BULLETIN - die Grünen Zug
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ALTERNATIVE - DIE GRÜNEN ZUG BULLETIN NUMMER 1 | MÄRZ 2018 * 4 Wahlen – Wahl (er)folg(t) * * 12 #NetzCourage – Mit Mut gegen den Hass * * 16 Rohstoff – Glencore in Kolumbien * * 20 Die 68er-Bewegung in Zug * * 22 Mikrosteuer – Revolutionär andere Steuern *
Inhaltsverzeichnis 3 Editorial 2 Welche Gesellschaft wollen wir? «Mission statement» Das BULLETIN ist eine unabhängige Kom- • Gleichwertigkeit von Geschlecht und munikationsplattform des alternativen Zug Rasse 4 Wahlen und wird von folgenden Gruppen getragen: • Verantwortung des Einzelnen gegenüber Wahl (er)folg(t) der Gesellschaft und Verantwortung der 6 Sparwut Alternative – die Grünen Baar Gesellschaft gegenüber dem/der Am Volkswillen vorbei Alternative – die Grünen Menzingen Einzelnen. Alternative – die Grünen Unterägeri 8 Kantonsrat Alternative – die Grünen Stadt Zug Die Redaktion recherchiert zu politischen Mehrwertabgabe als Auftrag Alternative – die Grünen Zug und gesellschaftlichen Themen nach be- Forum Oberägeri stem Wissen und Gewissen. Sie nimmt 9 Junge Alternative Grünes Forum Hünenberg aktuelle Themen der alternativen Gruppie- Gegen die Casino-Lobby Grüne Risch-Rotkreuz rungen aus den einzelnen Zuger Gemein- Grüne Steinhausen den auf. Das BULLETIN fördert das poli 10 Regierungsrat Krifo Alternative Cham tische Bewusstsein der Bevölkerung und Transparenz bei den Asylkosten trägt zur Meinungsbildung bei. Autorinnen Das BULLETIN setzt sich mittels seiner und Autoren der BULLETIN-Beiträge sind 12 #NetzCourage Publikationen ein für die Förderung und frei in ihrer Meinungsäusserung. Mit Mut gegen den Hass den Erhalt von Lebensqualität im Sinne von: • Soziale Gerechtigkeit, Schutz von sozial Redaktion und Herausgeberverein 16 Rohstoff Benachteiligten «Das BULLETIN» Glencore in Kolumbien • Ökologische Nachhaltigkeit, Schutz von Lebensräumen und der Natur 19 Überwachung Fichen gegen Staatsfeinde 20 1968 Die 68er-Bewegung in Zug 22 Mikrosteuer Revolutionär andere Steuern 24 Vollgeld Nur Bares ist Wahres 25 Service Gestreift Initiative Kino Veranstaltung Adressen Impressum Umschlagbild: «Im Netz bleibt vieles hängen.» BULLETIN | NUMMER 1 | MÄRZ 2018
Editorial Welche Gesellschaft wollen wir? Andreas Hürlimann, Kantonsrat und Gemeinderat Steinhausen Meine nun mittlerweile dia-Kanäle, viele ihre Wirklichkeit 3 fast zwölfjährige Erfah so zusammenbasteln, wie sie rung als Parlamentarier gerade zu passen scheint. Gemein im Zuger Kantonsrat wohl scheint nur noch gut zu sein, ermöglicht mir eine wenn es einem persönlich einen relativ gute Einordnung unmittelbaren Nutzen bringt. der politischen Geschäfte Eigentum geht über alles, selbst und der Positionen der wenn es zum Verschwinden der verschiedenen Frak letzten Grünflächen führt. Service tionen. Leider wird von public nur dann, wenn er selbst den Medien auch heute gewählt und nicht durch die noch gerne das alt- Gesellschaft mitbestimmt werden bekannte Links-rechts- kann. Das sind heikle Tendenzen. Muster bedient – wobei Die intensive Debatte über No die Mitte dann gemäss Billag war nicht nur eine Debatte der Berichterstattung für über die Medienlandschaft in der die Kompromisslösungen Schweiz, sondern auch über ein steht. Doch ist dem Idealbild unserer Gesellschaft, in wirklich so? Das Beispiel welcher wir leben wollen. Zu den der vom Kantonsrat wichtigsten Voraussetzungen einer kürzlich versenkten funktionierenden Demokratie und Revision des Planungs- offenen Gesellschaft gehört für und Baugesetzes (PBG – mich die Freiheit, sich eine eigene 1. Teil zur vom Bund politische Meinung zu bilden. vorgeschriebenen Gerade politische Meinungen sind Mehrwertabschöpfung, aber seit je anfällig für Manipula siehe auch Seite 8) zeigt tion und Indoktrination. Nicht ein realistischeres Bild: ohne Grund haben viele autoritär Eine klare Mehrheit der Herrschende dieser Welt zuerst das ALG hat sich am Schluss gegen die listisch» betitelt und versuchten Mediensystem diszipliniert und Revision des Planungs- und eine Wirklichkeit zu konstruieren, können so ihre Argumente relativ Baugesetzes ausgesprochen, weil welche so nicht existiert. Mittler einfach durchsetzen. Seien wir also die Massnahmen zur Verdichtung weile, so konnte man hören, ist froh um jede kritische Berichter komplett verwässert und die selbst der Zuger Regierungsrat stattung und hinterfragende Mehrwertabschöpfung gerade bei «links». Dieser Satz ist noch nicht journalistische Leistung. Auch Auf- und Umzonungen zu einem so oft zu hören wie beim Bundes wenn uns diese nicht immer Feigenblättchen degradiert wur rat. Mit der Wiederholung dieses 100-prozentig passt. Aber nur mit den. Aber ein einfaches Links- Satzes kann diese falsche Aussage offenem Blick und umfassenden rechts-Schema greift hier zu kurz. beim Bund wie beim Kanton Informationen gelingt es uns, gute Denn fachlich fundierte Anträge jedoch nicht zur Wahrheit werden. und nachhaltige Entscheide für und sogar Kompromissanträge aus Denn gerade in Zug müssten ja eine Gesellschaft zu treffen, welche den Gemeinden, die eine praxis rechnerisch zwei CVP-Magistraten allen Menschen hilft und diese taugliche Mehrwertabschöpfung sowie einer aus der FDP oder aber nicht aufgrund eines Minderheiten ermöglicht hätten, wurden in der der SVP zusammen mit unserer merkmals ausgrenzt. zweiten Lesung vor allem von Frau Landammann Manuela 2018 ist Wahljahr (siehe auch jenen abgelehnt, die im Nachgang Weichelt-Picard zusammenspan Seite 4) und wir alle haben die vom vergebenen Kompromiss nen. Wie oft dies im von Sparde Möglichkeit, unsere Parlamente sprachen. Gerade die politische batten dominierten Rat passiert, und Exekutiven neu zu besetzen. Mitte sprach sich mit Vehemenz muss hier nicht weiter kommen Nutzen wir diese Chance für eine gegen Gemeindeanliegen und sehr tiert werden. stärkere politische Alternative im moderate, ja gar durch und durch Das Beispiel zeigt aber, dass in Kanton Zug. Stellen wir die bürgerliche Vorschläge der Regie Zeiten von Fake News und gefil Weichen für eine Gesellschaft, rung aus. Diese wurden als «sozia terten Nachrichten via Social-Me in welcher wir alle gerne leben! ■ BULLETIN | NUMMER 1 | MÄRZ 2018
Wahlen Wahl (er)folg(t) Andreas Lustenberger, Präsident Alternative – die Grünen Zug 4 Umwelt im Kopf, Welt im Blick, Freiheit im Herzen, Gerechtigkeit im Sinn. Am 7. Oktober 2018 steht der in der Politszene Super Sunday genannte Wahlsonntag vor der Tür. Für uns Alternative – die Grünen bedeutet dies, dass wir die Lorbeeren für unsere engagierte Arbeit in der Zuger Politiklandschaft ernten können. Eine lustvolle Wahlkampagne, soll uns dabei helfen. Auf sieben fette Jahre folgen sieben zingen, - Cham). Die zweite Änderung magere. Josef deutete gemäss altem im Wahlsystem war die Einführung Testament mittels zweier Träume dem des doppelten Pukelsheim (benannt Pharao im alten Ägypten die Zukunft. nach dem deutschen Stochastik-Pro- Wahljahre sind in unserer Zeit eher fessor Friedrich Pukelsheim). Dabei mit wenig Schlaf gesegnet, deshalb handelt es sich um eine neue Berech- fällt es mir schwer, mich an meine nungsmethode für die Legislative, Träume zu erinnern, um euch eine also den Kantonsrat. Wurden vor die- genaue Prognose für den Wahlausgang ser Regelung jeweils die Mandate nur abzugeben. Zudem verlassen wir uns auf Ebene der Gemeinden paritätisch Manuela strahlt nach dem Wahlerfolg lieber auf die Fakten als auf die Nacht- verteilt, so werden neu die Parteien- 2014! gedanken seitens des Präsidiums und ergebnisse auf kantonaler Ebene in bereiten uns gewissenhaft auf die Betracht gezogen. So waren Stimmen Plakate hat. Obwohl gerade unser Er- kommende Wahlkampagne vor. aus Gemeinden, wo wir traditionell scheinungsbild bei den letzten Wahl- Seitens des kantonalen Vorstandes be- keinen Kantonsratsitz haben, nicht en besonders gut abschnitt. Es geht fassen wir uns seit Sommer 2017 mit mehr obsolet, sondern von grosser hauptsächlich darum, die Lorbeeren den Wahlen. Im Januar 2018 hat nun Wichtigkeit. Die Änderungen bedeu- für unsere tägliche, engagierte Arbeit auch der Wahlausschuss seine Arbeit, teten, dass wir in möglichst allen elf zum Wohle der Zugerinnen und Zu- unter der Leitung von Marco Knobel, Gemeinden antreten müssen, was uns ger zu ernten. Auch wenn die Legis- aufgenommen. Auch unsere Sektionen erfolgreich gelang. Trotz gleichblei- latur Anfang 2015 turbulent begann, in den Gemeinden haben seit mehreren bender Wählerstärke der Alternativen haben wir in den vergangenen vier Monaten auf Wahlmodus umgeschal- – die Grünen, gewannen wir drei Jahren viel erreicht. tet. Nun ist es Aufgabe des Wahlaus- Kantonsratsmandate dazu. Die bürgerlichen Sparturbos haben schusses, die verschieden Puzzleteile Als kleinere Partei ist gerade der sich im Kanton Zug massiv verschätzt zusammenzusetzen, um eine optimale doppelte Pukelsheim eine Heraus- und mit dem Nein zum Sparpaket Ausgangslage zu schaffen. forderung und Chance zugleich. Wer Ende 2016 die Quittung für ihre ide- in gewissen Gemeinden nicht antritt, ologische Finanzpolitik erhalten. Ein Wahlsystem als Herausforderung verschenkt vielleicht gleich ein oder riesiger Erfolg für uns Linke. Gemein- und Chance mehrere Kantonsratsmandate. Dafür sam mit der «Allianz für ein lebens- Gross war die Anspannung vor den sind Wählerstimmen aus kleinen wertes Zug» ist es uns gelungen, die Wahlen im 2014. Denn der Kanton Gemeinden nicht mehr Makulatur, Stimmbürgerinnen und Stimmbürger führte gleich zwei neue Wahlsysteme sondern fallen für das kantonale Er- für einen solidarischen Umgang mit ein. Damals wählten wir die Mitglie- gebnis ins Gewicht. Für die Exekutive den Kantonsfinanzen zu überzeugen. der der Exekutive zum ersten Mal im werden wir auch in diesem Jahr eine Dieser Erfolg ist richtungsweisend Majorz. Neu mussten wir also den etwas angepasste Wahlkampagne füh- für die zukünftige Finanzpolitik im Fokus weg von der Partei und hin zu ren, denn nur, wer Stimmen weit ins Kanton Zug. Dass der Regierungsrat den einzelnen Personen verschieben. bürgerlicher Lager hinein holen kann, nun unsere Forderung nach einer Trotz hervorragendem Leistungsaus- hat eine Chance, gewählt zu werden. Steuererhöhung aufnimmt und von weis fanden sich unsere bisherigen sich aus vorschlägt, gleicht einem Exekutivmitglieder auf den hinteren Unsere Erfolge: Motivation für die kleineren Erdbeben. Rängen wieder. Aber der Wechsel Wahlen 2018 Mit den Enthüllungen der Panama gelang uns mehrheitlich, denn insge- Bei Wahlen geht es jedoch nicht und Paradise Papers wurde endlich samt konnten wir ein Exekutivmandat hauptsächlich um Mathematik und öffentlich, was die Alternativen – dazugewinnen (+Steinhausen, +Men- auch nicht darum, wer die schönsten die Grünen seit jeher anprangern. BULLETIN | NUMMER 1 | MÄRZ 2018
Mittels dubiosen Firmenkonstrukten 5 schleusen internationale Konzerne und ihre Finanzelite Milliarden am Fiskus vorbei. Sie schädigen damit die Entwicklung von ärmeren Staaten massiv und sind damit die Haupt- verantwortlichen für viel Elend und damit verbundene Migrationsströme auf der Welt. Dass die Spuren beide Male auch in den Kanton Zug ge- führt haben, überrascht nicht. Dank unserer hartnäckigen Kritik wird die soziale und ökologische Verantwor- tung von Konzernen politisch immer wichtiger. Mit der bald zur Abstim- mung kommenden Konzernverant- wortungsinitiative ist es gelungen, das Thema aufs nationale Parkett zu bringen. Die letzten Jahre waren geprägt von einer nationalistischen und popu- listischen Stimmungsmache gegen schutzbedürftige Menschen. In ge- wissen Regionen kam es zu einer re- Wahlen benötigt engagierte Menschen mit viel Power. Danke für den Einsatz! gelrechten Hetzjagd mit verstörenden Bildern. Im Kanton Zug ist es uns ruf und Familie, ist bei weitem nicht sind wir jedoch auf die gesamte Basis dank dem grossen Engagement gelun- abschliessend. Es sind jedoch diese der Alternativen – die Grünen ange- gen, über alle Parteiebenen hinweg Erfolge, welche mich optimis tisch wiesen. In der Vergangenheit haben einen Diskurs der Offenheit zu gestal- auf den Super Sunday blicken lassen. wir mehrfach bewiesen, dass wir ten. Das kantonale Asylwesen macht eine der aktivsten Parteien sind. Ich unter der Leitung unserer Regierungs- Dein Einsatz für ein soziales und bin überzeugt, dass wir gemeinsam rätin Manuela Weichelt-Picard eine grünes Zug eine überzeugende Wahlkampagne hervorragende Arbeit und in den Ge- Obwohl das eidgenössische Schwing- durchführen werden und ich möchte meinden waren es unsere Kommunal- und Älplerfest erst 2019 in Zug statt- mich bereits jetzt für euer Engage- politikerinnen und -politiker, welche findet, sind Wahljahre für uns frei ment für ein soziales und grünes Zug verschiedene Solidaritätsnetzwerke nach Beat Schlatter, «ein beträcht- bedanken. ■ auf die Beine gestellt haben. licher Hoselupf». In diesem Jahr Bei den ökologischen Themen konn- müssen wir öffentlich wirksam auf- ten wir verschiedene Erfolge erzielen, zeigen, dass die Stimmbürgerinnen auch wenn uns die grossen Debatten und Stimmbürger mit uns eine gute bezüglich Wachstum und Mobili- Alternative haben. Eine Alternative, tät im Rahmen der Richtplananpas- die sich für die Chancengleichheit, sungen und der Ortsplanungsrevi- und zwar für alle Menschen, einsetzt. sionen noch bevorstehen. So gelang Eine Alternative, die sich für Fami- Veranstaltungshinweis: «Ein es uns zum Beispiel in Baar, die Ge- lien starkmacht. Eine Alternative, anderes Zug ist möglich!» meinde zu überzeugen, dass nicht ein die einen schonenden Umgang mit Am 15. Juni starten wir gemeinsam in den Golfplatz die grösste Naherholung unseren ökologischen Ressourcen Wahlkampf. Kommt an diesem Freitag für die Bevölkerung bietet, sondern und damit eine ökologische Mobilität abend alle um 18 Uhr in den Burgbach- ein Landschaftsentwicklungskonzept fordert und fördert. saal (Dorfstrasse 12, Zug). Es erwartet nach dem Vorbild von Cham. Die Aufgabe des Wahlausschusses euch eine spannende und lustvolle Lan- Die Auflistung unserer Erfolge, gera- ist es, eine lustvolle und möglichst cierung mit humoristischen Einlagen, In- de auch im Sozialen, in der Gleich- wirksame Wahlkampagne auf die fos, Apéro und einem lockeren Austausch. stellung, in der Vereinbarkeit von Be- Beine zustellen. Für die Umsetzung BULLETIN | NUMMER 1 | MÄRZ 2018
Sparwut Am Volkswillen vorbei Hansruedi Küttel 6 Die Bevölkerung des Kantons Zug hat im November 2016 das von der das so gut und so bestimmt, dass es Regierung geschnürte Sparpaket abgelehnt. Nun gehen die Diskussionen alle Mitglieder des Gremiums verste- «selbstverständlich» weiter, denn es muss gespart werden, koste es, was hen und den Kanton auf keinen Fall mehr übermässig belasten wollen. es wolle. Ein Referendum mit Volksabstimmung wird es aber kaum mehr Der Regierungsrat kann dann über geben. Warum? erfolgreich abgeschlossene Verhand- lungen berichten und das Thema ist auf seiner Seite abgeschlossen. Unse- Der Regierungsrat hat gelernt: Wenn weil sie niemand stemmen kann und re Mitglieder im Kantonsrat erfahren wir ein Sparpaket, pardon, ein Ent- eine einzelne Massnahme alleine dann meist erst davon, wenn «schon lastungspaket schnüren, kann tat- nicht genügend einschneidend ist – alles geregelt» ist. Und die Betrof- sächlich ein Referendum ergriffen die Summe der einzelnen Massnah- fenen? In den Gremien sitzen meist werden und – oh Schreck – wie 2016 men macht’s aber aus. mehrheitlich Bürgerliche, also Leute, vor dem Souverän Erfolg haben. Jetzt müssen wir schlauer zu Werke gehen. Dazu gibt es drei interessante Wege, um eine Kollision mit den Stimmberechtigten zu verhindern. Die Regierung nutzt alle drei Wege im Rahmen des Programms Finan- zen 2019. Regierungsratsbeschlüsse Selbstverständlich gibt es viele Auf- gaben im Kanton, über die der Re- gierungsrat selber entscheiden, Be- schlüsse fassen und umsetzen kann. Das muss auch so sein, dazu haben wir eine Regierung. Nun aber aus dem abgelehnten Sparpaket alle mög- lichen Details herauszupflücken und auf dem Verordnungsweg umzuset- zen, ist nicht wirklich Umsetzung des Volkswillens oder der früher gemach- ten Wahlversprechen. Aber es funktio niert – und zwar zügig und einfach. Auch TixiZug muss mit wesentlich kleinerem Kantonsbeitrag auskommen. Gesetzesänderungen, Kantonsrats- beschlüsse Direkte Gespräche mit Leistungs die für die Anliegen der Regierung Was den Handlungsspielraum des erbringern scheinbar mehr Verständnis aufbrin- Regierungsrates überschreitet, muss Ein besonders raffinierter Weg be- gen als für die Anliegen ihrer Klien- via Budget oder mit Gesetzesände- dient sich direkter Gespräche mit tinnen und Klienten. Die wirklich rungen gelöst werden. Im Kantonsrat betroffenen Leistungserbringern. Zu- Betroffenen sind die Klientinnen, darf man dazu auf die bürgerliche erst «erklärt» wenn möglich der zu- die nun einen höheren Beitrag sel- Mehrheit zählen. Damit sich nachher ständige Regierungsrat seinen lieben ber tragen müssen oder schlechtere das Volk nicht einmischt, werden Mitbürgerinnen und Mitbürgern im Leistungen erhalten, weil der Kanton die Änderungen als Einzelvorlagen Vorstand, Stiftungs- oder Verwal- spart. gebracht, sodass sich kaum mehr tungsrat der vom Sparen betroffenen Was können wir als Stimmberech- referendumswürdige Themen daraus Organisation, dass der Kanton seinen tigte unternehmen, damit «das Volk» ableiten lassen. Also lieber zehn Beitrag nun im Rahmen der Spar- wieder vermehrt mitreden kann? Beschlüsse, als einer, der für ein bemühungen auf die Hälfte kürzen Regierungsratsbeschlüsse: Es ist nicht Referendum herhalten könnte. Zehn müsse und dass eben alle ihren Bei- so, dass wir gar nicht mitreden dürf- Referenden sind nicht zu erwarten, trag zu leisten haben usw. Er erklärt ten, es ist nur ein bisschen kompli- BULLETIN | NUMMER 1 | MÄRZ 2018
ziert. Wenn wir die einzelnen Be- Fragen an Anastas Odermatt: etwas anders zu machen. Dies aber 7 schlüsse jeweils nachlesen, uns über nur, wenn das Postulat auch durch die Zusammenhänge informieren, BULLETIN: Sind wir wirklich so den Kantonsrat kommt (zuerst Über- mit Freunden darüber diskutieren schlecht vertreten in den Gremien weisung – anschliessend Erheblich- und, wenn es dann nötig ist, unsere sozialer Institutionen, dass dann bei Erklärung). Dies ist aber bei einer Meinung unseren Kantonsratsmit- euch im KR niemand die Alarmglo- klar bürgerlichen Dominanz mit teils gliedern kundtun, können diese in cken rechtzeitig läutet? sehr absolutem und bisweilen blin- geeigneter Form im Rat aktiv werden. Anastas Odermatt: Das eine ist ja, ob dem Sparwillen sehr schwierig. Kantonsratsbeschlüsse: Wie oben, In wir vertreten sind, das andere, ob ge- teresse zeigen, mit unseren Vertrete- nügend früh die Alarmglocken gezo- BULLETIN: Welche Möglichkeiten rinnen im Rat diskutieren! gen werden. Sowohl bei der Vertre- siehst du sonst noch für engagierte Direkte Gespräche mit Leistungser- tung als auch bei den Alarmglocken Stimmbürgerinnen und Stimmbür- bringern: Selber Einsitz nehmen in sehe ich Aufholbedarf. Fakt ist, dass ger? Trägerorganisationen, aktiv mitarbei- viele Gremien bürgerlich dominiert Anastas Odermatt: Neben dem ge- ten und wo nötig aufstehen gegen zu sind. Wenn es ums Sparen geht, gera- nug frühen Kontakt mit den Ge- frühes Einknicken bei Sparrunden! ■ ten sie in einen Zielkonflikt: Setzen wählten – damit wir von einzelnen sie sich für ihre Organisation und die teils gar verborgenen Massnahmen entsprechenden Partikularinteressen überhaupt etwas erfahren – gibt es die Nochmals lesen ein oder bleiben sie auf Parteilinie Möglichkeit, Leserbriefe zu schreiben BULLETIN 3, 2017, Seiten 4 und 5: und beim strikten Sparen? Ich per- oder das Thema zumindest in Gesprä- «Mit dem Kopf durch die Wand» sönlich finde, die Organisation, die chen und im Freundeskreis anzuspre- von Andreas Hürlimann und Anastas man repräsentiert, ist wichtiger – chen und bekannt zu machen. Und Odermatt sonst ist man am falschen Platz in auch Petitionen, Memoranden oder Das Archiv: einem Vorstand und missbraucht das einfach ein Brief an den Kantonsrat gruene-zug.ch/bulletin/bulletin/archiv/ Ehrenamt als PR-Hülse. kann manchmal schon etwas auslö- sen. Das A und O bei allen Mitteln ist BULLETIN: Warum sind wir in den aber das Timing – leider ist es häufig erwähnten Gremien nicht dabei? zu spät und etwas ist schon beschlos- Anastas Odermatt: Man soll ja im- sen. Darum Ohren auf und immer mer zuerst vor der eigenen Haus- genügend früh ungeniert nachfragen türe kehren. Daher müssen wir uns und nachhaken. sicherlich auch jeder selbst an der Nase nehmen. Anderseits gibt es ge- BULLETIN: Besten Dank für deine rade in Zug einen sehr starken Filz, Stellungnahme! der nur sehr schwer aufzuweichen (Fragen und Antworten wurden per ist. Dieser Filz ist althergebracht Mail ausgetauscht.) und wirkt im Kanton Zug bis heute bestens. BULLETIN: Welche Mittel und Ins trumente stehen dem Kantonsrat zur Verfügung, um bei «ungesunden» Regierungsratsbeschlüssen nachzu- fragen und evt. einzugreifen? Anastas Odermatt: Hier steht uns die ganze Palette an Vorstossmög- lichkeiten offen. Sei es bei sehr kurzfristigen Geschichten eine klei- ne Anfrage oder dann bei grösseren Sachen die Interpellation – damit es auch im Kantonsrat zu einer Debatte kommt. Sodann gibt es Postulate – damit «laden wir die Regierung ein», BULLETIN | NUMMER 1 | MÄRZ 2018
Kantonsrat Mehrwertabgabe als Auftrag Hanni Schriber-Neiger, Kantonsrätin Alternative – die Grünen Zug 8 Will man unsere verbleibenden Grünflächen erhalten? Nein! – Der Instrumente für die Verdichtung nach Kantonsrat nicht wirklich! – Wenn man die Kantonsratssitzung vom innen ins Gesetz aufzunehmen, lau- 25. Januar 2018 als Gradmesser nimmt. fen wir Gefahr, dass spätestens bei der übernächsten Planungsrevision grössere Einzonungen bevorstehen. Das Schweizer Volk sagte vor bald ment der Gebietsverdichtung ernst- Weitere Grünflächen würden ver- fünf Jahren mit grossem Mehr Ja zum haft umzusetzen. Genau dies war, schwinden, weiteres Bauland würde Raumplanungsgesetz des Bundes, im zusammen mit der Mehrwertabgabe, geschaffen. Dies ist sicher nicht der Kanton Zug sogar mit 71 Prozent Zu- aber das Herzstück dieser Vorlage. Volkswille, wenn wir das Resultat der stimmung. Zwei Hauptziele stehen im Stossend fand die Fraktion ebenso, Abstimmung von 2013 als Gradmes- Zentrum: Erstens die Zersiedelung zu dass die Hürde für eine Mehrwert- ser nehmen. Denn auch im Kanton bremsen und zweitens die Siedlungs- abgabe bei Um- und Aufzonungen Zug ist bei einem grossen Teil der Be- entwicklung nach innen zu fördern. so hoch war, dass sie fast nie zur völkerung eine gewisse Wachstums- Das Bundesgesetz verpflichtet die Anwendung gekommen wäre. Die müdigkeit feststellbar. Kantone, einen angemessenen Aus- gleich für erhebliche Vor- und Nach- teile, die durch Planungen entstehen, zu regeln. Damit wird deutlich, dass der eigentliche Zweck der Abschöp- fung von Planungsmehrwerten darin besteht, Geld zur Verfügung zu haben, um Nachteile, welche aus raumpla- nerischen Massnahmen entstehen, entschädigen zu können. Das können zum Beispiel Auszonungen, Renatu- rierungen, Wege, Erholungsgebiete, öffentliche Plätze oder Schulhausbau sein. Unsere Fraktion wollte, dass die Gemeinden das Geld für den ge- meinnützigen Wohnungsbau einset- zen müssten, was eine Mehrheit gar nicht wollte. Verwässerung Der Antrag der Regierung zum Pla- nungs- und Baugesetz (PBG) hat sich leider nur am bundesrechtlichen Der Kantonsrat hat dem Raumplanungsgesetz die Zähne gezogen. Minimum (Abschöpfung von 20 Prozent) orientiert. Die ALG und öffentliche Hand hätte selten bis gar Auch wenn die Vorlage PBG Teil 1 SP wollten 40 Prozent. Zudem ver- nie Geld gesehen, um die nötigen zu- im Kantonsrat abgelehnt wurde, wässerte die vorberatende Kommis sätzlichen Infrastrukturen zu bauen. bleibt der Auftrag, wenn möglich sion die Gesetzesvorlage stark. Und Es ist nur gerecht, wenn der teilweise das Bundesrecht bis Mai 2019 um- der Kantonsrat hat die Vorlage noch erhebliche Gewinn durch eine plan- zusetzen. Der politische Druck für mehr zerzaust, sodass das Gesetz mässige Aufzonung nicht nur dem eine intelligente Verdichtung und weiter an Griffigkeit verlor. Die be- Privaten zukommt, sondern auch die eine Mehrwertabgabe, die aber ihren rechtigten Anliegen der Gemeinden, Allgemeinheit etwas davon hat. Namen verdient, muss bleiben. Das welche die Verdichtung am Schluss ist der Auftrag des Volkes und den umsetzen müssen, wurden auch Volkswillen umsetzen hat das Zuger Parlament ernst zu nicht berücksichtigt. Also ein Ge- Wie können wir den Anliegen der nehmen. ■ setz ohne Fleisch am Knochen und Bevölkerung nach grünen Freiflächen bei der Schlussabstimmung waren und Kulturlandschaften in Zukunft deutlich zu wenige Kantonsrätinnen nachkommen? Wenn es der kanto- und Kantonsräte willens, das Instru- nalen Politik nicht gelingt, sinnvolle BULLETIN | NUMMER 1 | MÄRZ 2018
Junge Alternative Gegen die Casino-Lobby Text Luzian Franzini, Co-Präsident Junge Grüne Schweiz Da die Jungen Grünen und weitere Organisationen das Referendum ergrif- Schutz vor Spielsucht 9 fen hatten, stimmen wir am 10. Juni über das Geldspielgesetz ab. Erstmals Während die bürgerlichen Jungpar- in der Geschichte des Schweizer Internet sollen ausländische Websites teien (jGLP, Jungfreisinnige, JSVP) gesperrt werden. Gegen diesen massiven Eingriff in die Internetfreiheit finanziell mit ausländischen Poker anbietern verstrickt sind, steht für engagieren sich Jungparteien sowie InternetaktivistInnen. Auch wenn die die Jungen Grünen vor allem der Gründe innerhalb dieser unheiligen Allianz verschieden sind, ist allen Schutz vor Spielsucht im Zentrum. klar: Die Freiheit des Internets darf nicht den Geldinteressen der Casino- Obwohl in der Schweiz 75 000 Men- Lobby geopfert werden! schen spielsüchtig sind, wehrte sich die Casino-Lobby erfolgreich gegen striktere Prävention. Die heutigen Prä- Mit Netzsperren will das Parlament Gegen Netzsperren jeder Art ventionsausgaben belaufen sich le- Internetanbieter zwingen, ausländi Internetexpertinnen und -experten diglich auf 4,5 Millionen Franken pro sche Pokeranbieter zu zensieren. Die befürchten, dass die vorgesehenen Jahr, was im Vergleich zu den sozialen Internetanbieter müssten dabei die Netzsperren die Stabilität des In- Kosten von 648 Millionen Franken gleichen Methoden gegen ihre Kund- ternets gefährden. Da die «Black- lächerlich wenig ist. Die Jungen Grü- schaft einsetzen, wie sie auch Cyber- lists» nicht ständig aktualisiert wer- nen fordern in Übereinstimmung mit kriminelle für sogenannte Phishing- den, führen Netzsperren zudem fast Präventionskreisen eine nationale Attacken verwenden. Auch wenn On- zwangsläufig zur Sperrung von unbe- ExpertInnen-Kommission und zweck- line-Glücksspiele für viele Menschen teiligten ausländischen Seiten. Damit gebundene Abgaben zuhanden der irrelevant sind, stellt dieses Gesetz werden legitime Inhalte für Schwei- Kantone. Diese soll zur Finanzierung der Kosten des exzessiven Geldspiels dienen. Zudem braucht es ein absolu- tes Werbeverbot für Glücksspiele. Versteckte Steuersenkung Der grosse Lobbyeinfluss der Casinos zeigt sich im neuen Gesetz auch bei der Besteuerung der Geldgewinne. Lotto- und Onlinegewinne würden mit dem neuen Gesetz erst ab einer Million Franken steuerpflichtig. So bleibt der grösste Teil der Gewinne in Casinos steuerfrei. Die generelle Steuersenkung im Spielbereich erhöht nicht nur die Suchtgefahr für Spie- Nein zum Geldspielgesetz – wir wollen Prävention, keine Zensur! (Bild Marco Verch) lerinnen und Spieler, sondern führt auch zu grossen Steuerausfällen. eine gefährliche Erstentscheidung dar: zerinnen und Schweizer nicht mehr Ist die entsprechende Infrastruktur einsehbar. So passierte es beispiels- Nein zum Geldspielgesetz erst einmal eingerichtet, lässt sich weise in Frankreich, dass wegen eines Bis zum 10. Juni wird es ein Kampf die Sperrliste beliebig erweitern. Was Fehlers bei Netzsperren Google, Wi- von David gegen Goliath. Während mit Online-Poker beginnt, kann somit kipedia und sogar Regierungsserver die Schweizer Casinos viel Geld in schnell zu weiterer Zensur im Bereich einen Tag lang nicht mehr erreich- den Abstimmungskampf investieren von Musik, Filmen oder sogar Informa- bar waren. Auch das eidgenössische werden, setzten wir auf kreative Ideen tionsseiten führen. Solche Netzsperren Justizdepartement gibt zu, dass bei und die richtige Überzeugung. Eine sind auch aus juristischer Sicht um- diesem «Overblocking» Grundrechte Regulierung des Glücksspiels muss stritten. Bis heute haben weder das in Gefahr sind und dass die entspre- möglich sein, ohne die Internet-Infra- Bundesgericht noch der Europäische chenden Netzsperren extrem leicht struktur durch Netzsperren grundle- Gerichtshof für Menschenrechte unter- umgangen werden können. In mo- gend zu beeinträchtigen. Das Internet sucht, ob eine Sperrung von Internet- dernen Browsern ist die Option zur darf nicht zum Spielball von Lobbys seiten mit Online-Spielangeboten mit Umgehung von Netzsperren bereits jeglicher Art werden und muss grund- den Grundrechten vereinbar ist. vorinstalliert. sätzlich überall frei zugänglich sein. ■ BULLETIN | NUMMER 1 | MÄRZ 2018
Regierungsrat Transparenz bei den Asylkosten Manuela Weichelt-Picard 10 Wie viel Sozialhilfe sollen Asylsuchende, Schutzbedürftige ohne Auf- In die erste Kategorie fallen vorläu- enthaltsbewilligung und Personen mit Bleiberecht erhalten? Antworten fig aufgenommene Flüchtlinge sowie auf diese Fragen findet, wer den Aufwand nicht scheut und sich mit dem anerkannte Flüchtlinge, Staatenlose und Schutzbedürftige mit Aufent- differenzierten System auseinandersetzt, das im Kanton Zug zur Anwen- haltsbewilligung. Sie sind finanziell dung kommt. Der Kantonsrat hat das gemacht und einen klugen Entscheid am besten gestellt und können gleich gefällt, wird sich aber auch in Zukunft mit dem Thema beschäftigen. hohe Beiträge an wirtschaftlicher Sozialhilfe wie die einheimische Be- völkerung erhalten. Der Kanton Zug Die Fragen sind ein politischer Dauer suchenden, Schutzbedürftigen ohne orientiert sich dabei an den Ansätzen brenner und sorgen regelmässig für Aufenthaltsbewilligung und vorläu- der SKOS (Schweizerische Konfe- hitzige Debatten. Welche Beträge sol- fig Aufgenommenen nur noch die renz für Sozialhilfe). Der monatliche len die Kantone in der wirtschaft- sogenannte Nothilfe zu bezahlen. Grundbedarf für diese Kategorie liegt lichen Sozialhilfe für die verschie- Die Fraktion ging fälschlicherweise in einem Einpersonenhaushalt bei denen Kategorien von Personen aus davon aus, dass sämtliche Personen 986 Franken. Für Mietkosten (exkl. Nebenkosten) können maximal 1100 Franken entrichtet werden. In die zweite Kategorie fallen Asyl suchende, dass heisst Personen, die noch auf einen Entscheid warten, Schutzbedürftige ohne Aufenthalts- bewilligung sowie vorläufig Aufge- nommene. Gemäss der bundesrecht- lichen Asylverordnung hat auch diese Gruppe Anspruch auf Sozialhilfeleis tungen. Der Ansatz für die Unter- stützung liegt bei dieser Gruppe aber deutlich unter dem Ansatz, der für die einheimische Bevölkerung gilt. Wir reden von der «Asyl-Sozialhilfe». Der monatliche Grundbedarf liegt hier bei 449 Franken pro Person in einem Einpersonenhaushalt. Für Mietkosten (inkl. Nebenkosten) kön- nen maximal 420 Franken entrichtet werden. Bei zahnärztlichen Behand- Nicht alle Personen aus dem Asylbereich erhalten die «volle Sozialhilfe». Man unter- lungen wird ebenfalls zwischen die- scheidet drei Kategorien. sen beiden Kategorien unterschie- den. Im Bereich der «Asyl-Sozialhil- dem Asylbereich bezahlen? Was ist aus dem Asylbereich, die keine Nie- fe» (zweite Kategorie) sind lediglich finanziell angemessen, politisch ver derlassungsbewilligung besitzen und der «Erhalt der Kaufähigkeit» und tretbar und – in Bezug auf eine mög- keinen rechtskräftigen Nichteintre- die «Schmerzstillung» im Rahmen lichst gute Integration – sinnvoll? tens- oder negativen Asylentscheid von nicht aufschiebbaren Mass- Fördern höhere Geldbeträge die Inte- in Händen haben, die «volle Sozial nahmen und Notfallbehandlungen gration, da sie mehr gesellschaftliches hilfe» nach den SKOS-Richtlinien möglich, während bei Personen mit Teilhaben ermöglichen, oder sind sie erhalten. Dem ist jedoch nicht so. wirtschaftlicher Sozialhilfe nach im Gegenteil kontraproduktiv, weil SKOS-Richtlinien (erste Kategorie) die Gefahr besteht, dass Betroffene Unterstützte Personengruppen auch einfache zahnärztliche Sanie- dann gar keine wirtschaftliche Unab- Es sind drei Kategorien zu unter- rungen durchgeführt werden dür- hängigkeit mehr anstreben? scheiden, wobei die finanzielle Un- fen. Und noch ein Beispiel, das die Gemäss dem Motto, lieber zu wenig terstützung eng an den Aufenthalts- Differenzierung der beiden Katego- als zu viel Geld, verlangte die SVP- status bzw. die Bleibeperspektive rien veranschaulicht: Wird in einem Fraktion in einem Vorstoss, Asyl- geknüpft ist: Haushalt der zweiten Kategorie ein BULLETIN | NUMMER 1 | MÄRZ 2018
die notwendigen Berufsauslagen zu 11 tätigen. Eine Kürzung auf Nothilfe würde in diesem Zusammenhang ein widersprüchliches Signal darstellen, die Voraussetzungen für eine er- folgreiche Integration von vorläufig Aufgenommenen verschlechtern und der Kanton müsste die notwendigen Berufsauslagen dann doch wieder finanzieren. Zudem würden den Be- hörden Sanktionsmöglichkeiten bei Integrationsverweigerung entzogen, wenn vorläufig Aufgenommene auf Nothilfe gesetzt würden. Ganz abgesehen davon wäre die For- derung, wie sie die SVP erhoben hat, bundesrechtswidrig. Zu diesem Schluss kam sowohl die Regierung wie auch Professorin Isabelle Häner, die im Auftrag der Direktion des Innern ein Kurzgutachten erstellte. Das Bundesrecht verlangt nämlich Vorläufig Aufgenommene sollen nicht nur Nothilfe erhalten, weil dadurch Integrati- zwingend, dass der Ansatz für vor- onspotenzial verloren ginge. Sie können verpflichtet werden, an Integrationsmassnah- läufig Aufgenommene und für Asyl- men teilzunehmen. suchende höher liegt als die Nothilfe für Personen mit einem negativen Kind geboren, erhält dieser Haus- genommenen und der dem Kanton Asylentscheid. halt maximal 300 Franken für die Zug zugewiesenen Asylsuchenden Unmittelbar nach der aus regierungs- Baby-Erstausstattung, während es in verfügt über eine Bleibeperspektive. rätlicher Sicht erfreulichen Abstim- Haushalten der ersten Kategorie 700 Die Schutzquote betrug im Jahr 2017 mung im Kantonsrat reichte die FDP Franken sind. rund 64 Prozent (Stand 30. November eine Berichtsmotion betreffend «Re- 2017) und im Durchschnitt der letz- duktion der Asylkosten» ein, in der Nothilfe ten vier Jahre rund 62 Prozent. verlangt wird, die Kosten der Kantone Als dritte Kategorie kennt der Kan- im Asylwesen zu vergleichen, Re- ton Zug schliesslich die Nothilfe. Bundesrecht beachten duktionen vorzuschlagen und allen- Sie beträgt 8 Franken pro Tag und Auch der Bundesgesetzgeber geht falls damit verbundene notwendige wird auf Antrag Personen mit einem seinerseits davon aus, dass vorläufig Gesetzesänderungen zu unterbreiten. negativen Asylentscheid (NAE) oder Aufgenommene ein Bleiberecht er- Dazu gilt es Folgendes festzuhalten: einem Nichteintretensentscheid (NEE) halten werden, weshalb er für diese Gegen Transparenz bei den Asylkos gewährt, also Menschen, welche Aufenthaltskategorie ebenfalls eine ten ist grundsätzlich nichts einzu- rechtskräftig weggewiesen wurden einmalige Integrationspauschale von wenden. Sie dient dem Parlament und sich illegal hier aufhalten. aktuell 6000 Franken ausrichtet. bei der Entscheidungsfindung, und Die Idee der SVP, Personen mit einer Würde man diese Personen auf Not- kommt sowohl der Regierung wie Bleibeperspektive auf die Nothilfe hilfe setzen, ginge ein beträchtliches der Verwaltung zugute. Wichtig ist zu setzen und damit die gesellschaft- Mass an Integrationspotenzial ver- jedoch, dass nicht Äpfel mit Birnen liche Teilhabe und Integration, die loren und es würde langfristig ein verglichen und Forderungen aufge- vom Staat gefordert und erwartet Kostenwachstum bewirkt. Vorläufig stellt werden, die – wie im Falle des wird, erheblich zu erschweren, fand Aufgenommene sind laut Bundes- SVP-Vorstosses – bundesrechtswidrig beim Zuger Kantonsrat keine Mehr- recht zu integrieren und können sind. ■ heit. Der Rat hat die Motion mit 47 verpflichtet werden, an Integrations- zu 21 Stimmen für nicht erheblich er- massnahmen teilzunehmen. Schon klärt. Ich sage: ein weiser Entscheid! mit der aktuellen Asylsozialhilfe von Denn die Mehrheit der vorläufig Auf- 449 Franken ist es anspruchsvoll, BULLETIN | NUMMER 1 | MÄRZ 2018
#NetzCourage Mit Mut gegen den Hass Natalie Chiodi 12 Aus eigener Betroffenheit musste Jolanda Spiess-Hegglin gegen den Hass eine Anzeige stoppen musste, aber und die Drohungen, die ihr entgegengeschlagen sind, vorgehen. Aus dieser andererseits ist er eben auch nur Not ist ein Engagement gegen Hass in den sozialen Medien entstanden. ein normaler Mensch. Umgekehrt ergeht es den Beschuldigten offen- Der von ihr gegründete Verein #NetzCourage will betroffene Menschen bar ähnlich. Sie merken, dass ich dazu ermutigen, gegen Hassreden und Drohungen in Medien vorzugehen. ein Mensch und kein Phantom bin. #NetzCourage unterstützt Betroffene bei der Erstattung einer Anzeige. Das So sind sogar schon Freundschaften BULLETIN hat Jolanda am 2. Februar 2018 befragt. entstanden und ich tausche mich mit einigen regelmässig aus, die sich wie umgekehrte Handschuhe verhalten BULLETIN: Wie geht man gegen Hass JOLANDA: Genau. Der Strafbestand und dankbar sind, dass sie aus dieser und Drohungen im Netz vor? ist Beschimpfung. Ich weiss ein Bei- Filterblase herausgekommen sind. JOLANDA: Wer sich entscheidet, ge- spiel von einem ehemaligen SVP-Prä- gen eine Beschimpfung oder Drohung sidenten, der nochmals 6300 Franken BULLETIN: Was meinst du mit Fil- vorzugehen, kann eine Anzeige ma- zahlen müsste, wenn er erneut ausfäl- terblase? chen. Der Täter – es ist meist so, dass lig werden würde innerhalb dieser Pro- JOLANDA: Ich stelle bei den Be- er männlich ist – wird polizeilich bezeit. Das heisst, jemand müsste ihn schuldigten oft fest, dass sie sich in befragt und das Ganze wird meist wieder anzeigen. Wenn es niemand einer Blase von News und Fake News mit einem Strafbefehl abgeschlossen. merkt, dann hat er Glück gehabt. aus Hetze und Hass bewegen. Wenn Ich kann das ohne Anwalt machen, Ich finde es eine sehr effiziente Metho- man solche Seiten bei Facebook (FB) schreibe einen Brief zuhanden der de für Leute, die irgendwie gestoppt abonniert hat, dann kommt man fast Staatsanwaltschaft und erkläre kurz, werden müssen. Aber – das ist mir nicht mehr weg von diesen Inhalten. worum es sich handelt, z. B. nenne ich wichtig – die Lösung des Konfliktes Viele lassen sich dann auch zu Kom- die Person und was sie geschrieben und der Frieden stehen für mich viel mentaren hinreissen. hat, dass dies meine persönliche Ehre weiter oben als ein Strafbefehl. In Ich hatte Kontakt mit einem jungen verletze und ich Strafantrag wegen den meisten Fällen melde ich mich Beschuldigten. Sein Vater hat die übler Nachrede stelle. Als Beweis lege bei den Tätern, bevor der Strafbefehl lokale SVP-Partei gegründet und in ich einen Screenshot bei. Ich konsti- ausgestellt wird – weil das ja einen diesem Umfeld ist er grossgeworden. tuiere mich jeweils als Privatklägerin, Eintrag in das Strafregister nach sich Als ich ihn traf, war er mit einem was bedeutet, dass ich Einsicht in zieht, was ich recht hart finde – und Auto gekommen, auf dem er einen das Verfahren habe, jederzeit Akten frage, ob wir uns aussergerichtlich überdimensionierten SVP-Kleber hat- anschauen kann und sehe, was die einigen können. Meist treffen wir uns te. Er erzählte mir unter Tränen, dass angezeigte Person sagt. Ich könnte bei der Staatsanwaltschaft. In 95 Pro- er den Hof des Vaters übernehmen auch bei der Befragung dabei sein. Die zent der Fälle ist es dem Beschuldig- wolle und das dies mit einem Strafre- angezeigte Person wird vorgeladen ten peinlich und die Einsicht ist vor- gistereintrag nicht möglich sein wird. und muss bei der Polizei aussagen. handen. Dann können wir über eine Da er Schnapsbrenner ist, machten Im besten Fall gibt er zu, dass er es ge- Genugtuung reden. Meist schlage ich wir folgenden Deal: Er schenkte mir wesen ist. Dann erhalte ich Bescheid, das Frauenhaus, #NetzCourage oder eine Flasche Schnaps und ich durfte dass er befragt worden ist – manchmal eine Flüchtlingsorganisation vor. ihm in einer Viertelstunde erklä- erhalte ich eine Einladung zu einer Die Vergleiche werden schriftlich ren, wie man eine Filterblase in FB Vergleichsverhandlung – oder ich er- festgehalten, damit alles verbindlich sprengt. Als ich kürzlich auf FB mit halte den Bescheid, dass demnächst wird. In diesem Schreiben steht dann meinem Zweit-Account sein Profil ein Strafbefehl ausgestellt wird, mit auch, dass ich die Entschuldigung aufsuchte, habe ich festgestellt, dass Busse und Verfahrensgebühren. Und, annehme und den Strafantrag zu- er auf seinem Profilbild sein Auto das schmerzt am meisten, es gibt rückziehe. Wenn ich das unterschrie- ohne SVP-Kleber präsentiert. Wenn einen Eintrag ins Strafregister. Die ben habe, ist es ein Rechtstitel, d.h. das kein Fortschritt ist! (lacht) meisten Täter erhalten zusätzlich eine man kann die Täter theoretisch auch Da ich diese Fälle beobachte, sehe bedingte Geldstrafe, die sie zahlen betreiben. ich oft, dass sie nicht weiter aktiv müssten, falls sie innerhalb von zwei Oft lade ich den Beschuldigten zu sind, ihre Accounts oder Seiten sogar Jahren rückfällig werden würden. einem Kaffee oder einem Bier ein. gelöscht sind. Das sind dann die Momente in de- BULLETIN: Auch wenn er jemand nen ich realisiere, dass er einerseits BULLETIN: Du beobachtest genau, anders beschimpfen würde? ein Wutbürger ist und ich ihn durch was in den sozialen Medien läuft? BULLETIN | NUMMER 1 | MÄRZ 2018
JOLANDA: Ja, für #NetzCourage. JOLANDA: Das Ganze hat ja auch BULLETIN: #NetzCourage gleich Jo- 13 Wenn ich sehe, dass sich jemand eine psychologische Ebene. Wer von landa? in einem Shitstorm befindet und einem Shitstorm betroffen ist, kommt JOLANDA: Die operative Tätigkeit die Person sich nicht wehren kann, in Teufels Küche. Die Wutbürger gegenwärtig schon. Als ich mich vor dann kontaktiere ich diese Person. spornen sich gegenseitig an. Was drei Jahren ganz allein im freien Nancy Holten habe ich kürzlich z. B. immer du getan hast oder nicht getan Fall befand, konnte ich mich mit so kontaktiert. Sie war sehr froh zu hast – darum geht es schon lange niemandem austauschen. Dann ging hören, dass man sich wehren kann. nicht mehr – es kommt immer noch der Shitstorm gegen Irina Studhalter Mit Tamara Funiciello hat sich diese mehr Dreck. Dann befindet sich das der Jungen Grünen Luzern los, wegen Unterstützung ergeben, als sie letztes Opfer im freien Fall. So ist es mir einem Tweet zum Brüsseler Attentat. Jahr vor dem Womans March in einen ergangen. Wenn Betroffene aber mer- Ich solidarisierte mich mit ihr, wir Shitstorm geraten ist. Ich habe ihr ca. ken, dass Support da ist, ein Netz- unterstützten uns gegenseitig und so 40 Anzeigen geschrieben, die Leute werk gespannt wurde, das auffängt, ist #NetzCourage entstanden. Zusam- men bilden wir das Co-Präsidium. Als Geschäftsführerin bin ich für die Soforthilfe, Beratungen und das Schreiben der Anzeigen zuständig. Ich erhalte jeden Tag Anfragen, weil Menschen nicht mehr weiterwissen oder mit der Frage, ob eine Äusserung justiziabel ist. Meine Arbeit mache ich ehrenamtlich. Mittlerweile zahle ich mir Spesen für das Zugbillett, Druckerpatronen etc. aus. Neuerdings kann man auch Mitglied des Vereins werden. Innert kürzester Zeit durften wir – ohne Werbung zu machen – Hundert Mitglieder aufnehmen, viele davon auch Gönner. Es scheint auf- sind verurteilt worden und Tamara dann hilft das unglaublich. Und man wärts zu gehen und vielleicht kann sagt heute, dass die Hassreden (inkl. kann dadurch wieder in eine aktive ich mir dann gelegentlich auch ein- Briefpost) gegen sie um zwei Drittel Rolle kommen. Tamara Funiciello mal einen Stundenlohn auszahlen. abgenommen haben. Ich verstehe das sagte kürzlich im Rahmen einer Ver- Wir scheinen mit dem Verein den so, dass man nun allmählich erkennt, anstaltung, an der wir beide eine Puls der Zeit getroffen zu haben. dass Hass und Beschimpfungen auch Rede hielten, dass sie ohne dieses Kürzlich ist sogar ein Vertreter von verurteilt werden können. Noch bis Netzwerk und auch #NetzCourage Facebook auf uns aufmerksam ge- vor Kurzem gab es lediglich ein pro- nicht mehr Juso-Präsidentin wäre. worden und ich werde mich mit ihm minentes Urteil gegen einen Twitterer Das ist der Moment, in dem man treffen können. im Zusammenhang mit Rassismus. merkt, dass es gut ist, was man tut. Die Wutbürger glaubten, man dürfe in Die Anzeigen, die ich für #NetzCou- BULLETIN: Welche Ziele verfolgt den sozialen Medien einfach straflos rage schreibe, habe ich mittlerweile ihr? Hass und Häme verbreiten. Inzwi- schnell formuliert, ich muss lediglich JOLANDA: Ziel ist es nicht, dass wir schen sind etliche verurteilt worden, aufpassen, dass ich die Fristen (3 als Verein möglichst viele Anzeigen andere haben bestimmt gemerkt, dass Monate) nicht verpasse. auslösen, sondern dass wir eine Be- es bei ihnen selber nicht mehr viel Bis heute haben wir 150 Fälle an- wegung werden, eine Veränderung in gebraucht hätte und halten sich nun gezeigt. In 15 Fällen hat der Be- der Gesellschaft erreichen, den An- zurück. Auch politisch unabhängige schuldigte Schwein gehabt, 10 Fälle stand wieder zurückholen. Je mehr Leute, die im Netz aktiv sind, sagen wurden sistiert, weil diese Wutbürger Leute sich zum Verein bekennen, mir, dass der Hass im Netz bereits im fernen Osten leben, in 50 Fällen desto eher passiert Counterspeech zurückgegangen ist. ist es zu Strafbefehlen gekommen (das Dagegenhalten gegen Beschimp- und der Rest sind Vergleiche. Es sind fungen, Drohungen im Internet). Das BULLETIN: Welches sind die Erfolge sicherlich deutlich mehr Vergleiche wäre wichtig. Wenn jemand in einem von #NetzCourage? als Strafbefehle. Und das ist gut so. Thread, in welchem Nazis oder Frau- BULLETIN | NUMMER 1 | MÄRZ 2018
#NetzCourage 14 enhasser ihren Dreck herumschleu- FB senden? Doch eine Antwort wird über 12000 AbonnentInnen. Daher dern, etwas entgegenhalten kann, dann es nicht geben. Es fehlt ein Ableger lasse ich häufig die anderen Leute bricht die Diskussion schon auf. Ich von FB in der Schweiz und ein Kon- reagieren und beobachte das Ganze. habe das alles ja auch ausprobiert takt, damit man notfallmässig auch Dies ist übrigens auch der Grund, wa- und meine Erfahrungen gemacht. Ich mit jemandem telefonieren könnte. rum ich nie Artikel der «Zuger Zei- glaube ich kann sagen, wann welches Die Mord- bzw. Bombendrohung, die tung» teile. Meine Reichweite gönne Verhalten angebracht ist und wann ich erhalten habe, war auf Mund- ich denen schlicht nicht. nicht. art geschrieben und ich bin sicher, dass die Leute im «Löschzentrum» BULLETIN: Wie sehen deine Forde- BULLETIN: Wie reagiert man richtig? in Norddeutschland nicht Schweizer rungen gegen Hass im Netz aus? JOLANDA: Wer selber verletzt ist Mundart verstehen. Ich habe mehrere JOLANDA: Bei Anzeigen bin ich und angegriffen wird und in die- Texte auf Mundart schon gemeldet, immer davon abhängig, dass ich die ser Verletztheit reagiert, sollte das die waren extrem krass, aber die hat wahre Identität der Täter kenne. nicht tun. Wutbürgern geht es nur FB vermutlich nicht verstanden. Die Wenn sich aber jemand hinter der darum, zu provozieren und Schwä- Forderung nach einem Ableger von Anonymität versteckt und das bei so che zu sehen. Sofort reagieren ist FB ist in der Schweiz nun auch in der krassen Drohungen, wie ich sie erlebt also falsch. Zuerst habe ich jeweils Politik angekommen. Aber in der jet- habe, dann finde ich einfach, dass einen Printscreen vom Text gemacht zigen Situation bleibt nur die Anzeige. FB mir die wahre Identität schul- und den Text gelöscht, heute mache Das kann aber nicht die langfristige det. Man müsste jedoch ein Rechts- ich einen Printscreen und lasse den Lösung sein. hilfegesuch nach Irland (Hauptsitz Text stehen und schaue, was passiert. Europa) senden und dann braucht Ich beobachte die Kommentare der BULLETIN: Wie bewegst du dich es noch das Okay von Kalifornien Leute und ich finde, da lässt sich heute in den sozialen Medien? (Hauptsitz). Das ist der Staatsan- manchmal so etwas wie eine Verhal- JOLANDA: Wenn ich heute einer an- waltschaft meist zu aufwändig, dann tensänderung im Diskussionsniveau deren Person entgegne, dann schaue machen die das schon gar nicht. In beobachten. Wo Argumente und An- ich immer genau, wer es ist. Auf der Einstellungsverfügung heisst es stand Einzug halten, kann man gegen eine Diskussion nichts einwenden. Wenn nötig lösche ich Kommentare, wenn sie z. B. unter der Gürtellinie sind und steuere so die Diskussion. Unabhängig, ob sie mich nun vertei- digen oder nicht. Wenn ich den Hass- kommentar eines Wutbürgers einfach lösche, dann platziert er ihn bei Ta- mara oder bei sonst jemandem. Wenn ich hingegen den Kommentar stehen lasse und er wird dann von den ande- ren auseinandergenommen, so ist so auch schon eine Diskussion entstan- den und eine FB-Freundschaft. Twitter ist es ja so, dass meine Fol- dann «die Verhältnismässigkeit» sei lower sehen, was ich einer anderen nicht gegeben. BULLETIN: Wieso meldest du solch Person entgegne. Der durchschnitt- Ich finde, die Hetzer und Wutbürger üble Dinge nicht FB? liche Twitterer hat so um die hundert sollten sich nicht hinter der Anonymi- JOLANDA: Weil das nichts nützt. Follower, eigens für Beleidigungen tät verstecken dürfen. Darum ist mei- Man muss ein Formular ausfüllen angelegte Trollprofile oft nicht mal ne Forderung die Klarnamenspflicht. und es FB melden. Bei 90 Prozent 10. Ich habe 6000. Wenn ich also D.h. dass jeder sich mit seinem Iden- meiner gemeldeten Fälle – ich mel- antworte, dann sehen das meine 6000 titätsausweis anmelden müsste. Man de keine Peanuts, sondern nur Fäl- Follower und sie sehen auch diese kann dann immer noch ein Pseudo- le, die justiziabel sind – hörte ich andere Person. Dadurch erhält diese nym wählen oder mehrere Accounts von FB, dass der Kommentar nicht Person ihre gewünschte Berühmtheit. einrichten, die dann aber einer Iden- gegen Gemeinschaftsstandards ver- Und oftmals legen sie es ja gerade da- tität zugeordnet sind. Und FB müsste stosse. Was dann? Ein Feedback an rauf an. Ähnlich bei FB, dort habe ich im Fall von Strafanzeigen gegenüber BULLETIN | NUMMER 1 | MÄRZ 2018
den Behörden die Namen rausrücken. gegen die Rechten und zeige nur diese Walls von Glarner, Rickli oder Matter 15 Wenn wir das hätten, dann sähe die an. Das ist Humbug. Ich habe schon für – alles SVP-NationalrätInnen – hinter- Welt anders aus. Denn Anonymität Personen der Jungen SVP eine Anzeige lassen, die etwas zu mir oder zu Tamara macht etwas mit den Leuten: Im Netz geschrieben, was zur Folge hatte, dass Funiciello geschrieben haben. Da muss bin ich schon Tausende von Male ein ehemaliger JUSO-Politiker verur- man dann nur noch Printscreen um beschimpft worden. Auf der Strasse teilt wurde, sogar mehrfach. Kürzlich Printscreen machen und die Leute an- noch nie. schrieb ich eine Anzeige für ein bür- zeigen. Das scheint Herrn Glarner nicht zu interessieren. Man müsste ihm mal eine Statistik zeigen. Fast 50 unserer Strafverfahren betreffen seine Fans. Es ist zwar nicht in seiner Verantwortung, was die anderen sagen, aber man kann andere anstacheln. Dann macht man sich nicht juristisch verantwortlich, aber moralisch. Diese Verantwortung scheint Herrn Glarner nicht zu küm- mern. BULLETIN: Herzlichen Dank für das Gespräch. ■ BULLETIN: Was gibt es über das Tä- gerliches Mitglied des Ständerates. Es terprofil zu sagen? ist aber auffällig, dass mehr Leute von #NetzCourage JOLANDA: Zuerst möchte ich über Rechtsaussen angezogen werden, die Der 2016 gegründete Verein #NetzCoura- die Opfer reden. Der Hass gegen einen Knacks haben, wenn ich mal so ge thematisiert den Internet-Hass und Frauen ist ein ganz anderer als gegen sagen darf. Und es scheint in gewissen bietet betroffenen Menschen, vorwie- Männer. Wenn ein Mann beschimpft politischen – rechten – Kreisen auch gend junge Frauen, Hilfe an. Haupttätig- wird, dann zielen Beschimpfungen zum guten Ton zu gehören, dass man keit ist das ehrenamtliche Sichten von auf vermeintlich fehlende Intelligenz Hetze und Hass verbreitet. Siehe An- Kommentaren, Nachrichten und Mails oder Kompetenz. Beim Mann geht es dreas Glarner. Frauen als Täterinnen und das Einreichen von Strafanzeigen, so gut wie nie gegen den Körper, er gibt es zwar auch, doch sind es nur meistens wegen Ehrverletzungen, wird weder als fett noch hässlich be- wenige und meist Mitläuferinnen. Drohungen und Rassismus. Die Hilfe schimpft. Bei Frauen hingegen geht es von #NetzCourage ist für die Betroffenen fast ausschliesslich um den Körper. BULLETIN: Du sprichst Hatespeech kostenlos. Weitere Schwerpunkte liegen Das löst bei der Frau Schamgefühle in der Politik an. unter anderem in der Durchführung von aus. Weiter kommen sexuelle Herab- JOLANDA: Ja, Hatespeech ist üble Rede Workshops, zum Beispiel in Schulen würdigung dazu und als Steigerungs- gegenüber Einzelnen oder Gruppen, oder bei Firmen sowie Referate und form Vergewaltigungsandrohungen mit dem Ziel Massen anzustacheln. Ein Podiumsteilnahmen. #NetzCourage und Aufrufe dazu. Der Hass im Inter- prominentes Beispiel dafür ist Andreas vermittelt Lösungsansätze, wie dem net betrifft Frauen viel verletzender Glarner. Er gibt etwas von sich in einer Hass entgegengetreten werden kann. als Männer. Und daher ist es auch pauschalisierenden, zum Teil unwah- Mehr Informationen unter: so wichtig, dass #NetzCourage Ta- ren, aber sicher unanständigen Art, die www.netzcourage.ch mara Funiciello unterstützt. Es ist aber knapp nicht strafbar ist. Das macht unglaublich, wie viel Dreck sie sich er immer wieder – das hat System. anhören muss. Aber seine Follower, die werden zu Textausschnitte von Hassmails Nun zu den Tätern. Es ist kein Zufall, Kommentaren provoziert, die justizia- Die gezeigten Bilder enthalten Textaus- dass ich da immer in der männlichen bel sind, das kann man dann anzeigen. schnitte von Hassmails und sind dem Form gesprochen habe. Der Durch- Das nennen wir den Glarner-Effekt. Flyer des Vereins #NetzCourage schnittswutbürger ist männlich, vom Besonders störend ist, dass er nichts entnommen. Der Redaktion liegen sehr Alter her um die Pensionierung und dagegen macht. Die meisten Leute, die viel schrecklichere Textpassagen vor. kommt aus Regionen, die SVP-Hoch- ich angezeigt habe, haben nicht direkt Wir verzichten nach längerer Diskussion burgen sind. mir geschrieben, sondern sie haben auf die Darstellung dieser Beispiele. Man sagt mir immer wieder, ich sei ihre Kommentare auf den Facebook- BULLETIN | NUMMER 1 | MÄRZ 2018
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