Reinheimer Kirchen Evangelische Kirchengemeinde Reinheim - Ev. Kirchengemeinde ...
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Evangelische Kirchengemeinde Reinheim Reinheimer Kirchen enthält: 1. Pfarrer Dr. Walter Hotz, Reinheimer Kirchen in alter Zeit, hrg 1963 2. Pfarrer Dr. Walter Hotz, Baugeschichte der Dreifaltigkeitskir‐ che zu Reinheim 1856 1972, Heimatbote 1962, 17 3. Pfarrer Gerhard Siegert, Dreifaltigkeitskirche erstrahlt in neu‐ em Glanz, Gemeindebrief März 1999 4. Pfarrer Gerhard Siegert, Die neuen Kirchenfenster Einlassen auf persönliche Deutungsabenteuer, Gemeindebrief März 1999 5. Pfarrer Gerhard Siegert, Neuer Taufkerzenleuchter in der Drei‐ faltigkeitskirche, Gemeindebrief Juni 2002 6. Wilhelm Stuckert, Wieso steht die Kirche zwischen den Häusern ohne Friedhof und Friedhofsmauer? 7. HansGeorg Treblin, Der Versuch des Erhalts des Fachwerkturms 20092011; Erneut verschiefert: 2020 Die Rechtschreibung der Texte folgt den Vorgaben, Pfr. Dr. Hotz in alter deutscher Rechtschreibung, Pfr. Siegert in neuer Rechtschreibung
Pfarrer Dr. Walter Hotz Reinheimer Kirchen in alter Zeit Sonderdruck aus dem „Heimatboten für die evangelische Gemeinde Reinheim/Odw.“ IX. Jahrgang, 111, mit 8 Tafeln und 5 Abbildungen im Text
Die Stadtpfarrkirche zur heiligen Dreifaltigkeit 1611 1856 Die Hill’schen Pläne Pläne zwischen 1765 und 1772 entstanden sein. Anlass zu dieser Abhandlung gab die Auffin‐ dung von 6 Plänen des 18. Jahrhunderts zum Die Hill’schen Pläne beantworten eine Reihe Umbau der Reinheimer Kirche, auf die mich offener Fragen bezüglich der äußeren Gestalt Prof. Dr. Fritz Arens, Mainz, freundlicherwei‐ und der inneren Einrichtung der alten Rein‐ se aufmerksam machte. Die Pläne befinden heimer Kirche, die bis zu ihrem Umbau 1856 sich im Besitz der Hessischen Landes und durch 245 schicksalsreiche Jahre hindurch ih‐ Hochschulbibliothek zu Darmstadt 1). rer Bestimmung gedient hat. Sie machen Es sind 4 Grundrisse, von denen je 2 ziemlich auch deutlich, dass die Arbeiten von 1856/57 übereinstimmen, und 1 Schnitt des Gebäudes sich an den vorhandenen Grundriss und Be‐ sowie 1 Schnitt mit Aufriss der Gebälkkon‐ stand hielten und nicht, wie man gemeint hat, struktion über dem Chor. Die maßstäblich ge‐ einen völligen Neubau darstellten. zeichneten, farbig getönten Blätter stammen Unsere heutige Kirche gehört in ihren Um‐ nach Ausweis ihrer Signaturen von der Hand fassungsmauern und mit ihrem wahrzeichen‐ des hessischen Ingenieurleutnants Johann Ja‐ haften Turm noch größtenteils dem 17. kob Hill ²). Er dürfte sie nicht nur ausgefer‐ Jahrhundert an. Im Folgenden darf eine die tigt, sondern auch entworfen haben, zumal er bisherige Kenntnis zusammenfassende und von 1750 ab im fürstlichen Bauamt unter den ergänzende Darstellung der Baugeschichte Architekten Karger, Mann und Schuknecht unseres Gotteshauses gegeben werden. arbeitete. 1765 wurde Hill zum Ingenieur‐ leutnant befördert, aber 1772 infolge von Zu‐ Der Bauplatz, die Mittel sammenstößen mit seinen Vorgesetzten und das Material entlassen. Nach seiner Rehabilitierung wurde er 1785 als Kommandant auf die Marksburg Bei Einführung der Reformation 1527 blieb versetzt, wo er 1802 gestorben ist. Auf einem die außerhalb der Stadt auf der Höhe des heu‐ Blatt nimmt Hill Bezug auf die „neu erbaute tigen Friedhofs gelegene Nikolauskirche als Kirche zu Pfungstadt", die 1752 vollendet Pfarrkirche in Benutzung. Doch regte sich in war. Da er auch seinen Dienstgrad „Inge‐ der „angewachsenen Bevölkerung“ von nieurleutnant" nennt, dürften die Reinheimer Reinheim der begreifliche Wunsch, eine neue
und größere Kirche in ihren Mauern zu er‐ und Roden, Eisen vom Michelstädter Ham‐ halten. Landgraf Ludwig V. entsprach diesem mer. Größere Posten an Nägeln wurden in Begehren, indem er am 10. März 1610 den Frankfurt gekauft. Leinöl beschaffte man in Bürgern zu Reinheim die dem Fürstenhaus GroßBieberau und Reichelsheim, Farbe in als erledigtes Lehen zugefallene Hofreite des Darmstadt, Frankfurt und Dieburg. 5) Hans Werner Kalb, der 1574 als letzter seines Namens und Zeichens verstorben war, „zur Für das zeitige Frühjahr – März/April – 1610 Aufrichtung einer neuen Kirch und Schu‐ sind in der Baurechnung verschiedene Bo‐ len . . . gnädiglichen verwilligte und erblich tengänge nach Darmstadt erwähnt: jeweils 2 schenkte“ ³). Mann werden zum Landgrafen geschickt Dazu gab er der Stadt Geld nicht nur für die „wegen der Erbverschreibung über die Kir‐ Durchführung der bald danach beginnenden chen“, die „sie auch damals bekommen“, Arbeiten, sondern er dachte auch an die wofür die Stadt eine besondere Danksagung künftige Pflege des Gebäudes; er erwarb überbringen lässt; ferner zum Sekretarius, wo einen Teil des großen „Sees" (das ist der sie 300 Gulden (fl) und „die Erbverschrei‐ Reinheimer Teich) und bestimmte den Erlös bung über die neue Kirchen“ in Empfang für die Zwecke des Kirchenbaus und seiner nehmen können. Instandhaltung. Damit wurde die heute noch bestehende Baupflicht der Stadt Reinheim Damit der Bau beginnen kann, kommt der begründet 4). fürstliche Baumeister aus Darmstadt und vermisst den Platz. Dieser liegt dicht an der Die Mittel des Landgrafen reichten aber nicht Stadtmauer, neben dem Obertor und dem aus für den Neubau einer Kirche, darum ent‐ großen Turm. Auf dem Gelände steht ein lieh die Stadt weitere Gelder in Griesheim, zum Abbruch bestimmter „alter Bau“. Erzhausen, Seeheim, Kelsterbach, Darmstadt und Lichtenberg. Eine Reihe von Baumate‐ Der Baumeister und die Werkleute rialien, besonders Holz lieferten die Nach bargemeinden, öfter kostenlos. Die Baupläne werden in Darmstadt entwor‐ Floßholz bezog man aus Stockstadt a. Rh., fen. Ein Abgesandter von Reinheim sucht Eichenholz aus Meßbach, Nonrod und Hau‐ dort den Baumeister auf und holt bei ihm sen, Rüstholz aus Wembach, geschnittene „den Abriss der Kirchen“. Der Baumeister Bretter aus Seligenstadt. Die pfälzische Ob‐ kommt zum zweiten Male nach Reinheim, rigkeit zu GroßUmstadt genehmigte die wo er während zweier Tage „die Werkleut zollfreie Ausfuhr von Kalk; weißer Kalk der Kirchen vorgehabt, ihnen alles verliehen: wurde in dem hessischen Zwingenberg er‐ das Fundament und die Rost aufgerissen und worben. Steine brach man in der Lengfelder alles mit ihnen richtig gemacht“. „Kauten", Backsteine kamen aus Dieburg Es werden Verträge („Weinkauf") mit Mei‐
ster Jacob, „dem welscher Maurer“, Meister der Meister aus Dieburg und GroßUmstadt Jacob Weitzel, dem Zimmermann zu Rein‐ besorgt. Der Turm wächst weiter in die Hö‐ heim, Meister Bernhard Fadin, dem Stein‐ he. metzen zu Dieburg geschlossen. Der Alle gehauenen Steine werden in der Leng‐ Steinmetz, dem auch das Bearbeiten des Por‐ felder „Kauten“ geholt. Das Verlegen des tals, der Gesimse und Bogenprofile obliegt, oberen Gesimses bildet den vorläufigen reist eigens nach Darmstadt, wo er „bei dem Abschluss, wobei wenigstens auf der Ostsei‐ Baumeister gewesen und aller Handlung des te über den noch heute sichtbaren Kragstei‐ Baues mit ihm abgeredt“. Der hohe Grund‐ nen eine Dachgaube angebracht war. Sie wasserstand macht die Verlegung von Pfahl‐ wurde beim späteren Ausbau beseitigt. rosten nötig. Unter dem Chor bereitet die Arbeit keine Schwierigkeit, doch haben die Zum erneuten „Weinkauf“ über die Innenein‐ 40 Mann, die für die übrige Kirche den Rost richtung der Kirche versammelt der Bau‐ legen, „wegen des Wassers große Mühe“. Der meister „Glaser, Maurer, Steinmetz, Aufbau kommt rasch voran und ist am 4. Au‐ Schreiner, Tüncher alle miteinander“. Der gust 1610 im Mauerwerk fertig. Dann gehen Rechnungsführer notiert ein Zehrgeld von 4 die Zimmerleute an die Arbeit, so dass bald fl 25 alb „wie der Baumeister mit einem die Dachstühle über dem Hauptbau und dem Pferd und Diener allhier gewesen, obgemeld‐ Chor nacheinander aufgeschlagen werden ten Handwerksleuten ihre Arbeit verliehen können. Beim Richtfest wurde von den betei‐ und die Stühl in der Kirchen abgeteilet und ligten Handwerkern und den eingeladenen mit dem Turm zu tun gehabt". Nachbarn tüchtig getrunken. Zum „vorders‐ ten Kirchenbau" wurde ein Maß Wein auf Die Kirchenfenster liefert Merden Daubhen‐ den Kopf bewilligt, „dieweil sonst keiner von ne von Darmstadt, in die Schreinerarbeit tei‐ wegen der großen Höhe hinauf können stei‐ len sich die Reinheimer Meister Velten Buller gen". Auch der Turm wird in Angriff genom‐ und Stoffel Vorch. Die Schlosserarbeit führt men. Der Baumeister verdingt ihn bei seinem Meister Nickel Moller zu GroßUmstadt aus, dritten Aufenthalt „in Beisein von Pfarrer, als Weißbinder und Tüncher wird Hans Schultheiß, Bürgermeister“ an den Stein‐ Meyerer zu Dieburg genannt, ein weiterer metzmeister Bernhard Fadin. Tüncher (vielleicht auch Stukkateur) wird aus Am Ende des Jahres wird eine verbaute Darmstadt geholt. Die Kirche erhält eine fla‐ Summe von 1690 fl, 15 albus und 2 denare che Decke, die von einem Längsbalken ge‐ abgerechnet. tragen wird. Zu seiner Unterstützung kommt mitten im Raum eine große Säule zu stehen. Im zweiten Baujahr wird das Dach durch Der Baum dazu wird auf der Altscheuer ge‐ Meister David Geych aus Darmstadt gedeckt. fällt und von den Illbachern nach Reinheim Obenauf kommen zwei zinnerne Knäufe, die gebracht; „ist ein schwer Fuhr gewesen und
hat die Wagen zerbrochen". Die Schriften, die te Baukörper mit sparsam aber klug verteil‐ in der Kirche angebracht werden – Bibelwor‐ tem Schmuck sinnvoll akzentuierte. te und vielleicht auch Angaben über den Bauherrn, Landgraf Ludwig V. – entwirft der Einweihung und weiterer Ausbau Schulmeister von NiederRamstadt. Im 2. Baujahr werden 2018 fl 16 alb 5 d veraus‐ Als die Kirche soweit vollendet war, dass sie gabt, so dass der Bau insgesamt rund 3710 für den Gottesdienst benutzt werden konnte, Gulden kostet. wurde sie am 22. Dezember 1611 durch den Darmstädter Superintendenten D. Henrich Soviel Handwerker auch in der Baurechnung Leuchter auf den Namen der hl. Dreifaltigkeit aufgeführt werden, der Name des Baumeis‐ eingeweiht. Seine Predigt über den 122. ters selbst kommt nicht vor. Nach Lage der Psalm hat Balthasar Hofmann „der Stadt zu Dinge kann es aber nur der Leiter des fürstli‐ Ehren und zum Gedächtnis in Druck verfer‐ chen Bauamts zu Darmstadt sein. Der war tigen lassen" 7). damals Jakob Wustmann, als sein Mitarbeiter Aus dem Protokoll der Kirchenvisitation von wirkte Martin Kersten 6). Wustmann hatte 1618 ergibt sich, dass die Reinheimer Kirche sich als Hofzimmermeister unter dem land‐ „noch nicht ausgebauet ist, kein Helm auf gräflichen Architekten Jakob Kesselhut vor dem Turm, nur ein schlecht Dach, dabei allem auf Schloss Lichtenberg bewährt. Er nimmt das Inwendige Holzwerk Schaden wurde Kesselhuts Nachfolger und leitete seit vom Wetter ... Auch sind an den Fenstern viel den 90er Jahren des 16. Jahrhunderts das Scheiben entweder zerbrochen oder gar hin‐ Bauamt. In dieser Eigenschaft hat er mehrere weg ... der Kirchbau zu Reinheim hätte viel Profanbauten, darunter das Darmstädter Rat‐ gekostet, sie sollten ihn nicht also verderben haus, errichtet. Aber auch im Kirchenbau war lassen" 8). Die harten Heimsuchungen des er tätig. Mit Sicherheit lassen sich ihm zuwei‐ 30jährigen Krieges vereiteln aber alle weite‐ sen die Kirchen von Schwanheim (1618/20), ren Baumaßnahmen. Leeheim (1620/21) und vor allem Nidda (1616/18), wo er den fehlerhaft begonnenen Erst in den 60er Jahren kann Pfarrer Johann Bau eines italienischen Meisters größtenteils Adolf Rühel an die Wiederherstellung des abbrechen und nach eigenen Entwürfen zu Gebäudes und den Ausbau des Turms den‐ Ende führen musste. Von diesen Kirchen hat ken, nachdem es ihm 1659 gelungen war, der sich nur Nidda in den Formen ihrer Erbau‐ Gemeinde neue Glocken zu beschaffen 9). ungszeit erhalten. Sie zeigt sowohl in den Wieder wird der fürstliche Baumeister zu Proportionen wie im Detail die gleichen Stil‐ Darmstadt mit der Arbeit beauftragt. Es ist merkmale, wie sie auch Reinheim aufzuwei‐ jetzt Johann Wilhelm Pfannmüller. Er liefert sen hatte. Wustmann bewies sich als 1666 zwei Skizzen zur Turmbedachung nebst Architekt, der sachlich klare, zweckbestimm‐ Kostenanschlägen (Abb.). Man entscheidet
sich für den gestuften Helm, dessen Gliede‐ Die Reinheimer Kirche wurde in nordsüdli‐ rung dem Reinheimer Kirchturm seitdem sei‐ cher Richtung als Saalkirche mit angebautem nen charakteristischen Umriss verleiht. Über dreiseitig geschlossenen Chor errichtet. Der einem Fachwerkgeschoss, das die Glocken‐ Turm auf quadratischem Grundriss steht in stube enthält und mit einem geschweiften einer Flucht mit der Giebelwand und springt Dach gedeckt ist, erhebt sich eine vierseitige in die Nordostecke des Kirchenschiffes ein. Laterne, die den spitzen Helm trägt. Ur‐ (Abb.). Die Eigentümlichkeit des beengten sprünglich war die obere Haube ebenfalls ge‐ Bauplatzes hatte eine Achsenverschiebung schweift, wie man auf der einzigen des Raumes zur Folge: der Chor war nach überlieferten Stadtansicht des 17. Jahrhun‐ Westen gerückt und schloss bündig an die derts erkennen kann. Baumeister Pfannmül‐ Westmauer des Schiffes an. Da das Portal auf ler fertigte von der Turmbekrönung ein den Chorschluss bezogen war, lag es nicht Holzmodell an, nach dem 1668 Tiroler unter dem Giebelscheitel der Eingangseite. Handwerker Oberstock und welsche Haube Die Fenster, deren Höhe und senkrechte Glie‐ ausführten. derung aus den Hill'schen Plänen ersichtlich ist, waren wohl wie zu Nidda rechteckig und Aus dem 18. Jahrhundert wird lediglich der in der Regel durch einen Mittelpfosten (mit Einbau von Emporen („Borbühnen") 1712 einer Querstrebe?), an drei Fenstern auch und 1716 erwähnt, „dieweilen die Kirche zu durch zwei Mittelpfosten, unterteilt. eng geworden". Um eine Vermehrung der Plätze in der Kirche war es auch den Hill‐ Zwei Eingänge führten in die Kirche: das ’schen Plänen zu tun. Sie zogen bereits eine Hauptportal von der Straße her und eine Ne‐ Lösung in Betracht, die dann 1856 radikal benpforte auf der Ostseite. Das dekorative durchgeführt wurde, nämlich die Erweiterung Schmuckstück des Äußeren war das Haupt‐ des Raumes durch Abbruch des Chorbogens portal. Es dürfte eine rechteckige Türöffnung und der einspringenden Südostecke. besessen haben, die von zwei Säulen auf Die Bauarbeit am Turm, die zur Beseitigung würfelförmigen Sockeln flankiert war. Ihre der barocken Dächer und zur Verschieferung Kapitelle trugen profiliertes Gebälk, wahr‐ des Fachwerks führte, lässt sich aktenmäßig scheinlich unterbrochen durch ein nicht belegen. Sie muss um 1800 erfolgt sein. ornamentiertes Zwischenfeld. Als Bekrönung darf ein Wappenstein zwischen Rollwerk ver‐ mutet werden. Die Kapitelle der Säulen sind noch vorhanden: eines befindet sich im Hei‐ matmuseum, das zweite wurde 1954 im Die Gestalt der Kirche und ihre Kirchturm gefunden. Die von Meister Bern‐ Ausstattung hard nach dem Entwurf des Baumeisters aus‐ geführte Arbeit hat handwerkliches Gepräge.
Kruzifix vom Ende des 17. Jahrhunderts und Lesepult in der Dreifaltigkeitskirche zu Reinheim
Der runde Kapitellkern wird von einfachen Chorbogen, wie ihn der Hill'sche Querschnitt Blattornamenten überzogen, die sich zwi‐ (Abb.) zeigt. schen zwei kräftig ausgebildete Voluten Die Decke ruhte auf einem Unterzug, der mit‐ schieben. Möglicherweise gehörte auch die ten im Kirchenschiff durch die erwähnte an einer Hauswand der Kaplaneigasse einge‐ große Säule unterstützt wurde. Der Altar stand mauerte aus der Bauzeit der Kirche stam‐ auf einem vorspringenden Podest am Eingang mende steinerne Muschel zum Portalaufbau. zum Chor. Davor befand sich der Taufstein. Ein genaues Seitenstück zum Reinheimer Die Kanzel war an der Westwand vor dem Kirchenportal ist das Seitenportal des Darm‐ Chorbogen angeordnet und über sieben Stu‐ städter Rathauses, das ebenfalls von Wust‐ fen durch eine Tür in der Bogenwand zugäng‐ mann geschaffen wurde. lich. Der Chorraum war hauptsächlich der Kirchenmusik vorbehalten. Hier saß vor der Sakristei die Schuljugend, die ja im Gottes‐ Das Innere der Kirche stellte einen weiten, dienst zu singen hatte. Eine schmale Treppe flachgedeckten Saal dar, an dessen Nord und führte hinauf zur Orgelempore. Ostwand Emporen entlang zogen. Der Raum wurde beherrscht durch einen großen runden Die Form der Kanzel lässt sich nicht mehr
mit Sicherheit ermitteln. Sie besaß einen spekt ist mit zwei posaunenblasenden Engeln achtseitigen Korpus und einen Schalldeckel. und der Initialkartusche Landgraf Ludwigs Auf dem Hill’schen Plan ist sie mit VIII. (17391768) geschmückt und gehörte Dekorationsformen des 18. Jahrhunderts ver‐ zu einem Werk, das der Orgelbauer Köhler sehen, namentlich der Schalldeckel zeigt rei‐ aus Frankfurt 1750 erstellt hatte. che Blütenschnüre und eine krönende Diese Orgel hatte in Manual und Pedal 17 Flammenvase. Es ist aber zweifelhaft, ob die‐ Register. In einem Gutachten, das der Fried‐ se Kanzel zur Ausführung kam. An der Wand berger Orgeltechniker und Seminarlehrer war eine Sanduhr angebracht. Der geschnitz‐ Thum am 22. März 1858 erstattete, ist fol‐ te Engelkopf im Heimatmuseum könnte von gende Disposition angegeben: der alten Kanzel herrühren. Manualstimmen: Auch der alte Taufstein ist nicht mehr vor‐ 1. Prinzipal 8 fuß handen, er wurde 1857 bei der Versteigerung 2. Quintaton 16 fuß von Abbruchmaterial dem Bauaufseher 3. Viola di gamba 8 fuß Christ überlassen. Er dürfte so ähnlich ausge‐ 4. Gedackt 8 fuß sehen haben wie der Taufstein zu Höchst, der 5. Oktav 4 fuß 1611 gestiftet worden ist. Der blockförmige 6. Flauto traverso 4 fuß Altar scheint keinen Zierat besessen zu ha‐ 7. Waldflöte 2 fuß ben. 8. Oktav 2 fuß 9. Nasat 2⅔ fuß Besonderes Augenmerk verdient das holzge‐ 10. Sexquialtera baß schnitzte Kruzifix, das sich seit 1950 wieder Sexquialtera diskant in der Kirche befindet, eine ordentliche Arbeit 11. Mixtur 3fach, repetirt auf kl c c' eines handwerklich denkenden Meisters aus 12. Trompete 8 fuß mit aufschlagenden Zungen dem ausgehenden 17. Jahrhundert. Es war von Geh.Rat J. Jonas Mylius gestiftet und Pedalstimmen: wurde einem Dekret des Konsistoriums vom 13. Subbaß 16 fuß 3. Dezember 1711 zufolge in der Kirche auf‐ 14. Violonbaß 8 fuß gestellt. Seinen alten Platz kennen wir nicht. 15. Oktavbaß 4 fuß 16. Posaunenbaß 16 fuß Das beste Ausstattungsstück der Kirche aber hierzu kommt noch war der fünfteilige Orgelprospekt des Darm‐ 17. Tremulant städter Hofbildhauers Johann Paul Eckhart aus dem Jahre 1752. Unter dem alten Chorbogen hat sich dieser Vergoldet hat ihn der Darmstädter Hofmaler Orgelprospekt harmonisch dem Kirchenraum Johann Christoph Kastner. Der elegante Pro‐ eingefügt (Abb.). Er gereicht auch der heuti‐
gen Kirche zur Zierde. Grabstätte. Im Chor und im angrenzenden Südteil des Schiffes sind folgende Gräber Die evangelischen Kirchen des 17. und 18. nachweisbar 11): Jahrhunderts erhielten ein eigenartiges Geprä‐ ge durch die „Stühle" für Adel und Standes‐ 1. Magister Conrad Hack, Pfarrer zu personen. Sie bildeten regelrechte Verschläge, Reinheim, der die Kirche hatte erbauen las‐ manchmal glichen sie Buden mit eigenen Tü‐ sen, wird hier begraben am 30. September ren und Fenstern. Reinheim besaß sechs sol‐ 1613. cher Stühle: den Prediger und den 2. Maria Catharine Küchenmeister, Kaplaneistuhl beiderseits der Kanzel auf der geb. von Mosbach, am 25. April 1690. Westseite, die Stühle des Schultheißen, des 3. Sophie Elisabetha von Öbschelwitz, Pfarrers, des Oberamtmanns von Pöllnitz auf Gattin eines sächsischen Hauptmanns am 9. der Ostseite und den Stuhl des Majors Rutz in Februar1694, ihr Kind 1695. der Nordostecke beim Turm. Am geräumigs‐ 4. Anna Margarethe von Schröder am ten war der Pöllnitzstuhl. Er war völlig abge‐ 25. März 1729. schlossen und enthielt sogar einen Ofen. Am 2. 5. Ihr Gemahl Jacob Frh. von Schrö‐ Sonntag nach Epiphanias 1779 verursachte der, Besitzer des Mosbachischen Guts am 13. dieser während des Gottesdienstes einen Juni 1729. Brand, dem beinahe die Kirche zum Opfer ge‐ 6. Das 2jährige Kind Ludwig Wilhelm fallen wäre, und wurde daraufhin entfernt. In Moritz Adam von Pöllnitz am 18. April 1742. den Hill’schen Plänen ist er noch eingezeich‐ (Die Ortsangabe des Sterbeeintrags lässt er‐ net 10). kennen, dass der Pölnitzstuhl früher im Chor stand.) Wichtig für das Raumbild der Kirche war 7. Christiane Charlotte Frf. von Pöll‐ auch die Gestaltung der Decke. Sie war ver‐ nitz, geb. von Maskowski, am 18. Mai 1745. mutlich in ihrer ganzen Fläche in geometri‐ 8. Anna Margarethe Zickwolf, Pfarr‐ schen Formen, ähnlich der zu Nidda, frau, am 25. April 1752. stuckiert. Dass der Chor eine flache Stuckde‐ 9. Christian Ernst Moritz von Pöllnitz, cke hatte, geht aus der Legende eines Oberamtmann und Burgherr zu Reinheim, Hill'schen Planes hervor, wonach das erwei‐ am 7. April 1761. terte Gebälk über dem Chor so zu gestalten 10. Christian Henrich Zickwolf, Pfarrer sei, dass es gelinge, „die Stukkaturarbeit im und Metropolitan, am 12. Oktober 1769. Chor zu konservieren". Bruchstücke des De‐ ckenstucks wurden 1960 beim Ausschachten Es ist möglich, dass auch im 30jährigen des Chorraums gefunden. Krieg Beisetzungen von Adelspersonen, etwa aus der Familie Mosbach, in der Kirche statt‐ Die alte Reinheimer Kirche diente auch als fanden, die nicht aufgezeichnet sind. Bei den
Erdarbeiten im Chor 1950 stieß man auf zwei dem Kultus und der Kirchenmusik genügend gemauerte Gräber. Leider hat sich von den si‐ Raum vorbehalten blieb, was schon vom cher vorhandenen Grabdenkmälern nichts er‐ Grundriss her sichtbar wird, in würdiger und halten. schöner Weise verkörpert. Würdigung Anmerkungen: Man darf sagen: die alte Reinheimer Stadtkir‐ 1) Abt. Pläne und Karten, Mappe 28,6 B11. che war ein schlichtes, keineswegs kunstlo‐ mit ausführlicher Legende. U. a. ist die See‐ ses, in seiner Turmarchitektur sogar lenzahl von Reinheim mit 696, die von Über‐ eigenwilliges Bauwerk, das unter den frühen au mit etwa 300 angegeben. Maße in Fuß. evangelischen Kirchenbauten der Landgraf‐ 2) Gg. Haupt, Die Bau und Kunstdenkmäler schaft Hessen mit Anerkennung genannt wer‐ der Stadt Darmstadt I, Dst 1952 S. 21 f. J. J. den darf. Sie hat den Typus einer Hill, geb. 1730 zu NiederRamstadt, gest. protestantischen Predigtkirche, in der auch 1802 auf der Marksburg.
3) W. Diehl, Baubuch f. d. ev. Pfarreien d. Landgrafschaft HessenDarmstadt, Dst. 1931, S. 56 f. 4) Diehl, Baubuch, S. 59. 5) Baurechnung der Stadtkirche zu Reinheim 1610/11, im Ev. Pfarrarchiv Reinheim, aus der auch die folgenden zitierten Angaben ent‐ nommen sind. 6) Kunstdkm. Darmstadt S. 19. Gg. Haupt vertrat in früherer Korrespondenz d. Verf. ge‐ genüber die Meinung, dass Kersten der Bau‐ meister d. Reinh. Kirche sei. Inzwischen bin ich überzeugt, dass hierfür nur Wustmann in Betracht kommt. 7) Abgedruckt im „Heimatboten" 1933, 343. 8) Stadt Reinheim im Odenwald (Festbuch) hrg. v. W. Schröder, Rhm. 1950, S. 19. 9) „Heimatbote" 1955/12 und 1956/11 u. 12. 10) Eine größere Veränderung der Stühle fand 1753 statt. „Der Herr Oberamtmann verlang‐ te, um der Kälte willen einen ganz wie eine Stube zugemachten Stuhl mit einem Ofen." (Protocollum pastorale, Seite 127, Pfarrarchiv Reinheim). Der Pöllnitzstuhl war erblich. 11) Heimatbote 1937, 3337. zusgest. v. Th. Meisinger.
Die alte Pfarrkirche St. Nikolaus auf dem Berge Als im Jahre 1276 Reinheim als „municio Teilen „Hohe Straße" genannt wird, und Rinheim" zum ersten Mal unter seinem der mit der mächtigen Reinheimer „Hohl", heutigen Namen auftaucht, ist von einer die erst durch die Feldbereinigung zuge‐ Kirche keine Rede. Auch 1300, als das schleift wurde, in den Talgrund mündete. „oppidum", die „Stadt" Reinheim genannt Die Nikolauskirche bezeichnete aber auch wird, und 1318, als von der „Stadt" und die höchste Stelle eines Lößhangs, der, wie von „Bürgern" gesprochen wird, erfahren gerade die Erschließung des dortigen Bau‐ wir nichts über das Vorhandensein eines geländes während der letzten Jahre ergeben gottesdienstlichen Gebäudes. Aber bereits hat, seit der jüngeren Steinzeit besiedelt 1331 wird ein Pfarrer von Reinheim be‐ war. In der Umgebung der Kirche haben kannt. Er ist ein in der Landesgeschichte wir überhaupt das Dorf zu suchen, das der bedeutender Mann: Graf Gottfried von Stadtgründung durch die Grafen von Kat‐ Waldeck, zugleich Kanonikus zu Mainz, zenelnbogen vorausging. Wäre die Niko‐ dem die Vormundschaft für den Grafen lauskirche erst erbaut worden, als man Wilhelm II. von Katzenelnbogen übertra‐ Reinheim planmäßig anlegte und mit Mau‐ gen war.1) Wir können aus diesem Um‐ ern und Gräben umgürtete, hätte man sie stand, dass damals bereits die Pfarrei nicht außerhalb des geschützten Stadtbe‐ Reinheim existierte und offensichtlich zu zirks errichtet. Da sie aber vorhanden war, den bedeutendsten Pfründen in der Ober‐ konnte man sie übernehmen und als Pfarr‐ grafschaft Katzenelnbogen zählte, mit Si‐ kirche ausstatten. cherheit auf das Vorhandensein einer diesem Range entsprechenden Kirche Die Nikolauskirche besaß wenigstens zwei schließen. Sie müsste dann etwa 1300 Altäre, von denen einer St. Jost, der andere gleichzeitig mit der Anlage des befestigten Maria zu Patronen hatte. Letzterer war der Platzes entstanden sein. Frühmessealtar.2) Nach Einführung der Re‐ formation 1527 diente die Kirche bis zum Es spricht jedoch einiges dafür, dass die al‐ Jahre 1611, als die neu erbaute Dreifaltig‐ te Reinheimer Pfarrkirche, welche St. Ni‐ keitskirche in der Stadt ihrer Bestimmung kolaus geweiht war, bereits vor der ersten übergeben wurde, auch als evangelische geschichtlichen Bezeugung des Ortes be‐ Pfarrkirche. Dann war sie noch als Fried‐ standen hat. Sie lag auf einer Anhöhe ober‐ hofskapelle in Benutzung, in der aber re‐ halb des Gersprenztales, dicht bei dem gelmäßig Leichenpredigten gehalten uralten Überlandweg, der heute noch zu wurden. Auch den 30jährigen Krieg hat sie
leidlich überstanden. Der große Verfall be‐ das Pflaster, auch ein Grabstein aufgeho‐ gann erst im späten 17. und im 18. Jahr‐ ben, und die Kanzel selbst herunter gewor‐ hundert. Schon 1676 muss Pfarrer Johann fen worden." So betrüblich auch die Adolf Rühel Verhöre anstellen, weil „et‐ geschilderten Verhältnisse sind, so gibt uns liche Mägde in der Nikolauskirche unge‐ dieser Schriftsatz eine erste Darstellung bührliche Händel getrieben" haben sollen. vom Aussehen der Kirche. Im Laufe der Pfarrer Georg Sann führt in einem Bericht Jahre nahm das Zerstörungswerk rasch sei‐ vom 22. April 1709 an das Konsistorium in nen Fortgang, besonders, nachdem Schatz‐ Darmstadt lebhafte Klage über den Zu‐ gräber, die nach vergrabenen Reichtümern stand der Kirche. Er schreibt: „Die Kirche suchten, meist nächtlicherweise in den ist äußerst verwüstet. In vorigen Jahren 20er Jahren des 18. Jahrhunderts „die suchte ich sie wieder zu den Leichenpre‐ Grundmauern der Nikolauskirche viele digten zurecht zu machen, ließ sie inwen‐ Klafter tief dergestalt untergraben, dass der dig ausputzen, die Kirchtüren wieder zu Ruin der Kirche drauf erfolgen" musste. So machen, aber es war alles umsonst. Die wundert es uns nicht, wenn der nächste Kirche ist, vermutlich von Fremden, erbro‐ Bericht, von Pfarrer Johann David Krämer chen, das Marienbild vom Altar gestohlen, am 12. Oktober 1786 verfasst, den Zustand
der Kirche folgendermaßen schildert: „Der waren umsonst. Obwohl der Stadtrat na‐ zur Stadt Reinheim gehörige Gottesacker mens der Bürgerschaft zum Ausdruck liegt am Ende der Stadt von der westlichen brachte, dass „sie und jedermann es für ei‐ Seite, und zwar auf einer beträchtlichen ne Verunehrung des Gottesackers ansehen Anhöhe und gleichsam auf dem freien Fel‐ würden, wenn man ein so schönes Gebäu‐ de, wo Wind und Wetter einen ungehinder‐ de und Zierde des Ortes und der Gegend ten Durchgang haben. Auf ihm stund ganz verfallen ließe" mit dem Zusatz, „die ehedem eine ansehnliche Kirche, unter Stadt würde gerne aus Stadtmitteln das ih‐ dem Namen Nikolauskirche. Von dieser rige dazutun, hoffe aber auch, ein hoch‐ Nikolauskirche aber ist das Schiff bis auf fürstliches Konsistorium würde um so wenige Marienstücke ganz verfallen; das mehr ein Erkleckliches aus dem Kirchen‐ daran gebaute Chor, oder, wie man's ge‐ kasten gnädigst bewilligen", gerieten die wöhnlich nennt, die Kapelle, stehet noch Verhandlungen ins Stocken. Die Repara‐ ganz unversehrt in dem Mauerwerk bis auf turkosten wurden auf 60 bis 70 fl ge‐ ein Eck im Kreuzgewölb. Das mit Schie‐ schätzt. Aber man brachte sie nicht auf. fersteinen gedeckte Dach aber ist, weil es Und schon im nächsten Bericht, vom 19. ungewöhnlich hoch geführt und in langen Dezember 1790, muss Plarrer Krämer mit‐ Jahren nichts daran gemacht worden, sehr teilen, dass inzwischen „der steinerne Gie‐ schadhaft. Das Mauerwerk an dieser soge‐ bel" der Kapelle „mit einem großen Getös nannten Kapelle ist nicht nur massiv, son‐ und nicht geringem Schrecken der ganzen dern auch modern und hat 5 regelmäßige Nachbarschaft einstürzte und das gesamte Fenster und 10 Schuh Höhe. Das hiesige Dachwerk nachzustürzen drohte". 1810 adelige Burghaus hat darin von alten Zei‐ standen von der Kirche nur noch die Um‐ ten her sein Erbbegräbnis; dasselbe hat fassungsmauern des Chors. Da man den auch zur Erhaltung der Kapelle und des völligen Einsturz befürchtete, überließ der Erbbegräbnisses in vorigen Zeiten ein Ka‐ Stadtrat „die Steine von dieser gefährlichen pital von 100 fl. gestiftet, wovon die Zin‐ Ruine dem Amtmann Dietz, zur Ersparung sen in dem Kirchenkasten verrechnet der Demolierungskosten unter der Bedin‐ werden . . . Die Lage der Kapelle und de‐ gung zum Behuf seines Bauwesens über‐ ren Prospekt gibt dem Gottesacker ein lassen, dass er den Abbruch und die Reini‐ überaus schönes Ansehen in der Ferne und gung des Platzes auf seine Kosten zeichnet den Reinheimer Gottesacker in ei‐ übernehme". Amtmann Dietz wurde dieses nem Gesichtskreise von etlichen Stunden ungesetzlichen Handelns wegen mit 10 Wegs sehr deutlich aus. So vorteilhaft aber Reichtstalern und der Stadtrat von Rein‐ dieser Anblick ist, so groß hingegen ist der helm mit 5 Reichstalern Strafe belegt – Mißstand in der Nähe . . .“. 3) aber die Kapelle war damit ausgelöscht. Alle Bemühungen, die Kirche zu retten, Aus ihren Steinen ist das heutige Hotel
„Darmstädter Hof" erbaut. langem in unserer Dreifaltigkeitskirche Den Stand der Nikolauskirche haben wir aufgestellt. Auch das 1565 ausgestorbene auf dem Friedhof, parallel zur gegenwärti‐ Geschlecht der Kalb von Reinheim hatte gen Friedhofskapelle, von der Lutherlinde ebenso wie das 1635 infolge der Pest erlo‐ bis zum Erbbegräbnis PöllnitzWillich schene Geschlecht der Mosbach von anzunehmen. Grabungen nach den Fun‐ Lindenfels hier seine Familiengruft. Das damenten haben bisher nicht stattgefunden. Pfarrarchiv bewahrt eine gedruckte Lei‐ Sie versprechen auch keine allzugroße chenpredigt auf, die 1634 durch Pfarrer Aussicht auf Erfolg. Der Platz des Kir‐ Ludwig Hirsch für Hans Heinrich Mos‐ chenschiffes wurde bereits im späten 18. bach, zuletzt Amtmann zu Kelsterbach ge‐ Jahrhundert für die Friedhofserweiterung halten wurde, welcher am 16. März 1624 in Anspruch genommen, als man dazu „christlich und adelich zu St. Nicolaus zur überging, anstelle des überlieferten Sip‐ Erden bestattet worden“. Leider sind mit pengrabes das Reihengrab einzuführen. der Kirche auch die Grabdenkmäler unter‐ Der Chor aber stand zu Teilen dort, wo gegangen. jetzt die Bahn ReinheimReichelsheim, das Nur eine einzige Zeichnung hat uns das „Odenwälder Lieschen", in einem Tunnel Aussehen der Nikolauskirche in Umrissen unter dem Friedhof hindurchführt. Da die‐ festgehalten: es ist die Ansicht von Rein‐ ser Tunnel in Gestalt eines Einschnitts in heim aus dem letzten Drittel des 17. Jahr‐ den Berg von oben her gegraben und die hunderts, die für Winckelmanns ausgehobene Erde nach Fertigstellung der „gründliche und wahrhafte Beschreibung Wölbung wieder auf die frühere Höhe auf‐ der Fürstentümer Hessen" 1607 angefertigt gefüllt wurde, sind hier keine Forschungen wurde. Aus diesem Bilde und dem, was nach alten Fundamenten mehr möglich. wir den angeführten Berichten entnehmen Das Pöllnitz'sche Erbbegräbnis, welches dürfen, 4) stellt sich die Nikolauskirche dar sich unter dem Chor befand, wurde 1810 als einschiffiges Gebäude mit gewölbtem auf Kosten der Familie wieder hergestellt. Chorraum, der wahrscheinlich mit ³/8 Es besteht heute aus 4 Grabkammern. Ob Schluss endigte. Die Westseite war von ei‐ diese noch in die Zeit der Nikolauskirche nem DachreiterTurm bekrönt. Im Ganzen zurückreichen, lässt sich nicht sagen. mag die Nikolauskirche am ehesten den Die Nikolauskirche diente als Begräbnis‐ heute noch bestehenden Kirchen von Alt‐ stätte für den einheimischen Adel und für heim bei Dieburg oder von KleinUmstadt Standespersonen. Pfarrer Christoph Höver, verwandt gewesen sein, nur, dass Rein‐ welcher von 1565 bis zu seinem Tode am heim keinen selbständigen Westturm be‐ 11. März 1594 Reinheim versah, wurde saß. Die aus der Zeichnung ersichtliche dort bestattet. Sein Grabstein wurde bei und in den Beschreibungen hervorgehobe‐ den Tunnelarbeiten gefunden und ist seit ne Form des hohen Daches lässt darauf
schließen, dass der das Schiff beträchtlich überragende Chor erst im ausgehenden 15. Jahrhundert erbaut worden ist (Altheim 1466). In diesem Zusammenhang mag er‐ wähnt werden, dass an der Nikolauskirche zwei Bürger das Amt von „Baumeis‐ tern“ (d. h. Baupflegern) versahen, die in der ältesten Urkunde des Pfarrarchivs vom 21.9.1435 genannt werden. Von der Archi‐ tektur der Nikolauskirche ist nur ein win‐ ziger Überrest auf uns gekommen: das steinerne Kreuz, das einst den Giebel der Kapelle schmückte. Es ist heute in der Kir‐ che beim Taufstein eingemauert, so dass vor diesem ältesten Wahrzeichen des Chri‐ stenglaubens in Reinheim jetzt die jüngsten Glieder der Gemeinde die hl. Taufe emp‐ fangen.
Baugeschichte der Dreifaltigkeitskirche zu Reinheim 1856 1972 Der große Umbau der Kirche 1856 / 57 Als in den Jahren 1610/11 die Stadtpfarrkir‐ evangelischlutherisch und 3 evangelischre‐ che „Zur heiligen Dreifaltigkeit" erbaut wurde formiert (außerdem wurden damals 5 Katho‐ und die bisherige außerhalb der ummauerten liken, 17 Mennoniten und 36 Juden gezählt). Stadt gelegene St. NikolausPfarrkirche ab‐ 1831 waren es 1176 Evangelische bei einer löste, zählte Reinheim noch nicht 300 Ein‐ Gesamteinwohnerzahl von 1257. wohner. Anderthalb Jahrhunderte später, etwa 1854 hatte Reinheim 1491 Einwohner. 1765, war die Seelenzahl auf 669 angewach‐ Überau, das seit 1819 selbständige Pfarrei sen — nachdem sie während des 30jährigen war, obwohl der Pfarrer noch bis 1839 in Krieges im Jahre 1635 auf 20 Familien mit Reinheim wohnte und dort den Dienst als höchstens 80 Personen abgesunken war. Die „Kaplan" tat, zählte 1854 791 Seelen. 1855 Kirche, die zur Zeit ihrer Erbauung für Rein‐ beschlossen der Reinheimer Kirchenvorstand heim und Überau ausgereicht hatte, erwies – zu dem auch der amtierende Bürgermeister sich 1765 als zu klein. Man trug sich mit der Bauer und der Überauer Vikar Kehrer gehör‐ Absicht, sie durch einen Umbau zu vergrö‐ ten – unter dem Vorsitz des Pfarrers Daniel ßern. Georg Engel die völlige Erneuerung der Kir‐ Der hessische Ingenieurlieutenant Johann che. Jakob Hill (1730—1802) entwarf dazu Die Großherzogliche Oberbaudirektion über‐ mehrere Pläne. Sie blieben in der Plansamm‐ trug die Bearbeitung der Pläne für diese „Her‐ lung der Landes und Hochschulbibliothek zu stellung" dem Dieburger Kreisbaumeister Darmstadt erhalten, wurden erst vor wenigen Kraus. Sie wurde unter seiner Aufsicht sowie Jahren dort entdeckt und 1962 erstmals veröf‐ unter Mitwirkung der Großherz. Baukandida‐ fentlicht.1) Die Gründe, warum ihre Ausfüh‐ ten Dauth und Schöneck, der Bauaufseher‐ rung unterblieb, sind uns unbekannt. Ver‐ kandidaten Rheininger und Jung, sämtlich zu mutlich mangelte es an den erforderlichen Dieburg, sowie des Bauaufsehers Christ aus Mitteln. GroßBieberau zwischen September 1855 und September 1857 ausgeführt. An Geldern 1810 war die Einwohnerzahl von Reinheim standen hierfür aus dem „Fonds für die auf 1067 angewachsen. Davon waren 1006 Herstellung der Kirche zu Reinheim" 10 463
fl (= Gulden) 58 kr (= Kreuzer) zur Verfü‐ ten auf: „Das Platten und Backsteinbeleg im gung, von denen nur 9761 fl, 27 kr verbraucht Schiff und Chor der Kirche aufgebrochen, die wurden, so dass noch ein Creditüberschuß Platten und Backsteine entfernt und die ganze von 702 fl 31 kr verblieb.2) Kirche sodann nach der gegenwärtigen Höhe mit Mauer und Backsteinen und sonstigem Diese Herstellung war sehr gründlich. Sie Schutt verfüllt", 59 fl 15 kr; „die linke Hälfte veränderte den Innenraum völlig. Der große der Umfangsmauer im Chor, den das Chor Chorbogen wurde abgebrochen, die auf der und das Schiff abschließenden gemauerten Ostseite des Chors einspringende Ecke wurde Bogen sowie den Altar und Taufstein abge‐ beseitigt und die Längswand bündig mit der brochen, die Steine von Schutt und Speiß sau‐ Chorwand verzahnt, was auch eine Verbreite‐ ber gereinigt und an schückliche Plätze bis zur rung der Südwand des dreiseitig geschlosse‐ Wiederverwendung aufgeklaftert, die dabei nen Chors zur Folge hatte, wie es bereits auf vorgekommenen Hausteine sortiert und bei den Hill’schen Plänen vorgesehen war. Die Seite gelegt", 128 fl 58 kr; „die Vermauerung Fenster wurden in Höhe und Form verändert, in dem dermalen von Willich'schen Kirchen‐ die Orgel kam vom Chor auf die Eingangs‐ stuhle desgleichen abgebrochen" ferner für seite, die Empore, die bisher nur auf der Süd Aufführen von neuem Mauerwerk, besonders und Nordseite bestanden hat, wurde durch ei‐ an den Umfassungswänden des Chors und nen Flügel auf der Westseite erweitert. Das für Erhöhen sämtlicher übrigen Umfas Dach wurde abgebrochen und durch ein neu‐ sungswände, für das Zumauern der hinteren es mit etwas flacherer Neigung ersetzt. Das Tür und ähnliche Arbeiten insgesamt 704 fl Portal erhielt eine neue Gestalt und rückte in 49 kr. Es wird „rings um die Kirche im Innern die Mittelachse des Raums. Auch die Plätze ein Trockenkanal angelegt" (25 fl 37 kr), es von Altar, Kanzel, und Taufstein wurden ver‐ werden Platten verlegt und dergleichen mehr ändert, wobei man bei der Kanzel zunächst Arbeiten ausgeführt, der „Winkel nach der wohl den alten Platz auf der Seite beibehalten Nachbarshofreite zugemauert", „vier Treppen wollte, sich aber nach einer „akkustischen fundamentiert", „die oberste Thüre am Thurm Probe" am 22.1.1857 für ihre nachträgliche und die Stelle des alten Kandels zugemauert", Aufstellung im Chorscheitel entschied. Nur „der Giebel am Chor abgebrochen, in den der Turm, der zu Anfang des 19. Jahrhunderts Backsteingefachen". Die Gesamtausgabe der ein neues vereinfachtes Dach anstelle des bis‐ Maurerarbeiten an Jakob Enders beträgt 1183 herigen geschweiften und gestuften Barock‐ fl 21 kr. helms erhalten hatte, blieb 1856/57 im Ganzen unangetastet. Für das Brechen der Mauersteine erhält Carl Die Bauarbeiten begannen im Mai 1856. Itzel in Heubach 52 fl 57 kr. Maurermeister Jakob Enders II. in Dieburg Sie werden angefahren durch Justus Schuch‐ führt in einer ersten Rechnung folgende Pos‐ mann, Karl Knell und aufgesetzt von Konrad
Schuchmann sämtlich aus Reinheim. Blauen Pfarrstuhls von sauberem Kiefernholz mit Kalk lieferte Dieter Lohnes von Mümling verzierten Füllungen, die Fenster von Eichen‐ Grumbach, geflößten Bachkies Friedrich holz, zweiflüglich, nach außen verziert, oben Füllhardt von Ueberau und Konrad Ruths II. mit einem Kranzgesims versehen" 90 fl, auf von GroßBieberau. die „Anfertigung eines einfachen Altars, ge‐ Einen größeren Rechnungsposten ergeben die stemmt, von Kiefernholz" 14 fl. mancherlei Steinhauerarbeiten, die dem Die Schlosserarbeiten führt Peter Weigel von Steinhauermeister Carl Itzel von Heubach Höchst aus. Sie erstrecken sich auf „Anliefe‐ übertragen werden, darunter für „Verarbei‐ rung von 12 neuen Fensterrahmen von tung und Lieferung von geschliffenen und Gußeisen, nach ertheilter Detailzeichnung" steinglatten Thür und Fenstergestellen und und einen ebensolchen Rahmen über der Ein‐ Treppentritten", 661 fl 32 kr; „für die Anferti‐ gangstür für zusammen 390 fl 45 kr, sowie gung und Anlieferung des Taufsteins" erhält zahlreiches Beschlag an den Türen, Schlösser, Jacob Weiß von Hering 21 fl 45 kr. Riegel, Schrauben, Bänder u. a. für 464 fl 37 Der Zimmermeister Ludwig Wacker aus kr. Die Verglasung der Fenster mit hellem und Pfungstadt empfängt „für Abbrechen des al‐ buntem Glas besorgt Glasermeister Philipp ten Daches, Transport des Holzes, Bearbeiten Kopp zu Reinheim für 372 fl 42 kr. Um dem des alten Holzes, Bearbeiten und Aufschlagen Altarraum mehr Ansehen zu geben, versieht von neuem Holze, Anfertigung einer Treppe, man dort die 5 großen Fenster mit geome‐ Verschalen der Decke und der Emporbühne, trisch angeordnetem Buntglas in den Farben Anfertigung eines neuen Dachgesimses sowie dunkelrot, dunkelgrün, dunkelblau, hellblau, für Veränderungen an der Emporbühne" 1259 hellgrün, braun, violett und gelb. Die letzten fl 31 kr. An Johannes Feick von GroßBiebe‐ Reste dieser eigenartigen Verglasung wurden rau werden für „Anfertigung der Kanzeltrep‐ erst 1972 anlässlich der jüngsten Kirchener‐ pe" 29 fl 49 kr gezahlt. neuerung beseitigt. Dachdeckermeister Wilhelm Appel in Rein‐ Der Weißbindermeister Wilhelm Pfaff aus heim deckt das neue Dach und erhält dafür GroßUmstadt erhält „für Tünchen und An‐ 290 fl 37 kr. Dem Schreinermeister Johannes streichen der Umfangswände der Kirche, An‐ Wolfenstätter von Dieburg werden die Schrei‐ strich der Hausteine mit Ölfarbe, desgleichen nerarbeiten verdingt. Er arbeitet das Gestühl, der Thüren, des Dachgesimses, der Treppen, die Türen, die Fußböden, die Emporenbrüs‐ der Kanzel, des Altars, der Emporbühne, der tungen, die Emporenstützen, die Kanzel und Kirchenstühle sowie der Säulen unter der den Altar. Sein Lohn sind 1511 fl 7 kr und Emporbühne" 839 fl 48 kr. 314 fl 21 kr, davon entfallen für die „Anferti‐ gung einer neuen Kanzel, gestemmt von Die Malerarbeiten werden Adam Kolb aus Eichenholz mit Kranzgesims und verzierten Dieburg übertragen. „Für Cassetiren der De‐ Füllungen" 66 fl, auf die „Anfertigung des cke, für Lackiren der Altarplatte, desgl. Ge‐
sims der Emporbühne und des Pfarrstuhls" Das „Legen der Fußböden auf der Empor‐ werden 185 fl 20 kr ausgegeben. Im Einzel‐ bühne", die „Anfertigung der Brüstung, Ver‐ nen führt die Rechnung auf: kleidung der Durchzüge, Balken und Säulen, „An der Kassettendecke . . . Gesims gemalt", Anfertigung der Bänke auf die Emporbühne „Auf die Durchkreuzung der Eintheilung 26 und eines Stuhls in dem Chor sowie die Ab‐ Stück Rosetten gemalt", „den Altar von vier änderung der Kanzel" besorgt Johannes Seiten weiß lackirt, die mittleren Füllungen Wolfenstätter aus Dieburg für 314 fl 21 kr. entsprechend abgetönt und die an den Decken befindlichen Rundstäbe vergoldet", „die obere Weitere Tüncher und Anstreicherarbeiten Platte des Altars und die beiden unteren So‐ führte Wilhelm Pfaff aus GroßUmstadt an ckel marmorirt und lackirt", „die Kanzel des‐ den „für die Emporbühnenträger ausgebro‐ gleichen lackirt und in Farben abgetönt", „das chenen Öffnungen" aus, verrohrt und tüncht Kreuz auf dem Kanzeldeckel, sechs an den die Decke der Emporbühne und versieht das Hauptgesimsen befindliche Rundstäbe sowie übrige Holzwerk, die Stühle auf der Empore die Einfasung der unteren Träger und Roset‐ und die Brüstungen und die Säule mit Leim‐ ten vergoldet", „an dem unteren Gesims der farbenanstrich, wofür ihm 66 fl 18 kr gezahlt Emporbühne den oberen Karnies mit Blättern werden. dekorirt". Für das Reinigen der Kirche und kleine Aus‐ besserungsarbeiten im Taglohn erhalten Mar‐ Es folgen die Spenglerarbeiten. Spengler‐ garetha Borger und andere 24 fl 10 kr, für meister Heinrich Berg von Reinheim erhält Glaserarbeiten Johannes Feick von GroßBie‐ „für Anfertigung neuer Dachkandel mit Re‐ berau 30 fl 40 kr, für Lieferurig von gusseiser‐ genrohr und Rohrkessel mit Kandelleisten nen Kandelröhren der Eisenhändler Jakob und Rohrschellen" 138 fl 06 kr. Scheid zu Darmstadt 66 fl 45 kr, für Herstel‐ lung des Pflasters in der Turmhalle Pflaster‐ Weitere Posten sind „für Aufbrechen des Plat‐ meister Jakob Dieh1 von Dieburg 186 fl 23 tenbelegs, Ausgraben und Ausmauern der kr. Fundamente, der Postamentsteine, für Verset‐ zen dieser Steine, für Einmauern der Treppen‐ Unter der Rubrik b) „Zufällige Arbeiten und steine" an Jakob Enders II. von Dieburg mit Lieferungen", die nächst der Rubrik „Eigent‐ 13 fl 24 kr und „für Lieferung von Posta‐ liche Baukosten a) nach dem Voranschlag und mentsteinen zu den Emporensäulen'' an Carl besonderer Genehmigung" geführt wird, sind Itzel von Heubach mit 11 fl 56 kr eingesetzt. in der Rechnung noch eine Reihe weiterer Ar‐ Ludwig Wacker von Pfungstadt erhält „für beiten verzeichnet, in denen die gleichen Lieferung und Bearbeitung von Floßtannen‐ Handwerkernamen begegnen wie bisher. holz und Verschalen der Decke der Empor‐ Während der Bauarbeiten wurde eine Planän‐ bühne" 168 fl 51 kr. derung vorgenommen. Sie betraf die Stellung
der Kanzel. Ihr vorgesehener Platz war auf Darmstadt (3 fl) und das Aufziehen der der Westseite, am Beginn des dreiseitigen Zeichnungen auf Leinwand durch den Buch‐ Chorschlusses. Die Kanzel der Kirche von binder Jakob Rachor in Dieburg (3 fl 30 kr), 1610/11 hatte ebenfalls auf der Westseite, je‐ die Ausgaben für Botengänge an Margaretha doch weiter nach vorne, gestanden3). Man Stuckert, für Reinigung und Bohnern des nahm am 22. Januar 1857 in Gegenwart des Fußbodens um den Altar an Adolph Mergen‐ Oberbaurats Dr. Müller und des Superinten‐ roth, für Reinigen der Kirche und Beseitigen denten Dr. Zimmermann eine akustische Pro‐ von Schutt an Philipp Kaiser und für Be‐ be vor und benützte hierfür die alte Kanzel. kanntmachung der Versteigerungen von „al‐ Das Ergebnis war, dass man der neuen Kanzel ten Baugegenständen" in der „Darmstädter den Standort im Chorhaupt zuwies, den sie Zeitung" und im „Anzeigenblatt für die Krei‐ bis 1972 innehatte. se Dieburg und Neustadt". Diese fanden In der Rechnung werden „für Aufstellen der mehrmals statt. Dabei sind auch aufgezählt: alten Kanzel und Herrichtung eines Gerüsts der alte Taufstein, den Bauaufseher Christ am an die Stelle der neu zu erbauenden Empor‐ 26. 3. 1856 für 1 fl 30 kr steigerte, und die alte bühne zur Vornahme der accustischen Probe" Kanzel mit Schalldeckel, die am 6. 3. 1858 an den Maurermeister Wilhelm Stühlinger in für 1 fl 35 kr an Dekan Engel gelangte. Reinheim 5 fl 12 kr aufgeführt, hinzu kom‐ men die Diäten für den Oberbaurat Dr. Müller Einer besonderen Prüfung musste noch die mit 4 fl 30 kr und den Prälaten Dr. Zimmer‐ alte, 1750 von Johann Christian Köhler er‐ mann, Großherzoglichen Superintendenten baute Orgel unterzogen werden. Damit wurde der Provinz Starkenburg mit 11 fl 2 kr (ein‐ der Friedberger Seminarlehrer und Orgelbau‐ schließlich Ausgaben für Chaise 5 fl, Trink‐ techniker Thum betraut. Er erstattete am 22. geld 1 fl und Weggeld 32 kr). 3. 1856 einen Bericht über den Abbruch und die Herstellung der Reinheimer Orgel, in dem Die Diäten des Kreisbaumeisters Kraus betra‐ auch die Disposition der Orgel enthalten ist 4). gen 108 fl 30 kr, ferner erhalten Baukandidat Es heißt dann zum Zustand der Orgel: „Das Dauth 465 fl 26 kr, Baukandidat Schöneck 21 Metallpfeifenwerk, ausgenommen das im fl 30 kr, KreisbauaufseherKandidat Rheinin‐ Prospekt stehende Principal, ist nicht von ger 15 fl, Bauaufs.Kandidat Jung 1 fl und Zinn, sondern von Blei, dem nur eine höchst Bauaufseher Christ 36 fl. Daraus ergibt sich, unbedeutende Menge von Zinn beigemischt dass die Bauaufsicht hauptsächlich bei dem ist. Diese Pfeifen sind sehr schwach gearbei‐ Baukandidaten Dauth lag. Zu den Baukosten tet, so daß sie sich nicht allein leicht verbiegen rechnen auch die Miete einer Scheuer als Ma‐ und verstimmen, sondern auch durch Oxyda‐ gazin von Johannes Vonderschmidt in Rein‐ tion des Metalls schon stark ruiniert sind; heim (9 fl), die Lieferung von Zeichenpapier überdies sind dieselben, wie genau zu ersehen durch die Dieh1'sche Buchhandlung in ist, durch schlechte Orgelbauer vielfach ver‐
dorben worden. Unter diesen Umständen ausnehmend großem Nutzen sein, und die Ju‐ würde es ganz der Sache angemessen sein, gend eine ansehnliche Verbesserung erhalten. wenn das Metallpfeifenwerk der Orgel neu Der jetzige Organist ist nur auf eine Zeit lang gemacht würde, wozu ich aber deshalb hier angenommen, seiner Profession nach ein nicht rathen kann, weil die Orgel in ihrer gan‐ Schneider, der solche abenteuerlichen zen Konstruktion von zu veralteter Bauart ist. Schlumperliedercher zum Ausgang zu spielen Daher dürfte es am besten sein, wenn die Re‐ pflegt, die dem Landvolk Kirch und Predigt paratur des Pfeifenwerks nur in der Weise sogleich wieder aus dem Kopf zu bringen fä‐ vorgenommen wird, wie es Orgelbauer Ro‐ hig sind, daher ich mich gedrungen gesehen, thermel angegeben. Ich erlaube mir noch an‐ diesen Kerbenfiedler vor mich kommen zu zufügen, daß die Orgel zwar 18 Registerzüge, lassen und ihn in Ordnung zu weisen, und für aber nur 16 klingende Stimmen hat, indem die Zukunft Gott um mehr Verstand und die Sexquialtera für Baß und Diskant je einen Überlegung zu bitten". besonderen Zug hat und ein Zug dem Tremu‐ lant angehört. Letzterer ist eine Vorrichtung, Am 22. 4. 1856 wird ein Vertrag mit dem die den Ton der Orgel zittern macht und die Landorgelbauer Georg Rothermel zu Zwin‐ jedenfalls, als die Stimmung der Orgel beein‐ genberg geschlossen, der sich auf das Gutach‐ trächtigend und geschmacklos in ihrer Wir‐ ten Thum bezieht und den Orgelbauer zur kung, aus der Orgel entfernt werden muß." Reperatur der Orgel verpflichtet. Sie soll längstens 4 Wochen vor Einweihung der Kir‐ Der Organistendienst an der ersten, 1685 auf‐ che beendet sein. gestellten Reinheimer Orgel war ursprünglich Am 11.7.1857 bescheinigt der Seminarlehrer mit dem Dienst des Präceptors und Diaconus und Orgelbautechniker Thum, dass Rother‐ verbunden und wurde aus den Zinsen eines mel „allen seinen im Orgelbauaccord über‐ Legats von 100 fl vergütet. Das waren 5 fl. nommenen Verbindlichkeiten getreulich Dazu kamen zu Anfang des 18. Jahrhunderts nachgekommen ist". Die vorgesehenen 205 fl noch 15 fl Orgellohn aus der Gemeindekasse. werden zur Zahlung angewiesen. Als Organisten wirkten auch die Stadtschrei‐ ber und verschiedene Privatpersonen. Unter Nach Beendigung aller Arbeiten konnte die ihnen wird der Schneider Johann Leonhard feierliche Einweihung der Kirche vorgenom‐ Moser, der über 23 Jahre lang die Orgel spiel‐ men werden. Das geschah am 23. 8. 1857 in te, in einem VisitationsBericht des Superin‐ einem Festgottesdienst, dessen Programm tendenten Olff von 1782 5) besonders noch vorhanden ist. Man stellte sich am Rat‐ erwähnt. Er schreibt darin, dass er gerne für haus in einem Festzug auf. Um 7:10 Uhr be‐ die Reinheimer Mädchenschule einen Lehrer gann die Feier mit dem Gesang der eingestellt sähe, der zugleich die Orgel spielte Gemeinde: „Komm heil’ger Geist, kehr bei „es würde dieses für das ganze Städtchen von uns ein". Der Weihrede folgte ein Lied, das in
drei Versen die Dreifaltigkeit anrief und nach einer Melanchthonbüste zusammen mit der der Weise „Wie schön leuchtet der Morgens‐ vom Reformationsjubiläum 1817 herrühren‐ tern" gesungen wurde. Wer die Predigt hielt, den Lutherbüste und entsprechenden ist nicht verzeichnet, wahrscheinlich Dekan Inschrifttafeln beiderseits der Kanzel. 1892 Enge. Die Schuljugend sang nach dem Va‐ wurde ein figürliches Farbfenster über der terunser „Ach bleib mit deiner Gnade". Man Kanzel angebracht. Es stellte den predigenden feierte auch das heilige Abendmahl und Christus dar und war eine Stiftung von Frau schloss den Gottesdienst mit dem Liede „Nun Fritz Hegendörfer in Darmstadt. danket alle Gott". Nach der Pensionierung von Pfarrer Schuchard wandte der mit der Verwaltung der Das kirchliche Bauwesen zwischen Pfarrstelle in Reinheim beauftragte PfarrAs‐ 1857 und 1950 sistent Fritz Weiß der Kirche sein besonderes Augenmerk zu. Er ließ eine Kirchenheizung 1858 wurden der Kirche ein vergoldetes 1910 durch die Firma Käuffer & Co. in Altarkreuz durch den Regierungsrat von Wil‐ Mainz für 3200 M bauen, die am 20.11.1910 lich und zwei Abendmahlskannen nebst Tauf‐ in Betrieb genommen werden konnte. Auf geschirr durch Sophie Bauer, Witwe des dem Kirchenspeicher entdeckte er 3 Gastwirts und GemeinderatsMitglieds Holzskulpturen: 2 Heiligenfiguren und einen Johannes Bauer gestiftet. Die Abendmahls‐ Kruzifixus, „gänzlich verstaubt, den Sonnen‐ kannen, die eine schöne klassizistische Form strahlen und dem Ungeziefer ausgesetzt". haben, sind heute noch in Benützung. Auch Er nahm an, dass die Figuren aus der alten das Taufgeschirr ist noch vorhanden, wird Nikolauskirche stammten – was aber nur für aber nur noch bei Haustaufen verwendet. Die die beiden Heiligen Johannes den Täufer und beiden Zinnteller für die Beckenkollekte, die Nikolaus zutrifft 6), das Kruzifix war 1711 gleichfalls bis heute ihrem Zweck dienen, ka‐ von J. Jonas Mylius für die Dreifaltigkeitskir‐ men 1861 als Stiftung des Schneidermeisters che gestiftet worden. Die Holzfiguren kamen, Johannes Baldauf hinzu. da man in der Kirche keinen geeigneten Platz für sie fand und die Kirchenbehörde einem Im Jahre 1873 wurde in der Kirche eine Ge‐ Verkauf an das Landesmuseum nicht zuge‐ denktafel für die beiden im Kriege gegen stimmt hatte, zunächst als Leihgabe an das Frankreich 1870/71 gebliebenen Reinheimer Heimatmuseum. 1950 wurden der Kruzifixus errichtet: Wilhelm Kilian, gefallen bei Grave‐ und 1956 die Heiligenfiguren wieder in der lotte am 18.8.1870, und Johann Georg Hen‐ Kirche aufgestellt. kel, gestorben an Typhus im Lazarett von PontáMousson am 4.11.1870. 1883 be‐ Pfarrverwalter Weiß ließ 1910/11 einige Er‐ schloss der Kirchenvorstand die Aufstellung neuerungen und Veränderungen in der Kirche
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