IT MAGAZIN - Mein Leben, meine Zeit! Arbeitszeit in der ITK-Branche neu denken - IG Metall Baden-Württemberg

 
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IT MAGAZIN - Mein Leben, meine Zeit! Arbeitszeit in der ITK-Branche neu denken - IG Metall Baden-Württemberg
DAS BRANCHE NMAGAZIN DER IG METALL                                                   ■
                                                                                    1 2017

IT MAGAZIN

Arbeitszeit in der ITK-Branche neu denken

Mein Leben, meine Zeit!
 6 Hewlett-Packard:          7 Neue ITK-Entgelterhebung   14 Fake News, Social Bots,
    Teilen und herrschen?      der IG Metall                   Cyberangriffe: Was tun?
IT MAGAZIN - Mein Leben, meine Zeit! Arbeitszeit in der ITK-Branche neu denken - IG Metall Baden-Württemberg
Gehälter in der ITK-Branche

  Wissen Sie eigentlich,
  was Sie wert sind?

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   IG Metall-Mitglieder erhalten die Broschüre oder das E-Book zum Vorzugspreis
   von 4,90 Euro über die jeweilige Geschäftsstelle.                                                               Herausgeber: IG Metall Vorstand,
                                                                                                              Ressort Angestellte, ITK, Studierende;
                                                                                                      Gestaltung: zplusz.de; gedruckt auf Papier aus
                                                                                                               verantwortungsvoller Waldwirtschaft
IT MAGAZIN - Mein Leben, meine Zeit! Arbeitszeit in der ITK-Branche neu denken - IG Metall Baden-Württemberg
IN EIGENER SACHE ■

Liebe Kolleginnen und Kollegen,
                                                                       AUS DEM INHALT
die IT-Messe CeBIT steht auch in diesem Jahr wieder ganz im Zei-
chen der digitalen Transformation. Megatrends wie Big Data,
künstliche Intelligenz, Robotik, Cloud Computing und das Internet
of Things stehen ganz oben auf der Tagesordnung. Klar ist: Viele       Seite 6
dieser Trends sind in den Betrieben längst angekommen und ver-         In Windeseile hat sich Hewlett Packard Enterprise (HPE)
ändern unsere Arbeitswelt rasant. Die IG Metall ist entschlossen,      zerteilt – mit Aussicht auf Erfolg?
die Chancen, die sich aus der digitalen Transformation ergeben, zu
nutzen und die Risiken zu begrenzen. Gemeinsam mit den
Beschäftigten wollen wir eine Arbeitswelt gestalten, in der es fair
und gerecht zugeht und in der ihre Bedürfnisse im Vordergrund
stehen.

Die ITK-Branche ist der Treiber der digitalen Transformation. Und
sie rühmt sich stets, modernste Arbeitsformen zu praktizieren –
agiles, flexibles und mobiles Arbeiten. Von einer Vorreiterrolle für
Gute Arbeit ist die Branche allerdings weit entfernt. Ein Blick auf
die Arbeitszeiten in verschiedenen ITK-Unternehmen zeigt: Von
Wunscharbeitszeiten können viele Beschäftigte hier nur träumen.
Die in der Branche übliche „Vertrauensarbeitszeit“, wie beispiels-
weise bei SAP und Hewlett Packard, (ver)führt zu unbezahlter
Mehrarbeit und entgrenztem Arbeiten, um dem steigenden Leis-
tungsdruck in den Betrieben Stand zu halten.                           Semcon Engineering Services:
                                                                       Mitbestimmung ausgehebelt ................................... 4
Um noch genauer zu erfahren, wo der Schuh bei den Beschäftigten
drückt, führt die IG Metall gerade eine große bundesweite              Nokia:
Beschäftigtenbefragung durch. Erste Ergebnisse werden Ende             Sozialtarif bleibt auf der Agenda ............................... 5
April vorliegen. In den ITK-Unternehmen findet die Befragung
großen Zuspruch – von IG Metall-Mitgliedern und solchen, die es        19. ITK-Entgelterhebung der IG Metall:
noch nicht sind. Das zeigt: Die Beschäftigten wollen beteiligt und     Tarif zieht............................................................... 7
gefragt werden, wenn es um ihre Arbeitsbedingungen geht.

Die Ergebnisse dieser Umfrage wollen wir in unsere Forderungen         Arbeitszeit in der ITK-Branche neu denken:
für die nächste Tarifrunde einbringen. Gerade in der ITK-Branche,      Mein Leben, meine Zeit!
                                                                       ■ Kaum Konflikte um die Arbeitszeit ..................... 9
wo die Digitalisierung am weitesten fortgeschritten ist, sind viele
neue Arbeitszeitmodelle vorstellbar, die den Kolleginnen und Kol-

                                                                       ■ Von Wunscharbeitszeiten weit entfernt ...............10
legen – je nach Lebenslage – mehr Raum für kreatives Arbeiten,
Qualifizierung und eine bessere Vereinbarkeit von beruflichem

                                                                       ■ Zeitsouveränität durch mobiles Arbeiten?.........11
und privatem Engagement geben.

                                                                       ■ Arbeitszeitmodelle für
Tarifverträge bieten den Beschäftigten in der ITK-Branche viele
Vorteile. So belegt die neueste ITK-Entgelterhebung der IG Metall,
dass Beschäftigte in tarifgebundenen Unternehmen deutlich mehr             verschiedene Lebensphasen............................12
verdienen als in Betrieben ohne Tarifvertrag – aktuell rund 2,8 Pro-
zent. Zudem sind sie hier aufgrund von Tarifregelungen zur
Beschäftigungssicherung, Gesundheitsförderung und Qualifizie-          ITK-Ausbildungs- und -Einstiegsentgelte:
rung besser geschützt.                                                 Gute Startbedingungen ....................................... 13

Tarifverträge, sichere Arbeitsplätze und Gute Arbeit werden den        Interview mit Prof. Dr. Michael Backes:
Beschäftigten jedoch nicht geschenkt. Sie müssen von ihnen ein-        „Wir müssen sicherheitsbewusster werden“ ........ 14
gefordert und durchgesetzt werden – zusammen mit der IG Metall.
Die hohe Beteiligung der Kolleginnen und Kollegen in den ITK-          Service ............................................................... 15
Unternehmen an der Beschäftigtenbefragung 2017 der IG Metall
                        signalisiert uns ihre große Bereitschaft,      Impressum ......................................................... 15
                        die ITK-Branche zum Vorreiter für Gute
                        Arbeit weiterzuentwickeln. Was wir jetzt
                        brauchen sind Mut, Entschlossenheit und
                        auch mehr Mitglieder, um dabei gemein-
                        sam und erfolgreich voranzukommen.

                                                                       Das IT-Magazin im Internet:
                       Christiane Benner,
                       Zweite Vorsitzende der IG Metall
                                                                       www.itk-igmetall.de                                             Titelfoto: fotolia
                                                                                                                                                            3
IT MAGAZIN - Mein Leben, meine Zeit! Arbeitszeit in der ITK-Branche neu denken - IG Metall Baden-Württemberg
■NEWS

     ITK-ARBEITSMARKT:
     IMMER MEHR OFFENE STELLEN
     Die ITK-Branche wächst und dürfte ge-
     genwärtig rund 1 030 000 Beschäf-
     tigte aufweisen. Gerade im IT-Mittel-
     stand hat die Zahl der sozialversiche-
     rungspflichtigen Beschäftigten mit ei-
     nem Anstieg um fünf Prozent auf            ■ Unify goes Atos                                            Kolleginnen und Kollegen von Atos sowie von
     413 733 im vergangenen Jahr kräftig                                                                     Diebold Nixdorf durchgesetzt werden, für die
     zugelegt. Das belegt der aktuelle Mit-
                                                TARIFVERTRÄGE WACHSEN                                        der Rahmentarifvertrag ebenfalls gilt.
     telstandsbericht des Branchenver-          ZUSAMMEN                                                     Die Tarifbindung ist für alle Unify-Gesell-
     bands Bitkom. Überhaupt hätten sich        Ab 2018 wird es einheitliche Tarifverträge                   schaften bis zum 31. Januar 2021 gesichert.
     die mittelständischen Unternehmen          für Atos und Unify, der früheren und im                      Selbst für den Fall eines Verkaufs von Unify
     der Branche überdurchschnittlich ent-      Januar 2016 von Atos übernommenen                            erhalten die Beschäftigten bis Ende 2020
     wickelt. Die Mittelständler stünden für    Enterprise Kommunikations-Sparte von                         und für mindestens 24 Monate ab dem
     33 Prozent des Umsatzes und 54 Pro-        Siemens (SEN), geben. Neben der Verein-                      Betriebsübergang (das heißt längstens bis
     zent der sozialversicherungspflichtig      heitlichung der Tarifverträge wird zurzeit                   Ende 2022) einen Ausgleich zur Tariferhö-
     Beschäftigten in der IT-Wirtschaft,        auch die strukturelle Integration von Unify                  hung NRW. ■ ■ ■
     heißt es in dem Bericht.                   in den Atos-Konzern intensiv bearbeitet.
     Trotz des Beschäftigungswachstums          Diese Prozesse werden von Betriebsräten
     fehlen aber in der ITK-Branche immer       und IG Metall kritisch begleitet.
     mehr IT-Experten. Bitkom schätzt die       Einige Unify-spezifische Tarifregelungen
     aktuelle Zahl der unbesetzten Stellen      bleiben den Beschäftigten erhalten. Darun-
     auf rund 51 000. Das ist ein Rekord-       ter der tarifliche Alterskündigungsschutz,                   ■ Semcon Engineering Services
     hoch und ein Anstieg um rund zwan-         für die Eingruppierung wichtiger Unify-Job-
     zig Prozent innerhalb eines Jahres. In     linien sowie Regelungen zur Ersteingruppie-
                                                                                                             MITBESTIMMUNG
     den Unternehmen der ITK-Branche            rung und zur Altersteilzeit. Auch der seit Ja-               AUSGEHEBELT
     seien insgesamt 20 500, bei Anwen-         nuar 2015 geltende Tarifvertrag zur Beschäf-                 Bei dem Verkauf von Anteilen der Semcon-
     derunternehmen rund 30 500 Stellen         tigungssicherung bleibt bestehen.                            Beteiligungs-GmbH – zu der auch der Ent-
     unbesetzt, so der Verband.                 2017 gibt es noch eine gesonderte Lösung                     wicklungsdienstleister Semcon Enginee-
     Seit Jahren hört man von Bitkom, dass      bei der Umsetzung der Tariferhöhung. Ab                      ring Services und die Semcon Wolfsburg
     mehr Jungen und Mädchen ermutigt           dem 1. Januar 2018 gelten dann auch für                      GmbH zählen – an den finnischen Automo-
     werden sollten, sich für Informatik        Unify die Atos-Regelungen auf der Basis                      bilzulieferer Valmet Automotive Inc. ver-
     oder einen anderen technischen Beruf       des Rahmentarifvertrags „IT-Dienstleis-                      sucht die Geschäftsführung der Semcon
     zu entscheiden. Auch sollte Geflüchte-     tungen“, den die IG Metall für den Konzern                   International AB Mitspracherechte des
     ten über Praktika der Einstieg in den      abgeschlossen hat. Demnach werden                            Betriebsrats zu umgehen. IG Metall und
     deutschen Arbeitsmarkt ermöglicht          grundsätzlich die Tariferhöhungen der                        Betriebsräte erfuhren von der Transaktion
     werden. Doch die Appelle des Bran-         nordrhein-westfälischen Metall- und Elektro-                 erst aus den örtlichen Medien.
     chenverbands zeigen zu wenig Wir-          industrie übernommen, wenn auch einen                        Im vergangenen Jahr hatte die Semcon-
     kung. Die IG Metall fordert daher, die     Monat später.                                                Spitze bereits die Tarifbindung im gesamten
     Ausbildungsstellen auszuweiten, die        Sollten Arbeitgeber oder IG Metall geltend                   Bereich der Semcon-Beteiligungs-GmbH ge-
     Beschäftigten für neue Jobs zu quali-      machen, dass die Tariferhöhung nicht der                     kündigt. Und schon damals bekamen die
     fizieren, die Chancen von älteren Be-      Entwicklung in der IT-Branche entspricht, gibt               Beschäftigten die „harte Haltung“ der Un-
     schäftigten und Frauen, sich beruflich     es eine eigenständige Tarifrunde. Die Tarif-                 ternehmensführung zu spüren. Monatelang
     weiterzuentwickeln, zu verbessern und      erhöhung muss dann gemeinsam mit den                         hatte sie die Gespräche mit der IG Metall
     insgesamt die Arbeitsbedingungen,
     insbesondere die Arbeitszeiten, in der
     Branche attraktiver zu gestalten.          BERUFSFELD IT: BESCHÄFTIGUNGSLAGE/ARBEITSLOSIGKEIT
                                                60 000
     +++
                                                55 000                                                                                           51 000
     NOCH IMMER VIELE ARBEITSLOSE
     Bei der hohen Zahl an offenen Stellen,     50 000
     müsste ein IT-Beruf eigentlich ein Job-                  43 000
                                                45 000
     Garant sein. Nach dem deutschen On-
                                                40 000
     line-Portal für Statistik, Statista, ist
     dem aber längst nicht so. Danach ist       35 000
     die Zahl der arbeitslosen ITler im Zeit-                                                                               27 600
                                                30 000
     raum 2012 bis 2015 sogar um 3 000                        24 600
     auf 27 600 angestiegen (siehe Schau-       25 000
     bild). Die Daten belegen, dass der von     20 000
     der Branche immer wieder betonte                           2012                2013                   2014              2015                  2016

     Mangel an Fachleuten vor allem Folge                ■ Offene Stellen für IT-Experten
     fehlender Aus- und Weiterbildung ist.               ■ Durchschittsbestand arbeitsloser IT-Fachleute          Quelle: Bitkom, Bundesagentur für Arbeit, Stepstones
4
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NEWS ■

                                                  CeBIT, Hannover-Messe, IAA
                                                  IG Metall im Dialog
verweigert. Stattdessen verlangte die Ge-
schäftsführung einzelvertragliche Regelun-
gen an den verschiedenen Standorten.
„Vertrauensvolle Zusammenarbeit sieht
anders aus“, sagt Lothar Ewald, Zweiter
Bevollmächtigter der IG Metall-Geschäfts-
stelle Wolfsburg. „Jetzt geht es darum, mit
dem neuen Semcon-Eigentümer ins
Gespräch zu kommen, um die Tarifhoheit
wiederherzustellen und alle Arbeitsplätze
zu sichern. Hierfür fordert die IG Metall
eine klare Zusage!“ ■ ■ ■

                                                  Mit neuen Messekonzepten sucht die IG Metall das Gespräch mit Beschäftigten
                                                  aus der ITK-Branche, aber auch mit IT-Experten aus anderen Industriezweigen und
■ Nokia                                           Entwicklungsdienstleistungsunternehmen. Speziell auch Studierende will sie mit
                                                  ihren Informationsangeboten ansprechen.
SOZIALTARIFVERTRAG BLEIBT
AUF DER AGENDA                                    Erstmals beteiligt sich die IG Metall in    über Best-practice-Beispiele im Zen-
Die IG Metall und der Betriebsrat von Nokia       diesem Jahr nicht nur mit einem eigenen     trum. Betriebsräte können an der Fach-
Deutschland bangen weiter um den Erhalt           Stand und einzelnen Vorträgen bezie-        konferenz nach § 37 Abs. 6 Betriebs-
des Standorts in München. Im Zuge der             hungsweise Diskussionsrunden auf der        verfassungsgesetz teilnehmen.
Übernahme des Konkurrenten Alcatel-               CeBIT und der Hannover-Messe. Dies-            Weitere Details zu der Veranstaltung
Lucent hatte der finnische Telekommunika-         mal ist sie auf der CeBIT auch Mitorgani-      im Internet unter: www.cebit.de/
tionskonzern im Mai 2016 angekündigt,             satorin einer Konferenz im Rahmen der          de/konferenzen-events/specials/
dass er beabsichtige, bis Ende 2018 ein           von der Deutschen Messe organisierten          cebit-digital-summits.
Drittel der Belegschaft – und damit rund          CeBIT Digital Summits. Gemeinsam mit        Im Mittelpunkt der Vorträge und Dis-
1 400 Stellen – abzubauen.                        den Messeveranstalterinnen und -veran-      kussionsrunden, die die IG Metall auf
In München waren bis zum Jahresende 354           staltern, den Organisatorinnen und Or-      der CeBIT und Hannover-Messe verant-
Beschäftigte freiwillig über den Tarifver-        ganisatoren von Job & Career sowie der      wortet, stehen die Themen „Crowdwor-
trag „Vermittlung in Gute Arbeit“ aus dem         Gewerkschaft ver.di führt die IG Metall     king und das Arbeiten auf digitalen
Unternehmen ausgeschieden. Dieser sieht           am 20. März 2017 die Fachkonferenz          Plattformen“ sowie „faires Gehalt“.
vor, möglichst viele Beschäftigte auf             „Digitale Arbeitswelten“ im Messe-Kon-      Auch diesmal organisiert die IG Metall
Arbeitsplätze innerhalb der bestehenden           ferenz-Center der CeBIT durch.              Messerundgänge für Studierende.
Nokia-Unternehmen und auch extern an              Im Mittelpunkt der Tagung stehen die        Ebenfalls zum ersten Mal wird die IG Me-
andere Unternehmen zu vermitteln und sie          neuen Herausforderungen in den              tall im Oktober 2017 auf der Internatio-
dabei beratend und finanziell – durch             Unternehmen angesichts der fort-            nalen Automobil-Ausstellung (IAA) ver-
einen Entgeltzuschuss oder durch eine             schreitenden Digitalisierung. Dazu          treten sein. Auch hier wird sie den Aus-
Abfindung – zu unterstützen. Nokia drängt         zählt unter anderem, Fachleute mit          stellungsbesucherinnen und -besuchern,
dabei auf einen raschen und umfangrei-            hoher digitaler Affinität für sich zu       insbesondere den Beschäftigten aus
chen Abbau. Jetzt hat das Unternehmen             gewinnen und Beschäftigte an den            der Automobilindustrie, für Gespräche
angekündigt, weitere 450 Funktionen an            Veränderungsprozessen zu beteiligen.        und Informationen zur Verfügung ste-
verschiedenen Nokia- und Alcatel-Lucent-          Hierbei steht der Erfahrungsaustausch       hen.
Standorten zu streichen.
An den Nokia-Standorten in Berlin als auch
in Düsseldorf kam es bereits zu Teil-           schließung betroffenen 107 Beschäftigten      mit Abfindungen oder Übergang in eine
schließungen. Auch hier schieden im Vor-        konnten Gesamtbetriebsrat und IG Metall       12-monatige Transfer- und Qualifizierungs-
feld etliche Kolleginnen und Kollegen frei-     die Ausstiegsmodalitäten sozialverträglich    gesellschaft, Angebote für die Beschäftig-
willig im Rahmen des Tarifvertrags „Ver-        regeln. „Damit ist es uns gelungen, das Un-   ten zu Telearbeit und Altersteilzeit sowie zur
mittlung in Gute Arbeit“ aus. Für die in Ber-   ternehmen stärker in die Verantwortung zu     Vermittlung auf Stellen innerhalb von Nokia
lin noch verbliebenen und von der Teil-         nehmen, die Betroffenen dabei zu unter-       und der ALDB (Alcatel-Lucent Digitalfunk
                                                stützen, neue berufliche Entwicklungsmög-     Betriebsgesellschaft), einer Tochter der
                                                lichkeiten wahrzunehmen“, sagt Astrid Die-    Alcatel-Lucent GmbH. Auch in München will
                                                bitsch, Betriebsratsvorsitzende bei Nokia     die IG Metall Verhandlungen mit dem
                                                Solutions Networks (NSN) in Berlin. Die       Arbeitgeber über einen Sozialtarifvertrag
                                                Vereinbarung regelt Aufhebungsverträge        aufnehmen. ■ ■ ■                                 5
IT MAGAZIN - Mein Leben, meine Zeit! Arbeitszeit in der ITK-Branche neu denken - IG Metall Baden-Württemberg
■UNTERNEHMEN

    Hewlett Packard
    Teilen und herrschen?
    Man kann gar nicht so schnell hinsehen, wie sich Hewlett Packard zerlegt. Es begann damit,          wird. Und weiter geht’s mit einem „Spin-off-
    dass der Konzern im November 2015 das Geschäft mit Druckern und Computern (HP Inc.)                 Merger“, einer Abspaltung des Software-
    von dem Bereich Unternehmensdienstleistungen (Hewlett Packard Enterprise – HPE) ab-                 Bereichs von HPE und anschließender Ver-
    trennte. Seither ist HPE einem nicht enden wollenden Spaltungsprozess ausgesetzt. Klare             schmelzung mit dem britischen Software-Her-
    Perspektiven, die die Beschäftigten dringend benötigen, fehlen jedenfalls.                          steller Micro Focus zum 1. September 2017.
                                                                                                        Noch in diesem Jahr dürfte sich zeigen, ob
    HPE steht unter Dauerbeschuss: Zum 1. Au-         nuar 2017 die Abspaltung der Outsourcing-         die Summe der HP-Einzelteile erfolgreicher
    gust 2016 lagerte das Unternehmen rund            Sparte (HP Enterprise Services, kurz ES), wel-    sein wird als die noch vor wenigen Jahren ge-
    1 300 Stellen an die IT-Dienstleister Proservia   che zum 1. April dieses Jahres mit der Com-       hypte „OneHP“-Strategie und ob HP nicht
    und Datagroup aus. Dann erfolgte zum 1. Ja-       puter Sciences Corp. (CSC) verschmolzen           doch nur Übernahmekandidaten produziert.

      VERBLEIBENDE HPE-BEREICHE                       richtet Volker Müller, Vorsitzender des Ge-      reits an allen sechs Standorten Betriebsrats-
      „Angeblich sollen die Abspaltungen das Pro-     samtbetriebsrats bei Proservia. „Für uns be-     wahlen stattfinden lassen. Allerdings herrscht
      fil von HPE schärfen“, sagt Annette Maier,      deutete das zunächst einmal, wirksame Mit-       bei der Datagroup ES GmbH ein Klima, in dem
      stellvertretende Betriebsratsvorsitzende bei    bestimmungsstrukturen aufzubauen. Ein            Betriebsräte nicht gewünscht sind.“ Die täg-
      HPE. „HPE konzentriert sich auf die Cloud mit   Problem von vielen ist schon jetzt, dass den     liche Zusammenarbeit mit der Geschäftsfüh-
      entsprechender Hardware und damit ver-          meisten Kolleginnen und Kollegen ein Umzug       rung der neuen GmbH laufe zwar bisher gut,
      knüpften Dienstleistungen. HPE kauft auch       bevorsteht, weil sie die bisherigen HPE-Lo-      gibt Schomaker zu verstehen. „Aber ein Ge-
      wieder ein – erst die Hochleistungscompu-       kationen verlassen müssen.“                      schäftsführer lässt deutlich seine Vorbehalte
      terschmiede SGI (Silicon Graphics) und zu-      Auch die Geschäftsleitung müsse sich erst        gegen Betriebsräte erkennen.“
      letzt die Softwarefirma SimpliVity. Zugleich    einmal einrichten, so Müller, um beispiels-
      aber geht die Verlagerung von Stellen in vor-   weise Pannen wie bei der Berechnung der
      geblich billigere Länder weiter.“ Zwar zeige    Sonderzahlung zu Weihnachten künftig zu ver-
      sich HPE-Chefin Meg Whitman davon über-         hindern. „Über allem steht jedoch die Frage:
      zeugt, den richtigen Weg eingeschlagen zu       Was passiert, wenn HPE sein Auftragsvolumen
      haben, um nach der Abwicklung der ES-CSC-       Schritt für Schritt und – wie vorgesehen – in-
      und Micro Focus-Transaktionen flinker zu        nerhalb der kommenden fünf Jahre auf die         ES/CSC (ENTSERV DEUTSCHLAND GMBH)
      werden und wieder zu Wachstum zurückzu-         Hälfte reduzieren wird? Die Motivation der Ge-   Bei ES/CSC – der Bereich firmiert jetzt als Ent-
      kehren. „Die Gefahr ist jedoch groß, dass       schäftsleitung und die Hoffnungen der Beleg-     Serv Deutschland GmbH – ist ebenfalls noch
      HPE aufgrund der zuletzt schwachen Ge-          schaft darauf, neue Kunden zu akquirieren,       Vieles im Umbruch. Der rund 2 700 Beschäf-
      schäftsergebnisse weiterhin schrumpft und       sind groß. Aber noch weiß niemand, ob dies       tigte umfassende, von HPE outgesourcte En-
      noch mehr Stellen abbaut“, so die Betriebs-     auch gelingen wird“, gibt der Gesamtbetriebs-    terprise-Service-Beratungszweig soll nun zum
      rätin.                                          ratsvorsitzende zu bedenken.                     1. April 2017 mit CSC verschmolzen werden.
                                                                                                       Rund 4 000 Beschäftigte werden in dem
                                                                                                       neuen Unternehmen, das künftig DXC.Tech-
                                                                                                       nology heißen soll, beschäftigt sein. Aktuell
                                                                                                       ist auch hier der Gesamtbetriebsrat dabei, an
                                                                                                       allen Standorten Interessenvertretungsstruk-
                                                                                                       turen aufzubauen beziehungsweise zu stabi-
                                                                                                       lisieren und Betriebsratswahlen stattfinden
                                                                                                       zu lassen.
      PROSERVIA                                       DATAGROUP ENTERPRISE SERVICES GMBH               „Das Unternehmen wird sich erst nach und
      Eine rosige Zukunft steht auch den abgespal-    Ähnliche Fragen stellen sich auch beim IT-       nach richtig strukturieren. Es wird voraussicht-
      tenen Bereichen von HPE nicht gerade bevor.     Dienstleister Datagroup Enterprise Services      lich eine Führungsstruktur in Clustern mit fla-
      Rund 800 Beschäftigte umfasst die durch         GmbH. In diese neue Firma waren im Herbst        cheren Entscheidungsebenen geben. Dann
      Outsourcing von 734 HPE-Kolleginnen und         letzten Jahres 306 Beschäftigte von HPE out-     werden Synergien geprüft, denn DXC.Techno-
      -Kollegen und Verschmelzung eines kleineren     gesourct worden. „Auch bei uns gibt es ge-       logy soll schneller und agiler Innovationen vo-
      IT-Dienstleistungsbereichs der Manpower         spannte Neugier, ob sich das Unternehmen         rantreiben als das bei HPE möglich war. Wo-
      Group in Dresden entstandene IT-Beratungs-      am Markt halten wird, wenn HPE sein garan-       möglich wird es dabei zu Stellenabbau kom-
      firma Proservia. Das Unternehmen muss sich      tiertes Auftragsvolumen nach und nach zu-        men“, sagt Claus Henrici, EntServ-Gesambe-
      erst noch finden – organisatorisch und auch     rückfährt“, berichtet Redelf Schomaker, Ge-      triebsratsvorsitzender. „Wir Betriebsräte
      mit Blick auf neue Geschäftsfelder.             samtbetriebsratsvorsitzender der Datagroup       rechnen mit vielen Veränderungen. Die Zu-
      „Proservia hat viele Kleinstbetriebe in         ES GmbH. Und auch hier bereiten sich die Ar-     kunft des neuen Unternehmens wird vor allem
      Deutschland, die zunächst in sechs Regio-       beitnehmervertreterinnen und -vertreter auf      davon abhängen, ob die Kunden und der
      nalbetrieben zusammengefasst wurden“, be-       eine unsichere Zukunft vor. „Wir haben be-       Markt diesen Wandel mitmachen.“

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IT MAGAZIN - Mein Leben, meine Zeit! Arbeitszeit in der ITK-Branche neu denken - IG Metall Baden-Württemberg
E N T G E LT ■

19. IG Metall-Erhebung: Entgelt in der ITK-Branche 2017
Tarif zieht – geregelte Standards schützen
Die alljährliche ITK-Entgelterhebung der IG Metall spiegelt die jeweilige Lage der Branche                   Nach der diesjährigen ITK-Entgelterhebung
zuverlässig wider. Die Branche wächst durch den forcierten digitalen Wandel. Aber die                        arbeitet der größte Teil der Beschäftigten
Unsicherheit in den Unternehmen ist groß, wie lange dieser Trend noch anhält und wohin                       (47,1 Prozent) in tarifgebundenen Betrieben
er führt. Dies zeigt sich an ständigen Umstrukturierungen, an Stellenaufbau bei gleich-                      mit einer Wochenarbeitszeit von bis zu
zeitigem Arbeitsplatzabbau und an strengen Kostenregimes in den Betrieben. In dieser                         37,5 Stunden und nur 25 Prozent mit einer
Situation haben die Beschäftigten, die über geregelte Arbeitsstandards verfügen, einen                       regelmäßigen Arbeitszeit von 40 Stunden.
Vorteil. In Unternehmen mit Tarifvertrag wird nicht nur besser verdient, belegt die dies-                    Bei nichttarifgebundenen Unternehmen
jährige ITK-Entgelterhebung. Auch der Schutz der Beschäftigten vor Leistungsdruck, aus-                      ist das Verhältnis umgekehrt: 23,1 Prozent
ufernden Arbeitszeiten und Arbeitsplatzverlust ist dort stärker.                                             der dort Beschäftigten arbeiten in der Regel
                                                                                                             bis zu 37,5 und 51,6 Prozent 40 Wochen-
Big Data, Cloud Computing, Industrie 4.0           Ausbildungs- und Einstiegsgehälter wurden                 stunden.
und mobiles Internet sind die großen The-          in der ITK-Branche im vergangenen Jahr                    Hinzu kommt, dass es in Unternehmen mit
men in den ITK-Unternehmen. Sie treiben            deutlich erhöht (siehe Seite 13). Allgemein               Tarifvertrag oft auch tarifliche Regelungen
die Branche voran. Das bleibt nicht ohne           lag die durchschnittliche Entgeltsteigerung               zur Beschäftigungs- und Standortsiche-
Folgen: Die Zahl der Beschäftigten nimmt           in der ITK-Branche 2016 bei 2,3 Prozent, im               rung, Qualifizierung sowie zur Vereinbarkeit
zu, der Innovationsgrad steigt, die Arbeits-       Vorjahr erreichte sie 1,3 Prozent.                        von Beruf und Familie gibt und damit weit
anforderungen wachsen. Aber viele Unter-           Beschäftigte in tarifgebundenen Unterneh-                 bessere Arbeitsstandards als in nichttarif-
nehmen wollen ihre Kosten niedrig halten.          men verdienten auch 2016 mit einer durch-                 gebundenen Unternehmen.
So werden gleichzeitig Arbeitsplätze verla-        schnittlichen Steigerung um 2,8 Prozent
gert und abgebaut, gehen Qualifikationen           deutlich mehr. Bei ihren Kolleginnen und
verloren und wächst in den Betrieben der           Kollegen in Betrieben ohne Tarifvertrag                     DIE WICHTIGSTEN DATEN
Leistungsdruck.                                    haben sich die Gesamtgehälter in der                        ■ Der diesjährigen 19. ITK-Entgelterhe-
Die meisten ITK-Unternehmen benötigen              ITK-Branche nur um 1,6 Prozent erhöht.                        bung der IG Metall liegen Daten aus
mehr qualifiziertes Fachpersonal. Mehr als         Summiert man die Differenz zwischen                           152 Betrieben mit über 171 000 Be-
50 000 ITK-Spezialisten werden aktuell in          den Tarifentgelten und Nicht-Tarifentgel-                     schäftigten und insgesamt 39 061 Ent-
Deutschland gesucht. Das ist ein Anstieg           ten, so verdienten Beschäftigte in nicht-                     geltinformationen zugrunde.
um zwanzig Prozent gegenüber dem letz-             tarifgebundenen Unternehmen über den                        ■ Danach gab es eine durchschnittliche
ten Jahr. Dies zeigt: Die Unternehmen kom-         Zeitraum von 2008 bis 2016 rund 12,5 Pro-                     Entgeltsteigerung um 2,3 Prozent. Für
men zunehmend unter Druck, mit guten               zent weniger als diejenigen in tarifgebun-                    Beschäftigte in nicht tarifgebundenen
Arbeitsstandards die „besten Köpfe“ ein-           denen.                                                        Unternehmen erhöhten sich die Ge-
zufangen. Dafür bietet die diesjährige ITK-                                                                      samtgehälter um durchschnittlich 1,6
Entgelterhebung der IG Metall zahlreiche           FLEXIBLE ARBEITSZEITEN                                        Prozent und damit wie-
Belege.                                            OFT UNZUREICHEND GEREGELT                                     derholt weitaus gerin-
Vor allem der Bedarf nach Software-Exper-          Flexible Arbeitszeit und mobiles Arbeiten                     ger als bei den Be-
ten ist groß. Deshalb erstaunt es nicht, dass      sind in der ITK-Branche vielfach Normalfall,                  schäftigten aus Betrie-
gerade bei dieser Berufsgruppe das Jah-            aber oft unzureichend geregelt. Auch dabei                    ben mit Tarifvertrag
resentgelt überdurchschnittlich gestiegen          haben Beschäftigte in tarifgebundenen Un-                     (plus 2,8 Prozent).
ist – beispielsweise in der Gruppe Software        ternehmen einen Vorteil: Für sie gibt es ei-                ■ Ebenfalls deutlich er-
Ingenieur/in II um 3,3 Prozent gegenüber           nen abgesteckten Rahmen bei der täglichen                     höht wurden die
dem Vorjahr (siehe Schaubild). Auch die            und wöchentlichen Arbeitszeit.                                Ausbildungs- und
                                                                                                                 Einstiegsgehälter in
                                                                                                                 der ITK-Branche
 JAHRESGEHÄLTER                                    Beispiele aus der ITK-Entgeltanalyse 2016 der IG Metall
                                                                                                                 (siehe gesonderte
 (in Euro)
                                                                                                                 Auswertung Seite
                                     ERHEBUNGSJAHR                                                               13).
 TÄTIGKEIT                                2014            2015           2016        ERHÖHUNG 2016                Bestelladresse: Die 19. Entgelterhebung
                                                                                                                  der IG Metall „Entgelt in der ITK-Branche
 BERATUNG/CONSULTING
                                                                                                                  2017“ kann sowohl als gebundene
 Senior Consultant (B3)                   69434          70 212         71 641              2,0 %
                                                                                                                  Ausgabe als auch als E-Book-Version
 SERVICE TECHNIK                                                                                                  beim Bund-Verlag bestellt werden, te-
 Netzwerk Techniker/-in (ST2)            44 609         45 060         46 016                2,1 %                lefonisch unter 0 69-795010-20 oder
 KAUFMÄNNISCHE ADMINISTRATION                                                                                     online über: kontakt@bund-verlag.de.
 Projektbearbeiter/-in (KA2)              52 184         52 525        53 568               2,0 %                 Mitglieder der IG Metall erhalten eine
                                                                                                                  inhaltsgleiche Sonderausgabe bei den
 SOFTWAREENTWICKLUNG                                                                                              örtlichen IG Metall-Geschäftsstellen.
 Softwarespezialist/-in (SW2)             54 841        55 652         57466                3,3 %                 Mehr unter: www.itk-igmetall.de
                                                                                                                                                              7
IT MAGAZIN - Mein Leben, meine Zeit! Arbeitszeit in der ITK-Branche neu denken - IG Metall Baden-Württemberg
■SCHWERPUNKT

Arbeitszeit in der ITK-Branche neu denken

Mein Leben, meine Zeit!
IT MAGAZIN - Mein Leben, meine Zeit! Arbeitszeit in der ITK-Branche neu denken - IG Metall Baden-Württemberg
SCHWERPUNKT ■

                Der Umbruch in der IT- und Telekommunikationsbranche aufgrund des forcierten Wandels digitaler Technik, Produkte und
                Dienste schlägt sich in veränderten und sich ständig wandelnden Arbeitsprozessen nieder. Die geleistete Arbeit lässt sich heute
                vor allem als agil und flexibel, häufig auch als mobil beschreiben. Dabei sind die Unternehmen in verstärktem Maße darauf
                angewiesen, die Beschäftigten einzubinden. Das aber geschieht nicht immer konfliktfrei. Ein zentrales Aushandlungsfeld ist
                die Arbeitszeit, die immer auch Lebenszeit ist. Dehnt sich die an die Arbeit gebundene Zeit aus, bleibt weniger Zeit für andere
                Zwecke – ob Familie, Hobby oder Weiterbildung. Die IG Metall will mit ihrer bundesweiten Kampagne „Mein Leben – meine Zeit!
                Arbeit neu denken“ mit vielen Beschäftigten der ITK-Berufe ins Gespräch kommen, um gemeinsam mit ihnen zu besser plan-
                baren und beeinflussbaren Arbeitszeiten zu gelangen. ■ ■ ■

                Flexible Arbeitszeit mit kurzfristigen Ände-   keine Einbahnstraße sein und nicht dazu          men und sofern keine betrieblichen Be-
                rungen, entgrenztes Arbeiten, permanente       führen darf, „dass die Arbeit mein Privat-       lange entgegenstehen, mal länger und
                Erreichbarkeit: In den ITK-Berufen machen      leben stark beeinträchtigt“. Und genauso         mal kürzer arbeiten und die Differenz zu
                die Beschäftigen zunehmend die Erfahrung,      viele fordern die Zusage des Arbeitgebers,       ihrer Vertragsarbeitszeit zeitnah ausglei-
                dass der Zugriff des Arbeitgebers auf ihre     „Freizeit nehmen zu können, wenn ich sie         chen können. Auf diese Möglichkeit wollen
                Arbeits- und Lebenszeit immer umfassen-        kurzfristig brauche“. Überdies fühlen sich       viele nicht mehr verzichten. Dafür sind
                der wird. Dem können sie sich kaum ent-        insbesondere ITKler „bei der Arbeit gehetzt      sie oft sogar zu vielen Zugeständnissen
                ziehen, ohne Nachteile befürchten zu müs-      oder unter Zeitdruck“ und stellen fest, dass     bereit.
                sen. Die Folge ist, dass in vielen Unterneh-   sich ihre tägliche Arbeitszeit häufig „kurz-     So veranschaulicht eine Grafik der Hans-
                men der ITK-Branche – beispielsweise bei       fristig auf Anforderung des Betriebs“ ändert     Böckler-Stiftung, dass Beschäftigte mit re-
                SAP – psychische Erkrankungen und Fehl-        und dass der „Betrieb erwartet, dass ich         lativ selbstbestimmten und flexiblen Ar-
                zeiten aufgrund von psychischen Belastun-      auch außerhalb meiner normalen Arbeits-          beitszeiten weit mehr Überstunden leisten
                gen zunehmen.                                  zeit erreichbar bin“ (z. B. per E-Mail oder      als diejenigen, die nach festen Zeitvorga-
                Dabei zeigt die letzte Beschäftigtenumfrage    Handy).                                          ben arbeiten. Danach kommen Beschäftigte
                der IG Metall 2013 – gerade auch unter ITK-                                                     mit festen Arbeitszeiten auf rund drei Über-
                lern – deutlich: Die meisten Beschäftigten     KAUM KONFLIKTE UM DIE ARBEITSZEIT                stunden pro Woche. In Unternehmen mit
                wünschen sich andere Arbeitszeiten – plan-     Auffällig ist jedoch, dass es bisher in den      Vereinbarungen zu Gleitzeit und Arbeits-
                bar und ohne Konflikte beeinflussbar, ge-      wenigsten Unternehmen der ITK-Branche            zeitkonten sowie in Betrieben, in denen die
                sundheitsförderlich und lebensfreundlich.      wegen der Arbeitszeit zu Konflikten              flexiblen Arbeitszeiten vom Arbeitgeber be-
                Sie wollen ihre Arbeit und ihre privaten Le-   kommt. In einem Teil der Betriebe herrscht       stimmt sind, leisten Arbeitnehmerinnen
                bensverhältnisse in Einklang bringen und       „Vertrauensarbeitszeit“ vor. Damit ist zu-       und Arbeitnehmer wöchentlich rund vier
                die Möglichkeit haben, die Arbeitszeit an      meist verbunden, dass Arbeitszeiten nicht        Überstunden. Und dort, wo sie stärker
                ihre jeweilige Lebenslage anzupassen.          erfasst und damit auch nicht kontrolliert        selbstbestimmt ihre Arbeitszeit regeln kön-
Foto: fotolia

                Über 90 Prozent der befragten ITK-Beschäf-     werden. Die Beschäftigten dürfen darauf          nen, kommen sie auf acht Überstunden pro
                tigten sind der Ansicht, dass Flexibilität     „vertrauen“, dass sie im gesetzlichen Rah-       Woche.

                                                                WER KEINE VORGABEN HAT, ARBEITET LÄNGER
                                                                So viele Überstunden pro Woche arbeiten Beschäftigte mit …
                                                                  festen Arbeitszeiten      Gleitzeit oder    vom Arbeitgeber bestimmten        selbstbestimmten
                                                                                           Arbeitszeitkonto      flexiblen Arbeitszeiten     flexiblen Arbeitszeiten

                                                                           3                      4                       4                            8
                                                                                                                  Quelle: SoEP 2006 und 2011, Shvartsman/Beckmann 2016
                                                                                                                                                                         9
IT MAGAZIN - Mein Leben, meine Zeit! Arbeitszeit in der ITK-Branche neu denken - IG Metall Baden-Württemberg
■SCHWERPUNKT

                                                                                                       selbst unter Druck steht oder aber „Sach-
                               Dr. Oliver Pfaff, Sprecher des Wirtschaftsausschusses                   zwänge“ beziehungsweise äußere Um-
                               bei Atos, Frankfurt                                                     stände – wie etwa der Einsatz bei einem
                                                                                                       externen Kunden oder unvorhergesehene
                               LANGZEITMODELLE GEFRAGT                                                 Anforderungen des Unternehmens – ver-
                                                                                                       meintlich keine Spielräume zulassen. Dann
                              »Modelle, die die Lebensarbeitszeit betreffen, sind bei uns auf          wäre es gut, ein solides Gerüst aus Tarif-
                              der Agenda. Bisher jedoch ziert sich die Arbeitgeberin, darüber          vertrag und betrieblichen Vereinbarungen
                              zu verhandeln. Sie befürchtet zu hohe Rückstellungen, um bei-            zur Verfügung zu haben, das Flexibilität auf
                              spielsweise Sabbaticals oder auch großzügige Altersteilzeit zu           beiden Seiten – Arbeitgeber sowie Arbeit-
                             ermöglichen. Wir haben zwar heute schon viele Möglichkeiten,              nehmerinnen und Arbeitnehmer – zulässt
                             die die Beschäftigten nutzen können, um flexibel zu arbeiten –            und „rote Linien“ zieht, um sich vor dem
      Gleitzeitkonten, die in Freizeit ausgeglichen werden, flexible Vollzeitarbeit zwischen           ausufernden Zugriff des Arbeitgebers
      35 und 40 Wochenstunden, ein Anspruch darauf, die Arbeitszeit über maximal zwei                  schützen zu können.
      Jahre hinweg zu verkürzen und danach automatisch zur Vollzeitarbeit zurückzukehren.              Notwendig sind beispielsweise klare und
      Aber viele wünschen sich heute längere Auszeiten; Modelle, mit denen sie Arbeitszeit             verbindliche Zeit-Verfügungsrechte, die je-
      langfristig ansparen können, um früher aus dem Beruf aussteigen, sich zwischendurch              dem Beschäftigten einen Anspruch darauf
      weiterbilden oder mal etwas völlig anderes machen zu können – eine große Reise bei-              sichern. So gibt es beispielsweise bei Atos
      spielsweise. Dazu bedarf es allerdings einer neuen Kultur im Unternehmen. Das tut                ein abgestuftes Wahlarbeitszeitmodell, das
      sich noch immer schwer damit, wenn auch Männer mal Erziehungsurlaub nehmen.«                     es Beschäftigten ermöglicht, bei einer ta-
                                                                                                       riflichen Referenzarbeitszeit von 37,5 Stun-
                                                                                                       den zwischen 35 und 40 Wochenstunden
     Die Vertrauensarbeitszeit wird demnach          häufig vom Arbeitgeber zur Leistungskon-          zu arbeiten und dies vertraglich zu verein-
     vielfach idealisiert. Mit der Wunscharbeits-    trolle missbraucht wird.                          baren. Abweichend von der Vertragsarbeits-
     zeit der Beschäftigten hat sie oft nicht        Die Folge ist: Es gibt keine nötigen Erhol-       zeit können sie ihre Arbeitszeit überdies
     viel zu tun, weil die Rahmenbedingungen         phasen mehr, stattdessen Arbeiten ohne            bis zu 24 Monate weiter absenken oder er-
     für weitgehend selbstbestimmte Arbeitszei-      Ende. „Die agilen Methoden bieten viele           höhen. Danach kehren sie automatisch wie-
     ten zumeist nicht stimmen. Das haben die        Chancen“, kommentiert Tobias Kämpf, Wis-          der zur (längeren) vertraglich vereinbarten
     IG Metall-Kolleginnen und Kollegen bei          senschaftler am Institut für sozialwissen-        Wochenarbeitszeit zurück.
     SAP bei der Beschäftigten-Befragung der         schaftliche Forschung (ISF) München, die          Auch weitgehende Gleitzeitregeln, wie sie
     IG Metall 2013 festgestellt: Die normale Ar-    neuen Arbeitsformen. „Aber sie sind keine         bereits seit vielen Jahren bei der Software
     beitszeit beträgt in dem Softwareunterneh-      Selbstläufer. Sie müssen nachhaltig gestal-       AG bestehen, bieten einen guten Rahmen,
     men 40 Wochenstunden, allerdings arbeiten       tet werden.“                                      um entgrenztes Arbeiten zu verhindern, ins-
     rund 60 Prozent der SAP-Beschäftigten wö-                                                         besondere weil sie daran gekoppelt sind,
     chentlich mehr als 40 Stunden. Die ge-          ARBEITSZEIT BEGRENZEN                             dass die Arbeitszeit erfasst wird. „Rund 80
     wünschte Arbeitszeit liegt deutlich niedri-     „Solange man sich mit dem Vorgesetzten            Prozent der Kolleginnen und Kollegen
     ger: Mehr als die Hälfte der Befragten          versteht, ist die Arbeitszeit in der Regel kein   schreiben ihre Arbeitszeiten auf. Vielleicht
     möchte weniger als 40 Stunden, 20 Prozent       Problem“, sagt Annette Maier, stellvertre-        liegt es an dem hohen Altersdurchschnitt
     wollen 40 und nur 10 Prozent mehr als 40        tende Betriebsratsvorsitzende bei Hewlett         – mehr als 50 Jahre – im Unternehmen,
     Stunden arbeiten.                               Packard Enterprise. Schwierig wird es,            dass die meisten von ihnen darauf achten,
                                                     wenn dies nicht der Fall ist, der Vorgesetzte     ihre Arbeitszeit im Rahmen zu halten“, be-
     VON WUNSCHARBEITSZEITEN WEIT
     ENTFERNT
     Auch die neuen agilen Arbeitsformen, die sich                             Annette Maier, stellvertretende Betriebsratsvorsitzende
     in der ITK-Branche immer weiter durchsetzen                               Hewlett Packard Enterprise (HPE):
     sind nicht gerade geeignet, Wunscharbeits-                                GEFÄHRDUNGSBEURTEILUNGEN NUTZEN
     zeiten zu realisieren. Oft laufen hierbei die
     Arbeitszeiten sogar völlig aus dem Ruder.                               »Die Vertrauensarbeitszeit führt bei uns immer wieder dazu,
     Agiles Arbeiten stellt darauf ab, dass die                              dass viele Kolleginnen und Kollegen mehr arbeiten als sie müss-
     Beschäftigten über die Arbeitsprozesse                                  ten. Bis zu zwanzig Stunden Mehrarbeit pro Monat müssen nicht
     stärker mitentscheiden können. Dadurch                                  einmal genehmigt werden. Auf Dauer kann dies gesundheitliche
     sollen Innovationen beschleunigt werden.                                Folgen haben. Deshalb suchen wir nach Lösungen, die diejenigen
     Häufig jedoch bleiben herkömmliche Hier-                                schützen, die diese ständige Mehrbelastung nicht wollen. Wir
     archien und Führungspositionen weiterhin                                haben jedoch keinen Tarifvertrag, den wir nutzen können, um
     aufrecht erhalten. Dies aber schränkt die        die Arbeitszeit in engeren Grenzen zu halten. Ein wichtiges Instrument für uns wäre
     Qualität der Entscheidungen und die Eigen-       eine wirksame psychische Gefährdungsbeurteilung, die ja auch gesetzlich vorgeschrie-
     regie der jeweiligen Teams ein. So gibt es       ben ist. Darüber verhandeln wir seit langer Zeit mit dem Arbeitgeber. Der möchte sich
     in der Praxis viele Beispiele dafür, dass        aber am liebsten alle organisatorischen Änderungen, die aus solch einer Beurteilung
     etwa Vorgesetzte als Scrum-Master ein Ar-        folgen könnten, vom Leib halten. Lieber sollen die Beschäftigten persönlich Prävention
     beitspaket nach dem anderen „durchja-            betreiben und sich individuell widerstandsfähiger – Stichwort: Resilienz – machen. Ein
     gen“, die Intervalle – die sogenannten           weiterer Ansatzpunkt wären Überlastungsanzeigen. Damit könnten Beschäftigte oder
     Sprints – immer wieder verkürzen und stän-       Teams den Arbeitgeber oder den Vorgesetzten auf Probleme und kritische Situationen
     dig neue Anforderungen in die Prozesse           etwa als Folge von Personalmangel, schlecht organisiertem Personaleinsatz oder stän-
     hineingeben. Hinzu kommt, dass die bei           diger Mehrarbeit hinweisen, die ihre Gesundheit gefährden.«
10   agilem Arbeiten erforderliche Transparenz
SCHWERPUNKT ■

                                                                                                               Unternehmen nicht ausdrücklich befürwor-
                                         Eberhard Schick, IG Metall-Mitglied und Mitglied der                  tet. So gibt es keine entsprechende Verein-
                                         Fraktion „Pro Mitbestimmung“ im Betriebsrat der SAP SE                barung bei der größeren SAP SE. Die zen-
                                                                                                               trale Frage ist, ob der Vorgesetzte mitzieht.
                                         ÜBERSTUNDENAUSGLEICH IN TAGEN                                         Den Arbeitsort und die Arbeitszeit können
                                         »Bei SAP wurde in letzter Zeit nicht viel über Arbeitszeit geredet.   die Beschäftigten nur in Abstimmung mit
                                         Wir haben ja Vertrauensarbeitszeit. Damit ist oder scheint das        seiner Führungskraft wählen.“
                                         Thema „flexibel Arbeiten“ erledigt zu sein. Dagegen steht die         Auch für viele Crowdworker wird die Ar-
                                         Zunahme der psychischen Erkrankungen und Fehlzeiten aufgrund          beitszeit verstärkt zum Problem. Die „Frei-
                                         von psychischen Belastungen. Wir glauben an einen Zusammen-           heit“, die diese Arbeitsform mit sich bringt,
                                         hang. Deshalb ist eine Diskussion über die Arbeitszeit vonnöten.      hat deutliche Schattenseiten, die sich nicht
                                         Im SAP-Unternehmen, das für Beratung und Vertrieb zuständig           nur in einer oft prekären Vergütung und un-
                 ist, der SAP Deutschland, gibt es eine Vereinbarung über Vertrauensarbeitszeit. Kern-         zureichenden sozialen Sicherung ausdrü-
                 punkt ist, dass sie die Möglichkeit definiert, Überstunden in Form von ganzen freien          cken. Sie wird vielfach auch den Erwartun-
                 Tagen auszugleichen. Der Mitarbeiter muss mindestens zwei Wochen vor dem von                  gen an Zeitsouveränität nicht gerecht.
                 ihm gewünschten Ausgleichstag einen Antrag stellen. Und der Vorgesetzte muss darauf           Nach einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung
                 binnen einer Woche reagieren, wenn er dem widersprechen möchte. Falls er den Termin           liegt die Arbeitszeit von Crowdworkern, die
                 nicht genehmigt, muss der Manager einen anderen Ausgleichstag vorschlagen. Für                hauptberuflich ihr Geld auf Marktplatz-In-
                 einen kurzfristigen Wunsch nach einem freien Tag müssen sich Manager und Mitarbeiter          ternetplattformen verdienen, bei 31,57 Wo-
                 einig sein.«                                                                                  chenstunden – und dies zu völlig unter-
                                                                                                               schiedlichen Uhrzeiten, überwiegend je-
                                                                                                               doch abends. Kommen dann noch unvor-
                richtet Arno Völker, Betriebsratsvorsitzen-     Arbeiten überhaupt ermöglicht wird, hängt      hergesehene Kundenanforderungen oder
                der bei der Software AG.                        vielfach vom Gutdünken des Vorgesetzten        Lösungsprobleme hinzu, was häufig der Fall
                                                                ab. Zeitsouveränität: oft Fehlanzeige.         ist, kann sich die Arbeitszeit leicht bis in
                ZEITSOUVERÄNITÄT DURCH MOBILES                  In einigen Unternehmen, unter anderem bei      die Nachtstunden, wenn nicht sogar auf
                ARBEITEN?                                       BMW, Daimler und Bosch – haben Betriebs-       den ganzen Tag erstrecken.
                Selbst mobiles Arbeiten, das in der ITK-        räte und IG Metall Regelungen durchgesetzt,
                Branche schon fast überall selbstverständ-      wonach anerkannt ist, dass Mobilarbeit Ar-     ARBEITSZEITMODULE FÜR VERSCHIEDENE
                lich ist, trägt in der Praxis kaum dazu         beitszeit ist. Sie räumen den Beschäftigten    LEBENSPHASEN
                bei, Arbeit und Leben in einer ausgewo-         mehr Autonomie ein, wenn sie von einem         Nicht zuletzt werden für immer mehr ITK-
                genen Balance zu halten (siehe auch Aus-        anderen Arbeitsort aus – etwa vom Kunden,      Beschäftigte Lebensphasen orientierte Ar-
                gabe 4/2013 des IT-Magazins). Die Be-           von zu Hause oder von unterwegs – ihrer        beitszeitmodelle wichtiger. So lässt sich
                schäftigten bezahlen bei dieser Arbeits-        Arbeit nachgehen. Vielfach ist ein Recht auf   nicht nur beobachten, dass eine bessere
                form häufig damit, dass sie für den Arbeit-     Nichterreichbarkeit geregelt. Diese Verein-    Vereinbarkeit von Familie und Beruf nicht
                geber ständig erreichbar sein müssen –          barungen machen inzwischen auch in der         nur von Frauen, sondern verstärkt auch von
                abends an Wochentagen, am Wochenende            ITK-Branche, zum Beispiel bei SAP Deutsch-     Männern eingefordert wird. Oliver Pfaff,
                und selbst im Urlaub. Hinzu kommt: In           land, Schule. „Grundsätzlich können bei        Betriebsrat bei Atos in Frankfurt, berichtet,
                längst nicht allen ITK-Unternehmen wird         SAP Deutschland alle Mitarbeiterinnen und      dass zunehmend jüngere Leute Arbeitszeit-
                mobile Arbeit als Arbeitszeit erfasst. Dem-     Mitarbeiter an der Mobilarbeit teilnehmen“,    modelle nachfragen, die es ihnen erlauben,
                entsprechend ist sie nicht geregelt und         berichtet SAP-Betriebsratsmitglied Eberhard    zeitweilig ganz aus dem Job auszusteigen
                wird auch nicht vergütet. Und ob mobiles        Schick. „Aber diese Arbeitsform wird vom       – etwa in Form eines Sabbaticals – oder
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                                                                                                                                                               11
■SCHWERPUNKT

     einer dauerhaft geregelten Drei- bis Vier-
     Tage-Woche oder einer befristeten Teilzeit-
     arbeit nachzugehen.
     Diesbezüglich mangelt es allerdings in den
     meisten ITK-Unternehmen an Phantasie und
     attraktiven Lösungen, die insbesondere den
     Wünschen der „Generation Y“ entgegenkom-
     men. So fehlt es allenthalben an Arbeitszeit-
     modulen, die in unterschiedlichen Lebens-
     phasen genutzt werden können – unter an-
     derem für Aus- und Weiterbildung, Kinder-
     erziehung und die Pflege Angehöriger, für
     eine berufliche oder persönliche Neuorien-
     tierung zwischendurch oder einen zeitlich
     gestreckten Übergang in die Rente. Gerade
     mit der fortschreitenden Digitalisierung las-
     sen sich hier Lösungen denken, die über die
     teilweise bereits praktizierten Arbeitszeit-
     konten weit hinausgehen.
     Für die ITK-Unternehmen steht heute fest:
                                                      Foto: fotolia

     Entscheidend für ihren Erfolg sind die Be-
     schäftigten. Das gilt erst recht mit Blick auf
     die fortschreitende Globalisierung und Di-
     gitalisierung. Damit die notwendigen Ver-
     änderungsprozesse gelingen, wird es für                                                 Karin Kneer, Crowdworkerin
     sie immer wichtiger, die Beschäftigten in
     diese Prozesse einzubeziehen. Ständige
                                                                                             ES IST NICHTS PLANBAR
     Weiterbildung wird zur Voraussetzung un-                                                »Seit fast drei Jahren arbeite ich als Crowdworkerin auf Mikro-
     ternehmerischen Erfolgs. Vor allem kleinere                                             taskPlattformen. Das mache ich gerne und es passt auch zu mei-
     und mittelständische Unternehmen geraten                                                nem Leben. Damit werde ich nicht reich, aber keine Anfahrtszeit
     unter starken Weiterbildungsdruck. Es                                                   zum Job und kein Verkehrsstau morgens sind schon echte Vor-
     muss künftig verstärkt darum gehen, Qua-                                                teile. Wann und wieviel ich arbeite, kann ich selbst bestimmen.
     lifizierungszeiten fest in dem jeweiligen Ar-                                           Aber ich sitze auch jeden Tag viele Stunden vor dem Computer.
     beitszeitsystem eines Unternehmens zu                                                   Wenn genug Jobs online sind, kann ich meine Zeit gut planen.
     verankern oder den Beschäftigten Anreize                                                Schwieriger wird es, wenn wenig Jobs reinkommen. Dann bin ich
     zu geben, sich für die digitale Transforma-                      den ganzen Tag auf dem Sprung und warte, dass sich etwas tut. Im Voraus weiß man
     tion weiterzuqualifizieren.                                      nie, wann und wie viele Aufträge wieder online sind. Dann müssen auch mal andere
                                                                      Dinge wie Einkaufen, Arztbesuch usw. verschoben werden. Häufig wird auch an einem
     BESCHÄFTIGTE BETEILIGEN                                          Wochenende oder Feiertag gearbeitet. Ich habe jedoch das Glück, für einige Jobs freige-
     Die IG Metall will mit ihrer Arbeitszeit-Kam-                    schaltet zu sein, auf denen eine sogenannte „White List“ liegt. Das bedeutet, hieran
     pagne Beschäftigte in der ITK-Branche und                        kann nur eine begrenzte Anzahl Leute arbeiten. Dank dieser Jobs kann ich meine Ar-
     den IT-Abteilungen anderer Unternehmen                           beitszeit gut planen. Andere Jobs, die für alle zugänglich sind, werden schneller abge-
     einladen, ihre Ideen und Wünsche zur Ar-                         arbeitet, als man gucken kann. Wer auf diese Art sein Geld verdienen will, steht unter
     beitszeit zu äußern. Wie muss diese ge-                          großem Stress. Einkommen und Freizeit sind nicht planbar.«
     staltet sein, um größere Freiräume für Krea-
     tivität in der Arbeit zu schaffen, eine aus-
     gewogene Work-Life-Balance zu sichern,
     Lösungen für unvorhergesehene oder ge-                                                  Arno Völker, Betriebsratsvorsitzender bei der Software AG
     plante Lebensereignisse zu ermöglichen
     und Qualifizierungsansprüche verankern zu
                                                                                             GLEITZEIT HAT SICH BEWÄHRT
     können?                                                                                  »Bei uns gibt es bereits seit Jahren Regelungen über Gleitzeit
     In vielen ITK-Unternehmen läuft die Be-                                                  und Langzeitkonten. Die haben bisher ausgereicht, um die Ar-
     schäftigtenbefragung auf vollen Touren. Auf                                              beitszeiten flexibel und zugleich in abgesteckten Grenzen zu hal-
     Basis der dabei gewonnenen Ergebnisse                                                    ten. Inzwischen haben sich alle im Unternehmen daran gewöhnt,
     will die IG Metall zusammen mit den Be-                                                  dass freitags nur noch die Hälfte der Beschäftigten im Betrieb
     schäftigten Forderungen an die Arbeitgeber                                               ist und viele von ihnen im Home-office arbeiten. Selbst in den
     stellen und diese gemeinsam mit ihnen po-                                                Entwicklungsbereichen haben sich unsere Gleitzeitregelungen
     litisch, tariflich und betrieblich durchset-                                             bewährt. Nachjustieren müssen wir bei den Beratern, die häufig
     zen. Es geht darum, den Raum für Gute Ar-                        beim Kunden vor Ort sind. Lange Reisezeiten müssen ausgeglichen werden. Wir be-
     beit zu erweitern, die Entgrenzung der Ar-                       sprechen dies gerade in der regelmäßig tagenden Arbeitszeitkommission, und unsere
     beitszeit einzudämmen, dem Verfall geleis-                       Personaler zeigen sich inzwischen einsichtig. Diese Arbeitszeitkommission bringt es
     teter Arbeitszeit zu begegnen und den Zeit-                      mit sich, dass die Arbeitszeit ständiges Thema im Unternehmen ist. Deshalb können wir
     und Lebensbedürfnissen der Menschen                              auf veränderte Bedürfnisse der Beschäftigten – etwa die größere Nachfrage nach El-
     größeres Gewicht in einer hoch produk-                           ternzeit, Mobilarbeit oder auch Altersteilzeit – zeitnah in ihrem Interesse reagieren.«
12   tiven, digitalen Arbeitswelt beizumessen.
I N T E R N A T I O NXAXLXE XS ■

Ausbildungs- und Einstiegsentgelte in der ITK-Branche
Gute Startbedingungen
Die ITK-Branche braucht gut qualifizierten Nachwuchs. Der immer wieder von den Ar-              Mit einem Klick lassen sich jeweils die
beitgebern behauptete Fachkräftemangel hat zumindest bewirkt, dass die Unterneh-                Gehälter in 380 Berufen aufrufen. Unter
men seit 2014 wieder dabei sind, ihre Ausbildungskapazitäten auszuweiten – auch                 der Berufsgruppe EDV/IT-Berufe sind unter
wenn dies bisher längst nicht reicht. Und auch die Vergütungen für Azubis sowie die             anderem die durchschnittlichen Brutto-
Gehälter für Neueinsteiger ziehen – wie bereits im vergangenen Jahr – weiter an.                monatseinkommen von Fachinformatikern,
                                                                                                Informatikern, IT-Beratern, IT-System-
Viele ITK-Unternehmen scheinen erkannt                            vergütungen sogar um          Elektronikern und -Kaufleuten aufgelistet.
zu haben, dass sie sich ihren Fachkräfte-                         durchschnittlich sechs        Die Beträge basieren durchweg auf den
nachwuchs nicht ohne weiteres „von der                            Prozent gegenüber dem         Angaben, die das WSI durch seine Online-
Stange“ kaufen können, sondern vermehrt                           Vorjahr.                      Umfrage gewonnen hat, an der sich
selbst etwas dafür tun müssen. Sie haben                          Auch bei den Einstiegsge-     alle Beschäftigten beteiligen können
daher vielfach ihre Ausbildungskapazitäten                        hältern gab es eine Erhö-     (www.lohnspiegel.de).
ausgeweitet und geben auch mehr Frauen                            hung, wenn auch mit 2,6       Gerade Berufseinsteigern empfiehlt die
die Chance, einen IT-Beruf auszuüben. Dar-                        Prozent eher moderat.         IG Metall, sich ein umfassendes Bild über
über hinaus locken sie vermehrt mit attrak-                       Die jährliche ITK-Entgelt-    ihre Verdienstmöglichkeiten in der ITK-
tiven Einstiegsgehältern.                                         erhebung der IG Metall ist    Branche zu verschaffen und diese Infor-
Während über alle Berufsbilder hinweg die                         zwar die umfangreichste       mationen bei den Verhandlungen mit dem
Nachfrage nach Ausbildungsstellen in den        Informationsdatenbank über in der Branche       Arbeitgeber über den Arbeitsvertrag zu
letzten Jahren zurückgegangen ist, erhöhte      gezahlte Vergütungen und Gehälter. Aller-       nutzen. Sie unterstützt ihre Mitglieder mit
sich – nach Jahren der Stagnation – die An-     dings gibt es noch weitere Quellen, die die     vielen weiteren Informationen zur Ge-
zahl der Ausbildungsplätze in der ITK-Bran-     Entgeltsituation in diesem Bereich beleuch-     staltung des Arbeitsvertrags, zur Ausbil-
che seit 2014 kontinuierlich. Allein 2016 gab   ten. So etwa ermittelt der Branchenverband      dungssituation und über arbeitsrechtliche
es in der ITK-Branche 744 Ausbildungsplätze     Bitkom quartalsmäßig Wertveränderungen          Ansprüche.
mehr als im Vorjahr (plus 4,9 Prozent). Vor     bei den Bruttomonatsverdiensten (ohne
allem bei den Fachinformatikern/-innen und      Sonderzahlungen) auf der Basis von Daten
Informatikkaufleuten gab es deutliche Zu-       des Statistischen Bundesamtes und eigener         INGENIEURGEHÄLTER 2016/2017
wächse (plus 9,4 Prozent beziehungsweise        Berechnungen.                                     Branchenübergreifend veröffentlicht die
7,4 Prozent), während die Ausbildungsstel-                                                        IG Metall seit Jahren die Tarifgehälter von
len bei den ITK-System-Elektronikern/-innen     WENIGER GELD IN START-UPS                         Ingenieurinnen und Ingenieuren in der Me-
und -Kaufleuten stark (um 10,8 beziehungs-      In einer Umfrage befragte der Verband 2016        tall- und Elektroindustrie. Sie hat dazu sieben
weise 11,9 Prozent) zurückging.                 rund 150 Start-up-Gründer zu den Brutto-          regionale Flyer herausgegeben, die die je-
                                                monatseinkommen in ihren Betrieben. Da-           weiligen Ingenieurgehälter in den unter-
JUNGE FRAUEN FÖRDERN                            nach liegt das durchschnittliche Einstiegs-       schiedlichen Tarifgebieten (Bezirk
Erfreulich ist, dass inzwischen auch vermehrt   gehalt für Junioren in Start-ups bei 31 400       Küste, Bezirk Berlin-Brandenburg
junge Frauen den Zugang zu IT-Berufen fin-      Euro, für Beschäftigte auf dem Senior-Level       und Sachsen, Bezirk Niedersach-
den. Allein bei den Ausbildungsplätzen im       bei rund 46 500 Euro und für Fachkräfte in        sen und Sachsen-Anhalt, Bezirk
Bereich Fachinformatik erhöhte sich der         leitender Funktion bei rund 55 800 Euro.          Mitte, Bezirk Nordrhein-Westfa-
Frauenanteil um 14,4 Prozent, bei den Infor-    Das Gehalt könne etwas geringer ausfallen         len, Bezirk Baden-Württemberg,
matikkaufleuten sogar um 22,4 Prozent.          als in etablierten Unternehmen, betont der        Bezirk Bayern) abbilden. Dabei
Dank der guten Tarifabschlüsse der IG Me-       Verband und verweist dabei gleichzeitig auf       werden auch Daten des WSI-
tall in den vergangenen Jahren, aber auch       die Vorteile in diesen Betrieben: flache Hie-     Lohnspiegels über Entgelte in
als Ausdruck der verstärkten Bemühungen         rarchien, flexible Arbeitszeiten und mo-          unterschiedlichen Ingenieur-Tä-
der Arbeitgeber, junge Leute für ihre Un-       derne Büros.                                      tigkeiten präsentiert.
ternehmen zu gewinnen, verbesserten sich        Eine weitere Quelle für Informationen zu              Die Flyer können über die IG Metall
die Ausbildungsvergütungen. Sie stiegen         den Entgelten in der ITK-Branche bietet               bezogen werden: IG Metall Vorstand,
2016 im Vergleich zum Vorjahr um durch-         die Webseite „Lohnspiegel.de“ des Wirt-               Branchenkoordination ITK, 60519 Frankfurt
schnittlich fünf Prozent. Bei den dual Stu-     schafts- und Sozialwissenschaftlichen In-             am Main, E-Mail: itk@igmetall.de
dierenden erhöhten sich die Ausbildungs-        stituts in der Hans-Böckler-Stiftung (WSI).                                                         13
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