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Stephan Kaufmann Investoren als Invasoren Staatsfonds und die neue Konkurrenz um die Macht auf dem Weltmarkt rls 51
Rosa-Luxemburg-Stiftung Texte 51
Rosa-Luxemburg-Stiftung STEPHAN KAUFMANN Investoren als Invasoren Staatsfonds und die neue Konkurrenz um die Macht auf dem Weltmarkt Karl Dietz Verlag Berlin
Stephan Kaufmann: Investoren als Invasoren. Staatsfonds und die neue Konkurrenz um die Macht auf dem Weltmarkt (Reihe: Texte / Rosa-Luxemburg-Stiftung; Bd. 51) Berlin: Karl Dietz Verlag 2008 ISBN 978-3-320-02158-0 © Karl Dietz Verlag Berlin GmbH 2008 Satz: Elke Sadzinski Umschlag: Heike Schmelter, unter Verwendung eines Fotos von iStockphoto.com/Christian Nasca Druck und Verarbeitung: MediaService GmbH BärenDruck und Werbung Printed in Germany
Inhalt Einleitung 7 Ausländisches Kapital – bedingt willkommene Akkumulationshilfe 11 Vom Nutzen des Auslandskapitals 11 ›Strategischer Sektor‹ – was ist das? 12 Bedeutung des Auslandskapitals in Deutschland 16 Staatsfonds – die nicht ganz neuen Investoren 20 Woher kommt das Geld? 24 Gründe für die Einrichtung von Staatsfonds 24 Anlagestrategien von Staatsfonds 27 Undurchsichtige Fonds – die neuen UFOs 28 Marktgröße und Wachstumstrend 29 Kapitalstrom in die Industriestaaten 32 Neue Machtgeografie der Weltwirtschaft – die Länder hinter den Staatsfonds 33 Aufstieg der BRIC-Staaten 34 Ölpreis-Hausse – wachsende Macht der Opec 36 Umkämpfte Terrains 40 Rohstoffe Offshoring/Geistiges Eigentum Global Governance Weltwirtschaftliche Ungleichgewichte Dollar-Regime Investitionsbedingungen Staatsfonds ante portas – die Industrieländer zwischen Abwehr und Einladung 52 Der Ausgangspunkt 52 Mögliche Folgen von Staatsfonds 55 Folge 1: Neue Kapitalströme und Geschäftsmöglichkeiten Folge 2: Substitutionseffekte auf Anlagekategorien – Angriff auf ›Bretton-Woods II‹? Folge 3: Gefahr für die Finanzmarktstabilität?
Folge 4: Politische statt ökonomische Renditen? Abwehrmechanismen in den G7-Staaten 59 Abwehrmechanismen in Deutschland 62 Deutschland rüstet auf: Neue Investitionsregeln 64 Die Haltung der EU 67 Weitergehende Anforderungen an SWF-Staaten 68 Wohlverhalten… …und Reziprozität Fazit – Ideologien, Ziele und Nutzen der Staatsfonds-Debatte 73 Die Heuchelei 73 Die Dramatisierung 75 Ursachen, Zweck und Nutzen der Staatsfonds-Debatte 82 Neue Weltordnung I: Verschiebung der Machtgewichte – Industrieländer gegen Schwellenländer Neue Weltordnung II: US-Offensive und Wirtschaftspatriotismus – Industrieländer gegen Industrieländer Die Reaktion Deutschlands Literaturverzeichnis 91
Einleitung Insbesondere seit Mitte der neunziger Jahre sind deutsche Regierungen bemüht, ausländisches Kapital nach Deutschland zu holen. Der Zufluss – bzw. sein Aus- bleiben – galten lange als Mangel des Standortes, der durch Steuersenkungen, Senkung des Lohnniveaus, die Kürzung von Sozialausgaben und Abgaben – also durch die Verbesserung der Investitionsbedingungen – und Liberalisierung der Finanzmärkte sowie Entflechtung der ›Deutschland-AG‹ behoben werden sollte. Dies brachte zwar zunehmend ausländische Investoren nach Deutschland, doch nicht immer waren sie willkommen. Auf Kritik stießen zum Beispiel Hedge- Fonds und Private-Equity-Gesellschaften aus den USA und Großbritannien. In der so genannten ›Heuschrecken-Debatte‹ des Jahres 2006 wurden sie unter den Verdacht gestellt, zwar zu investieren, aber mit ihrem Geschäftsmodell der deut- schen Wirtschaft eher zu schaden. Im Folgejahr dann sahen Politiker, Manager und Journalisten Deutschland gar in einen Belagerungszustand versetzt. Die Bedrohung kam diesmal nicht aus dem Westen, sondern aus dem Osten: Die Regierungen Chinas, Russlands und des Nahen Ostens, hieß es, schickten ihre Staatsfonds aus – mit Milliardensummen gefütterte Investmentvehikel unter staatlicher Aufsicht, die in Europa und den Vereinigten Staaten Unternehmen aufkauften und sich darüber nicht nur die pro- duktive Basis, sondern auch die politische Macht der etablierten Industrienationen aneignen wollten. Mit den Staatsfonds entstehe »ein global operierender Indu- striezweig staatseigener Fonds, der beinahe doppelt so groß« sei wie die Hedge- Fonds-Branche, »Vermögensverwaltungsstrategien nach freiem Ermessen ein- setzt und für die Außenwelt praktisch nicht transparent ist« (Kern 2007, 3). Die globale Wirtschaftswelt scheint plötzlich Kopf zu stehen: Nicht mehr die alten Industriestaaten agieren als bestimmende Subjekte des Weltmarkts, ge- währen Kredite, verteilen Investitionen und verleiben sich Unternehmen aus Ent- wicklungs- und Schwellenländer ein. Stattdessen gewahrt man einen Paradigmen- wechsel von einem Wirtschaftsgefüge, in dem Anleger aus den wohlhabenden Industrieländern rund um den Globus zu investieren pflegen, hin zu einer Situa- tion, in der die Regierungen der Schwellenländer westliche Unternehmen unter ihre Kontrolle bringen. »Die größte Ironie des Internationalen Finanzsystems«, nennt der ehemalige US-Finanzminister Lawrence Summers den Kapitalzustrom aus den Entwicklungs- in die Industrieländer. Westliche Politiker warnen vor dem nationalen Ausverkauf und davor, undemokratische Regierungen in China, Nah- ost oder Russland könnten ihre neue ökonomische Macht nutzen, um die Indu- striestaaten ihrem Willen zu unterwerfen. Investoren mutieren zu Invasoren. Lau- tete der Verdacht gegenüber den ›Heuschrecken‹ noch, ihnen ginge es um die Erzielung einer Maximalrendite um jeden Preis, so befürchtete man bei den 7
Staatsfonds, ihnen könnte es am Ende gar nicht mehr um Rendite gehen, sondern um politischen Einfluss auf die etablierten Industriestaaten. In Sprache und Terminologie erinnert die Staatsfonds-Debatte daher nicht zu- fällig an Kriegsberichterstattung. Vergessen scheinen die Zeiten zu sein, in denen betont wurde, der freie globale Kapitalverkehr komme allen zugute, und die wirt- schaftliche Verflechtung zwischen Staaten verhindere kriegerische Auseinander- setzung – schließlich stehe für alle zuviel auf dem Spiel. Stattdessen wird davor gewarnt, dass staatliche Fonds aus dem Ausland »nach westlichen Unternehmen greifen«, »mühevoll« hätten westliche Länder »Staatsunternehmen wie Post und Telekom privatisiert, nun könnten diese zur Beute ausländischer Staatskonzerne werden« (Süddeutsche Zeitung 17. 8. 2007). »Erbarmen, die Scheichs kommen!«, klagt die Zeitschrift Euro am Sonntag (16. 12. 2007), denn mit ihren Investitionen in Europa und den USA »bauen die arabischen Herrscher heimliche Weltimperien auf« (Manager-Magazin 6/2007). Für die Schwellenländer seien Staatsfonds eine machtvolle Waffe im globalen Wirtschaftskrieg: »In Zukunft werden gigantische Gläubiger aus Asien das Zepter übernehmen. Liquide Staatsfonds aus dem Osten werden sich verstärkt an kränkelnden Unternehmen im Westen beteiligen. Sie beherzigen damit das alte chinesische Strategem: Warte auf den erschöpften Feind« (Manager-Magazin, 31.1.2008). Geschürt wird insbesondere die Furcht vor China, aber auch Russlands Präsident »Wladimir Putin hat ein neues Machtin- strument entwickelt, das man durchaus als ›Economic Warfare‹ bezeichnen kann. Der Kreml nutzt nämlich rücksichtslos seine wirtschaftliche Macht, um russische Interessen durchzusetzen« (FTD 28.1.2008). Bald schon könnte Russland in Eu- ropa »das Licht ausknipsen« (Der Spiegel 2. 7. 2007). Je länger die Debatte läuft, umso größer scheint die finanzielle Macht der Schwellenländer-Fonds zu werden. »Der Osten kauft den Westen (Welt 12. 12. 2007), denn aufgrund der hohen Exporteinnahmen dieser Länder könnten »Staatsfonds auf schier unbegrenzte Mittel zurückgreifen« (Euro am Sonntag 16. 12. 2007), hieß es, »Chinesen und Russen sitzen auf Milliarden-Reserven« (Süddeutsche Zeitung 17. 8. 2007), ihre »Staatsfonds horten mehr Geld in ihren Goldspeichern als Dagobert Duck in Entenhausen« (Handelsblatt 24. 12. 2007). Damit galten sie vielen als Gefahr für Deutschlands Souveränität, für das globale Machtgleichgewicht, ja sogar für die Stabilität des Weltfinanzsystems. Den Warnern gegenüber stehen wiederum jene, die im Aufstieg von Staats- fonds nichts Besonderes und auch nichts Gefährliches erkennen können. Staats- fonds gebe es schon lange, hieß es, sie seien lediglich Folge eines überfälligen Aufholprozesses einiger Schwellenländer und ihre Investitionen im Westen ein Mittel, die globalen Ungleichgewichte wieder auszubalancieren. Spezielle Schutzmaßnahmen seien daher nicht nur unnötig sondern sogar schädlich, weil sie Deutschland vom dringend benötigten Kapitalstrom aus dem Osten abschnei- den würden. Dennoch bildete die Bundesregierung, unter reger Anteilnahme von Medien, Politikern, Ökonomen und Unternehmerverbänden (die Gewerkschaften 8
blieben der Debatte weitgehend fern) eine Arbeitsgruppe, die Maßnahmen zum Schutz heimischer Industrien formulierte. In diesem Text soll nun die Welt der Staatsfonds und ihre Stellung innerhalb der globalen Finanzmärkte untersucht werden. Wie mächtig sind diese ›Sovereign Wealth Funds‹ (SWF) wirklich, woher kommen sie, wie funktionieren sie, und was sind – vermutlich – ihre Ziele? Worin besteht die Sorge hiesiger Politiker, und was haben sie unternommen? Im ersten Kapitel wird das zwiespältige Verhältnis dargestellt, das Politiker ge- nerell zu Auslandsinvestitionen einnehmen. So ist einerseits zwar die Attraktion ausländischen Kapitals ein eigener Politik-Zweck, der zur Stärkung des Kapital- standortes dienen soll; andererseits aber spielt in der politischen Einschätzung dieser Investitionen ihre nationale Herkunft eine große Rolle. Erklärt wird, warum dies so ist und welche Bedenken ausländischem Geld entgegengebracht werden. Im zweiten Kapitel werden Staatsfonds als eine zwar nicht ganz neue, aber auf- strebende Investorenklasse dargestellt – ihre Herkunft, ihr Zweck, ihr Wachstum und ihr potenzieller Einfluss. Die Bedenken gegenüber Staatsfonds spiegeln letztlich Bedenken gegenüber den hinter diesen Fonds stehenden Staatsgewalten wider. In der Staatsfonds- Debatte ging es hier insbesondere um die rohstoffexportierenden Staaten des Na- hen Ostens sowie um die so genannte BRIC-Gruppe: Brasilien, Russland, Indien, China. Kapitel Drei zeigt, welchen Stellenwert diese Staatengruppen inzwischen eingenommen haben und welche Konflikte diese neue globale Machtgeografie mit sich bringt, von denen die Staatsfonds-Debatte ein Teil ist. Kapitel Vier schließlich stellt die Diskussion um die Folgen der Staatsfonds dar, die Bedenken der Industrieländer, die Abwehrmaßnahmen, die sie bereits zur Verfügung haben, die deutsche ›Nachrüstung‹ in Sachen Schutz einheimischer Unternehmen sowie die Reaktion der EU und der Schwellenländer auf die De- batte. Kapitel Fünf, das Fazit, gibt schließlich Antwort auf die Frage nach dem Zweck und den Erträgen der Debatte um Staatsfonds für Länder wie Deutschland. Deutlich gemacht werden soll einerseits, dass sich Deutschland keineswegs einem ›Angriff‹ aus dem Osten gegenübersieht, gegen den es sich schützen muss; und andererseits, dass in der aktuellen weltwirtschaftlichen Konstellation die ›Front‹ nicht allein zwischen Industrie- und Schwellenländern verläuft. Der Aufstieg der Schwellenländer und ihrer SWF, die US-amerikanische Instrumentalisierung der Weltwirtschaft für den ›Krieg gegen den Terrorismus‹ und der aufkeimende ›Wirtschaftspatriotismus‹ in den Industriestaaten sind vielmehr Zeichen und Fol- gen einer sich verschärfenden Konkurrenz um die globalen Profitquellen, in der die alten Regeln des Geschäftsverkehrs Stück für Stück revidiert werden. 9
Ausländisches Kapital – bedingt willkommene Akkumulationshilfe Vom Nutzen des Auslandskapitals Das Kapital ausländischer Investoren ist in Deutschland grundsätzlich sehr will- kommen. Die Politik der verschiedenen Bundesregierungen zielte in der Vergan- genheit explizit darauf ab, nicht nur die Akkumulationsbedingungen für deutsche Unternehmen zu verbessern, sondern auch darauf, ausländisches Geld anzuzie- hen. »Ausländische Direktinvestitionen tragen zu Wachstum und Beschäftigung bei«, so das Bundeswirtschaftsministerium1, das mit ›Invest in Germany‹ eine ei- gene Bundesgesellschaft gegründet hat, die »das Ziel (verfolgt), das Image des Standortes Deutschland im Ausland zu verbessern und damit das Interesse auslän- discher Firmen an Arbeitsplatz schaffenden bzw. sichernden Investitionen in Deutschland zu wecken bzw. zu verstärken«. Die Verbesserung der Wachstumsbedingungen für inländisches Kapital wie auch die Attraktion ausländischen Kapitals fassen sich unter dem Stichwort ›Standortpolitik‹ zusammen, wobei angesichts der unterschiedlichsten Politik- maßnahmen – von Steuersenkungen über Sozialreformen bis zur Senkung von Lohnkosten – das Konzept des ›Standorts‹ nur als Kapitalstandort verstanden werden kann. Als marktwirtschaftlich verfasste Staaten stehen die Nationen also in Konkurrenz um die Attraktion weltweit zirkulierenden Kapitals. »Vor dem Hin- tergrund eines sich weiter verschärfenden weltweiten Wettbewerbs um Investoren wird daher das Marketing für den Wirtschafts- und Technologiestand-ort Deutsch- land verstärkt.«2 Die Gründe für die Attraktion ausländischen Kapitals liegen auf der Hand – schließlich ist Kapital für Unternehmen in der Marktwirtschaft der ›Rohstoff‹ schlechthin. Mit der Erschließung ausländischer Geldquellen sollen in Deutsch- land neue Unternehmen oder Produktionsstätten aufgebaut oder bereits beste- hende Unternehmen erweitert, restrukturiert oder rentabler gemacht werden. Im Falle einer Übernahme eines inländischen Unternehmens durch ausländisches Be- teiligungskapital erzielt der Inländer einen Ertrag, gleichzeitig wird Geld frei für andere Investitionen3. Kerstin Andreae, Grünen-Bundestagsabgeordnete und wirt- 1 Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie: Investieren in Deutschland. www.bmwi.de/BMWi/Navigation/Aussenwirtschaft/investieren-in-deutschland.html 2 Ebenda. 3 In der öffentlichen Diskussion werden diese Vorteile des Kapitalzustroms meist mit dem Symbol ›Arbeitsplätze‹ umschrieben – je mehr Geld nach Deutschland fließe, umso mehr Jobs könnten ›geschaffen‹ werden, heißt es. Dies ist offensichtlich irreführend, da das ›Schaffen‹ von Arbeitsplätzen bestenfalls ein Nebeneffekt oder ein Mittel, aber kein eigener Zweck marktwirtschaftlicher Investitionen ist. 11
schaftspolitische Sprecherin, weist daher darauf hin, dass »eine Beschränkung des freien Kapitalverkehrs und die hieraus resultierende Verschlechterung des Zugangs zu Finanzierungsmöglichkeiten für deutsche Unternehmen … in ihren Auswirkungen einer massiven Rationierung von Krediten vergleichbar (ist)« (Andreae 2007, 8). Und schließlich gilt im internationalen Geschäftsverkehr das Prinzip der Reziprozität, das heißt: Deutsche Unternehmen dürfen im Grundsatz nur in anderen Ländern investieren, wenn Deutschland sich seinerseits für Auslandskapital öffnet. Die Liberalisierung des nationalen Kapitalverkehrs ist also die Bedingung, um weltweit von Anlagemöglichkeiten zu profitieren. »Rund 800 Mrd. Euro deutscher Investitionen im Ausland im Jahr 2005 standen 400 Mrd. Euro ausländischer Investitionen im Inland gegenüber. Deutschland ist selbst stark auf Investitionsmöglichkeiten in anderen Staaten angewiesen« (Andreae 2007, 11). Dennoch existieren gewisse Vorbehalte gegenüber bestimmten Investoren, die sich aus der Nationalität des Investors ableiten4. Kapital ist gut, aber es kommt auf den Besitzer an. Grund für die selektive Behinderung ausländischer Investitionen kann einerseits sein, Unternehmen aus missliebigen Staaten den Zugriff auf Ein- nahmequellen zu verwehren5; oder aber der Schutz so genannter ›strategischer Sektoren‹. ›Strategischer Sektor‹ – was ist das? Was ein ›strategischer Sektor‹ ist, lässt sich allgemein nicht exakt definieren. Regierungen bestimmen derartige Sektoren jeweils unterschiedlich. Die Defini- tion eines Sektors als ›strategisch‹ bedeutet, dass ein Staat dort die gängigen Re- geln des Geschäftsverkehrs nicht uneingeschränkt gelten lässt. Er interveniert und beschneidet so die Freiheit des Kapitals in Sachen Produktpalette, Preisfindung oder Kapitalbeteiligung. Oftmals handelt es sich bei den Unternehmen in strategi- schen Sektoren um ehemalige Staatsunternehmen, und noch heute kontrollieren öffentliche Stellen diese Unternehmen oder stellen sie zumindest unter besondere Beobachtung. Insbesondere diese Bereiche sollen dem Zugriff von Staatsfonds entzogen werden. Verschiedene Kriterien qualifizieren einen Sektor zu einem strategischen: 4 Deutlich wird dies in Kommentaren wie diesem: »Es ist eine Unmenge an Geld unterwegs. Und deutsche Unter- nehmen bieten beste Qualität zu einem guten Preis«, sagte Josef Käsmeier, Chefvolkswirt bei der Münchner Pri- vatbank Merck Finck. »Gäbe es in vielen Firmen keine Beschränkungen der Anteilseigner, könnten wir bald aus- verkauft sein.« (Süddeutsche Zeitung 18.12.2007). Das ›wir‹ in dem Zitat ist ein nationales. 5 So kommentiert die Bank M.M. Warburg den hohen Anteil ausländischer Aktionäre an deutschen Unternehmen mit: »Vom deutschen Aufschwung haben vor allem ausländische Anleger und Investoren profitiert«. (Süddeut- sche Zeitung 18.12.2007) 12
1. Es kann sich um einen Sektor handeln, der aufgrund seines schieren Ge- schäftsvolumens für die nationale Ökonomie besonders bedeutsam ist, also um eine Basisindustrie. In Russland ist dies zum Beispiel die Öl- und Gasförderung. In Deutschland war dies der Automobilbau. 2. Staatlicher Einspruch existiert auch in Branchen, die als Zukunftstechnolo- gien gelten. In einigen Ländern ist dies zum Beispiel die Biotechnologie, in Deutschland ließen sich Solar- und Windenergie dazu zählen. Per Intervention schützt der Staat sie vor – betriebswirtschaftlich u. U. gerechtfertigter – Geschäfts- aufgabe und setzt auf das künftige Potenzial dieser Branche. 3. Im Fall von Schlüsselindustrien handelt es sich um Branchen, in denen die Politik einen technologischen Vorsprung des eigenen Standortes ausmacht. Eine Übernahme könnte zum unerwünschten Know-how-Transfer an konkurrierende Staaten führen und so den Wettbewerbsvorteil zunichte machen. 4. Die wichtigsten strategischen Sektoren sind jedoch jene Branchen, die Güter und Dienstleistungen herstellen, die für die Akkumulation am Standort grundsätz- lich und alternativlos notwendig sind. Beispiele sind die Versorgung mit Energie oder Wasser, Telekommunikation, Post oder Verkehrsleistungen wie Bahn, Luft- fahrt, Häfen oder Werften. Auch das Kreditgewerbe zählt dazu. Hier geht es einer- seits um die Sicherstellung des schieren Gebrauchswertes, sprich: Die materiellen Leistungen dieser Branchen müssen schlicht verfügbar sein, und zwar sicher und flächendeckend. Unabhängig von Schwankungen der Zufuhr wie der Nachfrage; ausreichend für absehbare Bedarfsspitzen; gegen alle technischen Störungen und Zwischenfälle abgesichert durch redundante Erzeugungs-, Produktions- und Trans- portsysteme, vorausschauende Vorratshaltung usw. Daher erteilt der Staat diesen Industrien etwas, das normalerweise in Markt- wirtschaften unüblich ist: einen Versorgungsauftrag. Während normalerweise im Kapitalismus die Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen ein Nebeneffekt der Akkumulation ist, wird bei den Lieferanten der »allgemeinen Verwertungs- bedingungen des Kapitals« (Marx) die Versorgung zum eigenständigen Zweck. Dies hat eine Weiterung: Da alle Verbraucher und Unternehmen und auch der Staat diese Leistungen beziehen, fließt ihr Preis in alle Kosten- und Haushalts- rechnungen mit ein. Sie absorbieren beständig einen deutlichen Anteil der gesell- schaftlichen Zahlungsfähigkeit und bestimmen in erheblichem Umfang sämtliche Kostpreise. Daraus folgt der Anspruch, dass die Leistungen dieser strategischen Sektoren nicht nur sicher und flächendeckend, sondern auch möglichst kosten- günstig vorhanden sein sollen6. 6 Zur Vermittlung dieser Gegensätze zwischen materieller Versorgung, möglichst niedrigen Preisen und den staat- lich erwünschten Gewinnen der Unternehmen in diesen Sektoren hat die Bundesrepublik zum Beispiel die Bun- desnetzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post, Eisenbahnen (BNetzA) gegründet, die mit Öf- fentlichkeit und Konzernen um Telekommunikationsgebühren, Netzentgelte, notwendige Investitionen oder Portogebühren streitet. Die Existenz der BNetzA belegt, dass kostengünstige und sichere Versorgung der Konsu- menten in der Marktwirtschaft nur durch massiven Einsatz der Staatsgewalt gewährleistet werden kann. 13
5. Als ›strategisch‹ eingeordnet werden auch Unternehmen der Rüstungsindus- trie und verwandter Bereiche (Verschlüsselungstechnologie, Montanindustrie, Atomenergie, Flugzeugbau, Werften usw.). Hier wird die Beteiligung ausländi- scher Investoren beobachtet und reglementiert. Das ›strategisch‹ weist hier auf die Bedeutung des Unternehmens im Kriegsfall hin. Sein Schutz dient offiziell der Produktion von ›Sicherheit‹ – in diesem Fall also auch der Sicherheit eines Lan- des, die Sicherheit anderer Staaten gefährden zu können. Mit der Definition strategischer Sektoren betreiben Staaten also eine limitierte Planwirtschaft – ›Strategie‹ bedeutet ja nicht viel mehr als ›Plan‹. Das ›strategisch‹ – ein Begriff aus der Militärsprache – verweist zudem auf den potenziell kriegeri- schen Gegensatz zwischen marktwirtschaftlich verfassten Staaten; und auf das zerstörerische Potenzial der marktwirtschaftlichen Konkurrenz für von Nationen als notwendig erachtete Unternehmen. Der besondere Schutz strategischer Sekto- ren vor ausländischen Investoren erfolgt zu dem Zweck, die Erpressungsmacht des Auslands im Konfliktfall zu mindern und gleichzeitig die eigene Erpressungs- macht zu fördern. Unmittelbar augenfällig ist dies im Fall, wenn ein Staat den ei- genen Rüstungsexport vorantreibt und so die Abhängigkeit seiner Abnehmer von sich erhöht. Insofern »repräsentieren (sicherheitspolitische Vorbehalte) die eine Seite des immer schon höchst ambivalenten Verhältnisses moderner Nationalstaa- ten gegenüber Investitionen ausländischer Bürger in die eigene Wirtschaft« (Scherpenberg 2007). Ein Staat kann sich dennoch aus verschiedenen Gründen dafür entscheiden, strategische Bereiche zu privatisieren und Ausländer als Eigentümer zu akzeptie- ren. Denn eine Privatisierung strategischer Sektoren erzeugt staatliche Einnahmen, macht gebundene öffentliche Gelder frei für andere Verwendungszwecke, mit der Privatisierung öffnet der Staat dem Kapital eine neue Akkumulationssphäre und kann darauf hoffen, dass die erwünschte Versorgung unter privater Führung ko- stengünstiger erfolgt. Wird eine ehemals staatliche Gesellschaft von einem größe- ren ausländischen Unternehmen geschluckt, besteht zudem die Möglichkeit, dass sie zwar nicht nach eigener Maßgabe, aber doch als Teil eines größeren Konzerns am Weltmarkt tätig wird und so aktiv an der globalen ›Branchenkonsolidierung‹ teilnimmt. Um diese Ziele zu erreichen, ist das Vorhandensein ausreichender Men- gen an Beteiligungskapital Bedingung. Dies ist jedoch nicht in allen Ländern der Fall, weswegen Auslandskapital u. U. eher akzeptiert wird. Kapitalmangel findet sich insbesondere in so genannten Entwicklungs- und Schwellenländern, die große Anstrengungen unternehmen, ausländisches Kapital anzuziehen. Diese Not haben sich auch deutsche Unternehmen zu Nutze gemacht und dort massiv in ›strategische Sektoren‹ investiert. Hierbei handelt es sich um deutsche Firmen, in denen die Bundesregierung ihren Einfluss geltend machen kann, die also als teilstaatlich zu klassifizieren sind. - Die Deutsche Telekom kontrolliert zum Beispiel die ehemaligen Telekom- Monopolisten in Kroatien (T-Hrvatski Telekom), der Slowakei (Slovak Telekom), 14
Makedonien (MakTel), Montenegro (Telekom Montenegro) und Ungarn (Magyar Telekom). Zudem gehören ihr der große polnische Mobilfunker PTC Polska und Orbitel, das zweitgrößte Festnetz-Telekommunikationsunternehmen Bulgariens. Wie politisch heikel derartige Übernahmen sind, weiß man auch bei der Deut- schen Telekom. Beim Gebot des Konzerns für das größte slowenische Telekom- Unternehmen, der Slovenije Telekom, gab man das Gebot nicht – wie nahe lie- gend – über die kroatische Tochter ab, sondern über die Magyar Telekom. Denn die Deutsche Telekom »befürchtete, dass ein Bewerber aus dem Gebiet des ehe- maligen Jugoslawiens schlechtere Karten als ein ungarischer Kandidat gehabt hätte« (Handelsblatt 8. 1. 2008). - Die Deutsche Bahn hat den US-Konkurrenten Bax Global gekauft. Über ihre Gütertransportgesellschaft Railion beteiligt sich die Bahn an Unternehmen wie der East West Railways in Polen. In Spanien hat die Bahn das Speditionsunterneh- mens Spain-TIR erworben und dort mit der Übernahme des Transportdienstlei- sters Transfesa den größten spanischen Konkurrenten Renfe gemessen am Umsatz überholt. In Großbritannien ist das deutsche Staatsunternehmen durch die Über- nahme von Gesellschaften wie Laing Rail und Chiltern Railways oder durch Betei- ligungen an London Overground Rail oder Wrexham, Shropshire and Marylebone Railway massiv im Personenverkehr engagiert. Übernahmen osteuropäischer Staatsbahnen sind anvisiert. Dort gelten die Schienennetze als überaltert, die öf- fentlichen Haushalte sind gleichzeitig angespannt. - Die Deutsche Post übernahm – mit sicheren, staatlich garantierten Monopol- gewinnen aus der Briefsparte und Steuervorteilen im Rücken – unter anderem die Schweizer Spedition Danzas, die amerikanische DHL, den britischen Logistikrie- sen Exel und das US-Luftfrachtunternehmen Airborne. Die Post wurde dadurch der weltgrößte Logistiker, die Deutsche Bahn steht an Nummer drei. - Der Airport-Betreiber Fraport hat nicht nur das Management der Flughäfen Kairo (Ägypten) und Lima (Peru) übernommen, es ist unter anderem auch an der Verwaltung des Flughafens Neu Delhi (Indien) beteiligt, verwaltet das Termi- nalmanagement des Flughafens Antalya (Türkei), betreibt die bulgarischen Flug- häfen Varna und Bourgas und sorgt sich um die Airport Security in Amsterdam. - Der Versorger RWE kaufte 2000 und 2001 das US-Wasserunternehmen Ame- rican Water Works und den drittgrößten Wasserkonzern der Welt, die britische Thames Water, der in 29 US-Bundesstaaten und mehreren kanadischen Provinzen tätig ist. In Kroatien ist RWE an der Abwasserentsorgung von 1,2 Millionen Ein- wohnern beteiligt. Direkt oder über Beteiligungen ist RWE »für die Trinkwasser- versorgung von 13,7 Millionen Einwohnern in Kontinentaleuropa zuständig, so auch in Budapest. Zudem wird täglich die Abwasserentsorgung von 6,8 Millionen Einwohnern sichergestellt« (RWE-Pressemitteilung, 21. März 2007). In Großbri- tannien übernahm RWE das Energieunternehmen Innogy. - Der Energiekonzern Eon erwarb in Großbritannien die Powergen-Gruppe (die 8,6 Millionen Briten mit Strom versorgt) einschließlich der amerikanischen Ge- 15
sellschaft LG&E, das Stromunternehmen TXU sowie Midlands Electricity und ist dort die Nummer zwei in der Stromerzeugung und -verteilung. Dies führte zu ei- ner »von einigen britischen Medien transportierten Furcht vor einer Okkupation der Insel durch deutsche Stromerzeuger« (Süddeutsche Zeitung 23.2.2006). Der Vorstoß von Eon an die Spitze des britischen Versorgermarktes durch die Über- nahme von Scottish Power (5,2 Millionen Kunden) scheiterte 2005. Mit dieser Übernahme wäre Eon im britischen Strommarkt auf fast 30 Prozent der Erzeu- gungskapazität gekommen. Sowohl Eon wie auch RWE sind massiv in Osteuropas Stromversorgung enga- giert. Dort haben sie im Verlauf der Privatisierung »den Markt leergekauft«7. In Russland übernahm Eon zum Beispiel den Versorger OGK-4 für vier Milliarden Euro, beteiligte sich an der bei weitem größten slowakischen Stromgesellschaft ZSE, die die Region Bratislava beliefert, wo 50 Prozent des slowakischen Brut- toinlandsprodukts erstellt werden. In Ungarn hat Eon einen Marktanteil von rund 50 Prozent an der Stromversorgung des Landes, auch in Tschechien ist es größter ausländischer Investor im Strombereich. In Bulgarien hängen fünf Millionen Kunden am Netz von Eon. Diese Milliarden-Übernahmen und -Investments schulterten die deutschen Stromkonzerne mit Hilfe der »von der Politik gedulde- ten hohen Energiepreise in Deutschland«, die »enorme Geldzuflüsse ermöglicht« haben8. Diese Auflistung zeigt, dass Deutschland nicht nur seine eigenen strategischen Sektoren vor dem Ausland schützt, sondern gleichzeitig sich massiv Einfluss in strategischen Sektoren des Auslands gesichert hat und darüber über einen erhebli- chen politischen Hebel verfügt. Deutlich soll hier auch geworden sein, dass Be- stimmungen zur Investitionsfreiheit nicht nur für Anleger interessante Detailfra- gen sind, sondern Fragen, die die Souveränität eines Staates massiv berühren. Dies ist insofern von Bedeutung, als in der Diskussion um Staatsfonds die Vertre- ter von Industrie und Kreditgewerbe stets lediglich die Effizienz der Kapitalallo- kation betonen, die sie mit einem liberalen Kapitalverkehr fördern wollen. Bedeutung des Auslandskapitals in Deutschland Die grundsätzlich positive Haltung der Bundesregierung, der Unternehmerver- bände und auch der Gewerkschaften gegenüber ausländischen Investoren wurde in der so genannten ›Heuschrecken‹-Debatte deutlich, in der – bei allen Warnun- gen und Vorbehalten gegenüber Finanzinvestoren wie Hedge-Fonds oder Private- Equity-Gesellschaften (PE-Gesellschaften) – die akkumulationsdienliche Funk- tion dieser Investoren betont wurde, die lediglich durch spezifische gesetzliche 7 Süddeutsche Zeitung 9.6.2005. 8 Ebenda. 16
Regelungen sichergestellt werden sollte: Es »gibt keinen Zweifel mehr, dass es für die Kapitalversorgung mittelständischer Unternehmen über PE-Gesellschaften wichtig und vorteilhaft ist, wenn die Fonds ihren Sitz in Deutschland haben«9. Über einige Jahre zeigten sich die Politik und auch der wirtschaftswissen- schaftliche Sachverstand in Deutschland jedoch unzufrieden mit dem Zufluss aus- ländischen Kapitals. Er galt schlicht als zu gering, woraus im Gegenschluss eine relative Unattraktivität des deutschen Standorts bzw. seiner Unternehmen gefol- gert wurde. Ausländische Standorte mit für Unternehmen günstigeren Bedingun- gen – niedrigere Löhne, geringeres Sozialabgabenniveau, niedrigere Steuern – zögen dagegen immer mehr deutsche Betriebe an. Die Titel hierfür hießen ›Job- Export‹, ›Outsourcing‹ oder ›Verlagerung der Produktion‹10. Stellvertretend sei hier die Titelgeschichte des Spiegel-Magazins vom Oktober 2004 genannt, in der unter der Überschrift »Deutschland: Exportweltmeister (von Arbeitsplätzen)«11 beklagt wurde, deutsche Unternehmen investierten massiv in ausländische Pro- duktionsstandorte, während der Standort Deutschland kaum in der Lage sei, inter- nationales Kapital zu attrahieren. »Die Globalisierung erreicht eine neue Qualität. Sie bedroht die Basis der deutschen Wirtschaft – den industriellen Kern. Immer mehr Konzerne und Mittelständler verlagern Teile der Produktion ins Aus- land…Wenn investiert wird, dann überwiegend jenseits der Grenzen. Dort entste- hen die neuen Fabriken, dort wird der Großteil der zusätzlichen Mitarbeiter einge- stellt« (Der Spiegel 25.10.2004). Diese Diskussion ist jedoch vorüber. Gerade die Bemühungen der Bundesre- gierungen der vergangenen Jahre waren sehr erfolgreich in ihrem Ziel, Auslands- kapital nach Deutschland zu bringen. Zogen Ausländer 2004 netto noch rund 9 Mrd. Dollar aus Deutschland ab, so flossen 2005 netto 34 Mrd. Euro an auslän- dischen Direktinvestitionen (FDI) zu, 2006 waren es 44 und 2007 37 Mrd. Euro12. Lag der Bestand an FDI im Jahr 1990 noch bei 111 Mrd. Dollar oder 14 Prozent 9 Reinhard H. Schmidt/Gerald Spindler: Private Equity und Hedgefonds: Die Regulierung von Finanzinvestoren in Deutschland. Berlin. Oktober 2007. Dass diese Studie zu einer insgesamt positiven Einschätzung der Aktivität von Finanzinvestoren kommt, ist insofern bemerkenswert, als sie von der gewerkschaftsnahen Hans Böckler Stiftung in Auftrag gegeben und publiziert wurde. 10 Diese Diagnose war in der deutschen Öffentlichkeit zwar eine Zeit lang sehr verbreitet, empirisch belegen ließ sie sich jedoch nicht. »Welche Jobs nun in Deutschland gestrichen und ins Ausland verlagert werden, darüber existiert keine Statistik – genauso wenig über die Anzahl der Jobs, die aus dem Ausland nach Deutschland wan- dern« (Berliner Zeitung, 27.10.2004). Die Debatte diente allerdings dazu, mit dem Verweis auf massenhaft ›flüchtende‹ Unternehmen eine Verbilligung der Produktionsbedingungen in Deutschland zu befördern – was ge- lungen ist. 11 Augenfällig auch an diesem Medienbericht ist die nationale Parteilichkeit der Diagnose: Zunächst wird behaup- tet, ›Niedriglohnländer‹ importierten ›unsere‹ Arbeitsplätze. Investiert ein ausländisches Unternehmen hingegen in Deutschland, wird dies lediglich als zu begrüßende Unternehmensentscheidung gewertet – und weder als ›Im- port ausländischer Arbeitsplätze‹, noch als ›Export deutscher Arbeitslosigkeit‹. 12 Dennoch verzeichnete Deutschland 2007 abermals einen Nettokapitalabfluss, denn deutsche Unternehmen inve- stierten netto 122 Mrd. Euro im Ausland (Bundesbank 2008). Dass die deutschen Direktinvestitionen im Ausland stets höher liegen als die ausländischen Investitionen in Deutschland, verweist weniger auf eine Schwäche des Standortes D als vielmehr auf die Tatsache, dass hiesige Unternehmen ihre hohen Überschüsse vermehrt welt- weit anlegen, um von der Internationalisierung des Geschäfts zu profitieren. 17
des deutschen BIP, so waren es 2006 über 500 Mrd. Dollar oder 17,4 Prozent des BIP13. Nach Schätzungen der US-Investmentbank J.P. Morgan tätigten Ausländer 2007 in Deutschland Firmenkäufe im Wert von 72 Mrd. Euro, deutsche Firmen beteiligten sich an ausländischen Firmen für 92 Mrd. Euro, das war doppelt so viel wie im Vorjahr. Das Gros der ausländischen Anlagen in Deutschland kam jedoch nicht aus den Heimatländern der derzeit diskutierten Staatsfonds, sondern aus anderen Indus- trieländern. Nach Berechnungen des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln stammten gerade einmal 0,2 Prozent aller Direktinvestitionsbestände in der Bundesrepublik aus Russland. Der Anteil Chinas habe sogar nur 0,05 Prozent er- reicht. Auch die Anlagen aller übrigen Nationen mit Staatsfonds seien jeweils unter der Ein-Prozent-Grenze geblieben und hätten damit den privaten Investitio- nen aus dem Ausland längst nicht das Wasser gereicht (IW-Pressemitteilung vom 31.10.2007). Gemessen an der Beteiligung am Nominalkapital in Deutschland lagen nieder- ländische Unternehmen mit knapp fünf Mrd. Euro auf Platz eins14. Dahinter folgt Frankreich mit 4,6 Milliarden Euro und dann die USA mit 3,6 Milliarden Euro. Die bedeutendsten Schwellenländer sind Südkorea, die Türkei und Kuwait. Die Bedeutung ausländischen Kapitals für Deutschland illustriert auch die Tat- sache, dass die 30 im Deutschen Aktienindex (Dax) vertretenen Konzerne – die gemessen am Börsenwert immerhin 70 Prozent des gesamten deutschen Aktien- kapitals stellen – inzwischen mehrheitlich im Besitz ausländischer Investoren sind15. Im Herbst 2007 lag ihr Anteil am stimmberechtigten Kapital zwischen 24 Prozent (Volkswagen) und 95 Prozent (Infineon) und erreichte im Durchschnitt 55 Prozent. Noch im Jahr 2002 gehörte Ausländern lediglich ein Drittel der Dax- Firmen, 1997 gar nur ein Zehntel16. Bei den kleineren Unternehmen im Börsen- index MDax bewegt sich der Anteil ausländischer Aktionäre zwischen 15 Prozent (Praktiker) und 95 Prozent (Beiersdorf), der Durchschnitt betrage etwa 50 Prozent. Damit befinden sich etwa 81 Prozent des deutschen Aktienkapitals mindestens zur Hälfte in ausländischen Händen. »Der hohe Anteil ausländischer Aktionäre unterstreicht die Bedeutung eines freien Kapitalverkehrs für den deutschen Ak- tienmarkt und die Sensitivität der Diskussion (um Staatsfonds, S. K.)«, mahnt die HypoVereinsbank. Grund für die wachsende Attraktivität deutscher Aktiengesellschaften für inter- nationale Anleger ist vor allem deren zunehmende Rentabilität und ihre rekord- hohen Gewinne, die vermehrt auch im Ausland erzielt werden. So machen die 13 Unctad: World Investment Report 2007. New York. 14 Hier ist allerdings zu beachten, dass »die Niederlande erfahrungsgemäß nicht das Sitzland der letztlichen Kapi- taleigner darstellen, da die Niederlande nach wie vor als wichtiger Holdingstandort gelten« (Bundesbank, Presse- notiz ›Kapitalverflechtung der deutschen Wirtschaft mit dem Ausland‹ vom 28.4.2006). 15 Bayerische Hypo- und Vereinsbank: Deutschland Inside, München, Juli/August 2007. 16 Handelsblatt 16.12.2007. 18
Direktinvestitionen ausgewählter Länder Land Direktinvestitionen 2006 Direktinvestitionen Bestand 2005 (in Mio. Euro) (in Mio. Euro)* Niederlande 4.969 131.751 Frankreich 4.564 53.720 USA 3.595 73.560 GB 3.103 44.563 Italien 3.011 20.593 Schweiz 2.704 33.769 Schweden 1.354 9.562 Japan 1.042 11.073 Spanien 1.015 9.131 Luxemburg 891 69.685 Österreich 866 12.120 Belgien 726 11.294 Finnland 534 10.000 Südkorea 431 3.715 Dänemark 339 5.786 Kanada 265 2.797 Kuwait 231 176 Türkei 216 603 Irland 173 4.432 Norwegen 117 2.042 Venezuela 112 - Russland 105 1.020 Iran 96 890 Griechenland 57 124 Jordanien 57 - Liechtenstein 39 508 Cayman Is. 47 1.929 Malaysia 37 23 Australien 34 305 Ägypten 30 - Slowenien 27 104 Singapur 20 183 Portugal 16 115 Tschechische Republik 14 154 Hongkong 13 154 Zypern 11 229 Industrieländer 383.235 EU-25 384.311 Schwellen-/Entwicklungsländer 14.079 Gesamt: 526.536 * Unmittelbare ausländische Direktinvestitionen in Deutschland Quellen: Bundesbank: Bestandserhebung über Direktinvestitionen (April 2007) und www.sueddeutsche.de/wirtschaft/artikel/598/138315/ 19
160 Konzerne aus den vier größten Börsenindizes Dax, MDax, SDax und TecDax mittlerweile fast 60 Prozent ihres Umsatzes jenseits der deutschen Grenzen, die Dax-Konzerne sogar 68 Prozent. Vor 20 Jahren waren es gerade mal gut 30 Pro- zent. Die zunehmende Attraktivität deutscher Unternehmensanteile für Ausländer spiegelt also die zunehmende Nutzung ausländischer Märkte durch die deutschen Konzerne, die ihrerseits massiv ausländische Unternehmen aufkaufen17. Aus ihren bedeutenden Anteilen an deutschen Unternehmen ist jedoch nicht unbedingt zu schließen, dass ausländische Anteilseigner die großen deutschen Konzerne kontrollieren. Ihr Einfluss auf die Unternehmenspolitik wird dadurch gemindert, dass der Aktionärskreis üblicherweise sehr breit gestreut ist. Die größ- ten Einzelaktionäre besitzen oftmals nur sehr kleine Prozentsätze. Andererseits wiederum ist zu bedenken, dass die Aktionärs-Präsenz auf den Hauptversamm- lungen oft gering ist. Bei den Dax-Konzernen bewegt sie sich laut HypoVereins- bank zwischen 39 und 71 Prozent, im Durchschnitt seien es 56 Prozent. Insofern kann mit einer vergleichsweise geringen Beteiligung bereits ein überproportiona- ler Einfluss ausgeübt werden. Die Attraktion von Auslandskapital ist also auch für ein Land wie Deutschland eine Notwendigkeit. Dennoch wurde und wird die Debatte um Beschränkungen für eine bestimmte Klasse von potenten ausländischen Investoren – den Staats- fonds – mit großer Vehemenz geführt. Dies liegt weniger in dem Fakt begründet, dass es sich bei diesen Investoren um Nicht-Deutsche handelt; sondern im Ver- hältnis Deutschlands zu einigen Regierungen, die Staatsfonds aufgelegt haben: Enormes Wachstum verzeichnen vor allem SWF aus den nahöstlichen Opec-Staa- ten, Russland und China – alles Staaten, die aus der Sicht des ›Westens‹ einerseits als mächtig und andererseits als politisch unzuverlässig gelten (siehe Kapitel 3). Staatsfonds – die nicht ganz neuen Investoren »Staatsfonds (Sovereign Wealth Funds, SWF) – oder staatlich kontrollierte Fonds- gesellschaften – sind Finanzvehikel im Besitz eines Staates, die öffentliche Mittel halten, managen oder verwalten und diese in verschiedene Wertpapierklassen inve- stieren« (Kern 2007, 3). Das Fondsvermögen stammt hauptsächlich aus Liquidität im öffentlichen Sektor – also aus Haushaltsüberschüssen oder Zentralbankreserven. Staatsfonds sind im Prinzip nichts neues, es gibt es bereits seit vielen Jahrzehn- ten18. Bislang wurden sie allerdings kaum beachtet. Dies änderte sich im vergan- 17 Um nur einige Milliarden-Deals der vergangenen Jahre zu nennen: Die Deutsche Post übernahm die britische Exel (6,6 Mrd. Euro), BASF kaufte den US-Konzern Engelhard (4,9 Mrd. Euro), ThyssenKrupp kaufte die kana- dische Dofasco (4,2 Mrd. Euro), FMC schluckte den US-Konzern Renal Care (3,9 Mrd. Euro), Adidas kaufte den US-Konkurrenten Reebok (3,8 Mrd. Euro) und TUI die kanadische CP Ships (2,04 Mrd. Euro). 18 Bereits 1953 wurde das Kuwait Investment Board gegründet, das überschüssige Öleinnahmen investierte, um die Abhängigkeit des Landes von seinen endlichen Ölquellen zu verringern. 1965 wurde es vom Kuwait Investment 20
genen Jahr, vor allem mit der Gründung des 200-Milliarden-Dollar-Staatsfonds CIC in der Volksrepublik China. Im Fokus stehen seitdem das Volumen der Staatsfonds-Geschäfte und der potenzielle Einfluss, den diese Fonds auf der ganzen Welt haben, insbesondere angesichts neuer Akteure in den Schwellenlän- dern. »Befürchtungen eines möglichen Verkaufs strategisch wichtiger Unterneh- men, des Transfers sensiblen technischen Know-hows oder einer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit haben die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit in den tradi- tionellen Industriestaaten auf dieses Thema gelenkt« (Kern 2007, 3). Staatsfonds lassen sich gemäß ihren Zielen in zwei Kategorien einteilen. 1. Stabilisierungsfonds sollen vor allem die Staatsbudgets der Erdöl und Erdgas exportierenden Staaten stabilisieren. Das heißt: Liegt der Ölpreis zum Beispiel hoch, so fließt mehr Geld in den Fonds, liegt er niedrig, so kann sich die Regie- rung zum Ausgleich aus dem Fonds bedienen. So werden die Staatsausgaben un- abhängiger von kurzfristigen Haushalts- oder Reservenentwicklungen, die z. B. durch Preisänderungen an den Öl- und Rohstoffmärkten, aber auch an den Devi- senmärkten, verursacht werden. Die Anlagestrategien dieser Fonds sind daher sehr konservativ. Ein Beispiel hierfür ist der russische Stabilisierungsfonds SFRF, der sich aus den über 20 Dollar je Barrel Öl hinausgehenden Öleinnahmen speist. Russland ist sehr abhängig vom Öl- und Gaspreis. Der Anteil der Energieexporte an den wertmäßigen Güterexporten Russlands erreichte zuletzt 80 Prozent, der Anteil von Öl und Gas am Bruttoinlandsprodukt ist seit 1999 von 12,7 Prozent auf 31,6 Prozent gestiegen. 2. Spar- oder Generationenfonds schaffen eine Vermögensgrundlage für künftige Generationen. Mit ihren Mitteln verteilen sie die Einkünfte eines Landes um auf die jetzige und auf künftige Generationen. Als staatliche Investmentfonds gehen sie bei ihren Investments höhere Risiken ein, so zum Beispiel über Unternehmensbeteili- gungen oder Aktien. Eine Beteiligung am Management der betreffenden Unterneh- men wird aber generell vermieden (Götz 2007). Ein Beispiel für staatliche Invest- mentfonds ist die Abu Dhabi Investment Authority (ADIA). Fonds wie Singapurs Temasek agieren dagegen eher als staatlicher Private-Equity-Fonds und zeigen das aggressivste Anlageverhalten. Office (KIO), einer Tochtergesellschaft der Kuwait Investment Authority (KIA), abgelöst. Diese verwaltet heute einen großen Teil des Future Generation Fund, in den der Staat Kuwait jährlich 10 Prozent seiner Öleinnahmen einspeist. 1956 gründete die britische Kolonialveraltung auf den Gilbert Islands (seit 1979 Republik Kiribati) den Revenue Equalisation Reserve Fund (RERF), der für den pazifischen Inselstaat Lizenzgebühren aus dem Phos- phatabbau verwaltet. Mit jährlichen Kapitalerträgen von etwa 33 Prozent des BIP ist der Fonds eine der wichtig- sten Einnahmequellen des Landes. Seitdem wurden Staatsfonds hauptsächlich in zwei Phasen eingerichtet: Die erste Gründungswelle erfolgte in den siebziger Jahren (z. B. 1974 die Temasek Holding in Singapur oder 1976 die Abu Dhabi Investment Autho- rity (ADIA)). Die zweite Welle erfolgte ab Ende der neunziger Jahre mit dem Iran Oil Stabilisation Fund (1999), der Qatar Investment Authority (2000) und weiteren Fonds. Heute umfasst die Staatsfonds-Branche über 40 Ins- titutionen. 21
22 Staatsfonds im Überblick Land Fonds Anlagevolumen Gründungsjahr Finanz-Quelle (Mrd. USD) Verein. Arab. Emir. Abu Dhabi Investment Authority (ADIA) 875 1976 Öl Norwegen Government Pension Fund - Global (GPFG) 385 1990 Öl Singapur Government of Singapore Investment Corporation (GIC) 330 1981 Nicht-Rohstoff Saudi-Arabien Diverse Fonds 300 NA Öl Kuwait Kuwait Investment Authority (KIA) 250 1953 Öl China China Investment Company Ltd. incl. Central Hujin 300 2007 Nicht-Rohstoff Russland Stabilization Fund of the Russian Federation (SFRF) 147 2003 Öl Hong Kong Hong Kong Monetary Authority Investment Portfolio 140 1998 Nicht-Rohstoff Singapur Temasek Holdings 108 1974 Nicht-Rohstoff Australien Australian Government Future Fund (AGFF) 50 2004 Nicht-Rohstoff Libyen Reserve Fund 50 NA Öl Katar Qatar Investment Authority (QIA) 40 2000 Öl USA Alaska Permanent Reserve Fund Corperation (APRF) 40 1976 Öl Brunei Brunei Investment Agency (BIA) 35 1983 Öl Irland National Pensions Reserve Fund (NPRF) 29 2001 Nicht-Rohstoff Algerien Reserve Fund 25 NA Öl Südkorea Korea Investment Corporation (KIC) 20 2006 Nicht-Rohstoff Malaysia Khazanah Nasional BHD (KNB) 18 1993 Nicht-Rohstoff Kasachstan Kazakhstan National Fund (KNF) 18 2000 Öl, Gas, Metall Kanada Alberta Heritage Fund (AHF) 17 1976 Öl Taiwan Taiwan National Stabilisation Fund (TNSF) 15 2000 Nicht-Rohstoff USA New Mexico State Investment Office Trust Funds 15 1958 Nicht-Rohstoff Iran Foreign Exchange Reserve Fund 15 1999 Öl Nigeria Excess Crude Account 11 2004 Öl Neuseeland New Zealand Superannuation Fund 10 2003 Nicht-Rohstoff Oman State General Stabilisation Fund (SGSF) 8,2 1980 Öl, Gas Chile Economic and Social Stabilization Fund (ESSF) 6.0 2007 Kupfer Botswana Pula Fund 4,7 1993 Diamanten et al.
Land Fonds Anlagevolumen Gründungsjahr Finanz-Quelle (Mrd. USD) USA Permanent Wyoming Mineral Trust Fund (PWMTF) 3,2 1974 Mineralien Norwegen Government Petroleum Insurance Fund (GPIF) 2,6 1986 Öl Aserbaidschan State Oil Fund 1,5 1999 Öl Ost Timor Timor-Leste Petroleum Fund 1,2 2005 Öl, Gas Venezuela Investment Fund for Macroeconomic Stabilization (FIEM) 0,8 1998 Öl Kiribati Revenue Equalisation Reserve Fund (RERF) 0,6 1956 Phosphate Chile Chile Pension Reserves Fund 0,6 2007 Kupfer Uganda Poverty Action Fund 0,4 1998 Entwicklungshilfe Papua Neu Guinea Mineral Resources Stabilization Fund (MRSF) 0,2 1974 Mineralien Mauretanien National Fund for Hydrocarbon Reserves 0,0 2006 Öl, Gas Verein. Arab. Emir. Dubai Intern. Financial Centre Investments (DIFC) - 2002 Öl Angola Reserve Fund for Oil - 2007 Öl Trinidad & Tobago Heritage and Stabilisation Fund - 2007 Nicht-Rohstoff Gesamt 3.161 Geplante SWF-Projekte Russland Future Generations Fund of the Russian Federation (SFRF) 32 2008e Öl Bolivien (Errichtung eines Staatsfonds geplant) - 2008e Öl, Gas Verein. Arab. Emir. Emirates Investment Authority - 2008e Öl Japan (Einrichtung eines Staatsfonds erwogen) - - Nicht-Rohstoff Brasilien (Einrichtung eines Staatsfonds erwogen) 10 - Rohstoff Libyen (Einrichtung eines Staatsfonds erwogen) 100 - Öl, Gas Gesamt einschl. geplanter Projekte 3.303,0 Quellen: Kern 2007, Götz 2007, Bloomberg. 23
Woher kommt das Geld? Die Existenz von Staatsfonds weist darauf hin, dass ein Land über überschüssige Staatseinnahmen und Reserven verfügt und dass eine Regierung diese Gelder mit Blick auf die künftigen Liquiditätsanforderungen verwalten und unregelmäßige Staatseinnahmen nivellieren will. Die in Staatsfonds investierten überschüssigen Staatseinnahmen und Währungsreserven stammen bislang zumeist aus dem Ver- kauf von natürlichen Ressourcen wie Erdöl, -gas oder Metallen. Daher sind die meisten Staatsfonds in Ländern beheimatet, die Erdöl oder -gas exportieren oder über andere Rohstoffreserven verfügen und aus deren Verkauf direkte Einnahmen oder Steuern erwirtschaften. Typische Beispiele hierfür sind Kuwait, Katar, die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE), Saudi-Arabien, Russland, Venezuela oder auch der US-Bundesstaat Alaska. Aus dem Verkauf von mineralischen Rohstoffen speisen sich Staatsfonds in Ländern wie Chile (Kupfer), Botswana (Diamanten) oder Kiribati (Phosphat). Andere Länder – wie China oder Singapur – übertragen Gelder aus allgemeinen Haushalts- oder Exportüberschüssen oder offizielle Re- serven der Zentralbank an Staatsfonds. Traditionell wurden diese Reserven von den Zentralbanken in liquiden Staatspapieren (vor allem US-Staatsanleihen / US- Treasuries) und Edelmetallen (vor allem Gold) angelegt. Grundsätzlich verweist die Existenz von Staatsfonds nicht nur – wie in der Dis- kussion 2007/08 – auf eine erfolgreiche Exportwirtschaft, sondern auch auf eine strukturelle Schwäche einer nationalen Ökonomie. Denn gemessen am nationalen Devisenbedarf erwirtschaftet das Land ›zu viele‹ Einnahmen. Die Binnenwirt- schaft ist nicht in der Lage, diese Überschüsse zum Wohle ihrer Akkumulation zu absorbieren. Sie ist zu klein. »Die unterentwickelten Finanzmärkte können das explosionsartig gewachsene Vermögen in diesen Ländern nicht mehr verkraften« (Handelsblatt 3.1.2008). Mit Gründung eines im Ausland anlegenden SWF setzt ein Staat daher darauf, am ökonomischen Erfolg anderer Staaten zu partizipieren, anstatt direkt in das Wachstum der eigenen Kapitalbasis zu investieren. Aus die- sem Grund sind fast alle Staatsfonds in Entwicklungs- oder Schwellenländern zu finden – lediglich 16 Prozent der weltweiten SWF-Vermögen werden von SWF aus OECD-Staaten gehalten. Gereifte Industriestaaten wissen für ihre Export- und Steuereinnahmen in der Regel bessere Verwendung als Portfolio-Investitionen jenseits der eigenen Grenzen. Gründe für die Einrichtung von Staatsfonds »The basic question facing countries like China with their huge hoards of foreign exchange reserves is: once they are there, what does a country’s government do with them?« (Truman 2007, 7). Überschüssige Staatseinnahmen können konsum- tiv verwendet oder direkt in staatliche Projekte investiert werden. Alternativ kann 24
ein Kapitalstock mittels eines Staatsfonds aufgebaut werden, in den überschüssige Mittel eingespeist werden und der als weitgehend unabhängiges Unternehmen mit dem Ziel eines systematischen Portfoliomanagements operiert. Grundsätzlich sprechen für letztere Option – je nach Finanzquelle des Staates – zwei grundle- gende Aspekte: 1. Natürliche Ressourcen sind endlich. Irgendwann sind sie erschöpft, und die Einnahmequelle versiegt. So rechnet das DIW damit, dass Russlands Ölreserven beim derzeitigen Produktionsniveau in etwa 22 Jahren erschöpft sind. Zudem werde die Erschließung künftiger Felder mit höheren Kosten als bislang verbun- den sein. Angesichts der wachsenden Energielastigkeit des russischen Außen- handels werde das Land seine einseitige Strukturpolitik überdenken müssen (DIW 2007b). Aber auch Wettbewerbsvorteile einheimischer Unternehmen auf dem Weltmarkt können vorübergehende Phänomene sein, die im Lauf der Zeit schwinden. Angesichts dieser zeitlichen Limitierung von Einnahmen müssen Re- gierungen daher erstens »einen Interessenausgleich zwischen den Generationen schaffen« und zweitens »die aktuellen Einkünfte aus dem Verkauf von Ressour- cen oder anderen Exportgütern in dauerhaftes Einkommen umwandeln« (Kern 2007, 5). 2. liegt eine Gefahr für die finanzielle Ausstattung eines Landes in den starken Schwankungen der Rohstoffpreise und damit der Staatseinnahmen. Denn bei natürlichen Rohstoffen handelt es sich um vergleichsweise riskante Vermögens- werte. Es bestehen daher grundlegende Anreize zur Diversifizierung. Laut Kern können Staatsfonds also erstens eine Volkswirtschaft vor den Schwan- kungen an Märkten schützen. In diesem Fall dient der Fonds als Liquiditätspool, der in Zeiten günstiger Preiskonditionen für Rohstoffe oder Reservenzuflüssen gefüllt wird und auf den in Zeiten niedriger Preise oder von Reserveengpässe zurückgegriffen werden kann. Staatsfonds dienen so der intertemporalen Stabili- sierung. Zweitens unterliegen die Einnahmen von Rohstoff exportierenden Ländern oft- mals einem großen Konzentrationsrisiko. Die Diversifizierung staatlicher Vermö- gen durch Investitionen auf globaler Ebene und in eine größere Bandbreite an Fi- nanztiteln kann zu einer Verringerung dieser Konzentrationsrisiken beitragen. Und schließlich können Staatsfonds dazu dienen, das Risiko-Rendite-Verhält- nis beim Staatsvermögen zu optimieren. In den vergangenen 60 Jahren erzielten Zentralbanken mit ihrem konventionellen Reservenmanagement – in der Regel basierend auf kurzfristigen, erstklassigen Staatsanleihen und Geldmarktinstru- menten – Renditen von 1 Prozent jährlich. Das Portfolio eines typischen Pen- sionsfonds – eine Mischung aus Aktien und Anleihen – hätte dagegen eine reale Rendite von fast 6 Prozent erbracht (Summers 2007, siehe folgende Tabelle). »Wenn wir mit Staatsanleihen eine Rendite von 4 Prozent bis 5 Prozent erzielen, frisst uns das die Inflation auf«, sagte Scheich Hamad bin Jassim bin Jaer, Pre- mierminister von Katar, in einem Interview mit der FTD (6.12.2007). 25
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