BULLETIN - die Grünen Zug

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ALTERNATIVE - DIE GRÜNEN ZUG

    BULLETIN                                   NUMMER 1 | MÄRZ 2018

*   4 Wahlen – Wahl (er)folg(t) *
* 12 #NetzCourage – Mit Mut gegen den Hass *
* 16 Rohstoff – Glencore in Kolumbien *
* 20 Die 68er-Bewegung in Zug *
* 22 Mikrosteuer – Revolutionär andere Steuern *
Inhaltsverzeichnis

    3 Editorial
2   Welche Gesellschaft wollen wir?
                                             «Mission statement»
                                             Das BULLETIN ist eine unabhängige Kom-        • Gleichwertigkeit von Geschlecht und
                                             munikationsplattform des alternativen Zug       Rasse
    4 Wahlen
                                             und wird von folgenden Gruppen getragen:      • Verantwortung des Einzelnen ge­gen­über
    Wahl (er)folg(t)
                                                                                             der Gesellschaft und Verantwortung der

    6 Sparwut                                Alternative – die Grünen Baar                   Gesellschaft gegenüber dem/der
    Am Volkswillen vorbei                    Alternative – die Grünen Menzingen              Einzelnen.
                                             Alternative – die Grünen Unterägeri
    8 Kantonsrat                             Alternative – die Grünen Stadt Zug            Die Redaktion recherchiert zu politischen
    Mehrwertabgabe als Auftrag               Alternative – die Grünen Zug                  und gesellschaftlichen Themen nach be-
                                             Forum Oberägeri                               stem Wissen und Gewissen. Sie nimmt
    9 Junge Alternative                      Grünes Forum Hünenberg                        aktuelle Themen der alternativen Gruppie-
    Gegen die Casino-Lobby                   Grüne Risch-Rotkreuz                          rungen aus den einzelnen Zuger Gemein-
                                             Grüne Steinhausen                             den auf. Das BULLETIN fördert das poli­
    10 Regierungsrat                         Krifo Alternative Cham                        tische Bewusstsein der Bevölkerung und
    Transparenz bei den Asylkosten                                                         trägt zur Meinungsbildung bei. Autorinnen
                                             Das BULLETIN setzt sich mittels seiner        und Autoren der BULLETIN-Beiträge sind
    12 #NetzCourage                          Publikationen ein für die Förderung und       frei in ihrer Meinungsäusserung.
    Mit Mut gegen den Hass                   den Erhalt von Lebensqualität im Sinne von:
                                             • Soziale Gerechtigkeit, Schutz von sozial    Redaktion und Herausgeberverein
    16 Rohstoff                                   Benachteiligten                          «Das BULLETIN»
    Glencore in Kolumbien
                                             • Ökologische Nachhaltigkeit, Schutz
                                                  von Lebensräumen und der Natur
    19 Überwachung
    Fichen gegen Staatsfeinde

    20 1968
    Die 68er-Bewegung in Zug

    22 Mikrosteuer
    Revolutionär andere Steuern

    24 Vollgeld
    Nur Bares ist Wahres

    25 Service
    Gestreift
    Initiative
    Kino
    Veranstaltung
    Adressen
    Impressum

    Umschlagbild: «Im Netz bleibt vieles hängen.»

    BULLETIN     |     NUMMER 1   |   MÄRZ 2018
Editorial

Welche Gesellschaft
wollen wir?
Andreas Hürlimann, Kantonsrat und Gemeinderat Steinhausen

Meine nun mittlerweile                                                     dia-Kanäle, viele ihre Wirklichkeit    3
fast zwölfjährige Erfah­                                                   so zusammenbasteln, wie sie
rung als Parlamentarier                                                    gerade zu passen scheint. Gemein­
im Zuger Kantonsrat                                                        wohl scheint nur noch gut zu sein,
ermöglicht mir eine                                                        wenn es einem persönlich einen
relativ gute Einordnung                                                    unmittelbaren Nutzen bringt.
der politischen Geschäfte                                                  Eigentum geht über alles, selbst
und der Positionen der                                                     wenn es zum Verschwinden der
verschiedenen Frak­                                                        letzten Grünflächen führt. Service
tionen. Leider wird von                                                    public nur dann, wenn er selbst­
den Medien auch heute                                                      gewählt und nicht durch die
noch gerne das alt-                                                        Gesellschaft mitbestimmt werden
bekannte Links-rechts-                                                     kann. Das sind heikle Tendenzen.
Muster bedient – wobei                                                     Die intensive Debatte über No
die Mitte dann gemäss                                                      Billag war nicht nur eine Debatte
der Berichterstattung für                                                  über die Medienlandschaft in der
die Kompromisslösungen                                                     Schweiz, sondern auch über ein
steht. Doch ist dem                                                        Idealbild unserer Gesellschaft, in
wirklich so? Das Beispiel                                                  welcher wir leben wollen. Zu den
der vom Kantonsrat                                                         wichtigsten Voraussetzungen einer
kürzlich versenkten                                                        funktionierenden Demokratie und
Revision des Planungs-                                                     offenen Gesellschaft gehört für
und Baugesetzes (PBG –                                                     mich die Freiheit, sich eine eigene
1. Teil zur vom Bund                                                       politische Meinung zu bilden.
vorgeschriebenen                                                           Gerade politische Meinungen sind
Mehrwertabschöpfung,                                                       aber seit je anfällig für Manipula­
siehe auch Seite 8) zeigt                                                  tion und Indoktrination. Nicht
ein realistischeres Bild:                                                  ohne Grund haben viele autoritär
Eine klare Mehrheit der                                                    Herrschende dieser Welt zuerst das
ALG hat sich am Schluss gegen die    listisch» betitelt und versuchten     Mediensystem diszipliniert und
Revision des Planungs- und           eine Wirklichkeit zu konstruieren,    können so ihre Argumente relativ
Baugesetzes ausgesprochen, weil      welche so nicht existiert. Mittler­   einfach durchsetzen. Seien wir also
die Massnahmen zur Verdichtung       weile, so konnte man hören, ist       froh um jede kritische Berichter­
komplett verwässert und die          selbst der Zuger Regierungsrat        stattung und hinterfragende
Mehrwertabschöpfung gerade bei       «links». Dieser Satz ist noch nicht   journalistische Leistung. Auch
Auf- und Umzonungen zu einem         so oft zu hören wie beim Bundes­      wenn uns diese nicht immer
Feigenblättchen degradiert wur­      rat. Mit der Wiederholung dieses      100-prozentig passt. Aber nur mit
den. Aber ein einfaches Links-       Satzes kann diese falsche Aussage     offenem Blick und umfassenden
rechts-Schema greift hier zu kurz.   beim Bund wie beim Kanton             Informationen gelingt es uns, gute
Denn fachlich fundierte Anträge      jedoch nicht zur Wahrheit werden.     und nachhaltige Entscheide für
und sogar Kompromissanträge aus      Denn gerade in Zug müssten ja         eine Gesellschaft zu treffen, welche
den Gemeinden, die eine praxis­      rechnerisch zwei CVP-Magistraten      allen Menschen hilft und diese
taugliche Mehrwertabschöpfung        sowie einer aus der FDP oder aber     nicht aufgrund eines Minderheiten­
ermöglicht hätten, wurden in der     der SVP zusammen mit unserer          merkmals ausgrenzt.
zweiten Lesung vor allem von         Frau Landammann Manuela               2018 ist Wahljahr (siehe auch
jenen abgelehnt, die im Nachgang     Weichelt-Picard zusammenspan­         Seite 4) und wir alle haben die
vom vergebenen Kompromiss            nen. Wie oft dies im von Sparde­      Möglichkeit, unsere Parlamente
sprachen. Gerade die politische      batten dominierten Rat passiert,      und Exekutiven neu zu besetzen.
Mitte sprach sich mit Vehemenz       muss hier nicht weiter kommen­        Nutzen wir diese Chance für eine
gegen Gemeindeanliegen und sehr      tiert werden.                         stärkere politische Alternative im
moderate, ja gar durch und durch     Das Beispiel zeigt aber, dass in      Kanton Zug. Stellen wir die
bürgerliche Vorschläge der Regie­    Zeiten von Fake News und gefil­       Weichen für eine Gesellschaft,
rung aus. Diese wurden als «sozia­   terten Nachrichten via Social-Me­     in welcher wir alle gerne leben! ■

                                                                    BULLETIN    |   NUMMER 1    |   MÄRZ 2018
Wahlen

    Wahl (er)folg(t)

    Andreas Lustenberger, Präsident Alternative – die Grünen Zug

4   Umwelt im Kopf, Welt im Blick, Freiheit im Herzen, Gerechtigkeit im
    Sinn. Am 7. Oktober 2018 steht der in der Politszene Super Sunday
    genannte Wahlsonntag vor der Tür. Für uns Alternative – die Grünen
    bedeutet dies, dass wir die Lorbeeren für unsere engagierte Arbeit in der
    Zuger Politiklandschaft ernten können. Eine lustvolle Wahlkampagne,
    soll uns dabei helfen.

    Auf sieben fette Jahre folgen sieben       zingen, - Cham). Die zweite Änderung
    magere. Josef deutete gemäss altem         im Wahlsystem war die Einführung
    Testament mittels zweier Träume dem        des doppelten Pukelsheim (benannt
    Pharao im alten Ägypten die Zukunft.       nach dem deutschen Stochastik-Pro-
    Wahljahre sind in unserer Zeit eher        fessor Friedrich Pukelsheim). Dabei
    mit wenig Schlaf gesegnet, deshalb         handelt es sich um eine neue Berech-
    fällt es mir schwer, mich an meine         nungsmethode für die Legislative,
    Träume zu erinnern, um euch eine           also den Kantonsrat. Wurden vor die-
    genaue Prognose für den Wahlausgang        ser Regelung jeweils die Mandate nur
    abzugeben. Zudem verlassen wir uns         auf Ebene der Gemeinden paritätisch      Manuela strahlt nach dem Wahlerfolg
    lieber auf die Fakten als auf die Nacht-   verteilt, so werden neu die Parteien-    2014!
    gedanken seitens des Präsidiums und        ergebnisse auf kantonaler Ebene in
    bereiten uns gewissenhaft auf die          Betracht gezogen. So waren Stimmen       Plakate hat. Obwohl gerade unser Er-
    kommende Wahlkampagne vor.                 aus Gemeinden, wo wir traditionell       scheinungsbild bei den letzten Wahl-
    Seitens des kantonalen Vorstandes be-      keinen Kantonsratsitz haben, nicht       en besonders gut abschnitt. Es geht
    fassen wir uns seit Sommer 2017 mit        mehr obsolet, sondern von grosser        hauptsächlich darum, die Lorbeeren
    den Wahlen. Im Januar 2018 hat nun         Wichtigkeit. Die Änderungen bedeu-       für unsere tägliche, engagierte Arbeit
    auch der Wahlausschuss seine Arbeit,       teten, dass wir in möglichst allen elf   zum Wohle der Zugerinnen und Zu-
    unter der Leitung von Marco Knobel,        Gemeinden antreten müssen, was uns       ger zu ernten. Auch wenn die Legis-
    aufgenommen. Auch unsere Sektionen         erfolgreich gelang. Trotz gleichblei-    latur Anfang 2015 turbulent begann,
    in den Gemeinden haben seit mehreren       bender Wählerstärke der Alternativen     haben wir in den vergangenen vier
    Monaten auf Wahlmodus umgeschal-           – die Grünen, gewannen wir drei          Jahren viel erreicht.
    tet. Nun ist es Aufgabe des Wahlaus-       Kantonsratsmandate dazu.                 Die bürgerlichen Sparturbos haben
    schusses, die verschieden Puzzleteile      Als kleinere Partei ist gerade der       sich im Kanton Zug massiv verschätzt
    zusammenzusetzen, um eine optimale         doppelte Pukelsheim eine Heraus-         und mit dem Nein zum Sparpaket
    Ausgangslage zu schaffen.                  forderung und Chance zugleich. Wer       Ende 2016 die Quittung für ihre ide-
                                               in gewissen Gemeinden nicht antritt,     ologische Finanzpolitik erhalten. Ein
    Wahlsystem als Herausforderung             verschenkt vielleicht gleich ein oder    riesiger Erfolg für uns Linke. Gemein-
    und Chance                                 mehrere Kantonsratsmandate. Dafür        sam mit der «Allianz für ein lebens-
    Gross war die Anspannung vor den           sind Wählerstimmen aus kleinen           wertes Zug» ist es uns gelungen, die
    Wahlen im 2014. Denn der Kanton            Gemeinden nicht mehr Makulatur,          Stimmbürgerinnen und Stimmbürger
    führte gleich zwei neue Wahlsysteme        sondern fallen für das kantonale Er-     für einen solidarischen Umgang mit
    ein. Damals wählten wir die Mitglie-       gebnis ins Gewicht. Für die Exekutive    den Kantonsfinanzen zu überzeugen.
    der der Exekutive zum ersten Mal im        werden wir auch in diesem Jahr eine      Dieser Erfolg ist richtungsweisend
    Majorz. Neu mussten wir also den           etwas angepasste Wahlkampagne füh-       für die zukünftige Finanzpolitik im
    Fokus weg von der Partei und hin zu        ren, denn nur, wer Stimmen weit ins      Kanton Zug. Dass der Regierungsrat
    den einzelnen Personen verschieben.        bürgerlicher Lager hinein holen kann,    nun unsere Forderung nach einer
    Trotz hervorragendem Leistungsaus-         hat eine Chance, gewählt zu werden.      Steuererhöhung aufnimmt und von
    weis fanden sich unsere bisherigen                                                  sich aus vorschlägt, gleicht einem
    Exekutivmitglieder auf den hinteren        Unsere Erfolge: Motivation für die       kleineren Erdbeben.
    Rängen wieder. Aber der Wechsel            Wahlen 2018                              Mit den Enthüllungen der Panama
    gelang uns mehrheitlich, denn insge-       Bei Wahlen geht es jedoch nicht          und Paradise Papers wurde endlich
    samt konnten wir ein Exekutivmandat        hauptsächlich um Mathematik und          öffentlich, was die Alternativen –
    dazugewinnen (+Steinhausen, +Men-          auch nicht darum, wer die schönsten      die Grünen seit jeher anprangern.

    BULLETIN     |   NUMMER 1      |   MÄRZ 2018
Mittels dubiosen Firmenkonstrukten                                                                                              5
schleusen internationale Konzerne
und ihre Finanzelite Milliarden am
Fiskus vorbei. Sie schädigen damit
die Entwicklung von ärmeren Staaten
massiv und sind damit die Haupt-
verantwortlichen für viel Elend und
damit verbundene Migrationsströme
auf der Welt. Dass die Spuren beide
Male auch in den Kanton Zug ge-
führt haben, überrascht nicht. Dank
unserer hartnäckigen Kritik wird die
soziale und ökologische Verantwor-
tung von Konzernen politisch immer
wichtiger. Mit der bald zur Abstim-
mung kommenden Konzernverant-
wortungsinitiative ist es gelungen,
das Thema aufs nationale Parkett zu
bringen.
Die letzten Jahre waren geprägt von
einer nationalistischen und popu-
listischen Stimmungsmache gegen
schutzbedürftige Menschen. In ge-
wissen Regionen kam es zu einer re-      Wahlen benötigt engagierte Menschen mit viel Power. Danke für den Einsatz!
gelrechten Hetzjagd mit verstörenden
Bildern. Im Kanton Zug ist es uns        ruf und Familie, ist bei weitem nicht      sind wir jedoch auf die gesamte Basis
dank dem grossen Engagement gelun-       abschliessend. Es sind jedoch diese        der Alternativen – die Grünen ange-
gen, über alle Parteiebenen hinweg       Erfolge, welche mich optimis­   tisch      wiesen. In der Vergangenheit haben
einen Diskurs der Offenheit zu gestal-   auf den Super Sunday blicken lassen.       wir mehrfach bewiesen, dass wir
ten. Das kantonale Asylwesen macht                                                  eine der aktivsten Parteien sind. Ich
unter der Leitung unserer Regierungs-    Dein Einsatz für ein soziales und          bin überzeugt, dass wir gemeinsam
rätin Manuela Weichelt-Picard eine       grünes Zug                                 eine überzeugende Wahlkampagne
hervorragende Arbeit und in den Ge-      Obwohl das eidgenössische Schwing-         durchführen werden und ich möchte
meinden waren es unsere Kommunal-        und Älplerfest erst 2019 in Zug statt-     mich bereits jetzt für euer Engage-
politikerinnen und -politiker, welche    findet, sind Wahljahre für uns frei        ment für ein soziales und grünes Zug
verschiedene Solidaritätsnetzwerke       nach Beat Schlatter, «ein beträcht-        bedanken. ■
auf die Beine gestellt haben.            licher Hoselupf». In diesem Jahr
Bei den ökologischen Themen konn-        müssen wir öffentlich wirksam auf-
ten wir verschiedene Erfolge erzielen,   zeigen, dass die Stimmbürgerinnen
auch wenn uns die grossen Debatten       und Stimmbürger mit uns eine gute
bezüglich Wachstum und Mobili-           Alternative haben. Eine Alternative,
tät im Rahmen der Richtplananpas-        die sich für die Chancengleichheit,
sungen und der Ortsplanungsrevi-         und zwar für alle Menschen, einsetzt.
sionen noch bevorstehen. So gelang       Eine Alternative, die sich für Fami-        Veranstaltungshinweis: «Ein
es uns zum Beispiel in Baar, die Ge-     lien starkmacht. Eine Alternative,          anderes Zug ist möglich!»
meinde zu überzeugen, dass nicht ein     die einen schonenden Umgang mit             Am 15. Juni starten wir gemeinsam in den
Golfplatz die grösste Naherholung        unseren ökologischen Ressourcen             Wahlkampf. Kommt an diesem Freitag­
für die Bevölkerung bietet, sondern      und damit eine ökologische Mobilität        abend alle um 18 Uhr in den Burgbach-
ein Landschaftsentwicklungskonzept       fordert und fördert.                        saal (Dorfstrasse 12, Zug). Es erwartet
nach dem Vorbild von Cham.               Die Aufgabe des Wahlausschusses             euch eine spannende und lustvolle Lan-
Die Auflistung unserer Erfolge, gera-    ist es, eine lustvolle und möglichst        cierung mit humoristischen Einlagen, In-
de auch im Sozialen, in der Gleich-      wirksame Wahlkampagne auf die               fos, Apéro und einem lockeren Austausch.
stellung, in der Vereinbarkeit von Be-   Beine zustellen. Für die Umsetzung

                                                                            BULLETIN     |    NUMMER 1      |    MÄRZ 2018
Sparwut

    Am Volkswillen vorbei

    Hansruedi Küttel

6   Die Bevölkerung des Kantons Zug hat im November 2016 das von der                das so gut und so bestimmt, dass es
    Regierung geschnürte Sparpaket abgelehnt. Nun gehen die Diskussionen            alle Mitglieder des Gremiums verste-
    «selbstverständlich» weiter, denn es muss gespart werden, koste es, was         hen und den Kanton auf keinen Fall
                                                                                    mehr übermässig belasten wollen.
    es wolle. Ein Referendum mit Volksabstimmung wird es aber kaum mehr
                                                                                    Der Regierungsrat kann dann über
    geben. Warum?
                                                                                    erfolgreich abgeschlossene Verhand-
                                                                                    lungen berichten und das Thema ist
                                                                                    auf seiner Seite abgeschlossen. Unse-
    Der Regierungsrat hat gelernt: Wenn     weil sie niemand stemmen kann und       re Mitglieder im Kantonsrat erfahren
    wir ein Sparpaket, pardon, ein Ent-     eine einzelne Massnahme alleine         dann meist erst davon, wenn «schon
    lastungspaket schnüren, kann tat-       nicht genügend einschneidend ist –      alles geregelt» ist. Und die Betrof-
    sächlich ein Referendum ergriffen       die Summe der einzelnen Massnah-        fenen? In den Gremien sitzen meist
    werden und – oh Schreck – wie 2016      men macht’s aber aus.                   mehrheitlich Bürgerliche, also Leute,
    vor dem Souverän Erfolg haben.
    Jetzt müssen wir schlauer zu Werke
    gehen. Dazu gibt es drei interessante
    Wege, um eine Kollision mit den
    Stimmberechtigten zu verhindern.
    Die Regierung nutzt alle drei Wege
    im Rahmen des Programms Finan-
    zen 2019.

    Regierungsratsbeschlüsse
    Selbstverständlich gibt es viele Auf-
    gaben im Kanton, über die der Re-
    gierungsrat selber entscheiden, Be-
    schlüsse fassen und umsetzen kann.
    Das muss auch so sein, dazu haben
    wir eine Regierung. Nun aber aus
    dem abgelehnten Sparpaket alle mög-
    lichen Details herauszupflücken und
    auf dem Verordnungsweg umzuset-
    zen, ist nicht wirklich Umsetzung des
    Volkswillens oder der früher gemach-
    ten Wahlversprechen. Aber es funktio­
    niert – und zwar zügig und einfach.
                                            Auch TixiZug muss mit wesentlich kleinerem Kantonsbeitrag auskommen.
    Gesetzesänderungen, Kantonsrats-
    beschlüsse                              Direkte Gespräche mit Leistungs­        die für die Anliegen der Regierung
    Was den Handlungsspielraum des          erbringern                              scheinbar mehr Verständnis aufbrin-
    Re­gierungsrates überschreitet, muss    Ein besonders raffinierter Weg be-      gen als für die Anliegen ihrer Klien-
    via Budget oder mit Gesetzesände-       dient sich direkter Gespräche mit       tinnen und Klienten. Die wirklich
    rungen gelöst werden. Im Kantonsrat     betroffenen Leistungserbringern. Zu-    Betroffenen sind die Klientinnen,
    darf man dazu auf die bürgerliche       erst «erklärt» wenn möglich der zu-     die nun einen höheren Beitrag sel-
    Mehrheit zählen. Damit sich nachher     ständige Regierungsrat seinen lieben    ber tragen müssen oder schlechtere
    das Volk nicht einmischt, werden        Mitbürgerinnen und Mitbürgern im        Leistungen erhalten, weil der Kanton
    die Änderungen als Einzelvorlagen       Vorstand, Stiftungs- oder Verwal-       spart.
    gebracht, sodass sich kaum mehr         tungsrat der vom Sparen betroffenen     Was können wir als Stimmberech-
    referendumswürdige Themen daraus        Organisation, dass der Kanton seinen    tigte unternehmen, damit «das Volk»
    ableiten lassen. Also lieber zehn       Beitrag nun im Rahmen der Spar-         wieder vermehrt mitreden kann?
    Beschlüsse, als einer, der für ein      bemühungen auf die Hälfte kürzen        Regierungsratsbeschlüsse: Es ist nicht
    Referendum herhalten könnte. Zehn       müsse und dass eben alle ihren Bei-     so, dass wir gar nicht mitreden dürf-
    Referenden sind nicht zu erwarten,      trag zu leisten haben usw. Er erklärt   ten, es ist nur ein bisschen kompli-

    BULLETIN    |   NUMMER 1     |   MÄRZ 2018
ziert. Wenn wir die einzelnen Be-          Fragen an Anastas Odermatt:              etwas anders zu machen. Dies aber        7
schlüsse jeweils nachlesen, uns über                                                nur, wenn das Postulat auch durch
die Zusammenhänge informieren,             BULLETIN: Sind wir wirklich so           den Kantonsrat kommt (zuerst Über-
mit Freunden darüber diskutieren           schlecht vertreten in den Gremien        weisung – anschliessend Erheblich-
und, wenn es dann nötig ist, unsere        sozialer Institutionen, dass dann bei    Erklärung). Dies ist aber bei einer
Meinung unseren Kantonsratsmit-            euch im KR niemand die Alarmglo-         klar bürgerlichen Dominanz mit teils
gliedern kundtun, können diese in          cken rechtzeitig läutet?                 sehr absolutem und bisweilen blin-
geeigneter Form im Rat aktiv werden.       Anastas Odermatt: Das eine ist ja, ob    dem Sparwillen sehr schwierig.
Kantonsratsbeschlüsse: Wie oben, In­       wir vertreten sind, das andere, ob ge-
teresse zeigen, mit unseren Vertrete-      nügend früh die Alarmglocken gezo-       BULLETIN: Welche Möglichkeiten
rinnen im Rat diskutieren!                 gen werden. Sowohl bei der Vertre-       siehst du sonst noch für engagierte
Direkte Gespräche mit Leistungser-         tung als auch bei den Alarmglocken       Stimmbürgerinnen und Stimmbür-
bringern: Selber Einsitz nehmen in         sehe ich Aufholbedarf. Fakt ist, dass    ger?
Trägerorganisationen, aktiv mitarbei-      viele Gremien bürgerlich dominiert       Anastas Odermatt: Neben dem ge-
ten und wo nötig aufstehen gegen zu        sind. Wenn es ums Sparen geht, gera-     nug frühen Kontakt mit den Ge-
frühes Einknicken bei Sparrunden! ■        ten sie in einen Zielkonflikt: Setzen    wählten – damit wir von einzelnen
                                           sie sich für ihre Organisation und die   teils gar verborgenen Massnahmen
                                           entsprechenden Partikularinteressen      überhaupt etwas erfahren – gibt es die
 Nochmals lesen                            ein oder bleiben sie auf Parteilinie     Möglichkeit, Leserbriefe zu schreiben
 BULLETIN 3, 2017, Seiten 4 und 5:         und beim strikten Sparen? Ich per-       oder das Thema zumindest in Gesprä-
 «Mit dem Kopf durch die Wand»             sönlich finde, die Organisation, die     chen und im Freundeskreis anzuspre-
 von Andreas Hürlimann und Anastas         man repräsentiert, ist wichtiger –       chen und bekannt zu machen. Und
 Odermatt                                  sonst ist man am falschen Platz in       auch Petitionen, Memoranden oder
 Das Archiv:                               einem Vorstand und missbraucht das       einfach ein Brief an den Kantonsrat
 gruene-zug.ch/bulletin/bulletin/archiv/   Ehrenamt als PR-Hülse.                   kann manchmal schon etwas auslö-
                                                                                    sen. Das A und O bei allen Mitteln ist
                                           BULLETIN: Warum sind wir in den          aber das Timing – leider ist es häufig
                                           erwähnten Gremien nicht dabei?           zu spät und etwas ist schon beschlos-
                                           Anastas Odermatt: Man soll ja im-        sen. Darum Ohren auf und immer
                                           mer zuerst vor der eigenen Haus-         genügend früh ungeniert nachfragen
                                           türe kehren. Daher müssen wir uns        und nachhaken.
                                           sicherlich auch jeder selbst an der
                                           Nase nehmen. Anderseits gibt es ge-      BULLETIN: Besten Dank für deine
                                           rade in Zug einen sehr starken Filz,     Stellungnahme!
                                           der nur sehr schwer aufzuweichen         (Fragen und Antworten wurden per
                                           ist. Dieser Filz ist althergebracht      Mail ausgetauscht.)
                                           und wirkt im Kanton Zug bis heute
                                           bestens.

                                           BULLETIN: Welche Mittel und Ins­
                                           trumente stehen dem Kantonsrat zur
                                           Verfügung, um bei «ungesunden»
                                           Regierungsratsbeschlüssen nachzu-
                                           fragen und evt. einzugreifen?
                                           Anastas Odermatt: Hier steht uns
                                           die ganze Palette an Vorstossmög-
                                           lichkeiten offen. Sei es bei sehr
                                           kurzfristigen Geschichten eine klei-
                                           ne Anfrage oder dann bei grösseren
                                           Sachen die Interpellation – damit es
                                           auch im Kantonsrat zu einer Debatte
                                           kommt. Sodann gibt es Postulate –
                                           damit «laden wir die Regierung ein»,

                                                                            BULLETIN     |   NUMMER 1     |   MÄRZ 2018
Kantonsrat

    Mehrwertabgabe als Auftrag

    Hanni Schriber-Neiger, Kantonsrätin Alternative – die Grünen Zug

8   Will man unsere verbleibenden Grünflächen erhalten? Nein! – Der                  Instrumente für die Verdichtung nach
    Kantonsrat nicht wirklich! – Wenn man die Kantonsratssitzung vom                 innen ins Gesetz aufzunehmen, lau-
    25. Januar 2018 als Gradmesser nimmt.                                            fen wir Gefahr, dass spätestens bei
                                                                                     der übernächsten Planungsrevision
                                                                                     grössere Einzonungen bevorstehen.
    Das Schweizer Volk sagte vor bald       ment der Gebietsverdichtung ernst-       Weitere Grünflächen würden ver-
    fünf Jahren mit grossem Mehr Ja zum     haft umzusetzen. Genau dies war,         schwinden, weiteres Bau­land würde
    Raumplanungsgesetz des Bundes, im       zusammen mit der Mehrwertabgabe,         geschaffen. Dies ist sicher nicht der
    Kanton Zug sogar mit 71 Prozent Zu-     aber das Herzstück dieser Vorlage.       Volkswille, wenn wir das Resultat der
    stimmung. Zwei Hauptziele stehen im     Stossend fand die Fraktion ebenso,       Abstimmung von 2013 als Gradmes-
    Zentrum: Erstens die Zersiedelung zu    dass die Hürde für eine Mehrwert-        ser nehmen. Denn auch im Kanton
    bremsen und zweitens die Siedlungs-     abgabe bei Um- und Aufzonungen           Zug ist bei einem grossen Teil der Be-
    entwicklung nach innen zu fördern.      so hoch war, dass sie fast nie zur       völkerung eine gewisse Wachstums-
    Das Bundesgesetz verpflichtet die       Anwendung gekommen wäre. Die             müdigkeit feststellbar.
    Kantone, einen angemessenen Aus-
    gleich für erhebliche Vor- und Nach-
    teile, die durch Planungen entstehen,
    zu regeln. Damit wird deutlich, dass
    der eigentliche Zweck der Abschöp-
    fung von Planungsmehrwerten darin
    besteht, Geld zur Verfügung zu haben,
    um Nachteile, welche aus raumpla-
    nerischen Massnahmen entstehen,
    entschädigen zu können. Das können
    zum Beispiel Auszonungen, Renatu-
    rierungen, Wege, Erholungsgebiete,
    öffentliche Plätze oder Schulhausbau
    sein. Unsere Fraktion wollte, dass
    die Gemeinden das Geld für den ge-
    meinnützigen Wohnungsbau einset-
    zen müssten, was eine Mehrheit gar
    nicht wollte.

    Verwässerung
    Der Antrag der Regierung zum Pla-
    nungs- und Baugesetz (PBG) hat sich
    leider nur am bundesrechtlichen         Der Kantonsrat hat dem Raumplanungsgesetz die Zähne gezogen.
    Minimum (Abschöpfung von 20
    Prozent) orientiert. Die ALG und        öffentliche Hand hätte selten bis gar    Auch wenn die Vorlage PBG Teil 1
    SP wollten 40 Prozent. Zudem ver-       nie Geld gesehen, um die nötigen zu-     im Kantonsrat abgelehnt wurde,
    wässerte die vorberatende Kommis­       sätzlichen Infrastrukturen zu bauen.     bleibt der Auftrag, wenn möglich
    sion die Gesetzesvorlage stark. Und     Es ist nur gerecht, wenn der teilweise   das Bundesrecht bis Mai 2019 um-
    der Kantonsrat hat die Vorlage noch     erhebliche Gewinn durch eine plan-       zusetzen. Der politische Druck für
    mehr zerzaust, sodass das Gesetz        mässige Aufzonung nicht nur dem          eine intelligente Verdichtung und
    weiter an Griffigkeit verlor. Die be-   Privaten zukommt, sondern auch die       eine Mehrwertabgabe, die aber ihren
    rechtigten Anliegen der Gemeinden,      Allgemeinheit etwas davon hat.           Namen verdient, muss bleiben. Das
    welche die Verdichtung am Schluss                                                ist der Auftrag des Volkes und den
    umsetzen müssen, wurden auch            Volkswillen umsetzen                     hat das Zuger Parlament ernst zu
    nicht berücksichtigt. Also ein Ge-      Wie können wir den Anliegen der          nehmen. ■
    setz ohne Fleisch am Knochen und        Bevölkerung nach grünen Freiflächen
    bei der Schlussabstimmung waren         und Kulturlandschaften in Zukunft
    deutlich zu wenige Kantonsrätinnen      nachkommen? Wenn es der kanto-
    und Kantonsräte willens, das Instru-    nalen Politik nicht gelingt, sinnvolle

    BULLETIN    |   NUMMER 1     |   MÄRZ 2018
Junge Alternative

Gegen die Casino-Lobby

Text Luzian Franzini, Co-Präsident Junge Grüne Schweiz

Da die Jungen Grünen und weitere Organisationen das Referendum ergrif-                    Schutz vor Spielsucht                      9
fen hatten, stimmen wir am 10. Juni über das Geldspielgesetz ab. Erstmals                 Während die bürgerlichen Jungpar-
in der Geschichte des Schweizer Internet sollen ausländische Websites                     teien (jGLP, Jungfreisinnige, JSVP)
gesperrt werden. Gegen diesen massiven Eingriff in die Internetfreiheit                   finanziell mit ausländischen Poker­
                                                                                          anbietern verstrickt sind, steht für
engagieren sich Jungparteien sowie InternetaktivistInnen. Auch wenn die
                                                                                          die Jungen Grünen vor allem der
Gründe innerhalb dieser unheiligen Allianz verschieden sind, ist allen                    Schutz vor Spielsucht im Zentrum.
klar: Die Freiheit des Internets darf nicht den Geldinteressen der Casino-                Obwohl in der Schweiz 75 000 Men-
Lobby geopfert werden!                                                                    schen spielsüchtig sind, wehrte sich
                                                                                          die Casino-Lobby erfolgreich gegen
                                                                                          striktere Prävention. Die heutigen Prä-
Mit Netzsperren will das Parlament            Gegen Netzsperren jeder Art                 ventionsausgaben belaufen sich le-
Internetanbieter zwingen, ausländi­           Internetexpertinnen und -experten           diglich auf 4,5 Millionen Franken pro
sche Pokeranbieter zu zensieren. Die          befürchten, dass die vorgesehenen           Jahr, was im Vergleich zu den sozialen
Internetanbieter müssten dabei die            Netzsperren die Stabilität des In-          Kosten von 648 Millionen Franken
gleichen Methoden gegen ihre Kund-            ternets gefährden. Da die «Black-           lächerlich wenig ist. Die Jungen Grü-
schaft einsetzen, wie sie auch Cyber-         lists» nicht ständig aktualisiert wer-      nen fordern in Übereinstimmung mit
kriminelle für sogenannte Phishing-           den, führen Netzsperren zudem fast          Präventionskreisen eine nationale
Attacken verwenden. Auch wenn On-             zwangsläufig zur Sperrung von unbe-         ExpertInnen-Kommission und zweck-
line-Glücksspiele für viele Menschen          teiligten ausländischen Seiten. Damit       gebundene Abgaben zuhanden der
irrelevant sind, stellt dieses Gesetz         werden legitime Inhalte für Schwei-         Kantone. Diese soll zur Finanzierung
                                                                                          der Kosten des exzessiven Geldspiels
                                                                                          dienen. Zudem braucht es ein absolu-
                                                                                          tes Werbeverbot für Glücksspiele.

                                                                                          Versteckte Steuersenkung
                                                                                          Der grosse Lobbyeinfluss der Casinos
                                                                                          zeigt sich im neuen Gesetz auch bei
                                                                                          der Besteuerung der Geldgewinne.
                                                                                          Lotto- und Onlinegewinne würden
                                                                                          mit dem neuen Gesetz erst ab einer
                                                                                          Million Franken steuerpflichtig. So
                                                                                          bleibt der grösste Teil der Gewinne
                                                                                          in Casinos steuerfrei. Die generelle
                                                                                          Steuersenkung im Spielbereich erhöht
                                                                                          nicht nur die Suchtgefahr für Spie-
Nein zum Geldspielgesetz – wir wollen Prävention, keine Zensur! (Bild Marco Verch)        lerinnen und Spieler, sondern führt
                                                                                          auch zu grossen Steuerausfällen.
eine gefährliche Erstentscheidung dar:        zerinnen und Schweizer nicht mehr
Ist die entsprechende Infrastruktur           einsehbar. So passierte es beispiels-       Nein zum Geldspielgesetz
erst einmal eingerichtet, lässt sich          weise in Frankreich, dass wegen eines       Bis zum 10. Juni wird es ein Kampf
die Sperrliste beliebig erweitern. Was        Fehlers bei Netzsperren Google, Wi-         von David gegen Goliath. Während
mit Online-Poker beginnt, kann somit          kipedia und sogar Regierungsserver          die Schweizer Casinos viel Geld in
schnell zu weiterer Zensur im Bereich         einen Tag lang nicht mehr erreich-          den Abstimmungskampf investieren
von Musik, Filmen oder sogar Informa-         bar waren. Auch das eidgenössische          werden, setzten wir auf kreative Ideen
tionsseiten führen. Solche Netzsperren        Justizdepartement gibt zu, dass bei         und die richtige Überzeugung. Eine
sind auch aus juristischer Sicht um-          diesem «Overblocking» Grundrechte           Regulierung des Glücksspiels muss
stritten. Bis heute haben weder das           in Gefahr sind und dass die entspre-        möglich sein, ohne die Internet-Infra-
Bundesgericht noch der Europäische            chenden Netzsperren extrem leicht           struktur durch Netzsperren grundle-
Gerichtshof für Menschenrechte unter-         umgangen werden können. In mo-              gend zu beeinträchtigen. Das Internet
sucht, ob eine Sperrung von Internet-         dernen Browsern ist die Option zur          darf nicht zum Spielball von Lobbys
seiten mit Online-Spielangeboten mit          Umgehung von Netzsperren bereits            jeglicher Art werden und muss grund-
den Grundrechten vereinbar ist.               vorinstalliert.                             sätzlich überall frei zugänglich sein. ■

                                                                                     BULLETIN   |   NUMMER 1     |   MÄRZ 2018
Regierungsrat

     Transparenz bei den
     Asylkosten
     Manuela Weichelt-Picard

10   Wie viel Sozialhilfe sollen Asylsuchende, Schutzbedürftige ohne Auf-                   In die erste Kategorie fallen vorläu-
     enthaltsbewilligung und Personen mit Bleiberecht erhalten? Antworten                   fig aufgenommene Flüchtlinge sowie
     auf diese Fragen findet, wer den Aufwand nicht scheut und sich mit dem                 anerkannte Flüchtlinge, Staatenlose
                                                                                            und Schutzbedürftige mit Aufent-
     differenzierten System auseinandersetzt, das im Kanton Zug zur Anwen-
                                                                                            haltsbewilligung. Sie sind finanziell
     dung kommt. Der Kantonsrat hat das gemacht und einen klugen Entscheid
                                                                                            am besten gestellt und können gleich
     gefällt, wird sich aber auch in Zukunft mit dem Thema beschäftigen.                    hohe Beiträge an wirtschaftlicher
                                                                                            Sozialhilfe wie die einheimische Be-
                                                                                            völkerung erhalten. Der Kanton Zug
     Die Fragen sind ein politischer Dauer­      suchenden, Schutzbedürftigen ohne          orientiert sich dabei an den Ansätzen
     brenner und sorgen regelmässig für          Aufenthaltsbewilligung und vorläu-         der SKOS (Schweizerische Konfe-
     hitzige Debatten. Welche Beträge sol-       fig Aufgenommenen nur noch die             renz für Sozialhilfe). Der monatliche
     len die Kantone in der wirtschaft-          sogenannte Nothilfe zu bezahlen.           Grundbedarf für diese Kategorie liegt
     lichen Sozialhilfe für die verschie-        Die Fraktion ging fälschlicherweise        in einem Einpersonenhaushalt bei
     denen Kategorien von Personen aus           davon aus, dass sämtliche Personen         986 Franken. Für Mietkosten (exkl.
                                                                                            Nebenkosten) können maximal 1100
                                                                                            Franken entrichtet werden.
                                                                                            In die zweite Kategorie fallen Asyl­
                                                                                            suchende, dass heisst Personen, die
                                                                                            noch auf einen Entscheid warten,
                                                                                            Schutzbedürftige ohne Aufenthalts-
                                                                                            bewilligung sowie vorläufig Aufge-
                                                                                            nommene. Gemäss der bundesrecht-
                                                                                            lichen Asylverordnung hat auch diese
                                                                                            Gruppe Anspruch auf Sozialhilfeleis­
                                                                                            tungen. Der Ansatz für die Unter-
                                                                                            stützung liegt bei dieser Gruppe aber
                                                                                            deutlich unter dem Ansatz, der für
                                                                                            die einheimische Bevölkerung gilt.
                                                                                            Wir reden von der «Asyl-Sozialhilfe».
                                                                                            Der monatliche Grundbedarf liegt
                                                                                            hier bei 449 Franken pro Person
                                                                                            in einem Einpersonenhaushalt. Für
                                                                                            Mietkosten (inkl. Nebenkosten) kön-
                                                                                            nen maximal 420 Franken entrichtet
                                                                                            werden. Bei zahnärztlichen Behand-
     Nicht alle Personen aus dem Asylbereich erhalten die «volle Sozialhilfe». Man unter-   lungen wird ebenfalls zwischen die-
     scheidet drei Kategorien.                                                              sen beiden Kategorien unterschie-
                                                                                            den. Im Bereich der «Asyl-Sozialhil-
     dem Asylbereich bezahlen? Was ist           aus dem Asylbereich, die keine Nie-        fe» (zweite Kategorie) sind lediglich
     finanziell angemessen, politisch ver­       derlassungsbewilligung besitzen und        der «Erhalt der Kaufähigkeit» und
     tretbar und – in Bezug auf eine mög-        keinen rechtskräftigen Nichteintre-        die «Schmerzstillung» im Rahmen
     lichst gute Integration – sinnvoll?         tens- oder negativen Asylentscheid         von nicht aufschiebbaren Mass-
     Fördern höhere Geldbeträge die Inte-        in Händen haben, die «volle Sozial­        nahmen und Notfallbehandlungen
     gration, da sie mehr gesellschaftliches     hilfe» nach den SKOS-Richtlinien           möglich, während bei Personen mit
     Teilhaben ermöglichen, oder sind sie        erhalten. Dem ist jedoch nicht so.         wirtschaftlicher Sozialhilfe nach
     im Gegenteil kontraproduktiv, weil                                                     SKOS-Richtlinien (erste Kategorie)
     die Gefahr besteht, dass Betroffene         Unterstützte Personengruppen               auch einfache zahnärztliche Sanie-
     dann gar keine wirtschaftliche Unab-        Es sind drei Kategorien zu unter-          rungen durchgeführt werden dür-
     hängigkeit mehr anstreben?                  scheiden, wobei die finanzielle Un-        fen. Und noch ein Beispiel, das die
     Gemäss dem Motto, lieber zu wenig           terstützung eng an den Aufenthalts-        Differenzierung der beiden Katego-
     als zu viel Geld, verlangte die SVP-        status bzw. die Bleibeperspektive          rien veranschaulicht: Wird in einem
     Fraktion in einem Vorstoss, Asyl-           geknüpft ist:                              Haushalt der zweiten Kategorie ein

     BULLETIN     |    NUMMER 1     |    MÄRZ 2018
die notwendigen Berufsauslagen zu       11
                                                                                       tätigen. Eine Kürzung auf Nothilfe
                                                                                       würde in diesem Zusammenhang ein
                                                                                       widersprüchliches Signal darstellen,
                                                                                       die Voraussetzungen für eine er-
                                                                                       folgreiche Integration von vorläufig
                                                                                       Aufgenommenen verschlechtern und
                                                                                       der Kanton müsste die notwendigen
                                                                                       Berufsauslagen dann doch wieder
                                                                                       finanzieren. Zudem würden den Be-
                                                                                       hörden Sanktionsmöglichkeiten bei
                                                                                       Integrationsverweigerung entzogen,
                                                                                       wenn vorläufig Aufgenommene auf
                                                                                       Nothilfe gesetzt würden.
                                                                                       Ganz abgesehen davon wäre die For-
                                                                                       derung, wie sie die SVP erhoben
                                                                                       hat, bundesrechtswidrig. Zu diesem
                                                                                       Schluss kam sowohl die Regierung
                                                                                       wie auch Professorin Isabelle Häner,
                                                                                       die im Auftrag der Direktion des
                                                                                       Innern ein Kurzgutachten erstellte.
                                                                                       Das Bundesrecht verlangt nämlich
Vorläufig Aufgenommene sollen nicht nur Nothilfe erhalten, weil dadurch Integrati-     zwingend, dass der Ansatz für vor-
onspotenzial verloren ginge. Sie können verpflichtet werden, an Integrationsmassnah-   läufig Aufgenommene und für Asyl-
men teilzunehmen.                                                                      suchende höher liegt als die Nothilfe
                                                                                       für Personen mit einem negativen
Kind geboren, erhält dieser Haus-          genommenen und der dem Kanton               Asylentscheid.
halt maximal 300 Franken für die           Zug zugewiesenen Asylsuchenden              Unmittelbar nach der aus regierungs-
Baby-Erstausstattung, während es in        verfügt über eine Bleibeperspektive.        rätlicher Sicht erfreulichen Abstim-
Haushalten der ersten Kategorie 700        Die Schutzquote betrug im Jahr 2017         mung im Kantonsrat reichte die FDP
Franken sind.                              rund 64 Prozent (Stand 30. November         eine Berichtsmotion betreffend «Re-
                                           2017) und im Durchschnitt der letz-         duktion der Asylkosten» ein, in der
Nothilfe                                   ten vier Jahre rund 62 Prozent.             verlangt wird, die Kosten der Kantone
Als dritte Kategorie kennt der Kan-                                                    im Asylwesen zu vergleichen, Re-
ton Zug schliesslich die Nothilfe.         Bundesrecht beachten                        duktionen vorzuschlagen und allen-
Sie beträgt 8 Franken pro Tag und          Auch der Bundesgesetzgeber geht             falls damit verbundene notwendige
wird auf Antrag Personen mit einem         seinerseits davon aus, dass vorläufig       Gesetzesänderungen zu unterbreiten.
negativen Asylentscheid (NAE) oder         Aufgenommene ein Bleiberecht er-            Dazu gilt es Folgendes festzuhalten:
einem Nichteintretensentscheid (NEE)       halten werden, weshalb er für diese         Gegen Transparenz bei den Asylkos­
gewährt, also Menschen, welche             Aufenthaltskategorie ebenfalls eine         ten ist grundsätzlich nichts einzu-
rechtskräftig weggewiesen wurden           einmalige Integrationspauschale von         wenden. Sie dient dem Parlament
und sich illegal hier aufhalten.           aktuell 6000 Franken ausrichtet.            bei der Entscheidungsfindung, und
Die Idee der SVP, Personen mit einer       Würde man diese Personen auf Not-           kommt sowohl der Regierung wie
Bleibeperspektive auf die Nothilfe         hilfe setzen, ginge ein beträchtliches      der Verwaltung zugute. Wichtig ist
zu setzen und damit die gesellschaft-      Mass an Integrationspotenzial ver-          jedoch, dass nicht Äpfel mit Birnen
liche Teilhabe und Integration, die        loren und es würde langfristig ein          verglichen und Forderungen aufge-
vom Staat gefordert und erwartet           Kostenwachstum bewirkt. Vorläufig           stellt werden, die – wie im Falle des
wird, erheblich zu erschweren, fand        Aufgenommene sind laut Bundes-              SVP-Vorstosses – bundesrechtswidrig
beim Zuger Kantonsrat keine Mehr-          recht zu integrieren und können             sind. ■
heit. Der Rat hat die Motion mit 47        verpflichtet werden, an Integrations-
zu 21 Stimmen für nicht er­heb­lich er-    massnahmen teilzunehmen. Schon
klärt. Ich sage: ein weiser Entscheid!     mit der aktuellen Asylsozialhilfe von
Denn die Mehrheit der vorläufig Auf-       449 Franken ist es anspruchsvoll,

                                                                               BULLETIN     |   NUMMER 1    |   MÄRZ 2018
#NetzCourage

     Mit Mut gegen den Hass

     Natalie Chiodi

12   Aus eigener Betroffenheit musste Jolanda Spiess-Hegglin gegen den Hass                 eine Anzeige stoppen musste, aber
     und die Drohungen, die ihr entgegengeschlagen sind, vorgehen. Aus dieser               andererseits ist er eben auch nur
     Not ist ein Engagement gegen Hass in den sozialen Medien entstanden.                   ein normaler Mensch. Umgekehrt
                                                                                            ergeht es den Beschuldigten offen-
     Der von ihr gegründete Verein #NetzCourage will betroffene Menschen
                                                                                            bar ähnlich. Sie merken, dass ich
     dazu ermutigen, gegen Hassreden und Drohungen in Medien vorzugehen.
                                                                                            ein Mensch und kein Phantom bin.
     #NetzCourage unterstützt Betroffene bei der Erstattung einer Anzeige. Das              So sind sogar schon Freundschaften
     BULLETIN hat Jolanda am 2. Februar 2018 befragt.                                       entstanden und ich tausche mich mit
                                                                                            einigen regelmässig aus, die sich wie
                                                                                            umgekehrte Handschuhe verhalten
     BULLETIN: Wie geht man gegen Hass           JOLANDA: Genau. Der Strafbestand           und dankbar sind, dass sie aus dieser
     und Drohungen im Netz vor?                  ist Beschimpfung. Ich weiss ein Bei-       Filterblase herausgekommen sind.
     JOLANDA: Wer sich entscheidet, ge-          spiel von einem ehemaligen SVP-Prä-
     gen eine Beschimpfung oder Drohung          sidenten, der nochmals 6300 Franken        BULLETIN: Was meinst du mit Fil-
     vorzugehen, kann eine Anzeige ma-           zahlen müsste, wenn er erneut ausfäl-      terblase?
     chen. Der Täter – es ist meist so, dass     lig werden würde innerhalb dieser Pro-     JOLANDA: Ich stelle bei den Be-
     er männlich ist – wird polizeilich          bezeit. Das heisst, jemand müsste ihn      schuldigten oft fest, dass sie sich in
     befragt und das Ganze wird meist            wieder anzeigen. Wenn es niemand           einer Blase von News und Fake News
     mit einem Strafbefehl abgeschlossen.        merkt, dann hat er Glück gehabt.           aus Hetze und Hass bewegen. Wenn
     Ich kann das ohne Anwalt machen,            Ich finde es eine sehr effiziente Metho-   man solche Seiten bei Facebook (FB)
     schreibe einen Brief zuhanden der           de für Leute, die irgendwie gestoppt       abonniert hat, dann kommt man fast
     Staatsanwaltschaft und erkläre kurz,        werden müssen. Aber – das ist mir          nicht mehr weg von diesen Inhalten.
     worum es sich handelt, z. B. nenne ich      wichtig – die Lösung des Konfliktes        Viele lassen sich dann auch zu Kom-
     die Person und was sie geschrieben          und der Frieden stehen für mich viel       mentaren hinreissen.
     hat, dass dies meine persönliche Ehre       weiter oben als ein Strafbefehl. In        Ich hatte Kontakt mit einem jungen
     verletze und ich Strafantrag wegen          den meisten Fällen melde ich mich          Beschuldigten. Sein Vater hat die
     übler Nachrede stelle. Als Beweis lege      bei den Tätern, bevor der Strafbefehl      lokale SVP-Partei gegründet und in
     ich einen Screenshot bei. Ich konsti-       ausgestellt wird – weil das ja einen       diesem Umfeld ist er grossgeworden.
     tuiere mich jeweils als Privatklägerin,     Eintrag in das Strafregister nach sich     Als ich ihn traf, war er mit einem
     was bedeutet, dass ich Einsicht in          zieht, was ich recht hart finde – und      Auto gekommen, auf dem er einen
     das Verfahren habe, jederzeit Akten         frage, ob wir uns aussergerichtlich        überdimensionierten SVP-Kleber hat-
     anschauen kann und sehe, was die            einigen können. Meist treffen wir uns      te. Er erzählte mir unter Tränen, dass
     angezeigte Person sagt. Ich könnte          bei der Staatsanwaltschaft. In 95 Pro-     er den Hof des Vaters übernehmen
     auch bei der Befragung dabei sein. Die      zent der Fälle ist es dem Beschuldig-      wolle und das dies mit einem Strafre-
     angezeigte Person wird vorgeladen           ten peinlich und die Einsicht ist vor-     gistereintrag nicht möglich sein wird.
     und muss bei der Polizei aussagen.          handen. Dann können wir über eine          Da er Schnapsbrenner ist, machten
     Im besten Fall gibt er zu, dass er es ge-   Genugtuung reden. Meist schlage ich        wir folgenden Deal: Er schenkte mir
     wesen ist. Dann erhalte ich Bescheid,       das Frauenhaus, #NetzCourage oder          eine Flasche Schnaps und ich durfte
     dass er befragt worden ist – manchmal       eine Flüchtlingsorganisation vor.          ihm in einer Viertelstunde erklä-
     erhalte ich eine Einladung zu einer         Die Vergleiche werden schriftlich          ren, wie man eine Filterblase in FB
     Vergleichsverhandlung – oder ich er-        festgehalten, damit alles verbindlich      sprengt. Als ich kürzlich auf FB mit
     halte den Bescheid, dass demnächst          wird. In diesem Schreiben steht dann       meinem Zweit-Account sein Profil
     ein Strafbefehl ausgestellt wird, mit       auch, dass ich die Entschuldigung          aufsuchte, habe ich festgestellt, dass
     Busse und Verfahrensgebühren. Und,          annehme und den Strafantrag zu-            er auf seinem Profilbild sein Auto
     das schmerzt am meisten, es gibt            rückziehe. Wenn ich das unterschrie-       ohne SVP-Kleber präsentiert. Wenn
     einen Eintrag ins Strafregister. Die        ben habe, ist es ein Rechtstitel, d.h.     das kein Fortschritt ist! (lacht)
     meis­ten Täter erhalten zusätzlich eine     man kann die Täter theoretisch auch        Da ich diese Fälle beobachte, sehe
     bedingte Geldstrafe, die sie zahlen         betreiben.                                 ich oft, dass sie nicht weiter aktiv
     müssten, falls sie innerhalb von zwei       Oft lade ich den Beschuldigten zu          sind, ihre Accounts oder Seiten sogar
     Jahren rückfällig werden würden.            einem Kaffee oder einem Bier ein.          gelöscht sind.
                                                 Das sind dann die Momente in de-
     BULLETIN: Auch wenn er jemand               nen ich realisiere, dass er einerseits     BULLETIN: Du beobachtest genau,
     anders beschimpfen würde?                   ein Wutbürger ist und ich ihn durch        was in den sozialen Medien läuft?

     BULLETIN      |   NUMMER 1      |   MÄRZ 2018
JOLANDA: Ja, für #NetzCourage.            JOLANDA: Das Ganze hat ja auch           BULLETIN: #NetzCourage gleich Jo-       13
Wenn ich sehe, dass sich jemand           eine psychologische Ebene. Wer von       landa?
in einem Shitstorm befindet und           einem Shitstorm betroffen ist, kommt     JOLANDA: Die operative Tätigkeit
die Person sich nicht wehren kann,        in Teufels Küche. Die Wutbürger          gegenwärtig schon. Als ich mich vor
dann kontaktiere ich diese Person.        spornen sich gegenseitig an. Was         drei Jahren ganz allein im freien
Nancy Holten habe ich kürzlich z. B.      immer du getan hast oder nicht getan     Fall befand, konnte ich mich mit
so kontaktiert. Sie war sehr froh zu      hast – darum geht es schon lange         niemandem austauschen. Dann ging
hören, dass man sich wehren kann.         nicht mehr – es kommt immer noch         der Shitstorm gegen Irina Studhalter
Mit Tamara Funiciello hat sich diese      mehr Dreck. Dann befindet sich das       der Jungen Grünen Luzern los, wegen
Unterstützung ergeben, als sie letztes    Opfer im freien Fall. So ist es mir      einem Tweet zum Brüsseler Attentat.
Jahr vor dem Womans March in einen        ergangen. Wenn Betroffene aber mer-      Ich solidarisierte mich mit ihr, wir
Shitstorm geraten ist. Ich habe ihr ca.   ken, dass Support da ist, ein Netz-      unterstützten uns gegenseitig und so
40 Anzeigen geschrieben, die Leute        werk gespannt wurde, das auffängt,       ist #NetzCourage entstanden. Zusam-
                                                                                   men bilden wir das Co-Präsidium.
                                                                                   Als Geschäftsführerin bin ich für
                                                                                   die Soforthilfe, Beratungen und das
                                                                                   Schreiben der Anzeigen zuständig.
                                                                                   Ich erhalte jeden Tag Anfragen, weil
                                                                                   Menschen nicht mehr weiterwissen
                                                                                   oder mit der Frage, ob eine Äusserung
                                                                                   justiziabel ist. Meine Arbeit mache
                                                                                   ich ehrenamtlich. Mittlerweile zahle
                                                                                   ich mir Spesen für das Zugbillett,
                                                                                   Druckerpatronen etc. aus. Neuerdings
                                                                                   kann man auch Mitglied des Vereins
                                                                                   werden. Innert kürzester Zeit durften
                                                                                   wir – ohne Werbung zu machen –
                                                                                   Hundert Mitglieder aufnehmen, viele
                                                                                   davon auch Gönner. Es scheint auf-
sind verurteilt worden und Tamara         dann hilft das unglaublich. Und man      wärts zu gehen und vielleicht kann
sagt heute, dass die Hassreden (inkl.     kann dadurch wieder in eine aktive       ich mir dann gelegentlich auch ein-
Briefpost) gegen sie um zwei Drittel      Rolle kommen. Tamara Funiciello          mal einen Stundenlohn auszahlen.
abgenommen haben. Ich verstehe das        sagte kürzlich im Rahmen einer Ver-      Wir scheinen mit dem Verein den
so, dass man nun allmählich erkennt,      anstaltung, an der wir beide eine        Puls der Zeit getroffen zu haben.
dass Hass und Beschimpfungen auch         Rede hielten, dass sie ohne dieses       Kürzlich ist sogar ein Vertreter von
verurteilt werden können. Noch bis        Netzwerk und auch #NetzCourage           Facebook auf uns aufmerksam ge-
vor Kurzem gab es lediglich ein pro-      nicht mehr Juso-Präsidentin wäre.        worden und ich werde mich mit ihm
minentes Urteil gegen einen Twitterer     Das ist der Moment, in dem man           treffen können.
im Zusammenhang mit Rassismus.            merkt, dass es gut ist, was man tut.
Die Wutbürger glaubten, man dürfe in      Die Anzeigen, die ich für #NetzCou-      BULLETIN: Welche Ziele verfolgt
den sozialen Medien einfach straflos      rage schreibe, habe ich mittlerweile     ihr?
Hass und Häme verbreiten. Inzwi-          schnell formuliert, ich muss lediglich   JOLANDA: Ziel ist es nicht, dass wir
schen sind etliche verurteilt worden,     aufpassen, dass ich die Fristen (3       als Verein möglichst viele Anzeigen
andere haben bestimmt gemerkt, dass       Monate) nicht verpasse.                  auslösen, sondern dass wir eine Be-
es bei ihnen selber nicht mehr viel       Bis heute haben wir 150 Fälle an-        wegung werden, eine Veränderung in
gebraucht hätte und halten sich nun       gezeigt. In 15 Fällen hat der Be-        der Gesellschaft erreichen, den An-
zurück. Auch politisch unabhängige        schuldigte Schwein gehabt, 10 Fälle      stand wieder zurückholen. Je mehr
Leute, die im Netz aktiv sind, sagen      wurden sistiert, weil diese Wutbürger    Leute sich zum Verein bekennen,
mir, dass der Hass im Netz bereits        im fernen Osten leben, in 50 Fällen      desto eher passiert Counterspeech
zurückgegangen ist.                       ist es zu Strafbefehlen gekommen         (das Dagegenhalten gegen Beschimp-
                                          und der Rest sind Vergleiche. Es sind    fungen, Drohungen im Internet). Das
BULLETIN: Welches sind die Erfolge        sicherlich deutlich mehr Vergleiche      wäre wichtig. Wenn jemand in einem
von #NetzCourage?                         als Strafbefehle. Und das ist gut so.    Thread, in welchem Nazis oder Frau-

                                                                           BULLETIN     |   NUMMER 1    |   MÄRZ 2018
#NetzCourage

14   enhasser ihren Dreck herumschleu-       FB senden? Doch eine Antwort wird         über 12000 AbonnentInnen. Daher
     dern, etwas entgegenhalten kann, dann   es nicht geben. Es fehlt ein Ableger      lasse ich häufig die anderen Leute
     bricht die Diskussion schon auf. Ich    von FB in der Schweiz und ein Kon-        reagieren und beobachte das Ganze.
     habe das alles ja auch ausprobiert      takt, damit man notfallmässig auch        Dies ist übrigens auch der Grund, wa-
     und meine Erfahrungen gemacht. Ich      mit jemandem telefonieren könnte.         rum ich nie Artikel der «Zuger Zei-
     glaube ich kann sagen, wann welches     Die Mord- bzw. Bombendrohung, die         tung» teile. Meine Reichweite gönne
     Verhalten angebracht ist und wann       ich erhalten habe, war auf Mund-          ich denen schlicht nicht.
     nicht.                                  art geschrieben und ich bin sicher,
                                             dass die Leute im «Löschzentrum»          BULLETIN: Wie sehen deine Forde-
     BULLETIN: Wie reagiert man richtig?     in Norddeutschland nicht Schweizer        rungen gegen Hass im Netz aus?
     JOLANDA: Wer selber verletzt ist        Mundart verstehen. Ich habe mehrere       JOLANDA: Bei Anzeigen bin ich
     und angegriffen wird und in die-        Texte auf Mundart schon gemeldet,         immer davon abhängig, dass ich die
     ser Verletztheit reagiert, sollte das   die waren extrem krass, aber die hat      wahre Identität der Täter kenne.
     nicht tun. Wutbürgern geht es nur       FB vermutlich nicht verstanden. Die       Wenn sich aber jemand hinter der
     darum, zu provozieren und Schwä-        Forderung nach einem Ableger von          Anonymität versteckt und das bei so
     che zu sehen. Sofort reagieren ist      FB ist in der Schweiz nun auch in der     krassen Drohungen, wie ich sie erlebt
     also falsch. Zuerst habe ich jeweils    Politik angekommen. Aber in der jet-      habe, dann finde ich einfach, dass
     einen Printscreen vom Text gemacht      zigen Situation bleibt nur die Anzeige.   FB mir die wahre Identität schul-
     und den Text gelöscht, heute mache      Das kann aber nicht die langfristige      det. Man müsste jedoch ein Rechts-
     ich einen Printscreen und lasse den     Lösung sein.                              hilfegesuch nach Irland (Hauptsitz
     Text stehen und schaue, was passiert.                                             Europa) senden und dann braucht
     Ich beobachte die Kommentare der        BULLETIN: Wie bewegst du dich             es noch das Okay von Kalifornien
     Leute und ich finde, da lässt sich      heute in den sozialen Medien?             (Hauptsitz). Das ist der Staatsan-
     manchmal so etwas wie eine Verhal-      JOLANDA: Wenn ich heute einer an-         waltschaft meist zu aufwändig, dann
     tensänderung im Diskussionsniveau       deren Person entgegne, dann schaue        machen die das schon gar nicht. In
     beobachten. Wo Argumente und An-        ich immer genau, wer es ist. Auf          der Einstellungsverfügung heisst es
     stand Einzug halten, kann man gegen
     eine Diskussion nichts einwenden.
     Wenn nötig lösche ich Kommentare,
     wenn sie z. B. unter der Gürtellinie
     sind und steuere so die Diskussion.
     Unabhängig, ob sie mich nun vertei-
     digen oder nicht. Wenn ich den Hass-
     kommentar eines Wutbürgers einfach
     lösche, dann platziert er ihn bei Ta-
     mara oder bei sonst jemandem. Wenn
     ich hingegen den Kommentar stehen
     lasse und er wird dann von den ande-
     ren auseinandergenommen, so ist so
     auch schon eine Diskussion entstan-
     den und eine FB-Freundschaft.           Twitter ist es ja so, dass meine Fol-     dann «die Verhältnismässigkeit» sei
                                             lower sehen, was ich einer anderen        nicht gegeben.
     BULLETIN: Wieso meldest du solch        Person entgegne. Der durchschnitt-        Ich finde, die Hetzer und Wutbürger
     üble Dinge nicht FB?                    liche Twitterer hat so um die hundert     sollten sich nicht hinter der Anonymi-
     JOLANDA: Weil das nichts nützt.         Follower, eigens für Beleidigungen        tät verstecken dürfen. Darum ist mei-
     Man muss ein Formular ausfüllen         angelegte Trollprofile oft nicht mal      ne Forderung die Klarnamenspflicht.
     und es FB melden. Bei 90 Prozent        10. Ich habe 6000. Wenn ich also          D.h. dass jeder sich mit seinem Iden-
     meiner gemeldeten Fälle – ich mel-      antworte, dann sehen das meine 6000       titätsausweis anmelden müsste. Man
     de keine Peanuts, sondern nur Fäl-      Follower und sie sehen auch diese         kann dann immer noch ein Pseudo-
     le, die justiziabel sind – hörte ich    andere Person. Dadurch erhält diese       nym wählen oder mehrere Accounts
     von FB, dass der Kommentar nicht        Person ihre gewünschte Berühmtheit.       einrichten, die dann aber einer Iden-
     gegen Gemeinschaftsstandards ver-       Und oftmals legen sie es ja gerade da-    tität zugeordnet sind. Und FB müsste
     stosse. Was dann? Ein Feedback an       rauf an. Ähnlich bei FB, dort habe ich    im Fall von Strafanzeigen gegenüber

     BULLETIN    |   NUMMER 1     |   MÄRZ 2018
den Behörden die Namen rausrücken.       gegen die Rechten und zeige nur diese      Walls von Glarner, Rickli oder Matter       15
Wenn wir das hätten, dann sähe die       an. Das ist Humbug. Ich habe schon für     – alles SVP-NationalrätInnen – hinter-
Welt anders aus. Denn Anonymität         Personen der Jungen SVP eine Anzeige       lassen, die etwas zu mir oder zu Tamara
macht etwas mit den Leuten: Im Netz      geschrieben, was zur Folge hatte, dass     Funiciello geschrieben haben. Da muss
bin ich schon Tausende von Male          ein ehemaliger JUSO-Politiker verur-       man dann nur noch Printscreen um
beschimpft worden. Auf der Strasse       teilt wurde, sogar mehrfach. Kürzlich      Printscreen machen und die Leute an-
noch nie.                                schrieb ich eine Anzeige für ein bür-      zeigen. Das scheint Herrn Glarner nicht
                                                                                    zu interessieren. Man müsste ihm mal
                                                                                    eine Statistik zeigen. Fast 50 unserer
                                                                                    Strafverfahren betreffen seine Fans. Es
                                                                                    ist zwar nicht in seiner Verantwortung,
                                                                                    was die anderen sagen, aber man kann
                                                                                    andere anstacheln. Dann macht man
                                                                                    sich nicht juristisch verantwortlich,
                                                                                    aber moralisch. Diese Verantwortung
                                                                                    scheint Herrn Glarner nicht zu küm-
                                                                                    mern.

                                                                                    BULLETIN: Herzlichen Dank für das
                                                                                    Gespräch. ■

BULLETIN: Was gibt es über das Tä-       gerliches Mitglied des Ständerates. Es
terprofil zu sagen?                      ist aber auffällig, dass mehr Leute von     #NetzCourage
JOLANDA: Zuerst möchte ich über          Rechtsaussen angezogen werden, die          Der 2016 gegründete Verein #NetzCoura-
die Opfer reden. Der Hass gegen          einen Knacks haben, wenn ich mal so         ge thematisiert den Internet-Hass und
Frauen ist ein ganz anderer als gegen    sagen darf. Und es scheint in gewissen      bietet betroffenen Menschen, vorwie-
Männer. Wenn ein Mann beschimpft         politischen – rechten – Kreisen auch        gend junge Frauen, Hilfe an. Haupttätig-
wird, dann zielen Beschimpfungen         zum guten Ton zu gehören, dass man          keit ist das ehrenamtliche Sichten von
auf vermeintlich fehlende Intelligenz    Hetze und Hass verbreitet. Siehe An-        Kommentaren, Nachrichten und Mails
oder Kompetenz. Beim Mann geht es        dreas Glarner. Frauen als Täterinnen        und das Einreichen von Strafanzeigen,
so gut wie nie gegen den Körper, er      gibt es zwar auch, doch sind es nur         meistens wegen Ehrverletzungen,
wird weder als fett noch hässlich be-    wenige und meist Mitläuferinnen.            Drohungen und Rassismus. Die Hilfe
schimpft. Bei Frauen hingegen geht es                                                von #NetzCourage ist für die Betroffenen
fast ausschliesslich um den Körper.      BULLETIN: Du sprichst Hatespeech            kostenlos. Weitere Schwerpunkte liegen
Das löst bei der Frau Schamgefühle       in der Politik an.                          unter anderem in der Durchführung von
aus. Weiter kommen sexuelle Herab-       JOLANDA: Ja, Hatespeech ist üble Rede       Workshops, zum Beispiel in Schulen
würdigung dazu und als Steigerungs-      gegenüber Einzelnen oder Gruppen,           oder bei Firmen sowie Referate und
form Vergewaltigungsandrohungen          mit dem Ziel Massen anzustacheln. Ein       Podiumsteilnahmen. #NetzCourage
und Aufrufe dazu. Der Hass im Inter-     prominentes Beispiel dafür ist Andreas      vermittelt Lösungsansätze, wie dem
net betrifft Frauen viel verletzender    Glarner. Er gibt etwas von sich in einer    Hass entgegengetreten werden kann.
als Männer. Und daher ist es auch        pauschalisierenden, zum Teil unwah-         Mehr Informationen unter:
so wichtig, dass #NetzCourage Ta-        ren, aber sicher unanständigen Art, die     www.netzcourage.ch
mara Funiciello unterstützt. Es ist      aber knapp nicht strafbar ist. Das macht
unglaublich, wie viel Dreck sie sich     er immer wieder – das hat System.
anhören muss.                            Aber seine Follower, die werden zu          Textausschnitte von Hassmails
Nun zu den Tätern. Es ist kein Zufall,   Kommentaren provoziert, die justizia-       Die gezeigten Bilder enthalten Textaus-
dass ich da immer in der männlichen      bel sind, das kann man dann anzeigen.       schnitte von Hassmails und sind dem
Form gesprochen habe. Der Durch-         Das nennen wir den Glarner-Effekt.          Flyer des Vereins #NetzCourage
schnittswutbürger ist männlich, vom      Besonders störend ist, dass er nichts       entnommen. Der Redaktion liegen sehr
Alter her um die Pensionierung und       dagegen macht. Die meisten Leute, die       viel schrecklichere Textpassagen vor.
kommt aus Regionen, die SVP-Hoch-        ich angezeigt habe, haben nicht direkt      Wir verzichten nach längerer Diskussion
burgen sind.                             mir geschrieben, sondern sie haben          auf die Darstellung dieser Beispiele.
Man sagt mir immer wieder, ich sei       ihre Kommentare auf den Facebook-

                                                                            BULLETIN     |    NUMMER 1       |   MÄRZ 2018
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