Islam und Islamkritik - Das Institut für Religionswissenschaft der FU Berlin, den 26.04.12 Ralph Ghadban

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Islam und Islamkritik
Das Institut für Religionswissenschaft der FU Berlin, den 26.04.12
Ralph Ghadban

Der Multikulturalismus duldet keine Religionskritik und diskreditiert die Aufklä
rung. Er unterscheidet sich gründlich von dem klassischen demokratischen Plura
lismus. Dieser bedeutet die Vielfalt auf einer gemeinsamen Basis, nämlich der
Menschenrechte. Das führt zu einem Leben miteinander in einem solidarischen
Gemeinwesen, das sich um die Integration aller seiner Mitglieder bemüht. Dies
wirkt auf die Religionen einschränkend, manche ihrer Glaubenssätze werden so
gar unter Strafe gestellt. Polygamie, häusliche Gewalt gegen Frauen und Kinder
z. B., die ausdrücklich im Koran erlaubt sind, werden bei uns bestraft, die korani
schen Todesstrafen und Körperzüchtigungen kommen gar nicht in Betracht.
Der Multikulturalismus dagegen bedeutet die Anerkennung aller Kulturen in ih
ren Differenzen auf Kosten der Gemeinsamkeit. Das Problem des Einhaltens der
Menschenrechte ist bei allen Multikulturalisten bis heute eine offene Frage.
Diese Auffassung führt zu einem Leben nebeneinander in einer segmentären
Gesellschaft mit kommunitaristischen Zügen.
In diesem Referat werde ich schildern, wie die Multikulturalisten die Scharia in
unserer Gesellschaft zulassen und die Islamkritik diffamieren. Dann werde ich
auf die Frage der Zugehörigkeit des Islam zu Deutschland eingehen.
Religionskritik und Kirchenkritik
In diesem Jahr hat die Giordano Bruno Stiftung wieder zum Austritt aus den
christlichen Kirchen aufgerufen. In diesem Zusammenhang organisierte die Stif
tung am Gründonnerstag bundesweit eine Aktion, genannt „Austritt zum Ha
senfest – Trau dich“. Einer der Slogans der Aktion lautete: „Sei schlau, verlasse
den Kirchenbau“. Für den Karfreitag forderten Grüne und Piraten, dass Tanz
und andere öffentliche Verlustigungsveranstaltungen stattfinden dürfen, die
nach dem hessischen Feiertagsgesetz verboten sind. Sie kündigten Tanzdemos
an. „Am Karfreitag 2011“, so die Frankfurter Rundschau vom 5.4.2012, „trafen
Tanz Flashmobber auf dem Frankfurter Römerberg auf eine Prozession der kro
atisch katholischen Gemeinde und störten diese durch Pfiffe und Pöbeleien.“
Hinter der Aktion standen vermutlich eine Landtagsabgeordnete der Grünen
und die beiden Vorsitzenden der Grünen Jugend.
In einem Beitrag zur Osterausgabe der SZ mit dem Titel „Rettet den Atheis
mus!“ stellt die Theologin und Kulturbeauftragte der Evangelischen Kirche in
Deutschland, PETRA BAHR, fest, dass „die Eventisierung und Infantilisierung der
ehrwürdigen abendländischen Religionskritik in vollem Gange sei.“ Weiter
schreibt sie: „In Deutschland geht es nicht um die inneren Voraussetzungen für
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das religiöse Bewusstsein und seine niveauvolle Bestreitung. Hier ist die große
Geistesbewegung der Religionskritik zur – manchmal furchtbar kleinkarierten –
Kirchenkritik verkommen." Nach dem sie die Bedeutung der atheistischen, der
nihilistischen und der skeptischen Herausforderungen für die Entwicklung einer
guten Theologie unterstrichen hat, fleht sie NIETZSCHE an und schreibt: „Liebster
Friedrich, rette den Atheismus.“
In der Tat, es geht nicht um Religionskritik, sondern um die Bekämpfung der
christlichen Kirchen. Im Namen eines abstrusen Multikulturalismus werden die
privilegierten Kirchen angegriffen und die angeblich unterdrückte Religion der
Muslime unterstützt. Es wundert dann nicht, dass grüne Spitzenpolitiker auf
Bundes und Länderebene zu den hohen religiösen Feiertagen fast immer nur
den Muslimen offiziell gratulieren, nicht aber den Angehörigen anderer Religio
nen. Unvergessen ist außerdem der Vorschlag des Fraktionsvizes der Grünen,
HANS CHRISTIAN STRÖBELE, einen islamischen Feiertag einzuführen und dafür einen
der vielen christlichen Feiertage zu streichen. Die Grünen waren es auch, die in
NRW am 11. März 2007 den ersten Zusammenschluß politisch aktiver Musli
me/ innen innerhalb einer deutschen Partei mit der Gründung des „Offenen
Arbeitskreis grüner Muslime/innen“ eingeführt haben.
In seinen Pressemitteilungen hat der Arbeitskreis wiederholt die Aktivitäten
von ProKöln/ProNRW angeprangert, er hat aber auch die Äußerungen von THILO
SARRAZIN verurteilt, eine Petition gegen die Verleihung des Freiheitspreises an
NECLA KELEK initiiert und einen offenen Brief an SEYRAN ATES gerichtet, allesamt
Islamkritiker. Gegen die Radikalislamisten und ihre Umtriebe sogar vor ihrer
Haustür in Mönchengladbach, wo PIERRE VOGEL auf einer Veranstaltung unter
freiem Himmel die Kanzlerin aufgeforderte, die Scharia einzuführen, und zu
dem islamistischen Terroranschlag von Frankfurt hat der Arbeitskreis kein Wort
verloren.
Die Kritik der Islamkritik
Es mag sein, das eine Hauptmotivation dieser fragwürdigen Haltung die Bemü
hungen um die Integration der Muslime ist, es ist aber sicher, dass sie einen
Ausdruck einer multikulturalistischen Ideologie darstellt, die die realen sozialen
Probleme kulturalisiert. Es geht nicht mehr um Ausbildung und Arbeit, sondern
um Anerkennung der kulturellen Werte und ihren Respekt. Deshalb wird die
Religionskritik bzw. die Islamkritik bekämpft und angefeindet, nicht nur in der
Politik, sondern auch in manchen intellektuellen Kreisen.
Anfang 2010 starteten die Feuilletonisten der großen deutschen Zeitungen eine
Generaloffensive gegen die Islamkritik. Das Ausmaß, die Heftigkeit und die Irrati
onalität dieses Angriffs gegen diejenigen, die die humanistischen Grundwerte
verteidigen, waren schockierend. Noch schwerer wog die Tatsache, dass die
Angegriffenen hauptsächlich Musliminnen sind: NECLA KELEK, SEYRAN ATES und
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gegriffenen hauptsächlich Musliminnen sind: NECLA KELEK, SEYRAN ATES und AYAAN
HIRSI ALI – Frauen, die nicht nur aus leidvoller Erfahrung, sondern auch von ihrem
beruflichen und wissenschaftlichen Kontext her mehr wissen über das, wovon sie
reden, als ihre Widersacher, die kaum jemals Islamexperten sind.
Die Feuilletonisten begannen damit, die Islamkritiker als „legitime Erben der
Aufklärung” in Zweifel zu ziehen, und unterstellten ihnen einen „Fundamenta
lismus des Geistes” (ASSHEUER, Die Zeit), dann wurden sie als „heilige Krieger”
abgestempelt, die „von der Religion kategorisch Selbstaufklärung fordern”
(CLAUDIUS SEIDL, FAZ). Mit THOMAS STEINFELD (SZ) wurde der Ton noch schärfer: Es
handle sich um „Hassprediger”, deren aufklärerischer Fundamentalismus kaum
vom islamischen Fundamentalismus zu unterscheiden sei. WOLFGANG BENZ, der
damalige Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung der TU Berlin ver
glich die Islamkritiker lieber mit den Antisemiten (SZ). BIRGIT ROMMELSPACHER
rückte sie in der taz in die Nähe der Rechtsradikalen, und weil es um Frauen
geht, verpasste sie ihnen einen Extra Fußtritt: „kolonialer Feminismus”. CAROLIN
EMCKE beschimpfte sie in „Die Zeit“ als „liberale Rassisten”, sie würden den
„Fremdenhass” predigen, und STEFAN WEIDNER kombinierte alle diese Elemente
in einem neuen Konzept als „Faschismus der Aufklärung” (SZ).
Auffallend bei diesem Angriff ist das Ausmaß an Hass und Aufgeregtheit. Nir
gends ist eine sachliche Kritik ersichtlich, die den Namen einer öffentlichen De
batte verdient. Dass die meisten der genannten Feuilletonisten wenig vom Is
lam verstehen, rechtfertigt in keiner Weise ihre Unterstellungen und Manipula
tionen. Die Positionen der meisten Islamkritiker werden karikiert, pauschalisiert
und falsch wiedergegeben. Es ist offensichtlich keine Debatte beabsichtigt,
sondern, wie REGINA MÖNCH in der FAZ schreibt, den Islamkritikern einen „Maul
korb” zu verpassen.
Erschreckend ist vor allem der Versuch der Feuilletonisten, die Grundwerte der
eigenen Gesellschaft zu demontieren. Um den Einsatz der Islamkritiker zuguns
ten der universellen Werte der Aufklärung zu diskreditieren, wird die Aufklä
rung in die Schranken gewiesen, und ihre Werte werden relativiert. So stellte
ANDRIAN KREYE in der SZ fest, dass die Wertedebatte falsch sei, weil der Westen
seinen „Wertekanon von Freiheit, Gleichheit, Demokratie und Menschenrech
ten” als erstrebenswert für die gesamte Menschheit betrachte. Das sei ein
Trugschluss, denn „Freiheit und Demokratie sind keineswegs Lebensformen, die
in der islamischen Welt als höchste Stufe der menschlichen Entwicklung ange
sehen werden. Die Trennung von Kirche und Staat ist nicht vorgesehen.” In die
ser Patt Situation solle man nicht provozieren, sonst „wird aus der Schimäre
des Kampfs der Kulturen doch Realität”.
KREYEs Kollege STEINFELD (SZ) meinte, wer die „Grundbegriffe der Demokratie”
wie „Glaubensartikel” betrachte, handele wie ihre Gegner. Und weil das so ist,

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gibt er uns den Rat: „Deswegen tut es den ‚demokratischen Grundwerten’ gar
nicht gut, wenn man sich mit ihnen ‚identifizieren’ soll. Nein, falls sie überhaupt
je funktionieren, dann als alltägliche Praxis, als gelebte Ordnung.” Es ist dann
selbstverständlich in dieser Logik der Konfliktvermeidung, den Islam zu akzep
tieren, wie er ist, und ihn nicht mit unserem Wertekanon zu belästigen. Dazu
SEIDL in der FAZ: „Schwerer wiegt schon die Forderung, der Islam solle sich ge
fälligst endlich selbst aufklären; solle seinen Anspruch auf die Scharia und das
Supremat über den Staat aufgeben und die universalen Menschen und Frei
heitsrechte anerkennen.”
Für STEINFELD stellen diese Forderungen an die Muslime im Westen eine uner
trägliche „Zwangsmodernisierung” dar. Anstatt auf Konfrontation müsse man
auf Toleranz setzen, von der STEINFELD einen kuriosen Aspekt enthüllte: „Wer
auf Toleranz beharrt, für den kann die Toleranz nicht aufhören, wenn ein ande
rer nicht tolerant sein will.” JOSEF JOFFE widersprach in der Zeit: „Genauso gut
könnte man fordern: ‚Gerechtigkeit für das Unrecht’, ‚Freiheit für die Unfrei
heit’, ‚Mitleid für die Mitleidlosen’. Das hat LOCKE nicht gemeint, als er in A Let
ter Concerning Toleration (1689) die höchste Errungenschaft des Westens vor
zeichnete: Das Bürgerrecht dürfe nicht vom ‚richtigen’ Glauben abhängen. Die
se Trennung hat die islamische Welt noch nicht vollzogen.”
Die Wertedemontage erreichte schließlich ihren Höhepunkt mit BIRGIT
ROMMELSPACHER (taz), die die Aufklärung geradezu kriminalisierte. Sie schrieb:
„Deshalb setzen die Säkularisten auch vor allem auf die emanzipatorische Kraft
von Aufklärung und Moderne. Allerdings müssten informierte und kritische Men
schen heute wissen, dass die Aufklärung nicht nur den Ausgang ‚des’ Menschen
aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit beschert hat, sondern auch die
Entmündigung von Frauen, Sklaven und Besitzlosen. Sie hat diese Machtverhält
nisse fortgeführt, teilweise verschärft und vor allem neu legitimiert.”
Hierzu merkte JOSEF JOFFE kritisch an: „Es geht darum, ob die westliche Gesell
schaft im Verhandlungsprozess mit dem Islam zur Disposition stellen soll, was
ihren Kern ausmacht – oder härter: was diese Gesellschaft sich in einem Meer
von Blut und Tränen erkämpft hat. TORQUEMADA war ein Fundamentalist, KANT
war es nicht – dazwischen steht ein gewaltiger sittlicher Fortschritt.”
Die Feuilletonisten, als angebliche kritische Verteidiger der Aufklärung, die, zur
Erinnerung, ihren Ursprung in der Religionskritik hatte, zeigten sich in dieser
Kampagne als unkritische Beschützer der Religion. Sie landen damit im Lager
Saudi Arabiens, das seit der Affäre der MOHAMMEDkarikaturen unermüdlich ver
sucht, den Schutz der Religion in die Charta der Vereinten Nationen aufnehmen
zu lassen. Das würde das Ende der Menschenrechte bedeuten.
Einen Erfolg hat Saudi Arabien schon erzielt. Gemeinsam mit weiteren 16 isla
mischen Staaten, die ein Drittel der Mitglieder des UN Menschenrechtsrates
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stellen, wurde 2006 in der Resolution zum Mandat des Berichterstatters des
Rates eine Klausel verabschiedet, die ihn verpflichtet, über Fälle zu berichten,
„in denen der Missbrauch der Meinungsfreiheit den Tatbestand der rassisti
schen oder religiösen Diskriminierung erfüllt”. UDO WOLTER (Jungle World) be
merkt dazu, dass hier „die Religionskritik mit Rassismus gleichgesetzt wird”. Im
Rat wird außerdem jede Kritik an der Scharia durch die Schariastaaten abge
schmettert; dort heißt es nicht mehr, wie WOLTER sagt, die Würde des Men
schen, sondern die Würde des Islam ist unantastbar.
Der arabische Frühling
Der arabische Frühling, der Anfang letzten Jahres ausbrach, widerlegte auf ekla
tante Weise die reaktionären multikulturalistischen Positionen dieser westlichen
Intellektuelle. Muslime gingen auf die Straße und demonstrierten, höre und
schreibe, für die Menschenwürde, die Freiheit, Chancengleichheit und Demokra
tie. Sie forderten gerade die Werte ein, die die Feuilletonisten als westlich und
daher für die islamische Welt als unzumutbar betrachteten. Zur Überraschung
der Weltöffentlichkeit war kein Aufruf gegen den Westen und den Imperialismus,
keinen Aufruf gegen Israel und den Zionismus zu vernehmen. Noch erstaunlicher
war das Fehlen von islamischen Parolen. Der Slogan der Muslimbrüderschaft
„Der Islam ist die Lösung“ war nirgends zu hören oder zu sehen.
Die Menschen gingen auf die Straße in der Hoffnung auf eine bessere Zukunft,
auf ein Leben mit Würde. Der Islam war nicht ihr Ziel, weil sie in dieser Hinsicht
irgendwie schon am Ziel waren. Die säkularen Diktaturen und autoritären Re
gime hatten schon lange vorher den Staat Islamisiert, um ihre Völker besser un
ter Kontrolle zu halten.
Bei ihrer Entlassung in die Unabhängigkeit erkannten nur drei arabische Länder
die Gleichheit aller Bürger an. Es waren Ägypten, Sudan und der Libanon. Die
erste ägyptische Verfassung vom Jahre 1923 sah die Gleichheit aller Bürger vor.
Die Verfassung von ABDEL NASSER 1956 erwähnte schon den Islam als Staatsreli
gion. Im Jahre 1971 änderte SADAT die Verfassung und im Artikel zwei stand ne
ben dem Islam als Staatsreligion nun die Scharia als eine Quelle der Gesetzge
bung. Nach der Verfassungsänderung von 1980 wurde die Scharia zur Haupt
quelle der Gesetzgebung. Das half SADAT trotzdem nicht, er wurde 1981 von den
Islamisten ermordet.
Im Sudan stand die Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz in den Verfassungen
von 1956 und 1964. Die Verfassung von 1973 hob sie auf und führte als Quelle
der Gesetzgebung die Scharia für die Muslime und das Gewohnheitsrecht für
die Nichtmuslime ein. 2005 wurde die Scharia zum nationalen Recht vorerst auf
die Muslime angewandt, der Machtinhaber AL BASCHIR droht aber ständig damit,

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ihre Gültigkeit auf alle Bürger auszudehnen. Nur der Libanon hat den Grundsatz
der Gleichheit bis heute bewahrt.
Die Palästinenser haben noch keinen Staat, sind aber Vollmitglied der Arabi
schen Liga. In der palästinensischen Nationalcharta von 1968 strebten sie die
Gleichheit aller Bürger an, auch der jüdischen Bürger, die vor der Gründung des
Staates Israels in Palästina ansässig waren. Die Verfassung der Autonomiebe
hörde vom 2003 sieht dagegen einen islamischen Staat für die Zukunft vor. Ar
tikel vier spricht von dem Islam als Staatsreligion und der Scharia als Hauptquel
le der Gesetzgebung. Dagegen protestierte damals der palästinensische Bischof
von Jerusalem ohne Erfolg.
Eine zweite Gruppe von Ländern hat den Islam als Staatsreligion und als Rechts
system von Anfang an übernommen. Es sind die Länder Saudi Arabien, Kuwait,
Bahrain, die Emirate, Oman, Mauretanien. Eine dritte Gruppe hat am Anfang
den Islam nur als Staatsreligion: Algerien, Marokko, Tunesien, Irak, Libyen und
Somalia. Die drei letzten Länder haben später die Scharia eingeführt. Libyen
spricht 1991 sogar vom Koran als Verfassung des Landes. Syrien ist neben dem
Libanon das einzige Land, dass sich relativ fern von der Scharia hält; seit der
Verfassung von 1950 ist die Rede vom Islam als Religion des Staatsoberhauptes
und anstatt der Scharia wird das islamische Recht, fiqh, als eine Quelle der Ge
setzgebung betrachtet.
Die Bilanz sieht ernüchternd aus. Von den 20 arabischen Ländern hatten früher
nur sieben die Scharia als Verfassung, acht den Islam als Staatsreligion und vier
die Bürgergleichheit. Heute gilt in 15 Ländern die Scharia, in vier der Islam als
Staatsreligion und in einem einzigen Land, nämlich dem Libanon, die Bürger
gleichheit. Die Zahl der Schariastaaten hat sich mehr als verdoppelt. Man kann
sich fragen, was können die Islamisten noch mehr tun, wenn sie an die Macht
gelangen? Der jetzige Streit um die Verfassung, z. B. in Ägypten, dreht sich nicht
um die Einführung der Scharia, sondern um ihre Abschaffung. Es geht um die
Streichung des berüchtigten Artikels 2.
Die laufende Auseinandersetzung in der arabischen Welt um den Charakter des
künftigen Staates, ob säkular oder Gottesstaat, betrifft an erster Stelle die poli
tische Dimension des Islam, verkörpert in der Scharia. So wird die Scharia nach
ihrer sozialen und politischen Funktionalität kritisiert und an den Werten von
Freiheit, Gleichheit und Demokratie gemessen. Das Urteil der Kritiker fällt nega
tiv aus und die Scharia wird abgelehnt. Das erklärt die Verhärtung der Fronten
innerhalb der Revolution und ein Kompromiss zwischen Scharia, Gottesrecht
und säkularem Menschenrecht ist nicht in Sicht.
Der Multikulturalismus des Westens

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Im Gegensatz zum Orient setzt sich im Westen eine immer größer werdende Ak
zeptanz der Scharia durch. IBN WARRAQ schreibt in „Die Welt“ (vom 15.03.2010): „
Im Februar 2008 stellte der Erzbischof von Canterbury, ROWAN WILLIAMS, zustim
mend fest, dass ‚die Anwendung der Scharia unter bestimmten Umständen’ in
Großbritannien ‚unvermeidbar’ sei. In mehreren Interviews ließ er keinen Zweifel
daran, dass er die Vorstellung ‚ein Recht für alle’ gefährlich fand – ein Eckpfeiler
der westlichen Zivilisation, Gleichheit vor dem Gesetz: eine Gefahr! Im Juli 2008
sah der Oberste Richter von England und Wales, LORD PHILLIPS, keinen Hinde
rungsgrund, in Streitfällen die Scharia als Grundlage einer Vermittlung einzuset
zen. In Großbritannien arbeiten heute bereits 85 Scharia Gerichte, sie wenden is
lamisches Recht an, um häusliche, familiäre und geschäftliche Streitfälle zu lösen;
viele dieser Gerichte sind in Moscheen angesiedelt.“
Diese Scharia Gerichte sind anerkannte „arbitrations courts“. Etwas Ähnliches
verlangte am 3. Februar 2012 der Justizminister von Rheinland Pfalz, JOCHEN
HARTLOFF (SPD). Er befürwortete die Errichtung von islamischen Schiedsgerich
ten für Zivilklagen und erntete breite Kritik. Dieser Kritik jedoch war nicht be
wusst, welches Ausmaß das Eindringen der Scharia in die alltägliche Rechtspre
chung deutscher Gerichte inzwischen gewonnen hat. Dazu einige Gerichtsurtei
le von 2009:
Eine deutsche Frau reichte die Scheidung ein und forderte die Ausweisung ihres
ägyptischen Mannes, der drohte ihre Tochter zu töten, weil sie vergewaltigt wor
den war. Richter MATTHIAS RAU an einem Gericht in Hannover entschied (am 21.
Januar 2009) gegen die Ausweisung des Mannes mit der Begründung: „Muslime
haben ein anderes Verständnis von Vergewaltigung als Europäer und das muss
mit in Betracht gezogen werden.“ In einem Interview erklärt er: „Die Scharia stellt
Vergewaltigung in eine Linie mit Ehebruch, Zena, und oft werden die Opfer –
Frauen – bestraft, statt die Täter zu verfolgen und sie zu verurteilen.“
Ein weiterer deutscher Richter, HELMUT WAGNER diesmal in Essen, entschied (am
2. März 2009), dass muslimische Mädchen in Deutschland nicht gezwungen
werden können in der Öffentlichkeit zu schwimmen und in der Schule die Evo
lutionstheorie zu lernen. Begründung: „Diese Dinge widersprechen Lehren des
Islam, der Religion dieser Mädchen; daher können diese muslimischen Mädchen
angesichts der Religionsfreiheit nicht gezwungen werden Dinge zu tun oder zu
lernen, die mit ihrer Religion inkompatibel sind.“
In einem weiteren Fall entschied Richter HANS DIETER BACHMANN an einem Ge
richt in Dortmund (am 12. Februar 2009) ebenfalls unter Bezugnahme auf die
Scharia. Er sagte, nach dem Koran kann ein muslimischer Vater seine 15 jährige

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Tochter schlagen, die sich weigert ein Kopftuch zu tragen; er könne nicht dafür
bestraft werden und zitierte Vers 4:34 aus dem Koran.1
Als sich Anfang 2007 CHRISTA DATZ WINTER, Richterin in Frankfurt, ebenfalls auf
diesen Abschnitt im Koran bezog, das dem Ehemann das Recht gibt, seine Frau
zu schlagen, sorgte sie noch für Aufregung in der Öffentlichkeit. Sie zögerte
damals die Scheidung einer marokkanischen Frau von ihrem marokkanischen
Ehemann hinaus; beide wohnten in Deutschland, mit der Begründung: „Sowohl
Ehefrau als auch Ehemann sind Muslime. Im Islam ist es dem Ehemann erlaubt,
seine Frau zu züchtigen. Diese Tatsache kann nicht ignoriert werden. In diesem
Fall müssen kulturelle und religiöse Motive einbezogen werden.“
SAMI ALRABAA, ein Ex Muslim, der diese Fakten in einem Artikel zusammenfasst,
meint dazu: „Ich glaube, dass Apologeten, die auf die Scharia verweisen und ih
re entsetzlichen Regeln akzeptieren, das nicht aus Angst vor den Islamisten tun.
Das Ziel ist die Beschwichtigung der radikalen Muslime. Folglich machen sie sich
zu Komplizen derer, die die Menschenrechte verletzen und zu Hass und Gewalt
aufstacheln.“
Diesen Prozeß kennen wir von den muslimischen autoritären Regimen, die wie
oben erwähnt, ihre Länder islamisierten, um die Islamisten ruhig zu stellen.
Ähnliches Verhalten ist im Westen sehr verbreitet. Beispielhaft ist der Fall des
Großmuftis von Bosnien, MUSTAFA CERIC, der nicht müde wird, in seinen Bemü
hungen, die Scharia einzuführen. Er fordert eine einzige Muslim Autorität in Eu
ropa auf dem Fundament der Scharia und dem Imamat, eine Art europäisches
Kalifat. Er begründet seine Forderung damit, dass die islamische Verpflichtung
auf die Scharia immerwährend, nicht verhandelbar und unbefristet sei. Die
Muslime seien berechtigt und verpflichtet, im Kontext von Zeit und Raum auf
Basis der Scharia über Gut und Böse, richtig und falsch zu urteilen. In seiner
„Deklaration europäischer Muslime“ wird CERIC konkreter. Er verlangt dort die
„Institutionalisierung des Islam in Europa“, die „politische Freiheit“ für Musli
me, „ihre legitimen Vertreter in die europäischen Volksvertretungen zu entsen
den“ und eine „Erleichterung der europäischen Einwanderungspolitik“ für Mus
lime, das alles abgerundet mit der Anerkennung des islamischen Familienrech
tes und dem Ausbau islamischer Schulen.
Das klingt wie ein Eroberungsprogramm und kein Integrationsprogramm. Schon
2006 sagte CERIC in Radio Free Europe: „Europa gehöre nicht zu einer besonde
ren Kultur oder Religion – etwa der christlichen. Es gehöre allen. Zugleich hat
CERIC einen muslimischen Herrschaftsanspruch angemeldet: „Ich habe das
Recht ein neues Gesicht Europas zu gestalten.“ Die Liste der Schariataten von
1
  „Die Männer stehen den Frauen in Verantwortung vor, weil Allah die einen vor den anderen ausgezeichnet hat und weil sie von
ihrem Vermögen hingeben. Darum sind tugendhafte Frauen die gehorsamen und diejenigen, die (ihrer Gatten) Geheimnisse mit
Allahs Hilfe wahren. Und jene, deren Widerspenstigkeit ihr befürchtet: ermahnt sie, meidet sie im Ehebett und schlagt sie!“ (Sure
4 “Die Frauen”, Vers 34)

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CERIC ist lang. Er hat u. a. verlangt, die Scharia in die bosnische Verfassung auf
zunehmen. In Karachi hat er 2010 die Umma der Muslime dazu aufgerufen, die
Weltwirtschaft durch eine Halal Bewegung zu erobern. Außerdem ist er mit den
Muslimbrüdern verbunden durch seine Mitgliedschaft im European Council for
Fatwa and Research, der von YUSUF AL QARADAWI geleitet wird.
Wer geglaubt hat CERIC wird wegen seiner Laufbahn mit Vorsicht in Deutschland
behandelt, hat sich mächtig geirrt. Im Jahre 2008 erhielt CERIC den EUGEN BISER
Preis (München) für sein Dialog Engagement. 2011 trat er als angesehener Gast
auf dem Evangelischen Kirchentag in Dresden auf. Sein Protégé, der Prenzber
ger Imam IDRIZ wird vom Klerus und der Politik unterstützt. Er plant auch mit
Hilfe arabischer Spendenmillionen den Bau eines Zentrums für Islam in Europa
in München. Würde ihm das Projekt gelingen, dann würde seinem geistlichen
Förderer CERIC eine geeignete Plattform angeboten, um seine Vision der Einfüh
rung der Scharia in Europa voranzutreiben.
Gehört der Islam zum Westen?
Der Multikulturalismus, der sich unter Politikern, Intellektuellen, Theologen und
Juristen breitmacht, ist eine Philosophie der Anerkennung, die in einer Politik
der Akzeptanz der kulturellen Differenzen ihren Ausdruck findet. Diese Ideolo
gie will den von dem angeblich homogenen Nationalstaat verursachten Rassis
mus und die Diskriminierung bekämpfen. Ihr Hauptideologe ist der Kanadier
CHARLES TAYLOR, der in den 60er Jahren von der Sorge um das friedliche Zusam
menleben verschiedener Einwanderergruppen und dem Schutz der ursprüngli
chen Bevölkerung getrieben war.
In den 80er Jahren und infolge der Restrukturierung des Weltkapitalismus2 (In
formatik, steigende Arbeitslosigkeit, Flucht und Migration)3 fand ein Paradig
menwechsel statt, der die Verbreitung der Ideen von Differenz und Multikultu
ralismus begünstigte. Anstatt von Imperialismus war nun die Rede von Migrati
on, anstatt von Klasse sprach man von Ethnien. Der Begriff Ethnie wurde früh in
den 50ern mit dem Begriff Klasse verbunden, man sprach von Ethno Klasse
(ethnoclass). In den 80ern ersetzte der Begriff Kultur den Begriff Klasse und
führte zur Essentialisierung der Ethnizität. Dem türkischen Chefarzt und dem
türkischen Hilfsarbeiter wurde eine Identität zugewiesen, der sie nicht mehr
entkommen können. Ein Türke ist und bleibt ein Türke.
Zur gleichen Zeit hatte die sogenannte Postmoderne eine Entstrukturierung des
Sozialen und eine Betonung von Diversität, Heterogenität und Segmentierung

2
  VERDERY, KATHERINE, Ethnicity, Nationalism and State making, in: VERMEULEN, HANS & GOVERS, CORA (eds.), The Anthropology of
Ethnicity. Beyond ‘Ethnic Groups and Boundaries’, Amsterdam 2000, S. 51 ff.
3
  Vgl. DÖRRE, KLAUS, Modernisierung der Ökonomie – Ethnisierung der Arbeit: Ein Versuch über Arbeitsteilung, Anomie und
deren Bedeutung für interkulturelle Konflikte, in: HEITMEYER, WILHELM (ed.), Was treibt die Gesellschaft auseinander? Frank
furt a.M. 1997, S. 69 117

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durchgesetzt.4 Die Prinzipien eines moralischen Universalismus, die auf Freiheit,
Gleichheit, Anerkennung und Solidarität basieren, wurden als Repression und
Unterdrückung des Partikularen kritisiert.5 In den 90er Jahren bestimmten Ethni
zität, Postmoderne und Multikulturalismus die Globalisierungsdebatte. Anfang
dieses Jahrtausends wurden allerdings die Gefahren der Essentialisierung der I
dentitäten offensichtlich. Parallelgesellschaften waren überall entstanden und
verfestigt. Sie stellen eine ernsthafte Herausforderung, wenn nicht eine Bedro
hung für den sozialen Frieden und für unsere Demokratie überhaupt dar.
Seitdem ist Multikulti auf dem Rückzug. Selbst bei den Grünen waren kritische
Stimmen zu vernehmen. RENATE KÜNAST meinte im Jahre 2000, dass der Begriff
Multikultur "unscharf" sei und zu kurz greife, "weil er sich nicht auseinander
setzt mit der Frage: Nach welchen Regeln leben wir?" Zur Erinnerung: Im Mai
1989 haben die Grünen ihren Parteitag in Münster unter dem Motto „Mut zur
multikulturellen Gesellschaft – Gegen Rechtsradikalismus und Ausländerfeind
lichkeit“ abgehalten.6
Trotz des Zweifels an der multikulturalistischen Ideologie kann sie immer noch
Erfolge feiern. Das ist u. a. darauf zurückzuführen, dass in den letzten Jahrzehn
ten eine Generation von Deutschen in dieser Geisteshaltung aufgewachsen ist
und Posten in allen Bereichen unserer Gesellschaft besetzt. So wird die Ausei
nandersetzung mit dem Multikulturalismus noch eine Weile anhalten.
Den letzten großen Erfolg der Multikulturalisten bescherte ihnen der inzwi
schen zurückgetretenen Bundespräsident CHRISTIAN WULFF, der am Tag der deut
schen Einheit bekundete: „Das Christentum gehört zweifelsfrei zu Deutschland.
Das Judentum gehört zweifelsfrei zu Deutschland (...) Aber der Islam gehört in
zwischen auch zu Deutschland.“ Mit Islam meinte er offensichtlich den real e
xistierenden Scharia Islam und nicht den ersehnten Reform Islam.
Die Muslime gehören natürlich zu unserer Gesellschaft und sind keine Gäste.
Das hat sogar die Union vor vierzehn Jahren anerkannt. In diesem Sinne wider
sprach VOLKER KAUDER, der Vorsitzender der CDU/CSU Fraktion, dem Bundesprä
sidenten und sagte, dass die Muslime, die hier leben, zu Deutschland gehören,
nicht aber der Islam. Er erntete prompt den Protest der muslimischen Dachver
bände sowie der SPD, der Grünen und der FDP. MERKEL verteidigte WULFF und
versuchte mit einem Kompromiss die Wogen in ihrer Partei zu glätten, sie sag
te: „Der Islam gehört zu Deutschland, ist aber nicht unser Fundament. Christ
lich jüdisch islamisches Abendland sind wir nicht!“
MERKELs Auffassung des Fundaments, die übrigens die herrschende im Westen
ist, wird von einer wissenschaftlichen Initiative in Berlin, dem „Corpus Corani
4
  PETERS, BERNHARD, Die Integration moderner Gesellschaften, Frankfurt a.M. 1993, S. 14 ff.
5
  Ibid., S. 26 27
6
  SEIDEL, EBERHARD, Abschied vom Lieblingskind, taz 1.11.2000

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cum“, angesiedelt in der berlin brandenburgischen Akademie der Wissenschaf
ten, widersprochen. In einem ganzseitigen Artikel in der FAZ vom 16. April 2012
schreibt die Projektleiterin ANGELIKA NEUWIRTH: „Es geht darum, dem Koran ei
nen Platz in der bislang noch weitgehend als geschlossen jüdisch christlich ver
standenen Kultur Europas zuzuweisen. Ein seit fünf Jahren laufendes For
schungsprojekt sieht sich hier in der Pflicht.“
Es gab, fuhr sie fort, in der deutschen Koranforschung von 1833 bis 1933 eine
historisch kritische Schule, begründet von dem Rabbi ABRAHAM GEIGER. Die jüdi
schen Gelehrten wurden aber in ihrer akademischen Umwelt als „Orientalen“
gebrandmarkt und 1933 wurden alle jüdischen Forscher von deutschen Univer
sitäten vertrieben. Damit verschwand auch, behauptet Neuwirth, die historisch
kritische Gelehrtentradition aus der Koranforschung.
Es überlebte eine traditionelle Koranforschnug, die den Koran von seinem Rang
als universale Religionsurkunde auf lokales Niveau einer Schrift eines individuel
len Autors in Arabien namens MOHAMMAD fallen ließ. Diese Richtung wurde von
einer in den 70er Jahren entstandenen „skeptischen“ Richtung in Frage gestellt,
weil die Skeptiker an der Echtheit der traditionellen Entstehungsszenarien des
Korans zweifelten. Sie treiben ihre „historische Forschung auf die Spitze, indem
sie den Koran mit chirurgisch scharfem Schnitt vom Islam trennen – ein scho
ckierender Eingriff nicht nur für muslimische Leser, sondern für jeden Betrach
ter mit Augenmaß.“
Der Wortgebrauch „schockierend“ wie auch „Zumutung für die Muslime“, Auf
wertung des Korans“ und „Anwartschaft auf einen Rang auf Augenhöhe mit
den beiden anderen Schriften“, die im Artikel vorkommen, verrät eine multikul
turalistische Ideologie. Es geht um Anerkennung, Respekt bzw. Beleidigung der
kulturellen Identität. Die Muslime werden mehrmals erwähnt, sie stehen
sozusagen am Zaun und beobachten das Geschehen. Man kann sich des
Eindrucks nicht erwehren, dass es sich hier mehr um Politik als um
Wissenschaft   handelt.
Ihre Hauptkritik  fasst NEUWIRTH wie folgt zusammen: „Denn beide Richtungen
der gegenwärtigen Forschung bestreiten dem Islam seinen Ursprung in jenen
spätantiken Debatten, aus denen auch ‚unsere’ jüdischen und christlichen
Grundschriften hervorgegangen sind: Mischna und Neues Testament, Kirchen
vätertexte und rabbinische Exegese.“
Gerade dieses Vorhaben hat sich eine Gruppe vorgenommen, die von NEUWIRTH
verschwiegen wird. Das ist die ständig wachsende Gruppe um den Inârah
Verein, der in sechs erschienenen und zwei in Vorbereitung befindlichen Bän
den die Beiträge von 37 Wissenschaftlern aus allen Kontinenten, Muslime wie
Nichtmuslime, veröffentlicht hat. Die Gruppe versteht sich in der Tradition der
Skeptiker und erweitert ihren Ansatz.

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Ausgehend von der Tatsache, dass unsere Kenntnisse über den Islam sich auf is
lamische Quellen beziehen, die etwa 200 Jahre nach dem Geschehen niederge
schrieben wurden, sind die Inârah Forscher auf Spurensuche in die Spätantike
gegangen. Sie arbeiten interdisziplinär und versuchen, den Forschungsgegens
tand aus der Sicht verschiedener Disziplinen zu beleuchten. Islamwissenschaft,
Geschichte, Archäologie, Theologie, Philologie, Numismatik, Bibel , Literatur
und Sprachwissenschaften usw. sind beteiligt.
Die Ergebnisse stellen die schärfste Islamkritik dar, die es je gab. Der Islam als
Religion existierte offensichtlich im ersten islamischen Jahrhundert nicht. JOSEF
VAN ESS, der weltweit bekannte deutsche Orientalist, sagte in einem Interview
2010; „Als es den Koran gab, gab es noch lange nicht den Islam.“ Und er ging
sogar noch weiter: „Es ist sehr wahrscheinlich, dass der Islam von Muhammad
noch gar nicht intendiert war. Anfangs wird bloß eine Gemeinde gebildet, die
sich eines besonders sittlichen oder frommen Lebenswandels befleißigen soll
und die sich als "die Gläubigen" bezeichnet: "al Mu’minun".
VAN  ESS bestätigte damit die Thesen von FRED DONNER, der im selben Jahr sein
Buch „Muhammad and the Believers“ veröffentlichte. Anhand des koranischen
Textes beweist DONNER, dass es den Islam als Religion noch nicht gab. Das er
klärt vielleicht, warum außerhalb der später im 9. Jh. entstandenen islamischen
Schriften nirgendwo im 7. Jh. die Anwesenheit einer neuen Religion erwähnt
wird. Beide Wissenschaftler, die nach der Kategorisierung NEUWIRTHs eher zum
Lager der Traditionalisten zählen, kommen zu ähnlichen Ergebnissen wie die
Inârah Gruppe.
Die Inârah Forscher haben durch ihre umfassende Untersuchung der Spätantike
gezeigt, dass die uralte Auseinandersetzung im Christentum zwischen orientali
scher und hellenistischer Theologie wegen der apokalyptischen Stimmung, die
infolge der kriegerischen Konfrontation zwischen dem byzantinischen und per
sischen Reich im 7. Jh. herrschte, wieder aufflammte. Es gelang der hellenisti
schen Theologie auf dem Konzil von Nicäa (325) bzw. von Konstantinople (381),
die Trinität zum Dogma zu erheben. Die orientalische Theologie hat aber die
Trinität nie akzeptiert und nutzte die Turbulenzen des 7. Jh.s um ihre Sicht der
Dinge durchzusetzen.
Ihre Anhänger betrachten sich als die wahren Monotheisten und die richtigen
Gläubigen. Das ist auch das Hauptthema des Korans: die Auseinandersetzung
zwischen den Gläubigen und den anderen, vor allem den Trinitariern. Erst spä
ter unter dem Kalifen ABDEL MALIK BEN MARWAN (685 705) wurde entschieden,
eine neue Religion zu etablieren und die Umma der Gläubigen ging ihren eige
nen Weg und wurde zur Umma der Muslime. Wichtig dabei ist, dass dieser Weg
nicht nach Europa führt. Was Europa übernommen hat, ist die jüdisch
christliche Tradition der Spätantike, aber in ihrer hellenistischen Version.

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In ihrem Buch „Der Koran als Text der Spätantike. Ein europäischer Zugang“ ver
sucht NEUWIRTH auf 859 Seiten zu beweisen, dass der Koran am Herausbilden des
späteren Europas beteiligt war und damit zu einem „orientalisch europäischen
Text“ wird. TILMAN NAGEL, der das Buch rezensiert, schreibt: „Europa entsteht
nicht im spätantiken Arabien, und ein Text ist nicht schon deshalb «europäisch»,
weil er auf Judentum und Christentum Bezug nimmt.“ Und dann fügt er ein ent
scheidendes Argument hinzu: „Ein für Europa wesentlicher Teil des spätantiken
Erbes, die Institutionen und das Recht des Römischen Reiches, spielt im Koran
nicht die geringste Rolle.“ Schließlich stellt er fest: „Nirgendwo in ihrer Studie
gewinnen solche Forderungen auch nur den Schein der Plausibilität. Aber diese
Aussagen passen geradezu wunderbar zu der Botschaft des deutschen Bundes
präsidenten, dass der Islam zweifellos zu Deutschland gehöre.“
Ausblick
Der Islam gehört nicht zu Deutschland, auch nicht zu Europa, auch nicht zum
Westen, auch nirgendwohin als zu sich selber. Er ist unfähig, die anderen zu ak
zeptieren. Die Aufteilung der Menschen im Koran zwischen Gläubigen, die zur
Umma gehören, und Ungläubigen, die bekämpft und unterworfen werden sol
len, diente nach der Entstehung des islamischen Staates zur Aufteilung der
Welt in das Gebiet des Islam und das Gebiet des Krieges. Das sogenannte Ge
biet des Friedens oder Vertrages, das dazwischen lag, hat nie den Frieden dau
erhaft garantiert. Es war wie ein Waffenstillstand, auf der Agenda der Muslime
stand immer die Verbreitung der Herrschaft des Islam.
CLAUDE LÉVI STRAUSS behandelt das Thema 1955 in seinem Buch „Traurige Tro
pen“. Er schreibt über den Islam: „Eine große Religion, die sich weniger auf die
Evidenz einer Offenbarung stützt als auf die Unfähigkeit, Bande nach außen zu
knüpfen. Angesichts der allgemeinen Menschenfreundlichkeit des Buddhismus
und des Wunschs der christlichen Religion nach dem Dialog nimmt die mo
hammedanische Unduldsamkeit eine Form an, die bei denen, die sich ihrer
schuldig machen, unbewußt ist; denn auch wenn sie nicht immer brutal versu
chen, andere zu ihrer Wahrheit zu bekehren, so sind sie doch – und das ist weit
schlimmer – außerstande, die Existenz des Anderer als Anderen zu ertragen.
Das einzige Mittel, sich vor dem Zweifel und der Erniedrigung zu schützen, be
steht für sie in einem "Zunichtemachen" des Anderen, der von einem fremden
Glauben und einem fremden Verhalten zeugt. Die islamische Brüderlichkeit ist
die Umkehrung des ausschließenden Banns gegen die Ungläubigen, die nicht
eingestanden werden kann, denn wollte man sie als solche anerkennen, so liefe
das darauf hinaus, die Ungläubigen selbst als Existierende zu erkennen.“
Ähnlich, aber aus einer anderen Perspektive äußert sich LORD BHIKHU PAREKH, der
Mitglied der britischen „Kommission für Rassengleichheit“ und Vorsitzender der
„Kommission für die Zukunft des multi ethnischen Britanniens“ war, und ein
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Verfechter des Multikulturalismus ist. Er schrieb (in der SZ vom 4. August 2003): „Das
größte Problem der Muslime ist nicht die Demokratie, sondern das Leben in ei
ner multikulturellen Gesellschaft. Muslime sind von der absoluten Überlegenheit
des Islams überzeugt… Die Einstellung der Muslime zum Multikulturalismus
kann nur einseitig sein. Einerseits wird er begrüßt, da er ihnen ermöglicht, ihre
religiöse Identität zu wahren und andere mit ihrem Glauben vertraut zu ma
chen. Andererseits stößt Multikulturalismus jedoch auf Ablehnung, da er die
Überlegenheit des Islam negiert und die Muslime und ihre Kinder mit anderen
Religionen und weltlichen Kulturen in Berührung bringt.“
Das bedeutet, dass die Bemühungen der Multikulturalisten vergebens sind. Der
Islam, wie er jetzt existiert, wird keinen Platz in unserer Gesellschaft finden. Al
le Untersuchungen in den letzten Jahren zeigen, dass mit steigender Religiosität
die religiöse Gewaltbereitschaft bei jungen Muslimen auch steigt und ihre In
tegrationsbereitschaft zurückgeht. Umgekehrt je weniger religiös umso integ
rierter sind die Muslime. Um den Islam zu integrieren, muss er ohne Wenn und
Aber und nach wie vor folgende Aufgaben meistern:
      1. Die Menschenrechte akzeptieren bzw. dem Menschenrecht den Vorrang
         geben vor dem Gottesrecht
      2. Die Trennung von Politik und Religion vollziehen
Außer dem Verband der Alewiten hat bis heute kein islamischer Verband in
Deutschland es geschafft, diese Bedingungen zu erfüllen. Ob sie es jemals
schaffen, bleibt ungewiss.

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