Quartal 2020. Ein kräftigerer Rebound-Effekt ist ten – sicherlich von Vorteilen sprechen. Aber das ab dem vierten Quartal 2020 vor allem im Bereich ist für die exportorientierte Industrie vergleichs- der Investitionsaktivitäten zu erwarten, während weise ein schwacher Trost ... sich die privaten Konsumausgaben wohl erst wäh- rend 2020/21 langsam wieder erholen werden. … denn das Problem ist, dass unsere Nachbarländer 10 industrie aktuell | 2020 | 2
interview | neumayer forum Jetzt muss es vor allem darum gehen, Anreize für deutlich später dran waren und gerade die sehr ex- effiziente Ad- Investitionen zu schaffen und portorientierte Industrie in Österreich ohne den Nach- ministration Lohnnebenkosten zu senken. barn sowie den USA die Produktion nicht hochfahren und ein Restart- können. Haben wir daraus also gar keinen Vorteil? Programm. So etwa eine Steuer- Dass wir in Österreich in der Produktion keinen befreiung für nicht-entnommene Gewinne oder Shutdown hatten und früher als andere Länder zu eine Vorziehung der für 2023 geplanten Senkung einer gewissen Normalität übergehen können, ist der Körperschaftssteuer auf 21 Prozent. Jetzt muss an sich positiv. Ein komplettes Herunterfahren der es vor allem darum gehen, Anreize für Investitionen industriellen Produktion – wie wir das in Italien zu setzen. Eine Investitionsprämie auf die Anschaf- gesehen haben – ist uns erspart geblieben. Dass fungs- und Herstellungskosten von digitalisie- es nun aber europäisch und international betrach- rungs- und umweltfördernden Investitionen in der tet Asynchronitäten gibt, macht die Sache heraus- Höhe von zehn Prozent für Digitalisierungsinves- fordernd. Unser unmittelbarer Nachbar und wich- titionen und zehn Prozent für umweltfördernde tigster Handelspartner Deutschland ist jedoch auf Investitionen sollte eingeführt werden. Die Lohn- einem vergleichbar guten Weg wie wir. Umso wich- nebenkosten – etwa der Unfallversicherungsbeitrag tiger ist nun ein koordiniertes europäisches Vorge- – müssen weiter gesenkt und ganz grundsätzlich hen. Denn der ungehinderte Waren- und Dienst- der Faktor Arbeit möglichst entlastet werden. Die leistungsverkehr sowie die Mobilität von von der Bundesregierung angekündigte Steuer- und Arbeitskräften sind für die Aufrechterhaltung des Abgabensenkung in Richtung 40 Prozent muss weit Wohlstandes in Europa absolut entscheidend. oben auf der Agenda bleiben. Der Weg aus der Krise führt über Entlastung und Investitionen. Sind Sie mit dem Krisenmanagement der Bundesre- gierung zufrieden? Es tauschen bereits Forderung nach einer „Reichen- steuer“, „Erbschaftssteuer“ etc. auf, um die Kosten der Die gesetzten Maßnahmen waren zum jeweiligen Krise zu refinanzieren. Wäre das wirklich sinnvoll? Zeitpunkt nachvollziehbar – und wurden daher auch von der heimischen Industrie mitgetragen. Genau das wäre ein solcher Fehler, der sich im Hin- Man muss bei all dem aber immer bedenken: Kei- blick auf Wachstum und Arbeitsplätze dramatisch ne österreichische Bundesregierung hat sich je auswirken könnte. Die Coronakrise zehrt am Eigen- zuvor in einer derartigen Lage befunden. Vor die- kapital von Unternehmen. In den nächsten Jahren sem Hintergrund hat – auch im Vergleich mit an- dürfen Investoren, die bereit sind Risiko zu über- deren Ländern – das Krisenmanagement auf den nehmen, keinesfalls verschreckt werden. Ideologie ersten Blick gut funktioniert. und Klassenkampf aus der politischen Mottenkis- te sind da wenig hilfreich. Was sind aus Ihrer Sicht wichtige Schritte, die die Politik nun setzen muss, um das Schlimmste für die Wie soll man also die Krise refinanzieren? heimischen Unternehmen aber auch Arbeitsmarkt abzuwenden? Österreich hat kein Einnahmen-, sondern ein Aus- gabenproblem. Die Krise hat daran nichts geändert. Die von der Bundesregierung angekündigten Eine wachstumsorientierte und effizienzsteigern- Schwerpunkte – Steuerentlastung für arbeitende de Budgetkonsolidierung ist möglich, das haben Menschen, Entlastung der Wirtschaft, Förderung die vergangenen Jahre bewiesen. Zumal in einem von Investitionen – sind ein wichtiges Signal. Aus Höchststeuerland wie Österreich einnahmenseitig unserer Sicht braucht es kluge Unterstützungs- keinerlei Spielraum mehr vorhanden ist. maßnahmen für die Unternehmen, basierend auf drei Säulen: investitionsgetriebenes Wachstum, Interview: Stephan Scoppetta industrie aktuell | 2020 | 2 11
forum interview | mayer „Nach jedem Tal kommt wieder ein Anstieg und auf diesen müssen wir uns jetzt vorbereiten.“ Gerald Mayer, CEO der AMAG Austria Metall AG, über die Folgen der Coronakrise, die stabile Nachfrage aus dem Verpackungsbereich sowie Spezialisierung und Innovation als Chance für die Zukunft. Im ersten Quartal glänzt die AMAG mit einem aus- Tragweite dieser globalen Krise hat niemand ge- gezeichneten Ergebnis. Anstieg der Profitabilität im rechnet. In den ersten Tagen der Coronakrise ging Vergleich zum 1. Quartal des Vorjahres, Anstieg des es um Krisenmanagement, nun geht es um die operativen Ergebnisses (EBITDA) auf 36,5 Millionen Abschätzung der strategischen Folgen und ent- Euro vor allem aufgrund niedrigerer Rohstoffkosten. sprechende Anpassungen. 2020 hätte ein gutes Jahr werden können. Enttäuscht darüber, wie es nun mit Corona gekommen ist? Sie rechnen bereits mit einem spürbaren Ergebnis- rückgang im Vergleich zu 2019. Lässt sich schon Gerald Mayer: Wir hatten einen guten Start in das sagen, wie schlimm es werden wird? Jahr mit Absatzsteigerungen im Bereich der Walz- produkte für die Automobil- und Luftfahrtindustrie. Das Ausmaß dieses Rückgangs ist aufgrund der Ein erster marktbedingter Rückgang war bereits hohen Marktunsicherheiten derzeit nicht prognos- im Handelsgeschäft zu verzeichnen. Im Segment tizierbar. Die Märkte sind aktuell geprägt von einer Metall, mit der kanadischen Elektrolysebeteiligung, hohen Volatilität an den Rohstoff- und Devisen- Fotos: AMAG konnte aufgrund günstiger Rohstoff- und Energie- märkten und von einer sehr niedrigen Visibilität bei kosten das Ergebnis gesteigert werden. Mit der einer anhaltend niedrigeren Kundennachfrage, vor 12 industrie aktuell | 2020 | 2
interview | mayer forum allem in der Automobil- und Luftfahrtindustrie. Der Zu Beginn war Krisenmanagement zur Aufrecht- Verpackungsbereich läuft wiederum sehr gut. Un- erhaltung des Betriebs mit besonderem Augenmerk ser breites Produktportfolio kommt uns hier jeden- auf die Gesundheit und Sicherheit unserer Mitar- falls zugute. In Summe wird die Krise nachhaltige beiter erforderlich. Nun geht es unter den gegebe- Spuren in vielen Kundensegmenten hinterlassen. nen Rahmenbedingungen um die Absicherung der Lieferfähigkeit und den Erhalt einer hohen Flexibi- Wie Sie sagen, hat der Shutdown der letzten Wochen lität zur Reaktion auf Auslastungsschwankungen gerade in der Automobil- und Luftfahrtbranche tiefe in den einzelnen Produktionsbereichen. Dazu haben Spuren hinterlassen. Können Sie das durch andere wir mit 1. April 2020 Kurzarbeit eingeführt. Paral- Geschäftsfelder kompensieren? lel dazu arbeiten wir an der Effizienzsteigerung und Reduktion der Strukturkosten. Parallel überprüfen Im Moment ist die Nachfrage aus der Automobil- wir unsere Strategie und richten unseren Blick nach und Luftfahrtindustrie sehr niedrig. Der Flugverkehr vorne auf kommende Chancen. Wir setzen jeden- und der Autohandel sind praktisch zum Erliegen falls weiterhin auf Spezialisierung und Innovation gekommen. Auslastungsprobleme und wochen- sowie die zunehmende Bedeutung von Kreislauf- lange Stillstände in den Flugzeug- und Automobil- wirtschaft und Recycling und damit auf den effizi- werken waren die unmittelbare Folge. Umgekehrt enten Einsatz von Rohstoffen und Energie. liegt die Nachfrage aus dem Verpackungsbereich voll auf Plan. Ein wesentlicher Eckpfeiler unserer Haben wir das Schlimmste aus Ihrer Sicht bereits Strategie ist unsere breite Aufstellung, die uns im überstanden oder kommt da noch mehr auf uns zu? aktuellen Marktumfeld als stabilisierender Faktor besonders zu Gute kommt. Durch unser breitgefä- Corona ist vorerst in Österreich und Deutschland chertes Produkt- und Kundenportfolio, mit einer – rund 20 Prozent unserer Mitarbeiter kommen Vielzahl von Spezialprodukten, ist die Abhängigkeit von dort – scheinbar im Griff. Nun geht es um den von einzelnen Schlüsselkunden und -industrien geregelten Hochlauf, den manche Branchen sehr reduziert. Die Kompensation von Ausfällen in stra- rasch wieder schaffen werden, in anderen wird das tegisch wichtigen Bereichen ist hier aber auch nur ein steinigerer Weg. Für den Weg aus der Krise ist eingeschränkt möglich. es wichtig Jobs zu sichern und damit die Zuversicht der Menschen zu stärken. Eine wirksame Behand- AMAG ist auch beim Thema Verpackung sehr stark, durch Corona ist hier die Nachfrage in den letzten Wochen sicher gestiegen. Werden Sie dieses Ge- schäftsfeld weiter ausbauen? Nun geht es um einen geregelten Hochlauf, den manche Branchen sehr Die Nachfrage aus diesem Bereich ist anhaltend rasch wieder schaffen werden, in gut. Wir sind ein systemrelevanter Betrieb. Unser anderen wird es ein steiniger Weg. Aluminium wird für die Verpackung von Lebens- mitteln, Medikamenten oder Tiernahrung verwen- det. Wir entwickeln unser breites Produktportfolio kontinuierlich weiter. Die Verpackung behält dabei lung von Corona sowie ein Impfschutz sind we- eine wichtige Rolle. sentliche Meilensteine dabei. Wie werden Sie sich in den nächsten Monaten auf- Die AMAG ist ein stark exportorientierter Konzern. stellen und welche Maßnahmen werden Sie nun Besonders die USA und China sind wichtige Märkte setzen, um den Schaden 2020 möglichst gering zu für Sie. Wie werden sich diese Märkte aus Ihrer Sicht halten? entwickeln? industrie aktuell | 2020 | 2 13
forum interview | mayer dieser Situation an Bedeutung gewonnen. Wichtig sind kurze Lieferzeiten nach Nordamerika und Asi- en, um mit lokalen Anbietern mithalten zu können. Die heimische Industrie diskutiert derzeit eingehend das Thema Lieferketten, die sich in der Krise als besonders anfällig erwiesen. Hatten auch Sie mit diesem Problem zu kämpfen? Die Lieferkette war für uns über den gesamten Zeitraum der Krise abgesichert. Wir hatten keine Für die AMAG waren Ausfälle. Es gab lediglich einige leichte Verzögerun- die Lieferketten in China trägt rund 40 Prozent zur weltweiten Nach- gen bei der Auslieferung. In den letzten Wochen ist der gesamten frage nach Walzprodukten von insgesamt 28 Mil- jedenfalls das Bewusstsein für die starken globalen Krisenzeit abgesi- lionen Tonnen bei. Wir haben 2019 rund vier Prozent Abhängigkeiten der europäischen Wirtschaft ge- chert. Dadurch gab es nur Verzögerun- unseres Absatzes in Asien erwirtschaftet. Nord- stiegen. Lokale Wertschöpfung und funktionieren- gen aber keine amerika, unser wichtigster Überseemarkt mit 27 de Lieferketten gewinnen an Bedeutung. Wir haben Ausfälle bei der Prozent Anteil am Umsatz 2019, liegt bei knapp 20 uns vor vielen Jahren auf das Recycling konzentriert Auslieferung. Prozent Anteil an der weltweiten Nachfrage. Wir und setzen mit Aluminiumschrott auf einen Roh- liefern annähernd die gesamte Produktion unserer stoff, der in Europa in ausreichender Menge ver- kanadischen Elektrolyse sowie Walzprodukte aus fügbar ist. Hier sind wir jedenfalls gut aufgestellt. Ranshofen in die USA. Sowohl der Verlauf der Co- rona-Pandemie als auch die aktuelle innenpolitische Ende Juni laufen die Kurzarbeitsprogramme aus. Entwicklung und die stark gestiegenen Arbeitslo- Denken Sie, dass die drei Monate für diese Hilfsmaß- senzahlen in den USA lassen eine seriöse Einschät- nahmen ausreichend sind oder wird hier zusätzliche zung zurzeit nicht zu. China scheint zwar bereits Hilfe notwendig werden? etwas weiter in der Krisenbewältigung zu sein. Auch dort ist nach Jahren des Wachstums ein spürbarer Den kürzlich gefassten Beschluss zur Fortführung Rückgang in der Nachfrage zu erwarten. Im globa- der Kurzarbeit begrüßen wir. Es ist aber jetzt schon len Handel mit Aluminium ist es vor allem durch die absehbar, dass die Kurzarbeit in einzelnen Indust- amerikanische Zollpolitik schon in den letzten bei- rien über den September hinaus benötigt wird. den Jahren zu massiven Verschiebungen und Preis- volatilitäten gekommen. Mit Überkapazitäten in Welche Maßnahmen werden aus Ihrer Sicht nun China und mangelnden Kapazitäten in den USA sind politisch notwendig, um den Arbeitsmarkt zu stützen weitere Ausgleichsbewegungen zu erwarten. und auch viele Betriebe vor dem Untergang zu retten? Corona ist ein weltweites Problem. Damit ist eine Die politischen Entscheidungsträger sind nun ge- regionale Diversifikation im Grunde auch nicht fordert, das Vertrauen der Konsumenten und deren möglich. Wie lässt sich solchen Risiken in Zukunft Zuversicht wiederherzustellen und so den Konsum begegnen? in Gang zu bringen. Dazu werden auch finanzielle Anreize hilfreich sein. Die Coronakrise betrifft die gesamte Welt in ähnli- chem Ausmaß. Für heuer erwartet die Walzwerks- Wäre nicht auch eine Steuerreform notwendig, um branche aktuell einen Rückgang in der Nachfrage die Betriebe zu entlasten? von rund 10 Prozent global im Vergleich zum Vor- Foto: AMAG jahr. Damit kann sich kein Hersteller diesem Prob- Gerade die aktuelle Situation zeigt, wie wichtig eine lem entziehen. Unser Heimmarkt Europa hat in solide Eigenkapitalbasis für den Fortbestand von 14 industrie aktuell | 2020 | 2
interview | mayer forum Unternehmen ist. Entlastungen, beispielsweise bei einer Elektrolyse sind beim Recycling im Vergleich den Lohnnebenkosten sowie der Körperschafts- nur rund fünf Prozent der Energie aufzuwenden. steuer, sowie die Schaffung von Anreizen für In- Das sollte zu Vorteilen am Markt führen. vestitionen und Innovationen in Form von Prämien wären klare Signale für den Wirtschaftsstandort. Wäre so ein Umbau des Steuersystems nicht auch eine Chance für heimische Betriebe wie die AMAG? Die Bundesregierung hat im Regierungsprogramm noch immer den Plan einer Ökologisierung des hei- Wir haben uns bereits sehr hohe Umweltstandards mischen Steuersystems stehen. Geplant war die in unserem Land erarbeitet. Im Falle einer interna- Reform für 2020, aber vermutlich wird diese erst in tionalen Vereinheitlichung des Abgabensystems den nächsten Jahren kommen. Denken Sie, dass das im Umweltbereich würden sich durchaus Chancen jetzt wirklich Sinn macht? ergeben. So sehen wir seit längerem eine steigen- de Nachfrage nach nachhaltig hergestellten Pro- Ein Umbau des Steuersystems zu diesem Zeitpunkt dukten mit geringen CO₂-Emissionen sowie einen erfordert enormes Fingerspitzengefühl. Die Wirt- Trend zur Kreislaufwirtschaft. Wir setzen ganz klar schaft ist angeschlagen. Mehrbelastungen sind auf die Entwicklung neuer hochqualitativer Spezi- nicht zumutbar. Es bedarf jedenfalls einer schritt- alprodukte mit hervorragender Umweltbilanz. Mit weisen und langfristigen Herangehensweise. Der 155 Mitarbeitern in der Forschung und Entwicklung Klimawandel ist eine globale Herausforderung, die sind wir am Puls der Zeit in der Materialentwicklung. auch globale oder zumindest gesamteuropäische Unser Primäraluminium wird in Kanada mit Strom Lösungen braucht. Nur wenn dort produziert wird, wo der Umweltschutz einen hohen Stellenwert hat, werden sich positive Effekte für das Weltklima er- geben. Zentral dafür sind technologische Innova- Ein Umbau des Steuersystems zu tionen und entsprechende Investitionen sowie die diesem Zeitpunkt erfordert enormes Beseitigung von wettbewerbsverzerrenden Fakto- Fingerspitzengefühl. Die Wirtschaft ren. Wir haben in Österreich bereits viel erreicht in ist angeschlagen und Mehrbelastun- Bezug auf Klimaschutz. Dieser Umstand sollte in gen sind nicht zumutbar. einen globalen Kontext gesetzt und bei künftigen Entscheidungen berücksichtigt werden. Allfällige Steuern dürfen nicht zu einer weiteren Bevorteilung von Produzenten außerhalb Europas führen. aus Wasserkraft und damit geringsten CO₂- Emissionen erzeugt. In Ranshofen ist und bleibt AMAG ist in einer sehr energieintensiven Branche das Recycling von Aluminium unsere wesentliche tätig, würden dem Unternehmen daraus nicht Nach- Kompetenz im Bereich der Nachhaltigkeit. teile erwachsen? Wann glauben Sie, werden wir wieder dort anknüp- Wir setzen seit Jahren auf die nachhaltige Produk- fen können, wo wir vor Corona waren? tion von Aluminium. Dazu haben wir umfangreiche Investitionen in Recycling-Technologien und ener- Das lässt sich momentan nicht sagen. Wir erwarten gieeffiziente Produktionsanlagen getätigt. Mit einer in den nächsten Monaten bei einer guten Entwick- Schrotteinsatzrate zwischen 75 und 80 Prozent lung im Bereich Verpackung einen schwachen Start liegen wir im globalen Spitzenfeld. Unser Ziel ist es, in manchen anderen Industrien. Aber nach jedem bei steigender Produktion diese hohe Schrott- Tal kommt wieder ein Anstieg und auf diesen müs- einsatzrate zu halten. So werden wertvolle Res- sen wir uns jetzt vorbereiten. sourcen geschont und auch Energie gespart. Im Vergleich zur Produktion von Primäraluminium in Interview: Stephan Scoppetta industrie aktuell | 2020 | 2 15
Megatrend Plattformökonomie: Chance für Österreich? Die Digitalisierung und das Auftauchen von Internetunternehmen, für die sich die Bezeichnung „Plattformunternehmen“ etabliert hat, haben die Wirtschaft in den ersten beiden Jahrzehnten des 21. Jahrhunderts stärker geprägt, als dies zuvor denkbar gewesen wäre. M egatrends sind Tiefenströmungen des Wan- Chancen auch neue Herausforderungen für Unter- dels und umfassen alle Ebenen der Ge- nehmenswelt sowie Wirtschafts- und Industriepo- sellschaft: Wirtschaft und Politik, sowie litik mit sich. Wissenschaft, Technik und Kultur. Sie verändern die Welt – zwar langsam, dafür aber grundlegend Während man die bekanntesten Beispiele für Platt- und langfristig.1 Ein Plattformunternehmen bietet formunternehmen nach wie vor im Bereich Business eine digitale Basis für Leistungen verschiedener to Consumer (B2C) ansiedelt (v.a. E-Commerce), Akteure auf Grundlage einheitlicher Standards. halten technische Entwicklungen mehr und mehr Das Ziel und die Voraussetzung des Geschäfts- auch im Business to Business-Bereich (B2B) und modells sind das Erreichen einer großen, nach im Internet der Dinge (IoT) Einzug (z. B. Predix von Möglichkeit globalen Skalierung, die im Wesent- General Electric). Nachdem der Wettlauf im Bereich lichen auf Netzwerkeffekten beruht, sowie die B2C durch die dominierenden globalen Akteure wie Gewinnung, Auswertung und Nutzung von um- Google (Alphabet Inc.), Amazon, Facebook, Apple fangreichen Datenbeständen als Ressource („Da- (alle USA) und Alibaba (China) bereits weitgehend tenökonomie“). Üblicherweise bezeichnet der verloren scheint, schneidet Europa im B2B-Bereich Begriff ein Unternehmen, dessen Geschäftsmodell – wo die Wertschöpfung immer stärker durch digi- insgesamt auf einer Plattform oder einem System tale Services erfolgt – verhältnismäßig gut ab. Die von Plattformen beruht. Der Begriff der Plattform Grenzen zwischen B2C und B2B verschwimmen kann jedoch auch unabhängig vom Unternehmen allerdings zunehmend bzw. werden durch weitere gedacht werden, etwa wenn nur einzelne Unter- Konzepte (B2B2C) ausgedehnt. Weiters lassen sich nehmensfunktionen, Teilmärkte oder Teilunter- transaktionszentrierte und datenzentrierte Platt- nehmen wesentlich auf der Basis von Plattformen formen unterscheiden.2 Erstere stellen die Funktion angeboten werden. als Vermittler, als digitaler Marktplatz, ins Zentrum. Zweitere konstituieren ein datenzentriertes Ge- Plattformökonomie bezeichnet also auch ein Prin- samtsystem komplementärer Produkte und steuern zip, welches nicht immer das ganze Unternehmen dieses. Den Akteuren wird die Aufbereitung und klassifizieren muss, sondern das als digitale Infra- Auswertung von Datenströmen verbunden mit struktur bzw. als „general purpose technology“ neue Usability-Management geboten. Produkte, Prozesse, Geschäftsmodelle und Märkte erschließen hilft. Unternehmen treten nicht nur als Im industriellen Sektor finden sich auch immer mehr Anbieter von Plattformen, sondern auf vielfältige digitale Plattformen, auf denen Angebote gebündelt Weise auch als Nutzer von Plattformen auf. Die bereitgestellt werden. Gerade wenn unterschiedli- Foto: pixabay Plattformökonomie betrifft damit nahezu alle Be- che Unternehmen einer Branche oder eines Produkt- reiche der Wirtschaft und bringt neben enormen bzw. Servicesegments bei ihren Kunden Daten 16 industrie aktuell | 2020| 2
plattformökonomie politik sammeln und verwerten oder zur Befriedigung Fokus auf zukünftige Szenarien der Plattformöko- ganzheitlicher Kundenbedürfnisse Produkte, Servi- nomie und der digitalen Wirtschaft in Österreich ces oder Komponenten andere Partner integriert gelegt werden. In einem ganzheitlichen Zugang werden müssen, bieten sich unternehmensüber- müssen dabei Querverbindungen zu anderen großen greifende Plattform-Ökosysteme an.3 Bei solchen Themenbereichen und Herausforderungen der Wirt- Plattformen entwickelt sich die klassische Wert- schaftspolitik (Qualifikation, Demographie, gesell- schöpfungskette zu einem Wertschöpfungsnetz- schaftliche Integration, Nachhaltigkeit, Datenschutz) werk, in dem jeder beteiligte Partner seine spezifi- mitgedacht werden. schen Kernkompetenzen einbringt. Dadurch lässt sich der Zielkonflikt zwischen einer möglichst hohen Innovation bleibt Schlüssel und Grundvoraussetzung Spezialisierung auf der einen Seite und einem mög- für die Wettbewerbs- und Zukunftsfähigkeit von lichst breitem Leistungsangebot auf der anderen Unternehmen und Volkswirtschaften. Heute ist die- Seite auflösen und es lassen sich die Vorteile einer se eng mit dem Thema Digitalisierung und der Nutz- flexiblen Aufgabenverteilung und Kapazitätsaus- barmachung von Daten verknüpft. Digitalisierung lastung mit Spezialisierungsvorteilen auf Ebene der fungiert als wesentlicher Treiber von Innovation und Wertschöpfungseinheiten verbinden.4 ist vielfach Grundvoraussetzung dafür. Sie ermög- licht Plattformunternehmen im eigentlichen Sinne, Festgehalten werden soll an dieser Stelle, dass die erfordert andererseits aber auch eine Varietät von Plattformökonomie ein globales Phänomen ist und digitaler Infrastruktur zu der auch Plattformen ge- daher hinsichtlich der Frage nach ihrer Relevanz hören. Das dadurch entstehende Potenzial muss in immer die internationale Dimension mitgedacht Österreich optimal im Sinne des Wirtschaftsstand- werden muss. Ziel aus österreichischer Sicht muss orts genutzt werden. Auch wenn selbst unter güns- sein, durch die gezielte Nutzung von digitalen Tech- tigsten Rahmenbedingungen vermutlich kein hei- nologien die Plattformökonomie aktiv mitzugestal- misches Plattformunternehmen im B2C-Bereich im ten, wobei die Ausgangsposition hierfür als grund- globalen Wettbewerb an die Spitze zu den US- sätzlich gut eingestuft werden kann.5 Bei der amerikanischen und asiatischen Techgiganten auf- Nutzung von Plattformen liegt Österreich bereits zusteigen vermag, gibt es dennoch vielfältige Mög- im europäischen Spitzenfeld.6 lichkeiten, wie Plattformen und deren Nutzung die heimische Wirtschaft effizienter und international Die volkswirtschaftliche Bedeutung von Plattformen wettbewerbsfähiger machen können. ist zweifellos enorm, da sie eng mit all jenen Berei- chen verzahnt ist, in denen aktuell Innovation statt- Autor: Mag. Philipp Brunner (IWI) findet: Digitalisierung, Vernetzung, Big Data, Intel- ligente Fertigung, Automatisierung, Künstliche Vgl. www.zukunftsinstitut.de 1 Intelligenz usw. Gleichzeitig muss jedoch auch Au- Vgl. Engelhardt, S., Wangler, L., Wischmann, S. (2017), Eigenschaften 2 genmerk auf Hindernisse und Herausforderungen und Erfolgsfaktoren digitaler Plattformen, Begleitforschung AUTONO- gelegt werden, die unter anderem in den Rahmen- MIK für Industrie 4.0 bedingungen und im regulatorischem Umfeld Vgl. vbw – Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft e. V. (2017), Neue 3 Österreichs liegen. In der jüngsten Vergangenheit Wertschöpfung durch Digitalisierung. Analyse und Handlungsemp- waren Spannungsfelder im Zusammenhang mit fehlungen, München Plattformunternehmen vor allem in den Bereichen Vgl. Begleitforschung Mittelstand-Digital (2019), Vernetzte Wert- 4 Gewerbe- und Arbeitsrecht sowie Daten- und Kon- schöpfung. Plattformen, Wertschöpfungsnetzwerke und die Blockchain sumentenschutz zu beobachten. für Prozess- und Geschäftsmodellinnovationen, Bad Honnef Vgl. Rat für Forschung und Technologieentwicklung (2019), Ratsemp- 5 Um der Gefahr zu entgehen, ein immanent zukunfts- fehlung zur Etablierung einer ganzheitlichen industrie- und technolo- orientiertes Thema mit den Kategorien und Denk- giepolitischen Strategie für Plattformökonomie in Österreich, Wien weisen der Vergangenheit zu behandeln, muss der 6 Vgl. BMVIT, Ökonomie im digitalen Wandel, 18.09.2018 industrie aktuell | 2020 | 2 17
Versorgungssicherheit und Lieferketten: ein globales Problem Was die Bedeutung der Lieferketten betrifft ist die Corona-Pandemie ein „Wachrüttler“, denn die letzten Monate haben bei vielen Unternehmen die Abhängigkeit von ihren Lieferketten deutlich gemacht. Die aktuelle Situation ist keine reguläre Lieferket- von ausländischen Lieferanten. Im Jahr 2019 mach- tenunterbrechung, wie sie von Streiks oder Unfäl- ten die österreichischen Importe von Vorprodukten len herrühren, sie ist in diesem Ausmaß und auch 41,5 Prozent der gesamten Einfuhren aus (Quelle: in ihren Folgen einzigartig. Und eines wird seit Be- Eurostat). ginn der Krise klar: Viele Unternehmen ha- ben das Ausmaß der Abhängigkeit von Die Erfahrung, dass ganze Indust- 33% ihren in- und ausländischen Lie- rien wegen unterbrochener Lie- feranten unterschätzt. Jetzt gilt ferketten zum Erliegen kom- es für die Unternehmen die men und wichtige Risiken neu zu bewerten, Medizingüter fehlen, hat Foto: Marcin Jozwiak/Pexels ohne jedoch die Vorteile der uns nun noch klarer ge- Globalisierung leichtfertig macht, wie anfällig glo- aufs Spiel zu setzen. Viele bale Produktionsstruk- heimische Firmen bezie- turen sind. Das hat hen ihre Bauteile und der heimischen europaweit Stimmen Komponenten mittlerweile Industriebetriebe laut werden lassen, wie- haben Zuliefer- probleme. 18 industrie aktuell | 2020| 2
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