Reinheimer Kirchen Evangelische Kirchengemeinde Reinheim - Ev. Kirchengemeinde ...

Die Seite wird erstellt Maximilian Witt
 
WEITER LESEN
Reinheimer Kirchen Evangelische Kirchengemeinde Reinheim - Ev. Kirchengemeinde ...
Evangelische Kirchengemeinde Reinheim

Reinheimer Kirchen
Reinheimer Kirchen Evangelische Kirchengemeinde Reinheim - Ev. Kirchengemeinde ...
Evangelische Kirchengemeinde Reinheim

                 Reinheimer Kirchen
enthält:

1. Pfarrer Dr. Walter Hotz, Reinheimer Kirchen in alter Zeit, hrg
1963
2. Pfarrer Dr. Walter Hotz, Baugeschichte der Dreifaltigkeitskir‐
che zu Reinheim 1856 ­1972, Heimatbote 1962, 17

3. Pfarrer Gerhard Siegert, Dreifaltigkeitskirche erstrahlt in neu‐
em Glanz, Gemeindebrief März 1999

4. Pfarrer Gerhard Siegert, Die neuen Kirchenfenster ­
Einlassen auf persönliche Deutungsabenteuer, Gemeindebrief
März 1999
5. Pfarrer Gerhard Siegert, Neuer Taufkerzenleuchter in der Drei‐
faltigkeitskirche, Gemeindebrief Juni 2002

6. Wilhelm Stuckert, Wieso steht die Kirche zwischen den
Häusern ohne Friedhof und Friedhofsmauer?

7. Hans­Georg Treblin, Der Versuch des Erhalts des Fachwerkturms
2009­2011; Erneut verschiefert: 2020

Die Rechtschreibung der Texte folgt den Vorgaben, Pfr. Dr. Hotz in alter deutscher Rechtschreibung,
Pfr. Siegert in neuer Rechtschreibung
Pfarrer Dr. Walter Hotz

               Reinheimer Kirchen
                   in alter Zeit

Sonderdruck aus dem „Heimatboten für die evangelische Gemeinde
                      Reinheim/Odw.“
        IX. Jahrgang, 1­11, mit 8 Tafeln und 5 Abbildungen im Text
Die Stadtpfarrkirche
               zur heiligen Dreifaltigkeit 1611 ­1856

           Die Hill’schen Pläne                  Pläne zwischen 1765 und 1772 entstanden
                                                 sein.
Anlass zu dieser Abhandlung gab die Auffin‐
dung von 6 Plänen des 18. Jahrhunderts zum       Die Hill’schen Pläne beantworten eine Reihe
Umbau der Reinheimer Kirche, auf die mich        offener Fragen bezüglich der äußeren Gestalt
Prof. Dr. Fritz Arens, Mainz, freundlicherwei‐   und der inneren Einrichtung der alten Rein‐
se aufmerksam machte. Die Pläne befinden         heimer Kirche, die bis zu ihrem Umbau 1856
sich im Besitz der Hessischen Landes­ und        durch 245 schicksalsreiche Jahre hindurch ih‐
Hochschulbibliothek zu Darmstadt 1).             rer Bestimmung gedient hat. Sie machen
Es sind 4 Grundrisse, von denen je 2 ziemlich    auch deutlich, dass die Arbeiten von 1856/57
übereinstimmen, und 1 Schnitt des Gebäudes       sich an den vorhandenen Grundriss und Be‐
sowie 1 Schnitt mit Auf­riss der Gebälkkon‐      stand hielten und nicht, wie man gemeint hat,
struktion über dem Chor. Die maßstäblich ge‐     einen völligen Neubau darstellten.
zeichneten, farbig getönten Blätter stammen      Unsere heutige Kirche gehört in ihren Um‐
nach Ausweis ihrer Signaturen von der Hand       fassungsmauern und mit ihrem wahrzeichen‐
des hessischen Ingenieurleutnants Johann Ja‐     haften Turm noch größtenteils dem 17.
kob Hill ²). Er dürfte sie nicht nur ausgefer‐   Jahrhundert an. Im Folgenden darf eine die
tigt, sondern auch entworfen haben, zumal er     bisherige Kenntnis zusammenfassende und
von 1750 ab im fürstlichen Bauamt unter den      ergänzende Darstellung der Baugeschichte
Architekten Karger, Mann und Schuknecht          unseres Gotteshauses gegeben werden.
arbeitete. 1765 wurde Hill zum Ingenieur‐
leutnant befördert, aber 1772 infolge von Zu‐             Der Bauplatz, die Mittel
sammenstößen mit seinen Vorgesetzten                         und das Material
entlassen. Nach seiner Rehabilitierung wurde
er 1785 als Kommandant auf die Marksburg         Bei Einführung der Reformation 1527 blieb
versetzt, wo er 1802 gestorben ist. Auf einem    die außerhalb der Stadt auf der Höhe des heu‐
Blatt nimmt Hill Bezug auf die „neu erbaute      tigen Friedhofs gelegene Nikolauskirche als
Kirche zu Pfungstadt", die 1752 vollendet        Pfarrkirche in Benutzung. Doch regte sich in
war. Da er auch seinen Dienstgrad „Inge‐         der „angewachsenen Bevölkerung“ von
nieurleutnant" nennt, dürften die Reinheimer     Reinheim der begreifliche Wunsch, eine neue
und größere Kirche in ihren Mauern zu er‐        und Roden, Eisen vom Michelstädter Ham‐
halten. Landgraf Ludwig V. entsprach diesem      mer. Größere Posten an Nägeln wurden in
Begehren, indem er am 10. März 1610 den          Frankfurt gekauft. Leinöl beschaffte man in
Bürgern zu Reinheim die dem Fürstenhaus          Groß­Bieberau und Reichelsheim, Farbe in
als erledigtes Lehen zugefallene Hofreite des    Darmstadt, Frankfurt und Dieburg. 5)
Hans Werner Kalb, der 1574 als letzter seines
Namens und Zeichens verstorben war, „zur         Für das zeitige Frühjahr – März/April – 1610
Aufrichtung einer neuen Kirch und Schu‐          sind in der Baurechnung verschiedene Bo‐
len . . . gnädiglichen verwilligte und erblich   tengänge nach Darmstadt erwähnt: jeweils 2
schenkte“ ³).                                    Mann werden zum Landgrafen geschickt
Dazu gab er der Stadt Geld nicht nur für die     „wegen der Erbverschreibung über die Kir‐
Durchführung der bald danach beginnenden         chen“, die „sie auch damals bekommen“,
Arbeiten, sondern er dachte auch an die          wofür die Stadt eine besondere Danksagung
künftige Pflege des Gebäudes; er erwarb          überbringen lässt; ferner zum Sekretarius, wo
einen Teil des großen „Sees" (das ist der        sie 300 Gulden (fl) und „die Erbverschrei‐
Reinheimer Teich) und bestimmte den Erlös        bung über die neue Kirchen“ in Empfang
für die Zwecke des Kirchenbaus und seiner        nehmen können.
Instandhaltung. Damit wurde die heute noch
bestehende Baupflicht der Stadt Reinheim         Damit der Bau beginnen kann, kommt der
begründet 4).                                    fürstliche Baumeister aus Darmstadt und
                                                 vermisst den Platz. Dieser liegt dicht an der
Die Mittel des Landgrafen reichten aber nicht    Stadtmauer, neben dem Obertor und dem
aus für den Neubau einer Kirche, darum ent‐      großen Turm. Auf dem Gelände steht ein
lieh die Stadt weitere Gelder in Griesheim,      zum Abbruch bestimmter „alter Bau“.
Erzhausen, Seeheim, Kelsterbach, Darmstadt
und Lichtenberg. Eine Reihe von Baumate‐         Der Baumeister und die Werkleute
rialien, besonders Holz lieferten die Nach­
bargemeinden, öfter kostenlos.                   Die Baupläne werden in Darmstadt entwor‐
Floßholz bezog man aus Stockstadt a. Rh.,        fen. Ein Abgesandter von Reinheim sucht
Eichenholz aus Meßbach, Nonrod und Hau‐          dort den Baumeister auf und holt bei ihm
sen, Rüstholz aus Wembach, geschnittene          „den Abriss der Kirchen“. Der Baumeister
Bretter aus Seligenstadt. Die pfälzische Ob‐     kommt zum zweiten Male nach Reinheim,
rigkeit zu Groß­Umstadt genehmigte die           wo er während zweier Tage „die Werkleut
zollfreie Ausfuhr von Kalk; weißer Kalk          der Kirchen vorgehabt, ihnen alles verliehen:
wurde in dem hessischen Zwingenberg er‐          das Fundament und die Rost aufgerissen und
worben. Steine brach man in der Lengfelder       alles mit ihnen richtig gemacht“.
„Kauten", Backsteine kamen aus Dieburg           Es werden Verträge („Weinkauf") mit Mei‐
ster Jacob, „dem welscher Maurer“, Meister      der Meister aus Dieburg und Groß­Umstadt
Jacob Weitzel, dem Zimmermann zu Rein‐          besorgt. Der Turm wächst weiter in die Hö‐
heim, Meister Bernhard Fadin, dem Stein‐        he.
metzen zu Dieburg geschlossen. Der              Alle gehauenen Steine werden in der Leng‐
Steinmetz, dem auch das Bearbeiten des Por‐     felder „Kauten“ geholt. Das Verlegen des
tals, der Gesimse und Bogenprofile obliegt,     oberen Gesimses bildet den vorläufigen
reist eigens nach Darmstadt, wo er „bei dem     Abschluss, wobei wenigstens auf der Ostsei‐
Baumeister gewesen und aller Handlung des       te über den noch heute sichtbaren Kragstei‐
Baues mit ihm abgeredt“. Der hohe Grund‐        nen eine Dachgaube angebracht war. Sie
wasserstand macht die Verlegung von Pfahl‐      wurde beim späteren Ausbau beseitigt.
rosten nötig. Unter dem Chor bereitet die
Arbeit keine Schwierigkeit, doch haben die      Zum erneuten „Weinkauf“ über die Innenein‐
40 Mann, die für die übrige Kirche den Rost     richtung der Kirche versammelt der Bau‐
legen, „wegen des Wassers große Mühe“. Der      meister „Glaser, Maurer, Steinmetz,
Aufbau kommt rasch voran und ist am 4. Au‐      Schreiner, Tüncher alle miteinander“. Der
gust 1610 im Mauerwerk fertig. Dann gehen       Rechnungsführer notiert ein Zehrgeld von 4
die Zimmerleute an die Arbeit, so dass bald     fl 25 alb „wie der Baumeister mit einem
die Dachstühle über dem Hauptbau und dem        Pferd und Diener allhier gewesen, obgemeld‐
Chor nacheinander aufgeschlagen werden          ten Handwerksleuten ihre Arbeit verliehen
können. Beim Richtfest wurde von den betei‐     und die Stühl in der Kirchen abgeteilet und
ligten Handwerkern und den eingeladenen         mit dem Turm zu tun gehabt".
Nachbarn tüchtig getrunken. Zum „vorders‐
ten Kirchenbau" wurde ein Maß Wein auf          Die Kirchenfenster liefert Merden Daubhen‐
den Kopf bewilligt, „dieweil sonst keiner von   ne von Darmstadt, in die Schreinerarbeit tei‐
wegen der großen Höhe hinauf können stei‐       len sich die Reinheimer Meister Velten Buller
gen". Auch der Turm wird in Angriff genom‐      und Stoffel Vorch. Die Schlosserarbeit führt
men. Der Baumeister verdingt ihn bei seinem     Meister Nickel Moller zu Groß­Umstadt aus,
dritten Aufenthalt „in Beisein von Pfarrer,     als Weißbinder und Tüncher wird Hans
Schultheiß, Bürgermeister“ an den Stein‐        Meyerer zu Dieburg genannt, ein weiterer
metzmeister Bernhard Fadin.                     Tüncher (vielleicht auch Stukkateur) wird aus
Am Ende des Jahres wird eine verbaute           Darmstadt geholt. Die Kirche erhält eine fla‐
Summe von 1690 fl, 15 albus und 2 denare        che Decke, die von einem Längsbalken ge‐
abgerechnet.                                    tragen wird. Zu seiner Unterstützung kommt
                                                mitten im Raum eine große Säule zu stehen.
Im zweiten Baujahr wird das Dach durch          Der Baum dazu wird auf der Altscheuer ge‐
Meister David Geych aus Darmstadt gedeckt.      fällt und von den Illbachern nach Reinheim
Obenauf kommen zwei zinnerne Knäufe, die        gebracht; „ist ein schwer Fuhr gewesen und
hat die Wagen zerbrochen". Die Schriften, die     te Baukörper mit sparsam aber klug verteil‐
in der Kirche angebracht werden – Bibelwor‐       tem Schmuck sinnvoll akzentuierte.
te und vielleicht auch Angaben über den
Bauherrn, Landgraf Ludwig V. – entwirft der           Einweihung und weiterer Ausbau
Schulmeister von Nieder­Ramstadt. Im 2.
Baujahr werden 2018 fl 16 alb 5 d veraus‐         Als die Kirche soweit vollendet war, dass sie
gabt, so dass der Bau insgesamt rund 3710         für den Gottesdienst benutzt werden konnte,
Gulden kostet.                                    wurde sie am 22. Dezember 1611 durch den
                                                  Darmstädter Superintendenten D. Henrich
Soviel Handwerker auch in der Baurechnung         Leuchter auf den Namen der hl. Dreifaltigkeit
aufgeführt werden, der Name des Baumeis‐          eingeweiht. Seine Predigt über den 122.
ters selbst kommt nicht vor. Nach Lage der        Psalm hat Balthasar Hofmann „der Stadt zu
Dinge kann es aber nur der Leiter des fürstli‐    Ehren und zum Gedächtnis in Druck verfer‐
chen Bauamts zu Darmstadt sein. Der war           tigen lassen" 7).
damals Jakob Wustmann, als sein Mitarbeiter       Aus dem Protokoll der Kirchenvisitation von
wirkte Martin Kersten 6). Wustmann hatte          1618 ergibt sich, dass die Reinheimer Kirche
sich als Hofzimmermeister unter dem land‐         „noch nicht ausgebauet ist, kein Helm auf
gräflichen Architekten Jakob Kesselhut vor        dem Turm, nur ein schlecht Dach, dabei
allem auf Schloss Lichtenberg bewährt. Er         nimmt das Inwendige Holzwerk Schaden
wurde Kesselhuts Nachfolger und leitete seit      vom Wetter ... Auch sind an den Fenstern viel
den 90er Jahren des 16. Jahrhunderts das          Scheiben entweder zerbrochen oder gar hin‐
Bauamt. In dieser Eigenschaft hat er mehrere      weg ... der Kirchbau zu Reinheim hätte viel
Profanbauten, darunter das Darmstädter Rat‐       gekostet, sie sollten ihn nicht also verderben
haus, errichtet. Aber auch im Kirchenbau war      lassen" 8). Die harten Heimsuchungen des
er tätig. Mit Sicherheit lassen sich ihm zuwei‐   30jährigen Krieges vereiteln aber alle weite‐
sen die Kirchen von Schwanheim (1618/20),         ren Baumaßnahmen.
Leeheim (1620/21) und vor allem Nidda
(1616/18), wo er den fehlerhaft begonnenen        Erst in den 60er Jahren kann Pfarrer Johann
Bau eines italienischen Meisters größtenteils     Adolf Rühel an die Wiederherstellung des
abbrechen und nach eigenen Entwürfen zu           Gebäudes und den Ausbau des Turms den‐
Ende führen musste. Von diesen Kirchen hat        ken, nachdem es ihm 1659 gelungen war, der
sich nur Nidda in den Formen ihrer Erbau‐         Gemeinde neue Glocken zu beschaffen 9).
ungszeit erhalten. Sie zeigt sowohl in den        Wieder wird der fürstliche Baumeister zu
Proportionen wie im Detail die gleichen Stil‐     Darmstadt mit der Arbeit beauftragt. Es ist
merkmale, wie sie auch Reinheim aufzuwei‐         jetzt Johann Wilhelm Pfannmüller. Er liefert
sen hatte. Wustmann bewies sich als               1666 zwei Skizzen zur Turmbedachung nebst
Architekt, der sachlich klare, zweckbestimm‐      Kostenanschlägen (Abb.). Man entscheidet
sich für den gestuften Helm, dessen Gliede‐      Die Reinheimer Kirche wurde in nordsüdli‐
rung dem Reinheimer Kirchturm seitdem sei‐       cher Richtung als Saalkirche mit angebautem
nen charakteristischen Umriss verleiht. Über     dreiseitig geschlossenen Chor errichtet. Der
einem Fachwerkgeschoss, das die Glocken‐         Turm auf quadratischem Grundriss steht in
stube enthält und mit einem geschweiften         einer Flucht mit der Giebelwand und springt
Dach gedeckt ist, erhebt sich eine vierseitige   in die Nordostecke des Kirchenschiffes ein.
Laterne, die den spitzen Helm trägt. Ur‐         (Abb.). Die Eigentümlichkeit des beengten
sprünglich war die obere Haube ebenfalls ge‐     Bauplatzes hatte eine Achsenverschiebung
schweift, wie man auf der einzigen               des Raumes zur Folge: der Chor war nach
überlieferten Stadtansicht des 17. Jahrhun‐      Westen gerückt und schloss bündig an die
derts erkennen kann. Baumeister Pfannmül‐        Westmauer des Schiffes an. Da das Portal auf
ler fertigte von der Turmbekrönung ein           den Chorschluss bezogen war, lag es nicht
Holzmodell an, nach dem 1668 Tiroler             unter dem Giebelscheitel der Eingangseite.
Handwerker Oberstock und welsche Haube           Die Fenster, deren Höhe und senkrechte Glie‐
ausführten.                                      derung aus den Hill'schen Plänen ersichtlich
                                                 ist, waren wohl wie zu Nidda rechteckig und
Aus dem 18. Jahrhundert wird lediglich der       in der Regel durch einen Mittelpfosten (mit
Einbau von Emporen („Borbühnen") 1712            einer Querstrebe?), an drei Fenstern auch
und 1716 erwähnt, „dieweilen die Kirche zu       durch zwei Mittelpfosten, unterteilt.
eng geworden". Um eine Vermehrung der
Plätze in der Kirche war es auch den Hill‐       Zwei Eingänge führten in die Kirche: das
’schen Plänen zu tun. Sie zogen bereits eine     Hauptportal von der Straße her und eine Ne‐
Lösung in Betracht, die dann 1856 radikal        benpforte auf der Ostseite. Das dekorative
durchgeführt wurde, nämlich die Erweiterung      Schmuckstück des Äußeren war das Haupt‐
des Raumes durch Abbruch des Chorbogens          portal. Es dürfte eine rechteckige Türöffnung
und der einspringenden Südostecke.               besessen haben, die von zwei Säulen auf
Die Bauarbeit am Turm, die zur Beseitigung       würfelförmigen Sockeln flankiert war. Ihre
der barocken Dächer und zur Verschieferung       Kapitelle trugen profiliertes Gebälk, wahr‐
des Fachwerks führte, lässt sich aktenmäßig      scheinlich unterbrochen durch ein
nicht belegen. Sie muss um 1800 erfolgt sein.    ornamentiertes Zwischenfeld. Als Bekrönung
                                                 darf ein Wappenstein zwischen Rollwerk ver‐
                                                 mutet werden. Die Kapitelle der Säulen sind
                                                 noch vorhanden: eines befindet sich im Hei‐
                                                 matmuseum, das zweite wurde 1954 im
     Die Gestalt der Kirche und ihre             Kirchturm gefunden. Die von Meister Bern‐
              Ausstattung                        hard nach dem Entwurf des Baumeisters aus‐
                                                 geführte Arbeit hat handwerkliches Gepräge.
Kruzifix vom Ende des 17. Jahrhunderts und Lesepult in der Dreifaltigkeitskirche zu Reinheim
Der runde Kapitellkern wird von einfachen      Chorbogen, wie ihn der Hill'sche Querschnitt
Blatt­ornamenten überzogen, die sich zwi‐      (Abb.) zeigt.
schen zwei kräftig ausgebildete Voluten        Die Decke ruhte auf einem Unterzug, der mit‐
schieben. Möglicherweise gehörte auch die      ten im Kirchenschiff durch die erwähnte
an einer Hauswand der Kaplaneigasse einge‐     große Säule unterstützt wurde. Der Altar stand
mauerte aus der Bauzeit der Kirche stam‐       auf einem vorspringenden Podest am Eingang
mende steinerne Muschel zum Portalaufbau.      zum Chor. Davor befand sich der Taufstein.
Ein genaues Seitenstück zum Reinheimer         Die Kanzel war an der Westwand vor dem
Kirchenportal ist das Seitenportal des Darm‐   Chorbogen angeordnet und über sieben Stu‐
städter Rathauses, das ebenfalls von Wust‐     fen durch eine Tür in der Bogenwand zugäng‐
mann geschaffen wurde.                         lich. Der Chorraum war hauptsächlich der
                                               Kirchenmusik vorbehalten. Hier saß vor der
                                               Sakristei die Schuljugend, die ja im Gottes‐
Das Innere der Kirche stellte einen weiten,    dienst zu singen hatte. Eine schmale Treppe
flachgedeckten Saal dar, an dessen Nord­ und   führte hinauf zur Orgelempore.
Ostwand Emporen entlang zogen. Der Raum
wurde beherrscht durch einen großen runden     Die Form der Kanzel lässt sich nicht mehr
mit Sicherheit ermitteln. Sie besaß einen         spekt ist mit zwei posaunenblasenden Engeln
achtseitigen Korpus und einen Schalldeckel.       und der Initialkartusche Landgraf Ludwigs
Auf dem Hill’schen Plan ist sie mit               VIII. (1739­1768) geschmückt und gehörte
Dekorationsformen des 18. Jahrhunderts ver‐       zu einem Werk, das der Orgelbauer Köhler
sehen, namentlich der Schalldeckel zeigt rei‐     aus Frankfurt 1750 erstellt hatte.
che Blütenschnüre und eine krönende               Diese Orgel hatte in Manual und Pedal 17
Flammenvase. Es ist aber zweifelhaft, ob die‐     Register. In einem Gutachten, das der Fried‐
se Kanzel zur Ausführung kam. An der Wand         berger Orgeltechniker und Seminarlehrer
war eine Sanduhr angebracht. Der geschnitz‐       Thum am 22. März 1858 erstattete, ist fol‐
te Engelkopf im Heimatmuseum könnte von           gende Disposition angegeben:
der alten Kanzel herrühren.
                                                  Manualstimmen:
Auch der alte Taufstein ist nicht mehr vor‐       1. Prinzipal 8 fuß
handen, er wurde 1857 bei der Versteigerung       2. Quintaton 16 fuß
von Abbruchmaterial dem Bauaufseher               3. Viola di gamba 8 fuß
Christ überlassen. Er dürfte so ähnlich ausge‐    4. Gedackt 8 fuß
sehen haben wie der Taufstein zu Höchst, der      5. Oktav 4 fuß
1611 gestiftet worden ist. Der blockförmige       6. Flauto traverso 4 fuß
Altar scheint keinen Zierat besessen zu ha‐       7. Waldflöte 2 fuß
ben.                                              8. Oktav 2 fuß
                                                  9. Nasat 2⅔ fuß
Besonderes Augenmerk verdient das holzge‐         10. Sexquialtera baß
schnitzte Kruzifix, das sich seit 1950 wieder     Sexquialtera diskant
in der Kirche befindet, eine ordentliche Arbeit   11. Mixtur 3fach, repetirt auf kl c c'
eines handwerklich denkenden Meisters aus         12. Trompete 8 fuß mit aufschlagenden Zungen
dem ausgehenden 17. Jahrhundert. Es war
von Geh.­Rat J. Jonas Mylius gestiftet und        Pedalstimmen:
wurde einem Dekret des Konsistoriums vom          13. Subbaß 16 fuß
3. Dezember 1711 zufolge in der Kirche auf‐       14. Violonbaß 8 fuß
gestellt. Seinen alten Platz kennen wir nicht.    15. Oktavbaß 4 fuß
                                                  16. Posaunenbaß 16 fuß
Das beste Ausstattungsstück der Kirche aber       hierzu kommt noch
war der fünfteilige Orgelprospekt des Darm‐       17. Tremulant
städter Hofbildhauers Johann Paul Eckhart
aus dem Jahre 1752.                               Unter dem alten Chorbogen hat sich dieser
Vergoldet hat ihn der Darmstädter Hofmaler        Orgelprospekt harmonisch dem Kirchenraum
Johann Christoph Kastner. Der elegante Pro‐       eingefügt (Abb.). Er gereicht auch der heuti‐
gen Kirche zur Zierde.                           Grabstätte. Im Chor und im angrenzenden
                                                 Südteil des Schiffes sind folgende Gräber
Die evangelischen Kirchen des 17. und 18.        nachweisbar 11):
Jahrhunderts erhielten ein eigenartiges Geprä‐
ge durch die „Stühle" für Adel und Standes‐      1.        Magister Conrad Hack, Pfarrer zu
personen. Sie bildeten regelrechte Verschläge,   Reinheim, der die Kirche hatte erbauen las‐
manchmal glichen sie Buden mit eigenen Tü‐       sen, wird hier begraben am 30. September
ren und Fenstern. Reinheim besaß sechs sol‐      1613.
cher Stühle: den Prediger­ und den               2.        Maria Catharine Küchenmeister,
Kaplaneistuhl beiderseits der Kanzel auf der     geb. von Mosbach, am 25. April 1690.
Westseite, die Stühle des Schultheißen, des      3.       Sophie Elisabetha von Öbschelwitz,
Pfarrers, des Oberamtmanns von Pöllnitz auf      Gattin eines sächsischen Hauptmanns am 9.
der Ostseite und den Stuhl des Majors Rutz in    Februar1694, ihr Kind 1695.
der Nordostecke beim Turm. Am geräumigs‐         4.        Anna Margarethe von Schröder am
ten war der Pöllnitzstuhl. Er war völlig abge‐   25. März 1729.
schlossen und enthielt sogar einen Ofen. Am 2.   5.        Ihr Gemahl Jacob Frh. von Schrö‐
Sonntag nach Epiphanias 1779 verursachte         der, Besitzer des Mosbachischen Guts am 13.
dieser während des Gottesdienstes einen          Juni 1729.
Brand, dem beinahe die Kirche zum Opfer ge‐      6.       Das 2jährige Kind Ludwig Wilhelm
fallen wäre, und wurde daraufhin entfernt. In    Moritz Adam von Pöllnitz am 18. April 1742.
den Hill’schen Plänen ist er noch eingezeich‐    (Die Ortsangabe des Sterbeeintrags lässt er‐
net 10).                                         kennen, dass der Pölnitzstuhl früher im Chor
                                                 stand.)
Wichtig für das Raumbild der Kirche war          7.        Christiane Charlotte Frf. von Pöll‐
auch die Gestaltung der Decke. Sie war ver‐      nitz, geb. von Maskowski, am 18. Mai 1745.
mutlich in ihrer ganzen Fläche in geometri‐      8.        Anna Margarethe Zickwolf, Pfarr‐
schen Formen, ähnlich der zu Nidda,              frau, am 25. April 1752.
stuckiert. Dass der Chor eine flache Stuckde‐    9.        Christian Ernst Moritz von Pöllnitz,
cke hatte, geht aus der Legende eines            Oberamtmann und Burgherr zu Reinheim,
Hill'schen Planes hervor, wonach das erwei‐      am 7. April 1761.
terte Gebälk über dem Chor so zu gestalten       10.       Christian Henrich Zickwolf, Pfarrer
sei, dass es gelinge, „die Stukkaturarbeit im    und Metropolitan, am 12. Oktober 1769.
Chor zu konservieren". Bruchstücke des De‐
ckenstucks wurden 1960 beim Ausschachten         Es ist möglich, dass auch im 30jährigen
des Chorraums gefunden.                          Krieg Beisetzungen von Adelspersonen, etwa
                                                 aus der Familie Mosbach, in der Kirche statt‐
Die alte Reinheimer Kirche diente auch als       fanden, die nicht aufgezeichnet sind. Bei den
Erdarbeiten im Chor 1950 stieß man auf zwei     dem Kultus und der Kirchenmusik genügend
gemauerte Gräber. Leider hat sich von den si‐   Raum vorbehalten blieb, was schon vom
cher vorhandenen Grabdenkmälern nichts er‐      Grundriss her sichtbar wird, in würdiger und
halten.                                         schöner Weise verkörpert.

                Würdigung                       Anmerkungen:

Man darf sagen: die alte Reinheimer Stadtkir‐   1) Abt. Pläne und Karten, Mappe 28,6 B11.
che war ein schlichtes, keineswegs kunstlo‐     mit ausführlicher Legende. U. a. ist die See‐
ses, in seiner Turmarchitektur sogar            lenzahl von Reinheim mit 696, die von Über‐
eigenwilliges Bauwerk, das unter den frühen     au mit etwa 300 angegeben. Maße in Fuß.
evangelischen Kirchenbauten der Landgraf‐       2) Gg. Haupt, Die Bau­ und Kunstdenkmäler

schaft Hessen mit Anerkennung genannt wer‐      der Stadt Darmstadt I, Dst 1952 S. 21 f. J. J.
den darf. Sie hat den Typus einer               Hill, geb. 1730 zu Nieder­Ramstadt, gest.
protestantischen Predigtkirche, in der auch     1802 auf der Marksburg.
3) W. Diehl, Baubuch f. d. ev. Pfarreien d.
Landgrafschaft Hessen­Darmstadt, Dst. 1931,
S. 56 f.
4) Diehl, Baubuch, S. 59.
5) Baurechnung der Stadtkirche zu Reinheim

1610/11, im Ev. Pfarrarchiv Reinheim, aus
der auch die folgenden zitierten Angaben ent‐
nommen sind.
6) Kunstdkm. Darmstadt S. 19. Gg. Haupt

vertrat in früherer Korrespondenz d. Verf. ge‐
genüber die Meinung, dass Kersten der Bau‐
meister d. Reinh. Kirche sei. Inzwischen bin
ich überzeugt, dass hierfür nur Wustmann in
Betracht kommt.
7) Abgedruckt im „Heimatboten" 1933, 3­43.
8) Stadt Reinheim im Odenwald (Festbuch)

hrg. v. W. Schröder, Rhm. 1950, S. 19.
9) „Heimatbote" 1955/12 und 1956/11 u. 12.
10) Eine größere Veränderung der Stühle fand

1753 statt. „Der Herr Oberamtmann verlang‐
te, um der Kälte willen einen ganz wie eine
Stube zugemachten Stuhl mit einem
Ofen." (Protocollum pastorale, Seite 127,
Pfarrarchiv Reinheim). Der Pöllnitzstuhl war
erblich.
11) Heimatbote 1937, 33­37. zusgest. v. Th.

Meisinger.
Die alte Pfarrkirche St. Nikolaus auf dem Berge

Als im Jahre 1276 Reinheim als „municio         Teilen „Hohe Straße" genannt wird, und
Rinheim" zum ersten Mal unter seinem            der mit der mächtigen Reinheimer „Hohl",
heutigen Namen auftaucht, ist von einer         die erst durch die Feldbereinigung zuge‐
Kirche keine Rede. Auch 1300, als das           schleift wurde, in den Talgrund mündete.
„oppidum", die „Stadt" Reinheim genannt         Die Nikolauskirche bezeichnete aber auch
wird, und 1318, als von der „Stadt" und         die höchste Stelle eines Lößhangs, der, wie
von „Bürgern" gesprochen wird, erfahren         gerade die Erschließung des dortigen Bau‐
wir nichts über das Vorhandensein eines         geländes während der letzten Jahre ergeben
gottesdienstlichen Gebäudes. Aber bereits       hat, seit der jüngeren Steinzeit besiedelt
1331 wird ein Pfarrer von Reinheim be‐          war. In der Umgebung der Kirche haben
kannt. Er ist ein in der Landesgeschichte       wir überhaupt das Dorf zu suchen, das der
bedeutender Mann: Graf Gottfried von            Stadtgründung durch die Grafen von Kat‐
Waldeck, zugleich Kanonikus zu Mainz,           zenelnbogen vorausging. Wäre die Niko‐
dem die Vormundschaft für den Grafen            lauskirche erst erbaut worden, als man
Wilhelm II. von Katzenelnbogen übertra‐         Reinheim planmäßig anlegte und mit Mau‐
gen war.1) Wir können aus diesem Um‐            ern und Gräben umgürtete, hätte man sie
stand, dass damals bereits die Pfarrei          nicht außerhalb des geschützten Stadtbe‐
Reinheim existierte und offensichtlich zu       zirks errichtet. Da sie aber vorhanden war,
den bedeutendsten Pfründen in der Ober‐         konnte man sie übernehmen und als Pfarr‐
grafschaft Katzenelnbogen zählte, mit Si‐       kirche ausstatten.
cherheit auf das Vorhandensein einer
diesem Range entsprechenden Kirche              Die Nikolauskirche besaß wenigstens zwei
schließen. Sie müsste dann etwa 1300            Altäre, von denen einer St. Jost, der andere
gleichzeitig mit der Anlage des befestigten     Maria zu Patronen hatte. Letzterer war der
Platzes entstanden sein.                        Frühmessealtar.2) Nach Einführung der Re‐
                                                formation 1527 diente die Kirche bis zum
Es spricht jedoch einiges dafür, dass die al‐   Jahre 1611, als die neu erbaute Dreifaltig‐
te Reinheimer Pfarrkirche, welche St. Ni‐       keitskirche in der Stadt ihrer Bestimmung
kolaus geweiht war, bereits vor der ersten      übergeben wurde, auch als evangelische
geschichtlichen Bezeugung des Ortes be‐         Pfarrkirche. Dann war sie noch als Fried‐
standen hat. Sie lag auf einer Anhöhe ober‐     hofskapelle in Benutzung, in der aber re‐
halb des Gersprenztales, dicht bei dem          gelmäßig Leichenpredigten gehalten
uralten Überlandweg, der heute noch zu          wurden. Auch den 30jährigen Krieg hat sie
leidlich überstanden. Der große Verfall be‐   das Pflaster, auch ein Grabstein aufgeho‐
gann erst im späten 17. und im 18. Jahr‐      ben, und die Kanzel selbst herunter gewor‐
hundert. Schon 1676 muss Pfarrer Johann       fen worden." So betrüblich auch die
Adolf Rühel Verhöre anstellen, weil „et‐      geschilderten Verhältnisse sind, so gibt uns
liche Mägde in der Nikolauskirche unge‐       dieser Schriftsatz eine erste Darstellung
bührliche Händel getrieben" haben sollen.     vom Aussehen der Kirche. Im Laufe der
Pfarrer Georg Sann führt in einem Bericht     Jahre nahm das Zerstörungswerk rasch sei‐
vom 22. April 1709 an das Konsistorium in     nen Fortgang, besonders, nachdem Schatz‐
Darmstadt lebhafte Klage über den Zu‐         gräber, die nach vergrabenen Reichtümern
stand der Kirche. Er schreibt: „Die Kirche    suchten, meist nächt­licherweise in den
ist äußerst verwüstet. In vorigen Jahren      20er Jahren des 18. Jahrhunderts „die
suchte ich sie wieder zu den Leichenpre‐      Grundmauern der Nikolauskirche viele
digten zurecht zu machen, ließ sie inwen‐     Klafter tief dergestalt untergraben, dass der
dig ausputzen, die Kirchtüren wieder zu       Ruin der Kirche drauf erfolgen" musste. So
machen, aber es war alles umsonst. Die        wundert es uns nicht, wenn der nächste
Kirche ist, vermutlich von Fremden, erbro‐    Bericht, von Pfarrer Johann David Krämer
chen, das Marienbild vom Altar gestohlen,     am 12. Oktober 1786 verfasst, den Zustand
der Kirche folgendermaßen schildert: „Der      waren umsonst. Obwohl der Stadtrat na‐
zur Stadt Reinheim gehörige Gottesacker        mens der Bürgerschaft zum Ausdruck
liegt am Ende der Stadt von der westlichen     brachte, dass „sie und jedermann es für ei‐
Seite, und zwar auf einer beträchtlichen       ne Verunehrung des Gottesackers ansehen
Anhöhe und gleichsam auf dem freien Fel‐       würden, wenn man ein so schönes Gebäu‐
de, wo Wind und Wetter einen ungehinder‐       de und Zierde des Ortes und der Gegend
ten Durchgang haben. Auf ihm stund             ganz verfallen ließe" mit dem Zusatz, „die
ehedem eine ansehnliche Kirche, unter          Stadt würde gerne aus Stadtmitteln das ih‐
dem Namen Nikolauskirche. Von dieser           rige dazutun, hoffe aber auch, ein hoch‐
Nikolauskirche aber ist das Schiff bis auf     fürstliches Konsistorium würde um so
wenige Marienstücke ganz verfallen; das        mehr ein Erkleckliches aus dem Kirchen‐
daran gebaute Chor, oder, wie man's ge‐        kasten gnädigst bewilligen", gerieten die
wöhnlich nennt, die Kapelle, stehet noch       Verhandlungen ins Stocken. Die Repara‐
ganz unversehrt in dem Mauerwerk bis auf       turkosten wurden auf 60 bis 70 fl ge‐
ein Eck im Kreuzgewölb. Das mit Schie‐         schätzt. Aber man brachte sie nicht auf.
fersteinen gedeckte Dach aber ist, weil es     Und schon im nächsten Bericht, vom 19.
ungewöhnlich hoch geführt und in langen        Dezember 1790, muss Plarrer Krämer mit‐
Jahren nichts daran gemacht worden, sehr       teilen, dass inzwischen „der steinerne Gie‐
schadhaft. Das Mauerwerk an dieser soge‐       bel" der Kapelle „mit einem großen Getös
nannten Kapelle ist nicht nur massiv, son‐     und nicht geringem Schrecken der ganzen
dern auch modern und hat 5 regelmäßige         Nachbarschaft einstürzte und das gesamte
Fenster und 10 Schuh Höhe. Das hiesige         Dachwerk nachzustürzen drohte". 1810
adelige Burghaus hat darin von alten Zei‐      standen von der Kirche nur noch die Um‐
ten her sein Erbbegräbnis; dasselbe hat        fassungsmauern des Chors. Da man den
auch zur Erhaltung der Kapelle und des         völligen Einsturz befürchtete, überließ der
Erbbegräbnisses in vorigen Zeiten ein Ka‐      Stadtrat „die Steine von dieser gefährlichen
pital von 100 fl. gestiftet, wovon die Zin‐    Ruine dem Amtmann Dietz, zur Ersparung
sen in dem Kirchenkasten verrechnet            der Demolierungskosten unter der Bedin‐
werden . . . Die Lage der Kapelle und de‐      gung zum Behuf seines Bauwesens über‐
ren Prospekt gibt dem Gottesacker ein          lassen, dass er den Abbruch und die Reini‐
überaus schönes Ansehen in der Ferne und       gung des Platzes auf seine Kosten
zeichnet den Reinheimer Gottesacker in ei‐     übernehme". Amtmann Dietz wurde dieses
nem Gesichtskreise von etlichen Stunden        ungesetzlichen Handelns wegen mit 10
Wegs sehr deutlich aus. So vorteilhaft aber    Reichtstalern und der Stadtrat von Rein‐
dieser Anblick ist, so groß hingegen ist der   helm mit 5 Reichstalern Strafe belegt –
Mißstand in der Nähe . . .“. 3)                aber die Kapelle war damit ausgelöscht.
Alle Bemühungen, die Kirche zu retten,         Aus ihren Steinen ist das heutige Hotel
„Darmstädter Hof" erbaut.                    langem in unserer Dreifaltigkeitskirche
Den Stand der Nikolauskirche haben wir       aufgestellt. Auch das 1565 ausgestorbene
auf dem Friedhof, parallel zur gegenwärti‐   Geschlecht der Kalb von Reinheim hatte
gen Friedhofskapelle, von der Lutherlinde    ebenso wie das 1635 infolge der Pest erlo‐
bis zum Erbbegräbnis Pöllnitz­Willich        schene Geschlecht der Mosbach von
anzunehmen. Grabungen nach den Fun‐          Lindenfels hier seine Familiengruft. Das
damenten haben bisher nicht stattgefunden.   Pfarrarchiv bewahrt eine gedruckte Lei‐
Sie versprechen auch keine allzugroße        chenpredigt auf, die 1634 durch Pfarrer
Aussicht auf Erfolg. Der Platz des Kir‐      Ludwig Hirsch für Hans Heinrich Mos‐
chenschiffes wurde bereits im späten 18.     bach, zuletzt Amtmann zu Kelsterbach ge‐
Jahrhundert für die Friedhofserweiterung     halten wurde, welcher am 16. März 1624
in Anspruch genommen, als man dazu           „christlich und adelich zu St. Nicolaus zur
überging, anstelle des überlieferten Sip‐    Erden bestattet worden“. Leider sind mit
pengrabes das Reihengrab einzuführen.        der Kirche auch die Grabdenkmäler unter‐
Der Chor aber stand zu Teilen dort, wo       gegangen.
jetzt die Bahn Reinheim­Reichelsheim, das    Nur eine einzige Zeichnung hat uns das
„Odenwälder Lieschen", in einem Tunnel       Aussehen der Nikolauskirche in Umrissen
unter dem Friedhof hindurchführt. Da die‐    festgehalten: es ist die Ansicht von Rein‐
ser Tunnel in Gestalt eines Einschnitts in   heim aus dem letzten Drittel des 17. Jahr‐
den Berg von oben her gegraben und die       hunderts,      die      für Winckelmanns
ausgehobene Erde nach Fertigstellung der     „gründliche und wahrhafte Beschreibung
Wölbung wieder auf die frühere Höhe auf‐     der Fürstentümer Hessen" 1607 angefertigt
gefüllt wurde, sind hier keine Forschungen   wurde. Aus diesem Bilde und dem, was
nach alten Fundamenten mehr möglich.         wir den angeführten Berichten entnehmen
Das Pöllnitz'sche Erbbegräbnis, welches      dürfen, 4) stellt sich die Nikolauskirche dar
sich unter dem Chor befand, wurde 1810       als einschiffiges Gebäude mit gewölbtem
auf Kosten der Familie wieder hergestellt.   Chorraum, der wahrscheinlich mit ³/8
Es besteht heute aus 4 Grabkammern. Ob       Schluss endigte. Die Westseite war von ei‐
diese noch in die Zeit der Nikolauskirche    nem Dachreiter­Turm bekrönt. Im Ganzen
zurückreichen, lässt sich nicht sagen.       mag die Nikolauskirche am ehesten den
Die Nikolauskirche diente als Begräbnis‐     heute noch bestehenden Kirchen von Alt‐
stätte für den einheimischen Adel und für    heim bei Dieburg oder von Klein­Umstadt
Standespersonen. Pfarrer Christoph Höver,    verwandt gewesen sein, nur, dass Rein‐
welcher von 1565 bis zu seinem Tode am       heim keinen selbständigen Westturm be‐
11. März 1594 Reinheim versah, wurde         saß. Die aus der Zeichnung ersichtliche
dort bestattet. Sein Grabstein wurde bei     und in den Beschreibungen hervorgehobe‐
den Tunnelarbeiten gefunden und ist seit     ne Form des hohen Daches lässt darauf
schließen, dass der das Schiff beträchtlich
überragende Chor erst im ausgehenden 15.
Jahrhundert erbaut worden ist (Altheim
1466). In diesem Zusammenhang mag er‐
wähnt werden, dass an der Nikolauskirche
zwei Bürger das Amt von „Baumeis‐
tern“ (d. h. Baupflegern) versahen, die in
der ältesten Urkunde des Pfarrarchivs vom
21.9.1435 genannt werden. Von der Archi‐
tektur der Nikolauskirche ist nur ein win‐
ziger Überrest auf uns gekommen: das
steinerne Kreuz, das einst den Giebel der
Kapelle schmückte. Es ist heute in der Kir‐
che beim Taufstein eingemauert, so dass
vor diesem ältesten Wahrzeichen des Chri‐
stenglaubens in Reinheim jetzt die jüngsten
Glieder der Gemeinde die hl. Taufe emp‐
fangen.
Baugeschichte der Dreifaltigkeitskirche zu Reinheim
                           1856 ­1972

                 Der große Umbau der Kirche 1856 / 57

Als in den Jahren 1610/11 die Stadtpfarrkir‐     evangelisch­lutherisch und 3 evangelisch­re‐
che „Zur heiligen Dreifaltigkeit" erbaut wurde   formiert (außerdem wurden damals 5 Katho‐
und die bisherige außerhalb der ummauerten       liken, 17 Mennoniten und 36 Juden gezählt).
Stadt gelegene St. Nikolaus­Pfarrkirche ab‐      1831 waren es 1176 Evangelische bei einer
löste, zählte Reinheim noch nicht 300 Ein‐       Gesamteinwohnerzahl von 1257.
wohner. Anderthalb Jahrhunderte später, etwa     1854 hatte Reinheim 1491 Einwohner.
1765, war die Seelenzahl auf 669 angewach‐       Überau, das seit 1819 selbständige Pfarrei
sen — nachdem sie während des 30jährigen         war, obwohl der Pfarrer noch bis 1839 in
Krieges im Jahre 1635 auf 20 Familien mit        Reinheim wohnte und dort den Dienst als
höchstens 80 Personen abgesunken war. Die        „Kaplan" tat, zählte 1854 791 Seelen. 1855
Kirche, die zur Zeit ihrer Erbauung für Rein‐    beschlossen der Reinheimer Kirchenvorstand
heim und Überau ausgereicht hatte, erwies        – zu­ dem auch der amtierende Bürgermeister
sich 1765 als zu klein. Man trug sich mit der    Bauer und der Überauer Vikar Kehrer gehör‐
Absicht, sie durch einen Umbau zu vergrö‐        ten – unter dem Vorsitz des Pfarrers Daniel
ßern.                                            Georg Engel die völlige Erneuerung der Kir‐
Der hessische Ingenieurlieutenant Johann         che.
Jakob Hill (1730—1802) entwarf dazu              Die Großherzogliche Oberbaudirektion über‐
mehrere Pläne. Sie blieben in der Plansamm‐      trug die Bearbeitung der Pläne für diese „Her‐
lung der Landes­ und Hochschulbibliothek zu      stellung" dem Dieburger Kreisbaumeister
Darmstadt erhalten, wurden erst vor wenigen      Kraus. Sie wurde unter seiner Aufsicht sowie
Jahren dort entdeckt und 1962 erstmals veröf‐    unter Mitwirkung der Großherz. Baukandida‐
fentlicht.1) Die Gründe, warum ihre Ausfüh‐      ten Dauth und Schöneck, der Bauaufseher‐
rung unterblieb, sind uns unbekannt. Ver‐        kandidaten Rheininger und Jung, sämtlich zu
mutlich mangelte es an den erforderlichen        Dieburg, sowie des Bauaufsehers Christ aus
Mitteln.                                         Groß­Bieberau zwischen September 1855
                                                 und September 1857 ausgeführt. An Geldern
1810 war die Einwohnerzahl von Reinheim          standen hierfür aus dem „Fonds für die
auf 1067 angewachsen. Davon waren 1006           Herstellung der Kirche zu Reinheim" 10 463
fl (= Gulden) 58 kr (= Kreuzer) zur Verfü‐       ten auf: „Das Platten­ und Backsteinbeleg im
gung, von denen nur 9761 fl, 27 kr verbraucht    Schiff und Chor der Kirche aufgebrochen, die
wurden, so dass noch ein Creditüberschuß         Platten und Backsteine entfernt und die ganze
von 702 fl 31 kr verblieb.2)                     Kirche sodann nach der gegenwärtigen Höhe
                                                 mit Mauer­ und Backsteinen und sonstigem
Diese Herstellung war sehr gründlich. Sie        Schutt verfüllt", 59 fl 15 kr; „die linke Hälfte
veränderte den Innenraum völlig. Der große       der Umfangsmauer im Chor, den das Chor
Chorbogen wurde abgebrochen, die auf der         und das Schiff abschließenden gemauerten
Ostseite des Chors einspringende Ecke wurde      Bogen sowie den Altar­ und Taufstein abge‐
beseitigt und die Längswand bündig mit der       brochen, die Steine von Schutt und Speiß sau‐
Chorwand verzahnt, was auch eine Verbreite‐      ber gereinigt und an schückliche Plätze bis zur
rung der Südwand des dreiseitig geschlosse‐      Wiederverwendung aufgeklaftert, die dabei
nen Chors zur Folge hatte, wie es bereits auf    vorgekommenen Hausteine sortiert und bei
den Hill’schen Plänen vorgesehen war. Die        Seite gelegt", 128 fl 58 kr; „die Vermauerung
Fenster wurden in Höhe und Form verändert,       in dem dermalen von Willich'schen Kirchen‐
die Orgel kam vom Chor auf die Eingangs‐         stuhle desgleichen abgebrochen" ferner für
seite, die Empore, die bisher nur auf der Süd­   Aufführen von neuem Mauerwerk, besonders
und Nordseite bestanden hat, wurde durch ei‐     an den Um­fassungswänden des Chors und
nen Flügel auf der Westseite erweitert. Das      für Erhöhen sämtlicher übrigen Umfas­
Dach wurde abgebrochen und durch ein neu‐        sungswände, für das Zumauern der hinteren
es mit etwas flacherer Neigung ersetzt. Das      Tür und ähnliche Arbeiten insgesamt 704 fl
Portal erhielt eine neue Gestalt und rückte in   49 kr. Es wird „rings um die Kirche im Innern
die Mittelachse des Raums. Auch die Plätze       ein Trockenkanal angelegt" (25 fl 37 kr), es
von Altar, Kanzel, und Taufstein wurden ver‐     werden Platten verlegt und dergleichen mehr
ändert, wobei man bei der Kanzel zunächst        Arbeiten ausgeführt, der „Winkel nach der
wohl den alten Platz auf der Seite beibehalten   Nachbarshofreite zugemauert", „vier Treppen
wollte, sich aber nach einer „akkustischen       fundamentiert", „die oberste Thüre am Thurm
Probe" am 22.1.1857 für ihre nachträgliche       und die Stelle des alten Kandels zugemauert",
Aufstellung im Chorscheitel entschied. Nur       „der Giebel am Chor abgebrochen, in den
der Turm, der zu Anfang des 19. Jahrhunderts     Backsteingefachen". Die Gesamtausgabe der
ein neues vereinfachtes Dach anstelle des bis‐   Maurerarbeiten an Jakob Enders beträgt 1183
herigen geschweiften und gestuften Barock‐       fl 21 kr.
helms erhalten hatte, blieb 1856/57 im
Ganzen unangetastet.                             Für das Brechen der Mauersteine erhält Carl
Die Bauarbeiten begannen im Mai 1856.            Itzel in Heubach 52 fl 57 kr.
Maurermeister Jakob Enders II. in Dieburg        Sie werden angefahren durch Justus Schuch‐
führt in einer ersten Rechnung folgende Pos‐     mann, Karl Knell und aufgesetzt von Konrad
Schuchmann sämtlich aus Reinheim. Blauen           Pfarrstuhls von sauberem Kiefernholz mit
Kalk lieferte Dieter Lohnes von Mümling­           verzierten Füllungen, die Fenster von Eichen‐
Grumbach, geflößten Bachkies Friedrich             holz, zweiflüglich, nach außen verziert, oben
Füllhardt von Ueberau und Konrad Ruths II.         mit einem Kranzgesims versehen" 90 fl, auf
von Groß­Bieberau.                                 die „Anfertigung eines einfachen Altars, ge‐
Einen größeren Rechnungsposten ergeben die         stemmt, von Kiefernholz" 14 fl.
mancherlei Steinhauerarbeiten, die dem             Die Schlosserarbeiten führt Peter Weigel von
Steinhauermeister Carl Itzel von Heubach           Höchst aus. Sie erstrecken sich auf „Anliefe‐
übertragen werden, darunter für „Verarbei‐         rung von 12 neuen Fensterrahmen von
tung und Lieferung von geschliffenen und           Gußeisen, nach ertheilter Detailzeichnung"
steinglatten Thür­ und Fenstergestellen und        und einen ebensolchen Rahmen über der Ein‐
Treppentritten", 661 fl 32 kr; „für die Anferti‐   gangstür für zusammen 390 fl 45 kr, sowie
gung und Anlieferung des Taufsteins" erhält        zahlreiches Beschlag an den Türen, Schlösser,
Jacob Weiß von Hering 21 fl 45 kr.                 Riegel, Schrauben, Bänder u. a. für 464 fl 37
Der Zimmermeister Ludwig Wacker aus                kr. Die Verglasung der Fenster mit hellem und
Pfungstadt empfängt „für Abbrechen des al‐         buntem Glas besorgt Glasermeister Philipp
ten Daches, Transport des Holzes, Bearbeiten       Kopp zu Reinheim für 372 fl 42 kr. Um dem
des alten Holzes, Bearbeiten und Aufschlagen       Altarraum mehr Ansehen zu geben, versieht
von neuem Holze, Anfertigung einer Treppe,         man dort die 5 großen Fenster mit geome‐
Verschalen der Decke und der Emporbühne,           trisch angeordnetem Buntglas in den Farben
Anfertigung eines neuen Dachgesimses sowie         dunkelrot, dunkelgrün, dunkelblau, hellblau,
für Veränderungen an der Emporbühne" 1259          hellgrün, braun, violett und gelb. Die letzten
fl 31 kr. An Johannes Feick von Groß­Biebe‐        Reste dieser eigenartigen Verglasung wurden
rau werden für „Anfertigung der Kanzeltrep‐        erst 1972 anlässlich der jüngsten Kirchener‐
pe" 29 fl 49 kr gezahlt.                           neuerung beseitigt.
Dachdeckermeister Wilhelm Appel in Rein‐           Der Weißbindermeister Wilhelm Pfaff aus
heim deckt das neue Dach und erhält dafür          Groß­Umstadt erhält „für Tünchen und An‐
290 fl 37 kr. Dem Schreinermeister Johannes        streichen der Umfangswände der Kirche, An‐
Wolfenstätter von Dieburg werden die Schrei‐       strich der Hausteine mit Ölfarbe, desgleichen
nerarbeiten verdingt. Er arbeitet das Gestühl,     der Thüren, des Dachgesimses, der Treppen,
die Türen, die Fußböden, die Emporenbrüs‐          der Kanzel, des Altars, der Emporbühne, der
tungen, die Emporenstützen, die Kanzel und         Kirchenstühle sowie der Säulen unter der
den Altar. Sein Lohn sind 1511 fl 7 kr und         Emporbühne" 839 fl 48 kr.
314 fl 21 kr, davon entfallen für die „Anferti‐
gung einer neuen Kanzel, gestemmt von              Die Malerarbeiten werden Adam Kolb aus
Eichenholz mit Kranzgesims und verzierten          Dieburg übertragen. „Für Cassetiren der De‐
Füllungen" 66 fl, auf die „Anfertigung des         cke, für Lackiren der Altarplatte, desgl. Ge‐
sims der Emporbühne und des Pfarrstuhls"         Das „Legen der Fußböden auf der Empor‐
werden 185 fl 20 kr ausgegeben. Im Einzel‐       bühne", die „Anfertigung der Brüstung, Ver‐
nen führt die Rechnung auf:                      kleidung der Durchzüge, Balken und Säulen,
„An der Kassettendecke . . . Gesims gemalt",     Anfertigung der Bänke auf die Emporbühne
„Auf die Durchkreuzung der Eintheilung 26        und eines Stuhls in dem Chor sowie die Ab‐
Stück Rosetten gemalt", „den Altar von vier      änderung der Kanzel" besorgt Johannes
Seiten weiß lackirt, die mittleren Füllungen     Wolfenstätter aus Dieburg für 314 fl 21 kr.
entsprechend abgetönt und die an den Decken
befindlichen Rundstäbe vergoldet", „die obere    Weitere Tüncher­ und Anstreicherarbeiten
Platte des Altars und die beiden unteren So‐     führte Wilhelm Pfaff aus Groß­Umstadt an
ckel marmorirt und lackirt", „die Kanzel des‐    den „für die Emporbühnenträger ausgebro‐
gleichen lackirt und in Farben abgetönt", „das   chenen Öffnungen" aus, verrohrt und tüncht
Kreuz auf dem Kanzeldeckel, sechs an den         die Decke der Emporbühne und versieht das
Hauptgesimsen befindliche Rundstäbe sowie        übrige Holzwerk, die Stühle auf der Empore
die Einfasung der unteren Träger und Roset‐      und die Brüstungen und die Säule mit Leim‐
ten vergoldet", „an dem unteren Gesims der       farbenanstrich, wofür ihm 66 fl 18 kr gezahlt
Emporbühne den oberen Karnies mit Blättern       werden.
dekorirt".                                       Für das Reinigen der Kirche und kleine Aus‐
                                                 besserungsarbeiten im Taglohn erhalten Mar‐
Es folgen die Spenglerarbeiten. Spengler‐        garetha Borger und andere 24 fl 10 kr, für
meister Heinrich Berg von Reinheim erhält        Glaserarbeiten Johannes Feick von Groß­Bie‐
„für Anfertigung neuer Dachkandel mit Re‐        berau 30 fl 40 kr, für Lieferurig von gusseiser‐
genrohr und Rohrkessel mit Kandelleisten         nen Kandelröhren der Eisenhändler Jakob
und Rohrschellen" 138 fl 06 kr.                  Scheid zu Darmstadt 66 fl 45 kr, für Herstel‐
                                                 lung des Pflasters in der Turmhalle Pflaster‐
Weitere Posten sind „für Aufbrechen des Plat‐    meister Jakob Dieh1 von Dieburg 186 fl 23
tenbelegs, Ausgraben und Ausmauern der           kr.
Fundamente, der Postamentsteine, für Verset‐
zen dieser Steine, für Einmauern der Treppen‐    Unter der Rubrik b) „Zufällige Arbeiten und
steine" an Jakob Enders II. von Dieburg mit      Lieferungen", die nächst der Rubrik „Eigent‐
13 fl 24 kr und „für Lieferung von Posta‐        liche Baukosten a) nach dem Voranschlag und
mentsteinen zu den Emporensäulen'' an Carl       besonderer Genehmigung" geführt wird, sind
Itzel von Heubach mit 11 fl 56 kr eingesetzt.    in der Rechnung noch eine Reihe weiterer Ar‐
Ludwig Wacker von Pfungstadt erhält „für         beiten verzeichnet, in denen die gleichen
Lieferung und Bearbeitung von Floßtannen‐        Handwerkernamen begegnen wie bisher.
holz und Verschalen der Decke der Empor‐         Während der Bauarbeiten wurde eine Planän‐
bühne" 168 fl 51 kr.                             derung vorgenommen. Sie betraf die Stellung
der Kanzel. Ihr vorgesehener Platz war auf       Darmstadt (3 fl) und das Aufziehen der
der Westseite, am Beginn des dreiseitigen        Zeichnungen auf Leinwand durch den Buch‐
Chorschlusses. Die Kanzel der Kirche von         binder Jakob Rachor in Dieburg (3 fl 30 kr),
1610/11 hatte ebenfalls auf der Westseite, je‐   die Ausgaben für Botengänge an Margaretha
doch weiter nach vorne, gestanden3). Man         Stuckert, für Reinigung und Bohnern des
nahm am 22. Januar 1857 in Gegenwart des         Fußbodens um den Altar an Adolph Mergen‐
Oberbaurats Dr. Müller und des Superinten‐       roth, für Reinigen der Kirche und Beseitigen
denten Dr. Zimmermann eine akustische Pro‐       von Schutt an Philipp Kaiser und für Be‐
be vor und benützte hierfür die alte Kanzel.     kanntmachung der Versteigerungen von „al‐
Das Ergebnis war, dass man der neuen Kanzel      ten Baugegenständen" in der „Darmstädter
den Standort im Chorhaupt zuwies, den sie        Zeitung" und im „Anzeigenblatt für die Krei‐
bis 1972 innehatte.                              se Dieburg und Neustadt". Diese fanden
In der Rechnung werden „für Aufstellen der       mehrmals statt. Dabei sind auch aufgezählt:
alten Kanzel und Herrichtung eines Gerüsts       der alte Taufstein, den Bauaufseher Christ am
an die Stelle der neu zu erbauenden Empor‐       26. 3. 1856 für 1 fl 30 kr steigerte, und die alte
bühne zur Vornahme der accustischen Probe"       Kanzel mit Schalldeckel, die am 6. 3. 1858
an den Maurermeister Wilhelm Stühlinger in       für 1 fl 35 kr an Dekan Engel gelangte.
Reinheim 5 fl 12 kr aufgeführt, hinzu kom‐
men die Diäten für den Oberbaurat Dr. Müller     Einer besonderen Prüfung musste noch die
mit 4 fl 30 kr und den Prälaten Dr. Zimmer‐      alte, 1750 von Johann Christian Köhler er‐
mann, Großherzoglichen Superintendenten          baute Orgel unterzogen werden. Damit wurde
der Provinz Starkenburg mit 11 fl 2 kr (ein‐     der Friedberger Seminarlehrer und Orgelbau‐
schließlich Ausgaben für Chaise 5 fl, Trink‐     techniker Thum betraut. Er erstattete am 22.
geld 1 fl und Weggeld 32 kr).                    3. 1856 einen Bericht über den Abbruch und
                                                 die Herstellung der Reinheimer Orgel, in dem
Die Diäten des Kreisbaumeisters Kraus betra‐     auch die Disposition der Orgel enthalten ist 4).
gen 108 fl 30 kr, ferner erhalten Baukandidat    Es heißt dann zum Zustand der Orgel: „Das
Dauth 465 fl 26 kr, Baukandidat Schöneck 21      Metallpfeifenwerk, ausgenommen das im
fl 30 kr, Kreisbauaufseher­Kandidat Rheinin‐     Prospekt stehende Principal, ist nicht von
ger 15 fl, Bauaufs.­Kandidat Jung 1 fl und       Zinn, sondern von Blei, dem nur eine höchst
Bauaufseher Christ 36 fl. Daraus ergibt sich,    unbedeutende Menge von Zinn beigemischt
dass die Bauaufsicht hauptsächlich bei dem       ist. Diese Pfeifen sind sehr schwach gearbei‐
Baukandidaten Dauth lag. Zu den Baukosten        tet, so daß sie sich nicht allein leicht verbiegen
rechnen auch die Miete einer Scheuer als Ma‐     und verstimmen, sondern auch durch Oxyda‐
gazin von Johannes Vonderschmidt in Rein‐        tion des Metalls schon stark ruiniert sind;
heim (9 fl), die Lieferung von Zeichenpapier     überdies sind dieselben, wie genau zu ersehen
durch die Dieh1'sche Buchhandlung in             ist, durch schlechte Orgelbauer vielfach ver‐
dorben worden. Unter diesen Umständen              ausnehmend großem Nutzen sein, und die Ju‐
würde es ganz der Sache angemessen sein,           gend eine ansehnliche Verbesserung erhalten.
wenn das Metallpfeifenwerk der Orgel neu           Der jetzige Organist ist nur auf eine Zeit lang
gemacht würde, wozu ich aber deshalb hier          angenommen, seiner Profession nach ein
nicht rathen kann, weil die Orgel in ihrer gan‐    Schneider, der solche abenteuerlichen
zen Konstruktion von zu veralteter Bauart ist.     Schlumperliedercher zum Ausgang zu spielen
Daher dürfte es am besten sein, wenn die Re‐       pflegt, die dem Landvolk Kirch und Predigt
paratur des Pfeifenwerks nur in der Weise          sogleich wieder aus dem Kopf zu bringen fä‐
vorgenommen wird, wie es Orgelbauer Ro‐            hig sind, daher ich mich gedrungen gesehen,
thermel angegeben. Ich erlaube mir noch an‐        diesen Kerbenfiedler vor mich kommen zu
zufügen, daß die Orgel zwar 18 Registerzüge,       lassen und ihn in Ordnung zu weisen, und für
aber nur 16 klingende Stimmen hat, indem           die Zukunft Gott um mehr Verstand und
die Sexquialtera für Baß und Diskant je einen      Überlegung zu bitten".
besonderen Zug hat und ein Zug dem Tremu‐
lant angehört. Letzterer ist eine Vorrichtung,     Am 22. 4. 1856 wird ein Vertrag mit dem
die den Ton der Orgel zittern macht und die        Landorgelbauer Georg Rothermel zu Zwin‐
jedenfalls, als die Stimmung der Orgel beein‐      genberg geschlossen, der sich auf das Gutach‐
trächtigend und geschmacklos in ihrer Wir‐         ten Thum bezieht und den Orgelbauer zur
kung, aus der Orgel entfernt werden muß."          Reperatur der Orgel verpflichtet. Sie soll
                                                   längstens 4 Wochen vor Einweihung der Kir‐
Der Organistendienst an der ersten, 1685 auf‐      che beendet sein.
gestellten Reinheimer Orgel war ursprünglich       Am 11.7.1857 bescheinigt der Seminarlehrer
mit dem Dienst des Präceptors und Diaconus         und Orgelbautechniker Thum, dass Rother‐
verbunden und wurde aus den Zinsen eines           mel „allen seinen im Orgelbauaccord über‐
Legats von 100 fl vergütet. Das waren 5 fl.        nommenen Verbindlichkeiten getreulich
Dazu kamen zu Anfang des 18. Jahrhunderts          nachgekommen ist". Die vorgesehenen 205 fl
noch 15 fl Orgellohn aus der Gemeindekasse.        werden zur Zahlung angewiesen.
Als Organisten wirkten auch die Stadtschrei‐
ber und verschiedene Privatpersonen. Unter         Nach Beendigung aller Arbeiten konnte die
ihnen wird der Schneider Johann Leonhard           feierliche Einweihung der Kirche vorgenom‐
Moser, der über 23 Jahre lang die Orgel spiel‐     men werden. Das geschah am 23. 8. 1857 in
te, in einem Visitations­Bericht des Superin‐      einem Festgottesdienst, dessen Programm
tendenten Olff von 1782 5) besonders               noch vorhanden ist. Man stellte sich am Rat‐
erwähnt. Er schreibt darin, dass er gerne für      haus in einem Festzug auf. Um 7:10 Uhr be‐
die Reinheimer Mädchenschule einen Lehrer          gann die Feier mit dem Gesang der
eingestellt sähe, der zugleich die Orgel spielte   Gemeinde: „Komm heil’ger Geist, kehr bei
„es würde dieses für das ganze Städtchen von       uns ein". Der Weihrede folgte ein Lied, das in
drei Versen die Dreifaltigkeit anrief und nach   einer Melanchthonbüste zusammen mit der
der Weise „Wie schön leuchtet der Morgens‐       vom Reformationsjubiläum 1817 herrühren‐
tern" gesungen wurde. Wer die Predigt hielt,     den Lutherbüste und entsprechenden
ist nicht verzeichnet, wahrscheinlich Dekan      Inschrifttafeln beiderseits der Kanzel. 1892
Enge. Die Schuljugend sang nach dem Va‐          wurde ein figürliches Farbfenster über der
terunser „Ach bleib mit deiner Gnade". Man       Kanzel angebracht. Es stellte den predigenden
feierte auch das heilige Abendmahl und           Christus dar und war eine Stiftung von Frau
schloss den Gottesdienst mit dem Liede „Nun      Fritz Hegendörfer in Darmstadt.
danket alle Gott".
                                                 Nach der Pensionierung von Pfarrer
                                                 Schuchard wandte der mit der Verwaltung der
    Das kirchliche Bauwesen zwischen             Pfarrstelle in Reinheim beauftragte Pfarr­As‐
              1857 und 1950                      sistent Fritz Weiß der Kirche sein besonderes
                                                 Augenmerk zu. Er ließ eine Kirchenheizung
1858 wurden der Kirche ein vergoldetes           1910 durch die Firma Käuffer & Co. in
Altarkreuz durch den Regierungsrat von Wil‐      Mainz für 3200 M bauen, die am 20.11.1910
lich und zwei Abendmahlskannen nebst Tauf‐       in Betrieb genommen werden konnte. Auf
geschirr durch Sophie Bauer, Witwe des           dem Kirchenspeicher entdeckte er 3
Gastwirts und Gemeinderats­Mitglieds             Holzskulpturen: 2 Heiligenfiguren und einen
Johannes Bauer gestiftet. Die Abendmahls‐        Kruzifixus, „gänzlich verstaubt, den Sonnen‐
kannen, die eine schöne klassizistische Form     strahlen und dem Ungeziefer ausgesetzt".
haben, sind heute noch in Benützung. Auch        Er nahm an, dass die Figuren aus der alten
das Taufgeschirr ist noch vorhanden, wird        Nikolauskirche stammten – was aber nur für
aber nur noch bei Haustaufen verwendet. Die      die beiden Heiligen Johannes den Täufer und
beiden Zinnteller für die Beckenkollekte, die    Nikolaus zutrifft 6), das Kruzifix war 1711
gleichfalls bis heute ihrem Zweck dienen, ka‐    von J. Jonas Mylius für die Dreifaltigkeitskir‐
men 1861 als Stiftung des Schneidermeisters      che gestiftet worden. Die Holzfiguren kamen,
Johannes Baldauf hinzu.                          da man in der Kirche keinen geeigneten Platz
                                                 für sie fand und die Kirchenbehörde einem
Im Jahre 1873 wurde in der Kirche eine Ge‐       Verkauf an das Landesmuseum nicht zuge‐
denktafel für die beiden im Kriege gegen         stimmt hatte, zunächst als Leihgabe an das
Frankreich 1870/71 gebliebenen Reinheimer        Heimatmuseum. 1950 wurden der Kruzifixus
errichtet: Wilhelm Kilian, gefallen bei Grave‐   und 1956 die Heiligenfiguren wieder in der
lotte am 18.8.1870, und Johann Georg Hen‐        Kirche aufgestellt.
kel, gestorben an Typhus im Lazarett von
Pont­á­Mousson am 4.11.1870. 1883 be‐            Pfarrverwalter Weiß ließ 1910/11 einige Er‐
schloss der Kirchenvorstand die Aufstellung      neuerungen und Veränderungen in der Kirche
Sie können auch lesen