Intendant Anselm Rose - zieht Bilanz 10 Jahre

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Intendant Anselm Rose - zieht Bilanz 10 Jahre
10 Jahre
im Dienst:

Intendant    Anselm Rose
                 zieht Bilanz
EDITORIAL | P H I L H A R MO N I S C H E B L ÄT T E R        1

INHALT

INTENDANT
Rückblick von Anselm Rose .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  2

ER STER GASTDIRIGE N T
Bertrand de Billy im Interview .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  8

VORGESTELLT I
Patricia Petibon singt Ravel .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  12

WIEDERB EGEGNUN G

                                                                        © Marco Borggreve

                                                                                                                   © Marco Borggreve
Mit dem Geiger Vadim Gluzman  .  .  .  .  .  .  .  .  . 14

PORTR ÄT I
Reinbert de Leeuw am Pult .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  16

D EB ÜT                                                                Liebe Konzertbesucher!
Timo Handschuh im Gespräch .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  18
                                                                       Man weiß es schon länger, aber nun ist es tatsächlich soweit – die Amtszeit
PORTR ÄT II
                                                                       von Anselm Rose als Intendant der Dresdner Philharmonie endet mit Ablauf
Die Cembalistin Christine Schornsheim  .  .  .  .  .  20
                                                                       dieses Jahres. Für ihn ist dieser Einschnitt ein guter Anlass zu einer ausgiebigen
PHILHAR MONISC HE CHÖ RE                                               Rückschau auf seine Arbeit in über zehn Jahren, auf Schwerpunkte und Erfolge,
In der Spielzeit 2014/15  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 22     auf die zukunftsweisenden Konzepte seiner Ära und auf das große Ziel »neuer
ENTDEC KUNG                                                            Konzertsaal«. Mit seiner Bilanz verabschiedet sich der Intendant auch von den
Olga Pasichnyk singt Lutosławski .  .  .  .  .  .  .  .  24            Lesern der Philharmonischen Blätter – die sich in diesem letzten Quartal von
                                                                       2014 wieder auf hochkarätige Gäste freuen dürfen. Darauf möchten wir Sie mit
VORGESTELLT II
                                                                       den Interviews und Künstlerporträts in diesem Heft einstimmen.
Die Pianistin Maki Namekawa  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 26
                                                                       Der neue Erste Gastdirigent Bertrand de Billy entfaltet seine differenzierte Sicht auf
BE GEGNUNG                                                             die neue Position. Eine Kostprobe gibt er mit Maurice Ravels »Shéhérazade« und
Wieder bei der Philharmonie –                                          der Sopranistin Patricia Petibon als Solistin. Vadim Gluzman stellt seine eindrucks-
Hans Graf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28
                                                                       volle Persönlichkeit als Geiger und Dirigent unter Beweis. Reinbert de Leeuw ist
VORGESTELLT III                                                        einer der stilprägenden Dirigenten der Musik des vergangenen Jahrhunderts; wir
Der Cellist Julian Steckel  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 30   freuen uns auf ihn, ebenso wie auf seinen Kollegen Timo Handschuh, ein New-
JAHR ESWEC HSEL                                                        comer mit Zukunft. Wir begrüßen als Gäste die wohl bedeutendste Cembalistin
Mit dem Wiener HK Gruber .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  32           unserer Zeit, Christine Schornsheim, aus Polen die wunderbare Sopranistin Olga
                                                                       Pasichnyk, die Künstlergemeinschaft Maki Namekawa und Dennis Russell Davies,
N EUGIERDE
                                                                       den Weltenbürger Hans Graf und die Bratschistin Tabea Zimmermann.
Fragen an Tabea Zimmermann  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 34
                                                                       Der Nachwuchsdirigent Leslie Suganandarajah hat das Auswahldirigieren
N AC HWUCHS                                                            für sich entscheiden können und assistiert in dieser Spielzeit Chefdirigent
Leslie Suganandarajah                                                  Michael Sanderling, wiederum gefördert mit einem Stipendium der Hermann-
assistiert Michael Sanderling  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  36
                                                                       Hildebrandt-Stiftung.
K INDER                                                                Die Kunst eines ganz außergewöhnlichen Cellisten der jüngeren Generation, Julian
Otto der Ohrwurm und Ludwig van .  .  .  .  .  .  .  38                Steckel, schenken wir Ihnen – und uns selbst – zu den Festtagen. Wir versprechen
KONZERTKALENDER                                                        Ihnen viel Spaß mit HK Gruber. Der Wiener Dirigent und Chansonnier wird das
Oktober bis Dezember 2014  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 40          elegante und spritzige Programm leiten, mit dem die Dresdner Philharmonie und
                                                                       wir das Jahr 2014 verabschieden. Bleiben Sie uns gewogen.

                                                                       Herzlichst

Die Dresdner Philharmonie ist Mitglied
im Deutschen Bühnenverein

                                                                       Ihr Michael Sanderling			                                       Ihr Anselm Rose
2   PHILHARMONISCHE BL ÄTTER |                                                                               Anselm Rose | RÜCKBLICK | P H IL HAR M ONISC HE B LÄTTER                  3

                                                         »Was ich hier bewegen konnte,

                                                                    erfüllt mich mit FREUDE!«

                                                         I NTENDANT ANSELM ROS E
                                                     im Rückblick auf sein zehnjähriges Wirken
                                                     Herr Rose, wie fühlen Sie sich ein halbes Jahr vor dem Ende                  leichter. Als ich kam, war allerdings schon klar, dass Rafael Frühbeck
                                                     Ihrer Amtszeit?                                                              de Burgos Chefdirigent wird und wir uns kennenlernen und die
                                                     Mit unserem Interview wird mir erstmalig bewusst, dass es jetzt gilt,        nächsten Jahre zusammenarbeiten werden. Diese institutionalisierte
                                                     Bilanz zu ziehen und Abschied zu nehmen – es ist ja immer noch               Symbiose zwischen dem geschäftsführenden Leiter und dem
                                                     so viel zu tun im operativen Geschäft. Dennoch: Rückblickend sind            künstlerischen Leiter kann ein sehr produktiver Dialog sein: Auf der
                                                     zehn Jahre schon eine lange Zeit, in der viel passiert ist und in der        einen Seite sollen Budgets eingehalten werden, auf der anderen
                                                     ich einiges fürs Orchester und die Stadt bewegen konnte und durfte.          Seite wünscht man sich Top-Qualität und das Beste fürs Geld. Mit
                                                                                                                                  einem Grand-Seigneur wie Frühbeck de Burgos zu arbeiten, war mir
                                                     Die Arbeit des Intendanten ist fürs Publikum weniger sichtbar                eine große Freude und Inspiration, aber auch ein großer Auftrag.
                                                     als die des Chefdirigenten und künstlerischen Leiters. Was                   Denn was wir uns gemeinsam vorgenommen hatten, war schon
                                                     konnten Sie als Intendant bewegen, wie haben Sie Ihre Rolle                  ziemlich ambitioniert.
                                                     gesehen?
                                                     Der Intendant steht selten im Rampenlicht, das stimmt. Er ist im Prinzip     Kamen Sie in ein gut bestelltes Haus, das Sie behutsam
                                                     der Geschäftsführer, er kann auf sämtliche Bereiche Einfluss nehmen,         weiterentwickeln konnten?
                                                     weil er für sie die Verantwortung trägt. Dazu zählen Organisation,           Mein verstorbener Vorgänger hatte seit 1992 schon sehr viel für die
                                                     Personal, Finanzen, Recht, Wirtschaft, Vertrieb, Marketing und               Philharmonie erreicht. Dennoch waren einige, auch substantielle
                                                     »Produktion« – also die Kunst. Der Chefdirigent setzt im Idealfall als       Rahmenbedingungen für die Arbeit des Orchesters nicht gut. Ich
                                                     künstlerischer Leiter die Akzente, aber vor dem Geldgeber, dem Rat           fand die Konzertsaalfrage ungelöst vor, die Gehälter der Musiker
                                                     der Stadt Dresden, steht letztendlich der Intendant für alles gerade.        waren gekürzt, die Planstellen sowohl im Orchester als auch in
                                                     Insofern hat er natürlich Möglichkeiten und auch die Pflicht, Einfluss       der Verwaltung vorübergehend eingefroren oder sogar gestrichen
                                                     zu nehmen. Aber natürlich befindet sich der Intendant auch bei den           worden. Es gab zahlreiche Baustellen zu bearbeiten. Darüber hinaus
                                                     strategischen Planungen im Dialog mit dem Chefdirigenten, um zu              war natürlich die Erwartungshaltung von Seiten des Orchesters und
                                                     besprechen, was künstlerisch und kommerziell sinnvoll ist.                   des Publikums groß, erstklassige Gastdirigenten und Solisten sehen
                                                                                                                                  zu wollen.
                                                     Sie hatten ja keinen leichten Einstand: Sie konnten nicht
                                                     eingearbeitet werden von ihrem Vorgänger und kamen zu                        War der neue Konzertsaal das herausragende Thema Ihrer
                                                     einer Zeit ohne Chefdirigenten.                                              Amtszeit?
                                                     Das stimmt, Olivier von Winterstein starb überraschend, und deshalb          Auf jeden Fall. Schon Richard Wagner beklagte, als er hier Hofkapell-
                                                     stieg ich ein Dreivierteljahr früher als interimistischer Intendant ein –    meister war, den Mangel eines Konzertsaales in Dresden. Alles, was
                                                     zu einem Zeitpunkt, da viele Planungen schon weit fortgeschritten            es jemals gab, waren Provisorien. Dieses Problem zu lösen war die
© Marco Borggreve

                                                     waren. Das machte das Eingearbeitet-Werden nicht unbedingt                   vordringlichste Aufgabe.
4   PHILHARMONISCHE BL ÄTTER | RÜCKBLICK | Anselm Rose                                                                                                                                                                         Anselm Rose | RÜCKBLICK | P H IL HAR M ONISC HE B LÄTTER   5

    Sind Sie zufrieden mit der Lösung?                                       War es Teil Ihrer Aufgabe, zu sehen, dass die Philharmoniker              Was haben die Dresdner von den Reisen des Orchesters?
    Ich bin absolut zufrieden. Wir haben mit Meinhard von Gerkan einen       auf Augenhöhe mit der Staatskapelle bleiben?                              Wir repräsentieren als der musikalische Botschafter die Landeshaupt-
    der renommiertesten Architekten und mit dem Büro Peutz äußerst           Natürlich. Deshalb habe ich es als meine zweite wesentliche Aufgabe       stadt Dresden, und nahezu alle Tourneeaktivitäten wurden begleitet
    erfahrene Akustiker gewinnen können, sodass der neue Konzertsaal         angesehen, die finanziellen Rahmenbedingungen für die Arbeit des          von den bei Stadt und Land für Wirtschaftsansiedlung und Tourismus
    in puncto Ambiente und Hörgenuss den höchsten Ansprüchen des             Orchesters zu verbessern. Es galt, insbesondere die Gehälter der          Verantwortlichen. Es hat mich gefreut, dass diese Botschafterrolle
    Orchesters und des Publikums gerecht wird.                               Musikerinnen und Musiker, die über Jahre gekürzt worden waren,            des Orchesters aktiv genutzt und unterstützt wurde, um für den
                                                                             als ich hierherkam, wieder auf adäquate Höhe zu bringen und eine          Standort Dresden international zu werben. Und natürlich steigern
    Ist der Konzertsaal an die Philharmonie gekoppelt?                       weitere Kürzung bis hin zur Kündigung des besonderen Orchestertarif-      die Tourneen auch das Renommee des Orchesters.
    Ich habe aktiv dafür geworben und mich dafür stark gemacht, dass         vertrages zurückzuweisen. Ich bin glücklich, dass es mir gelungen ist,
    der Konzertsaal die Heimstätte der Philharmonie ist und ergo auch        im politischen Raum so viel Sympathie für das Orchester zu erwirken,      Sind Sie zufrieden, wie sich das Orchester in den zehn Jahren
    von der Philharmonie gestaltet wird, was die Inhalte und den Betrieb     dass eine solche Diskussion seit 2008 nie wieder aufgekommen ist.         musikalisch entwickelt hat?
    angeht. Die Gestaltung des Betriebskonzepts ist aber Sache meiner                                                                                  Ich bin sehr zufrieden, wie sich das Orchester in der Amtszeit von
    Nachfolgerin, die das mit der Objektgesellschaft und der Landes-         Ist das nachhaltig?                                                       Rafael Frühbeck de Burgos entwickelt hat. Er hat die Stärken des
    hauptstadt zu klären hat.                                                Politik ändert sich, die Zusammensetzung von Stadträten ändert sich,      Orchesters in klanglicher Hinsicht gepflegt und entwickelt und
                                                                             Bürgermeister werden neu gewählt – da gibt es keine Nachhaltigkeit.       den Musikern immer sehr viel Raum gegeben, diese besonderen
    Die Dresdner Philharmonie darf sich über eine enorm große                Man muss sich täglich neu die Sympathie erarbeiten, die sich das          Qualitäten herauszustellen. Auch durch die Repertoirewahl ist es
    Zahl an Abonnenten freuen – ist Dresden eine Insel der                   Orchester natürlich über seine Qualität verdient, die aber auch über      ihm immer gelungen, diese besonderen Qualitäten wahrnehmbar
    Glückseligen, was die Klassik angeht?                                    die Außenwirkung des Orchesters und der handelnden Leitungs-              zu machen – ich spreche von Brahms, von Beethoven, von
    Die Volatilität des Besucherzuspruchs wird zunehmen, denn das            personen wahrgenommen wird.                                               Bruckner, Strauss und Wagner. In dieser Zeit hat das Orchester
    traditionelle Anrecht entspricht nicht mehr den Gewohnheiten zur                                                                                   viel gewonnen. Mir persönlich war es wichtig, das Orchester mit
    Freizeitgestaltung heutiger Konzertgänger. Und selbst wenn es            Die Dresdner Philharmonie hat in den letzten Jahren zahl-                 namhaften Gastdirigenten zusammenzubringen und auch solchen,
    einem gelingt, mit interessanten Projekten und über das Marketing        reiche prestigeträchtige Tourneen unternommen.                            die weltweit als große Zukunftshoffnungen gehandelt werden und
    kurzfristig Menschen für ein Konzert zu gewinnen, so ist es doch die     Als dritte wichtige Aufgabe hatte ich mir gemeinsam mit Rafael            die mit ihrer Art des Arbeitens ein Gewinn für das Orchester sein
    vordringliche Aufgabe, aus dem Einmal- einen Mehrfachbesucher zu         Frühbeck de Burgos vorgenommen, durch häufige und gute                    können. Ich glaube, dass das Orchester dadurch nicht nur direkt
    machen. Da muss man mit langem Atem hart arbeiten.                       Tourneen das Orchester international wahrnehmbarer zu machen.             künstlerisch profitiert hat, sondern dass es durch die Zusammen-
                                                                             Die Dresdner Philharmonie tourte zwar weltweit, aber zu Konditionen       arbeit mit diesen Dirigenten, die ja ihrerseits Multiplikatoren sind,
    Ist Dresden auf lange Sicht groß genug für zwei große                    und mit Partnern, mit denen ein Orchester dieser Qualität nicht           auch seinen Ruf in der Musikwelt vergrößern konnte. Außerdem war
    Orchester?                                                               zufrieden sein konnte.                                                    mir wichtig, das Orchester im Bereich der zeitgenössischen Musik
    Der Markt ist für die großen Institutionen Staatskapelle und                                                                                       vermehrt mit Projekten und Partituren zu konfrontieren, die es
    Philharmonie vorhanden. Und ich bin guten Mutes, dass der                Für ein Orchester von diesem Renommee müsste es doch ein                  immer wieder auch spieltechnisch herausfordern, und ihm dadurch
    »bildungsbürgerliche Humus in Dresden«, wie ich es immer                 Kinderspiel sein, gute Tourneen zu organisieren.                          große Aufmerksamkeit zu bescheren. Das ist mit Aufträgen an sehr
    nenne – also das Bewusstsein der Dresdnerinnen und Dresdner für          Überhaupt nicht. Man muss sich um die Einladung zu Gastspielen            namhafte Komponisten wie Sofia Gubaidulina, Rodion Schtschedrin
    ihre Musikkultur –, stark genug bleiben wird. Für die Kunst- und         weltweit aktiv bemühen. Und das ist nicht leicht, denn das »Gesamt-       oder Michael Nyman gelungen. Das Orchester hat sich ein Standing
    Musikmetropole Dresden ist es auf jeden Fall eine Bereicherung, wenn     paket«, bestehend aus Orchester, Dirigent, Solist und Programm, muss      erarbeitet, um sich zukünftig auch bei längerfristigen Bindungen mit
    es zwei großartige Orchester gibt, die zwar musikalisch miteinander in   die Veranstalter künstlerisch überzeugen und kommerziell attraktiv        namhaften Dirigenten schmücken zu können.
    Konkurrenz treten, aber nicht in dem Sinne, dass das eine dem anderen    sein. Mich hat es sehr gefreut, dass das Orchester inzwischen sehr viel
    die Zuschauer wegnimmt. Die Beobachtung, dass wir in einer guten         häufiger auf Tournee gehen kann – ein bis zwei Mal im Jahr nach           Sie haben in Ihrer Amtszeit zahlreiche neue Konzertformate
    stabilen Zuschauersituation sind, machen beide Orchester gleicher-       Asien oder Amerika, zwei bis drei Mal im Jahr in Deutschland oder         entwickelt.
    maßen. In einer empirischen Untersuchung haben wir feststellen           Europa – und dass die Reisebedingungen und die Orte seinem Niveau         Die alte Konzertstruktur der Philharmonie hatte ja eine jahrzehnte-
    können, dass viele Menschen sich nach den Programmen entscheiden         entsprechen. Und dass die Philharmonie in sämtlichen europäischen         lange Tradition. Ich habe es schon als meine Aufgabe gesehen, sie
    und mal zum einen, mal zum anderen Orchester gehen. Als das Konzert-     Metropolen gastiert. Wir waren 2012 erstmals seit 25 Jahren in Groß-      inhaltlich zu profilieren, damit sie unterscheidbar waren. Gleichwohl
    orchester der Landeshauptstadt hat die Philharmonie gleichwohl rein      britannien und wurden sofort wiedereingeladen zu einer Residenz in        bin ich mit dem Verständnis an die Aufgabe herangegangen, dass das
    kapazitätsmäßig viel mehr Möglichkeiten für Konzertprojekte, und ich     London, wo das Orchester über mehrere Tage mehrere Werke zyklisch         Angebotsportfolio, sprich die verschiedenen Formate und Inhalte, die
    denke, wir haben nicht zuletzt durch klare Strukturen und Schwerpunkte   spielen wird. Das Orchester war letztes Jahr erstmals in Hongkong,        ein Orchester heutzutage anzubieten hat, sehr breit sein muss. Wir
    (Sinfonische Zyklen oder Themen, Artists in Residence, Komponist und     Macau und China zu Gast, spielte kürzlich nach Jahrzehnten wieder         wissen, dass unsere Zielgruppen in puncto Alter, Erwartungshaltung

                                                                                                                                                                                                                                 © Marco Borggreve
    Interpret, Filmmusik, Ur- und Erstaufführungen, Kinderkonzertprojekte    einmal im »Goldenen Saal« des Wiener Musikvereins und reist nun alle      und Geschmack sehr unterschiedlich sind. Deshalb müssen wir alles
    oder Tourneen) die Chance genutzt, uns innerhalb Dresdens und über       zwei Jahre nach Japan und Korea. Und wir unternehmen 2014 unsere          anbieten: von Programmen für Kinder verschiedenen Alters und
    die Stadt hinaus zu profilieren.                                         dritte Südamerikatournee während meiner Amtszeit.                         mit unterschiedlichen musikalischen Vorkenntnissen bis hin zum
6   PHILHARMONISCHE BL ÄTTER |                                                                                                                                                                                                  Anselm Rose | RÜCKBLICK | P H IL HAR M ONISC HE B LÄTTER                   7

                                                                       Man                                                                          davor zurückgeschreckt bin, sie zu realisieren. Gleichwohl habe              Abgesehen vom Thema Konzertsaal, das Sie nicht mehr

                                                                      muss
                                                                                                                                                    ich festgestellt, dass in den gängigen Konzertformaten eine große            beeinflussen können – überlassen Sie das Haus Ihrer Nach-
                                                                                                                                                    Neugier des Publikums zum Beispiel gegenüber zeitgenössischer                folgerin gut bestellt?
                                                                                                                                                    Musik besteht.                                                               Wenn ich die personellen Voraussetzungen nehme – seit ich hier tätig
                                                                                                                                                                                                                                 bin, gibt es keinen hauptamtlichen Verwaltungsdirektor an meiner

                                                                        den
                                                                                                                                                    Warum haben Sie auch neue Konzertorte in den Konzertplan                     Seite, es mangelt an Personal in der Verwaltung – und ich mir das
                                                                                                                                                    aufgenommen?                                                                 Erreichte ansehe, bin ich sehr zufrieden. Ich weiß, dass ich das Haus
                                                                                                                                                    Wenn ich davon sprach, dass man verschiedene Zielgruppen                     so bestellt verlasse, dass ein nahtloses Anknüpfen und eine Weiter-

                                                                  Menschen
                                                                                                                                                    ansprechen muss mit Inhalten und Formaten, heißt das auch, dass              entwicklung möglich sind. Ich darf mit einer gewissen Zufriedenheit
                                                                                                                                                    man den Menschen dort begegnen muss, wo sie sind. Und das heißt              sagen, dass die großen Projekte, die ich mir vorgenommen hatte,
                                                                                                                                                    für ein Orchester zum Beispiel, dass es in der Frauenkirche eine eigene      gelungen sind: Ich rede vom Konzertsaal, von den Konzertaktivitäten,

                                                                        dort
                                                                                                                                                    Konzertreihe unterhält. Die Frauenkirche sollte ja auch als ein Ort des      von der finanziellen Ausstattung des Orchesters, von den Künstlern,
                                                                                                                                                    musikalischen Geschehens etabliert werden – und das funktioniert             die hier gastieren. Wenn ich mir bewusst mache, was ich hier in den
                                                                                                                                                    auch. Es gab wenige Touristen, die in den Kulturpalast kamen, aber           zehn Jahren bewegen konnte, erfüllt mich das mit Freude.
                                                                                                                                                    umso mehr Touristen, die in der Frauenkirche einem Konzert der

                                                                  begegnen,
                                                                                                                                                    Philharmonie beiwohnen. Und die schiere Größe des Saales im                  Wie lautet Ihr Resümee nach zehn Jahren: Ist Intendant der
                                                                                                                                                    Kulturpalast brachte uns dazu, für kleiner besetzte Orchesterkonzerte,       Dresdner Philharmonie zu sein ein Traumjob?
                                                                                                                                                    für Haydn oder Bach etwa, einen akustisch besser geeigneten Raum zu          In Dresden zu arbeiten ist schon großartig. In dieser Metropole

                                                                         wo
                                                                                                                                                    suchen. Den fanden wir im Steinsaal des Hygiene-Museums, nachdem             der Musik für ein großes Orchester tätig sein zu dürfen, ist eine
                                                                                                                                                    er frisch renoviert war und als Konzertort wieder zur Verfügung stand.       wunderbare Aufgabe, und mich hat es auch sehr gefreut zu
                                                                                                                                                    Seitdem ist die Philharmonie auch dort wieder präsent. Gerade in             sehen, wie vielen Menschen in dieser Stadt es wichtig ist, dass

                                                                         sie
                                                                                                                                                    unserer derzeitigen Übergangszeit ist es ein Segen für uns, dass es diese    die Philharmonie eine Förderung erfährt und einen hohen Stellen-
                                                                                                                                                    Räumlichkeiten gibt, die wir auch mit kleineren Formaten bespielen:          wert besitzt. Es gibt viele Politiker und Multiplikatoren, die sich für
                                                                                                                                                    eine Stunde Musik ohne Pause, dazu ein kleiner Snack oder eine Tasse         die Sache der Philharmonie verwenden – da geht es nicht nur um
                                                                                                                                                    Kaffee je nach Tageszeit. Auch hier beobachten wir, dass wir sowohl          Geld, auch ideelle Unterstützung hat in Dresden eine sehr hohe

                                                                       sind.
     © Marco Borggreve

                                                                                                                                                    mit dem Ort als auch mit dem ungewöhnlichen Format Menschen                  Bedeutung. Und das ist sehr positiv fürs Orchester. Insofern ist die
                                                                                                                                                    ansprechen, die nicht in ein »normales« Konzert kommen würden.               Atmosphäre in Dresden sehr gut. Anders verhält es sich mit der
                                                                                                                                                                                                                                 Selbstwahrnehmung der Musikerinnen und Musiker als Dresdner
                                                                                                                                                    Seit zwei Jahren reist die Philharmonie von Konzertort zu                    Philharmonie. Da mangelt es meines Erachtens dem Orchester an
                                                                                                                                                    Konzertort durch die Stadt. Wird das allmählich zu einer                     einer eigenen Identität: wer man ist und welchen Stellenwert man
    klassischen Konzertabo alter Prägung. Ich musste also das               gewinnen konnten. Wir haben unsere Programme außerdem um Prologe        vertrauten Routine?                                                          genießt. Dieser Mangel steht im harten Kontrast zur exzellenten
    vorhandene Programmangebot erweitern – damit auch in Zukunft            und Epiloge erweitert, sprich: Man bekommt als Konzertbesucher noch     Es stellt sich natürlich eine gewisse Routine ein, aber bei Organisation     musikalischen Leistungsfähigkeit. Das wird sich hoffentlich mit dem
    Menschen Gefallen daran finden, ihre Freizeit in einem Konzert der      ein Extra hinzu – dass der Künstler etwa vor dem Konzert etwas zu er-   und Logistik ist der Aufwand nach wie vor enorm. Und wenn ich nur            neuen Konzertsaal und im Bewusstsein einer eigenen Klangkultur
    Philharmonie zu verbringen. Unsere Kinderprogramme sind sehr            zählen hat oder anschließend dem Publikum noch eine Zugabe spielt.      vom Musikalischen spreche: Die Probensituation in unserem Kino hier          entwickeln. Das halte ich für die Zukunftsaufgabe, der sich das
    erfolgreich, und mir lag es sehr am Herzen, dass Formate, die sich      Wir haben das Format sogar noch dahingehend ausgedehnt, dass            am Waldschlösschen ist rein akustisch schon etwas gänzlich anderes           Orchester unbedingt stellen muss
    großer Beliebtheit erfreuen, wie zum Beispiel Film mit Musik, auch      die Staatlichen Kunstsammlungen dem Publikum noch ein Gemälde           als die Aufführungssituation im Albertinum, im Schauspielhaus oder           .
    besonders gepflegt werden.                                              präsentieren können. Da hat der Spielplan der Philharmonie deutliche    im Hygiene -Museum, um nur die wesentlichen Spielorte zu nennen.                                                           Interview: Arnt Cobbers
                                                                            Veränderungen und Erweiterungen erfahren.                               Die Umstellung ist jedes Mal eine enorme Herausforderung, das
    Auch das Artist-in-Residence-Format haben erst Sie einge-                                                                                       stresst ungemein. Insofern sind wir nur froh, wenn diese Zeit ohne
    führt.                                                                  War das eine dankbare Aufgabe?                                          festen Konzertsaal endlich vorbei ist.
    Es gibt bestimmte Schwer- und Fixpunkte in jeder Saison, die die        Natürlich macht es Spaß, Ideen und Konzepte zu entwickeln. Aber
    Orientierung leichter machen, wenn man bestimmte Präferenzen hat.       die Umsetzung neuer Ideen erfordert schon ein hohes Maß an              Sind Sie guter Dinge, was den Baufortschritt betrifft?
    Wir haben uns in den letzten Jahren bemüht, sinfonische Schwerpunkte    Akzeptanz und Mitarbeit bei allen Beteiligten – das betrifft die        Als kundgetan wurde, dass die Eröffnung des Saales nicht wie geplant
    herauszuarbeiten, die sich zum Teil an bestimmte Dirigenten binden      Musikerinnen und Musiker ebenso wie das Team der Verwaltung.            2015, sondern erst 2017 stattfinden wird, stellte sich natürlich eine
    ließen, etwa der Beethoven-Zyklus mit Markus Poschner. Wir haben        Und wenn es um Veränderungen geht, kommt es sehr darauf an, die         Enttäuschung ein. Gleichwohl haben wir keinen Anlass, an dieser
    Interpreten-Komponisten eingeladen, die bei uns mit ihren multiplen     Notwendigkeit, aber auch das Tempo der Umsetzung vermitteln zu          Aussage zu zweifeln. Wir haben großes Vertrauen in die Menschen,
    Fähigkeiten glänzen konnten. Und das Artist-in-Residence-Format         können. Was das Publikum betrifft, gebe ich ganz offen zu, dass ich     die dieses Datum genannt haben, dass sie in ihren Einschätzungen
    ist bei uns sehr gefragt, weil wir immer wieder interessante Künstler   viele Formate und inhaltliche Konzepte im Kopf hatte, bei denen ich     richtig liegen.
8        PHILHARMONISCHE BL ÄTTER | INTERVIEW | Bertrand de Billy                                                                                                                                                                  Bertrand de Billy | INTERVIEW | P H IL HAR M ONISC HE B LÄTTER                9

                                                                                                                                                                                                                                                Der Schwerpunkt Ihrer Arbeit in Dresden wird auf dem
                                                                                                                                                                                                                                                französischen Repertoire liegen?
                                                                                                                                                                                                                                                Als ich Michael Sanderling zuletzt getroffen habe, hat er mich darin
                                                                                                                                                                                                                                                bestärkt. In der Zeit mit Michel Plasson hat das Orchester bereits
                                                                                                                                                                                                                                                viele französische Impulse erhalten, und Sanderling gestand mir, dass
                                                                                                                                                                                                                                                er dies heute ein wenig vermisse. Umgekehrt möchte ich keineswegs,
                                                                                                                                                                                                                                                dass die Philharmonie wie ein französisches Orchester klingt, aber
                                                                                                                                                                                                                                                ein bisschen mehr Paris und Provence könnte allen gut tun, auch

                                                                                                                                                                        Zeit ohne                                                               dem Publikum.

                                                                                                                                                                                                                                                Nun beschränkt sich das französische Orchesterrepertoire in

                                                                                                                                                                  Kapitänsbürde                                                                 Deutschland meist auf die üblichen Verdächtigen Debussy
                                                                                                                                                                                                                                                und Ravel. Eine sehr enge Sichtweise…
                                                                                                                                                                                                                                                Deswegen werden wir, von einigen Highlights abgesehen, das
                                                                                                                                                                                                                                                weniger populäre Repertoire stärker in den Fokus nehmen. Wir
                                                                                                                                                                                                                                                haben beispielsweise im letzten Herbst das Fauré-Requiem in der
                                                                                                                                                                                                                                                Frauenkirche aufgeführt, in Verbindung mit der zweiten Sinfonie
                                                                                                                                                                                                                                                von Arthur Honegger. Das war für alle eine faszinierende Erfahrung,
                                                                                                                                                                                                                                                und in diese Richtung soll es weitergehen. Es wird Musik von Henri
                                                                                                                                                                                                                                                Dutilleux kommen, oder von Olivier Messiaen. Auch bei Roussel,
                                                                                                                                                                                                                                                Chabrier und anderen gibt es viele interessante Werke.

                                                                                                                                                                                                                                                Welchen Einfluss kann man als Erster Gastdirigent auf die
                                                                                                                                                                                                                                                langfristige Entwicklung eines Orchesters nehmen?
                                                                                                                                                                                                                                                Ich verstehe diese Aufgabe nicht im Sinne von »Mitsteuern«,
                                                                                                                                                                                                                                                sondern eher von »Begleiten«. Ich bin der Überzeugung, dass es
                                                                                                                                                                                                                                                auf einem Schiff nur einen Kapitän geben sollte; und der kann für
                                                                                                                                                                                                                                                gewisse Aufgaben, die ihm weniger liegen, sich Leute an seine Seite
                                                                                                                                                                                                                                                nehmen. Natürlich spielt es in diesem Fall eine besondere Rolle, dass
                                                                                                                                                                                                                                                ich mit Michael Sanderling gut befreundet bin, sonst hätte ich diese
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                                                                                                                                                                                                                                                Funktion vielleicht auch nicht übernommen. Hier ist das gegenseitige
                                                                                                                                                                                                                                                Vertrauen gegeben, und niemand muss Angst haben, dass der eine
                                                                                                                                                                                                                                                dem anderen etwas streitig machen möchte. Jeder weiß, dass ich
                Bertrand de Billy ist der neue Erste Gastdirigent der Dresdner Philharmonie. Was sind seine Ziele? Was                                              Wie klingen denn die französischen Komponisten, wenn sie                    einerseits nicht der »Franzose vom Dienst« sein und andererseits
                kann man in einem solchen Amt bewirken? Warum ist zu früher Erfolg gefährlich? Der französische                                                     von einem Orchester mit deutscher Klangtradition gespielt                   auch nicht Michaels Terrain beackern möchte. So werde ich in der
                                                                                                                                                                    werden?                                                                     kommenden Spielzeit beispielsweise ein Konzert mit Josef Suks
                Dirigent im Gespräch mit Christoph Vratz.                                                                                                           Ich kann wenig damit anfangen, wenn man von französischen                   »Pohádka« (Märchen) und Albert Roussels »Le Festin de l’Araignée«
                                                                                                                                                                    Orchestern behauptet, sie verfügten nur über Transparenz oder würden        dirigieren, dazu Ravels »Shéhérazade«. Das zeigt die Spannbreite
                                                                                                                                                                    Klangergebnisse ausschließlich über Farben erzielen. Natürlich gibt es      von Werken, die mich interessieren.
                Wie würden Sie den Klang der Dresdner Philharmonie                      schnell fasziniert. Interessanterweise vermisse ich, wenn ich in Frank-     gewisse Tendenzen, etwa eine Vorliebe für Durchsichtigkeit, die die
                beschreiben, bei dem Sie demnächst regelmäßig zu Gast sein              reich dirigiere, diesen »deutschen Klang« in der französischen Musik.       französische Musik auszeichnet. Aber das alleine ist es nicht, das könnte    In der Rolle des Gastdirigenten haben Sie sich nun an drei
                werden?                                                                 Übrigens eine Erfahrung, die ich in ähnlicher Weise bereits während         man auch mit anderen Orchestern außerhalb Frankreichs erreichen. Ich        Orten verpflichtet: an der Oper in Frankfurt, beim Orchestre
                Mein erstes Konzert mit dem Orchester war ein Programm mit Werken       meiner Jahre als Chefdirigent beim Rundfunk-Sinfonieorchester in            habe einmal das Festspiel-Orchester von Bayreuth innerhalb von zwei         de Chambre de Lausanne und jetzt in Dresden. Eine aparte
                von Richard Strauss, Claude Debussy und Ernest Chausson. Was mich       Wien machen konnte. Es zeigt mir insgesamt, dass Deutschland und            Tagen auf völlig unterschiedliche Weise erlebt, einmal dirigierte James     Mischung – wie ist es dazu gekommen?
                zunächst interessierte, war dieser warme, runde, profunde, bronzene     Frankreich einander viel näher sind, als man gemeinhin annimmt.             Levine und dann Daniel Barenboim. Beides war toll. Von daher kann           Ich war sehr lange als Chef tätig, zunächst an der Oper von
                Klang, allerdings gepaart mit einem hohen Maß an Transparenz.           Jedes Land kann vom anderen profitieren. Das zeigt auch ein Blick           ich mit einem Entweder-Oder wenig anfangen, Musik von Fauré oder            Barcelona und anschließend für acht Jahre in Wien. Gerade dort
                Einerseits die hörbare Identität eines deutschen Orchesters, anderer-   in die Musikgeschichte. Wer hat Goethes »Werther« vertont?                  Chausson kann mit einem deutschen Orchester ebenso wunderbar                standen neben der wunderbaren künstlerischen Arbeit auch immer
                seits ein gewisses französisches Element – dieser Spagat hat mich       Massenet! Wer den »Faust«? Gounod! Nicht Brahms!                            klingen wie Wagner mit einem französischen.                                 wieder die Kämpfe mit Behörden und Verwaltungen im Fokus, um
10   PHILHARMONISCHE BL ÄTTER | INTERVIEW | Bertrand de Billy                                                                                                                                                       Bertrand de Billy | INTERVIEW | P H IL HAR M ONISC HE B LÄTTER             11

     das Orchester zu erhalten. In dem Moment, als das Orchester                 Richtung vorgibt und die Anderen überzeugen muss, allerdings           ALLE TERMINE MIT DEM 1. GASTDIRIGENTEN:
     gesichert war, habe ich mich dazu entschlossen, den Vertrag nicht           ist nicht ausgeschlossen, dass dasselbe Schiff nach einer Woche,
     zu verlängern, weil mich diese administrativen Aufgaben viel Kraft          nach einem abgeschlossenen Projekt, wieder in eine ganz                BERTRAND DE BILLY AUF EINEN BLICK:
     gekostet haben. Ich wollte einfach wieder mehr Zeit gewinnen, um            andere Richtung steuert. Team-Arbeit bedeutet, die Anderen
     mich verstärkt der Musik widmen zu können. Wenn man, um das                 so zu überzeugen, dass jeder das Optimale einbringen kann.
     vorige Bild noch einmal zu verwenden, Kapitän sein möchte, muss             Die Probenarbeit ist ein Geben und Nehmen, damit alle beim
                                                                                                                                                                                                 Philharmonie im
     man für diese Zusatzaufgaben von vornherein entsprechend mehr               Konzert das Beste abrufen können. Ich bin weder Pädagoge noch                       11       12        12
                                                                                                                                                                                                 Schauspielhaus
     Zeit und Energie einplanen. Die Musiker verdienen, dass sich der            Demagoge, ich bin nur ein Teil des Ganzen. Jedes Star-Gehabe           OKTOBER   SAMSTAG    SONNTAG   SONNTAG
                                                                                                                                                         2014                                    Großes Haus
     Chef ihnen ganz widmet. Von Modellen, wo sich der Chefdirigent              empfinde ich als überflüssig, weil man dann zu sehr auf eine                      19.30 11.00 19.30
                                                                                                                                                                                                 1. Konzert
                                                                                                                                                                     S1        S2        S3
     nur ein paarmal im Jahr blicken lässt und stattdessen seinen Titel in       Person fixiert ist und nicht mehr so sehr auf das jeweilige Stück.
     der ganzen Welt herumspazieren fährt, halte ich nichts. Nach meiner         Daher finde ich den Begriff Kapellmeister sehr schön, und die           »ÜB ER DI E GETR EUE L I EB E UND I HR L EI D«
     Wiener Zeit hat es sich so ergeben, dass ich mit den Orchestern in          ganze Art des Denkens, wie früher etwa bei Wolfgang Sawallisch,         – Pohádka
     Frankfurt, Lausanne und Dresden mehrfach aufgetreten bin und man            wunderbar. Mit ungefähr 50 Jahren beginnt man zu begreifen, wie
     mich jeweils gefragt hat, ob ich an einer regelmäßigen Zusammen-            das geht. Davor ist man oft zu jung, wie ein Baby, das für etwas        ALBERT ROUSSEL
     arbeit interessiert sei. Auch wenn mir Titel nicht viel bedeuten, ist       kämpfen muss. Oder man wird durch die Medien hochgepusht –              »Le Festin de l’Araignée« – Ballett-Pantomime op. 17
     es dennoch ein Zeichen gegenseitiger Wertschätzung, und das über            wozu? Vielleicht klingt das nun sehr altmodisch…                        MAURICE RAVEL
     eine einzige Spielzeit hinaus.                                                                                                                      »Shéhérazade« – Drei Poeme für Sopran und Orchester
                                                                                 Nein, eher zeitlos gültig. Fragt sich nur, wie sich diese               nach Texten von TRISTAN KLINGSOR
     Die drei Orchester decken sozusagen drei verschiedene                       Einstellung in der Wahl Ihres Repertoires widerspiegelt. Bei            JOSEF SUK
     Gattungen ab: die Oper in Frankfurt, die große Sinfonik                     Pianisten ist die Versuchung, als 25-Jähriger die letzten drei          »Pohádka« (Märchen) – Sinfonische Suite E-Dur op. 16
     in Dresden und das eher kammermusikalisch-sinfonische                       Beethoven-Sonaten zu spielen, bereits sehr groß, und die
                                                                                                                                                         Bertrand de Billy | Dirigent · Patricia Petibon | Sopran
     Repertoire in der Schweiz.                                                  meisten warten nicht, bis sie 50 sind.
     Das hat sich wunderbar ergeben, in Lausanne gibt es derzeit keinen          Da darf man nichts forcieren. Carlo Maria Giulini hat einmal einen
                                                                                                                                                                Sonntag 10.30 Uhr Probebühne:
     Chef, und auch für mich kommt diese Position aus Zeitgründen derzeit        wunderbaren Satz geprägt, der sinngemäß lautet: »Ich versuche
     nicht infrage, allerdings gibt es eine Reihe von interessanten CD-,         nicht, ein Stück zu dirigieren, sondern das Stück klopft an meine
     Konzert- und Tournee-Projekten; in Frankfurt habe ich mit »Lohengrin«       Tür.« Und Karajan hat einmal, ebenfalls dem Sinn nach, behauptet,

                                                                                                                                                                                                                          © Marco Borggreve
     begonnen, woraufhin wir uns verständigt haben, dass ich jährlich eine       dass bei Beethoven die ersten zehn Male immer zum Vergessen
                                                                                                                                                                                       Philharmonie im Albertinum
     große Produktion oder Wiederaufnahme leiten werde; und dann kam             seien. Natürlich muss man irgendwann beginnen sie zu dirigieren,                    24       25
                                                                                                                                                                                       Lichthof
     Dresden mit dem Angebot für je drei Projekte in drei Jahren. Das Schöne     doch das Begreifen beginnt später. Das hat mit Alter und auch mit       MAI       SONNTAG   MONTAG
                                                                                                                                                         2015                          14. Konzert
     daran ist, dass die Zeit des Kennenlernens an allen drei Orten entfällt,    Kultur zu tun. Es gibt so viele junge Dirigenten ohne kulturellen                 19.30 19.30
                                                                                                                                                                     A2        A1
     weil ich bereits mit allen Orchestern gearbeitet habe. Alle drei Stellen    und historischen Background. Sie werden als junge Studenten stark
     sind unterschiedlich und deshalb ergänzen sie einander sehr gut. Wenn       gepusht und wissen nicht, wer Eugen Jochum war.                         »O L AS S T M I C H EI NEN AUGENB L I C K NO C H
     man so möchte, ja, drei Gattungen, die für meinen musikalischen Wer-                                                                                HI ER !« – Rinaldo                                                                                       Philharmonie im Albertinum
                                                                                                                                                                                                                                                13       14
     degang bezeichnend sind: Als Geiger und Bratscher bin ich mit Kam-          Aber warum?                                                                                                                                                                      Lichthof
                                                                                                                                                                                                                                 JUNI         SAMSTAG   SONNTAG
     mermusik vertraut, ich habe in einem großen Orchester gespielt und          Die jungen Leute wollen (zu) schnell an ihr Ziel, an eine feste         JOHANNES BRAHMS                                                         2015
                                                                                                                                                                                                                                              19.30 19.30         16. Konzert

     mir schließlich die Oper erschlossen. Dieser rote Faden zieht sich bis in   oder prominente Stelle, ohne zu schauen, auf welch kulturell            »Rinaldo« – Kantate für Tenor, Männerchor und Orchester op. 50                         A1        A2

     die Gegenwart durch. Ich habe kürzlich in Japan »Arabella« dirigiert,       gewachsenem Terrain sie sich bewegen. Der Weg als Ziel – das ist        nach JOHANN WOLFGANG VON GOETHE
                                                                                                                                                                                                                                   »… ZW EI C HAR AK TER E IN E IN E M, D E R E IN E
     anschließend Beethoven und Strauss‘ »Heldenleben«, im Sommer in             nicht besonders originell, aber vor allem für einen Dirigenten sehr     FRANZ LISZT
                                                                                                                                                                                                                                   S PI EGEL DES ANDER EN « – Dutilleux
     London »Maria Stuarda«, und mit Beginn der neuen Spielzeit folgten          wichtig. Daher muss man sich sehr genau überlegen, wann man             Eine »Faust«-Sinfonie in drei Charakterbildern
     die drei letzten Mozart-Sinfonien mit dem Orchester von Lausanne.           wo welches Stück zum ersten Mal dirigiert. Außerdem gibt es viele       nach JOHANN WOLFGANG VON GOETHE                                           HENRI DUTILLEUX
     Diesen Ausgleich habe ich für mich immer gesucht, um so gesund              Werke, die man nach dem ersten Mal eine Zeit lang liegen lässt, um                                                                                Sinfonie Nr. 2 »Le Double«
                                                                                                                                                         Bertrand de Billy | Dirigent
     bleiben zu können wie möglich.                                              sie reifen zu lassen. Ich halte es einfach für falsch, mit 25 Jahren
                                                                                                                                                         Johan Botha | Tenor                                                       ARAM CHATSCHATURJAN
                                                                                 bereits alle großen Orchester der Welt dirigiert zu haben.
                                                                                                                                                         Herren des Sächsischen Staatsopernchores                                  Konzert für Klavier und Orchester Des-Dur
     Sie haben sich einmal als »Team-Player« bezeichnet. Wie
                                                                                                                                                         N.N. | Einstudierung                                                      MAURICE RAVEL
     schlägt sich das im Probenalltag nieder?                                                                              Interview: Christoph Vratz
                                                                                                                                                                                                                                   »La Valse«
     Ich weiß nicht, wann ich es gesagt habe, aber das ist gut. Ich bin
     der festen Überzeugung, dass der Dirigent nur ein Musiker inner-                                                                                                                                                              Bertrand de Billy | Dirigent
     halb einer Gruppe ist. Zwar muss es einen Kapitän geben, der eine                                                                                                                                                             Jean-Yves Thibaudet | Klavier
12   PHILHARMONISCHE BL ÄTTER | VORGESTELLT I | Patricia Petibon                                                                                                                                                                                              | P H IL HAR M ONISC HE B LÄTTER        13

     Eine Reise ins
                      INNERE
     Patricia Petibon mit Maurice Ravels »Shéhérazade«. Für die Sopranistin eine ausdrucks-
     starke Komposition mit sehnsuchtsvollem Ton, geformt aus französischer Poesie und
     orientalischem Klangkolorit.

                                                                                                                                                      © Felix Broede / DG

     Vielseitigkeit, Musikalität, gepaart mit Virtuosität sowie über-       »Lulu« erarbeitet. Geschickt ist es Patricia Petibon gelungen, eine     aus »1001 Nacht« in den Hintergrund. Für Patricia Petibon drückt sich      gehendes. Es geht nicht darum, Gefühle zu kopieren. Mein künst-
     wältigendes Charisma, das sind häufige Umschreibungen für eine         einseitige Ausrichtung ihres Faches zu vermeiden. Darüber hinaus        in dieser Komposition »Ravels französische Identität aus«: Durch die       lerisches Anliegen ist es, in eine Gefühlswahrheit vorzudringen und
     Künstlerin, deren außergewöhnliches Talent bereits bei ihrem           pflegt sie auch ein umfangreiches Konzertrepertoire, das durch zahl-    musikalische Gestaltung wird die literarische und imaginäre Seite jedes    mich selbst nicht zu belügen. Jeder Regisseur hat unterschiedliche
     erfolgreichen Debüt 1996 am Pariser Palais Garnier mit Rameaus         reiche CD-Aufnahmen (u.a. ihre Einspielung »Nouveau Monde«              einzelnen Wortes des poetischen Textes »modelliert«, wodurch Ravel         ästhetische Ausdrucksweisen, wichtig aber ist für mich immer die
     »Hippolyte er Aricie« die Aufmerksamkeit von Publikum und              mit Barock-Arien und Liedern mit »La Cetra« oder Poulencs Stabat        »die Poesie und Orchestrierung einander vermählt«.                         Suche nach einer tiefen Wahrheit.«
     Presse auf sich zog. Erst ein Jahr zuvor hatte Patricia Petibon ihre   Mater und Gloria mit dem Orchestre de Paris unter Paavo Järvi)          Singen erfordert nicht nur eine hohe Bereitschaft zur Identifikation mit
     Gesangsausbildung am Pariser Conservatoire National Supérieur de       dokumentiert wird.                                                      unterschiedlichsten Rollencharakteren; vielmehr bringt der Beruf des                                                   Christiane Plank-Baldauf
     Musique mit Auszeichnung beendet. Seither bildet das Barockfach,       Doch unabhängig davon, ob es sich um Opernfiguren oder Konzert-         Sängers zwangsläufig eine starke Reisetätigkeit mit sich: Regelmäßig
     insbesondere in ihrer Zusammenarbeit mit »Les Arts Florissants«        partien handelt, bildet die intensive Beschäftigung mit der Partitur    führen Engagements die Künstlerin an die Opern- und Konzerthäuser
     unter ihrem Leiter William Christie, Nikolaus Harnoncourt oder auch    und ihrer jeweiligen Klangwelt die notwendige Voraussetzung für         sowie an die Festivals von Paris, Wien, Salzburg, Baden-Baden, Mün-                                                   Philharmonie im
                                                                                                                                                                                                                                            11        12         12
     mit »La Cetra«, einen wichtigen Bestandteil ihres Repertoires.         ihre Interpretationsarbeit. Dabei will es die studierte Musikwissen-    chen, Genf, Aix-en-Provence, Luxemburg, Barcelona, Madrid u.a. Doch         OKTOBER   SAMSTAG   SONNTAG     SONNTAG
                                                                                                                                                                                                                                                                          Schauspielhaus
                                                                                                                                                                                                                                                                          Großes Haus
     Im Laufe der letzten Jahre hat sich das Repertoire der Sängerin        schaftlerin nicht beruhen lassen, denn erst in der Zusammenarbeit       für die Sopranistin knüpft sich das Gefühl von »zuhause« nicht an            2014
                                                                                                                                                                                                                                          19.30 11.00 19.30
                                                                                                                                                                                                                                                                          1. Konzert
     kontinuierlich erweitert und umfasst neben Mozart-Partien wie          mit anderen Kollegen und Dirigenten erfährt sie das Gespür für die      äußere Gegebenheiten. Die eigene innere Welt, der »innere Koffer«                        S1        S2         S3

     die Aspasia (»Mitridate, re di Ponto«), Giunia (»Lucio Silla«), das    Freiheiten, die die Musik benötigt, um ihre spontane Wirkungskraft      zählt. »Man lernt in diesem Beruf sehr schnell, sich an jeden Ort anzu-
                                                                                                                                                                                                                                 »ÜBER DIE GETREUE LIEBE UND IHR LEID« – Pohádka
     Blondchen (»Entführung aus dem Serail«), Donna Anna (»Don              zu behalten, als wichtigen Bestandteil der eigenen künstlerischen       passen, auch wenn es einem nicht immer leicht fällt. Es ist ein Prozess
     Giovanni«) oder die Susanna in (»Le nozze di Figaro«) auch zentrale    Arbeit.                                                                 der ständigen Anpassung und Veränderung«, so beschreibt es Patricia          ALBERT ROUSSEL »Le Festin de l’Araignée« –
     Werke des italienischen und französischen Faches. Dazu zählen etwa     In Maurice Ravels »Shéhérazade« ist es die Fülle musikalisch-           Petibon, »aber wenn man sich für dieses Leben entschieden hat und            Ballett-Pantomime op. 17
     die Euridice (»Orphée«), die Olympia (»Les Contes d’Hoffmann«),        sinnlicher Stimmungsbilder, die einen auf eine Art »Entdeckungs-        es auch leben kann, ist das ein Glück. Außerdem habe ich ein Kind –
                                                                                                                                                                                                                                 MAURICE RAVEL »Shéhérazade« – Drei Poeme für Sopran
     die Blanche (»Les dialogues des Carmélites«), die Titelpartie in       reise« nimmt. Die »Poèmes«, nach Gedichten des französischen            das hat Priorität in meinem Leben.«
                                                                                                                                                                                                                                 und Orchester nach Texten von TRISTAN KLINGSOR
     Massenets »Lakmé«, die Ophélie in »Hamlet«, aber auch die Norina       Dichters Tristan Klingsor, bestechen durch orientalisches Kolorit und   Petibons »Sehnsüchte« für die Entwicklung der nächsten Jahre
     (»Don Pasquale«) oder die Gilda (»Rigoletto«). Im deutschen Fach       farbenreiche Instrumentierung. Zur großen Überraschung des Dichters     richten sich v.a. auf Rollen mit starker Persönlichkeit, wie etwa die        JOSEF SUK »Pohádka« (Märchen) – Sinfonische Suite E-Dur op. 16
     hat sich die im französischen Montargis aufgewachsene Sopranistin      hat Ravel aus der Gedichtsammlung weniger die lyrischen, als viel-      Konstanze oder die Violetta in Verdis »La traviata«. Diese würde sie         Bertrand de Billy | Dirigent · Patricia Petibon | Sopran
     Partien wie die Zerbinetta in Strauss‘ »Ariadne auf Naxos«, die        mehr beschreibende Texte ausgewählt. Da die Figur Shéhérazade an        gerne mit Regisseuren erarbeiten, die einen Blick für den Körper und
     Sophie im »Rosenkavalier« oder auch die Titelfigur Alban Bergs         keiner Stelle erwähnt wird, rücken die konkreten Märchenerzählungen     das Charisma eines Sängers haben. »Gesang ist etwas sehr Tief-                    Sonntag 10.30 Uhr Probebühne:
14   PHILHARMONISCHE BL ÄTTER | WIEDERBEGEGNUNG | Vadim Gluzman                                                                                                                                                 Vadim Gluzman | WIEDERBEGEGNUNG | P H IL HAR M ONISC HE B LÄTTER   15

                                       Aus großer                                                                                                     ›Fernem Licht‹. Auch Vasks Musik wurzelt tief im Spirituellen«, sagt
                                                                                                                                                      Gluzman, der die Aufführung im Hygiene-Museum selbst leiten wird,

     Geigentradition –
                                                                                                                                                      bevor er sich in einem (zweiten) Konzert unter dem niederländischen
                                                                                                                                                      Dirigenten Reinbert de Leuuw in der Kreuzkirche Sofia Gubaidulinas
                                                                                                                                                      »Offertorium« widmet.
                                                                                                                                                      Die Stadt Dresden und ihre Musikkultur ist Vadim Gluzman wohl-
                                                                                                                                                      vertraut. »Ich trete seit mindestens 15 Jahren in der Stadt auf und

                                                                  Vadim Gluzman
                                                                                                                                                      habe viele Freunde gefunden. Sogar mein Geigenbogen wird hier
                                                                                                                                                      angefertigt.«

                                                                                                                                                                                                                Corina Kolbe

     Sein berühmtes Vorbild Isaac Stern brachte Vadim Gluzman einst die Kammermusik nahe. Erst durch
     das Zusammenspiel im Quartett sei er zum Solisten geworden, sagt der israelische Geiger, der in der
     Sowjetunion aufwuchs und heute mit bedeutenden Orchestern in aller Welt auftritt.
                                                                                                                                                                                      Philharmonie im Museum
                                                                                                                                                                   15
                                                                                                                                                                                      Deutsches Hygiene-Museum, Großer Saal
                                                                                                                                                       OKTOBER MITTWOCH
                                                                                                                                                        2014                          8. Dresdner Abend
     Gluzman wurde in der Ukraine geboren, kam mit seiner Familie aber       Minuten«, sagte er zu dem Jungen. Gluzman durfte zwei Stunden                       20.00
                                                                                                                                                                    H
     schon als kleines Kind nach Lettland. Mit sieben Jahren erhielt er in   bleiben und erhielt die Zusage für ein Stipendium.
     Riga den ersten Violinunterricht. »Als ich hörte, welches Instrument    »Als Stern mir jedoch sagte, ich sollte erst einmal Haydn studieren        »M EI NE M US I K I S T EI N C HO R AL « – Vasks
     ich an der Spezialschule lernen sollte, war ich erst einmal am Boden    und die zweite Geige im Quartett spielen, war ich schockiert.
     zerstört«, erinnert er sich. »Denn als Junge wollte ich unbedingt       Schließlich hatte ich als Solist schon mehrere Wettbewerbe                 JOHANN SEBASTIAN BACH
     Klavier, den König der Instrumente, spielen. Die Geige galt nur als     gewonnen.« Gluzman folgte dem Rat und entdeckte seine Liebe zur            Konzert für zwei Violinen d-Moll BWV 1043
     die Königin.«                                                           Kammermusik, die in der Sowjetunion einen schlechten Ruf hatte.            PETERIS VASKS
     Das sowjetische Ausbildungssystem war streng. Bei der Aufnahme-         »Heute weiß ich, dass diese Form des Kommunizierens die Basis für          »Fernes Licht« – Konzert für Violine und Streichorchester
     prüfung an der Schule untersuchten die Lehrer ausführlich seine         jegliches Musizieren ist. Nur deshalb kann ich mich überhaupt als          JOHANN GEORG PISENDEL
     Hände, um das passende Instrument zu finden. »Ich dachte erst,          Solist betrachten.«                                                        »Fantasie. Imitation des caractères de la danse« g-Moll
     sie wollten kontrollieren, ob meine Fingernägel sauber seien«,          Nach Studien in den USA, unter anderem bei Dorothy DeLay an der
                                                                                                                                                        DMITRI SCHOSTAKOWITSCH
     schmunzelt er. Kaum war die Entscheidung gefallen, wurden die           Juilliard School, erhielt Gluzman 1994 den »Henryk Szeryng Foundation
                                                                                                                                                        Kammersinfonie für Streichorchester c-Moll op. 110a
     Weichen für eine Solistenlaufbahn gestellt. »Bereits im ersten Schul-   Career Award«, der ihm den Weg zu einer internationalen Karriere
     jahr wusste ich, dass ich ein professioneller Musiker werden würde.     eröffnete. Inzwischen ist er regelmäßig mit renommierten Klang-            Philharmonisches Kammerorchester Dresden
     Zeit für spielerisches Lernen blieb mir nicht. Heute glaube ich, dass   körpern wie dem Chicago Symphony Orchestra, San Francisco                  Vadim Gluzman | Violine und Leitung
     dies ein Nachteil war.«                                                 Symphony, Israel Philharmonic, London Symphony Orchestra oder dem          Wolfgang Hentrich | Violine
     Vadim Gluzman hatte allerdings das Glück, Lehrer zu finden, die ihn     Leipziger Gewandhausorchester und mit Dirigenten wie Neeme Järvi,
     auf den richtigen Weg brachten. Zunächst studierte er in Lettland       Michael Tilson Thomas, Marek Janowski, Itzhak Perlman und Tugan
                                                                                                                                                                                      Philharmonie à la carte
     bei Roman Sne, dann in Paris bei Arkady Fomin. »Arkady hat genau        Sokhiev zu erleben. Er spielt die »ex-Leopold-Auer«-Stradivari aus dem                19
                                                                                                                                                                                      Kreuzkirche
                                                                                                                                                       OKTOBER   SONNTAG
     erkannt, was für mich als Musiker gut war. Drei Jahre lang ersetzte     Jahr 1690, eine Leihgabe der Stradivari Society Chicago.                   2014
                                                                                                                                                                 18.00
     er mir außerdem Vater, Mutter, Bruder und Schwester«, beschreibt er     Vadim Gluzman hat nicht nur Aufnahmen mit Werken von Bach,                            ALC
     das persönliche Verhältnis zu seinem Mentor, dem er später auch in      Beethoven, Brahms, Tschaikowsky oder Hindemith vorgelegt. Auch
     die USA folgte.                                                         als Interpret zeitgenössischer Komponisten wie Lera Auerbach und           ». . . DAS ER S TE W I R D ZUM L ETZTEN UND
     Mit seiner Familie, die jüdischer Herkunft ist, zog er als Teenager     Arvo Pärt konnte er sich international einen Namen machen, was er          DAS L ETZTE ZUM ER S TEN« – Gubaidulina
     nach Israel, wo er nach wie vor einen Wohnsitz hat. »Einen              auch bei seinem jetzigen Engagement in Dresden unter Beweis stellt.
                                                                                                                                                        GUSTAV MAHLER Adagio aus der Sinfonie Nr. 10 Fis-Dur
     Kulturschock habe ich nicht erlitten, es war für mich eher wie          »Es ist sehr wichtig, neue Musik zu fördern«, erklärt er. »Wenn wir
     eine Heimkehr«, erzählt Gluzman. »Die Vielfalt des Musiklebens          den Komponisten unserer Zeit kein Gehör verschaffen, werden wir            SOFIA GUBAIDULINA »Offertorium« Konzert für Violine
     und die große Offenheit haben mich stark geprägt.« Kurz nach            nie den nächsten Schostakowitsch entdecken.«                               und Orchester

                                                                                                                                                                                                                               © Marco Borggreve
     seiner Ankunft hörte er, dass in Jerusalem junge Musiker Isaac          Gemeinsam mit Wolfgang Hentrich spielt Gluzman auch Johann                 Reinbert de Leeuw | Dirigent · Vadim Gluzman | Violine
     Stern vorspielen durften. Er kam ohne Anmeldung und lief dem            Sebastian Bachs »Konzert für zwei Violinen d-Moll BWV 1043«.
     legendären Violinisten zufällig über den Weg. »Ich gebe dir fünf        »Ich sehe eine klare Verbindung zwischen Bach und Peteris Vasks                 ABENDKASSE Besucherservice Weiße Gasse 8
16   PHILHARMONISCHE BL ÄTTER |                                                                                                                             Reinbert de Leeuw | PORTRÄT I | P H IL HAR M ONISC HE B LÄTTER                    17

                                                                                         REINBERT DE LEEUW –
                                                                                                                               ein Dirigent der Musik unserer Zeit
                                                                                         So beschrieb der Komponist Mauricio Kagel den Dirigenten-Freund,          der seinen 1912 geschriebenen »Pierrot Lunaire« mit eben dieser
                                                                                         als dieser sechzig Jahre alt wurde. Am Gestus und an den Gesten           Zählweise ausgestattet hat. Zum Komponieren aber kommt Reinbert

       »...sich in Musik                                                                 des Jubilars hat sich seither nichts verändert. Auch seine Sorgen-
                                                                                         falten vor manch einer Aufführung sind genauso geblieben wie die
                                                                                                                                                                   de Leeuw so gut wie nie, die Zeit dazu fehlt ihm, die Muse vielleicht
                                                                                                                                                                   auch. Darüber klagten und klagen schon die renommierten Composer-

                 mit Haut und Haaren vertiefen«                                          Freudenfalten nach einem gelungenen Konzert. Reinbert de Leeuw
                                                                                         ist ein bemerkenswert skrupulöser Musikarbeiter und Mitarbeiter
                                                                                                                                                                   Conductor-Kollegen wie Gustav Mahler, Bruno Maderna, Pierre Boulez
                                                                                                                                                                   und Peter Eötvös, doch bei ihm liegt das Schwergewicht der Mitteilung
                                                                                         der Komponisten, wenn es um die reale Klanggestaltung ihrer               vorrangig im Bereich des Re-Kreativen, der Darbietung des mit
                                                                                         Partituren geht, wenn die auf Papier gesetzten Noten sich im Raum         musikalischen Mitteln und Möglichkeiten zu Sagenden.
                                                                                         als plastische Zeichen entfalten dürfen.                                  Das aber artikuliert er, der seit Jahrzehnten weltweit als Dirigent
                                                                                         Die Zahl der von ihm geleiteten Uraufführungen, wo auch immer auf         bedeutender Orchester und als Lehrender an namhaften Hochschulen
                                                                                         dem Erdball, ist immens. Viele davon haben in Holland stattgefunden.      wie auf Festivals unterwegs ist, auch als Pianist. Unter anderem hat
                                                                                         Hier gründete er vor genau vierzig Jahren das »Schönberg Ensemble«,       er die frühe Klaviermusik von Erik Satie auf Platte eingespielt. In
                                                                                         das seine Formation gewesen ist, mit der er seine Vorstellungen von       der Dresdner Philharmonie gastiert er aber als Dirigent, als jemand,
                                                                                         dem, was heutige Musik ist, woher sie kommt, was sie braucht und          der genau weiß, worauf es in den Werken ankommt, wie der ihnen
                                                                                         wohin sie geht, beispielhaft verwirklicht hat. Das ist nun wahrlich       eingeschriebene Sinn und Gehalt sinnlich und substanziell ans Tages-
                                                                                         nicht vorbei. Doch das 1974 ins Leben gerufene Ensemble hat sich          licht kommt, wie der Plan der Partitur zur klingenden Tat wird.
                                                                                         2008 etwas verändert und trägt seither auch einen etwas veränderten       »Tat«, so bemerkte Mauricio Kagel in seiner eingangs schon
                                                                                         Namen. Es heißt seit der Fusion mit dem für die Geschichte der neuen      erwähnten Geburtstagsrede, bedeute für Reinbert de Leeuw, »nur
                                                                                         Musik in den Niederlanden und anderswo ebenso bedeutsamen                 Musik, Musik machen, Musik hören, sich in Musik mit Haut und
                                                                                         »Asko Ensemble« nun »Asko|Schönberg«.                                     Haaren vertiefen«. Eben wie ein Löwe auf der Wildbahn, existenziell;
                                                                                         Und in dieser Konstellation arbeitet de Leeuw weiterhin an der            wie ein Löwe aus der Fabelwelt, wie ein König, der gerecht zu urteilen

                                                                  © Herzberger Artists
                                                                                         Musik unserer Zeit, die ja im Verständnis vieler von den Anfängen         weiß und seine Kenntnisse teilt. Mit allen, die zum Wesen der Musik,
                                                                                         der Moderne, also vor gut 100 Jahren bis gerade eben, reicht. Diese       des Konzerts dazugehören: die Komponisten und ihre Werke, die
                                                                                         Musik, ob nun neu, modern, aktuell oder zeitgenössisch, hat es meist      Interpreten und ihr Können, die Zuhörer und ihre Neugierde.
                                                                                         schwer. Sicher nicht deshalb, sondern aus ästhetischer Überzeugung
                                                                                         und Notwendigkeit, aus Liebe zur eigenen Zeit, engagiert sich Reinbert                                                               Stefan Fricke
                                                                                         de Leeuw, dem die Musik familiär nicht in die Wiege gelegt worden
       Dass Reinbert de Leeuw ein starker Löwe in Sachen zeit-                           ist, für sie. Fabelhaft kümmert er sich um jede einzelne Aufführung,
                                                                                         nicht minder um die Bildung eines Repertoires der Gegenwart. 2006
       genössischer Musik ist – und nicht allein in den Nieder-                          brachte das Schönberg Ensemble eine überaus stattliche Box mit                         19
                                                                                                                                                                              SONNTAG
                                                                                                                                                                                                    Philharmonie à la carte
                                                                                                                                                                                                    Kreuzkirche
                                                                                                                                                                    OKTOBER
                                                                                         eigenen Aufnahmen heraus. Das Gros der auf den 25 CDs und DVDs              2014
                                                                                                                                                                              18.00
       landen, wo er 1938 geboren wurde –, ist so richtig wie                            dokumentierten Kompositionen hat er dirigiert. Das Panorama dieser                      ALC
                                                                                         schönen Publikation ist weit und bunt, schillernd und fast lexikalisch:
       der kurze Ausflug in die Welt der Fabeln, die, denkt                               Die Zweite Wiener Schule, Janácek,ˇ Strawinsky, Milhaud, Stockhausen,       ». . . DAS ER S TE W I R D Z U M L E T Z T E N U N D
                                                                                         Henze, Messiaen, Antheil, Kagel, Rihm, Kurtág, Percy Grainger, Sofia        DAS L ETZTE ZUM ER S T E N « – Gubaidulina
       man an seine Physiognomie, vielleicht merkwürdig                                  Gubaidulina und auch Gustav Mahler sind vertreten.
                                                                                                                                                                     GUSTAV MAHLER Adagio aus der Sinfonie Nr. 10 Fis-Dur
                                                                                         Auch von Reinbert de Leeuw selbst, der höchst selten noch
       anmutet. »Hinter der Bühne, im Künstlerfoyer, schreitet                           kompositorisch tätig ist – in den sechziger/siebziger Jahren war er in      SOFIA GUBAIDULINA »Offertorium« Konzert für Violine
                                                                                                                                                                     und Orchester
                                                                                         dieser Hinsicht aktiver –, findet sich hier ein Werk. »Im wunderschönen
       eine rauchumhüllte, schlanke Figur seltsame Ellipsen                              Monat Mai« heißen seine »Dreimal sieben Lieder nach Schumann                Reinbert de Leeuw | Dirigent · Vadim Gluzman | Violine
                                                                                         und Schubert«, wobei der zählende Untertitel auch die Spur zu einem
       auf dem Boden hin und her ab.«                                                    dritten bedeutenden »Sch«-Komponisten legt, zu Arnold Schönberg,                  ABENDKASSE Besucherservice Weiße Gasse 8
18   PHILHARMONISCHE BL ÄTTER | DEBÜT | Timo Handschuh                                                                                                                                                                             | P H IL HAR M ONISC HE B LÄTTER                      19

     »Die ersten Momente                                                                                                                                  scannt seine Bewegungen und was er sagt. Deshalb sind die ersten

                                                                                     HEILIG…«
                                                                                                                                                          Momente immer heilig. Da muss man sofort überzeugen, was den
                                                                                                                                                          Gehalt der Musik angeht. Das muss ich blitzschnell körperlich

               sind immer                                                                                                                                 rüberbringen.

                                                                                                                                                          Die einen sagen, der Dirigent bestimme den Klang, andere
                                                                                                                                                          behaupten, jedes Orchester habe seinen eigenen Sound…
     Timo Handschuh vor seinem Debüt bei der Dresdner Philharmonie                                                                                        Große Orchester haben einen eigenen Klang, sicher. Aber das
                                                                                                                                                          lässt leider nach. Die ganz großen Orchester klingen leider immer
                                                                                                                                                          ähnlicher. Das hat auch etwas damit zu tun, dass wir die Musiker und
     Der gebürtige Schwarzwälder aus Lahr, Jahrgang 1975, studierte Orgel, Kirchenmusik und Dirigieren.                                                   Musikerinnen heute aus allen Herren Ländern rekrutieren. Anderer-
     2002 begann er an der Staatsoper Stuttgart als Korrepetitor seine Karriere. Seit der Spielzeit 2011 / 2012                                           seits wechseln Dirigenten heute ihre Posten oft schon nach zwei
                                                                                                                                                          bis vier Jahren. In einer so kurzen Zeit können sich ihre spezifischen
     ist er Generalmusikdirektor am Theater Ulm.
                                                                                                                                                          Klangvorstellungen nicht dauerhaft im Orchester ausprägen.

     Herr Handschuh, Sie dirigieren die Philharmonie mit Werken                   Stromrechnung bezahlt hat und die Bühne hell bleibt. Wenn ein
     von Górecki, Ravel und Poulenc. Wie bereitet sich ein Dirigent               Operndirigent am Abend in den Graben geht, weiß er nie genau,           Wo, würden Sie sagen, liegen Ihre besonderen Qualitäten als
     vor, wenn er einem Orchester das erste Mal entgegentritt?                    was geschehen wird. Mal kommt eine Kulisse zu früh, dann tropft         Dirigent?
     Zuerst muss ich mir anhand der Partituren ein Bild davon machen, wie         es auf einmal von der Bühnendecke. Dann ist der Kunstnebel zu           Ich glaube, ich bin ein intuitiver, natürlicher Musiker, also nicht so
     ich mir diese Musik vorstelle. Ich werde in der ersten Probe anfangen        stark und senkt sich in den Orchestergraben oder ein Sänger hetzt       kopfig. Ich denke nicht lange drüber nach, belehre die Musiker nicht,
     zu dirigieren und mir anhören, was das Orchester mir anbietet, und           30 Sekunden zu spät auf die Bühne, weil er in der Maske nicht fertig    sondern ich mache mit ihnen einfach Musik. Das steht für mich im
     das mit dem Klangbild vergleichen, das mir vorschwebt. Vielleicht            wurde. Es gibt immer wieder Dinge, die nicht vorhersehbar sind.         Vordergrund. Und das spricht die Musiker in der Regel gut an.
     werde ich etwas dazu sagen: hier mehr Parfüm, dort mehr Linie, Farbe         Das betrifft auch den Klangkörper selbst. Durch die Rotation im
     oder Zeit einfordern. Vielleicht spielt das Orchester aber bereits so, wie   Orchester weiß man nie, ob man die Musik genauso hinkriegt wie                                                  Interview: Verena Großkreutz
     ich es mir vorstelle. Ich lasse mich auch gerne mal vom Angebot des          geprobt oder wie es ein paar Tage zuvor war. Aber das macht den
     Orchesters überzeugen.                                                       Beruf auch so spannend: Dafür zu sorgen, dass die vielen Ebenen
                                                                                  der Musik, die Verbindung zwischen Graben und Bühne, mit der
                                                                                                                                                                                           Philharmonie im Museum
     Die Qualität eines Konzertabends hängt sehr davon ab, ob                     Theatermaschinerie zusammengehen.                                                    25
                                                                                                                                                                                           Deutsches Hygiene-Museum, Großer Saal
     die Chemie zwischen Dirigent und Orchester stimmt. Haben                                                                                              OKTOBER   SAMSTAG
                                                                                                                                                            2014                           1. Apéro-Konzert
     Sie schon vor einem Orchester gestanden, bei dem das nicht                   Die eigentliche Spannung entsteht immer erst in der Auf-                           20.00
                                                                                                                                                                                           1. Museums-Matinée
                                                                                                                                                                         H
     der Fall war?                                                                führung?                                                                                                 1. Blaue Stunde
                                                                                                                                                                       26         26
     Nein, das habe ich so gut wie noch nie erlebt. Ich fühlte mich bei den       Ja, der Abend selbst gibt den Kick, ob Konzert oder Oper. Durch das                SONNTAG    SONNTAG
     Orchestern bisher immer recht geborgen. Das Musizieren mit einem             Adrenalin, die Konzentration, das Atmen der Zuhörer hinter einem.                  11.00 17.00
     Orchester funktioniert wie in einer guten Ehe. Man kann sich an dem          In der Oper ist es auch die Dunkelheit im Graben. Die hat etwas                        H         H

     Abend wirklich nur hingeben, wenn man sich versteht, wenn man                sehr Mystisches. Nirgendwo ist das Knistern, der Moment, wo Kunst
                                                                                                                                                            »I N PO UL ENC W O HNEN ZW EI S EEL EN –
     Vertrauen zueinander hat. Klar wird das Ergebnis immer professionell         entsteht, so stark wie in der Oper.
                                                                                                                                                            DI E EI NES M Ö NC HS UND DI E EI NES L AUS -
     sein, wenn beide Partner professionell sind. Aber wenn irgendetwas
                                                                                                                                                            B UB EN. « – Rostand
     zwischen einem steht, dann wird das nie ein Abend werden, der Sie            Wie schafft man es als Dirigent eigentlich, wirklich jeden
     wirklich berührt, nie eine Sternstunde.                                      Musiker, jede Musikerin im Orchester anzusprechen?                        HENRYK MIKOŁAJ GÓRECKI
                                                                                  Über die Körpersprache kommuniziere ich mit den Musikern und              Drei Stücke im alten Stil für Streichorchester
     Sie sind seit der Spielzeit 2011 / 2012 Generalmusikdirektor                 inspiriere sie, ohne zu sprechen. Jeder Dirigent bringt dadurch Klang     Konzert für Cembalo und Streicher op. 40
     am Theater Ulm und seit 2013 / 2014 auch Leiter des Südwest-                 hervor, der einmalig ist. Der eine mag es kantig, energiegeladen
                                                                                                                                                            MAURICE RAVEL
     deutschen Kammerorchesters Pforzheim. Wie unterscheidet                      und konsonant, der andere hasst Einsatzgeräusche, bevorzugt den
                                                                                                                                                            »Ma mère l’oye« (»Mutter Gans«) – Märchensuite für Orchester
     sich für einen Dirigenten ein Opernabend vom Konzert?                        runden, weichen, dunklen Klang. Ich kann das ganze Orchester aber
                                                                                                                                                            Francis Poulenc
     Als Konzertdirigent kann ich das Ergebnis, das ich mit dem Orchester         nur kriegen, wenn ich einen starken musikalischen Willen habe.
                                                                                                                                                            »Concerto champêtre« für Cembalo und Orchester FP 49
     erarbeitet habe, am Aufführungsabend meist störfrei abrufen. Die             Gerade als junger Dirigent wird man immer erst mal durchleuchtet.
     Besetzung ist dieselbe wie in den Proben. In der Regel passiert              Innerhalb von 30 Sekunden bildet sich das Orchester – unbewusst           Timo Handschuh | Dirigent

                                                                                                                                                                                                                                                                      © Martin Sigmund
     im Konzert auch nichts, zumindest wenn das Konzerthaus seine                 natürlich – sein Urteil über den Dirigenten. Was hat der drauf? Es        Christine Schornsheim | Cembalo
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