Infonium PH Zug 1/2022 Rituale im Schulalltag

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Infonium PH Zug 1/2022 Rituale im Schulalltag
Infonium
 PH Zug 1/2022
 Rituale im Schulalltag

                  Pädagogische Hochschule Zug
Infonium PH Zug 1/2022 Rituale im Schulalltag
Inhalt

    Editorial                                               3
    Esther Kamm
    Was Rituale im Schulalltag bewirken                   4–6
    Luzia Bürgi und Markus Roos
    Führungs-Talk: Rituale in der Schulführung            7–8
    Christine Hofer und Thomas Bächer
    Literarisches Lesen als Ritual in der Schule         9–11
    Katarina Farkas
    Stimmen von Studierenden zu Ritualen im Schulalltag 12–13
    Drei Fragen an zwei Dozierende                      14–15
    Zentrum Mündlichkeit ZM                             16–17
    Klassenrat: Lernen durch ritualisierte Interaktion
    Stefan Hauser und Judith Kreuz
    Institut für Bildungsmanagement                     18–20
    und Bildungsökonomie IBB
    Pläne machen? Wie Jugendliche die Pandemie erleben
    Stephan Gerhard Huber und Manuela Egger
    «Haalari, SitSit und Co. –                          21–22
    so lässt’s sich in Finnland studieren!»
    Studierendenkolumne von Nicole Gisler
    Aus den Leistungsbereichen                             23
    Veranstaltungen24

2
Infonium PH Zug 1/2022 Rituale im Schulalltag
Editorial

              Liebe Leserinnen und Leser

              Ob Geburtstage, wiederkehrende Geschäftsanlässe oder «rites
              de passage» (Übergangsrituale) wie bei Hochzeiten: Rituale
              gehören zu unserem Alltag. Indem wir ein Ereignis gemeinsam
              begehen, stellen wir Gemeinschaft her. An der PH Zug habe
              ich das Ritual eingeführt, am Neujahrsanlass für alle Mitarbeiten-
              den einen Blick auf das neue Jahr zu werfen. Dazu greife ich
              auf das chinesische Horoskop zurück, das ein Tierzeichen mit
              einem Element verbindet: im Jahr 2022 der Wasser-Tiger. Was
Esther Kamm   positiv und stark ist, greife ich auf und verbinde es mit den
              Entwicklungen an der Hochschule. Auffällig ist, dass es jedes
              Jahr von Neuem heisst: Wer sich tüchtig anstrengt, gelangt zum
              Ziel – das allerdings wüssten wir auch ohne Horoskop!

              Pädagogische Rituale beginnen bereits im Kindergarten. Aber
              was unterscheidet eine wiederkehrende Handlung von einem
              Ritual? Dieser und weiteren Fragen gehen Luzia Bürgi und
              Markus Roos in ihrem Beitrag auf Seite 4 nach.

              Wir haben Studierende gefragt, welche Rituale ihnen im Prakti-
              kum an einer Schule begegnet sind. Sie schildern ihre Eindrücke
              und Erlebnisse auf Seite 12.

              Das Zentrum Mündlichkeit hat sich aus einer forschungsmäs­
              sigen Sicht mit dem Klassenrat auseinandergesetzt. Stefan
              Hauser und Judith Kreuz zeigen verschiedene Aspekte dieser
              bewährten Gesprächsform mit Schülerinnen und Schülern
              auf (Seite 16).

              Ich wünsche Ihnen eine anregende Lektüre.

              Prof. Dr. Esther Kamm
              Rektorin

                                                                                   3
Infonium PH Zug 1/2022 Rituale im Schulalltag
Was Rituale im Schulalltag bewirken

                                    Ein Ritual von einer Handlungsroutine zu             Spiritualität, Konzentration, Zugehörigkeit, Mit-
Funktionen von Ritualen             unterscheiden, ist manchmal gar nicht ein­           verantwortung oder Orientierung an «Grösse-
Rituale können im schulischen       fach. Beides sind wiederkehrende Tätigkei­           rem». Damit ist beispielsweise gemeint, sich von
Kontext gemäss Kaiser (2003,        ten. Doch hinter Ritualen steckt mehr – die          einer Gemeinschaft getragen zu fühlen.
S. 12) folgende Funktionen über-
nehmen:
                                    Kinder können durch Rituale Geborgenheit,
                                    Halt und Sicherheit er­fahren.                       Wie sich Rituale von Gewohnheiten unter-
– eine Quelle der Geborgenheit
                                                                                         scheiden
  sein
– eine Möglichkeit, Sicherheit zu   Rituale sind in unserem Alltag allgegenwärtig.       Zu den Merkmalen, die ein Ritual von Gewohn-
  gewinnen                          So wird etwa der Griff zum Handy, zur Zigarette      heiten, Brauchtum und regulierenden Prozedu-
– Vorhersagbarkeit in komplexen     oder das abendliche Zähneputzen häufig als           ren unterscheiden, gehören (vgl. Fischedick,
  gesellschaftlichen Strukturen
                                    Ritual bezeichnet. Bei genauerem Hinsehen            2004, S. 14ff.):
  geben
– ein Gegengewicht zu rapiden       stellt sich aber die Frage, ob es sich dabei wirk-   – Anlass: Ein Ritual steht in Zusammenhang mit
  gesellschaftlichen Veränderun-    lich um Rituale handelt.                               zeitlichen, räumlichen, biologischen oder so-
  gen sein                                                                                 zialen Veränderungen (z. B.: Tagesanfang
– eine Chance, überschaubare,
                                    Rituale haben einen hohen Symbolgehalt                 oder -ende).
  konkrete Sozialräume zu
  schaffen                          Der Begriff Ritual wurde vom lateinischen Aus-       – Ordnung: Rituale haben einen bewussten An-
                                    druck ritualis abgeleitet. Er beschreibt eine nach     fang und ein klar ersichtliches Ende. Ein Ri-
                                    vorgegebenen Regeln ablaufende, meist formelle         tual wird geplant und es geht ihm ein förm-
                                    und oft feierlich-festliche Handlung mit hohem         licher Beschluss oder eine feierliche Absicht
                                    Symbolgehalt. Begleitet wird ein Ritual häufig         voraus. Es wird daher nie zufällig durchge-
                                    von bestimmten Wortformeln und festgelegten            führt (z. B.: Die spontane Feier zur Entde-
                                    Gesten (vgl. Wikipedia, 2021). Rituale haben           ckung der ersten Frühlingsblume gilt somit
                                    einen definierten Anfang und ein klares Ende.          nicht als Ritual).
                                    Sie grenzen sich von Handlungsroutinen (Zähne        – Form: Rituale sind förmlich und im Ablauf ste-
                                    putzen, Hefte einsammeln) ab. Dies geschieht           reotyp, sodass sie jederzeit nachahmbar und
                                    durch Merkmale wie Feierlichkeit, Erhabenheit,         wiederholbar sind (z. B.: Das Ritual im Mor-

                                                                                                          Rituale können dazu dienen, dem
                                                                                                          Schulalltag einen gleichmässigen
                                                                                                          Rhythmus zu verleihen.

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Infonium PH Zug 1/2022 Rituale im Schulalltag
Gemeinsame Rituale stärken den
           Klassenzusammenhalt.

  genkreis beginnt immer mit dem Abreissen          re Erwartungen an das Kind stellt (z. B.:
  des Kalenderblattes und endet mit der indivi-     Mit sechs Jahren trauen die Eltern dem Kind      Gütekriterien von Ritualen
  duellen Wahl des Freispielangebots.)              das Fahrradfahren zu (Geschenk: Fahrrad)         Rituale sollten folgende Gütekrite-
– Motiv: Durch das Motiv, das einem Ritual zu-      oder es bekommt ein Erwachsenenbett; es          rien erfüllen:
  grunde liegt, erhalten alltägliche Handlungen     verliert die ersten Zähne oder es geht neu zur   – Rituale werden gemeinsam
  und Gegenstände eine gewisse Erhabenheit          Schule).                                           durchgeführt und getragen.
                                                                                                     – Rituale bestehen aus festen, sich
  (z. B.: Die Kerzen werden bei der Geburts-
                                                                                                       wiederholenden Handlungs­
  tagsfeier bewusst als Zeichen für jedes ge-                                                          mustern.
  lebte Jahr angezündet). Die Bedeutung des              «[…] bei Kindern unterstützen Rituale       – Rituale bilden ein bestimmtes
  Gegenstands liegt nicht mehr in seinem Ge-             die gesunde Entwicklung beachtlich.           soziales System.
                                                                                                     – In Ritualen kommt eine gemein-
  brauchswert (Kerze als Lichtquelle), sondern           Sie fördern die Selbstständigkeit,
                                                                                                       same Leitidee zum Ausdruck.
  in seinem emotionalen Wert.                            schulen das Denkvermögen und den            – Rituale haben einen besonderen
– Archetypische Symbole (Urbilder): Es braucht           Ordnungssinn, helfen Krisen zu be-            Charakter, der sie von Alltagsfor-
  dazu zeit- und kulturübergreifende, mit Emo-           wältigen und sich an bestimmten               men abhebt.
                                                                                                     – Rituale sind immer ganzheitlich
  tionen verbundene Handlungsformen und                  Werten zu orientieren, sie vermitteln
                                                                                                       angelegt und umschliessen emo-
  Symbole. Diese sollten von allen Kulturen              Vertrauen und Sicherheit. Darüber             tionale Dimensionen.
  unbewusst verstanden werden. Beispiel: Das             hinaus helfen Rituale einem Kind,           – Rituale bekommen für die betei-
  Legen eines Steinkreises, das als Zentrierung          sich seiner Identität bewusst zu wer-         ligten Personen einen hohen
                                                                                                       Stellenwert und entwickeln sich
  und Abgrenzung verstanden und vollzogen                den.»
                                                                                                       zu unverzichtbaren Formen.
  wird. Archetypische Symbole sind Blume, Mu-             (Kunze & Salamander, 2008, S. 51)         – Rituale sind an ein bestimmtes
  schel, Weg, Farben, die vier Elemente usw.                                                           szenisches Arrangement gebun-
  (vgl. Wikipedia, 2021)                                                                               den.
                                                                                                     – Rituale sind an bestimmte ge-
– Wechsel: Jedes Ritual ist mit einem spürbaren   Rituale regelmässig hinterfragen
                                                                                                       genständliche Elemente gebun-
  Wandel verbunden, durch den entweder eine       Rituale bergen Chancen und Risiken. In einer         den, die zum Teil festgelegt, zum
  neue Kompetenz oder ein neuer Status er-        sich schnell verändernden Gesellschaft verlie-       Teil variabel sind.
  worben wird. Ein Geburtstagsritual steht am     ren Rituale rasch ihren Sinn und werden zu         (Kaiser, 2003, S. 5)
  Übergang in ein neues Lebensjahr, das ande-     leeren, sinnfreien Handlungen, sofern sie nicht
                                                                                                                                           5
Infonium PH Zug 1/2022 Rituale im Schulalltag
Wenn Lehrpersonen Rituale sinnvoll
                                                                                                             einsetzen, können sie damit Gefühle
                                                                                                             regulieren.

                                       mit neuem Sinn gefüllt werden. Dieser Grund-          gen und Reflexionen einzusetzen sind. Und sie
Literatur                              satz gilt auch für Schulklassen. Rituale dienen       funktionieren nur, wenn sie mit einer gewissen
Fischedick, H. (2004). Die Kraft der   dazu, dem Schulalltag einen gleichmässigen            Ernsthaftigkeit umgesetzt werden. Ein Beispiel:
Rituale. Stuttgart: Kreuz Verlag       Rhythmus zu geben. Sie vermitteln den Kindern         Der Rundgang um die Geburtstagskerze würdigt
GmbH.
                                       Halt, Sicherheit und Geborgenheit, stärken ihr        ein erfülltes Lebensjahr eines Kindes. Wie ein-
Hüsten, G., Gruber, I. & Winkler-      Wohlbefinden und ermöglichen ihnen ein angst-         zigartig ein Lebensjahr eines Menschen ist,
Menzel, R. (2000). Hilfreiche Ritua-
                                       freies Lernen. Wenn Lehrpersonen Rituale sinn-        steht im Vordergrund. Es geht nicht darum, die
le im Grundschulalltag: Erprobte
Ideen, praktische Tipps, Klasse 1–4.   voll einsetzen, strukturieren sie den Unter-          Kerze möglichst schnell zu umrunden. Damit
München: Oldenburg.                    richtsalltag und regulieren Gefühle. Dies ist         dieses Ritual seine Wirkung erzielt, braucht es
Kaiser, A. (2003). 1000 Rituale für    aber nur möglich, wenn sie den Kindern und der        eine einfühlsame Begleitung durch die Lehrper-
die Grundschule. Hohengehren:          Lehrperson etwas bedeuten – das heisst auch,          son. Zudem setzt es ein Wissen um die Bedeu-
Schneider.                             dass sie akzeptiert und freiwillig praktiziert wer-   tung solcher Gemeinschaftserfahrungen voraus.
Kunze, P. & Salamander, C.             den. Sobald ein Ritual von Sinn entleert ist, nur     Die Kinder spüren sehr wohl, dass das etwas
(2008). Die schönsten Rituale für      noch automatisiert abläuft und damit die Ernst-       anderes ist, als via Handy einen elektronischen
Kinder. Augsburg: Weltbild.
                                       haftigkeit verliert, muss es hinterfragt und er-      Geburtstagsgruss entgegenzunehmen.
Wikipedia. (2021). Wikipedia:          neuert (bzw. ersetzt) werden (vgl. Hüsten, Gru-
Ritual. https://de.wikipedia.org/      ber & Winkler-Menzel, 2000, S. 11f.).                 Luzia Bürgi und Markus Roos, Co-Fach-
wiki/Ritual. Verifiziert am
25.01.2022.
                                                                                             schaftsleitung Bildungs- und Sozialwissen-
                                       Ernsthaftigkeit und Bedeutung beimessen               schaften
                                       Rituale sind anspruchsvolle pädagogische Hand-
                                       lungen, die mit entsprechenden Vorüberlegun-

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Infonium PH Zug 1/2022 Rituale im Schulalltag
Führungs-Talk: Rituale in der Schulführung

Christine Hofer, Leiterin der Beratungs­           Das bunte Leben wirbelt uns derzeit viele Über-
stelle für Bildungsfachleute an der PH Zug,        raschungswundertüten in den Alltag – sowohl
unterhält sich im Führungs-Talk mit Thomas         beruflich als auch privat. Wie gelingt es dir, den
Bächer, Rektor der Academia Engiadina              Fokus nicht zu verlieren? Hast du feste Rituale
(Mittelschule), Samedan. Thomas Bächer             eingerichtet?
erzählt via Teams, welche Rituale ihm wichtig      Die eigentliche Arbeit als Führungsperson be-
sind und welche sich in der Schulführung           ginnt bei mir als Mensch, als Persönlichkeit auf
als besonders hilfreich erweisen.                  dem eigenen Lernweg. Die Flut an Informati­
                                                   onen, E-Mails und Anfragen ist immens. Erwar-
Christine Hofer: Thomas, wir haben unseren         tungen der unterschiedlichen Anspruchsgrup-
PH-internen Austausch vor einiger Zeit rituali-    pen sind dauerpräsent. Also schaffe ich mir
siert, das heisst, wir haben ein fixes wöchent-    Inseln der Ruhe und Konzentration. Denn: Wie
liches Zeitfenster eingerichtet. Aus meiner        soll ich meine Arbeit gut machen, wenn ich kei-
Sicht hat dies mehr Vorausdenken und -planen       ne Zeit zum Nachdenken, Reflektieren und Ent-
ermöglicht, anstatt den Entwicklungen tenden-      wickeln habe? Also habe ich immer am Dienstag
ziell hinterherzulaufen. Dieses Vorausdenken ist   um 11.00 Uhr eine Sitzung MIT MIR SELBST.
in der Führungsarbeit sehr wichtig. Ein inneres
waches, mentales Vorwegnehmen und -fühlen
von künftigen potenziellen Bewegungen inner-               «Ich schaffe mir Inseln der Ruhe und
halb des Systems stärkt die eigene Selbstwirk-             Konzentration. Jeden Dienstag um
samkeitserfahrung im Steuerungs-Ich. Während               11.00 Uhr habe ich eine Sitzung mit
ein eher reaktives Nachvollziehen bis hin zu               mir selbst.»
einem Überrolltwerden von unerwarteten Dyna-
miken mit eher schwächenden und überfordern-
den Kontrollverlusterfahrungen einhergehen         Nun ist Führung – wie auch das Unterrichten
kann.                                              und das Beraten – im Kern eine hochkomplexe
                                                   professionelle Beziehungsgestaltungsaufgabe.
                                                   Welche ritualisierten Begegnungs- und Zusam-
       «Vorausdenken ist in der Führungs-          menarbeitsformen pflegst du innerhalb deiner
       arbeit sehr wichtig. Ein waches Vor-        Belegschaft?
       wegnehmen und -fühlen von künfti-           Vor der Coronapandemie war es als Lehrperson
       gen Bewegungen stärkt die eigene            sehr wichtig, jedem Kind die Hand zu geben,
       Selbstwirksamkeitserfahrung.»               ihm in die Augen zu schauen und es persönlich
                                                   zum Unterricht zu begrüssen. Heute ist es der
                                                   bewusste Gang «maskiert» durch die Schulge-
Christine Hofer: Im Austausch mit dir sind mir     bäude, ein freundlicher Augenkontakt und eine
Rituale begegnet, die du als Führungsperson        herzliche Begrüssung auf Distanz. Dennoch war
ganz bewusst pflegst, um den erwähnten «Vor-       es mir vor Kurzem sehr wichtig, mehreren enga-
sprung» gegenüber deinem System herzustellen       gierten Mitarbeitenden während eines Sams-
und den perspektivischen Zukunfts- und Mög-        tageinsatzes meine Wertschätzung auszudrü-           Beratungsstelle für
                                                                                                        Bildungsfachleute
lichkeits-Raum mental zu halten.                   cken. Dies geschah sehr bewusst und
Thomas Bächer: Nach den Ferien mache ich           persönlich, mit klarem Blickkontakt und einem        Die Beratungsstelle für Bildungs-
                                                                                                        fachleute bietet prozessorientierte
jeweils einen Rundgang durch die noch leeren       festen Händedruck. Eine scheinbar kleine Geste
                                                                                                        Begleitungen an – sowohl in päda-
Schulgebäude und nehme wahr, was ist, was es       mit grosser Wirkung – die Mitarbeitenden füh-        gogischen, psychologischen Be-
noch braucht, was fehlt, wo Mängel sind oder       len sich in ihrem Beitrag, in ihrem zusätzlichen     langen als auch in Fragen des
auch, welche Stimmung in den Gebäuden              Engagement, gesehen.                                 Managements, der Zusammen-
                                                                                                        arbeit und der Personalentwick-
herrscht. Diesen Gang mache ich bewusst, be-
                                                                                                        lung. Das Angebot richtet sich an
vor der Betrieb wieder losgeht, und auch zwi-                                                           Lehr-, Führungs- und Betreuungs-
schendurch. Jedes Mal, wenn ich durch die ein-             «Auch eine kleine Geste – wie ein            fachpersonen von Schulen, Mit-
zelnen Zimmer fokussiert und mit innerer                   persönlicher Händedruck – kann               arbeitende und Studierende der
                                                                                                        PH Zug sowie an Mitarbeitende
Freude schreite, schaffe ich energetisch den für           Wertschätzung ausdrücken.»
                                                                                                        und Führungspersonen von schul-
mich wichtigen Raum für Entfaltung – für alle,                                                          ergänzenden Betreuungsange­
die hier arbeiten.                                                                                      boten.
                                                   Nähe und Distanz sind nicht erst in Pandemie-        beratung-bildungsfachleute.phzg.ch
                                                   zeiten zum Thema geworden. Als Führungsperson
                                                                                                                                          7
Infonium PH Zug 1/2022 Rituale im Schulalltag
gehörst du hierarchisch zu einer anderen Ebene      PH Zug aufgrund deiner Lehrerausbildung in
                                    als deine Mitarbeitenden. Wie gehst du mit dieser   den 90er-Jahren bestens. Welches Ritual ist
                                    hierarchischen Distanz um?                          dir aus deiner «St. Michaels-Zeit» in Erinnerung
                                    Bei der Beziehungspflege zu den Mitarbeiten-        geblieben?
                                    den helfen «Classroom Walkthroughs». Diese          Die Strukturen der Schülerorganisation (Schü-
                                    haben sich gut etabliert und finden in regelmäs-    lerchef, Tutor, Pontifex, Klassenchefs etc.), wel-
                                    sigen Abständen statt: Immer mal wieder werfe       che ritualisierte Besprechungen hatten, beein-
                                    ich einen Blick in die Schulzimmer. Spontan,        drucken mich noch heute. Beispielsweise trafen
                                    unangekündigt, wertschätzend und hilfreich, um      sich der Schülerchef, der Tutor und die Klassen-
                                    gemeinsam mit den Lehrpersonen zu reflektie-        chefs regelmässig mit dem Direktor.
                                    ren, Eindrücke auszutauschen und Ideen zu ent-      An unserer Engadiner Schule pflegen wir diese
                                    wickeln. Und: Nehme ich Spannungsfelder un-         Kultur auch und führen jährlich drei bis vier
                                    ter den Mitarbeitenden wahr, gehe ich häufiger      Klassenchefkonferenzen durch. Diese leiten
                                    ins Lehrpersonenzimmer, um spontan und infor-       zwei ältere Lernende – nach Vorbesprechungen
                                    mell ansprech- und spürbar zu sein.                 mit mir. Dieser Austausch wird von Seiten der
                                                                                        Lernenden sehr geschätzt. Er gibt ihnen die
                                    Nun gibt es auch die fest installierten formalen    Möglichkeit, in einem vorgegebenen Rahmen
                                    Rituale wie Mitarbeitendengespräche (MAG),          ihre Anliegen, Gedanken oder Bedenken direkt
                                    die der Qualitätssicherung und Weiterentwick-       einzubringen. Mir bieten sie Gelegenheit, die
                                    lung dienen. Wie erlebst und gestaltest du diese    Lernenden in ihrem O-Ton abzuholen.
                                    vorgegebenen Rituale?
                                    Ich lege den MAG-Rhythmus selbst fest. Es           Warum ist dir gerade dieses Ritual so wichtig?
                                    muss nicht jedes Jahr gleich sein. Im Gespräch      Als Führungsperson ist es zentral, alle Men-
                                    leite ich meine Fragen so, dass sich die Mit-       schen im System zu maximaler Mit- und Selbst-
                                    arbeitenden reflektieren und mitteilen können.      verantwortung zu ermutigen. Das heisst für
                                    Positives wird hervorgehoben, Entwicklungs-         mich, die Entscheidungsräume nicht zu eng zu
                                    potenzial direkt angesprochen. Diese Gesprä-        halten, Verantwortung nach unten zu delegie-
                                    che bieten den Mitarbeitenden die Möglichkeit,      ren, achtsam zuzuhören, die Menschen in ihrem
Thomas Bächer                       mir als Rektor ein direktes Feedback zu geben       Potenzial zu sehen und einzubinden, damit das
                                    und mir zu spiegeln, wie sie mich in meiner Füh-    System als Ganzes gedeihen kann.
Thomas Bächer ist seit März 2021
Mitarbeiter der Beratungsstelle,    rungsrolle wahrnehmen. Sie erleben mich da
die reflexive Gespräche/Coachings   als sehr offenen Zuhörer.                           Die Fragen stellte Christine Hofer, Leiterin
für sämtliche Bildungsfachleute –                                                       der Beratungsstelle für Bildungsfachleute an
auch für Führungspersonen – an-
                                                                                        der PH Zug.
bietet.
                                           «In Mitarbeitendengesprächen
                                           bin ich ein offener Zuhörer. Meine
                                           Fragen leite ich so, dass sich die
                                           Mitarbeitenden reflektieren und
                                           mitteilen können.»

                                    Du hast als «Neo-Engadiner» deine wahren
                                    Wurzeln im Kanton Zug. In Hünenberg bist du
                                    aufgewachsen. Anschliessend hast du das
                                    Lehrerseminar St. Michael in Zug besucht. Du
                                    kennst also die Vorgängerinstitution der
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Infonium PH Zug 1/2022 Rituale im Schulalltag
Literarisches Lesen als Ritual in der Schule

Der kompetenzorientierte Lehrplan 21 eröff­           was zeigt, dass es von Zyklus 1 bis 3 als wichti-
net neue Möglichkeiten für ritualisierte Akti­        ge auszubauende Kompetenz gilt. Literarisches
vitäten im sprachlichen Lernen. Im Fokus              Lesen wird im Lehrplan 21 in den Bereichen
dieses Artikels steht das (literarische) Le­          «Lesen» und «Literatur im Fokus» thematisiert.
sen. Er beleuchtet, wie Lehrpersonen andere           Lernende brauchen für das literarische Verste-
Teilkompetenzen aus dem Bereich Deutsch               hen Zeit und Unterstützung durch die Lehrper-
im Zusammenhang mit literarischem Lesen               son. Wie bei allem Lernen sind Lehrpersonen
fördern können.                                       Vorbilder, sie begleiten und fördern. Sie über-
                                                      nehmen eine aktive Rolle.
                                                      Im Zyklus 1 werden Grundlagen für das literari-
Im Folgenden werden Rituale, ausgehend vom            sche Verstehen mittels Bilderbücher und Ge-
Lehrplanbereich «Literatur im Fokus», mit den         schichten geschaffen, zum Beispiel, indem die
Bereichen «Schreiben», «Zuhören» und «Spre-           jungen Kinder Geschichten mit Chiffontüchern
chen» erläutert und miteinander in Verbindung         und Figuren nachlegen, sich im Anschluss an
gebracht. An Beispielen wird die untenstehende        die Begegnung mit der Literatur verkleiden und
Grafik aus der Broschüre «Kompetenzorientier-         Rollenspiele durchführen oder sich über Figuren
ter Unterricht» (Krieg & Hess, 2017, S. 14), mit      und Handlungen mündlich austauschen. «Die
ausgewählten Lehrplanbereichen Deutsch ex-            Schülerinnen und Schüler können in einem Bild
emplarisch und konkret erläutert.                     eine Figur oder eine Handlung erkennen» (DBK
                                                      Kanton Zug, 2018, D.2C, 1a). Diese Kompetenz
(Literarisches) Lesen als Ritual                      erwerben Lernende nicht nur in angeleiteten
Dem (literarischen) Lesen sind im Lehrplan            Situationen, sondern auch in der freien Lesezeit.
Deutsch zwei von sechs Bereiche gewidmet,             Bereits im Zyklus 1 kann die Lehrperson der

                                                                                                              Abb. 1: Ansprüche an den kompe-
                                                                                                              tenzorientierten Unterricht (Krieg &
                                                                                                              Hess, 2017, S. 14).

                                                             Erfolgserlebnisse

                                                                                            Instruktion und
                                Erfahrungswelt                                              Konstruktion

                                                                                                                       Feedback
                        Reflexion des
                        Lernfortschritts

                                                                                                     Transparente Lern-
                                                                                                     und Leistungs-
                                                                                                     erwartung

                                 Spiralprinzip und
                                 kumulativer Kompe-
                                 tenzaufbau
                                                                       Differenzieren und
                                                                       Individualisieren

                                                                                                                                                 9
Infonium PH Zug 1/2022 Rituale im Schulalltag
Klasse zwei Mal pro Woche 10–15 Minuten Zeit         mann, 2003). Das Lesetagebuch können Ler-
Fachberatungen im Bereich            geben für Bilderbücher oder geeignete Erstlese-      nende bereits im Zyklus 1 verfassen, wobei der
Deutsch und Deutsch als
                                     texte. Diese Lesezeit, in der sich Lernende aktiv    Anteil der Texte knapp ist, dafür andere Formen
Zweitsprache
                                     mit Lesestoff auseinandersetzen, sollte attraktiv    der Auseinandersetzung mit dem Gelesenen
Die PH Zug bietet professionelle
                                     gestaltet und ein festes Ritual sein. Findet die     stattfinden.
Angebote zu fach- und unterrichts-
bezogenen Themen und Frage­          freie Lesezeit regelmässig statt, trägt dies zum
stellungen an. Lehrpersonen und      kumulativen Kompetenzaufbau bei (vgl. Abb.1).        Feedback geben und Ziele festhalten
Schulteams erhalten fachliche        Eine Individualisierung (vgl. Abb. 1) ergibt sich,   (Literarisches) Lesen, das mündliche oder schrift­
Anregungen, die im Austausch
                                     wenn die Lernenden ihre Lektüre selbst aus-          liche Verarbeiten von Texten, braucht Zeit. Be-
vertieft werden können.
                                     wählen dürfen. Wichtig ist, dass alle Kinder bei     sonders erfolgsversprechend und förderorien-
Die ersten 30 Minuten Beratung       der Wahl der Lektüre angeleitet werden und           tiert sind regelmässige, ritualisierte Formen.
sind für Lehrpersonen und Schul-
leitungen im Kanton Zug kosten-
                                     dabei ermutigende Unterstützung durch die            Statt zu beurteilen, hat die Lehrperson in die-
los.                                 Lehrperson erleben.                                  sen Kontexten die Chance, das Lesen und die
                                                                                          damit verbundenen mündlichen und schrift­
dienstleistungen.phzg.ch
                                     Lernzuwachs mit einem Lesetagebuch                   lichen Produkte förderorientiert zu kommentie-
                                     reflektieren                                         ren und Feedback (vgl. Abb. 1) zu geben. Mit
                                     Das ritualisierte Lesen von literarischen Texten     dem Feedback sind Hinweise der Lehrperson,
                                     ab dem Zyklus 2 erfolgt im Rahmen einer freien       wie sich die Einzelnen weiterentwickeln können
                                     Lesezeit, die je nach Klassenstufe wöchentlich       (Instruktion und Konstruktion, vgl. Abb. 1),
                                     20–45 Minuten umfasst. Sie bietet sich für den       gemeint. Solche Gespräche tragen zum Erfolgs-
                                     Kompetenzausbau in weiteren Bereichen, z. B.         erlebnis (vgl. Abb. 1) der Lernenden bei. Wenn
                                     Mündlichkeit und Schreiben, an. Dabei ist wich-      die Lehrperson die individuellen Ziele beim
                                     tig, dass die Lernenden ihren Lernzuwachs re-        Erstgespräch erläutert und schriftlich festhält,
                                     flektieren (vgl. Abb. 1), indem sie beispielswei-    können sie bei einem nächsten Gespräch über-
                                     se ein Lesetagebuch schreiben und sich mit der       prüft werden. Dabei wird idealerweise ein Erfolg
                                     Lehrperson über Gelesenes oder die Inhalte des       sichtbar.
                                     Lesetagebuchs austauschen. Anregungen dazu,
                                     was Schülerinnen und Schüler in einem Lese-          Lesefreundliche Klassenzimmer
                                     tagebuch festhalten sollten, gibt es beispiels-      und die Rolle der Bibliothek
                                     weise in der didaktischen Einführung im Lehrer-      Viele Tipps zum lesefreundlichen Klassenzim-
                                     kommentar des Lesebuchs «federleicht &               mer finden sich in der Broschüre «So macht
                                     vogelfrei» (Wenzinger, Löliger & Bertschi-Kauf-      Lesen Freude – Leseförderung konkret» (DVS

                                                                                                           Lernende leihen Bücher aus, die sie
                                                                                                           in der freien Arbeitszeit lesen.

10
Eine gemütliche Atmosphäre unter-
        stützt die Freude am Lesen.

Kanton Luzern, 2019). Für die freie Lesestunde     an Publikationen mit praktischen Hinweisen
leihen sich alle Lernenden in der Bibliothek       dazu haben unter anderem Kaspar Spinner und
eines oder mehrere Bücher aus, die sie während     Gerhard Haas verfasst. Die Empfehlungen die-
der freien Arbeitszeit lesen. Diese Phase des      ser beiden Autoren sind Grundlagen für den
Lernens bietet eine Chance, die überfachlichen     Lehrplanbereich «Literatur im Fokus» (DBK Kan-
Kompetenzen zu erweitern und zu vertiefen. Es      ton Zug, 2018, D.6., 1). Dort steht explizit, dass
geht um die personalen (z. B. Kann ich still und   die Lernenden sich «spielerisch und kreativ ge-
konzentriert ein Buch lesen?), sozialen (z. B.     staltend» mit literarischen Texten auseinander-
                                                                                                        Literatur
Kann ich mich in eine Figur eindenken und mich     setzen. Diese Zugangsweisen machen Literatur
mit ihr auf eine imaginäre Reise begeben?) und     erlebbar und ermöglichen einen Bezug zur             Dienststelle Volksschulbildung
                                                                                                        (DVS) Kanton Luzern (2019).
methodischen Kompetenzen (z. B. Kann ich mir       Erfahrungswelt (vgl. Abb. 1).                        So macht Lesen Freude. Leseförde-
Ziele der freien Lesezeit setzen und einzelne                                                           rung konkret. Aktual. Auflage.
Schritte gezielt planen?).                         Für das in Klassenzimmern verbreitete «Pult-         volksschulbildung.lu.ch. Verifiziert
Um das Klassenzimmer lesefreundlich zu ge-         buch», in dem jeweils für wenige Minuten ge-         am 22.02.2022.

stalten, wird in einigen Klassen im Technischen/   lesen wird, eignen sich Bücher mit kurzen            Direktion für Bildung und Kultur
Textilen Gestalten ein Bezug für ein Kissen ge-    Texten wie Witzen und Anekdoten, mit Erklä­          (DBK) Kanton Zug (2018).
                                                                                                        Lehrplan 21 Kanton Zug. zg.ch/
näht, welches die Lernenden für die freie Lese-    rungen zu Redewendungen oder Zeitschriften.          behoerden/direktion-fur-bildung-
zeit nutzen können, um es sich irgendwo im         Romane sind nicht zu empfehlen, da man für           und-kultur/amt-fur-gemeindliche-
Klassenzimmer gemütlich einzurichten. Solches      das Lesen eines Romans längere Zeiteinheiten         schulen/inhalte-ags/lehrplan-21.
trägt zum lesefreundlichen Klassenzimmer bei.      braucht, um in die Geschichte einzutauchen.          Verifiziert am 22.02.2022.

                                                                                                        Haas, G. (2021). Handlungs- und
Lernende setzen sich spielerisch mit               Katarina Farkas, Fachschaftsleiterin                 Produktionsorientierter Literatur-
                                                                                                        unterricht. Theorie und Praxis eines
literarischen Texten auseinander                   Fachdidaktik Deutsch und Deutsch als
                                                                                                        «anderen» Literaturunterrichts für
Der Gruppenaustausch über Gelesenes sowie          Zweitsprache                                         die Primar- und Sekundarstufe.
die Gestaltung von Fotoromanen, Zeichnungen                                                             14. Aufl. Seelze: Kallmeyer Klett.
und Figurenbeschreibungen dienen dem literari-                                                          Krieg, M. & Hess, K. (2017).
schen Verstehen und können mit weiteren Kom-                                                            Kompetenzorientierter Unterricht.
petenzen, beispielsweise der Medienbildung,                                                             Orientierung. Zug: DBK, AgS.
kombiniert werden. Weitere Ideen dazu finden                                                            Wenzinger, R., Löliger, W. & Bert-
sich nicht nur in der erwähnten Broschüre, son-                                                         schi-Kaufmann, A. (2003). Kom-
dern auch in der Fachliteratur unter dem Stich-                                                         mentar zum Lesebuch 4. Schuljahr
                                                                                                        federleicht & vogelfrei. Buchs: Lehr-
wort «handlungs- und produktionsorientierte                                                             mittelverlag des Kantons Aargau.
Verfahren» (vgl. auch Haas, 2021). Eine Vielzahl
                                                                                                                                            11
Rituale im Schulalltag:
Studierende berichten von ihren Praxiserfahrungen

                          Studentinnen und Studenten der PH Zug
                          begleiten während ihrer Praxiseinsätze
                          bereits selbständig Rituale mit den Kindern.
                          Wir haben sie zu ihren Erfahrungen und
                          Erkenntnissen befragt.

        «An vielen Ritualen halten die Kinder
        fest. Ein Beispiel: Wir singen jeden
        Morgen im Kreis dasselbe Lied. Ich
        würde das schon lange gerne ändern,
        aber die Kinder wollen davon nichts
        wissen.»
        Claudia Torriani, Kindergärtnerin im Studium
        Stufenerweiterung Primarstufe

                                                                         «Rituale eignen sich sehr, um den Un-
                                                                         terricht aufzulockern. Man kann mit
                                                                         Ritualen gut Übergänge gestalten und
                                                                         die Kinder sind stets mit viel Freude
                                                                         dabei.»
                                                                         Stefanie Mahler, Studentin Kindergarten/Unterstufe

        «Ich finde, Rituale sollten ein
        ‹Safe Space› sein. Wenn ein
        scheues Kind den wöchentlichen
        Klassenrat nicht leiten will, muss
        es das auch nicht. Die Kinder
        sollten sich von den Ritualen nicht
        unter Druck gesetzt fühlen.»
        Marc Petrovic, Student Primarstufe

12
«Bei den Ritualen kehrt Ruhe ein. Und
wenn nicht – fordern Kinder diese un-
tereinander ein. Es sind gemein-
schaftliche, feierliche Erlebnisse, die
den Kindern sehr wichtig sind.»
Leila Brunner, Studentin Kindergarten/Unterstufe

                                                   «Mir gefallen Rituale besonders,
                                                   wenn sie der gesamten Klasse Freude
                                                   bereiten. Ein Beispiel: Das Geburts-
                                                   tagskind darf ein Spiel wünschen, das
                                                   nachher die ganze Klasse spielen
                                                   darf.»
                                                   Adrian Uhr, Student Primarstufe

«Ein Ritual am Anfang lässt die Kinder
in Ruhe ankommen. Mir gefallen vor
allem Rituale in Kombination mit
Musik. Meine Erfahrung hat gezeigt,
dass Rituale nicht zu lange dauern
sollten.»
Janine Hefti, Studentin Kindergarten/Unterstufe

                                                                                           13
Drei Fragen an …

                                       … Roland Isler
                                       Welchen Stellenwert haben Rituale für dich?
                                       Für mich persönlich ist es zu einem Ritual ge-
                                       worden, dass ich jeweils kurz vor Lehrveranstal-
                                       tungen an der PH Zug einen Moment innehalte,
                                       mich auf den Atem fokussiere, um ganz ins Hier
                                       und Jetzt zu kommen. Gleichzeitig spreche ich
                                       mir stärkende Affirmationen zu. Dies hilft mir,
                                       mich positiv auf den Unterricht einzustimmen
                                       und erwartungsfroh die Studierenden zu emp-
                                       fangen.

                                       Du warst früher Primarlehrer. Welche Erfahrun-
Roland Isler, Dozent Bildungs- und     gen mit Ritualen sind dir besonders in Erinne-
Sozialwissenschaften, PH Zug           rung geblieben?
                                       Das Singen mit der Klasse bei Unterrichts­
                                       beginn, die Phantasiereisen zur Entspannung
                                       oder mein Vorlesen am Freitagnachmittag
                                       waren Rituale, welche die Kinder und ich selbst
                                       sehr schätzten.

                                       Welche Erkenntnisse ziehst du aus diesen
                                       Ritualen?
                                       In den oben genannten Beispielen zeigen sich
                                       Rituale als Handlungsroutinen in einer Über-
                                       gangssituation, z. B. als Einstimmung auf etwas
                                       Neues oder als Abschluss einer Situation
                                       (Schulschluss am Freitag). Sie beinhalten aber
                                       auch Handlungen, welche die emotionale Be-
                                       findlichkeit verändern oder durch gemeinsame
                                       Aktivitäten – wie das gemeinsame Singen –
                                       Verbundenheit stiften.

  Das gemeinsame Singen bei Unter-
richtsbeginn haben beide als beson-
  ders schönes Ritual in Erinnerung.

14
… Rahel Katzenstein
Welchen Stellenwert haben Rituale für dich?
«Alles hat seine Zeit», heisst es im biblischen
Weisheitsbuch Kohelet. Allem seine Zeit zu
geben heisst, die Vielfalt des Lebens zu würdi-
gen. Rituale können helfen, den verschiedenen
Dingen im Leben ganz bewusst ihren Raum
zu geben, sodass nicht alles ineinander zu
einem braunen Mus verfliesst. Es heisst, die
Schule habe aufs Leben vorzubereiten. Was
aber ist «das Leben»? Das Leben findet dort
statt, wo WIR SIND. Ganz da zu sein ist jedoch
gar nicht so einfach, in einer Welt, in der im
Sekundentakt E-Mails, WhatsApp- und Push-                                             Rahel Katzenstein, Dozentin
nachrichten eintreffen und wir unter Druck                                            Fachdidaktik Natur, Mensch,
                                                                                      Gesellschaft, PH Zug
stehen, uns instantan mit der Welt zu vernet-
zen. Rituale können helfen, aus dem Funktions-
modus in die Wahrnehmung zu kommen.

Du warst früher Unterstufenlehrerin. Welche
Erfahrungen mit Ritualen sind dir besonders in
Erinnerung geblieben?
Am Morgen im eigenen Tempo ankommen dür-
fen und aus dem Atelierangebot eine Stillarbeit
aussuchen oder an etwas Angefangenem wei-
terarbeiten, das gemeinsame Guten-Morgen-
Lied in verschiedensten Sprachen, das Schluss-
lied am Ende des Morgens, der Ablauf des
Klassenrates.

Welche Erkenntnisse ziehst du aus diesen
Ritualen?
Allem seine Zeit zu geben ist auch wichtig im
PH-Alltag. Ich nehme immer wieder einen An-
lauf, als Dozentin das zu leben, was ich den
Studierenden predige. Zeit, um sich anspre-
chen und berühren zu lassen: Bereits wenn
man ins Zimmer kommt, durch eine Frage,
durch Bilder oder Gegenstände angeregt wer-
den, sich mit der Thematik zu beschäftigen.
Zeit, um sich zu erinnern: Zu Beginn mithilfe
des Lernheftes zurückblicken und sich verge-
genwärtigen, was einen die Woche zuvor be-
schäftigt hat, um so den Faden aufnehmen und
daran anknüpfen zu können. Zeit, Gedanken zu
ordnen und festzuhalten: Am Ende einer Lek-
tion aufschreiben, was berührt hat und wichtig
geworden ist. Zeit, um mich wahrzunehmen:
Vor Beginn einer Lektion und/oder bevor ich zu
sprechen beginne, mich wahrnehmen, so wie
ich jetzt gerade da bin. Wie meine Füsse auf
dem Boden stehen. Wie mein Atem fliesst. Das      Die Fragen stellte Miriam Mahler,
Geheimnis der Präsenz.                            Fachspezialistin Kommunikation &
                                                  Marketing, PH Zug.
                                                                                                                    15
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 Klassenrat: Lernen durch ritualisierte Interaktion

                                     Der Klassenrat hat sich an vielen Schulen          häufig beobachtet wird, ist die Gefallensrunde.
                                     als ein bewährtes Unterrichtsformat etab­          Während der Gefallensrunde sind die Schülerin-
                                     liert. Eine wichtige pädagogische Aufgabe          nen und Schüler gebeten, sich zu einem Ereig-
                                     ist dabei, die Balance zwischen Struktur           nis oder einem Erlebnis der vergangenen Woche
                                     und individuellen Entfaltungsmöglichkeiten         zu äussern, das ihnen besonders gut gefallen
                                     zu finden.                                         hat. Neben einem festen Ablauf mit zumeist
                                                                                        festgelegter Rederechtsvergabe gehören in vie-
                                     Der Klassenrat wird auf unterschiedlichen          len Klassenräten auch bestimmte sprachliche
                                     Schulstufen praktiziert und orientiert sich an     Muster dazu:
                                     einer Vielfalt pädagogischer Zielsetzungen.
                                     Schülerinnen und Schüler treffen sich in regel-
                                     mässigen Abständen zum Klassenrat, um ge-                 «Die Kinder reichen einen Stein umher
                                     meinsam Antworten und Lösungen für ihre                   und immer das Kind, das den Stein
                                     Fragen und Probleme zu finden. In einem rituali-          in der Hand hält, darf etwas erzählen.
                                     sierten Rahmen werden dabei sprachliche und               Es sagt jede und jeder etwas und
                                     soziale Kompetenzen gefördert. Daneben wird               begründet das Gesagte. Zum Beispiel:
                                     dem Klassenrat auch eine besondere gemein-                Mir hat die Handarbeit gefallen, weil …
                                     schaftsbildende Funktion attestiert, was in ver-          Nicht nur: Mir hat die Handarbeit
                                     schiedenen Ritualtheorien als zentrales Merk-             gefallen.»
                                     mal von Ritualen gilt (z. B. Wulf, 2005).

                                     Der Klassenrat schafft partizipative               Mit den Formulierungsvorgaben verbindet sich
                                     Strukturen im Schulalltag                          die Idee sogenannter transitorischer Normen
                                     Ein wichtiges Anliegen des Klassenrats ist es,     (Feilke, 2015). Es handelt sich dabei um vor­
                                     partizipative Strukturen in den schulischen All-   übergehend gültige und in bestimmten Kontex-
                                     tag zu integrieren. So erfahren die Kinder         ten einzuhaltende Normen, die beim Aufbau
                                     Selbstwirksamkeit. Insbesondere der Ritualisie-    sprachlicher Kompetenzen die Funktion eines
                                     rung von Klassenratsinteraktionen wird ein ho-     Gerüsts (engl. scaffold) haben. Transitorische
                                     hes lernförderliches Potenzial zugeschrieben.      Normen können im Rahmen eines Erwerbspro-
                                     Das Einüben fester Abläufe und die Orientie-       zesses wichtige Zwischenschritte auf dem Weg
                                     rung an sprachlichen Routinen wird mit dem         zum Erreichen der Zielnorm darstellen.
                                     Ziel verbunden, die Schülerinnen und Schüler       Ritualisierte Interaktionspraktiken wie die Ge-
                                     zur selbstständigen Teilnahme und Teilhabe am      fallensrunde können sich beispielsweise für
                                     Klassenrat zu befähigen. Diesen Anspruch for-      den Erwerb argumentativer Gesprächskompe-
                                     muliert eine Lehrperson folgendermassen:           tenz anbieten: Die Schülerinnen und Schüler
                                                                                        üben dabei, ihre Meinungen zu begründen.
                                                                                        Ähnlich wie spielerische Lernsettings können
                                            «Am Anfang achte ich auf die Regelmäs-      auch Rituale eine entlastende Wirkung aufwei-
                                            sigkeit. Mechanismen müssen einfach         sen, denn sie bieten den Schülerinnen und
                                            sein, bewusst gemacht und verinnerlicht     Schülern durch die festen Strukturen eine Ver-
                                            werden können. Nach einer gewissen          haltenssicherheit, die es ihnen ermöglicht, sich
                                            Zeit ziehe ich mich immer mehr zurück.»     ganz auf die einzuübende sprachliche Praktik
                                                                                        zu konzentrieren.

 SNF-Projekt                         Wenn man unter Ritual – in einem breiten Sinne –   Gesprächsroutinen zwischen Stütze
 Der Schweizerische Nationalfonds
                                     eine «formalisierte und wiederholbare Sequenz      und Korsett
 (SNF) unterstützt das Projekt des   von sozialen Praktiken meist symbolischen Cha-     Wie unsere Beobachtungen von Klassenratssit-
 Zentrums Mündlichkeit ZM «Der       rakters» (Meyer, 2016, S. 463) versteht, dann      zungen verschiedener Schulstufen nahelegen,
 Klassenrat als kommunikative        lässt sich dieses Begriffsverständnis sowohl auf   kann das Einfordern von sprachlichen Routinen
 Praktik – ein gesprächsanalyti-
 scher Zugang» (2018 bis 2022).
                                     den Klassenrat als Ganzes als auch auf Teile       aber auch eine Kehrseite aufweisen. Dies lässt
 Untersuchungsgegenstand sind        des Klassenrats anwenden.                          sich beobachten, wenn vorgegebene sprach-
 die Beteiligungsarten im Klassen-                                                      liche Handlungen in einem mechanischen Sinne
 rat, die aus einer gesprächs- und   Die Gefallensrunde als Lernanlass                  reproduziert werden. Sie stellen dann keine
 interaktionslinguistischen Pers-
 pektive untersucht werden.
                                     Ein solches ritualisiertes Element, das in unse-   kognitiv herausfordernden Aufgaben mehr dar.
                                     rem laufenden SNF-Projekt (siehe Infobox)          Eine Folge kann sein, dass ein sprachliches
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                  Im Klassenrat erfahren Schülerinnen und Schüler Selbstwirksamkeit.

Muster lediglich als schulisches Erfordernis            Potenzial innewohnt, verschiedene Kompetenz-
«abgearbeitet» wird und inhaltlich leerläuft. Dies      bereiche zu koppeln und zugleich an der Le-          Literatur
zeigt folgende Äusserung von einem Sechst-              benswirklichkeit der Kinder anzuknüpfen. Mit         Feilke, H. (2015). Transitorische
klässler:                                               Blick auf sprachliches und soziales Lernen bie-      Normen. Argumente zu einem
                                                        ten Rituale verschiedenartige Lernanlässe und        didaktischen Normbegriff. In Di-
                                                                                                             daktik Deutsch, 38, 115-136.
                                                        können für unterschiedliche Erwerbsprozesse
        «Mir hat es nicht gefallen, dass mein Ball      dienen. Eine gute Balance zwischen Struktu-          Lepschy, A. (2002). Lehr- und
                                                                                                             Lernmethoden zur Entwicklung
        kaputt ist, weil er kaputt ist.»                riertheit und Orientierung einerseits und indivi-
                                                                                                             von Gesprächsfähigkeit. In G. Brün­
                                                        duellen Entfaltungsmöglichkeiten andererseits        ner, R. Fiehler & W. Kindt (Hrsg.),
                                                        zu finden, stellt dabei eine wichtige pädagogi-      Angewandte Diskursforschung. Band
In vielen Kompetenzdefinitionen wird jedoch             sche Aufgabe dar.                                    2: Methoden und Anwendungsberei-
                                                                                                             che (S. 50–71). Radolfzell: Verlag
gerade die Fähigkeit zur situationsspezifischen
                                                                                                             für Gesprächsforschung.
Anwendung als ein Kernelement von Kompetenz             Stefan Hauser, Leiter ZM, und Judith Kreuz,
                                                                                                             Meyer, Ch. (2016). Rituale. In
betont: Gesprächsfähig ist, wer in jeweils spezi-       Dozentin Zentrum Mündlichkeit ZM
                                                                                                             L. Jä­ger, W. Holly, P. Krapp &
fischen Sprechsituationen aktuell notwendige                                                                 S. Weber (Hrsg.), Sprache – Kul-
kommunikative Handlungsentscheidungen tref-             Die Zitate stammen von Interviews mit Lehrperso-     tur – Kommunikation. Ein internatio-
fen und sprechsprachlich angemessen handeln             nen und Schülerinnen und Schülern der Primarstufe.   nales Handbuch zur Linguistik als
                                                                                                             Kulturwissenschaft (S. 463–71).
kann (vgl. Lepschy 2002, S. 53).
                                                                                                             Berlin: Mouton de Gruyter.

Rituale bieten vielseitige Chancen                                                                           Wulf, Ch. (2005). Zur Genese des
                                                                                                             Sozialen. Mimesis. Performativität.
Abschliessend können wir festhalten, dass                                                                    Ritual. Bielefeld: Transcript.
schulischen Ritualen wie dem Klassenrat das

                                                                                                                                                   17
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 Pläne machen? Wie Jugendliche die Pandemie erleben

                Während der Pandemie fallen viele Vorhaben         einem Tag auf den anderen ihr Lernen und Arbei-
                ins Wasser – so manches Ritual muss wei­           ten neu organisieren. Dieses von ihnen plötzlich
                chen. Die aktuelle Schul-Barometer-Inter­          erwartete Mehr an Selbstständigkeit einzulösen,
                viewstudie mit jungen Erwachsenen in der           fiel vielen schwer. Insbesondere das eigene Ein-
                Schweiz, Deutschland und Österreich zeigt:         teilen der Aufgaben wurde als grosse Hürde
                Den Jugendlichen wird viel abverlangt.             wahrgenommen. Insgesamt resultierte aus der
                                                                   Fernunterrichtserfahrung für die Interviewten
                Covid-19 hat weitreichende Auswirkungen. Ins-      jedoch ein Zugewinn an Selbstständigkeit.
                besondere für Jugendliche und junge Erwachse-
                ne bedeuteten die vergangenen beiden Jahre
                viel Veränderung und Einschränkung. Die ak­                «Ich finde es irrsinnig positiv, dass man
                tuelle Teilstudie «Generation C» des Schul-Baro-           sich selbst mal organisieren muss. Dass
                meters (schul-barometer.net) will deshalb de-              man auch mal so einen kleinen Stups
                taillierter verstehen, wie diese Zeit von jungen           kriegt.» (I8, Abs. 483–486)
                Erwachsenen erlebt wurde. Hierzu wurden jun-
                ge Erwachsene zwischen 17 und 21 Jahren aus
                der Schweiz, Deutschland und Österreich zu         Mit der Herausforderung, sich die Aufgaben
                ihren Erfahrungen, Meinungen, Sorgen und           selbst einzuteilen, ging auch die Schwierigkeit
                Wünschen interviewt.                               einher, sich täglich zu motivieren. Der Unter-
                                                                   richtseinsatz hat deshalb bei einigen Interviewten
                Zwischen «Ich bin offener geworden!» und           abgenommen – nicht zuletzt aufgrund fehlender
                «Es war einfach viel zu viel.»                     Verbindlichkeit, sich in die Online-Lektionen zu-
                Aufgrund der Schulschliessungen und des Fern-      zuschalten. Für einige war das sogar der Aus­
                unterrichts zu Beginn der Pandemie mussten die     löser, die Schule oder das Studium abzubrechen.
                Jugendlichen und jungen Erwachsenen von            Gleichzeitig gab es andere, welche die Lernzeit

                                                                                     Fröhliche, unbeschwerte Momente
                                                                                     mit Gleichaltrigen fehlen während
                                                                                     der Pandemie.

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                                                                                                                                        B
                                                                                                         Der Wunsch nach
                                                                                                         Präsenzunterricht ist gross.

aktiv genutzt und mehr für den Unterricht ge-               «Ein paar Schüler haben gesagt, sie wol-
macht haben.                                                len wirklich nicht aus dem Haus gehen,
                                                            weil sie einen Elternteil hatten, der sehr
                                                            gefährdet ist.» (I7, Abs.104–106)
       «Normalerweise, wenn man in der Schu-
       le ist, kann man auch noch zum Unter-
       richt gehen. Aber wenn ich zuhause bin,      Länderspezifisch zeigt sich, dass Schweizer
       allein, dann fällt mir das auch ziemlich     Jugendlichen das Regeleinhalten leichter fällt.
       leicht, mal zu sagen, ‹okay, heute gehe      Dies, weil es nur wenige Regeln gibt, keine Aus-
       ich einfach mal nicht zum Zoom-Unter-        gangssperren und nur temporäre enge Kontakt-
       richt›.» (I1, Abs. 94–97)                    beschränkungen verordnet wurden. Junge
                                                    Schweizer Interviewte scheinen, im Gegensatz
                                                    zu jenen aus Österreich und Deutschland, auch
       «Mein hauptsächlicher Grund, dass ich        weniger Angst vor einer Ansteckung zu haben.
       das Studium abgebrochen habe, war,
       dass ich einfach mit diesem ganzen digi-
       talen Lernen nicht so gut klarkam. Also              «Ich fand es irgendwie responsible von
       ich fand, dass es einfach viel zu viel war           denen, dass sie einen Lockdown ge-
       und dass man viel zu wenig soziale Inter-            macht haben, dass sie besser verstehen,
       aktion hatte mit anderen Studenten.»                 wie können wir das bekämpfen, und so.»
       (I23, Abs. 14–22)                                    (I6, Abs. 294–296)

Gehorchen oder rebellieren?                         Doch die jungen Erwachsenen verspüren auch
Während der Pandemie war für alle herausfor-        einen starken Drang nach Normalität wie bei-
dernd, die in schnellem Wechsel getroffenen         spielsweise dem Feiern. Deshalb brechen eini-
politischen Entscheidungen zu erfassen und          ge die Regeln und es finden illegale Feste statt.
umzusetzen. Hier erwähnen die Interviewten,
dass sie so gut wie möglich die Regeln befol-
gen – aus Verständnis, um Risikogruppen zu                  «Was ich auch des Öfteren schon gehört
schützen oder um sich einfach regelgetreu zu                habe von Freunden, dass es auch in Ber-
verhalten.                                                  lin immer noch eine After-Szene gibt. Die
                                                                                                                                        19
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                                               treffen sich irgendwo in einer Location      versitäre Bildung entstanden: Vorbereitungs­
                                               oder bei irgendjemandem zu zwanzigst,        angebote wie Infotage oder Praktika gibt es
                                               feiern und hören Techno.» (I1, Abs. 329–     nicht und ursprüngliche Pläne waren plötzlich
                                               332)                                         nicht mehr umsetzbar. Viele wissen nicht, was
                                                                                            sie nach dem Abschluss machen wollen – und
                                                                                            können. Vorausplanung ist durch die ungewisse
                                        Erfahrungen sammeln – funktioniert das              pandemische Lage nicht mehr möglich. Die Ent-
                                        im Elfenbeinturm?                                   scheidungen fallen viel spontaner aus.
                                        Auch im Bereich Dating und Sexualität konnten
                                        sich die Jugendlichen nicht ausleben. Aufgrund
                                        der sehr reduzierten Freizeitangebote gab es               «Die Hälfte von unserer Klasse weiss
                                        nur wenige Möglichkeiten, jemanden zu treffen              noch nicht mal, was sie machen will. (.)
                                        oder neu kennenzulernen. Zudem waren die                   Und das finde ich eigentlich schon be-
                                        Eltern plötzlich ständig zu Hause, und die jun-            denklich.» (I5, Abs. 355–356)
                                        gen Erwachsenen konnten sich nicht mehr un-
                                        gestört bei jemandem treffen. Auch die Angst
                                        vor einer Ansteckung mit Covid-19 stellte ein              «Es gibt keinen Tag der offenen Tür, keine
                                        Hemmnis dar.                                               Schnuppertage, rein gar nichts.» (I5,
                                                                                                   Abs. 346–347)

                                               «Ich wäre auch in eine Phase hineinge-
                                               kommen, wo man da vielleicht, auch           Hinzu kommt die Angst vor dem Einstieg in die
                                               sexuell, mehr ausprobiert hätte. Jedoch      berufliche/universitäre Bildung. Die jungen Er-
                                               wüsste ich gar nicht, ob ich es dann wirk-   wachsenen fürchten sich davor, in Distanzlehre
                                               lich gemacht hätte, wenn alles normal        einsteigen zu müssen. Der Wunsch nach Prä-
                                               gewesen wäre.» (I17, Abs. 537–541)           senzunterricht ist gross – um sowohl die Atmo-
                                                                                            sphäre, die neue Örtlichkeit, als auch die Mit-
                                                                                            studierenden «live» zu erleben.
                                        Das Sammeln von Erfahrungen, ein zentraler
                                        Baustein für die Bewältigung der Entwicklungs-      Stephan Gerhard Huber, Leiter, und
 Literatur                              aufgaben in der Adoleszenz, fehlt den Jugend-       Manuela Egger, wissenschaftliche
 Zum Thema liegt eine umfangrei-        lichen. Um die Einsamkeit zu bekämpfen, haben       Mitarbeiterin Institut für Bildungsmanage-
 che Sammlung an Veröffentlichun-       sich deshalb im vergangenen Jahr einige junge       ment und Bildungsökonomie IBB
 gen vor, siehe schul-barometer.net     Erwachsene in eine Beziehung gestürzt, um
 Darüber hinaus erscheint in Kürze:
                                        einen sogenannten Corona-Buddy zu haben.            Die Zitate wurden im Rahmen der Interviewstudie
 Huber, S.G., Helm, C. & Schneider,                                                         erfasst und transkribiert. Die Angaben in
 N. (Hrsg.) (in Druck). COVID-19 und    Jeder Plan könnte ins Wasser fallen                 den Klammern bezeichnen die Nummer der/des
 Bildung – Studien und Perspek­tiven.
 Münster, New York: Waxmann.
                                        Bei den Interviewten ist eine grosse Planungs-      Interviewten und Zeilennummern (Absatz) im
                                        unsicherheit in Bezug auf ihre berufliche/uni-      Transkript.

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                                                                                                                                        ne
«Haalari, SitSit und Co. – so lässt’s sich in Finnland studieren!»

Nicole Gisler ist als angehende Primarlehre­
rin im dritten Ausbildungsjahr. Das zweit­
letzte Semester hat sie an der Åbo Akademi
in Finnland verbracht. Wie sich das finnische
Studierendenleben vom schweizerischen
unterscheidet, beschreibt sie in dieser
Kolumne.

Von August bis Dezember 2021 verbrachte ich
mein Auslandsemester in Vaasa, Finnland. Vaasa
ist eine typische Studierendenstadt und ist offi-
ziell bilingual. 71 % der Bevölkerung spricht Fin-
nisch und 25 % Schwedisch. Die Studierenden
machen rund einen Drittel der Bevölkerungszahl
aus und teilen sich auf fünf verschiedene Uni-
versitäten und Hochschulen auf. Ich studierte
«Teacher Education» an der Åbo Akademi.
Durch diesen Aufenthalt lernte ich die finnische
Studierendenkultur kennen, welche einige inte­           Overall ist nicht gleich Overall –
ressante Unterschiede zur Kultur an Schweizer             auf die Aufnäher kommt es an.
Schulen und Universitäten aufweist.

«Haalari», die finnische Studierendenkleidung        zieher. Sie erstrahlen in bunten Farben, wobei
Die Overalls gehören nicht zur offiziellen Uni-      jede für eine Fakultät steht. Da gleiche Farben
Etikette, vielmehr dienen sie als bequeme Über-      bei mehreren Hochschulen und Universitäten
                                                                                                       Angehende Lehrpersonen tragen
                                                                                                       einen violetten Haalari.

                                                                                                                                       21
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   Nicole Gisler                    Ein Teil er Universität Åbo Akademi ist in einer ehemaligen Baumwollspinnerei untergebracht.

                                    vorkommen können, steht zudem der Name der                 «SitSit», die finnische Art zu feiern
                                    Bildungseinrichtung auf dem Rücken. Klassen-               Eine weitere Tradition des finnischen Studieren-
                                    lehrpersonen und Heilpädagoginnen und -päda-               denlebens sind die «SitSit». Dies sind Dinner-
                                    gogen tragen Violett, Medizinstudierende Weiss.            Abende, bei denen oftmals viel gesungen, ge-
                                                                                               lacht und vor allem getrunken wird. Die Abende
                                    Das Studierendenleben spiegelt sich                        sind meist mit Mottos und einem entsprechen-
                                    im Overall                                                 den Dresscode versehen, wobei der Studieren-
                                    Jede Studentin, jeder Student individualisiert             denoverall nicht fehlen darf. An diesen Aben-
                                    den Overall mit zahlreichen Aufnähern, soge-               den sind zahlreiche Regeln einzuhalten –
                                    nannten Patches. Diese können bei Studieren-               andernfalls muss man eine unangenehme Stra-
                                    denpartys, Sportveranstaltungen, Vereinsmit-               fe über sich ergehen lassen. Kollektive Spiele
                                    gliedschaften, von anderen Unis oder Firmen                und Wettbewerbe versüssen den Abend.
                                    ergattert werden. Zwei bis sechs Euro kosten
                                    solche Stoffflicken; bei der Teilnahme eines               Was bleibt, sind grossartige Erinnerungen
                                    Events sind sie im Eintrittspreis inklusive. Je            Ein bisschen verrückt ist das alles schon, doch
                                    mehr Patches, umso höher das Ansehen, umso                 so sind die Finnen eben. Im Alltag eher still und
                                    aufregender das Studierendenleben. Das Motto               zurückhaltend, um dann zu überraschen und
                                    lautet: «Pimp my Overall», mit Nadel und Faden.            sich keine Gedanken zu machen, was die ande-
                                                                                               ren darüber denken. Zurück bleiben grossartige
                                    Ein weiteres ungeschriebenes Gesetz: Ein Over-             Erinnerungen mit vielen Erlebnissen und man-
       Mehr zu Finnland und dem     all darf niemals gewaschen werden, ausser am               ches «rare Finnish smile»!
       dortigen Studierendenleben   1. Mai und selbst dann nur mit einer speziellen
       im Blog von Nicole Gisler:
                                    Seife. Manche Finnen tauschen Teile ihrer Over-            Nicole Gisler ist angehende Primarlehrerin
                                    alls, zum Beispiel einen Arm oder ein Bein, mit            und absolviert zurzeit das letzte Ausbil-
                                    Studierenden anderer Fakultäten. Dies kann ein             dungsjahr an der PH Zug.
                                    Zeichen guter Freundschaft (Arm) oder Partner-
                                    schaft (Bein) sein. Grundlegend bildet der «Haa-
                                    lari» einen Spiegel der Studienzeit eines jeden
                                    finnischen Studierenden.

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                                                                                                         g
Aus den Leistungsbereichen

                                                   Zweite Durchführung CAS «Mathematisches
                                                   Lernen in der Sackgasse?»
                                                   Ab September 2022 startet ein weiterer CAS-
                                                   Studiengang zur Frage «Mathematisches Ler­
                                                   nen in der Sackgasse?». Das Angebot richtet
                                                   sich an Lehrpersonen und schulische Heilpäda-
                                                   goginnen und -pädagogen, die mit rechen-
                                                   schwachen Schülerinnen und Schülern arbeiten
                                                   oder mit besonders heterogenen Lehr- und
                                                   Lernbedingungen konfrontiert sind. Die Zusatz-
                                                   ausbildung gibt Antworten in Form kompetenz-
Sabina Staub wird neue Studienleiterin             orientierter Abklärungen und fachdidaktischer
Berufspraxis                                       Umsetzungen in unterrichtlichen und therapeu-
Sabina Staub übernimmt am 1. April 2022 die        tischen Settings. Sie wird von Prof. Dr. Kurt
Leitung der Berufspraxis von René Hartmann,        Hess geleitet.
der Ende März in Pension geht. Wir freuen uns      Anmeldeschluss ist am 30. Mai 2022.
auf die Zusammenarbeit.                            male.phzg.ch

Fortsetzung des Weiterbildungsangebots für         Kompetenzzentrum Mathematisches Denken
Animatorinnen und Animatoren ICT                   und Lernen (MaDeL)
Nach erfolgreichem Abschluss der ersten bei-       Gut zu wissen: Das Kompetenzzentrum MaDeL
den Jahrgänge startet das Weiterbildungsange-      macht verschiedene Angebote zu wirkungsvol-
bot ICT im Herbst 2022 zum dritten Mal. Die        lem Lehren und Lernen im Mathematikunter-
Weiterbildung richtet sich an aktuelle und künf-   richt. Dazu gehören Beratungen, Dienstleistun-
tige Animatorinnen und Animatoren ICT der ge-      gen und Weiterbildungen, die massgeschneidert
meindlichen Schulen und beinhaltet Präsenz-        auf Fragen und Bedürfnisse von Lehrpersonen
veranstaltungen, Selbststudienanteile sowie        und Schulischen Heilpädagoginnen und -päda-
schulalltagsnahe Projekte. Inhaltlich stehen die   gogen ausgerichtet werden.
fachliche und fachdidaktische Vertiefung sowie     madel.phzg.ch
Beratungswissen im Zentrum. Die bewährte
Form der individuellen Modulgestaltungsmög-
lichkeiten wird beibehalten. Weitere Informa­
tionen zum dritten Durchgang folgen Ende
                      März 2022.

                      Mehr Infos:
                      weiterbildung.phzg.ch >
                      Angebote Weiter­bildung >
                      Medien und Informatik

                                                                                                    23
Veranstaltungen

                              Covid-19: Finden Veranstaltungen statt?           Sa, 21.05.2022
Impressum                     Aufgrund der aktuellen Situation rund um          Klangstab, Trommel und viel mehr – spieleri-
Infonium, externes Publika-   Covid-19 ist ungewiss, ob und in welcher Form     scher Umgang mit Instrumenten im Zyklus 1
tionsorgan der PH Zug.        die aufgeführten Veranstaltungen stattfinden      Sa, 04.06.2022
Erscheint zweimal jährlich.   können. Aktuelle Informationen dazu finden Sie    Weltmusik im Schul­unterricht
Auflage: 3200 Exemplare       auf unserer Website:
                              veranstaltungen.phzg.ch                           Mi, 31.08.2022
Herausgeberin                                                                   Einführungsworkshop für Lehrpersonen für das
PH Zug                        Einblicke ins Studium                             Mitsingkonzert «Durch den Advent mit Zipf,
Zugerbergstrasse 3            Haben Sie Freundinnen, Freunde oder Bekannte,     Zapf, Zepf und Zipfelwitz»
6300 Zug                      die Lehrerin oder Lehrer werden möchten?
Tel. +41 41 727 12 40         Für Interessierte finden an der PH Zug regel-     Musikprojekte für Schulklassen – nach Absprache:
kommunikation@phzg.ch         mässig Infoveranstaltungen statt:                 Klassenprojekt mit tönstör.ch: Küchenmaschi-
www.phzg.ch                                                                      nen Improvisation – mit Alltagsmaterialien mu-
                              Gesamtes Studienangebot:                           sikalische Inszenierungen erschaffen
Redaktion                     Mo, 28.02.2022, 13.30–16.00 Uhr, PH Zug            musikworkshops.phzg.ch
Nicole Suter (Leitung)        Do, 03.03.2022, 19.00 Uhr, online
Miriam Mahler
                              Studienvariante pi:                               Vorankündigung
Fotos                         Mi, 23.02.2022, 19.00 Uhr, online
Archiv PH Zug                 Mi, 16.03.2022, 19.00 Uhr, PH Zug                 Advent mit Zipf, Zapf, Zepf und Zipfelwitz
Adobe Stockfotos              Mehr Infos und Anmeldung:                         Passend zur Adventszeit wird das Stück «Zipf,
Miriam Mahler                 infoanlaesse.phzg.ch                              Zapf, Zepf und Zipfelwitz» der Komponistin
Nicole Gisler                                                                   Stephanie Jakobi-Murer für Kinder der Unterstu-
Alexandra Wey                 Symposium Begabung                                fe und Familien in den Kantonen Zug, Schwyz
                              Sind Selbstgestaltung, Lernmotivation und         und Uri aufgeführt. Mit lokalen Kinderchören,
Abo-Bestellungen/             Erfolg genug oder darf die Gesellschaft auf die   der Zuger Sinfonietta sowie Schauspielerinnen
Adressänderungen              klugen Köpfe von morgen als verantwortlich        und Schauspielern.
kommunikation@phzg.ch         Handelnde hoffen? Das Symposium Begabung          Schülervorstellung: Di, 29.11.2022, 09.00
Tel. +41 41 727 12 40         sucht nach Antworten.                             und 10.30 Uhr
                              Sa, 12.03.2022, 08.45–16.00 Uhr, PH Zug           Öffentlich: Mi, 30.11.2022, 15.00 Uhr
© Februar 2022, PH Zug        symposium-begabung.phzg.ch                        und evtl. 17.00 Uhr
                                                                                Theater Casino Zug
                              Musikworkshops
                              Die Animation für Schulmusik bietet halbjähr-     Der Ticketvorverkauf startet im Sommer 2022.
                              lich ein vielseitiges Angebot von Musikwork-      Weitere Infos folgen unter:
                              shops an. Dieses richtet sich an musikbegeis-     veranstaltungen.phzg.ch
                              terte Lehrpersonen, die gerne neue Ideen und
                              Anregungen in ihren Unterricht einbringen.

                              Musikworkshops für Lehrpersonen
                              Mi, 23.03.2022
                              Von der Geschichte zu Musik und Tanz –
                               vielfältige Umsetzungsideen im Zyklus 1

                              Do, 07.04.2022
                              Neue Lieder braucht das Zuger Land! – Lust auf
                              einen frischen Strauss an Frühlings- und Som-
                              merliedern für den Schulalltag?

                              Fr, 06.05.2022 und
                              Sa, 07.05.2022
                              Spontanität, Humor und Auftrittskompetenz im
                              Unterricht

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