Industrie aktuell 2 2020 - WKO

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Industrie aktuell 2 2020 - WKO
industrie aktuell                                                      2
                                                                    2020

Industrieforum
Auf dem Weg aus der Krise

Industriepolitik
Mineralölindustrie: Fokus auf zukunftsfähige Lösungen

Industriekonjunktur aktuell
Heimische Industrieproduktion: Rückgang schon im 2. Halbjahr 2019
Industrie aktuell 2 2020 - WKO
Bundessparte Industrie (BSI)                        Industriewissenschaftliche Institut (IWI)             Industriellenvereinigung (IV)
Die Bundessparte Industrie der Wirtschaftskammer    Das Industriewissenschaftliche Institut (IWI) setzt   Die Industriellenvereinigung (IV) ist die freiwillige und
Österreich vertritt mit ihren Fachverbänden die     einen markanten industrieökonomischen For-            unabhängige Interessenvertretung der österreichi-
Interessen von rund 4.000 Mitgliedsunternehmen,     schungsschwerpunkt in Österreichs Institutsland-      schen Industrie und der mit ihr verbundenen Sek-
die schwerpunktmäßig der Industrie zuzuordnen       schaft. Seit 1986 steht das Institut für die qua-     toren. Seit 1946 nimmt die IV an allen Gesetzwer-
sind. In der österreichischen Industrie sind rund   litativ anspruchsvolle Verschränkung zwischen         dungsprozessen als anerkannter Partner der Politik
400.000 Personen beschäftigt.                       Theorie und Praxis.                                   teil. Eine Bundesorganisation, neun Landesgruppen
Die Bundessparte Industrie ist nicht nur für eine   Das intensive Zusammenspiel unterschiedlicher         und das Brüsseler IV-Büro vertreten die Anliegen
aktive Mitgestaltung der österreichischen Indus-    Forschungsbereiche dient dazu, Produktions-           ihrer aktuell mehr als 4.400 Mitglieder aus produ-
triepolitik zuständig, sondern auch für die Koor-   strukturen systemorientiert zu analysieren und        zierendem Bereich, Kredit- und Versicherungswirt-
dination und die inhaltliche Artikulierung aller    darauf aufbauend zukunftsweisende wirtschafts-        schaft, Infrastruktur und industrienaher Dienstleis-
industrierelevanten Interessen vor allem in der     politische Konzepte zu entwickeln. Besondere          tung – in Österreich und Europa. Die IV-Mitglieder
Kollektivvertragspolitik, im Umwelt- und Energie-   Schwerpunkte finden sich in der Analyse lang-         repräsentieren mehr als 80 Prozent der heimischen
bereich, in der Forschungs- und Technologiepoli-    fristiger makroökonomischer Entwicklungsten-          Produktionsunternehmen. Ihr Anspruch an der
tik sowie in der Infrastrukturentwicklung.          denzen sowie in der Untersuchung industrieller        Schnittstelle zwischen Unternehmen und Politik ist
                                                    Netzwerke (Clusteranalysen).                          es, mit innovativen Konzepten und Expertise Öster-
                                                                                                          reichs Gesellschaft zukunftsfit zu gestalten.

Bundessparte Industrie der                          Industriewissenschaftliches Institut                  Industriellenvereinigung
Wirtschaftskammer Österreich                        Mittersteig 10/4, 1050 Wien                           Schwarzenbergplatz 4, 1031 Wien, Österreich
Wiedner Hauptstraße 63, 1045 Wien                   Telefon: 513 44 11-0                                  Telefon: 43 1 71135 – 0
Telefon: 05 90 900-3460                             Telefax: 513 44 11-2099                               Internet: www.iv.at, www.facebook.com/
Telefax: 05 90 900-113417                           Internet: http://www.iwi.ac.at,                       industriellenvereinigung, www.twitter.com/iv_
Internet: http://wko.at/industrie,                  E-Mail: office@iwi.ac.at                              news
E-Mail: bsi@wko.at                                  Vorstand                                              E-Mail: office@iv.at
Präsidium                                           Vorsitzender Hon.Prof. Dr. Wilfried STADLER,          Präsidium
Obmann Mag. Sigi Menz, Ottakringer Getränke AG      Wirtschaftsuniversität Wien, Vorstandsvor-            Präsident Mag. Georg Kapsch, Kapsch AG
Stellvertreter Hon.Konsul KommR Veit                sitzender des IWI                                     Vizepräsident Ing. Hubert Bertsch,
Schmid-Schmidsfelden, Rupert Fertinger GmbH         Mag. Markus BEYRER, Business Europe                   BERTSCH-Holding
Stellvertreter KommR DI Dr. Clemens Malina-         Dr. Wolfgang DAMIANISCH, Kassier des IWI              Vizepräsident Dr. Axel Greiner, Greiner Gruppe
Altzinger, Reform-Werke Bauer & Co. Ges.m.b.H.      Mag. Christian DOMANY, Unternehmensberater            Vizepräsident KR Mag. Otmar Petschnig,
kooptiert: Günter Dörflinger, MBA Christof          GF Mag. Andreas MÖRK, Bundessparte Industrie          Fleischmann & Petschnig Dachdeckungs GmbH
Industries GmbH                                     der Wirtschaftskammer Österreich                      Geschäftsführung
kooptiert: MEP Dr. Paul Rübig, Rübig GmbH & Co KG   Dr. Erhard FÜRST,                                     Generalsekretär Mag. Christoph Neumayer
Geschäftsführer                                     Gen.-Sekr. Karlheinz KOPF, Wirtschaftskammer          Vize-Generalsekretär Ing. Mag. Peter Koren
Mag. Andreas Mörk                                   Österreich, stv. Vorstandsvorsitzender des IWI
                                                    Gen.-Sekr. Mag. Christoph NEUMAYER
                                                    Industriellenvereinigung, stv. Vorstandsvor-
                                                    sitzender des IW
                                                    Vorst.dir. DI Dr. Manfred MATZINGER-LEOPOLD,
                                                    Münze Österreich
                                                    FH-Hon.-Prof. Dr. Dr. Herwig W. SCHNEIDER,
                                                    Industriewissenschaftliches Institut
                                                    Kuratorium
                                                    Vorsitzender Hon.Konsul KommR Veit
                                                    Schmid-Schmidsfelden, Rupert Fertinger GmbH
                                                    Dir. Mag. Dr. Johannes Turner,OeNB
                                                    Geschäftsführer
                                                    FH-Hon.-Prof. Dr. Dr. Herwig W. Schneider
                                                    Wissenschaftlicher Leiter
                                                    Univ. Prof. DI Dr. Mikuláš Luptáčik

2    industrie aktuell | 2020 | 2
Industrie aktuell 2 2020 - WKO
inhalt

                              editorial                                           konjunktur
                          Mag. Georg Kapsch                                   Kommentar zur internationalen
                          An der Krise wachsen                          4    Konjunkturentwicklung
                                                                              FH-Hon.-Prof. Dr. Dr. Herwig W. Schneider         30
                              forum
                                                                              Heimische Industrieproduktion: Rückgang
                          Auf dem Weg aus der Krise                      6    schon im 2. Halbjahr 2019
                                                                              Mag. Andreas Mörk                                 32
                          Interview:
                          Mein Ziel ist es, unsere Wirtschaft schnell
                                                                              konjunktur nach branchen
                          wieder in Schwung zu bringen.
                          Dr. Margarete Schramböck                            Branchenübersicht                                 34
                          Bundesministerin für Digitalisierung und            Gesamtindustrie                                   35
                          Wirtschafsstandort                            8    Bergwerke und Stahl                               35

                          Interview:                                          Stein- und keramische Industrie                   36
                          Der Weg aus der Krise führt über Entlastung         Glasindustrie                                     36
                          und Investitionen.                                  Chemische Industrie                               37
                          Mag. Christoph Neumayer                             Papierindustrie                                   37
                          Generalsekretär IV                            10    PROPAK – Industrielle Hersteller von
                                                                              Produkten aus Papier und Karton                   38
                          Interview:                                          Bauindustrie                                      38
                          Nach jedem Tal kommt wieder ein Anstieg und         Holzindustrie                                     39
                          auf diesen müssen wir uns vorbereiten.              Lebensmittelindustrie                             39
                          Gerald Mayer                                        Textil-, Bekleidungs-,
                          AMAG Austria Metall AG                        12    Schuh & Lederindustrie                            40
                                                                              NE-Metallindustrie                                40
                                                                              Metalltechnische Industrie                        41
                              politik
                                                                              Fahrzeugindustrie                                 41

                                                                inhalt
                          Megatrend Plattformökonomie                  16    Elektro- und Elektronikindustrie                  42
                                                                              Offenlegung, Impressum                            42
                          Versorgungssicherheit und Lieferketten:
                          ein globales Problem                         18
                          
                          FFG: Forschung ist der Lösungsansatz
                          und gleichzeitig ein Konjunkturmotor          21
Fotos: OMV, beigestellt

                          Serie: Mineralölindustrie
                          Fokus auf zukunftsfähige Lösungen             24

                                                                                                             industrie aktuell | 2020 | 2   3
Industrie aktuell 2 2020 - WKO
forum          kommentar

               An der Krise wachsen
               Die Ereignisse und Herausforderungen des Jahres 2020 und darüber
               hinaus, werden wohl einer ganzen Generation im Gedächtnis bleiben. Das
               „Wie“ haben wir zum großen Teil selbst in der Hand.
                                                                                       Autor: Mag. Georg Kapsch

              K
                    aum jemand hätte sich wohl vor einem Jahr        und eine langfristige Stärkung der Krisenresilienz
                    die Herausforderungen vorstellen können,         des Standortes, um für künftige Herausforderun-
                    vor denen wir heute stehen – als Gesellschaft,   gen besser vorbereitet zu sein.
               als Wirtschaft, als Menschen und Unternehmen.
               Nicht nur für Österreich bedeuten die COVID-          Der sicherste und nachhaltigste Weg aus der Kri-
               19-Maßnahmen einen konjunkturellen Fadenriss.         se kann nur über ein investitionsgetriebenes Wirt-
               Die Welt sieht sich den schwersten wirtschaftli-      schaftswachstum führen. Es braucht daher ge-
               chen Verwerfungen seit vielen Jahrzehnten ge-         eignete Rahmenbedingungen für Investitionen,
               genüber. Als kleine, offene und exportorientierte     sinnvollerweise in Zukunftsbereiche wie Innova-
               Volkswirtschaft können wir uns davon nicht ent-       tion, Technologie, Klima- und Umweltschutz. Ös-
               koppeln. Aber wir können – und müssen – geeig-        terreich sollte hier seine Chance nützen, indem
               nete Maßnahmen setzen, damit aus der Wirt-            es innovativen, forschenden Unternehmen An-
               schaftskrise nicht noch weitere gesellschaftliche     reize bietet, im Land zu investieren und neue Ar-
               Verwerfungen resultieren, denn der massive Ver-       beitsplätze zu schaffen. Generell ist Entlastung
               lust von Arbeitsplätzen geht mit allgemeinem          für Menschen und Unternehmen gerade jetzt in
               Wohlstandsverlust und einer wachsenden sozia-         dieser schwierigen Aufbauphase ein Gebot der
                                                                     Stunde – vor allem im Bereich der Steuer- und
                                                                     Abgabenlast, die in Österreich im internationalen
                                                                     Vergleich nach wie vor sehr hoch ist. Völlig kont-
                                                                     raproduktiv sind daher jegliche Rufe nach neuen
 Der sicherste und nachhaltigste                                     oder höheren Steuern als vermeintlicher Weg
                                                                     aus der Krise. Das Herbeireden von Verteilungs-
 Weg aus der Krise kann nur über                                     kämpfen schürt lediglich Unsicherheit und steht
 ein investitionsgetriebenes                                         daher der Schaffung einer positiven Investitions-
                                                                     atmosphäre – und damit Wachstum und Beschäf-
 Wirtschaftswachstum führen.                                         tigung – klar im Weg.

                                                                     Unbestritten bleibt die Notwendigkeit einer Rück-
                                                                     führung der durch die Krisenmaßnahmen ange-
                                                                     wachsenen Staatsschulden. Ansonsten droht der
               len Unsicherheit einher. Ein Mittel gegen Unsi-       Schuldenberg kommende Generationen zu erd-
               cherheit sind stets Zuversicht und klare Perspek-     rücken und ihnen dringend benötigte Handlungs-
               tiven. Beides muss den Menschen nun rasch             spielräume zu nehmen. Österreich braucht daher
               vermittelt werden. Ad-hoc-Hilfspakete für einzel-     – ähnlich wie bei der Klimaneutralität – einen
               ne Branchen mögen kurzfristig in der Krise taug-      konkreten, verbindlichen, mehrjährigen Stufenplan
               lich sein. Um aber gestärkt aus ihr hervorzugehen,    zur Rückführung der COVID-19-Stützungspakete
               braucht es drei Dinge: ein strategisch durchdach-     bis 2030. In einem Hochsteuerland wie Österreich
               tes, langfristiges Konzept für den heimischen         besteht einnahmenseitig dafür wenig bis gar kein
               Wirtschaftsstandort als Ganzes, das die Voraus-       Spielraum. Zu groß wäre die Gefahr, aufkeimendes
               setzungen für neue, sichere Arbeitsplätze schafft;    Wirtschaftswachstum regelrecht abzuwürgen. Der
               eine Konsolidierung des öffentlichen Haushalts;       Fokus muss dementsprechend auf der Ausgaben-

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Industrie aktuell 2 2020 - WKO
kommentar                        forum

                      seite liegen, wo es bekanntlich
                      viel Potenzial gibt. Man denke
                      etwa an die exorbitanten Kosten
                      des Föderalismus, wie er hier-
                      zulande gelebt wird.

                      Effizienzsteigerungen in diesem
                      Bereich wären ebenso wün-
                      schenswert, wie ganz generell
                      die Verbesserung der staatlichen
                      Handlungsfähigkeit für einen et-
                      waigen nächsten Krisenfall. Den
                      zahlreichen Vorteilen einer inter-
                      national vernetzten Wirtschaft
                      können und sollen wir uns als
                      kleine, exportorientierte Volks-
                      wirtschaft auch künftig nicht
                      entziehen. Dennoch haben die
                      vergangenen Monate gewisse
                      unvorteilhafte Abhängigkeiten          Mag. Georg Kapsch, Präsident
                                                             der Industriellenvereinigung (IV)
                      Europas und Österreichs von an-
                      deren Teilen der Welt offenbart,
                      die es zu reduzieren gilt. Der Industrie kommt bei Aufrechterhaltung zahlreicher Arbeitsabläufe er-
                      all diesen Überlegungen eine zentrale Bedeutung wiesen. Das wird auch in Zukunft so sein.
                      zu, hat sie sich doch schon während der unmittel-
                      baren Krisenphase als unverzichtbar für die Auf- Aber vergessen wir bei all dem nicht die mensch-
                      rechterhaltung der Versorgungssicherheit im Land liche Komponente. Die Analyse der wirtschaftli-
                      erwiesen. Diese stabile Basis gilt es daher weiter chen Folgen und daraus resultierende Schluss-
                      zu stärken, insbesondere in bestimmten Bereichen. folgerungen müssen stets den Menschen mit
                      Das umfasst etwa die Sicherung von Produktions- einbeziehen. Wir müssen uns daher fragen, wie
                      standorten forschungsintensiver Unternehmen in wir als Gesellschaft mit der Krise umgegangen
                      Österreich. Systemrelevante Produktionen – sei es sind, wie uns all das beeinflusst hat und wie ent-
                      im Technologie- oder Medizinbereich – müssen hier sprechende Resilienz-Strategien für die Zukunft
                      gehalten bzw. ins Land geholt werden, indem wir aussehen können. Als Gesellschaft und Volks-
                      Österreich zum Life Science-Zentrum im Herzen wirtschaft an dieser Krise zu zerbrechen war
                      Europas machen. Energie, Mobilität und Ressour- niemals und ist auch jetzt keine Option – an ihr
                      ceneffizienz sind wesentliche Bestandteile für den zu wachsen muss sehr wohl eine sein. Daran gilt
                      Aufbau künftiger Strategien zur Krisenbewältigung. es gesamthaft und mit allem Nachdruck mitein-
                      Wir sollten daher danach streben, bis 2025 unter ander zu arbeiten. Dies gilt für alle Bereiche der
                      den Top 3 der europäischen Energieforschung zu Gesellschaft und Politik.
                      sein. Auch die Möglichkeiten moderner Informa-
                      tions- und Kommunikationstechnologie für den Gesamteuropäische Lösungen und europäische
                      Energie-, Verkehrs- und Produktionssektor sind Solidarität wurden in dieser Krise ignoriert. Dies
Foto: Heidrun Henke

                      voll auszuschöpfen.                                      darf niemals wieder geschehen, denn national-
                                                                               staatliche Ansätze werden uns weder in Krisen-
                      Reibungslose Online-Kommunikation hat sich im zeiten noch in Zeiten des Booms in die Zukunft
                      Zuge der Corona-Krise als entscheidend für die führen können.

                                                                                                         industrie aktuell | 2020 | 2   5
Industrie aktuell 2 2020 - WKO
forum          cover | weg aus der krise

                                                                     Die Industrie und ihre Zulieferbereiche sichern jeden
                                                                     zweiten Job in Österreich ab, es müssen daher nachhaltige
                                                                     Wege gefunden werden, um die Krise zu überwinden.

               Auf dem Weg aus der Krise
               Der Standort Österreich muss sich jetzt für die Zeit nach der Coronakrise
               stark und wettbewerbsfähig aufstellen, um den drohenden Schaden
               zu minimieren.

              D
                      ie derzeit herrschende weltweite Krise be-    gehend aufrecht zu erhalten, sind die Auswir-
                      trifft alle Branchen und Bereiche der Wirt-   kungen auf die Industrieunternehmen entspre-
                      schaft, entsprechend umfassend werden         chend groß. In einigen Branchen werden die
               auch die zu erwartenden negativen Auswirkun-         Folgen der Krise erst Zug um Zug kommen.
               gen sein. Auch die Industrie ist von der Krise
               erfasst worden. Weltweit wächst der Druck auf        Eine Umfrage der Wirtschaftskammer Österreich
               die Industrienachfrage, zusätzlich wurden wich-      in Zusammenarbeit mit dem Complexity Science
               tige internationale Lieferketten unterbrochen.       Hub zeigt deutlich die Auswirkungen der Coro-
                                                                                                                             Fotos: MIBA

               Auch wenn es der heimischen Industrie gelungen       nakrise auf die Unternehmen der Industrie sowie
               ist, trotz Shutdown die Produktionen weitest-        notwendige Maßnahmen. (siehe Tabelle 1 und 2)

        6   industrie aktuell | 2020 | 2
Industrie aktuell 2 2020 - WKO
cover | weg aus der krise                                forum

Konkrete Auswirkungen wegen Covid-19 auf                        Unternehmen, damit es zu keiner „Insolvenzwel-
das Unternehmen in der Sparte Industrie*                        le“ kommt. Eine enge Abstimmung seitens der
Reiseeinschränkungen                                65 %        Regierung mit Banken und Kreditversicherern,
Umsatzrückgänge                                     62 %        um die Liquidität sicherzustellen. Bis Krisenende
Absagen von Messen oder Veranstaltungen             55 %        muss das bestehende Kurzarbeitsmodell auf-
Quarantäne von Mitarbeitern                         49 %        rechterhalten werden damit die Arbeitsplätze
Stornierung von Aufträgen                           45 %        erhalten bleiben – das vermeidet eine generelle
Unsicherheit                                        44 %        Depression (Existenzängste) und ermöglicht es
Belieferungs- bzw. Zustellungsprobleme              41 %        den Unternehmen wieder schnell „durchzustar-
Zulieferungsprobleme                                33 %        ten“, wenn die Nachfrage wieder steigt.“
Zusätzliche Lageraufstockung                        32 %
Liquiditätsengpässe                                 18 %        Für die Zeit am Ende bzw. nach der Krise sind
Vermehrte Zahlungsausfälle                          17 %        verschiedene Konjunkturmaßnahmen notwendig
Fehlen von Schlüsselarbeitskräften                  14 %        – ideal mit speziellem Fokus auf die Umwelt, da
Personalabbau                                       8%          der European Green Deal ja auch auf der Agen-
Drohende Betriebsschließung                         7%          da steht und durch Corona maximal „aufgescho-
Drohender Konkurs                                   3%          ben“ wurde. Dazu zählen z. B. eine Abwrackprä-
Vertragsstrafen                                     2%          mie für Autos, Zusatzförderungen für die
Keine                                               7%          Anschaffung von E-Autos, die Förderung von
                      Quelle: WKO; *Mehrfachantworten möglich

Maßnahmen auf dem Weg aus der                                         Es braucht weiterhin schnelle
Krise
                                                                         und unbürokratische Hilfe
Jetzt sind wirkungsvolle Maßnahmen und Stra-
tegien notwendig, damit die österreichische Wirt-
                                                                          für besonders betroffene
schaft gut aus der Krise und wieder in Schwung                     Unternehmen, damit es zu keiner
kommen kann. Dazu F. Peter Mitterbauer, CEO                                 Insolvenzwelle kommt.
Miba AG: „Mit der Corona-Kurzarbeit und den
sonstigen Maßnahmen haben wir in Österreich
im internationalen Vergleich gute Instrumente,
um Betriebe und Arbeitnehmer durch die erste                    thermischer Sanierung von Gebäuden und dem
Phase der Krise zu bringen. Doch der Staat kann                 Ausbau von regenerativen Energien. Aber auch
langfristig die Wirtschaftsleistung des Landes                  Förderungen für Industrieinvestitionen, Inves-
nicht ersetzen. Daher ist es wichtig, alles zu un-              titionen in die Infrastruktur und natürlich wich-
ternehmen, um die Wirtschaft vorsichtig wieder                  tige Steuerentlastungen.
zurück ins Leben zu führen. Entscheidend wird
sein, den Menschen eine Perspektive zu geben                                                   Autor: Herta Scheidinger
und diese klar zu kommunizieren – denn wenn
die Bevölkerung und die Betriebe zuversichtlich
nach vorne schauen, dann werden sie wieder                      TOP-3 Maßnahmen in der Industrie*
konsumieren und investieren.“                                   Kurzarbeitsunterstützung                          77 %
                                                                Stundungen bei Steuern und
                                                                                                                  56 %
                                                                Sozialversicherungsbeiträgen
Rob van Gils, CEO der HAI-Gruppe, wird konkre-
ter: „In der aktuellen Phase ist weiter gutes Kri-              Haftungsübernahmen bei
                                                                                                                  48 %
                                                                Liquiditätsengpässen
senmanagement gefragt: Weiterhin schnelle und
                                                                                    Quelle:WKO; * Mehrfachantworten möglich
unbürokratische Hilfe für besonders betroffene

                                                                                                  industrie aktuell | 2020 | 2   7
Industrie aktuell 2 2020 - WKO
forum           interview | schramböck

                „Mein Ziel ist es, unsere Wirtschaft
                schnell wieder in Schwung zu bringen“
                Dr. Margarete Schramböck, Bundesministerin für Digitalisierung und
                Wirtschaftsstandort, über Kurzarbeit, weitere Hilfspakete und eine größere
                Autarkie Europas bei kritischen Produkten.

                Aktuell haben 549.662 Menschen in Österreich           schrittweise zur Normalität zurückzukehren. Jede
                keinen Job und 1,3 Millionen Menschen arbeiten in      und jeder trägt dafür Verantwortung, dass wir die
                Kurzarbeit. Wird sich die Lage durch die Coronakrise   Infektionsrate geringhalten.
                noch verschärfen, oder haben wir das Schlimmste
                bereits überwunden?                                    Lässt sich dieser Schaden durch die aktuelle Krise
                                                                       mit den aktuellen Hilfspaketen aus Ihrer Sicht be-
                Margarete Schramböck: Die Coronakrise hat leider       wältigen oder wird es noch teurer werden?
                zu hohen Arbeitslosenzahlen in Österreich geführt.
                Derzeit gehen die Zahlen aber in die richtige Rich-    Laut Frühjahrsprognose der EU-Kommission soll
                tung. Damit das auch so bleibt, setzen wir als Bun-    das heimische Bruttoinlandsprodukt heuer um 5,5
                desregierung mehrere Maßnahmen. Beispielswei-          Prozent sinken und im Jahr 2021 wieder um fünf
                se sind Jugendliche besonders betroffen. Mit einem     Prozent wachsen. Im EU-Vergleich steht nur Polen
                Lehrlings-Bonus von 2.000 Euro pro neu einge-          und Luxemburg besser als Österreich da. Wir haben
                stelltem Lehrling geben wir Unternehmen einen          also eine gute Startposition. Mein Ziel ist es, unse-
                Anreiz, damit diese auch dieses Jahr junge Men-        re Wirtschaft schnell wieder in Schwung zu bringen
                schen in ihren Betrieben ausbilden.                    und dafür bereiten wir gerade ein umfassendes
                                                                       Maßnahmenpaket vor. Mit steigender Zuversicht
                Fürchten Sie keine Pleitewelle Ende Juni, wenn die     der Menschen und mehr Konsum werden auch die
                Kurzarbeitsprogramme enden?                            Unternehmen vermehrt investieren. Hier werden
                                                                       wir auch Maßnahmen setzen, um Anreize für
                Die spezielle Corona-Kurzarbeit hat bisher mehr        Investitionen zu setzen.
                als 1,3 Millionen Arbeitsplätze gesichert und ist
                eines der wichtigsten Kriseninstrumente. Daher         Viele Unternehmen gehen davon aus, dass weitere
                haben wir sie von drei Monaten um weitere drei         Hilfspakete bzw. eine Verlängerung der Kurzarbeits-
                Monate verlängert. Uns ist wichtig, dass die Be-       regelung noch notwendig sein werden. Plant die
                schäftigten in den Unternehmen bleiben, damit sie      Regierung hier noch weitere Schritte?
                nachher wieder schnell beginnen können und die
                Produktion und die Dienstleistungen rasch wieder-      Ja, wir werden mehrere zielgerichtete Pakete vor-
                aufgenommen werden können.                             legen, um ein rot-weiß-rotes Comeback möglich
                                                                       zu machen. Erstens braucht es nun Steuerentlas-
                Ist ein neuerlicher Shutdown bei einer zweiten Wel-    tungen für die arbeitenden Menschen. Der private
                le der Pandemie denkbar?                               Konsum, der in den letzten Jahren eine wichtige
                                                                       Stütze der österreichischen Konjunktur war, soll
 Wir werden mehrere zielgerich-                 Oberstes Ziel ist      damit gefördert werden. Ein zweiter Schwerpunkt
                                                 es, einen neuerli-    müssen Maßnahmen zur Entlastung der Wirtschaft
 tete Pakete vorlegen, um ein                     chen Rückschlag      sein, damit wieder Arbeitsplätze geschaffen und
 rot-weiß-rotes Comeback möglich                   bei den Infizier-   bestehende erhalten werden können. Drittens brau-
 zu machen. Besonders wichtig ist                  tenzahlen zu        chen wir Investitionen, insbesondere in den Berei-
                                                                                                                               Fotos: BMDW

 dabei eine Steuerentlastung für                  vermeiden. Da-       chen Klimaschutz, Digitalisierung und Regionali-
 arbeitende Menschen.                            her haben wir uns     sierung. Hier werden wir zeitnah unsere Pakete
                                                dafür entschieden,     vorlegen.

         8   industrie aktuell | 2020 | 2
Industrie aktuell 2 2020 - WKO
Wären jetzt nicht auch steuerliche Maßnahmen –
Investitionsfreibeträge, Steuerbegünstigten und der-
gleichen – als Hilfsmaßnahmen für die heimischen
Betriebe sinnvoll?

Für heimische Betriebe sind Steuerstundungen und
-erleichterungen bereits möglich. Insgesamt wur-
den bereits über sechs Milliarden Euro an Steuern
gestundet. Natürlich braucht es noch weitere Maß-
nahmen, wie bereits vorhin erwähnt. Vor allem,
wenn es um die Stärkung der Produktion im Inland
geht, können Steuerentlastungen für ein indust-
riefreundliches Umfeld sorgen.

Besonders in der Industrie hat sich eine hohe Ab-
hängigkeit von globalen Lieferketten offenbart. Wird
man in Zukunft eine Reindustrialisierung Österreichs
fördern, um diese internationalen Abhängigkeiten
zu reduzieren?
                                                         mit welchen Maßnahmen sollen diese Schwächen Wirtschaftsminis-
Wir wissen nicht, wie die nächste Krise aussieht.        ausgemerzt werden?                           terin Margarete
Aber wir müssen vorbereitet sein. Daher braucht                                                             Schramböck will
es eine Renaissance der Produktion in Europa, um         Wir wollen Österreich zu einer der führenden Digi- aus Österreich eine
                                                                                                            der führenden
in Zukunft noch schneller reagieren zu können und        tal-Nationen Europas machen. Bisher werden die Digitalnationen
für weitere Krisen gerüstet zu sein. Wir müssen          Chancen der Digitalisierung von Österreichs KMU Europas machen.
zentrale Bereiche, die sich jetzt als lebensnotwen-      noch nicht in vollem Umfang genutzt. Die Corona-
dig herausgestellt haben, stärken und die Autarkie       krise war nun für viele ein Weckruf, künftig auch
Europas bei kritischen Produkten erhöhen. Ich den-       stärker auf digitale Geschäftsmodelle zu setzen.
ke hier vor allem an sensible Bereiche, wie beispiels-   Beispielsweise gibt es nun einige Unternehmen,
weise die Produktion von Medikamenten oder von           die erstmals im E-Commerce tätig sind. Wir haben
medizinischer Schutzausrüstung. Gleichzeitig müs-        hier als Erstmaßnahme einen Online-Marktplatz
sen wir die Wertschöpfungsketten in Zukunftstech-        auf oesterreich.gv.at in Kooperation mit verschiede-
nologien und Schlüsselbereichen wie der Digitali-        nen bereits bestehenden österreichischen Platt-
sierung und der Dekarbonisierung in Europa stärken.      formen ins Leben gerufen. Unser Ziel ist, dass un-
In der Vergangenheit ist es uns bereits bei Halblei-     sere KMU nicht vor den großen Digitalkonzernen
tern oder auch bei Batterien gelungen. Wir haben         in die Knie gehen, sondern ihnen die Stirn bieten.
in Österreich hochinnovative Unternehmen, die in         Außerdem werden wir die digitalen Services der
Höchstqualität und schnell produzieren. Wir haben        Verwaltung weiter ausbauen.
auch ein Investitionskontrollgesetz vorgelegt, um
den Ausverkauf von zentralen Unternehmen an              Eine große Frage, die sich heute schon viele stellen
strategisch agierende Investoren aus dem EU-             ist, wer wird die Kosten dieser Krise bezahlen?
Ausland zu verhindern.
                                                         Mehr Steuern sind nicht die Lösung. Es geht nicht
Es zeigte sich, dass Österreich in den letzten Jahren    um Einzelmaßnahmen, zunächst geht es einmal
zwar seine Hausaufgaben im Bereich Digitalisierung       darum, wieder die Wirtschaft anzukurbeln.
gemacht hat, aber noch immer Schwächen vorhan-
den sind. Wo sehen Sie großen Handlungsbedarf und                               Interview: Stephan Scoppetta

                                                                                        industrie aktuell | 2020 | 2   9
Industrie aktuell 2 2020 - WKO
Christoph Neumayer,
    Generalsekreträr
     der IV, ist davon
 überzeugt, dass die                  „Der Weg aus der Krise führt über
                                         Entlastung und Investitionen“
 Österreicher bisher
  gut durch die Krise
    gekommen sind.

                         Digitalisierung, Forschung und Technologie sind für Christoph Neumayer,
                         Generalsekretär der Industriellenvereinigung (IV), nach Corona die
                         Wachstumstreiber der Zukunft – sofern sich Österreich dafür attraktiv
                         positionieren kann.

                         Corona hat tiefe Spuren in der heimischen Wirtschaft   Welche Auswirkungen erwarten Sie hier auf den hei-
                         hinterlassen. Lässt sich abschätzen, wie dramatisch    mischen Arbeitsmarkt?
                         die Folgen sein werden?
                                                                                Derzeit sind wir mit mehr als 500.000 Arbeitslosen
                         Christoph Neumayer: Die weltweiten Auswirkungen        und 1,3 Mio. Menschen in Kurzarbeit konfrontiert.
                         der COVID-19-Pandemie sind nicht nur menschlich,       Die Corona-Kurzarbeit ist ein wichtiges Instrument,
                         sondern auch wirtschaftlich dramatisch. Was Ös-        um Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mög-
                         terreich betrifft, sehen wir uns – abgesehen von       lichst in Beschäftigung zu halten. Dennoch wird
                         Kriegszeiten – der schwersten Rezession seit 1929      eine langfristige Erholung am Arbeitsmarkt sicher-
                         gegenüber. Die Prognose der Industriellenvereini-      lich noch dauern.
                         gung geht angesichts dessen von zumindest einem
                         realen Bruttowertschöpfungs-Rückgang von 7,6           Hat es uns wirklich Vorteile gebracht, dass wir in
                         Prozent für das Gesamtjahr 2020 aus.                   Österreich quasi Musterschüler der Coronakrise waren
                                                                                und mit dem Shutdown sehr früh dran waren?
                         Wie lange werden wir aus Ihrer Sicht brauchen, um
                         diesen Schaden wieder zu kompensieren bzw. wann        Es zeigt sich, dass Österreich bisher jedenfalls bes-
                         werden wir wieder auf dem Vor-Corona-Niveau sein?      ser als viele andere Länder durch diese Krise ge-
                                                                                kommen ist. Das lässt sich nicht nur an den sehr
                         Geht man von den momentanen Voraussetzungen            positiven medizinischen Kennzahlen ablesen, son-
                         aus, rechnen wir mit einer ersten wirtschaftlichen     dern auch am Tempo und Ausmaß der Lockerungen.
                         Erholung in Österreich voraussichtlich erst im 3.      Insofern kann man hier – relativ zu anderen Staa-
                                                                                                                                        Fotos: Markus Prantl/IV

                         Quartal 2020. Ein kräftigerer Rebound-Effekt ist       ten – sicherlich von Vorteilen sprechen. Aber das
                         ab dem vierten Quartal 2020 vor allem im Bereich       ist für die exportorientierte Industrie vergleichs-
                         der Investitionsaktivitäten zu erwarten, während       weise ein schwacher Trost ...
                         sich die privaten Konsumausgaben wohl erst wäh-
                         rend 2020/21 langsam wieder erholen werden.            … denn das Problem ist, dass unsere Nachbarländer

               10   industrie aktuell | 2020 | 2
interview | neumayer                               forum

                                                                                         Jetzt muss es vor allem
                                                                                      darum gehen, Anreize für
deutlich später dran waren und gerade die sehr ex-       effiziente Ad-           Investitionen zu schaffen und
portorientierte Industrie in Österreich ohne den Nach-   ministration              Lohnnebenkosten zu senken.
barn sowie den USA die Produktion nicht hochfahren       und ein Restart-
können. Haben wir daraus also gar keinen Vorteil?        Programm. So
                                                         etwa eine Steuer-
Dass wir in Österreich in der Produktion keinen          befreiung für nicht-entnommene Gewinne oder
Shutdown hatten und früher als andere Länder zu          eine Vorziehung der für 2023 geplanten Senkung
einer gewissen Normalität übergehen können, ist          der Körperschaftssteuer auf 21 Prozent. Jetzt muss
an sich positiv. Ein komplettes Herunterfahren der       es vor allem darum gehen, Anreize für Investitionen
industriellen Produktion – wie wir das in Italien        zu setzen. Eine Investitionsprämie auf die Anschaf-
gesehen haben – ist uns erspart geblieben. Dass          fungs- und Herstellungskosten von digitalisie-
es nun aber europäisch und international betrach-        rungs- und umweltfördernden Investitionen in der
tet Asynchronitäten gibt, macht die Sache heraus-        Höhe von zehn Prozent für Digitalisierungsinves-
fordernd. Unser unmittelbarer Nachbar und wich-          titionen und zehn Prozent für umweltfördernde
tigster Handelspartner Deutschland ist jedoch auf        Investitionen sollte eingeführt werden. Die Lohn-
einem vergleichbar guten Weg wie wir. Umso wich-         nebenkosten – etwa der Unfallversicherungsbeitrag
tiger ist nun ein koordiniertes europäisches Vorge-      – müssen weiter gesenkt und ganz grundsätzlich
hen. Denn der ungehinderte Waren- und Dienst-            der Faktor Arbeit möglichst entlastet werden. Die
leistungsverkehr sowie die Mobilität von                 von der Bundesregierung angekündigte Steuer- und
Arbeitskräften sind für die Aufrechterhaltung des        Abgabensenkung in Richtung 40 Prozent muss weit
Wohlstandes in Europa absolut entscheidend.              oben auf der Agenda bleiben. Der Weg aus der
                                                         Krise führt über Entlastung und Investitionen.
Sind Sie mit dem Krisenmanagement der Bundesre-
gierung zufrieden?                                       Es tauschen bereits Forderung nach einer „Reichen-
                                                         steuer“, „Erbschaftssteuer“ etc. auf, um die Kosten der
Die gesetzten Maßnahmen waren zum jeweiligen             Krise zu refinanzieren. Wäre das wirklich sinnvoll?
Zeitpunkt nachvollziehbar – und wurden daher
auch von der heimischen Industrie mitgetragen.           Genau das wäre ein solcher Fehler, der sich im Hin-
Man muss bei all dem aber immer bedenken: Kei-           blick auf Wachstum und Arbeitsplätze dramatisch
ne österreichische Bundesregierung hat sich je           auswirken könnte. Die Coronakrise zehrt am Eigen-
zuvor in einer derartigen Lage befunden. Vor die-        kapital von Unternehmen. In den nächsten Jahren
sem Hintergrund hat – auch im Vergleich mit an-          dürfen Investoren, die bereit sind Risiko zu über-
deren Ländern – das Krisenmanagement auf den             nehmen, keinesfalls verschreckt werden. Ideologie
ersten Blick gut funktioniert.                           und Klassenkampf aus der politischen Mottenkis-
                                                         te sind da wenig hilfreich.
Was sind aus Ihrer Sicht wichtige Schritte, die die
Politik nun setzen muss, um das Schlimmste für die       Wie soll man also die Krise refinanzieren?
heimischen Unternehmen aber auch Arbeitsmarkt
abzuwenden?                                              Österreich hat kein Einnahmen-, sondern ein Aus-
                                                         gabenproblem. Die Krise hat daran nichts geändert.
Die von der Bundesregierung angekündigten                Eine wachstumsorientierte und effizienzsteigern-
Schwerpunkte – Steuerentlastung für arbeitende           de Budgetkonsolidierung ist möglich, das haben
Menschen, Entlastung der Wirtschaft, Förderung           die vergangenen Jahre bewiesen. Zumal in einem
von Investitionen – sind ein wichtiges Signal. Aus       Höchststeuerland wie Österreich einnahmenseitig
unserer Sicht braucht es kluge Unterstützungs-           keinerlei Spielraum mehr vorhanden ist.
maßnahmen für die Unternehmen, basierend auf
drei Säulen: investitionsgetriebenes Wachstum,                                   Interview: Stephan Scoppetta

                                                                                          industrie aktuell | 2020 | 2   11
forum           interview | mayer

                                                                           „Nach jedem Tal
                                                                           kommt wieder ein
                                                                           Anstieg und auf
                                                                           diesen müssen
                                                                           wir uns jetzt
                                                                           vorbereiten.“

                Gerald Mayer, CEO der AMAG Austria Metall AG, über die Folgen der
                Coronakrise, die stabile Nachfrage aus dem Verpackungsbereich sowie
                Spezialisierung und Innovation als Chance für die Zukunft.

                Im ersten Quartal glänzt die AMAG mit einem aus-       Tragweite dieser globalen Krise hat niemand ge-
                gezeichneten Ergebnis. Anstieg der Profitabilität im   rechnet. In den ersten Tagen der Coronakrise ging
                Vergleich zum 1. Quartal des Vorjahres, Anstieg des    es um Krisenmanagement, nun geht es um die
                operativen Ergebnisses (EBITDA) auf 36,5 Millionen     Abschätzung der strategischen Folgen und ent-
                Euro vor allem aufgrund niedrigerer Rohstoffkosten.    sprechende Anpassungen.
                2020 hätte ein gutes Jahr werden können. Enttäuscht
                darüber, wie es nun mit Corona gekommen ist?           Sie rechnen bereits mit einem spürbaren Ergebnis-
                                                                       rückgang im Vergleich zu 2019. Lässt sich schon
                Gerald Mayer: Wir hatten einen guten Start in das      sagen, wie schlimm es werden wird?
                Jahr mit Absatzsteigerungen im Bereich der Walz-
                produkte für die Automobil- und Luftfahrtindustrie.    Das Ausmaß dieses Rückgangs ist aufgrund der
                Ein erster marktbedingter Rückgang war bereits         hohen Marktunsicherheiten derzeit nicht prognos-
                im Handelsgeschäft zu verzeichnen. Im Segment          tizierbar. Die Märkte sind aktuell geprägt von einer
                Metall, mit der kanadischen Elektrolysebeteiligung,    hohen Volatilität an den Rohstoff- und Devisen-
                                                                                                                              Fotos: AMAG

                konnte aufgrund günstiger Rohstoff- und Energie-       märkten und von einer sehr niedrigen Visibilität bei
                kosten das Ergebnis gesteigert werden. Mit der         einer anhaltend niedrigeren Kundennachfrage, vor

        12   industrie aktuell | 2020 | 2
interview | mayer                            forum

allem in der Automobil- und Luftfahrtindustrie. Der    Zu Beginn war Krisenmanagement zur Aufrecht-
Verpackungsbereich läuft wiederum sehr gut. Un-        erhaltung des Betriebs mit besonderem Augenmerk
ser breites Produktportfolio kommt uns hier jeden-     auf die Gesundheit und Sicherheit unserer Mitar-
falls zugute. In Summe wird die Krise nachhaltige      beiter erforderlich. Nun geht es unter den gegebe-
Spuren in vielen Kundensegmenten hinterlassen.         nen Rahmenbedingungen um die Absicherung der
                                                       Lieferfähigkeit und den Erhalt einer hohen Flexibi-
Wie Sie sagen, hat der Shutdown der letzten Wochen     lität zur Reaktion auf Auslastungsschwankungen
gerade in der Automobil- und Luftfahrtbranche tiefe    in den einzelnen Produktionsbereichen. Dazu haben
Spuren hinterlassen. Können Sie das durch andere       wir mit 1. April 2020 Kurzarbeit eingeführt. Paral-
Geschäftsfelder kompensieren?                          lel dazu arbeiten wir an der Effizienzsteigerung und
                                                       Reduktion der Strukturkosten. Parallel überprüfen
Im Moment ist die Nachfrage aus der Automobil-         wir unsere Strategie und richten unseren Blick nach
und Luftfahrtindustrie sehr niedrig. Der Flugverkehr   vorne auf kommende Chancen. Wir setzen jeden-
und der Autohandel sind praktisch zum Erliegen         falls weiterhin auf Spezialisierung und Innovation
gekommen. Auslastungsprobleme und wochen-              sowie die zunehmende Bedeutung von Kreislauf-
lange Stillstände in den Flugzeug- und Automobil-      wirtschaft und Recycling und damit auf den effizi-
werken waren die unmittelbare Folge. Umgekehrt         enten Einsatz von Rohstoffen und Energie.
liegt die Nachfrage aus dem Verpackungsbereich
voll auf Plan. Ein wesentlicher Eckpfeiler unserer     Haben wir das Schlimmste aus Ihrer Sicht bereits
Strategie ist unsere breite Aufstellung, die uns im    überstanden oder kommt da noch mehr auf uns zu?
aktuellen Marktumfeld als stabilisierender Faktor
besonders zu Gute kommt. Durch unser breitgefä-        Corona ist vorerst in Österreich und Deutschland
chertes Produkt- und Kundenportfolio, mit einer        – rund 20 Prozent unserer Mitarbeiter kommen
Vielzahl von Spezialprodukten, ist die Abhängigkeit    von dort – scheinbar im Griff. Nun geht es um den
von einzelnen Schlüsselkunden und -industrien          geregelten Hochlauf, den manche Branchen sehr
reduziert. Die Kompensation von Ausfällen in stra-     rasch wieder schaffen werden, in anderen wird das
tegisch wichtigen Bereichen ist hier aber auch nur     ein steinigerer Weg. Für den Weg aus der Krise ist
eingeschränkt möglich.                                 es wichtig Jobs zu sichern und damit die Zuversicht
                                                       der Menschen zu stärken. Eine wirksame Behand-
AMAG ist auch beim Thema Verpackung sehr stark,
durch Corona ist hier die Nachfrage in den letzten
Wochen sicher gestiegen. Werden Sie dieses Ge-
schäftsfeld weiter ausbauen?
                                                             Nun geht es um einen geregelten
                                                          Hochlauf, den manche Branchen sehr
Die Nachfrage aus diesem Bereich ist anhaltend               rasch wieder schaffen werden, in
gut. Wir sind ein systemrelevanter Betrieb. Unser           anderen wird es ein steiniger Weg.
Aluminium wird für die Verpackung von Lebens-
mitteln, Medikamenten oder Tiernahrung verwen-
det. Wir entwickeln unser breites Produktportfolio
kontinuierlich weiter. Die Verpackung behält dabei     lung von Corona sowie ein Impfschutz sind we-
eine wichtige Rolle.                                   sentliche Meilensteine dabei.

Wie werden Sie sich in den nächsten Monaten auf-       Die AMAG ist ein stark exportorientierter Konzern.
stellen und welche Maßnahmen werden Sie nun            Besonders die USA und China sind wichtige Märkte
setzen, um den Schaden 2020 möglichst gering zu        für Sie. Wie werden sich diese Märkte aus Ihrer Sicht
halten?                                                entwickeln?

                                                                                       industrie aktuell | 2020 | 2   13
forum                 interview | mayer

                                                                            dieser Situation an Bedeutung gewonnen. Wichtig
                                                                            sind kurze Lieferzeiten nach Nordamerika und Asi-
                                                                            en, um mit lokalen Anbietern mithalten zu können.

                                                                            Die heimische Industrie diskutiert derzeit eingehend
                                                                            das Thema Lieferketten, die sich in der Krise als
                                                                            besonders anfällig erwiesen. Hatten auch Sie mit
                                                                            diesem Problem zu kämpfen?

                                                                            Die Lieferkette war für uns über den gesamten
                                                                            Zeitraum der Krise abgesichert. Wir hatten keine
Für die AMAG waren                                                          Ausfälle. Es gab lediglich einige leichte Verzögerun-
die Lieferketten in   China trägt rund 40 Prozent zur weltweiten Nach-      gen bei der Auslieferung. In den letzten Wochen ist
der gesamten          frage nach Walzprodukten von insgesamt 28 Mil-        jedenfalls das Bewusstsein für die starken globalen
Krisenzeit abgesi-
                      lionen Tonnen bei. Wir haben 2019 rund vier Prozent   Abhängigkeiten der europäischen Wirtschaft ge-
chert. Dadurch gab
es nur Verzögerun-
                      unseres Absatzes in Asien erwirtschaftet. Nord-       stiegen. Lokale Wertschöpfung und funktionieren-
gen aber keine        amerika, unser wichtigster Überseemarkt mit 27        de Lieferketten gewinnen an Bedeutung. Wir haben
Ausfälle bei der      Prozent Anteil am Umsatz 2019, liegt bei knapp 20     uns vor vielen Jahren auf das Recycling konzentriert
Auslieferung.         Prozent Anteil an der weltweiten Nachfrage. Wir       und setzen mit Aluminiumschrott auf einen Roh-
                      liefern annähernd die gesamte Produktion unserer      stoff, der in Europa in ausreichender Menge ver-
                      kanadischen Elektrolyse sowie Walzprodukte aus        fügbar ist. Hier sind wir jedenfalls gut aufgestellt.
                      Ranshofen in die USA. Sowohl der Verlauf der Co-
                      rona-Pandemie als auch die aktuelle innenpolitische   Ende Juni laufen die Kurzarbeitsprogramme aus.
                      Entwicklung und die stark gestiegenen Arbeitslo-      Denken Sie, dass die drei Monate für diese Hilfsmaß-
                      senzahlen in den USA lassen eine seriöse Einschät-    nahmen ausreichend sind oder wird hier zusätzliche
                      zung zurzeit nicht zu. China scheint zwar bereits     Hilfe notwendig werden?
                      etwas weiter in der Krisenbewältigung zu sein. Auch
                      dort ist nach Jahren des Wachstums ein spürbarer      Den kürzlich gefassten Beschluss zur Fortführung
                      Rückgang in der Nachfrage zu erwarten. Im globa-      der Kurzarbeit begrüßen wir. Es ist aber jetzt schon
                      len Handel mit Aluminium ist es vor allem durch die   absehbar, dass die Kurzarbeit in einzelnen Indust-
                      amerikanische Zollpolitik schon in den letzten bei-   rien über den September hinaus benötigt wird.
                      den Jahren zu massiven Verschiebungen und Preis-
                      volatilitäten gekommen. Mit Überkapazitäten in        Welche Maßnahmen werden aus Ihrer Sicht nun
                      China und mangelnden Kapazitäten in den USA sind      politisch notwendig, um den Arbeitsmarkt zu stützen
                      weitere Ausgleichsbewegungen zu erwarten.             und auch viele Betriebe vor dem Untergang zu retten?

                      Corona ist ein weltweites Problem. Damit ist eine     Die politischen Entscheidungsträger sind nun ge-
                      regionale Diversifikation im Grunde auch nicht        fordert, das Vertrauen der Konsumenten und deren
                      möglich. Wie lässt sich solchen Risiken in Zukunft    Zuversicht wiederherzustellen und so den Konsum
                      begegnen?                                             in Gang zu bringen. Dazu werden auch finanzielle
                                                                            Anreize hilfreich sein.
                      Die Coronakrise betrifft die gesamte Welt in ähnli-
                      chem Ausmaß. Für heuer erwartet die Walzwerks-        Wäre nicht auch eine Steuerreform notwendig, um
                      branche aktuell einen Rückgang in der Nachfrage       die Betriebe zu entlasten?
                      von rund 10 Prozent global im Vergleich zum Vor-
                                                                                                                                    Foto: AMAG

                      jahr. Damit kann sich kein Hersteller diesem Prob-    Gerade die aktuelle Situation zeigt, wie wichtig eine
                      lem entziehen. Unser Heimmarkt Europa hat in          solide Eigenkapitalbasis für den Fortbestand von

             14   industrie aktuell | 2020 | 2
interview | mayer                            forum

Unternehmen ist. Entlastungen, beispielsweise bei        einer Elektrolyse sind beim Recycling im Vergleich
den Lohnnebenkosten sowie der Körperschafts-             nur rund fünf Prozent der Energie aufzuwenden.
steuer, sowie die Schaffung von Anreizen für In-         Das sollte zu Vorteilen am Markt führen.
vestitionen und Innovationen in Form von Prämien
wären klare Signale für den Wirtschaftsstandort.         Wäre so ein Umbau des Steuersystems nicht auch
                                                         eine Chance für heimische Betriebe wie die AMAG?
Die Bundesregierung hat im Regierungsprogramm
noch immer den Plan einer Ökologisierung des hei-        Wir haben uns bereits sehr hohe Umweltstandards
mischen Steuersystems stehen. Geplant war die            in unserem Land erarbeitet. Im Falle einer interna-
Reform für 2020, aber vermutlich wird diese erst in      tionalen Vereinheitlichung des Abgabensystems
den nächsten Jahren kommen. Denken Sie, dass das         im Umweltbereich würden sich durchaus Chancen
jetzt wirklich Sinn macht?                               ergeben. So sehen wir seit längerem eine steigen-
                                                         de Nachfrage nach nachhaltig hergestellten Pro-
Ein Umbau des Steuersystems zu diesem Zeitpunkt          dukten mit geringen CO₂-Emissionen sowie einen
erfordert enormes Fingerspitzengefühl. Die Wirt-         Trend zur Kreislaufwirtschaft. Wir setzen ganz klar
schaft ist angeschlagen. Mehrbelastungen sind            auf die Entwicklung neuer hochqualitativer Spezi-
nicht zumutbar. Es bedarf jedenfalls einer schritt-      alprodukte mit hervorragender Umweltbilanz. Mit
weisen und langfristigen Herangehensweise. Der           155 Mitarbeitern in der Forschung und Entwicklung
Klimawandel ist eine globale Herausforderung, die        sind wir am Puls der Zeit in der Materialentwicklung.
auch globale oder zumindest gesamteuropäische            Unser Primäraluminium wird in Kanada mit Strom
Lösungen braucht. Nur wenn dort produziert wird,
wo der Umweltschutz einen hohen Stellenwert hat,
werden sich positive Effekte für das Weltklima er-
geben. Zentral dafür sind technologische Innova-
                                                                  Ein Umbau des Steuersystems zu
tionen und entsprechende Investitionen sowie die              diesem Zeitpunkt erfordert enormes
Beseitigung von wettbewerbsverzerrenden Fakto-                 Fingerspitzengefühl. Die Wirtschaft
ren. Wir haben in Österreich bereits viel erreicht in        ist angeschlagen und Mehrbelastun-
Bezug auf Klimaschutz. Dieser Umstand sollte in                           gen sind nicht zumutbar.
einen globalen Kontext gesetzt und bei künftigen
Entscheidungen berücksichtigt werden. Allfällige
Steuern dürfen nicht zu einer weiteren Bevorteilung
von Produzenten außerhalb Europas führen.                aus Wasserkraft und damit geringsten CO₂-
                                                         Emissionen erzeugt. In Ranshofen ist und bleibt
AMAG ist in einer sehr energieintensiven Branche         das Recycling von Aluminium unsere wesentliche
tätig, würden dem Unternehmen daraus nicht Nach-         Kompetenz im Bereich der Nachhaltigkeit.
teile erwachsen?
                                                         Wann glauben Sie, werden wir wieder dort anknüp-
Wir setzen seit Jahren auf die nachhaltige Produk-       fen können, wo wir vor Corona waren?
tion von Aluminium. Dazu haben wir umfangreiche
Investitionen in Recycling-Technologien und ener-        Das lässt sich momentan nicht sagen. Wir erwarten
gieeffiziente Produktionsanlagen getätigt. Mit einer     in den nächsten Monaten bei einer guten Entwick-
Schrotteinsatzrate zwischen 75 und 80 Prozent            lung im Bereich Verpackung einen schwachen Start
liegen wir im globalen Spitzenfeld. Unser Ziel ist es,   in manchen anderen Industrien. Aber nach jedem
bei steigender Produktion diese hohe Schrott-            Tal kommt wieder ein Anstieg und auf diesen müs-
einsatzrate zu halten. So werden wertvolle Res-          sen wir uns jetzt vorbereiten. 
sourcen geschont und auch Energie gespart. Im
Vergleich zur Produktion von Primäraluminium in                                 Interview: Stephan Scoppetta

                                                                                         industrie aktuell | 2020 | 2   15
Megatrend Plattformökonomie:
                       Chance für Österreich?

        Die Digitalisierung und das Auftauchen von Internetunternehmen, für die
        sich die Bezeichnung „Plattformunternehmen“ etabliert hat, haben die
        Wirtschaft in den ersten beiden Jahrzehnten des 21. Jahrhunderts
        stärker geprägt, als dies zuvor denkbar gewesen wäre.

       M
                egatrends sind Tiefenströmungen des Wan-       Chancen auch neue Herausforderungen für Unter-
                dels und umfassen alle Ebenen der Ge-          nehmenswelt sowie Wirtschafts- und Industriepo-
                sellschaft: Wirtschaft und Politik, sowie      litik mit sich.
        Wissenschaft, Technik und Kultur. Sie verändern
        die Welt – zwar langsam, dafür aber grundlegend        Während man die bekanntesten Beispiele für Platt-
        und langfristig.1 Ein Plattformunternehmen bietet      formunternehmen nach wie vor im Bereich Business
        eine digitale Basis für Leistungen verschiedener       to Consumer (B2C) ansiedelt (v.a. E-Commerce),
        Akteure auf Grundlage einheitlicher Standards.         halten technische Entwicklungen mehr und mehr
        Das Ziel und die Voraussetzung des Geschäfts-          auch im Business to Business-Bereich (B2B) und
        modells sind das Erreichen einer großen, nach          im Internet der Dinge (IoT) Einzug (z. B. Predix von
        Möglichkeit globalen Skalierung, die im Wesent-        General Electric). Nachdem der Wettlauf im Bereich
        lichen auf Netzwerkeffekten beruht, sowie die          B2C durch die dominierenden globalen Akteure wie
        Gewinnung, Auswertung und Nutzung von um-              Google (Alphabet Inc.), Amazon, Facebook, Apple
        fangreichen Datenbeständen als Ressource („Da-         (alle USA) und Alibaba (China) bereits weitgehend
        tenökonomie“). Üblicherweise bezeichnet der            verloren scheint, schneidet Europa im B2B-Bereich
        Begriff ein Unternehmen, dessen Geschäftsmodell        – wo die Wertschöpfung immer stärker durch digi-
        insgesamt auf einer Plattform oder einem System        tale Services erfolgt – verhältnismäßig gut ab. Die
        von Plattformen beruht. Der Begriff der Plattform      Grenzen zwischen B2C und B2B verschwimmen
        kann jedoch auch unabhängig vom Unternehmen            allerdings zunehmend bzw. werden durch weitere
        gedacht werden, etwa wenn nur einzelne Unter-          Konzepte (B2B2C) ausgedehnt. Weiters lassen sich
        nehmensfunktionen, Teilmärkte oder Teilunter-          transaktionszentrierte und datenzentrierte Platt-
        nehmen wesentlich auf der Basis von Plattformen        formen unterscheiden.2 Erstere stellen die Funktion
        angeboten werden.                                      als Vermittler, als digitaler Marktplatz, ins Zentrum.
                                                               Zweitere konstituieren ein datenzentriertes Ge-
        Plattformökonomie bezeichnet also auch ein Prin-       samtsystem komplementärer Produkte und steuern
        zip, welches nicht immer das ganze Unternehmen         dieses. Den Akteuren wird die Aufbereitung und
        klassifizieren muss, sondern das als digitale Infra-   Auswertung von Datenströmen verbunden mit
        struktur bzw. als „general purpose technology“ neue    Usability-Management geboten.
        Produkte, Prozesse, Geschäftsmodelle und Märkte
        erschließen hilft. Unternehmen treten nicht nur als    Im industriellen Sektor finden sich auch immer mehr
        Anbieter von Plattformen, sondern auf vielfältige      digitale Plattformen, auf denen Angebote gebündelt
        Weise auch als Nutzer von Plattformen auf. Die         bereitgestellt werden. Gerade wenn unterschiedli-
                                                                                                                        Foto: pixabay

        Plattformökonomie betrifft damit nahezu alle Be-       che Unternehmen einer Branche oder eines Produkt-
        reiche der Wirtschaft und bringt neben enormen         bzw. Servicesegments bei ihren Kunden Daten

16   industrie aktuell | 2020| 2
plattformökonomie                                politik

sammeln und verwerten oder zur Befriedigung             Fokus auf zukünftige Szenarien der Plattformöko-
ganzheitlicher Kundenbedürfnisse Produkte, Servi-       nomie und der digitalen Wirtschaft in Österreich
ces oder Komponenten andere Partner integriert          gelegt werden. In einem ganzheitlichen Zugang
werden müssen, bieten sich unternehmensüber-            müssen dabei Querverbindungen zu anderen großen
greifende Plattform-Ökosysteme an.3 Bei solchen         Themenbereichen und Herausforderungen der Wirt-
Plattformen entwickelt sich die klassische Wert-        schaftspolitik (Qualifikation, Demographie, gesell-
schöpfungskette zu einem Wertschöpfungsnetz-            schaftliche Integration, Nachhaltigkeit, Datenschutz)
werk, in dem jeder beteiligte Partner seine spezifi-    mitgedacht werden.
schen Kernkompetenzen einbringt. Dadurch lässt
sich der Zielkonflikt zwischen einer möglichst hohen    Innovation bleibt Schlüssel und Grundvoraussetzung
Spezialisierung auf der einen Seite und einem mög-      für die Wettbewerbs- und Zukunftsfähigkeit von
lichst breitem Leistungsangebot auf der anderen         Unternehmen und Volkswirtschaften. Heute ist die-
Seite auflösen und es lassen sich die Vorteile einer    se eng mit dem Thema Digitalisierung und der Nutz-
flexiblen Aufgabenverteilung und Kapazitätsaus-         barmachung von Daten verknüpft. Digitalisierung
lastung mit Spezialisierungsvorteilen auf Ebene der     fungiert als wesentlicher Treiber von Innovation und
Wertschöpfungseinheiten verbinden.4                     ist vielfach Grundvoraussetzung dafür. Sie ermög-
                                                        licht Plattformunternehmen im eigentlichen Sinne,
Festgehalten werden soll an dieser Stelle, dass die     erfordert andererseits aber auch eine Varietät von
Plattformökonomie ein globales Phänomen ist und         digitaler Infrastruktur zu der auch Plattformen ge-
daher hinsichtlich der Frage nach ihrer Relevanz        hören. Das dadurch entstehende Potenzial muss in
immer die internationale Dimension mitgedacht           Österreich optimal im Sinne des Wirtschaftsstand-
werden muss. Ziel aus österreichischer Sicht muss       orts genutzt werden. Auch wenn selbst unter güns-
sein, durch die gezielte Nutzung von digitalen Tech-    tigsten Rahmenbedingungen vermutlich kein hei-
nologien die Plattformökonomie aktiv mitzugestal-       misches Plattformunternehmen im B2C-Bereich im
ten, wobei die Ausgangsposition hierfür als grund-      globalen Wettbewerb an die Spitze zu den US-
sätzlich gut eingestuft werden kann.5 Bei der           amerikanischen und asiatischen Techgiganten auf-
Nutzung von Plattformen liegt Österreich bereits        zusteigen vermag, gibt es dennoch vielfältige Mög-
im europäischen Spitzenfeld.6                           lichkeiten, wie Plattformen und deren Nutzung die
                                                        heimische Wirtschaft effizienter und international
Die volkswirtschaftliche Bedeutung von Plattformen      wettbewerbsfähiger machen können.
ist zweifellos enorm, da sie eng mit all jenen Berei-
chen verzahnt ist, in denen aktuell Innovation statt-                              Autor: Mag. Philipp Brunner (IWI)
findet: Digitalisierung, Vernetzung, Big Data, Intel-
ligente Fertigung, Automatisierung, Künstliche          Vgl. www.zukunftsinstitut.de
                                                        1

Intelligenz usw. Gleichzeitig muss jedoch auch Au-      Vgl. Engelhardt, S., Wangler, L., Wischmann, S. (2017), Eigenschaften
                                                        2

genmerk auf Hindernisse und Herausforderungen           und Erfolgsfaktoren digitaler Plattformen, Begleitforschung AUTONO-
gelegt werden, die unter anderem in den Rahmen-         MIK für Industrie 4.0
bedingungen und im regulatorischem Umfeld               Vgl. vbw – Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft e. V. (2017), Neue
                                                        3

Österreichs liegen. In der jüngsten Vergangenheit       Wertschöpfung durch Digitalisierung. Analyse und Handlungsemp-
waren Spannungsfelder im Zusammenhang mit               fehlungen, München
Plattformunternehmen vor allem in den Bereichen         Vgl. Begleitforschung Mittelstand-Digital (2019), Vernetzte Wert-
                                                        4

Gewerbe- und Arbeitsrecht sowie Daten- und Kon-         schöpfung. Plattformen, Wertschöpfungsnetzwerke und die Blockchain
sumentenschutz zu beobachten.                           für Prozess- und Geschäftsmodellinnovationen, Bad Honnef
                                                        Vgl. Rat für Forschung und Technologieentwicklung (2019), Ratsemp-
                                                        5

Um der Gefahr zu entgehen, ein immanent zukunfts-       fehlung zur Etablierung einer ganzheitlichen industrie- und technolo-
orientiertes Thema mit den Kategorien und Denk-         giepolitischen Strategie für Plattformökonomie in Österreich, Wien
weisen der Vergangenheit zu behandeln, muss der         6
                                                            Vgl. BMVIT, Ökonomie im digitalen Wandel, 18.09.2018

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Versorgungssicherheit und
        Lieferketten: ein globales Problem
        Was die Bedeutung der Lieferketten betrifft ist die Corona-Pandemie ein
        „Wachrüttler“, denn die letzten Monate haben bei vielen Unternehmen
        die Abhängigkeit von ihren Lieferketten deutlich gemacht.

        Die aktuelle Situation ist keine reguläre Lieferket- von ausländischen Lieferanten. Im Jahr 2019 mach-
        tenunterbrechung, wie sie von Streiks oder Unfäl- ten die österreichischen Importe von Vorprodukten
        len herrühren, sie ist in diesem Ausmaß und auch 41,5 Prozent der gesamten Einfuhren aus (Quelle:
        in ihren Folgen einzigartig. Und eines wird seit Be- Eurostat).
        ginn der Krise klar: Viele Unternehmen ha-
        ben das Ausmaß der Abhängigkeit von                                 Die Erfahrung, dass ganze Indust-

                                           33%
        ihren in- und ausländischen Lie-                                       rien wegen unterbrochener Lie-
        feranten unterschätzt. Jetzt gilt                                         ferketten zum Erliegen kom-
        es für die Unternehmen die                                                  men und wichtige
        Risiken neu zu bewerten,                                                     Medizingüter fehlen, hat
                                                                                                                   Foto: Marcin Jozwiak/Pexels

        ohne jedoch die Vorteile der                                                  uns nun noch klarer ge-
        Globalisierung leichtfertig                                                    macht, wie anfällig glo-
        aufs Spiel zu setzen. Viele                                                    bale Produktionsstruk-
        heimische Firmen bezie-                                                        turen sind. Das hat
        hen ihre Bauteile und                       der heimischen                     europaweit     Stimmen
        Komponenten mittlerweile                   Industriebetriebe                  laut werden   lassen, wie-
                                                  haben Zuliefer-
                                                    probleme.

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