Insekten schützen leicht gemacht! - Anleitung für Kommunen und Wildnisliebhaber - BROMMI
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Dieses Projekt wurde gefördert durch das Umweltbundesamt und das Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit. Die Mittelbereitstellung erfolgt auf Beschluss des Deutschen Bundestages. Die Verantwortung für den Inhalt dieser Veröffentlichung liegt bei den AutorInnen. BUND – Freunde der Erde Friends of the Earth Germany Kaiserin-Augusta-Allee 5 10553 Berlin Die Erde braucht Freunde: www.bund.net www.facebook.com/BUND.Bundesverband http://twitter.com/BUND_net Telefon +49 30 27586-547 Fax +49 (0)30 275 86 440 Mail Corinna.Hoelzel@bund.net Konzept Corinna Hölzel und Milan Fanck Texte Milan Fanck und Almut Gaude Layout Matthias Fanck Abbildungen Daniel Bockwoldt/dpa (S. 7o), BUND Niedersachsen (S. 17lo), Matthias Fanck (S. 36, 37o), Gisela Fanck-Reiter (S. 10, 12r, 17u, 19, 32u), Stefanie Fiebrig (S. 15), Dan Brian G Gerona dbgg1979 (S. 22l), Grün macht Schule (S. 29), Barbara Heydenreich (S. 1, 5, 8), Werner Kunz/Universität Düsseldorf/ Norbert Lenz & Dieter Schulten/Aquazoo-Löbbecke Museum Düsseldorf (S. 6), Oliver Kwetschlich (S. 34), Landesanstalt für Umwelt Baden-Württemberg (S. 20u), licht.de (S. 21), LPV Saaletal (S. 33), Netzwerk Blühende Landschaften (S. 9, 12, 17ro, 20lo, 20ro), Osram (S. 22r), Park der Gärten (S. 32 lo), Ruth Paschka/BUND Niedersachsen (S. 25), PxHere (S. 26l), Reinert Abflammtechnik (S. 26r), Justus Siebert (S. 18), Stadtgartenamt Bayreuth (S. 4, 11, 13, 14, 23, 30, 32ro), Thomas Stephan/Bund Naturschutz in Bayern (S. 27), Magnus Wessel (alle Insektenbilder) Wir haben uns nach bestem Wissen bemüht, alle Bildrechte zu klären. Sollten Sie dazu Fragen haben, bitten wir Sie, Kontakt mit uns aufzunehmen. Wir möchten noch darauf hinweisen, dass dies eine nicht- kommerzielle Broschüre ist, die kostenfrei verteilt wird bzw. abrufbar ist. Stand September 2019
Inhaltsverzeichnis 1 Einleitung 4 2 Was nützt es Ihnen, Insekten zu schützen? 8 Die Kostenersparnis 9 Die höhere Attraktivität für Naherholung und Tourismus 9 Ein leichterer Zugang zu Fördermitteln 10 3 Insektenschutz: Wie geht das? Eine Schritt-für-Schritt-Anleitung 11 4 An welchen Orten kann man Insekten besonders gut schützen? 14 Rathaus 15 Infotafeln/Öffentlichkeitsarbeit 15 Grünflächen 16 Pflanzbeete 19 Straßenbegleitgrün 19 Kleingärten und Privatgärten 21 Insektenfreundliche Beleuchtung 21 Streuobstwiesen 23 Friedhöfe 24 Landwirtschaftliche Flächen und Pachtflächen 25 Gehwege 26 Straßenbäume 27 Spielplätze, Sportplätze und Schulhöfe 29 Neue Blühflächen auf alten Brachen 30 Gewässerschutz und -renaturierung 31 Hecken und Knicks 33 Wegränder in der Landwirtschaft in kommunaler Verantwortung 34 Wälder 36
Ob elegante Flieger wie Libel- Die drastische Abnahme von Insekten in den letzten len und Schmetterlinge, flei- Jahrzehnten sowohl in ihrer Gesamtmasse als auch ßige Bestäuber wie Bienen in ihrer Artenanzahl spiegelt das weltweit sichtbare und Hummeln oder Plagegeis- Artensterben in Deutschland wider. Wissenschaftler ter wie Mücken und Bremsen: des etymologischen Vereins Krefeld haben von 1989 Insekten sind ein essentieller bis 2016 eine Langzeitstudie auf mehreren Test- Teil der Natur, sie erhalten unsere Ökosysteme und flächen durchgeführt, die in Naturschutzgebieten sie sichern uns unsere Nahrung. Als Bestäuber von liegen. Gemeinsam mit Forschern der niederländi- Nutz- und Wildpflanzen erbringen sie enorme Leis- schen Radboud-Universität haben sie herausgefun- tungen, die sich auch ökonomisch messen lassen. den, dass die Gesamtmasse von Insekten in den So haben Bestäuber laut Berechnungen der FAO letzten drei Jahrzehnten um 75 Prozent abgenom- eine weltweite jährliche Wirtschaftsleistung von men hat. 212-521 Milliarden Euro. In Deutschland erreicht der Nutzwert aller Bestäuberinsekten rund vier Dieses großflächige Verschwinden hat vielfältige Milliarden Euro im Jahr. Zudem sind Insekten für Gründe – es gibt jedoch zwei Haupursachen: den hunderte Arten, insbesondere Vögel und Kleintiere, Verlust von Lebensraum und den großflächigen eine unersetzbare Nahrungsgrundlage und haben in Einsatz von Pestiziden (Herbizide, Insektizide und ihrem Rang ganz unten in der Nahrungskette eine Fungizide) in der Landwirtschaft. Oft sind diese unschätzbar wichtige Rolle für viele weitere Lebe- beiden Gründe miteinander verknüpft, da der stark wesen. Auch als Verwerter von organischem Mate- gestiegene Einsatz von Herbiziden den Verlust von rial auf und im Boden sind Insekten unersetzlich. Lebensraum und Nahrung für viele Insekten bedeutet. Ohne sie würden wir sozusagen im Müll ersticken. 5
Artensterben • 75% aller Nahrungspflanzen für Menschen Der globale Verlust an Biodiversität, also an Lebens- weltweit sind auf Bestäubung durch Insekten räumen und Arten, hat in den letzten Jahrzehn- angewiesen. ten dramatische Ausmaße angenommen. Im April 2019 veröffentlichte der Internationale Biodiver- • 40% aller Insekten sind vom Aussterben bedroht. sitätsrat IPBES den ersten globalen Report zum Zustand der Natur weltweit. Dafür werteten 500 • Der Hauptgrund ist der menschengemachte Wissenschaftler aus der ganzen Welt rund 15 000 Lebensraumverlust. verschiedene Studien zum Thema aus. Der Report umfasst 1500 Seiten und kann hier in deutscher Warum sind diese Zahlen wichtig? Weil sie uns Übersetzung heruntergeladen werden. zeigen, dass wir jetzt handeln müssen. Und dass wir handeln können. Denn viele Lebensräume sind Die Ergebnisse sind dramatisch. Hier einige Auszüge: nicht für immer zerstört. Gerade in unserer Kultur- landschaft lassen sich viele Habitate mit kleinem • Ca. 1 Million Arten weltweit sind in den Aufwand wiederherstellen oder verbessern! nächsten Jahrzehnten vom Aussterben bedroht. Die Abbildung unten macht den lokalen Arten- • 75% aller Ökosysteme an Land wurden bereits schwund, die Verarmung anschaulich: 68 % der stark vom Menschen verändert. Tagfalter-Arten sind gebietsweise, wie hier in Düsseldorf, innerhalb von 100 Jahren ausgestorben. Tagfalter in Düsseldorf um 1900 Tagfalter in Düsseldorf um 2000 6
• Eindämmung des Staubsaugereffekts auf Insek- ten durch Licht • Förderung und Unterstützung des Engagements für Insekten in allen Bereichen der Gesellschaft Auch der im Frühjahr 2019 veröffentlichte Master- plan Stadtnatur, ein Maßnahmenprogramm der Bundesregierung für lebendige Städte, hebt hervor, Flächenmäßig gesehen hat die Landwirtschaft den wie wichtig urbane Lebensräume für die Artenviel- größten Einfluss auf den Bestand der Insekten, falt sind. Hier heißt es in der Einleitung: „Stadtnatur da rund die Hälfte der Fläche Deutschlands land- ist unverzichtbar für die Erhaltung der biologischen wirtschaftlich genutzt wird. Höhere Erträge und Vielfalt. Städte sind im Vergleich zur umgebenden geringerer Arbeitsaufwand sind für viele Landwir- Landschaft oft artenreicher, da sie verschiedene te überlebensnotwendig. Pestizide sind da schein- Standortbedingungen auf kleinstem Raum beher- bar unersetzbare Helfer, wichtige Lebensräume bergen. Sie bieten für viele Arten wichtige Ersatzle- wie Raine und Hecken verschwinden schnell unter bensräume. Deutlich wird dies am Beispiel der Stadt dem Pflug. Trotzdem, oder gerade deswegen haben Berlin, wo mehr als 20 000 Tier- und Pflanzenarten Kommunen eine wichtige Rolle beim Schutz von zu finden sind. Von den 234 in Deutschland gefähr- Insekten. Denn auf ihren Flächen besteht zunächst deten oder vom Aussterben bedrohten Brutvogel- einmal keine Notwendigkeit für hohe landwirt- arten kommen zwei Drittel auch in Berlin vor. Auch schaftliche Erträge. Die verschiedenen Arten von für Insekten bieten Städte wertvolle Lebensräume.“ Flächen innerhalb des Stadt- oder Gemeindege- bietes bieten zudem äußerst diverse Lebensräume Der Ihnen vorliegende Ratgeber gibt Ihnen als für Insekten und andere Kleintiere. Entsprechend Kommune oder als interessierte/n Einwohner*in gestaltete öffentliche Räume helfen außerdem, die hilfreiche Tipps an die Hand, wie Sie Ihre Gemein- Aufmerksamkeit der Menschen auf das Problem des de auch für Insekten attraktiv machen können. Das Arten- und Insektensterbens zu leiten. Gute ist: Mit den Maßnahmen können Sie gleich- zeitig gezielt die Ausgaben für die Grünflächen- Die Bundesregierung hat im September 2019 das pflege senken und erhöhen darüber hinaus auch die Aktionsprogramm Insektenschutz verabschie- Lebensqualität der Menschen. det. Das Programm reicht leider nicht aus, um das Insektensterben zu stoppen, dafür fehlen wichtige Lebensräume für Insekten zu schaffen ist nicht konkrete Maßnahmen. Einige Punkte sind jedoch schwer und bedeutet häufig nur kleine Umstel- gute Ansätze: lungen in den jährlichen Arbeitsabläufen. Doch die • Verbindliche Vorgaben durch ein Insekten- positive Wirkung dieser Aktivitäten ist groß – und schutz-Gesetz und parallele Rechtsverordnungen zwar für alle Bewohnerinnen und Bewohner in Ihrer mit Änderungen im Naturschutzrecht, Pflanzen- Kommune. Deswegen: Machen Sie mit! Machen Sie schutzrecht, Düngerecht sowie Wasserrecht Ihre Stadt zu einer bunten Insel der Artenvielfalt! • 100 Mio. € pro Jahr mehr für die Förderung von Viel Spaß dabei! Insektenschutz und für den Ausbau der Insekten- forschung, die vom jeweils zuständigen Ressort Ihr BUND bereitgestellt werden • Schutz und Wiederherstellung von Insektenlebens- räumen in allen Landschaftsbereichen und in der Stadt – insbesondere von Saum- und Randbiotopen • Klare Vorgaben für eine umwelt- und naturver- trägliche Anwendung von Pestiziden und deutliche Reduzierung des Eintrags von Pestiziden und ande- ren Schadstoffen in Insektenlebensräume 7
Was nützt es Ihnen, Die Kostenersparnis Insekten zu schützen? Es gibt eine ganze Reihe von Aufgaben, die eine Ein großflächiges Insektensterben Kommune pflichtgemäß zu erledigen hat. Dazu hätte dramatische Auswirkungen gehören die Grünflächenpflege, die Pflege von auf uns Menschen. Rund ein Drittel Straßenrändern im Zuge der Verkehrssicherung, aller Nahrungsmittel in der west- Biotoppflege, Trink-, Grund- und Hochwasserschutz lichen Welt geht direkt auf die sowie das Ausgleichsflächenmanagement. Alle diese Bestäubung durch Insekten zurück. Aufgaben können im Zuge des Insektenschutzes so Zu den auf bestäubende Insekten angewiesenen ausgerichtet werden, dass letztendlich Arbeitszeit Pflanzen zählen Äpfel, Kirschen, Zitrusfrüchte, und Geld gespart und sogar gewonnen wird. Und Feigen, Birnen, Spargel, Bohnen, Kohl, Mohrrüben, zwar durch: Gurken, Auberginen, Salat, Paprika, Kürbis und • weniger Mahd Tomaten. Und auch die Futterpflanzen unserer Nutz- • weniger Anpflanzungen tiere sind von der Bestäubungsleistung der Insekten • wegfallende Ausgaben für Pestizide und abhängig. Das Überleben der Menschen hängt also • mehr Geld durch bessere Fördermöglichkeiten. vom Überleben der Insekten ab. Das müsste eigent- lich schon als Grund reichen, alles daran zu setzen, Die höhere Attraktivität für den kleinen Krabbeltieren das Überleben zu ermögli- Naherholung und Tourismus chen. Blühende Wegränder und bunte Wiesen sind selten Doch es gibt auch ganz pragmatische Gründe für geworden. Getrimmter Rasen und eintönige Pflanz- Kommunen, sich für den Schutz von Insekten einzu- beete dominieren häufig das Gemeindebild. Ein viel- setzen. Zumal die meisten Maßnahmen für Insek- fältiger Lebensraum für Pflanzen und Tiere ist da ten auch anderen bedrohten Arten helfen, darunter ein echtes Alleinstellungsmerkmal, das regional und Vögel, Fledermäuse und Blühpflanzen. überregional anziehend wirkt und die Lebensqua- 9
lität der Bürger fühlbar erhöht. In einer Stadt, in tes ökologisches Konzept. Im September 2019 fand der keine Pestizide versprüht werden, lebt es sich die 2. Fachtagung zur Pestizidfreien Kommune statt. zudem deutlich gesünder. Wichtig ist, beim neuen Dort konnten sich Kommunen über pestizid- und Umgang mit Grünflächen die Bürger*innen vor biozidfreie Maßnahmen informieren und austau- Ort mitzunehmen und den Mehrwehrt der neuen schen. Eine Dokumentation finden sie hier. Blütenpracht für Natur, Mensch und Kommune gut zu kommunizieren. Liste mit Förderprogrammen für Insektenschutz in Kommunen: Ein leichterer Zugang zu Fördermitteln https://kommunale-biodiversitaet.de/leitfaden- biodiversitaet/nutzen/leichterer-zugang-zu- Es steht den Gemeinden in Deutschland eine große foerdermitteln/uebersicht.html Bandbreite an Förderprogrammen für insekten- und https://www.gruen-in-die-stadt.de/ueber-uns/ biodiversitätsschützende Maßnahmen zur Verfü- https://www.gruen-in-die-stadt.de/finanzieren/ gung. Darunter zum Beispiel das „Bundesprogramm bund-laenderprogramme/zukunft-stadtgruen/ Biologische Vielfalt“, „Zukunft Stadtgrün“ und https://www.kommbio.de/praxisbeispiele/ diverse EU-Mittel für die ländliche Entwicklung. Voraussetzung für die Förderung ist ein ausgereif- 10
3 Schritt für Schritt
Insektenschutz: Wie geht das? Wichtig ist an diesem Punkt, die richtigen Ansprech- Eine Schritt-für-Schritt-Anleitung partner*innen und Verantwortlichen innerhalb der Verwaltung zu finden und gemeinsame Treffen zu Aller Anfang ist schwer! Wich- organisieren. Innerhalb der Gemeinde können das tig ist, einfach loszulegen. Ist der die Gartenbauamtsleiter*innen (bzw. Grünflächen- Wille zur Veränderung da, lassen amt oder Bauhof), Straßenbauamtsleiter*innen sich alle Hürden über kurz oder und Hausmeister*innen öffentlicher Einrichtun- lang überwinden. Es braucht gen (zum Beispiel von Schulen oder Krankenhäu- zunächst eine/n Antreiber*in oder sern) sein. Hierzu sollten erfahrene Personen wie eine/n Initiator*in und dann einen Landschaftsplaner oder Verantwortliche anderer zentralen Verantwortlichen beziehungsweise eine Gemeinden eingeladen werden, die bereits Ähnli- zentrale Verantwortliche bei der Kommune. Initiiert ches durchgeführt haben. Ein gutes Netzwerk sind werden kann der Prozess aber auch von anderen die Kommunen für die biologische Vielfalt oder die Gruppen und Institutionen, wie zum Beispiel Verei- pestizidfreien Kommunen des BUND: Link. Auch das nen, Verbänden oder auch einzelnen engagierten Netzwerk Blühende Landschaften stellt Beispiele Bürgern. und wertvolle Fachbeiträge bereit. Die Ortsgruppen der Umweltverbände BUND und NABU sowie lokale Nun gehen Sie auf die Suche nach Unterstützern! Imkervereine verfügen über wertvolles Fachwissen Sie werden überrascht sein, wie viele Menschen aus und beteiligen sich gerne. unterschiedlichsten Gruppen und Institutionen sich für das Thema interessieren und begeistern lassen Ist der Wille zur Veränderung da und vom Stadt- oder und welche Bandbreite an Erfahrung und Kompe- Gemeinderat beschlossen, sollte eine Bestandsauf- tenzen sich so zusammenfinden lässt. nahme gemacht werden: Welche Flächen können wir direkt beeinflussen, welche indirekt? Wo reicht Verfassen Sie eine Ideensammlung und vielleicht eine kleine Veränderung in der Pflege, wo können schon eine ersten Projektskizze. Laden Sie alle inte- wir schon bei der Neuanlage von Grünflächen insek- ressierten Menschen ein und überlegen Sie, was tenfreundlich planen? Inhalt des Projekts sein könnte: einzelne Verän- derungen am Grünflächenmanagement oder ein Hat sich erst einmal ein Netzwerk von Menschen ganzes Paket an Maßnahmen? Soll es ein großes gebildet, die etwas für die Artenvielfalt in der Projekt mit Fördermitteln geben? Schon eine Verän- Gemeinde tun wollen, lassen sich auch große derung an der Häufigkeit und dem Zeitpunkt des Aufgaben mit Leichtigkeit bewältigen. Es ist sinn- Mähens (fachlich gesprochen eine Veränderung des voll, nach verschiedenen Bereichen und Zuständig- Mahdregimes) auf öffentlichen Flächen und Stra- keiten vorzugehen. Dabei sind folgende Fragen zu ßenrändern kann viel Gutes für Insekten bewirken. klären: 12
• Wer pflegt Parks und andere Grünflächen? büro hinzuzuziehen. Diese können in der Regel nicht • Wer ist für die Bepflanzung der städtischen nur fachlich planen und beraten, sondern bringen Beete zuständig? Erfahrung in der Umsetzung solcher Projekte mit. • Wer pflegt die Straßenränder und Gehwege? Sie können oft auch die Koordination und Öffent- • Wer ist für die Pflege des Schulhofs zuständig? lichkeitsarbeit übernehmen. • Wie können wir Einfluss auf die verpachteten landwirtschaftlichen Flächen nehmen? Und dann? Kann‘s losgehen mit dem konkreten • Wie erreichen wir die Öffentlichkeit? Insektenschutz in Ihrer Kommune! An dieser Stelle kann es sinnvoll sein, einen exter- nen Dienstleister, wie zum Beispiel ein Planungs- 13
4 Der richtige Ort
Dieses interaktive Wimmelbild und alle nachfolgenden Inhalte gibt es auch hier An welchen Orten kann man Insekten Konstellation und der zeitliche Ablauf können besonders gut schützen? hierbei ganz unterschiedlich aussehen. Manchmal können es einzelne Personen in der Verwaltung sein, Besiedelte Gebiete, ob kleine die den Prozess vorantreiben, bei größer angeleg- Gemeinde oder Großstadt, haben ten Projekten vielleicht sogar ein ganzes Projektma- eine Vielzahl an Insektenlebens- nagement. räumen zu bieten. Oftmals an ganz unerwarteten Stellen. Wir stellen Im BUND-Netzwerk „Pestizidfreie Kommune“ haben Ihnen die genauen Orte in Ihrer sich bereits über 500 Kommunen zusammenge- Kommune vor, an denen Sie Insekten am besten schlossen. Ihnen allen gemeinsam ist der Verzicht schützen können, und wie Sie dies am besten tun auf Glyphosat oder auf mehrere Pestizide in der können. kommunalen Anwendung und teilweise auch auf den von ihnen verpachteten landwirtschaftlichen Rathaus Flächen. Viele Kommunen haben dazu im Stadt- Hier wird entschieden, ob und wie sich eine oder Gemeinderat einen Beschluss gefasst. Hier Gemeinde für den Insektenschutz einsetzt. finden Sie eine Muster-Beschlussvorlage für den Über 500 Kommunen haben sich in Deutsch- Gemeinderat, die Sie an Ihre Bedürfnisse anpassen land bereits dem Netzwerk „Pestizidfreie können. Kommune“ angeschlossen und zeigen: es geht! Infotafeln/Öffentlichkeitsarbeit Nehmen Sie Bürgerinnen und Bürger mit beim Jede Stadt, jede Gemeinde hat eine Verwaltung. Projekt Insektenschutz. Infomieren Sie sie vor Hier werden die Weichen gestellt für das, was in dem Start, warum blühende Wiesen Insek- den Parks, Straßen und öffentlichen Anlagen des ten und Menschen glücklich machen. Und: Gemeindegebiets passiert. Gute Partner und Voran- Kommunizieren Sie Ihr Blumenmeer nach treiber im Rathaus sind also von großer Wichtigkeit außen, die Besucher werden es Ihnen danken. für eine erfolgreiche Umsetzung von insektenschüt- zenden Maßnahmen in der Kommune. Die genaue Wenn sichtbare Veränderungen auf den Flächen 15
der Gemeinde umgesetzt werden sollen, müssen Grünflächen die Bürgerinnen und Bürger mitgenommen werden. Einfach rüber mit dem Rasenmäher und „gut Ohne die richtige Kommunikation kann es sonst is‘“? Für Insekten sind kurzgeschnittene Rasen schnell zu Unmut kommen. Wurden Straßen- und ein Graus. Kein Unterschlupf, keine Nahrung Wegränder jahrzehntelang einmal im Monat akku- = kein Schmetterling. Selten und abschnitts- rat getrimmt, kann schon ein verändertes Mahdre- weise gemähte Grünflächen verwandeln Ihre gime (siehe Kapitel Grünflächen auf dieser Seite) Gemeinde hingegen in ein summendes schnell zu einem Gefühl von Unordnung und Blütenmeer. Nachlässigkeit in der Grünflächenpflege führen. Um dem zuvorzukommen hilft es, die Bewohner- Das von Imkern, Landwirten und Naturschüt- Innen frühzeitig und am besten direkt vor Ort zu zern gegründete „Netzwerk Blühende Landschaf- informieren. Ist einmal klar erklärt, warum jetzt ten“ bringt es auf den Punkt: „Wir brauchen einen auf manchen Flächen Blumen ausblühen dürfen, Übergang vom öffentlichen Grün zum öffentlichen werden die meisten Menschen dem positiv gegen- Bunt.“ Gemeint ist damit, dass auf vielen Flächen der über treten. Mit kleinen Infotafeln, die sich einfach Kommunen, an denen heute monatlich getrimm- vor der blühenden Pracht in die Erde stecken lassen, ter Rasen wächst, eigentlich regionale Blühpflan- lässt sich ganz leicht Verständnis für die Maßnah- zen stehen könnten: also eine ideale Weide für eine me wecken. Und ein bisschen Umweltbildung gibt Vielzahl von Fluginsekten. es gratis dazu! Aber auch breit verteilte Flyer, das Angebot für Führungen oder Infoveranstaltungen Beispiel Park: Auf bestimmten Flächen ist regel- haben in einigen Kommunen gute Dienste geleistet. mäßig kurz geschnittener Rasen nötig und sicher- lich auch von den meisten Einwohnern gewünscht. Beispieltafeln: Es lassen sich jedoch in jeder Grünanlage auch https://kommunale-biodiversitaet.de/media/ Flächen finden, die nicht zwangsläufig wöchentlich Default/Downloads/Bluehflaechenschilder_.pdf geschnitten werden müssen, sondern nur ein- bis zweimal pro Jahr. 16
Generell ist es empfehlenswert, nicht die gesam- Der optimale Mähzeitpunkt (in der Fachsprache te Fläche zum gleichen Zeitpunkt zu mähen, um „Mahd“ genannt) ist dabei sehr unterschiedlich, zu unterschiedlichen Zeitpunkten unterschiedli- Technik und Vorgehen ist fast wichtiger: Schon bei che Lebensräume zu erhalten und auf diese Weise nur einer Mahd pro Jahr werden, je nach eingesetz- unterschiedlichen Insektenarten zu helfen. Es ter Mahdtechnik, zehn bis 50 Prozent aller Insek- hilft zudem, wenn einige Bereiche nur mit einem ten auf der Fläche getötet und bei dreifacher Mahd Abstand von zwei, drei Jahren gemäht werden. Die verschwinden auch die letzten Schmetterlinge. dann erhaltenen Pflanzenstängel und mehrjährigen Arten bieten vorzüglichen Unterschlupf für Wildbie- Um eine kraut- und blumenreiche Vegetation zu nen und andere Insekten. Die goldene Regel ist: Eine fördern, sollte der Schnitt erfolgen, wenn die Gräser räumlich und zeitlich differenzierte Wiesenpflege in Blüte stehen, also je nach Region und Klima trägt dazu bei, möglichst viele Pflanzen-, Insekten- zwischen Mai und Juli. Sollen bestimmte Insekten- und Vogelarten auf einer Wiese zu fördern. arten geschützt werden, kann die Flugzeit der Tiere ein optimaler Mahdtermin sein, weil diese vor der 17
Mähmaschine in die benachbarten Flächen auswei- Schneidende Mahdwerkzeuge benutzen: Die chen können. Wichtig ist, dass auf diesen noch Insektenverluste können auch auf der zu mähen- ungemähten Flächen Nektar- und Eiablagepflanzen den Fläche reduziert werden, wenn schneidende zur Verfügung stehen. Mähmaschinen zum Einsatz kommen – also entwe- der ein selbstfahrender oder ein an einen Traktor Auch die Tageszeit hat einen großen Einfluss auf montierter Balkenmäher oder eine Handsense. Die mögliche Tierverluste. Grundsätzlich ist die Mittags- derzeit gebräuchlichsten Mähgeräte besitzen Rota- zeit empfehlenswert für die Mahd. Bei Sonnen- tionklingen (dazu gehört auch der Rasenmäher), schein sind zum Beispiel nachtaktive Raupen tief in welche die Vegetation (und die Insekten) mehrfach der Vegetation verborgen und Falter fliegen vor dem schneiden, schlagen und zerkleinern, so dass es zu Mähwerk davon, während sie in den Morgen- und erheblichen Verlusten bei den Insekten kommt. Von Abendstunden in den Pflanzen ruhen. Schäden kann der Verwendung von Mulchgeräten ist ganz abzura- die Mahd jedoch zu allen Zeitpunkten verursachen. ten, da diese die Vegetation extrem stark zerkleinern und das gehäckselte Gras auf der Fläche belassen. Wichtige Ansätze bei der Mahd, also Darunter kommt es zu Licht- und Luftabschluss beim Mähen sind: und Feuchte fördert die Schimmelbildung. Außer- Seltener mähen: Pflanzen und Schmetterlinge brau- dem kommen unter der Mulchdecke die Keimblätter chen viel Zeit, um sich entwickeln zu können. Pflan- von Blühpflanzen nicht mehr ans Licht. Das Mahd- zen müssen Blätter und Blüten entfalten, damit gut sollte daher abtransportiert und wenn möglich sich Raupen und Falter von ihnen ernähren können. in einer Biogasanlage energetisch genutzt werden. Deshalb sollte eine Fläche nur ein- bis zweimal Eine Schnitthöhe von acht bis zehn Zentimetern ist pro Jahr oder auch nur jedes zweite Jahr gemäht zu empfehlen, weil so am Boden lebende Tiere sowie werden. Diese Anzahl der Mahdtermine richtet die Rosetten von Pflanzen und die daran lebenden sich nach der Nährstoffversorgung der Standor- Entwicklungsstadien der Insekten geschont werden. te, die den Pflanzenwuchs und die Insektenvielfalt beeinflusst. Auf nährstoffarmen Standorten soll- te eine Mahd pro Jahr oder alle zwei Jahre ausrei- chend sein. Denn umso nährstoffärmer eine Fläche ist, desto mehr Arten finden sich dort. Bei niedri- ger Nährstoffversorgung sind zwei und bei starker Nährstoffversorgung zeitweise drei Mahdtermine im Jahr zu empfehlen. Wichtig ist, nicht die gesamte Fläche zu mähen, sondern stets etwa zehn bis 30 Prozent der Fläche mit ihrer Vegetation und den daran lebenden Insek- ten ungemäht zu belassen. So kann bei jedem Mahd- termin ein Teil der Insektenpopulationen überleben, Mahdgut beräumen: Verbleibt das Mahdgut drei bis sich weiterentwickeln und später von hier aus die sieben Tage auf der Fläche (bereits zusammenge- gemähten Bereiche wieder besiedeln. Die Mahd recht), können Insekten von den gemähten Flächen kann streifenweise, mosaikartig oder auch selektiv in benachbarte, nicht gemähte Vegetation auswei- erfolgen, so dass gezielt bestimmte Pflanzenbestän- chen und sich dort weiter entwickeln. Dies vermin- de von der Mahd ausgeschlossen werden. Wichtig dert die Insektenverluste bei der Mahd. ist es auch, einen kleinen Teil der Fläche über den Winter stehen zu lassen und erst im Frühjahr zu Ästhetische Gedanken: Da ungemähte Grünfla- mähen, weil diese Flächen Überwinterungshabitat chen im Stadtgebiet bei vielen Bürgern das Gefühl für viele Raupen und Larven darstellen. auslöst, die Kommune kümmere sich nicht mehr richtig oder komme mit der Pflege nicht hinterher, hat sich als einfache aber wirksame Maßnahme das 18
regelmäßige Mähen eines 1 bis 1,5 m breiten Strei- mehrjährige, heimische Stauden ersetzt werden. fens entlang des Weges erwiesen. Dadurch, even- Diese Umstellung kommt dem Bedürfnis der Bürger tuell in Kombination mit einem Hinweisschild, wird nach Blütenreichtum nach und ist zudem wesent- klar dass die Fläche nicht „ungepflegt“ ist sondern lich günstiger im Unterhalt. einer so gewünschten und geplanten Maßnahme unterliegt. Viele blühende einheimische Stauden müssen nur einmal gepflanzt werden und bleiben dann für Pflanzbeete mehrere Jahre erhalten. Jäten und Neupflanzung ist Primeln, Stiefmütterchen und Co. verzieren nur einmal im Jahr nötig. Zur Unterdrückung von in vielen Städten Fußgängerzonen oder Unkraut eignet sich am besten Miscanthus-Mulch. Mittelinseln. Doch die Zuchtpflanzen bieten Rindenmulch tendiert dazu, den Boden zu versau- kaum Nahrung für Insekten und man muss ern. Pestizide sind nicht notwendig. Wichtig: sie ständig auswechseln. Besser: mehrjährige Schneidet man die trockenen Stängel erst im Früh- einheimische Stauden pflanzen. Spart jahr zurück, bieten sie den Insekten im Winter guten Arbeit und Geld und hilft Wildbienen und Unterschlupf. Schmetterlingen beim Überleben. Eine Liste mit insektenfreundlichen Stauden finden In fast jeder Gemeinde gibt es Anpflanzungen in Sie unter: www.bluehende-landschaft.de/fix/doc/ Fußgängerzonen und an öffentlichen Plätzen. Oft NBL-14-Staudenliste-1008.pdf sind dies Wechselpflanzungen wie zum Beispiel von Primeln und Stiefmütterchen, die im Abstand weni- Straßenbegleitgrün ger Monate neu bepflanzt werden. Dieses Vorgehen Rasenflächen an Straßen sind meist aus ist mit einem hohen personellen und finanziellen Verkehrssicherheitsgründen glatt rasiert. Dabei Aufwand verbunden. Insekten haben in der Regel gibt es eine gleichsam naturnahe wie für den nicht viel von der künstlichen Blütenpracht, da in Verkehr sichere Möglichkeit, diese Abschnitte den gezüchteten Pflanzen (zum Beispiel den Stief- insektenfreundlich zu gestalten: einfach mütterchen) kaum noch Nektar zu finden ist. Solche einteilen in einen eher streng gemähten und in Pflanzungen lassen sich aber ohne großen Aufwand einen wildwüchsig gehaltenen Teil. Und schon insektenfreundlich gestalten, in dem sie durch gibt’s wieder mehr Käfer. 19
Als Straßenbegleitgrün bezeichnet man alle zur Für den Rest der Fläche, den Extensivbereich, Straße gehörenden Grasflächen, Gehölze und können ohne Mehraufwand für die Straßenmeisterei Hecken. Diese Flächen können wertvolle Lebens- naturschutzfachlich abgestimmte Pflegekonzep- räume für Insekten sein, gerade da sie keinem te angewandt werden. Die dadurch entstehenden finanziellen Nutzungsdruck unterliegen. Soweit und gepflegten Flächen können äußerst wertvoll die Verkehrssicherungspflicht der Gemeinde beach- sein. Hier sollte die Pflege auf das notwendige tet wird, können sie sehr gut nach ökologischen Maß beschränkt werden. Um vorrückende Gehölze Gesichtspunkten gepflegt werden. zurückzudrängen, reicht der Schnitt einmal im Jahr, viele Abschnitte können auch nur alle zwei bis drei Das Pflegekonzept sollte grundsätzlich in zwei Jahre gemäht werden. Zonen eingeteilt sein: Eine Intensivzone, welche vom Fahrbahnrand bis zum Graben reicht, erwei- Wichtig ist, dass der Schnitt des Extensivbereichs tert um Sichtflächen, Mittelstreifen und Rastplätze. nicht zeitgleich mit dem des Intensivbereichs Hier ist eine intensive Standardpflege aus Gründen erfolgt, da sich so Kleintiere während oder nach der Verkehrssicherheit und des Wasserabflusses der Maßnahme in die stehengelassenen Berei- unabdingbar. Von Vorteil ist es, wenn schneiden- che zurückziehen können. Insofern ist es sinnvoll, de Mähwerkzeuge wie selbstfahrende Balkenmä- den Extensivbereich nach dem zweiten Schnitt des her eingesetzt werden und das Mahdgut nach dem Intensivbereichs im Spätsommer/Herbst zu mähen. Schnitt beräumt wird, um eine Nährstoffanreiche- rung auf den Flächen zu verhindern. Ist der Extensivbereich breit genug, kann er paral- lel zur Straße in mehrere Streifen eingeteilt werden, welche zeitversetzt gemäht werden. Diese sollten mindestens zwei Meter breit sein. Auf diese Weise lassen sich differenzierte Bereiche herstellen. Für den Insektenschutz wäre es am besten, wenn jeder Intensivbereich Extensivbereich dieser Streifen nur alle zwei Jahre gemäht würde. 20
Kleingärten und Privatgärten Eine weitere Möglichkeit, Insektenschutz in der Um Privat-Gärtner*innen für eine Kommune zu verankern, ist die Aufnahme bestimm- insektenfreundliche Gartengestaltung ter Klauseln in die Satzungen von Kleingartenan- zu gewinnen, braucht es eine gute lagen. Denkbar ist beispielsweise der Verzicht auf Kommunikation und Beispielflächen. Legt Pestizide oder das Bekenntnis zu regionalen Blüh- die Kommune selbst wildblühende Wiesen pflanzen und insektenfreundlichen Anpflanzun- an und stellt sie Lehrmaterialien oder auch gen. Auch in Kleingartenanlagen sind Vorträge und insektenförderliches Saatgut zur Verfügung, Veranstaltungen zur insektenfreundlichen Garten- spornt das zum Nachmachen an. pflege sinnvoll. Auch in privaten Außenanlagen liegt ein riesiges Hier finden Sie interessante Informationen, wie die Potential für insektenfreundliche Lebensräume. Gemeinde Tännesberg das Thema Artenvielfalt in Während die Gemeinde auf ihre eigenen Flächen Gärten vorangebracht hat: direkten Zugang hat, lässt sich auf private Gärten nur https://kommunale-biodiversitaet.de/marktplatz/ über die richtige Kommunikation Einfluss nehmen. beispiele/beispiel/gartenvielfalt.html Besonders wichtig ist hier auch die Vorbildfunktion der öffentlichen Hand: Wer blühende Bienenweiden Insektenfreundliche Beleuchtung an allen Ecken, gepaart mit Informationstafeln und Rund eine Milliarde nachtaktive Insekten Hilfestellungen findet, wird sich bald auch um den verenden in Deutschland an Straßenlaternen – eigenen Garten Gedanken machen. pro Nacht. Diesen Verlust können Kommunen deutlich senken, in dem sie insektenfreundliche Die Gemeinde kann unterstützend tätig werden: Straßenlampen anbringen, Lichtquellen aufs Informationsveranstaltungen über das neue Stadt- Nötigste verringern und gerade in der Nähe bild können auch Lehrmaterial für den Privatgarten von Biotopen möglichst ganz vermeiden: da enthalten und es können Beratungen angeboten freut sich der Nachtfalter! werden. Denkbar ist außerdem eine Bereitstel- lung oder Teilfinanzierung von regionalem Saatgut Künstliche Lichtquellen sind seit vielen Jahrhunder- und Obstbäumen innerhalb der Gemeinde. Hierfür ten ein wichtiger Teil des Alltags der Menschen. Licht können auch Fördermittel beantragt werden. bietet Sicherheit in der Nacht, verströmt Behag- lichkeit und dient auch immer öfter als Verschöne- rung. Die Kehrseite der Medaille ist, dass sich seit 21
der Einführung der Straßenbeleuchtungen im 19. Anlockwirkungen unterschiedlicher Lampentypen: Jahrhundert die Menge an Lichtquellen exponenti- (HCI TT) Metallhalogendampf-Hochdrucklampe ell gesteigert hat. In Deutschland stehen inzwischen 3000-6500 K 198-372 Insekten/Nacht knapp sieben Millionen Straßenlaternen. Sie werden (NAV T) Natriumdampf-Hochdrucklampe 2.000 K zu einer tödlichen Falle für Insekten: Forscher der 162,9 Insekten/Nacht Universität Mainz haben berechnet, dass bis zu LED 6000 K 74,9 Insekten/Nacht eine Milliarde nachtaktive Insekten pro Nacht in LED 3000 K 41,1 Insekten/Nacht Deutschland an Straßenlaternen verenden. Aus diesem Vergleich wird deutlich, dass Natri- Insekten orientieren sich normalerweise an natür- umdampf-Hochdrucklampen (NAV T) oder lichen Lichtquellen – in der Nacht sind dies nur LED-Lampen die deutlich insektenschonendere wenige, wie Sterne oder der Mond. Den meisten Alternative sind. Weitere Untersuchungen haben Arten reicht dabei schon eine Lichtstärke von nur gezeigt, dass die Anlockwirkung beim Einsatz von 0,0015 bis 0,6 Lux. Die Insekten halten einen rech- Natriumdampf-Niederdrucklampen nochmals nied- ten Winkel zum Mond und können sich aufgrund riger ist. Diese senden fast monochromatisches der großen Entfernung zum Mond so in einer gera- Licht mit einer Wellenlänge von 590 Nanometer den Linie orientieren. Künstliche Lichtquellen sind aus. Dies ist weit oberhalb der 380-400 nm, das die jedoch um ein Vielfaches heller, näher und über- meisten Insekten wahrnehmen können. Eine Natri- strahlen natürliche Lichtquellen. Fliegen Insekten umdampf-Niederdrucklampe ist für Insekten also an einer Lampe vorbei, orientieren sie sich nun an weniger sichtbar und deshalb nicht so gefährlich, dieser. Beim Umkreisen der Lampe ändert sich der wenn auch nicht völlig unbedenklich. Flugwinkel dann immer schneller und sie kommen dem Licht unweigerlich immer näher. Irgend- Warm-weiße LED-Leuchten bilden zwar ein deut- wann fallen sie entweder erschöpft zu Boden oder lich breiteres Spektrum ab, aber emittieren ebenfalls verbrennen an der künstlichen Lichtquelle. nicht unterhalb von 400 nm. Sie sind damit für Insek- ten nur schwer wahrnehmbar. LED-Lampen haben Ein besonderes Problem stellt der Spektralbereich zusätzlich noch den Vorteil, dass sie bei gleicher beziehungsweise die Wellenlänge des verwendeten Leuchtkraft deutlich weniger Strom verbrauchen. Lichtes dar, quasi die Farbe der Lampe. Die immer So macht eine Umstellung auf LED-Leuchtmit- noch weit verbreitenden Quecksilberdampf-Hoch- tel nicht nur ökologisch, sondern auch ökono- drucklampen (HME-Lampen) oder Metallhalogen- misch Sinn und fördert den Klimaschutz. Durch dampf-Hochdrucklampen (HCI-Lampen) sehen für die Umstellung eines Stadtteils auf LED-Leuchten das menschliche Auge weiß aus, da sie im gesam- senkte die Stadt Kiel den Stromverbrauch um ganze ten Spektralbereich von 320-720 Nanometer (nm) 48 Megawattstunden pro Jahr. Dies gilt auch für strahlen. Unterhalb von 400 nm können Menschen den privaten Einsatz: günstige LED-Leuchtmittel dieses Licht aber nicht mehr wahrnehmen. Nacht- mit geringem Stromverbrauch und insektenfreund- falter beispielsweise nehmen aber Licht im Bereich lichem Lichtspektrum findet man inzwischen in von 280-600 nm wahr. Insekten werden deshalb jedem Leuchtmittel-Geschäft. Anders als noch vor von Lampen dieses Typs besonders angelockt. einigen Jahren sind diese auch nicht mehr teurer in 22
der Anschaffung und haben außerdem eine länge- Streuobstwiesen re Lebensdauer als herkömmliche Straßenlampen. Alte Obstbaumwiesen sind eine Oase der Projekte zur Umrüstung auf stromsparende und Artenvielfalt. Sie sind blütenreich, bieten viele insektenfreundliche Beleuchtung sind oftmals über Unterschlupfmöglichkeiten für Insekten und verschiedene Geldgeber förderfähig, wie beispiels- zur Ernte auch für Menschen einen reichen weise über den Fonds für Regionale Entwicklung der Tisch. Gemeinden sollten alles daran setzen, EU (EFRE). bestehende Streuobstwiesen zu erhalten. Bürger*innen sollten bei der Pflege beraten Der BUND empfiehlt: und beim Neuanlegen von Obstbaumwiesen • Insektenfreundliche Leuchtmittel gefördert werden. (Natriumdampf-Niederdrucklampen oder bevorzugt LED-Lampen) einsetzen Wenn hochstämmige Obstbäume weitflächig • Unnötige Lichtemissionen durch Gehäuse mit entweder in Reihe oder locker verstreut auf Wiesen Richtcharakteristik vermeiden oder Äckern angepflanzt sind, spricht man von • Lampen möglichst niedrig anbringen, um eine Streuobstwiesen. Sie werden in der Regel extensiv weite Abstrahlung in die Umgebung zu vermeiden bewirtschaftet und bieten Hunderten von Tier- und • Lampen verwenden, die nur nach unten strahlen Pflanzenarten einen wertvollen Lebensraum auf • Abgeschlossene Lampengehäuse gegen das mehreren Stockwerken. Eindringen von Insekten einsetzen • Gehäuse verwenden, deren Oberflächen nicht Die Wiesen im Unterwuchs werden nur sehr selten heißer als 60°C werden gemäht und kaum oder gar nicht gedüngt. So werden • Zeitschaltuhren, Dämmerungsschalter und sie besonders arten- und blütenreich und bieten Bewegungsmelder einbauen. Insekten wie Bienen, Hummeln und Schmetterlin- gen einen reich gedeckten Tisch. Außerdem finden Insgesamt sollte Außenbeleuchtung sparsam hier durch einen im Jahr meist späten Mahdzeit- verwenden werden, insbesondere im Nahbereich punkt Bodenbrüter eine Heimat. Spitzmaus, Feld- von insektenreichen Biotopen. Dies hat auch den maus und Igel profitieren gemeinsam mit Rehen, Vorteil, dass weniger Energie verbraucht wird und Hasen und Vögeln vom Fallobst um die Bäume. An die Stromkosten sinken. den Stämmen der Obstbäume finden sich Flechten 23
und Moose, in der Rinde leben Käfer. Auch morsche Schafwolle und -fleisch etc.). Die Neuanlage von Stellen im Holz werden von totholzbewohnenden Streuobstwiesen befördert die Gemeinde, indem Insekten genutzt. In den Baumhöhlen finden Singvö- sie ihre Bürgerinnen und Bürger dazu berät und gel und Spechte einen Nistplatz. Auch Fledermäuse Zuschüsse für junge Bäume gewährt. Die Kommune nutzen Spalten und verlassene Höhlen als Quartier. kann natürlich auch selbst tätig werden. So eignen Die Baumspitzen werden von diversen Brutvögeln sich beispielsweise Streuobstwiesen im Rahmen bewohnt, auch Garten- und Siebenschläfer suchen von Kompensationsmaßnahmen hervorragend zur hier nach Nahrung. Freistehende Äste dienen Greif- ökologischen Aufwertung ehemals intensiv genutz- vögeln als Ansitz bei der Jagd auf Mäuse. ter Wiesen und Äcker. Was können Sie tun? Friedhöfe Streuobstwiesen sind in vielen Gegenden selten Friedhöfe sind oft die größten Grünflächen in geworden, da sie nicht die gleichen Erträge wie Gemeinden und sollten für ihre Besucher in Hochleistungs-Obstplantagen bringen. Wichtig ist, einem gepflegten Zustand sein. Das schließt die noch bestehenden Streuobstwiesen unbedingt den Insektenschutz jedoch nicht aus. Die zu erhalten, denn gerade die alten Bäume sind von Artenvielfalt wird zum Beispiel erhöht, indem hohem ökologischen Wert. Hier kann die Gemeinde man Insekten-unfreundliche große Kiesflächen bei der Pflege unterstützen, beispielsweise durch zu Wiesen oder Staudenbeeten umwandelt den Verleih von Maschinen (Balkenmähern) oder und auf Pestizide verzichtet. indem sie kostenlose Kurse zum Obstbaumschnitt anbietet. Wichtig ist, dass die Mahd den ökologi- Friedhöfe sollen Orte der Stille und des Gedenkens schen Grundsätzen zur Pflege von Grünfläche folgt. sein. Hierzu gehört für die meisten Menschen auch Diese können Sie hier nachlesen: Kapitel Grünflä- ein gepflegtes Erscheinungsbild. Dieses schließt chen auf S. 16 eine ökologische angepasste und insektenfreundli- che Bewirtschaftung jedoch nicht aus. Häufig sind Die Gemeinde kann Kooperationen zu Schäfern Friedhöfe neben Parks die größten Grünflächen einer vermitteln, um die Wiesen kurzzeitig beweiden zu Gemeinde. Insbesondere alte Friedhöfe mit altem lassen, unterstützen kann sie auch beim Vermarkten Baumbestand sind in dicht besiedelten Gebieten die der Produkte (von Säften, frischem Obst, Schnäpsen, Bereiche mit der höchsten Artenvielfalt, gleichzeitig 24
ist der Besucherdruck in der Regel wesentlich gerin- sowie die Aufteilung innerhalb des Friedhofs lassen ger als in öffentlichen Parkanlagen. sich mit Hecken aus heimischen Gehölzen bepflan- zen. Das Laub der Bäume sollte zudem im Herbst Um das Potential von Friedhöfen zu nutzen und die nicht überall entfernt werden, es bietet im Winter Artenvielfalt weiter zu fördern, gibt es eine Viel- vielen Insekten Unterschlupf und Nahrung. zahl von Möglichkeiten, denn Friedhöfe vereinen verschiedenste Lebensräume: Wiesen, Hecken, alte Landwirtschaftliche Flächen Bäume, Brachen, alte Gemäuer und blühende Beete und Pachtflächen (siehe auch „Pflanzbeete“ S. 19). Eine einfache Landwirtschaftliche Flächen sind nachweislich aber dennoch wichtige Maßnahme für den Insek- reicher an Insekten, wenn sie ökologisch tenschutz ist der Verzicht auf Pestizide auf Wegen, und ohne Pestizide bewirtschaftet werden. Parkplätzen und Beeten sowie die Aufforderung an Kommunen können eine schonende die Besucher, bei der Grabpflege das Gleiche zu tun. Bewirtschaftung fördern, indem sie Größere temporär ungenutzte Bereiche lassen sich entsprechende Klauseln in die Pachtverträge mit regionalem Saatgut in Blühflächen umwandeln. einfügen. Dafür gibt es bereits gute Beispiele. Das spart Arbeit in der Pflege und bietet Nahrung Einfach nachmachen! für tausende Insekten. Immer noch findet man auf Friedhöfen große repräsentative Kiesflächen. Diese Landwirtschaftlich genutzte Flächen spielen eine sind Wüsten für heimische Insekten. Wege sollten besonders wichtige Rolle für Insekten. Äcker und so schmal wie notwendig gestaltet sein, der Rest der Wiesen sind in der Regel wesentlich größer als Flächen kann zu Staudenbeeten oder Blühwiesen andere kommunale Grünflächen und bieten daher umgestaltet werden. Das Mahdregime auf Flächen, potentiell einer wesentlich größeren Zahl von die nicht täglich betreten werden, kann zudem Insekten einen Lebensraum. Andererseits werden in ähnlich dem auf anderen öffentlichen Flächen der konventionellen Landwirtschaft auch größere (siehe S. 16) sein. Die Abgrenzung des Geländes Mengen an Pestiziden und Insektiziden eingesetzt 25
– einer der Hauptgründe für den starken Rückgang Gehwege von Insekten. Auch wenn die Kommune selbst keine Um Löwenzahn zwischen Kopfsteinpflastern Landwirtschaft betreibt, gibt es einige Stellschrau- zu entfernen, gibt es für Insekten (und für die ben, um die Landwirtschaft in und um die Kommune Anwohner) viel gesündere Verfahren als mit insektenfreundlicher zu machen. der Giftspritze anzurücken. Das Kraut kann mit großer Hitze abgetötet oder auch mit Ein bewährter Ansatz, der bereits von vielen Gemein- Bürsten weggekratzt werden. Entsprechende den genutzt wird, ist die Aufnahme einer Klausel in Geräte gibt es für den Hausgebrauch und Pachtverträge mit Landwirten. Diese kann entwe- auch passend für kommunale Fahrzeuge. der das Verbot des Einsatzes aller oder bestimmter Pestizide (Glyphosat und Neonikotinoide) enthal- Gehwege, ob gepflastert oder asphaltiert, müssen ten, oder eine Verpachtung nur an Bio-Landwirte. aus Gründen der Verkehrssicherung von Bewuchs Ökologischer Landbau hat erwiesenermaßen einen frei gehalten werden. Obwohl das Pflanzenschutz- äußerst positiven Effekt auf die Biodiversität in der gesetz grundsätzlich das Ausbringen von Pestiziden Landschaft – und damit auch auf Insekten. auf befestigten Flächen wie Gehwegen und Plätzen verbietet, werden hierfür häufig Ausnahmegeneh- Auf Grünland kann die extensive Nutzung im Pacht- migungen durch die zuständigen Landesbehörden vertrag festgeschrieben werden, also kein minera- erteilt. Durch Pestizide werden in der Regel nicht nur lischer Dünger, spätere und seltenere Mahd oder die ungewünschten Wildkräuter abgetötet, sondern eine Beweidung mit traditionellen Weidetieren wie auch Kleininsekten. Überleben sie die Behandlung, Schafen, Ziegen und einheimischen, alten Rinder- besteht die Gefahr dass sie von Vögeln oder Repti- rassen. Auch die Verpflichtung zu größeren Saat- lien gefressen werden und sich die Gifte so weiter abständen, Blühflächen, Schutzmaßnahmen für oben in der Nahrungskette ablagern. Dabei stehen Lerchen, Feldhamster und Rebhuhn oder zur Pflan- zum Kampf gegen den sogenannten „Unkrautdruck“ zung von Bäumen oder Hecken sind denkbar. Diese auf gepflasterten Flächen zahlreiche nichtchemi- Vorgaben können nach und nach bei der Vergabe sche Alternativen zur Verfügung. neuer oder der Verlängerung bestehender Pacht- verträge eingeführt werden, da bereits bestehende Einteilen lassen sich diese nichtchemischen Verfah- Verträge in der Regel Bestandsschutz haben. ren in zwei Gruppen: in thermische und in mechani- sche Verfahren. Die thermische Unkrautentfernung Entsprechende Beispiel-Pachtverträge finden Sie erfolgt durch starke Hitze auf die Pflanzen, entwe- unter: www.pestizidfrei-verpachten.de der in Form von Wasserdampf und Heißwasser, von Infrarot oder durch direktes Abflammen. Der Effekt ist immer der Gleiche: Durch die starke Hitze (von mehr als 90°C) gerinnt das Eiweiß in den Zellen der Pflanzen, gleichzeitig bringt die sich ausdeh- nende Zellflüssigkeit die Zellen zum Platzen. Die 26
behandelten Pflanzenteile sterben sofort ab, durch Straßenbäume wiederholte Behandlungen ist bei mehrjährigen Vor allem alte Straßenbäume verbessern die Unkräutern auch eine Wurzelwirkung gegeben. Luft sowie das Klima in der Stadt und sie reduzieren den Lärm. Für das Wohlbefinden Die mechanische Unkrautentfernung funktioniert der Bevölkerung sind sie somit essentiell. in der Regel durch rotierende Drahtbürsten, welche Ebenso für Insekten. Kommunen sollten den die Pflanzen aus den Zwischenräumen herauskrat- Schutz und die Pflege alter Baumbestände an zen. Auch diese Geräte lassen sich an Fahrzeuge allererste Stelle setzen – und dort, wo irgend anbauen. Für beide Verfahren existieren Lösun- möglich, zusätzlich neue Bäume pflanzen. gen zum Anbau an kommunale Fahrzeuge (Klein- schlepper oder ähnliches) sowie Handgeräte für den Bäume finden sich in jeder Stadt oder Gemeinde. Hausgebrauch. Sie benötigen keine Ausnahmege- Sie säumen Straßen und Plätze und bilden auf dem nehmigung nach dem Pflanzenschutzgesetz. Land an Straßen Alleen. Gerade in dicht bebau- ten Innenstädten erfüllen Bäume äußerst wichtige Der BUND empfiehlt den Kommunen als umwelt- (nicht nur) ökologische Funktionen. verträglichste Alternative den Einsatz von mecha- nischen Verfahren. Straßenbäume, als herausragende natürliche Elemente im Straßenraum, unterliegen in der Zahl Eine gute Zusammenstellung von verfügbaren Geräten zwar den Park- und Gartenbäumen, haben für die gibt es hier. Stadt aber wegen ihrer Exponiertheit eine beson- ders große Bedeutung: Sie sind im alltäglichen Leben unmittelbar erlebbar, sie spenden in heißen Sommern Schatten, schützen vor Wind und Regen, lassen die Jahreszeiten erleben und sind Lebensort für unzählige Tiere und in ihren Baumscheiben auch für weitere Pflanzen. Außerdem wirken Bäume wie kleine Klimaanlagen in der Stadt: Sie senken nach- 27
weisbar die Umgebungstemperatur um bis zu 10°C. digen Ämter, Streusalz im Winter und schlech- Dies geschieht durch die Überschattung großer te Behandlung bei Baumaßnahmen sind weitere Bereiche und indem die Bäume Wasser über ihre Reibungspunkte. Blätter verdunsten. Da Bäume bis zur vollen Entfaltung ihrer Wohl- Bäume verringern auch die Schadstoffbelastung fahrtswirkungen Jahrzehnte benötigen, ist dem in der Luft. Feinstaub lagert sich auf den Blättern Schutz alter Bäume absoluten Vorrang vor Nach- ab und wird später vom Regen in die Kanalisation pflanzungen einzuräumen. Ein ernsthafter städ- befördert, wo er nicht mehr gefährlich ist. Bäume tischer Naturschutz setzt sich dafür ein, dass nehmen auch Stickoxide in ihre feinen Blattöff- Straßenbäume samt ihrer Baumscheiben erhalten nungen auf. Indem Bäume der Luft Kohlendioxid bleiben und gepflegt werden. Das befriedigt auch entnehmen und Sauerstoff ausstoßen, tragen sie das wichtige Bedürfnis der BewohnerInnen nach zur gesunden Luft in der Stadt und zum Klimaschutz unmittelbarem Naturerleben. bei. Mit ihren dicht belaubten Kronen schwächen Laubbäume zudem vor allem im Sommer die Schall- Wir empfehlen: reflexion zwischen den Häuserfronten ab. Die Stadt • Straßenbäume sollten durch bessere Pflege wird also durch sie ruhiger. Und: Lärm wird als und schonendere Behandlung bei jeglicher Art weniger belästigend empfunden, wenn Lärmquellen von Bauprojekten im kommunalen Raum zum Beispiel durch Bäume, verdeckt sind. erhalten bleiben, • Baumschutzverordnungen bzw. -satzungen All dies macht Bäume für viele Stadtbewohner zu sollten so gestaltet und umgesetzt werden, dass einem Kristallisationspunkt für städtisches Wohl- sie den Baumbestand effektiv sichern, befinden und Naturschutzbewusstsein. Gleichzeitig • durch ein kommunales Baumkataster sollte der ist die Stadt für den Baum aber auch ein extremer Bestand ermittelt und dessen Entwicklung Standort: Durch die versiegelte und stark verdich- dokumentiert werden, tete Oberfläche kommt wenig Wasser bis an die • an neu angelegten Straßen und – wo irgend Wurzeln, die Abwärme und Strahlung von Bauwer- möglich – an existierenden, baumlosen Straßen ken erhöht die Umgebungstemperatur. Häufig ist sollten neue Bäume gepflanzt werden, auch das Wurzelwachstum durch Pflanzgruben • in besonders heißen und trockenen Sommer eingeschränkt. Mangelnde Pflege durch die zustän- sollten die Bürger dazu aufgefordert werden, 28
beim Gießen der Bäume zu helfen, • Reduzierung der Streusalzmenge. Bei Neupflanzungen muss entsprechendes Augen- merk auf die Auswahl der Baumarten gelegt werden. Diese sollten dem Stadtklima (das dem Klimawandel besonders stark ausgesetzt werden sein wird) angepasst sein und den höheren Tempe- raturen, Trockenperioden und Belastungen durch Abgase standhalten können. Allerdings Vorsicht bei Exoten: Viele standortfremde Baumarten sind zwar eventuell resistenter gegenüber Hitzestress. Allerdings finden einheimische Insekten dort kaum Lebensraum. Auch invasive Insektenarten haben oft keine natürlichen Feinde, wodurch sie sich zahlreich vermehren können und viele Kommunen nur noch Insektizide als Ausweg sehen. Bei Neupflanzungen von Straßenbäumen sollte deshalb eher auf heimi- sche Arten wie Traubeneiche, Esche oder Winterlinde gesetzt werden. Umfangreiche Informationen zum Thema finden sich bei der Bayerischen Landesanstalt für Wein- Anfang ist gemacht, wenn der Schulhof pestizidfrei und Gartenbau, die seit vielen Jahren Studien zum gepflegt wird. Dies ist auch leicht zu vermitteln: Wer Thema Stadtgrün durchführt. will schon Gifte dort, wo unsere Kinder spielen. Aber Schulhöfe bieten noch viel mehr Möglichkeiten der Weitere Informationen gibt es auch hier: ökologischen und Insektenfreundlichen Gestaltung. https://www.grueneliga-berlin.de/themen- Generell gilt: Umso grüner und wilder, umso mehr projekte2/umweltberatung/baumschutz-in-berlin/ können Kinder und Jugendliche den Ort nutzen, um strasenbaume/ Naturerfahrung zu machen und eigene Abenteuer zu erleben. Versiegelte Flächen können aufgebro- Spielplätze, Sportplätze und chen werden, regionale Stauden und Hecken sowie Schulhöfe Bäume als Schattenspender gepflanzt werden. Tolle Dort, wo Kinder sich aufhalten muss der Konzepte finden sich auch unter dem Stichwort Einsatz von Pestiziden tabu sein. Ein „Essbare Stadt“ oder „Essbarer Pausenhof“, wo die naturnaher Schulhof, Spielplätze, die mit Voraussetzung bei jeder Neupflanzung die Essbar- Obstbäumen gesäumt sind oder wildwüchsige keit der Früchte der Pflanzen ist. Ein guter Kontakt Blumenwiesen an Sportplätzen: Das alles hilft zum Hausmeister oder der Hausmeisterin sind hier- nicht nur den Insekten, sondern sind zentrale bei wichtig. Bausteine, um den Kindern und auch ihren Eltern die Natur näher zu bringen. Los geht’s! Naturnahe Schulhöfe sind auch grüne Klassenzim- mer. Im Biologieunterricht lassen sich zusammen Orte, an denen sich unsere Kinder aufhalten, soll- mit den SchülerInnen tolle Projekte mit Insekten ten sicher und frei von Gift sein. Sie bieten großes entwickeln, von der Beobachtung bis zur Herstellung Potential für Umweltbildung, und zwar nicht nur von geeigneten Lebensräumen auf dem Schulgelän- für Kinder und Jugendliche: Schülerinnen und de. Hilfe bei der Umsetzung eines grünen Schulhofs Schüler tragen Gelerntes zu den Eltern weiter und bietet z.B. die Beratungsstelle „Grün macht Schule“. auf dem Spielplatz können die Erwachsenen sich beim Warten auf die Kleinen informieren. Ein erster 29
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