Jung, laut, hässig! Wie sich die luzerner hip-hOpper ins schWeizer Musikgedächtnis rappen - null41

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Jung, laut, hässig! Wie sich die luzerner hip-hOpper ins schWeizer Musikgedächtnis rappen - null41
Monatszeitschrift für Luzern und die Zentralschweiz mit Kulturkalender
NO 3 März 2014 CHF 8.– www.null41.ch

                                                       laut,
                                                       jung,

                                                       hässig!
      Musikgedächtnis rappen.
      Wie sich die Luzerner Hip-Hopper ins Schweizer
Jung, laut, hässig! Wie sich die luzerner hip-hOpper ins schWeizer Musikgedächtnis rappen - null41
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                                                                                                                                                                                                               22 4/0 RN K UM
                                                                                                                                                                                                                             E
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                                                                                                                                                                                     TU

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                                                                                                                                                                                                                         L
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                                                                                                                                                                                                                       Z

                                                                                                                                                                                                                     14
                                                                                                                                                                                                                   6/
                          NOËL DERNESCH AND MORITZ SPRINGER

                                                                                                                                                                                         IS K C ET
             A FILM BY

                                                                                                                                                                                                                 1
                                                                                                                                                                                           RE L KE
               TILMANN OTTO aka

                                                                                                                                                                                            DI E
                                                      AUDIENCE AWARD

          GENTLEMAN                                   Zurich Film Festival

                                                                                                                                                                                             M
                                                             2013

                                                                                                                                                                                              IS EE
                                                                                                                                                                                              E
                                                                                                                                                                                               OI
                                                       IN COMPETITION
                                                       IDFA Amsterdam
                                                             2013

                                                        DEFA AWARD
                                                       Max-Ophüls-Preis
                                                            2014

                                                                                                  courtesy Thole Rotermund Kunsthandel, Hamburg, Foto: LWL-MKuK, Rudolf Wakonigg
                                                                                                  Bildausschnitt: August Macke (1887–1914)—Markt in Tunis I—1914, Privatsammlung,
                                                ALBERTO D’ASCOLA aka
                                               ALBOROSIE

         Ab 20. März im Kino                                                                                                                                                                                                     WWW.ZPK.ORG

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                                                     en
                                           4. Leibch
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        Museum für Kommunikation
        Helvetiastrasse 16
        3005 Bern                                                                                                                                                                   Hodlerstrasse 8 – 12
        www.mfk.ch                                                                                                                                                                  CH -3000 Bern 7
                                                                                                                                                                                    www.kunstmuseumBern.CH
                                                                                                                                                                                    di 10H – 21H mi – so 10H – 17H

                                                                        140218_Ins_Kulturpool_041_Sesam_96X126mm.indd 1                                                                                                             18.02.2014 16:25:57
Jung, laut, hässig! Wie sich die luzerner hip-hOpper ins schWeizer Musikgedächtnis rappen - null41
editorial

                                              Musik

Luzern wird ja ganz gerne als «Rock City» bezeich-            Einblick in die junge Lebensgeschichte des Luzerner
net. Und ja, in Sachen Rock und Pop hat die Zent-             Rappers Mimiks (Cover), einem aufstrebenden Talent
ralschweiz schon viele Namen hervorgebracht: Da               unter den jungen Wilden. Er hat in den vergangenen
waren etwa Sportsguitar und Stevens Nude Club, da             Jahren praktisch nur für den Rap gelebt und sich fast
waren Mothers Pride und Neviss. Da sind noch immer            darin verloren – bis der Wendepunkt kam. (Seite 8)
Dada Ante Portas. Etwas ruhiger, aber doch mit Gi-            An einem Wendepunkt steht man auch am anderen
tarre ausgestattet, ist aktuell Heidi Happy schweizweit       musikalischen Ende Luzerns: Das Lucerne Festival
auf Erfolgskurs – gerade bringt sie ein neues Album           macht sich an die Herkulesaufgabe, die Nachfolge von
heraus (Seite 25). Und mit Bands wie etwa Weekend             Pierre Boulez und vom verstorbenen Claudio Abba-
Phantom stehen bereits Nachwuchstalente bereit. Es            do zu regeln (Seite 19). Die Sache scheint auf gutem
gibt sie also noch, die Rock City.                            Wege – wer weiss, vielleicht eine der letzten grossen
                                                              Aktionen von Intendant Michael Haefliger.
Laut wurde es in letzter Zeit aber um einen ganz
anderen Musikbereich: Die Hip-Hopper machen von
sich reden. Die bösen Buben von nebenan haben sich
innert ein paar Jahren von einem losen Haufen zu
einer regelrechten Szene zusammengerauft – und sich
auch in den Rap-Hochburgen Basel, Bern und Biel
einen Namen gemacht. Dieser Geschichte gehen wir
                                                              Martina Kammermann
in diesem Heft nach. Und gewinnen dabei auch einen            kammermann@kulturmagazin.ch

                                                          3
Jung, laut, hässig! Wie sich die luzerner hip-hOpper ins schWeizer Musikgedächtnis rappen - null41
Inhalt

14 freude herrscht
Die Kunsti zieht um. Von einem Verlust für
die Stadt will niemand etwas wissen.         8    im aufwind
                                                  Der Luzerner Rap-Newcomer Mimiks
                                                  spricht über die Höhen und Tiefen seines
                                                  Lebens

                                             11am start

16 endstation                                  Die Luzerner Hip-Hop-Szene ist im
                                             	Kommen.

Das Bahnhofbuffet und Co. müssen im April    18   auf der allmend

schliessen. Der Unmut darüber ist gross.          Beim Bau von Swissporarena und Messe
                                                  war von Konzerten die Rede – bis heute
                                                  läuft dort aber fast nichts.

                                             19   im umbruch
                                                  Ein Kommentar zu den aktuellen Entwick-
                                                  lungen des Lucerne Festival.

                                                  KOLUMNEN
                                             6  Gabor Feketes Hingeschaut
                                             7  Lechts und Rinks: Absturzgefahr in Emmen
                                             20 Gefundenes Fressen: Cevapcici
                                             38 11 Fragen an: Anete Melece
                                             69	Kämpf / Steinemann
                                             70	Käptn Steffis Rätsel
                                             71 Vermutungen

                                                  SERVICE
                                             21 Bau. Zur Immobilienpolitik der SBB
                                             22 Kunst. Warum Martin Guts Kunst Spass macht
                                             27 Musik. Ohne Genregrenzen: das Trio Zarin Moll
                                             29 Wort. Die besten Anekdoten zum Literaturfest
                                             30 Bühne. Zur Last der Freiheit
                                             35 Kino. Der bewegende Abschied einer Schule
                                             66 Namen / Notizen / Ausschreibungen
25 sexy wie nie                              67 Impressum
                                             68 Kultursplitter. Tipps aus der ganzen
Aber trotzdem cool und distanziert:          	Schweiz

das neue Album von Heidy Happy.              38
                                                  KULTURKALENDER
                                                  Kinderkulturkalender
                                             39   Veranstaltungen
                                             57   Ausstellungen

                                             Titelbild: Mimiks, 6. Februar 2014
                                             Foto: Beat Brechbühl

                                                  PROGRAMME DER KULTURHÄUSER
                                             40   Kleintheater
                                             42   Stadtmühle Willisau / Romerohaus
                                                                                                Bilder: J. van der Hagen, M. Christen

                                             44   Stattkino
                                             46   HSLU Musik
                                             48   Luzerner Theater / LSO
                                             50   Südpol
                                             52   Kulturlandschaft
                                             54   Zwischenbühne / Chäslager Stans
                                             58   Kunsthalle Luzern / Museum Bellpark
                                             60   Historisches Museum / Natur-Museum
                                             62   Kunstmuseum Luzern / Nidwaldner Museum

                                  4
Jung, laut, hässig! Wie sich die luzerner hip-hOpper ins schWeizer Musikgedächtnis rappen - null41
schÖn gesagt

«Zu Tschechows Zeiten scheiterte man
  an zu wenig Freiheit, heute an zu viel.»
                                                                                         REGissEuRiN BETTiNA GLAus (sEiTE 34)

                                             guten tag                                                                  aufgelistet

guten tag, nidWalden                                  guten tag, e. s.* aus luzern                          die luzerner scheinen sich in ihrer
tOurisMus                                             im Frühling wird an der Moosstrasse in Luzern         heimatstadt wohlzufühlen – oder
stolz hast du im Februar deine neue eigene Web-       Tempo 30 eingeführt, und so bekommt das Helve-        sie besingen sie jedenfalls gern.
site präsentiert. Oha, selbst ist der kanton, dach-   tiagärtli, sonntagshort für allerlei stadtflaneure,   einige hymnen aufs zuhause:
ten wir und klickten als Erstes grad auf das Menü     eine etwas ruhigere und ungefährlichere Atmo-
kunst&kultur. und wunderten uns: Die Fas-             sphäre. Ein Dienst am Volk, könnte man meinen,
                                                      du aber hast die dahintersteckende Verschwörung
                                                                                                            - Henrik Belden – Hometown (2014)
nacht, das schwingfest, historische stätten und
Museen sind da prominent vertreten – von den          durchschaut: «Das Quartier wird schon länger nur
                                                      noch von der alternativen szene heimgesucht und       - tobi Gmür – World Famous In My
Häusern, in denen kultur tatsächlich passiert,
fehlt allerdings jede spur. kein Chäslager stans,     das Verkehrskonzept der stadt Luzern ist immer          Hometown (2012, albumtitel)
kein Theater an der Mürg, keine Backstube stans,      mehr einem linkskulturellen Determinismus un-
und auch die stanser Musiktage sind nur ganz          terworfen», schreibst du als NLZ-Online-Leser-        - One Lucky Sperm – Hometown
versteckt aufgeführt. Da fragen wir uns: Hast du      kommentator scharfsinnig. Aha, die kulturszene          Holidays (2012)
die lokale kultur einfach vergessen (obwohl du        ist da am Werk! Jetzt, wo du es sagst, wird natür-
auf das Lokale doch so viel Wert legst)? Oder war     lich einiges klar: Beim umbau des Hirschmatt-         - Dada ante Portas – Head Back
der «starke Partner» aus Österreich, der die Web-     quartiers gleich nebenan gehen über 40 Parkplät-        Home (2008)
site machte, doch nicht ortskundig genug? Nun,        ze verloren – und mittendrin das kleintheater:
vielleicht ist auch deine kulturdefinition noch       Was die nach Vorstellungsende nicht alles aushe-      - Emm – Ei Stadt i de Schwiiz (2007)
nicht ganz schlüssig. unter dem Titel kunst&kultur    cken. und dass die vorgeschlagene Metro genau
schreibst du nämlich: «Eine grosse Anzahl von         zum sedel führt, das kann ja wirklich auch kein
lokalen Bräuchen und Riten steht in Zusammen-         Zufall sein.
hang mit den Jahreszeiten (z. B. Älplerchilbi, kä-
semärkte, Nikolausumzüge, Fasnacht, schwing-          Verschwörerisch, 041 – Das Kulturmagazin
feste usw.). Bräuche umfassen vor allem Musik,
Tanz, Theater, Dichtung, schnitzerei und stickar-     * Vollständiger Name online ersichtlich
beiten.» Ähm … kultur gleich Brauch? Das ist uns
neu!

Reisefreudig, 041 – Das Kulturmagazin

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 Masterprogramm
 Kulturmanagement
 Studiengang 2014 - 2016, Beginn Oktober 2014

 Informationsveranstaltung
 Donnerstag, 27. März 2014, 18.30 bis 20 Uhr
 Ort: Steinengraben 22, 4051 Basel

 www.kulturmanagement.org

                                                                                 5
Hingeschaut

Finnische Regatta
Als gebürtiger Ungar sind mir die Finnen ja fast Verwandte, denn         schende Ruderfachwelt, versunken in die Rennresultate am Rot-
unsere Sprache soll den gleichen Ursprung haben. Richtig bewie-          see. Kaum jemand hat mich bemerkt. Ich stand nur etwa zwei
sen ist das allerdings noch nicht. Und auch verstehe ich kein Wort       Meter von ihnen entfernt, die Sonne strahlte wunderbar aufs
Finnisch, ja ich könnte wohl schneller Japanisch lernen als diese        Presse-Zelt – es waren optimale Bedingungen. Ich freue mich
merkwürdige Sprache.                                                     schon auf eine Fortsetzung, vielleicht kann ich doch bald perfekt
   Mit dem finnischen Fotografen Pentti Sammallahti hingegen             Finnisch!
fühlte ich mich sofort seelenverwandt. Seine Fotoserie, die er vor
20 Jahren in Tallin, Estland, gemacht hat, animierte mich, auch          Bild und Text Gabor Fekete
eine ähnliche Serie zu produzieren. Mein Foto zeigt die vorbeihu-

                                                                     6
lechts und rinks

Kamikaze in Emmen
Nur Fliegen ist schöner als Emmen: Lokale Unternehmer wollen den
Flugplatz zivil nutzen.

                                            Hier folgt noch eine Illustration

Was darf Satire? Alles, haben wir gerade         Barcelona oder London anbieten müsste,        voll, denn alles deutet darauf hin, dass der
erst wieder gelernt, wichtig ist nur, dass das   brauche Emmen auch einen grossen Bahn-        südliche Teil der Gemeinde gemeinsam mit
Volk etwas zu lachen hat. Und genau so           hof, wo die französischen Hochgeschwin-       Reussbühl zum neuen Zentrum einer grös­
verhält es sich auch mit der Verwaltung.         digkeitszüge (TGV) halten könnten. Nun,       seren Stadt werden wird. Dass in diesem
Aus Spargründen die Schule schliessen?           der Vorstoss kommt zum satirisch günstigs-    Zusammenhang auch die Fusionsfrage
Hahaha. Den Bauern sagen, wie sie ihre Si-       ten Zeitpunkt: Da die Schweizer Armee ei-     wieder auf den Tisch gekommen ist, ist
loballen auf dem Feld anzuordnen haben?          nige Flugplätze ausrangiert und ihre Flüge    kein Zufall: Luzern wird vor allem im alten
Hihi. Den psychischen Zustand und damit          damit konzentriert, droht den Emmerin-        Gemeindedreieck von Luzern, Littau und
die Rente von IV-Bezügern mit unzuverläs-        nen und Emmern auch ohne zivile Flug-         Emmen wachsen. Auch gibt es dort enor-
sigen Hirnstrommessungen überprüfen?             zeuge eine zusätzliche Lärm- und Luftbe-      mes Potenzial für Gewerbe, Bildung und
Hmpf. Wo es aber gerade so unlustig wur-         lastung. Diese dürfe keinesfalls steigen,     Kultur.
de, wollte die Wirtschaft natürlich nicht        schrieb etwa die Luzerner Regierung zu
auf der Strecke bleiben. Und so kam die          den Plänen der Armee.                             Diese Entwicklung mit einem Ausbau
vielleicht absurdeste Schlagzeile der letzten                                                  des Fluglärms zu torpedieren, wäre gro-
Wochen und Monate von Jürg Brand, dem                Der Vorschlag der Von Roll und Ter­       tesk. Natürlich braucht die zukünftige Stadt
Chef von Von Roll Infratec in Emmen. Er          suisse ist in Emmen wie auch im Kanton        Luzern schnelle Anschlüsse an andere
will den dortigen Militärflugplatz zum Teil      Luzern chancenlos. Es gibt keine politische   Städte im In- und Ausland. Aber die inter-
zivil nutzen, als «City Airport Suisse Cen-      Mehrheit für zivile Flüge. Atemraubend ist    nationalen Flughäfen von Zürich und Basel
trale» (sic!).                                   der Vorstoss aber darum, weil er zeigt, was   sind schon heute in wenig mehr als einer
                                                 grosse Unternehmen unter einer Sied-          Stunde zu erreichen. Um diese Anschlüsse
    So jedenfalls äusserte sich sein Unter-      lungsentwicklung verstehen – nämlich,         abzusichern und noch schneller zu ma-
nehmen in einer Stellungnahme zum neu-           dass ihre CEOs schnell zu- und wegfliegen     chen, braucht Luzern keinen Flugplatz und
en Siedlungsleitbild, das Emmen in die Ver-      können. Abgesehen davon ist der Vorschlag     Emmen keinen TGV-Bahnhof. Vielmehr
nehmlassung gegeben hat. Mit der Tersu-          nicht mehr als eine sprachliche und raum-     braucht die ganze Agglomeration den Tief-
isse schloss sich auch eine andere lokale        planerische Zumutung. Das Leitbild, das       bahnhof und, damit verbunden, zusätzli-
Firma dem Schreiben an, wie die «Luzer-          Emmen vorgelegt hat, sieht eine enorme        che S-Bahn-Haltestellen in Emmen.
ner Zeitung» berichtete. Nebst einem öf-         Verdichtung der Agglomerationsgemeinde
fentlichen Flugplatz, der Touristen und Ge-      vor: Es soll Platz geben für 8000 Einwoh-
schäftsreisenden etwa Direktflüge nach           ner und 7000 Arbeitsplätze. Das ist sinn-     Christoph Fellmann, Illustration: Mart Meyer

                                                                      7
portrait

Etwas mehr als ein Jahr ist es her, als Angel Egli sich   ein Job, um sich über Wasser zu halten. Geld habe er
sagte: Jetzt muss alles anders werden. Seither verän-     keins gehabt, aber viele Kollegen, und zusammen
derte sich für ihn vieles – aber zum Glück dann doch      reichte es immer irgendwie für Alk und anderes. Es
nicht ganz alles.                                         war eine «total planlose» und wortwörtlich dunkle
    «Aggressiv über Liebe rappen, das zieht immer»,       Zeit: Oft war Angel bis 6 Uhr unterwegs und stand um
grinst Angel, auch bekannt als Rapper Mimiks. Der         15 Uhr wieder auf. Hauptbeschäftigung: Freunde und
22-Jährige tänzelt im winzigen Musikstudio im             Rappen. «Wenn die Leute wüssten, wie viel Zeit mei-
Bruchquartier umher, hier wird gerade sein Debütal-       nes Lebens ich mit Texteschreiben verbracht habe»,
bum produziert. Auf dem knarrigen Parkettboden lie-       schüttelt er den Kopf. Neben Talent mit ein Grund,
gen Textblätter verstreut, ein paar Schaumstoffele-       warum er im Rappen schnell gut geworden ist. Und er
mente hängen über undichten Fenstern. Zwei Köpfe          wollte noch besser werden, alles andere liess er schlei-
kauern über einem Bildschirm und feilen an immer          fen. «Ich hatte meine Bestimmung gefunden und es
gleichen Tonsequenzen, Angel wirft sich auf den drit-     war mir völlig egal, was ich sonst mache», sagt er.
ten Stuhl, wippt und singt mit. «Geiler Shit, was?»           2012 stellte er schliesslich das Mixtape
    In Hip-Hop-Kreisen wird Mimiks schweizweit als        «Jong&Hässig» ins Internet, eine Abrech-
der Newcomer, das Ausnahmetalent, die angesagte           nung mit sich und der Welt. Mit einer
Nummer gefeiert. Das macht natürlich Druck: «Ich          Wodkaflasche in der Hand schleuderte
kenne viele Leute, die diesen Status hatten und dann      er seine Reime in die Kamera, wie ein
nichts daraus gemacht haben. Das will ich nicht. Auch     spontaner Wutausbruch klang seine
wenn die Leute nur darauf warten, dass ich jetzt alles    Musik. Und die sorgte für eine klei-
wieder kaputtmache.»                                      ne Erschütterung der Schweizer
    Am Album selbst hat Mimiks keine Zweifel: «Ich        Hip-Hop-Welt: 5000 Downloads,
rechne mit den Top 10 oder Top 20.» Aber auch wenn        100 000 Video-Klicks – für ein
nicht, sei er stolz auf seine Musik. «Ich habe auf dem    Rap-Tape ein beachtlicher Er-
Album meine letzten vier Jahre verarbeitet», sagt An-     folg. Sein grosses Können war
gel. Diese Jahre, sie waren seine Odyssee zu diesem       bewiesen. Geld hatte er zwar
Etwas, das nun nicht mehr kaputtgehen soll: das           auch danach nicht, aber
Gleichgewicht in Angels Leben. Oder die Mitte zwi-        Mimiks kam rum, rappte
schen der dunklen und der hellen Seite, wie er es         an zahllosen Events, be-
nennt.                                                    suchte Fernseh- und Ra-
                                                          dioshows, surfte die Wel-
                       Das Dunkle                         le. Dabei war er längst
«Nach der Sek hatte ich Bock auf gar nichts. Ich habe     seekrank.
einfach nichts gemacht», erzählt Angel ein paar Stun-
den zuvor, auf der Treppe des Luzerner Seepavillons            Das Helle
sitzend. Hier treibt er sich oft herum, nebenan im Mai-   Wohin sollte sein
hofquartier ist er aufgewachsen. Nur Musik habe er        Leben führen? Nur
machen wollen, nichts anderes. Auch nicht am gestal-      Partys feiern, nur
terischen Vorkurs an der Kunsti. Statt zu zeichnen        «en geile Siech si»
schrieb er Texte, hing rum, schaute fern, spielte FIFA,   macht auf Dauer
feierte Partys. «Mit 19 bin ich von zu Hause ausgezo-     nicht glücklich.
gen und hab zwei Jahre lang alles ausprobiert, was        Angel hatte we-
man so ausprobieren kann», erzählt er. Hier und da        der Geld noch

                                                                   8
Der
        Prinz, der
         aus dem
         Dunkeln
             kam
   In Schweizer Hip-Hop-Kreisen hat man
ihn längst entdeckt, nun will der Luzerner
  Rapper Mimiks auch die Charts erobern.
 In den letzten paar Jahren führte er einen
     Kampf gegen sich selbst und die Welt.
                Von Martina Kammermann, Bild Beat Brechbühl

    9
pOrträt

eine Ausbildung. «und ich hatte es satt, mich ständig       les andere begann ihn zu nerven: «Wenn du plötzlich
rechtfertigen zu müssen, warum ich nichts tue.» so          denkst, dein kolleg ist ein Versager, nur weil er Fern-
sagte er sich eines Tages: «so kann es nicht weiterge-      sehen schaut, ist das scheisse.» Deshalb hat er sich nun
hen, sonst verkackst du es völlig.» Ein besserer Mensch     für den Mittelweg entschieden: im sommer hat er ei-
wollte er werden, und die Wandlung kam fast über            ne Lehre als koch begonnen, er macht regelmässig
Nacht: ein regelmässiger Job in einem Club, ein Jahr        sport – und Party. Die Freundin ist inzwischen weg.
fast keinen Alkohol, eine feste Freundin. Mimiks            «so glücklich wie jetzt war ich schon lange nicht
nennt es die «helle seite» des Lebens, die er da betrat.    mehr», sagt Mimiks. Die schule fällt
«Zum Glück ist mir das kiffen und Rauchen als sucht         ihm leicht und es tut gut, mit
erspart geblieben, sonst hätte ich es wohl nicht ge-        ganz verschiedenen Men-
schafft.» Angel lernte sich abzugrenzen, sein eigenes       schen kontakt zu ha-
Ding durchzuziehen. Der Wandel spiegelte sich auch          ben. Manchmal habe
in seiner Musik: so ging es in seiner nächsten single       er jedoch Mühe, den                     «Mein Ziel war von
«Grau» nicht mehr um Alk und Frauen, sondern die            Leuten zuzuhören.                       Anfang an, der beste
sinnlosigkeit des Alltags und das ernste Leben.             «Wenn es nicht um                       Rapper der Schweiz
                                                            Musik geht, interes-
                                                                                                          zu werden.»
    Überhaupt ist es ein eher ernster Mensch, der da        siert es mich einfach
auf den see hinausblickt – obwohl er den spassvogel         nicht.» Hip Hop sei
tadellos drauf hat. Angel erzählt seine Geschichte in       wie eine Blase, die einen
einem Fluss. Man spürt, er hat viel über sich nachge-       schützt, in der man sich
dacht und sich selbst diesen Arschtritt namens Alltag       aber auch verlieren kann.
verpasst. Nicht der Vater, der nach spanien zog, als        «Da muss ich aufpassen, dass ich
Angel drei Jahre alt war. Nicht die Mutter, die dem         nicht zu extrem werde …» Mimiks
wilden Teenager nichts aufzuzwingen vermochte.              bricht ab, grübelt. Die Abendsonne wirft
Nicht die Freunde, die selbst zu nah dran waren. «ich       ihre letzten strahlen in die kuppel des Pavil-
wusste immer, dass ich alleine etwas machen muss.»          lons. Ja, der Weg der Mitte, er ist nicht einfach
und was, das war trotz aller Orientierungslosigkeit im-     zu finden.
mer klar: «Mein Ziel war von Anfang an, der beste
Rapper der schweiz zu werden.»                                  im studio wird an letzten kicks und Beats gefeilt.
    Der schnellste Rapper der schweiz ist er bereits, je-   Hier ein bisschen mehr Hall, da die spitze raus, ein we-
denfalls wird er regelmässig so genannt. Der Doubleti-      nig zurück mit dem synthie. Ryo, dem das 6003-stu-
me, also der doppelt schnelle Rap, ist eine seiner spezi-   dio gehört, nimmt es genau. «Alle wollen bei ihm auf-
alitäten. Gefürchtet ist Mimiks auch an Battles, an de-     nehmen», sagt Angel und grinst verschmitzt, «aber
nen sich Rapper in Duellen messen. «Wenn du bekannt         nicht jeder darf.» Er steht breitbeinig an eine Wand ge-
bist, wird es eher schwieriger. Das Publikum will, dass     lehnt und tippt etwas in sein smartphone. im Hinter-
du voll abräumst oder voll drunterkommst.» Zwei Tage        grund pumpen die Boxen: Mer send läär und enttüscht
vor einem Battle könne er an nichts anderes denken          und mer längwilid üs. Mer fühlid beidi sGliche, well mer
und sich nicht entspannen. «ich muss mich fokussie-         fühlid nüd. Ja, aggressiv über Liebe rappen, das hat Mi-
ren.» Der Wettkampf macht Angel spass: Wenn er              miks drauf. Die songs auf dem Album sind jedoch
nicht rappen würde, wäre er wohl kampfsportler ge-          ganz verschieden. «Beim einen denkst du, ach ist der
worden, meint er.                                           gescheit, und beim andern, der hat einen Vogel», fasst
                                                            Angel zusammen – eben das ganze Mimiks-spektrum.
                      die Mitte                             «ich will einfach so viel wie möglich erreichen mit der
Auf jeden Fall hatte sich Angel also dieses neue ich        Musik, die mir gefällt, ohne mich zu verbiegen», sagt
erkämpft. Dass ihn die helle seite aber nicht dauerhaft     Angel. Das klingt doch nach einem Plan. und die Zei-
zu ihrem Engel machen konnte, davon zeugen Face-            chen stehen gut, dass Angel diese kurve kriegt.
book-Einträge wie: «so ab etz wird nömme gsoffe …
blabla am aaarsch : )» oder das Foto eines Neo-Citran-
Beutels mit der unterschrift «Mini Lieblingsdroge sind
back».
   Das zu gute Leben habe ihn einsam und egoistisch           cd: VOdka-/-zOMBie-/-raMBOgang
                                                              (FarMore Records/Frontline Music)
gemacht, erzählt Angel. «ich sah nur noch mich und            erscheint am 25. april. plattentaufe: fr 16. Mai,
das Ziel, ein gesunder und guter Mensch zu sein.» Al-         schüür luzern.

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hip hOp

Luzern könnte bald zu einer Rap-Hochburg der Schweiz werden. Die lokale
Hip-Hop-Szene ist eng vernetzt, rappt mit Blick in die Zukunft und einem
musikalischen Selbstvertrauen, das seinesgleichen sucht.
    Von Heinrich Weingartner

hype hop!

                                       Am «Bonker inferno Vol. 2»: Hier wird gerappt und gebattlet, was das Zeug hält. Bild: Tino Scherer

Moskito, GeilerAsDu, Emm, Mimiks, LCone, Marash               Hip-Hop-Track das Rennen macht. Ein stich ins kultu-
& Dave. Na, klingelt’s? Noch nicht? Die künstlerna-           relle Gedächtnis Luzerns – zugleich aber auch eine
men der hiesigen Rap-Elite sollten künftig einen festen       wohltuende Vergiftung.
Platz in unserem kulturellen Vokabular einnehmen.                 Februar 2014: An der Plattentaufe von 7 Dollar Ta-
Zusammen haben diese jungen Wilden nämlich etwas              xi hat Pablito, ein Luzerner Rapper der älteren Garde,
geschaffen, angesichts dessen «Lucerne Rock City»             einen kurzauftritt. Die ganze schüür voller auf und ab
wie ein Label aus vergessenen Zeiten daherkommt.              bouncender Hände, ein gleissender Höhepunkt – an
    Januar 2014: Das Jugendradio 3fach schmeisst sei-         einem konzert der einstigen Luzerner indie-Newco-
nen alljährlichen kick Ass Award und kürt den besten          mer-Band par excellence.
song 2013. Das Hip-Hop-Duo Moskito gewinnt mit sei-               Vor einigen Jahren wäre das noch nicht denkbar
nem sphärischen Track «Fallschirm» den begehrten              gewesen. Man hörte nur sporadisch von einzelnen
Lokalaward. Es ist nach 2011 das zweite Mal, dass ein         halboffiziellen Videoclips, Gigs im kleineren Rahmen

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hip-hOp

                                                                             und einer Crew, die sich nicht gross um etwas ausser-
                                                                             halb ihrer Rapperei scherte. Das änderte sich nach und
                                                                             nach.
                                                                                 Tatsache ist: in der Zentralschweiz hört man Hip-
                                                                             Hop nicht mehr nur im kleinen szenekreis. «Flöch-
                                                                             ted», das Debütalbum von GeilerAsDu, verkauft sich
                                                                             seit dem Release 2012 konstant und ist bald «sold out».
                                                                             5000 Mal wurde das «Jong&Hässig Mikstape Vol. 1»
                                                                             von Mimiks heruntergeladen, vom Jugendfernsehsen-
                                                                             der Joiz wurde er zum MC des Jahres 2013 gewählt.
                                                                             Das Gratis-Album «Moskito» des gleichnamigen Duos
                                                                             wurde seit september 2013 bereits 2500 Mal gedown-
                                                                             loadet.
                                                                                 Die Luzerner Rapper haben nicht nur lokal Erfolg,
                                                                             sondern auch über die kantonsgrenzen hinaus: sie
                                                                             werden regelmässig zu Battles in der ganzen schweiz,
                                                                             zu Radio- und Fernsehshows eingeladen. Auch in Biel,
                                                                             lange Hauptstadt des schweizer Hip-Hops, ist man be-
                                                                             geistert: «Mit Mimiks als Eröffnung hatten wir die Bu-
                                                                             de sofort voll, da wusste ich, die Luzerner sind wieder
                                                                             ganz gross am kommen», sagt Veranstalter Jony Fern-
                                                                             andez zur letzten «Royal Arena», einem renommier-
                                                                             ten Bieler Hip-Hop-Festival.
                                                                                 im November 2013 erregte man in Zürich Aufse-
                                                                             hen: Auf sRF Virus läuft der «Big Time Cypher», die
                                                                             angeblich längste Open-Mic-show der schweiz; Rap-
                                                                             per aus dem ganzen Land kommen und geben ihre
                                                                             Freestyle-skills sowie unerprobte Texte zum Besten.
                                                                             Auch ein übermütiges Rudel junger Luzerner ist vor
                                                                             Ort. DJ Cutzilla an den Decks legt, als sie wieder ein-
                                                                             mal an der Reihe sind, einen schleppenden, chilligen
                                                                             Beat drunter. «Ech geb doch käne öber dä Beat, log
              Die Rapper Luzerns machen gemeinsame sache:                    s’esch Donnschtig Obig, denn eschs ned so gmüetlech,
                             Videostills aus dem Clip «2041».
                                               Video: Marco Bach             denn geds Primakov Wodka id Berre», schmettert Da-
                                                                             ve, Luzerner Rapper der jüngeren Garde, ungeniert
                                                                             dem DJ entgegen. Das ganze studio lacht. Hochmut
                                                                             kommt bekanntlich vor dem Fall. Nicht so hier: «Wir
                                                                             waren uns alle einig, die Luzerner Jungs setzten mit
                                                                             ihrer frischen, unbekümmerten Art die Messlatte
                                                                             hoch für 2014», sagt Moderator Mauro Wolf.
                                                                                 Grossmäuliges, lausbübisches selbstvertrauen – die
                                                                             halbe Miete? Aus einem unbekannten Haufen junger
                                                                             Wilder wurde plötzlich eine Truppe ambitionierter
                                                                             Aufstreber. Wie konnten sie sich in kurzer Zeit zu ei-
                                                                             nem der musikalischen Aushängeschilder der stadt
                                                                             Luzern mausern?

                                                                                              rap mit zukunft
                                                                             Mitunter ein Grund für den Erfolg ist eine musikali-
                                                                             sche Öffnung, die auch elektronische Einflüsse zulässt.
Der Hip-Hop-Hype hält auch bei der kopfbedeckung Einzug. zvg                 so wurde das hiesige Gespür für guten und erfolgrei-
                                                                             chen Hip-Hop geschärft, kommentiert kilian Mutter,
                                                                             Musikchef bei Radio 3fach. Man verschreibt sich nicht

                                                                     12
hip-hOp

                                                                                         Philipp kathriner, DJ-Name «still Phill», ist quasi
                                                                                     Pionier und Teil der Crew. Er organisierte 2011 das ers-
                                                                                     te «Bonker inferno», ein Battle, bei dem sich Rapper in
                                                                                     Wortduellen messen. Er habe «einfach eins und eins
                                                                                     zusammengezählt», gespürt, dass sich etwas zusam-
                                                                                     menbraut. Zunächst machten nur Luzerner mit, für
                                                                                     die zweite Ausgabe 2013 kamen Rapper aus der ganzen
                                                                                     schweiz, um sich beim Bunker auf der Allmend ge-
                                                                                     genseitig zu messen, Dampf abzulassen – und gleich-
                                                                                     zeitig technisch immer besser zu werden.

                                                                                                        Bitches n' hoes
                                                                                     «ich war zuerst kein grosser Fan von ‹041›», gibt Mike
                                                                                     Walker, GeilerAsDu-Rapper und Radio-3fach-Ge-
                                                                                     schäftsleiter, zu. «Das roch von aussen stark nach
                                                                                     selbstbeweihräucherung, einem sich-selber-Feiern.»
                                                                                     Aber: «Man merkt heute, die wollen nicht nur Erfolg,
                                                                                     sondern ziehen wirklich ihr eigenes Ding durch.» Man
                                                                                     mache sich zentrale Eigenschaften der digitalen Mu-
                                                                                     sikproduktion zunutze: «Heute kann man Hip-Hop
Januar 2014: Moskito gewinnt den kick Ass Award von Radio 3fach.
Bild: Livia faden                                                                    mit einfachen Mitteln und etwas Geduld schnell auf
                                                                                     ein verdammt gutes Niveau bringen.» Paradebeispiel:
                                                                                     Der dieses Jahr erschienene Track «2041», auf dem die
                                                                                     meisten namhaften Rapper aus Luzern vertreten sind,
                                                                                     produziert von Emm (der 2007 mit seinem Track «Ei
                           mehr nur Ghetto zelebrierendem «Gangsta-Rap», son-        stadt die schwiiz» bekannt wurde) und kackmusikk.
                           dern lässt positive Lebensgeschichten zu, hat Mut zur     und würden diese Jungs nicht auf schweizerdeutsch
                           Veränderung. Als inspirationsquellen fungieren etwa       rappen, man könnte schwören, das sei der neueste shit
                           Meek Mill oder Rick Ross aus den usA, die mit über-       aus Übersee.
                           fetten Bässen, beissenden synthesizern und Vor-               Aber Halt. Waren Hip-Hopper nicht für viele mal
                           schlaghammer-Attitüde einer Generation, die mit La-       diese üblen Möchtegernkriminellen von der Ecke?
                           dy Gaga und Justin Bieber aufgewachsen ist, identität     Diejenigen, die ihre Baggy-Hosen immer zu tief tragen
                           stiften.                                                  und auch ein Cap auf dem kopf haben, wenn die son-
                               Doch ist man angesichts solcher seitensprünge         ne nicht scheint? «Hip-Hop ist Teil der Gesellschaft
                           überhaupt noch «real», wie man im Hip-Hop-Jargon          geworden, man versteht es», sagt Walker. Aber was ist
                           die Treue zu den Old-school-Wurzeln der 90er, aber        mit Zeilen wie: Ech wott dini Kollegin verschwende loh /
                           auch Ehrlichkeit und Echtheit des selbst produzierten     ond denn ergendwenn met ehre ufs Zemmer go / Bitch von
                           Hip-Hops bezeichnet? «klar, die Entwicklung in Lu-        Marash & Dave? «ich sage es immer wieder, man soll
                           zern gefällt nicht jedem, aber man ist viel mehr an der   uns ernst, aber nicht beim Wort nehmen.» Diese jun-
                           Zukunft orientiert als anderswo», so sRF-Virus-Mode-      gen Rapper wissen ganz genau, was sie sagen; und
                           rator Mauro Wolf. und gerade diese neuzeitliche An-       auch, was sie damit sagen wollen. Man übt kritik an
                           sicht berge ein ungeheures Potenzial.                     der Gesellschaft, persifliert sich selbst und reflektiert
                               «Vor allem hat man in Luzern gemerkt, dass man        seine umgebung in heftigen Worttiraden. Da muss
                           sich den dörflichen Bedingungen anpassen und zu-          man auch mal «hässig» sein, wie sie gerne sagen, eine
                           sammenspannen muss», nennt kilian Mutter einen            grosse klappe riskieren und sich als künstlerfigur iro-
                           weiteren Wachstumsfaktor der hiesigen Rap-szene.          nisieren, um sich und die Welt in ein revolutionäres
                           Einzelgängerideologien funktionieren an einem Ort,        Licht zu setzen. Die Rapper sind die Punks von heute,
                           wo jeder jeden kennt, nicht. und dort kommt das Label     und wir nehmen sie und ihre Metaphern besser ernst.
                           «041» ins spiel. Was als einfaches Zeichen der Zugehö-
                           rigkeit zur Luzerner Rap-sippe begann, hat sich zu ei-
                           nem losen Zusammenschluss aus Partylabels, Produ-
                                                                                       «2041» – show mit emm, kackmusikk, Mimiks,
                           zenten, Filmern, Fotografen und allen, die mitmachen        Marash & dave und geilerasdu: fr 7. März, südpol
                           wollen, ausgedehnt.                                         luzern.

                                                                      13
hslu-umzug

Ein Plus für Emmen, ein Minus
für die Stadt?
Der Umzug der Hochschule Luzern – Design & Kunst nach Emmen ist beschlossene
Sache. Was bedeutet der Umbruch für das kulturelle Leben der Stadt? Vielleicht weniger
als befürchtet.
    Von Michael Gasser

                     Der Bau 745 auf dem ehemaligen Viscosi-Areal: Hier wird die Hochschule Luzern – Kunst & Design einziehen. Bild: zvg

2016 ist es soweit: Rund die Hälfte der 620 Studierenden sowie der                  äussert sich Urs Dossenbach von der Kommunikationsabteilung
180 Mitarbeitenden der Hochschule Luzern – Design & Kunst                           der Stadt Luzern. Er ist sich sicher, dass sich der Umzug positiv auf
zieht in Richtung Emmen, in die Viscosistadt. Nicht zuletzt, weil                   den Kulturstandort Luzern auswirken wird. «Die Bildung von
es am Stammhaus an der Rössligasse nicht mehr genügend Platz                        fruchtbaren Szenen und Cluster-Netzwerken der Kunst oder Kul-
gibt. «Schon meine Vorgänger haben versucht, einen anderen                          turwirtschaft wird begünstigt.» Dank dem neuen Standort würde
Standort für unsere Ausbildungen zu finden», sagt Gabriela Chris-                   die Hochschule nun «noch attraktiver». Ein Gewinn für die Regi-
ten, Direktorin der Hochschule, und spricht von einer Chance. «In                   on, erklärt Dossenbach.
der Viscosistadt können wir neu gestaltete Räume auf unsere Be-                         Die Emmener Gemeinderätin Susanne Truttmann zeigt sich
dürfnisse ausrichten und so beste Rahmenbedingungen für die                         ebenfalls hochzufrieden: «Wir werden Hochschulstandort. Damit
Design- und Kunstausbildung im 21. Jahrhundert schaffen.»                           wird ein langjähriges strategisches Ziel realisiert.» Die Lage der
    Toll für das Institut, toll für die Studierenden, doch: Wird der                Viscosistadt sei zentral und die Gemeinde werde das «im Entste-
Umzug der «Kunsti» nicht eine spürbare Lücke ins kulturelle Le-                     hen begriffene Netzwerk» wo immer möglich und mit guten Rah-
ben der Stadt reissen? Christen kann sich das nicht vorstellen: «Ei-                menbedingungen unterstützen. Truttmann ist sich sicher, dass
nerseits bleiben wir mit der Hälfte der Ausbildungen bis 2019/2020                  sich zusätzliche Gaststätten, Läden, Gewerbebetriebe, Ateliers
in der Stadt. Und dann wird sich die Stadt in den nächsten Jahren                   oder Agenturen ansiedeln und damit für ein «urbanes Ambiente»
stark in Richtung Luzern Nord entwickeln.» Noch optimistischer                      und «die nötige Wirtschaftlichkeit» sorgen werden. Das Konzept

                                                                               14
hslu-uMzug

          trägt bereits erste Früchte: schon jetzt sollen mehr als 50 Firmen         sei, soll solcher auch gefördert werden. Doch was, wenn die Gen-
          oder Freischaffende auf dem Areal tätig sein (041 berichtete im            trifizierung zuschlägt und Emmen plötzlich hip und deutlich teu-
          Februar 2013). Es herrscht Aufbruchstimmung und der nahende                rer wird? Platzt dann nicht auch der Verkehr aus allen Nähten?
          umzug der Hochschule wird von so viel Beifall begleitet, dass es           sorgen, denen man sich in Emmen noch nicht hingeben mag. Das
          schwierig ist, überhaupt kritische Voten auszumachen.                      ist für übermorgen. Bis auf Weiteres glaubt man sich gewappnet.
                                                                                     Derzeit sei die Gemeinde verkehrstechnisch hervorragend ange-
          clubs und Beizen schaffen                                                  bunden, sagt Truttmann. und verspricht beispielsweise für die
          Philipp klaus, Wirtschafts- und sozialgeograf, hat sein Büro in            Zukunft noch stabilere Busverbindungen.
          der Nähe des Toni-Areals, wo der zukünftige Campus der Zürcher
          Hochschule der künste im Entstehen begriffen ist. Aus 35 stand-            Barrieren überwinden
          orten, die momentan noch über Zürich und Winterthur verteilt               Der stadtentwicklungsexperte Alex Willener ist der Auffassung,
          sind, wird ein einziger. Auch hier erfolgt also ein Zusammenzug.           der standortwechsel der kunsthochschule und auch der Musikab-
          (Gestaltet wurde das Toni-Areal übrigens von den Zürcher EM2N-             teilung, die neben den südpol zieht, werde nicht zu enormen Ver-
          Architekten, die nun auch das Viscosi-Areal überbauen.) Für den            änderungen führen. Der Hochschuldozent für soziale Arbeit be-
          spezialisten in Fragen zu kultur, kreativwirtschaft und stadtent-          tont: «im Vergleich zu anderen schweizer Fachhochschulen sind
          wicklung ist es nachvollziehbar, dass sich das Departement Design          die standorte der HsLu immer noch sehr nahe beieinander.» Hin-
          und kunst an einem Ort wie der Viscosistadt ansiedelt. schliess-           zu komme, dass die interdisziplinäre Zusammenarbeit in der Leh-
          lich seien industriebauten charmant und aufgrund ihrer häufig              re und in der Forschung aktiv gefördert wird, so Willener. Natür-
          hellen und unterschiedlich grossen Räume für kreative interes-             lich sei das studentische Leben für Luzern sehr relevant. «Die
          sant. Der Bau 745, wo früher die textile Weiterverarbeitung pro-           stadt wird durch dieses sehr aufgewertet, speziell im kulturbe-
          duzierter Garne geprüft und entwickelt wurde, hat eine Nutzflä-            reich.» Ein Zustand, den man nicht leichtfertig aufs spiel setzen
          che von 10 500 Quadratmetern und wird derzeit umgebaut. Für                sollte. Willener rechnet jedoch nicht damit, dass demnächst Hun-
          rund 24 Millionen Franken, die von der Eigentümerin, der neu               derte von studenten in Richtung Emmen abwandern. «Das Leben
          gegründeten Viscosistadt AG, aufgeworfen werden.                           in der stadt dürfte den meisten letztlich doch attraktiver erschei-
              klaus findet die idee, eine gemischte siedlung im kunst- und           nen.» Noch existiere zwischen Emmen und Luzern so etwas wie
          Designbereich aufzubauen, sehr sinnvoll. Allerdings brauche die            eine mentale Barriere, glaubt Willener. «Diese gilt es jetzt erst mal
          Gestaltung der Vermietung ein feines Gespür für das Mögliche.              zu überwinden.»
          «Eine zu hohe Rendite sollten die Betreiber nicht anstreben»,                  und was geschieht eigentlich mit den Räumen an der Rössli-
          meint er. Damit das Projekt auch langfristig Erfolg hat, müssten           gasse, aus denen sich die Hochschule Luzern – Design & kunst
          die Mieten in der Viscosistadt tief genug sein, um eben nicht bloss        schon bald verabschiedet? «Die Liegenschaften gehören nicht der
          Werbebüros, sondern auch start-ups und Avantgardisten anzulo-              stadt», erklärt urs Dossenbach so kurz wie bündig. Eine aktive
          cken. «Diese sind sehr preissensitiv.» Wie Christen ist auch klaus         Planung sieht anders aus. Ähnlich knapp äussert sich Luzern in
          der Auffassung, dass sich die Nähe zu industrie, Gewerbe und               Bezug auf den neuen standort der Hochschule: «Die Viscosistadt
          kreativwirtschaft für studierende als praxisnahes und befruch-             liegt ausserhalb des gemeinsamen Planungsperimeters von Lu-
          tendes umfeld erweisen könnte. Damit das Areal mit Leben erfüllt           zern Nord, weshalb die stadt Luzern keinen Einfluss auf deren
          werden könne, seien Clubs, Beizen, nicht definierte Räume oder             Nutzung hat», sagt Dossenbach. Nun, es dauert wohl noch eine
          auch ein Hostel vonnöten, glaubt er. «Das Ganze braucht Cachet             Weile, bis wirklich zusammenwächst, was auf Dauer zusammen-
          und die Architektur sollte nicht zu geschliffen sein.»                     gehört.
              Laut Truttmann verfügt Emmen über bezahlbaren Wohn-
          raum – selbst für studenten. soweit das der Gemeinde möglich

                                                                                      Stufenweiser Umzug
                                                                                      der neue Hauptstandort im Bau 745 soll 2016 eröffnet werden, 2014 be-
                                                                                      ginnen die Bauarbeiten. die Hochschule Luzern bezieht das gebäude mit
                                                                                      einem Mietvertrag über 20 Jahre. in einem ersten Schritt werden die Stu-
                                                                                      diengänge «Kunst & Vermittlung», «film» mit animation und Video sowie
                                                                                      «Camera arts» nach emmen ziehen. die sieben Standorte der Hochschu-
                                                                                      le – Kunst & design werden so auf drei reduziert. Verlassen werden die
                                                                                      Standorte in Littau, in der Rössligasse und an der Lädelistrasse. die Senti-
                                                                                      matt- und Baselstrasse-Standorte bleiben vorerst bestehen. es wird zurzeit
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            www.viscose-eventbar.ch                                                   die «Viscosistadt» ziehen wird. (mak)

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Bahnhof luzern

                                                                      Am 25. April 2014 schliessen das Au Premier,
                                                                      die Trenino-Bar und das Bahnhofbuffet ihre
                                                                      Türen. Sie weichen Umbauplänen der SBB.
                                                                      041 war noch einmal da, sprach mit Stamm-
                                                                      gästen und der Chefin de Service.
                                                                             Von Pablo Haller, Bilder: Mischa Christen

                                                                      Sperrstunde im
                                                                      Bahnhof Luzern

Die Rolltreppe hoch, da leuchtet schon dieser Schriftzug entgegen,         ten Stock aufgelöst wird, hätte niemand gedacht.» Die Gastig hier
Trenino. An der Wand hängt eine Karte von Lissabon bis Istanbul,           oben sei breit gefächert, bestätigt sie. Von Wohlhabenden, den
von Rom bis Paris. Die Küstenregion flimmert leuchtblau. Darun-            KKL-Besuchern, die eher im Au Premier verkehren. Der Mittel-
ter glimmen die Schnäpse. Als Stammtisch fungiert das untere               schicht, den Arbeitern und Alkoholikern im Trenino. Den
Treseneck. Aus den Boxen Radio Pilatus, mit dem Slogan, dass               Schwarzafrikanern und Arabern im Raucher des Bahnhofbuffet.
zwischen acht und 17 Uhr kein Song mehr doppelt laufe. Leute               «Das ist etwas, das ich sehr schätze.»
kommen und gehen, die Vielfalt fällt auf: Zugbegleiter oder VBL-
Chauffeure, die pausieren, Feierabendbierpublikum, junge Leute             Sushi und Shops
und die üblichen Barfliegen, die sich hier in ihrem zweiten Wohn-          Bald wird Arnold sagen müssen: «geschätzt habe», denn der Res-
zimmer wähnen. Hinter dem Tresen steht die Chefin de Service,              taurationsbetrieb weicht den SBB-Verkaufsschaltern, die bis an-
Yolanda Arnold. Eine Barkeeperin wie aus dem Büchlein. Taff,               hin im Untergeschoss standen. Unten sollen neben Billett- und
ohne Berührungsängste, stets mit einem träfen Spruch auf den               Geldautomaten neue Läden entstehen. Die Telefonkabinen und
Lippen. «Ich komme gleich!», ruft sie mir zu und widmet sich               Postomaten unterhalb der Rolltreppen verschwinden, an dieser
zwei Gästen, die nicht wissen, was sie wollen. «Entscheidet euch           Stelle entstehen ein Sushi-Restaurant sowie ein zusätzlicher Ki-
mal! Sonst bring ich ne Flasche Dom Perignon für 180 Franken.»             osk. Die Bodega im Untergeschoss, die ebenfalls seit 1990 von der
Draussen kontrollieren zwei Polizisten einen Schwarzen.                    Bahnhof Restauration Luzern AG betrieben wird, bleibt – vorerst.
    «So, jetzt.» Arnold steht am Tresen und macht sich eine Parisi-        Der Kiosk im Erdgeschoss zieht zusammen mit dem Brezelkönig in
enne gelb an. Von den Veränderungen erfahren habe das Personal             einen neuen Pavillon, die mobilen Gleisstände werden entfernt.
einen Tag bevor es in der Zeitung war. «Man wusste schon länger,           Der gesamte Umbau dauert von Mai 2014 bis März 2015 und kostet
dass Veränderungen anstehen. Aber dass die Restauration im ers-            acht Millionen Franken.

                                                                      16
Bahnhof luzern

                                                                            Szenen aus der Trenino-Bar. Hier treffen Banker und VBL-Chauffeur aufeinander.
                                                                                                    Im Bild rechts unten: Yolanda Arnold, Chefin de Service.

    Mit der Frage konfrontiert, ob man hier nicht etwas Schützens-        ist, steht sie wieder am falschen Ort. Die sollte auf derselben Etage
wertes zerstöre, bloss um mehr Mieteinnahmen zu generieren,               wie die Gleise sein. Ich muss doch, wenn ich in den Coop gehe,
schreibt SBB-Mediensprecherin Lea Meyer von veränderten Kun-              nicht bis zur Decke sehen. Da könnte man doch einen Deckel
denbedürfnissen, wie es bereits in der Medienmitteilung steht. Es         drauf machen, die Anlagen hinstellen und es hätte erst noch mehr
werde auch in Zukunft ein Bahnhofbuffet geben, in welcher Form            Platz im Erdgeschoss.» Ein weiterer ergänzt: «Die Millionen kön-
sei aber noch nicht klar. Man liest oft die Worte Kunden und              nen sie ja verlochen wenn der Tiefbahnhof kommt. Weshalb schon
Kundenfreundlichkeit, aber eine schlüssige Antwort, weshalb               jetzt? Die sollen warten und dann was Anständiges machen.»
man einen florierenden Restaurationsbetrieb schliesst, steht aus.              Die Bar hat sich geleert. Bald ist viertelvorzwölf, Sperrstunde.
Auch Pro Bahn kritisierte in einer Medienmitteilung den Ent-              Wir haben Menschen aus verschiedenen Kontinenten getroffen,
scheid der SBB als «nicht kunden-, sondern allein kommerz-                weitgereiste Unternehmer, Universitätsmitarbeiter, Agglo-Bewoh-
freundlich».                                                              ner, die auf einige letzte Biere vorbeischauten. Viele wollten sich
                                                                          nicht fotografieren lassen oder zitiert sehen. «Es hat wohl heutzu-
Wohin nach der Schliessung?                                               tage etwas Subversives, den Abend in einer Raucherbar zu verbrin-
«Was die machen ist eine Schande», findet ein Stammgast. Im               gen», bemerkt jemand. Ein anderer: «Vielleicht wollen sie bloss ih-
Sommer ginge es ja noch, da könne man draus­sen sitzen und                re Einsamkeit nicht publizieren.» «So, jetzt aber!», ruft Yolanda
trotzdem rauchen, aber wo er im Winter künftig sein werde –               Arnold, und unser Häuflein Übriggebliebene geht durch die Schie-
«keine Ahnung». Die Barchefin ergänzt: «Für unsere Stammgäste             betür. Die Stühle sind oben, der Schriftzug erloschen. Es ist fünf
ist es ein viel besprochenes Thema, wo man sich nach der Schlies-         Minuten vor Mitternacht.
sung treffen will.» Ein anderer Gast schaltet sich ein: «Ich weiss          Ein weiterer Text zum Thema SBB und ihrer Rolle als Bauherrin befindet sich auf
nicht, was sich die SBB da denken. Wenn die Schalteranlage oben             Seite 21.

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allmend

Die Kultur bleibt Bänkliwärmer
Im neuen Stadion auf der Luzerner Allmend hätten zwei bis drei Konzerte pro Jahr statt-
finden sollen. Diesen Sommer erhält es mit «Allmend rockt» gerade mal das zweite in
drei Jahren. Auch künftig wird Musik auf der Allmend vor allem ein Lückenfüller sein.
    Von Markus Föhn

Fussballfans mögen ein gesangsfreudiger Menschenschlag sein,              sind nicht strenger als anderswo. Zudem sind die Stadionverant-
doch in der Swissporarena auf der Luzerner Allmend müsste ei-             wortlichen offen für Ideen.»
gentlich längst mehr erschallen als nur ihre Schlachtgesänge. Im              Das sind auch die Verantwortlichen der Messe Luzern, die im
Herbst 2009 jedenfalls sprach Thomas Schönberger, damals CEO              vergangenen Sommer in unmittelbarer Nachbarschaft zum Stadi-
der FC Luzern-Innerschweiz AG, im «Blick am Abend» von «zwei              on eine neue Messehalle in Betrieb genommen hat. «Wir streben
bis drei» Konzerten, die jedes Jahr über die Bühne gehen sollten.         rund zehn Konzertanlässe pro Jahr an», sagt Urs Hunkeler, Mit-
«Die ganz grossen Stars wie Coldplay werden wir nicht holen kön-          glied der Geschäftsleitung der Messe Luzern.
nen», schränkte er zwar ein; «internationale Bands in der Grössen-            Erste Konzerterfahrung sammelte die Messehalle, die Platz für
ordnung von Reamonn» lägen aber drin, ebenso Volksmusikkon-               6000 Personen bietet, kurz vor Weihnachten, bei einem Auftritt
zerte und Schlager-Anlässe. Auch von klassischen Konzerten war            der Sängerin Katie Melua vor knapp 4500 Leuten. Veranstalter war
die Rede: «Erste Gespräche mit dem Lucerne Festival sind bereits          Act Entertainment aus Basel. Deren Geschäftsführer Thomas Dürr
geführt», sagte Schönberger im «Blick am Abend». Worauf sich die          hält die Stadt Luzern wegen ihres Festhaltens an der Billettsteuer
«Neue Luzerner Zeitung» am Tag darauf fragte: «Dirigiert Abbado           zwar für einen schwierigen Ort für Konzerte, zeigt sich mit der Hal-
bald auf der Allmend?»                                                    le jedoch zufrieden. Zwar sei die Lüftung während des Konzerts
    Nach dem Tod des Stardirigenten im Januar wird es dazu nicht          etwas zu laut gewesen, doch gehöre dies zu den Kinderkrankheiten
mehr kommen. Aber auch sonst verläuft die Suche nach Konzert-             einer neuen Halle, sagt er. «Die Akustik funktioniert, die Halle ist
Acts fürs Stadion offensichtlich mehr als harzig. Zwar bringen im         gut gemacht. Sie bietet sicher mehr als etwa die Eventhalle der
Juni Luzerner Veranstalter und Musikagenturen unter dem Dach              Messe Basel.»
der Allmend rockt GmbH ein Festival mit Gölä, The BossHoss, Sha-              Doch wie für die Swissporarena gilt auch für die Messehalle:
kra und Fabian Anderhub ins Stadion– doch das wird gerade mal             Das Konzertprogramm ist überschaubar. Im März tritt Bligg auf,
der zweite Konzertanlass seit dessen Eröffnung vor drei Jahren            später an der Schlagernacht Helene Fischer, Francine Jordi und
sein. Den Anfang machte im Juni 2012 die «Sommer-, Schlager-              weitere Schlagersternchen; andere Musik gibts 2014 voraussicht-
und Show-Nacht»; ein im Sommer darauf programmiertes Konzert              lich nicht. «Wir sind im Gespräch mit Veranstaltern», sagt dazu
des Klassik-Pop-Quartetts Il Divo lagerten die Veranstalter wegen         Urs Hunkeler von der Messe Luzern. «Die Halle ist neu, es braucht
schleppenden Vorverkaufs kurzerhand in die Halle des Eiszen­              noch etwas Zeit, bis sie sich etablieren kann.»
trums im Tribschenquartier aus.
                                                                          Kultur, wenn gerade sonst nichts ist
Veranstalter sind vorsichtig                                              Tatsächlich wäre ein übervoller Konzertkalender für eine erst halb-
Die Swisspor Events AG, Betreiberin der Arena, will trotz bislang         jährige Halle wohl etwas viel verlangt – zumal Konzerte gar nicht
bescheidenem Konzertangebot nichts davon wissen, dass es                  ihr Kerngeschäft sind. «Die Messehalle wird die meiste Zeit des
schwierig sei, Kulturveranstaltern den Stadionrasen schmackhaft           Jahres für Messen gebraucht», sagt Hunkeler. Und das ist auch ei-
zu machen. Ein Anlass komme vielmehr halt erst dann zustande,             ner der Gründe, weshalb von der Luzerner Allmend als Konzert-
«wenn wir das Gefühl haben, er passt bei uns ins Stadion und ge-          standort wohl nichts Revolutionäres zu erwarten ist, trotz einer
neriert auch Profit», sagt Mediensprecher René Baumann. Be-               massiv verbesserten Infrastruktur: Musik wird dort nur gespielt,
stimmt werde es nach dem Festival «Allmend rockt» weitere Kon-            wenn gerade sonst nichts los ist. «Erste Priorität hat der Fussballbe-
zerte auf der Allmend geben: «Wir pflegen gute Beziehungen zu             trieb», sagt Swissporarena-Mediensprecher René Baumann. «Wir
Veranstaltern und stehen in regelmässigem Kontakt zu ihnen.»              müssen Rücksicht darauf nehmen, dass der Rasen nicht zu stark
    Doch die stehen bei der Swissporarena nicht gerade Schlange.          unter einer Veranstaltung leidet.»
«Die grossen Veranstalter halten sich zurück», sagt Martin Koch,              Martin Koch von der Allmend Rockt GmbH glaubt daher auch
Inhaber der Musikagentur Fettes Haus und Mitglied der Geschäfts-          nicht, dass in der Swissporarena Unmengen von Konzerten über
führung der Allmend rockt GmbH. «Das Stadion ist neu, im Mo-              die Bühne gehen werden – auch wenn die Veranstalter ihre heutige
ment weiss noch niemand, welche Konzerte für welches Publikum             Zurückhaltung dereinst ablegen sollten: «Letztlich haben auch die
darin am besten funktionieren.» Das Eis müsse noch gebrochen              grossen Stadien wie Bern oder Zürich höchstens zwei, drei Konzer-
werden. Koch ist aber optimistisch: «Die Infrastruktur stimmt, die        te pro Jahr. Die fussballfreie Zeit ist kurz und übervoll mit etablier-
Auflagen bezüglich Lautstärke, Soundchecks und Auf- und Abbau             ten Anlässen, die schwierig zu konkurrieren sind.»

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Aktuell

Die Birmingham-Connection
Im Sommer 2014 beginnt die Zukunft beim Lucerne Festival. Von Susanne Kübler

Andris Nelsons dirigiert im kommenden Sommer die Brahms-                             Aber selbst wenn sie provisorisch sind: Diese Berufungen zei-
Programme mit dem Lucerne Festival Orchestra (LFO), die der                     gen deutlich, in welche Richtung das Lucerne Festival unterwegs
kürzlich verstorbene Claudio Abbado noch geplant hatte: Das sind                ist, und sie stimmen optimistisch. Einerseits sind das LFO und die
gute Neuigkeiten. Der 35-jährige Lette ist der wohl gefragteste Di-             LFA offensichtlich derart attraktiv, dass man keine Schwierigkei-
rigent seiner Generation, das Luzerner Publikum kennt ihn seit                  ten hat, Dirigenten aus der allerobersten Liga dafür zu finden. Auf
2008. Nelsons ist ein Charismatiker und gleichzeitig einer, der sich            der anderen Seite begnügt man sich beim Lucerne Festival nicht
nicht auf sein Charisma verlässt, sondern die musikalische Arbeit               mit irgendwelchen Prominenten, sondern setzt auf solche, die
mit fast überbordender Energie vorantreibt. Zweifellos wäre er                  wirklich arbeiten wollen mit ihren Musikern. Dass sowohl Rattle
auch nach diesem Sommer ein willkommener Nachfolger für Ab-                     als auch Nelsons ihren Weg zum internationalen Renommee beim
bado, aber ob es so kommt, ist derzeit noch unklar. Man sei daran,              City of Birmingham Symphony Orchestra begonnen haben, mag
Gespräche zu führen, heisst es beim Lucerne Festival – offenbar                 Zufall sein; kein Zufall ist dagegen ihre Ausdauer bei diesem Or-
soll nichts überstürzt werden. Und man war stilvoll genug, nicht                chester: Rattle blieb bis zu seiner Wahl zu den Berliner Philhar-
alles schon zu regeln, während Abbado noch aktiv war.                           monikern in Birmingham, Nelsons bis heute, obwohl er längst
    Ähnlich ist die Situation bei der anderen grossen Institution               auch andere Angebote hat.
des Festivals, bei der von Pierre Boulez gegründeten Lucerne Fes-                    So schwierig es ist, geeignete Nachfolger zu finden für Musi-
tival Academy (LFA). Der 88-jährige Boulez bleibt zwar weiterhin                ker-Persönlichkeiten wie Claudio Abbado und Pierre Boulez, die
Künstlerischer Leiter, er wird aber wegen seiner Augenprobleme                  das Profil des Lucerne Festival in den vergangenen Jahren so ent-
nicht mehr dirigieren können. Im kommenden Sommer wird nun                      scheidend geprägt haben: Wenn man dafür Dirigenten gewinnen
Simon Rattle an der Academy unterrichten und ein Konzert über-                  könnte, die nicht von einem glamourösen Event zum nächsten
nehmen, und auch in seinem Fall ist nicht klar, ob es sich um eine              hüpfen, sondern sich ganz und gar einer Aufgabe verschreiben,
einmalige Aktion handelt oder ob er dereinst Boulez’ Nachfolge                  dann stehen die Chancen gut, dass die beiden Projekte auf hohem
antreten wird.                                                                  Niveau weitergeführt werden können.

Nachruf auf den Verleger Martin Wallimann

«Er war ein Menschenfreund, eine treue Seele,       her und zählte zu den erfahrensten und vielsei-    dern auch im kalten Wind der Politik standhaft
wie es sie heute nicht mehr oft gibt. Wenn er je-   tigsten Kunstdruckern der Schweiz. 1991 grün-      und vehement für die starken und die schwa-
mand in sein Herz geschlossen hatte, dann           dete er den Martin Wallimann Verlag, in dem        chen Seiten der Poesie gekämpft. Dass er solch
kämpfte er für ihn. Dann liess er sich auch nicht   neben Kunstbüchern auch Lyrik, Prosa und Er-       nachrufende Worte mit Stirnrunzeln und fra-
von Stimmen beirren, die mit seinen Veröffentli-    zählungen erschienen, ein besonderes Herz hat-     gendem Blick beantwortet hätte, machte ihn
chungen wenig oder nichts anfangen konnten.»        te er dabei für die Anagramme. Daneben hat er      noch liebenswerter.»
Das sagt der Autor Christoph Schwyzer über          immer wieder Literatur- und Kulturveranstal-       Auch Christoph Schwyzer schätzte die Art von
seinen Verleger Martin Wallimann, der am 5.         tungen oder auch Ausstellungen initiiert. So ist   Wallimann und wie er mit dem Metier umging.
Februar 2014 im Alter von 55 Jahren unerwar-        die Buchmesse «Luzern bucht», die diesen Mo-       «Martin war eigenartig, eigenständig, manch-
tet gestorben ist. Wallimann war ein wichtiger      nat zum 30. Mal stattfindet, untrennbar mit der    mal auch eigensinnig. Sprach er von Literatur,
und gewichtiger Mensch. Die Innerschweiz ver-       Initiative und dem Engagement von Wallimann        von seinem Beruf als Verleger, so hatte das –
liert mit ihm nicht nur einen Kunst-Handwer-        verbunden. 2009 erhielt er den Innerschweizer      vielleicht weil er vom Druckerhandwerk her zu
ker der alten Schule, sondern auch eine Persön-     Kulturpreis.                                       den Büchern gekommen war – nichts Aufgesetz-
lichkeit, die sich nicht vom Mainstream verein-     Für den Autor und Musiker Max Christian            tes, nichts abgehoben Schöngeistiges, nichts
nahmen liess, sondern eigene Akzente setzte.        Graeff war Martin Wallimann ein Verleger           Überdrehtes an sich.» Wallimann war Walli-
Martin Wallimann wurde 1958 in Alpnach ge-          «von der alten, aufrichtigen Sorte», wie es sie    mann. Und dieser wird uns fehlen.
boren. Als ausgebildeter Offsetdrucker führte er    fast nicht mehr gebe. «Dabei hat er nicht nur      Pirmin Bossart
seit 1983 ein handwerkliches Druckatelier. Für      ein profiliertes, persönliches Programm zwi-       Weitere Texte zu Martin Wallimann befinden sich in der
zahlreiche Künstler stellte er Originalgrafiken     schen kleiner und grosser Welt geschaffen, son-    Literaturpause in der Heftmitte.

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Gefundenes fressen

Wir sind Cevapcici

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                                                                                             Produziert wird zweimal die Woche, fri-
                                                                                             sche Ware ist das A und O in diesem Busi-
                                                                                             ness. Die Würstchen kommen bei 200
                                                                                             Grad auf den Grill und werden im eigenen
                                                                                             Fett scharf angebraten. Sakic erklärt: «Das
                                                                                             Fleisch spricht zu uns, wenn es zittert und
                                                                                             schwitzt wissen wir genau, dass der richti-
                                                                                             ge Zeitpunkt zum Wenden da ist.» Danach
In meinen kulinarischen Erinnerungen an             Mein Mann des Vertrauens hat nicht       wird die Hitze des Grills leicht reduziert,
eine Balkanreise vor zehn Jahren spielt         nur den schönsten Schnauz Luzerns, er        um Zwiebeln und Gemüse mitzubraten.
Fleisch die Hauptrolle: aufgespiesste, gol-     grilliert auch die besten Hackfleischröll-   Kurz vor dem Servieren legt Sakic das
digbraune Spanferkel entlang der Land-          chen weit und breit. Kasim Sakic führt zu-   selbstgebackene Brot auf den Grill, damit
strassen und Cevapcici im Multipack. Be-        sammen mit seiner Frau Mirsada den City-     sich der Fleischgeschmack darauf über-
sonders den fingergrossen Würstchen             Take-Away im Hirschmatt-Quartier. Die        trägt. Auf dem Teller wird die ganze Pracht
«Tschewaptschitschi» bin ich seither ver-       beiden stammen ursprünglich aus der Re-      mit Ajvar ergänzt, einer Art Paprikamus,
fallen. Zur Hauptsache bestehen sie aus         gion Sarajevo, wo Cevapcici zu den Grund-    das in den Balkanländern zu fast allem ge-
Hackfleisch vom Rind und einer je nach          nahrungsmitteln gehören. Nach mehreren       gessen wird. Wer dann noch nicht genug
Region unterschiedlichen Würzmischung.          Jahren als Angestellte in Luzerner Gastro-   hat, sollte unbedingt die selbst gemachten
Hackfleisch ist ein böses Wort und ein ge-      betrieben entschlossen sie sich vor sieb-    süssen Baklava von Mirsada Sakic probie-
fährliches Lebensmittel; wegen seines ho-       zehn Jahren zur Selbstständigkeit. «Wir      ren. Das Völlegefühl ist danach enorm, die
hen Eiweissgehalts ist das Fleisch ein leich-   sind Cevapcici», sagt Kasim Sakic im Ge-     Zufriedenheit aber noch grösser.
tes Opfer für Bakterien. Deshalb darf nur       spräch mehrmals, die Frage über das An-
Hackfleisch verkauft werden, das am sel-        gebot in ihrem Lokal habe sich gar nie ge-   Text Urs Emmenegger; Foto Sylvan Müller
ben Tag hergestellt wurde – und zwar aus        stellt. Seine Hausspezialität wird vom
frischem Fleisch, nicht aus tiefgekühltem.      Metzgermeister Kleeb aus Hitzkirch herge-
Alles in allem also eine delikate Konsum-       stellt und besteht aus Rinds- und Kalb-        City-Take-Away, Winkelriedstrasse 30, 6003 Luzern,
entscheidung.                                   fleisch aus der Region und dem streng ge-      041 210 00 34, 7 Tage die Woche geöffnet

                                                                                                                                      ANZEIGEN

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