Jung, laut, hässig! Wie sich die luzerner hip-hOpper ins schWeizer Musikgedächtnis rappen - null41
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Monatszeitschrift für Luzern und die Zentralschweiz mit Kulturkalender NO 3 März 2014 CHF 8.– www.null41.ch laut, jung, hässig! Musikgedächtnis rappen. Wie sich die Luzerner Hip-Hopper ins Schweizer
ANZEIGEN 22 4/0 RN K UM E /0 3— LE TU BE AU NTR L P E N MA LLI Z 14 6/ NOËL DERNESCH AND MORITZ SPRINGER IS K C ET A FILM BY 1 RE L KE TILMANN OTTO aka DI E AUDIENCE AWARD GENTLEMAN Zurich Film Festival M 2013 IS EE E OI IN COMPETITION IDFA Amsterdam 2013 DEFA AWARD Max-Ophüls-Preis 2014 courtesy Thole Rotermund Kunsthandel, Hamburg, Foto: LWL-MKuK, Rudolf Wakonigg Bildausschnitt: August Macke (1887–1914)—Markt in Tunis I—1914, Privatsammlung, ALBERTO D’ASCOLA aka ALBOROSIE Ab 20. März im Kino WWW.ZPK.ORG *JAH_InsD_96x126_kml.indd 1 06.02.14 12:26 en 4. Leibch über denen hies sen 1. Tor sc nen h 2. losren Kopf zie en Knie fall 3. auf die Museum für Kommunikation Helvetiastrasse 16 3005 Bern Hodlerstrasse 8 – 12 www.mfk.ch CH -3000 Bern 7 www.kunstmuseumBern.CH di 10H – 21H mi – so 10H – 17H 140218_Ins_Kulturpool_041_Sesam_96X126mm.indd 1 18.02.2014 16:25:57
editorial Musik Luzern wird ja ganz gerne als «Rock City» bezeich- Einblick in die junge Lebensgeschichte des Luzerner net. Und ja, in Sachen Rock und Pop hat die Zent- Rappers Mimiks (Cover), einem aufstrebenden Talent ralschweiz schon viele Namen hervorgebracht: Da unter den jungen Wilden. Er hat in den vergangenen waren etwa Sportsguitar und Stevens Nude Club, da Jahren praktisch nur für den Rap gelebt und sich fast waren Mothers Pride und Neviss. Da sind noch immer darin verloren – bis der Wendepunkt kam. (Seite 8) Dada Ante Portas. Etwas ruhiger, aber doch mit Gi- An einem Wendepunkt steht man auch am anderen tarre ausgestattet, ist aktuell Heidi Happy schweizweit musikalischen Ende Luzerns: Das Lucerne Festival auf Erfolgskurs – gerade bringt sie ein neues Album macht sich an die Herkulesaufgabe, die Nachfolge von heraus (Seite 25). Und mit Bands wie etwa Weekend Pierre Boulez und vom verstorbenen Claudio Abba- Phantom stehen bereits Nachwuchstalente bereit. Es do zu regeln (Seite 19). Die Sache scheint auf gutem gibt sie also noch, die Rock City. Wege – wer weiss, vielleicht eine der letzten grossen Aktionen von Intendant Michael Haefliger. Laut wurde es in letzter Zeit aber um einen ganz anderen Musikbereich: Die Hip-Hopper machen von sich reden. Die bösen Buben von nebenan haben sich innert ein paar Jahren von einem losen Haufen zu einer regelrechten Szene zusammengerauft – und sich auch in den Rap-Hochburgen Basel, Bern und Biel einen Namen gemacht. Dieser Geschichte gehen wir Martina Kammermann in diesem Heft nach. Und gewinnen dabei auch einen kammermann@kulturmagazin.ch 3
Inhalt 14 freude herrscht Die Kunsti zieht um. Von einem Verlust für die Stadt will niemand etwas wissen. 8 im aufwind Der Luzerner Rap-Newcomer Mimiks spricht über die Höhen und Tiefen seines Lebens 11am start 16 endstation Die Luzerner Hip-Hop-Szene ist im Kommen. Das Bahnhofbuffet und Co. müssen im April 18 auf der allmend schliessen. Der Unmut darüber ist gross. Beim Bau von Swissporarena und Messe war von Konzerten die Rede – bis heute läuft dort aber fast nichts. 19 im umbruch Ein Kommentar zu den aktuellen Entwick- lungen des Lucerne Festival. KOLUMNEN 6 Gabor Feketes Hingeschaut 7 Lechts und Rinks: Absturzgefahr in Emmen 20 Gefundenes Fressen: Cevapcici 38 11 Fragen an: Anete Melece 69 Kämpf / Steinemann 70 Käptn Steffis Rätsel 71 Vermutungen SERVICE 21 Bau. Zur Immobilienpolitik der SBB 22 Kunst. Warum Martin Guts Kunst Spass macht 27 Musik. Ohne Genregrenzen: das Trio Zarin Moll 29 Wort. Die besten Anekdoten zum Literaturfest 30 Bühne. Zur Last der Freiheit 35 Kino. Der bewegende Abschied einer Schule 66 Namen / Notizen / Ausschreibungen 25 sexy wie nie 67 Impressum 68 Kultursplitter. Tipps aus der ganzen Aber trotzdem cool und distanziert: Schweiz das neue Album von Heidy Happy. 38 KULTURKALENDER Kinderkulturkalender 39 Veranstaltungen 57 Ausstellungen Titelbild: Mimiks, 6. Februar 2014 Foto: Beat Brechbühl PROGRAMME DER KULTURHÄUSER 40 Kleintheater 42 Stadtmühle Willisau / Romerohaus Bilder: J. van der Hagen, M. Christen 44 Stattkino 46 HSLU Musik 48 Luzerner Theater / LSO 50 Südpol 52 Kulturlandschaft 54 Zwischenbühne / Chäslager Stans 58 Kunsthalle Luzern / Museum Bellpark 60 Historisches Museum / Natur-Museum 62 Kunstmuseum Luzern / Nidwaldner Museum 4
schÖn gesagt «Zu Tschechows Zeiten scheiterte man an zu wenig Freiheit, heute an zu viel.» REGissEuRiN BETTiNA GLAus (sEiTE 34) guten tag aufgelistet guten tag, nidWalden guten tag, e. s.* aus luzern die luzerner scheinen sich in ihrer tOurisMus im Frühling wird an der Moosstrasse in Luzern heimatstadt wohlzufühlen – oder stolz hast du im Februar deine neue eigene Web- Tempo 30 eingeführt, und so bekommt das Helve- sie besingen sie jedenfalls gern. site präsentiert. Oha, selbst ist der kanton, dach- tiagärtli, sonntagshort für allerlei stadtflaneure, einige hymnen aufs zuhause: ten wir und klickten als Erstes grad auf das Menü eine etwas ruhigere und ungefährlichere Atmo- kunst&kultur. und wunderten uns: Die Fas- sphäre. Ein Dienst am Volk, könnte man meinen, du aber hast die dahintersteckende Verschwörung - Henrik Belden – Hometown (2014) nacht, das schwingfest, historische stätten und Museen sind da prominent vertreten – von den durchschaut: «Das Quartier wird schon länger nur noch von der alternativen szene heimgesucht und - tobi Gmür – World Famous In My Häusern, in denen kultur tatsächlich passiert, fehlt allerdings jede spur. kein Chäslager stans, das Verkehrskonzept der stadt Luzern ist immer Hometown (2012, albumtitel) kein Theater an der Mürg, keine Backstube stans, mehr einem linkskulturellen Determinismus un- und auch die stanser Musiktage sind nur ganz terworfen», schreibst du als NLZ-Online-Leser- - One Lucky Sperm – Hometown versteckt aufgeführt. Da fragen wir uns: Hast du kommentator scharfsinnig. Aha, die kulturszene Holidays (2012) die lokale kultur einfach vergessen (obwohl du ist da am Werk! Jetzt, wo du es sagst, wird natür- auf das Lokale doch so viel Wert legst)? Oder war lich einiges klar: Beim umbau des Hirschmatt- - Dada ante Portas – Head Back der «starke Partner» aus Österreich, der die Web- quartiers gleich nebenan gehen über 40 Parkplät- Home (2008) site machte, doch nicht ortskundig genug? Nun, ze verloren – und mittendrin das kleintheater: vielleicht ist auch deine kulturdefinition noch Was die nach Vorstellungsende nicht alles aushe- - Emm – Ei Stadt i de Schwiiz (2007) nicht ganz schlüssig. unter dem Titel kunst&kultur cken. und dass die vorgeschlagene Metro genau schreibst du nämlich: «Eine grosse Anzahl von zum sedel führt, das kann ja wirklich auch kein lokalen Bräuchen und Riten steht in Zusammen- Zufall sein. hang mit den Jahreszeiten (z. B. Älplerchilbi, kä- semärkte, Nikolausumzüge, Fasnacht, schwing- Verschwörerisch, 041 – Das Kulturmagazin feste usw.). Bräuche umfassen vor allem Musik, Tanz, Theater, Dichtung, schnitzerei und stickar- * Vollständiger Name online ersichtlich beiten.» Ähm … kultur gleich Brauch? Das ist uns neu! Reisefreudig, 041 – Das Kulturmagazin ANZEIGE Masterprogramm Kulturmanagement Studiengang 2014 - 2016, Beginn Oktober 2014 Informationsveranstaltung Donnerstag, 27. März 2014, 18.30 bis 20 Uhr Ort: Steinengraben 22, 4051 Basel www.kulturmanagement.org 5
Hingeschaut Finnische Regatta Als gebürtiger Ungar sind mir die Finnen ja fast Verwandte, denn schende Ruderfachwelt, versunken in die Rennresultate am Rot- unsere Sprache soll den gleichen Ursprung haben. Richtig bewie- see. Kaum jemand hat mich bemerkt. Ich stand nur etwa zwei sen ist das allerdings noch nicht. Und auch verstehe ich kein Wort Meter von ihnen entfernt, die Sonne strahlte wunderbar aufs Finnisch, ja ich könnte wohl schneller Japanisch lernen als diese Presse-Zelt – es waren optimale Bedingungen. Ich freue mich merkwürdige Sprache. schon auf eine Fortsetzung, vielleicht kann ich doch bald perfekt Mit dem finnischen Fotografen Pentti Sammallahti hingegen Finnisch! fühlte ich mich sofort seelenverwandt. Seine Fotoserie, die er vor 20 Jahren in Tallin, Estland, gemacht hat, animierte mich, auch Bild und Text Gabor Fekete eine ähnliche Serie zu produzieren. Mein Foto zeigt die vorbeihu- 6
lechts und rinks Kamikaze in Emmen Nur Fliegen ist schöner als Emmen: Lokale Unternehmer wollen den Flugplatz zivil nutzen. Hier folgt noch eine Illustration Was darf Satire? Alles, haben wir gerade Barcelona oder London anbieten müsste, voll, denn alles deutet darauf hin, dass der erst wieder gelernt, wichtig ist nur, dass das brauche Emmen auch einen grossen Bahn- südliche Teil der Gemeinde gemeinsam mit Volk etwas zu lachen hat. Und genau so hof, wo die französischen Hochgeschwin- Reussbühl zum neuen Zentrum einer grös verhält es sich auch mit der Verwaltung. digkeitszüge (TGV) halten könnten. Nun, seren Stadt werden wird. Dass in diesem Aus Spargründen die Schule schliessen? der Vorstoss kommt zum satirisch günstigs- Zusammenhang auch die Fusionsfrage Hahaha. Den Bauern sagen, wie sie ihre Si- ten Zeitpunkt: Da die Schweizer Armee ei- wieder auf den Tisch gekommen ist, ist loballen auf dem Feld anzuordnen haben? nige Flugplätze ausrangiert und ihre Flüge kein Zufall: Luzern wird vor allem im alten Hihi. Den psychischen Zustand und damit damit konzentriert, droht den Emmerin- Gemeindedreieck von Luzern, Littau und die Rente von IV-Bezügern mit unzuverläs- nen und Emmern auch ohne zivile Flug- Emmen wachsen. Auch gibt es dort enor- sigen Hirnstrommessungen überprüfen? zeuge eine zusätzliche Lärm- und Luftbe- mes Potenzial für Gewerbe, Bildung und Hmpf. Wo es aber gerade so unlustig wur- lastung. Diese dürfe keinesfalls steigen, Kultur. de, wollte die Wirtschaft natürlich nicht schrieb etwa die Luzerner Regierung zu auf der Strecke bleiben. Und so kam die den Plänen der Armee. Diese Entwicklung mit einem Ausbau vielleicht absurdeste Schlagzeile der letzten des Fluglärms zu torpedieren, wäre gro- Wochen und Monate von Jürg Brand, dem Der Vorschlag der Von Roll und Ter tesk. Natürlich braucht die zukünftige Stadt Chef von Von Roll Infratec in Emmen. Er suisse ist in Emmen wie auch im Kanton Luzern schnelle Anschlüsse an andere will den dortigen Militärflugplatz zum Teil Luzern chancenlos. Es gibt keine politische Städte im In- und Ausland. Aber die inter- zivil nutzen, als «City Airport Suisse Cen- Mehrheit für zivile Flüge. Atemraubend ist nationalen Flughäfen von Zürich und Basel trale» (sic!). der Vorstoss aber darum, weil er zeigt, was sind schon heute in wenig mehr als einer grosse Unternehmen unter einer Sied- Stunde zu erreichen. Um diese Anschlüsse So jedenfalls äusserte sich sein Unter- lungsentwicklung verstehen – nämlich, abzusichern und noch schneller zu ma- nehmen in einer Stellungnahme zum neu- dass ihre CEOs schnell zu- und wegfliegen chen, braucht Luzern keinen Flugplatz und en Siedlungsleitbild, das Emmen in die Ver- können. Abgesehen davon ist der Vorschlag Emmen keinen TGV-Bahnhof. Vielmehr nehmlassung gegeben hat. Mit der Tersu- nicht mehr als eine sprachliche und raum- braucht die ganze Agglomeration den Tief- isse schloss sich auch eine andere lokale planerische Zumutung. Das Leitbild, das bahnhof und, damit verbunden, zusätzli- Firma dem Schreiben an, wie die «Luzer- Emmen vorgelegt hat, sieht eine enorme che S-Bahn-Haltestellen in Emmen. ner Zeitung» berichtete. Nebst einem öf- Verdichtung der Agglomerationsgemeinde fentlichen Flugplatz, der Touristen und Ge- vor: Es soll Platz geben für 8000 Einwoh- schäftsreisenden etwa Direktflüge nach ner und 7000 Arbeitsplätze. Das ist sinn- Christoph Fellmann, Illustration: Mart Meyer 7
portrait Etwas mehr als ein Jahr ist es her, als Angel Egli sich ein Job, um sich über Wasser zu halten. Geld habe er sagte: Jetzt muss alles anders werden. Seither verän- keins gehabt, aber viele Kollegen, und zusammen derte sich für ihn vieles – aber zum Glück dann doch reichte es immer irgendwie für Alk und anderes. Es nicht ganz alles. war eine «total planlose» und wortwörtlich dunkle «Aggressiv über Liebe rappen, das zieht immer», Zeit: Oft war Angel bis 6 Uhr unterwegs und stand um grinst Angel, auch bekannt als Rapper Mimiks. Der 15 Uhr wieder auf. Hauptbeschäftigung: Freunde und 22-Jährige tänzelt im winzigen Musikstudio im Rappen. «Wenn die Leute wüssten, wie viel Zeit mei- Bruchquartier umher, hier wird gerade sein Debütal- nes Lebens ich mit Texteschreiben verbracht habe», bum produziert. Auf dem knarrigen Parkettboden lie- schüttelt er den Kopf. Neben Talent mit ein Grund, gen Textblätter verstreut, ein paar Schaumstoffele- warum er im Rappen schnell gut geworden ist. Und er mente hängen über undichten Fenstern. Zwei Köpfe wollte noch besser werden, alles andere liess er schlei- kauern über einem Bildschirm und feilen an immer fen. «Ich hatte meine Bestimmung gefunden und es gleichen Tonsequenzen, Angel wirft sich auf den drit- war mir völlig egal, was ich sonst mache», sagt er. ten Stuhl, wippt und singt mit. «Geiler Shit, was?» 2012 stellte er schliesslich das Mixtape In Hip-Hop-Kreisen wird Mimiks schweizweit als «Jong&Hässig» ins Internet, eine Abrech- der Newcomer, das Ausnahmetalent, die angesagte nung mit sich und der Welt. Mit einer Nummer gefeiert. Das macht natürlich Druck: «Ich Wodkaflasche in der Hand schleuderte kenne viele Leute, die diesen Status hatten und dann er seine Reime in die Kamera, wie ein nichts daraus gemacht haben. Das will ich nicht. Auch spontaner Wutausbruch klang seine wenn die Leute nur darauf warten, dass ich jetzt alles Musik. Und die sorgte für eine klei- wieder kaputtmache.» ne Erschütterung der Schweizer Am Album selbst hat Mimiks keine Zweifel: «Ich Hip-Hop-Welt: 5000 Downloads, rechne mit den Top 10 oder Top 20.» Aber auch wenn 100 000 Video-Klicks – für ein nicht, sei er stolz auf seine Musik. «Ich habe auf dem Rap-Tape ein beachtlicher Er- Album meine letzten vier Jahre verarbeitet», sagt An- folg. Sein grosses Können war gel. Diese Jahre, sie waren seine Odyssee zu diesem bewiesen. Geld hatte er zwar Etwas, das nun nicht mehr kaputtgehen soll: das auch danach nicht, aber Gleichgewicht in Angels Leben. Oder die Mitte zwi- Mimiks kam rum, rappte schen der dunklen und der hellen Seite, wie er es an zahllosen Events, be- nennt. suchte Fernseh- und Ra- dioshows, surfte die Wel- Das Dunkle le. Dabei war er längst «Nach der Sek hatte ich Bock auf gar nichts. Ich habe seekrank. einfach nichts gemacht», erzählt Angel ein paar Stun- den zuvor, auf der Treppe des Luzerner Seepavillons Das Helle sitzend. Hier treibt er sich oft herum, nebenan im Mai- Wohin sollte sein hofquartier ist er aufgewachsen. Nur Musik habe er Leben führen? Nur machen wollen, nichts anderes. Auch nicht am gestal- Partys feiern, nur terischen Vorkurs an der Kunsti. Statt zu zeichnen «en geile Siech si» schrieb er Texte, hing rum, schaute fern, spielte FIFA, macht auf Dauer feierte Partys. «Mit 19 bin ich von zu Hause ausgezo- nicht glücklich. gen und hab zwei Jahre lang alles ausprobiert, was Angel hatte we- man so ausprobieren kann», erzählt er. Hier und da der Geld noch 8
Der Prinz, der aus dem Dunkeln kam In Schweizer Hip-Hop-Kreisen hat man ihn längst entdeckt, nun will der Luzerner Rapper Mimiks auch die Charts erobern. In den letzten paar Jahren führte er einen Kampf gegen sich selbst und die Welt. Von Martina Kammermann, Bild Beat Brechbühl 9
pOrträt eine Ausbildung. «und ich hatte es satt, mich ständig les andere begann ihn zu nerven: «Wenn du plötzlich rechtfertigen zu müssen, warum ich nichts tue.» so denkst, dein kolleg ist ein Versager, nur weil er Fern- sagte er sich eines Tages: «so kann es nicht weiterge- sehen schaut, ist das scheisse.» Deshalb hat er sich nun hen, sonst verkackst du es völlig.» Ein besserer Mensch für den Mittelweg entschieden: im sommer hat er ei- wollte er werden, und die Wandlung kam fast über ne Lehre als koch begonnen, er macht regelmässig Nacht: ein regelmässiger Job in einem Club, ein Jahr sport – und Party. Die Freundin ist inzwischen weg. fast keinen Alkohol, eine feste Freundin. Mimiks «so glücklich wie jetzt war ich schon lange nicht nennt es die «helle seite» des Lebens, die er da betrat. mehr», sagt Mimiks. Die schule fällt «Zum Glück ist mir das kiffen und Rauchen als sucht ihm leicht und es tut gut, mit erspart geblieben, sonst hätte ich es wohl nicht ge- ganz verschiedenen Men- schafft.» Angel lernte sich abzugrenzen, sein eigenes schen kontakt zu ha- Ding durchzuziehen. Der Wandel spiegelte sich auch ben. Manchmal habe in seiner Musik: so ging es in seiner nächsten single er jedoch Mühe, den «Mein Ziel war von «Grau» nicht mehr um Alk und Frauen, sondern die Leuten zuzuhören. Anfang an, der beste sinnlosigkeit des Alltags und das ernste Leben. «Wenn es nicht um Rapper der Schweiz Musik geht, interes- zu werden.» Überhaupt ist es ein eher ernster Mensch, der da siert es mich einfach auf den see hinausblickt – obwohl er den spassvogel nicht.» Hip Hop sei tadellos drauf hat. Angel erzählt seine Geschichte in wie eine Blase, die einen einem Fluss. Man spürt, er hat viel über sich nachge- schützt, in der man sich dacht und sich selbst diesen Arschtritt namens Alltag aber auch verlieren kann. verpasst. Nicht der Vater, der nach spanien zog, als «Da muss ich aufpassen, dass ich Angel drei Jahre alt war. Nicht die Mutter, die dem nicht zu extrem werde …» Mimiks wilden Teenager nichts aufzuzwingen vermochte. bricht ab, grübelt. Die Abendsonne wirft Nicht die Freunde, die selbst zu nah dran waren. «ich ihre letzten strahlen in die kuppel des Pavil- wusste immer, dass ich alleine etwas machen muss.» lons. Ja, der Weg der Mitte, er ist nicht einfach und was, das war trotz aller Orientierungslosigkeit im- zu finden. mer klar: «Mein Ziel war von Anfang an, der beste Rapper der schweiz zu werden.» im studio wird an letzten kicks und Beats gefeilt. Der schnellste Rapper der schweiz ist er bereits, je- Hier ein bisschen mehr Hall, da die spitze raus, ein we- denfalls wird er regelmässig so genannt. Der Doubleti- nig zurück mit dem synthie. Ryo, dem das 6003-stu- me, also der doppelt schnelle Rap, ist eine seiner spezi- dio gehört, nimmt es genau. «Alle wollen bei ihm auf- alitäten. Gefürchtet ist Mimiks auch an Battles, an de- nehmen», sagt Angel und grinst verschmitzt, «aber nen sich Rapper in Duellen messen. «Wenn du bekannt nicht jeder darf.» Er steht breitbeinig an eine Wand ge- bist, wird es eher schwieriger. Das Publikum will, dass lehnt und tippt etwas in sein smartphone. im Hinter- du voll abräumst oder voll drunterkommst.» Zwei Tage grund pumpen die Boxen: Mer send läär und enttüscht vor einem Battle könne er an nichts anderes denken und mer längwilid üs. Mer fühlid beidi sGliche, well mer und sich nicht entspannen. «ich muss mich fokussie- fühlid nüd. Ja, aggressiv über Liebe rappen, das hat Mi- ren.» Der Wettkampf macht Angel spass: Wenn er miks drauf. Die songs auf dem Album sind jedoch nicht rappen würde, wäre er wohl kampfsportler ge- ganz verschieden. «Beim einen denkst du, ach ist der worden, meint er. gescheit, und beim andern, der hat einen Vogel», fasst Angel zusammen – eben das ganze Mimiks-spektrum. die Mitte «ich will einfach so viel wie möglich erreichen mit der Auf jeden Fall hatte sich Angel also dieses neue ich Musik, die mir gefällt, ohne mich zu verbiegen», sagt erkämpft. Dass ihn die helle seite aber nicht dauerhaft Angel. Das klingt doch nach einem Plan. und die Zei- zu ihrem Engel machen konnte, davon zeugen Face- chen stehen gut, dass Angel diese kurve kriegt. book-Einträge wie: «so ab etz wird nömme gsoffe … blabla am aaarsch : )» oder das Foto eines Neo-Citran- Beutels mit der unterschrift «Mini Lieblingsdroge sind back». Das zu gute Leben habe ihn einsam und egoistisch cd: VOdka-/-zOMBie-/-raMBOgang (FarMore Records/Frontline Music) gemacht, erzählt Angel. «ich sah nur noch mich und erscheint am 25. april. plattentaufe: fr 16. Mai, das Ziel, ein gesunder und guter Mensch zu sein.» Al- schüür luzern. 10
hip hOp Luzern könnte bald zu einer Rap-Hochburg der Schweiz werden. Die lokale Hip-Hop-Szene ist eng vernetzt, rappt mit Blick in die Zukunft und einem musikalischen Selbstvertrauen, das seinesgleichen sucht. Von Heinrich Weingartner hype hop! Am «Bonker inferno Vol. 2»: Hier wird gerappt und gebattlet, was das Zeug hält. Bild: Tino Scherer Moskito, GeilerAsDu, Emm, Mimiks, LCone, Marash Hip-Hop-Track das Rennen macht. Ein stich ins kultu- & Dave. Na, klingelt’s? Noch nicht? Die künstlerna- relle Gedächtnis Luzerns – zugleich aber auch eine men der hiesigen Rap-Elite sollten künftig einen festen wohltuende Vergiftung. Platz in unserem kulturellen Vokabular einnehmen. Februar 2014: An der Plattentaufe von 7 Dollar Ta- Zusammen haben diese jungen Wilden nämlich etwas xi hat Pablito, ein Luzerner Rapper der älteren Garde, geschaffen, angesichts dessen «Lucerne Rock City» einen kurzauftritt. Die ganze schüür voller auf und ab wie ein Label aus vergessenen Zeiten daherkommt. bouncender Hände, ein gleissender Höhepunkt – an Januar 2014: Das Jugendradio 3fach schmeisst sei- einem konzert der einstigen Luzerner indie-Newco- nen alljährlichen kick Ass Award und kürt den besten mer-Band par excellence. song 2013. Das Hip-Hop-Duo Moskito gewinnt mit sei- Vor einigen Jahren wäre das noch nicht denkbar nem sphärischen Track «Fallschirm» den begehrten gewesen. Man hörte nur sporadisch von einzelnen Lokalaward. Es ist nach 2011 das zweite Mal, dass ein halboffiziellen Videoclips, Gigs im kleineren Rahmen 11
hip-hOp und einer Crew, die sich nicht gross um etwas ausser- halb ihrer Rapperei scherte. Das änderte sich nach und nach. Tatsache ist: in der Zentralschweiz hört man Hip- Hop nicht mehr nur im kleinen szenekreis. «Flöch- ted», das Debütalbum von GeilerAsDu, verkauft sich seit dem Release 2012 konstant und ist bald «sold out». 5000 Mal wurde das «Jong&Hässig Mikstape Vol. 1» von Mimiks heruntergeladen, vom Jugendfernsehsen- der Joiz wurde er zum MC des Jahres 2013 gewählt. Das Gratis-Album «Moskito» des gleichnamigen Duos wurde seit september 2013 bereits 2500 Mal gedown- loadet. Die Luzerner Rapper haben nicht nur lokal Erfolg, sondern auch über die kantonsgrenzen hinaus: sie werden regelmässig zu Battles in der ganzen schweiz, zu Radio- und Fernsehshows eingeladen. Auch in Biel, lange Hauptstadt des schweizer Hip-Hops, ist man be- geistert: «Mit Mimiks als Eröffnung hatten wir die Bu- de sofort voll, da wusste ich, die Luzerner sind wieder ganz gross am kommen», sagt Veranstalter Jony Fern- andez zur letzten «Royal Arena», einem renommier- ten Bieler Hip-Hop-Festival. im November 2013 erregte man in Zürich Aufse- hen: Auf sRF Virus läuft der «Big Time Cypher», die angeblich längste Open-Mic-show der schweiz; Rap- per aus dem ganzen Land kommen und geben ihre Freestyle-skills sowie unerprobte Texte zum Besten. Auch ein übermütiges Rudel junger Luzerner ist vor Ort. DJ Cutzilla an den Decks legt, als sie wieder ein- mal an der Reihe sind, einen schleppenden, chilligen Beat drunter. «Ech geb doch käne öber dä Beat, log Die Rapper Luzerns machen gemeinsame sache: s’esch Donnschtig Obig, denn eschs ned so gmüetlech, Videostills aus dem Clip «2041». Video: Marco Bach denn geds Primakov Wodka id Berre», schmettert Da- ve, Luzerner Rapper der jüngeren Garde, ungeniert dem DJ entgegen. Das ganze studio lacht. Hochmut kommt bekanntlich vor dem Fall. Nicht so hier: «Wir waren uns alle einig, die Luzerner Jungs setzten mit ihrer frischen, unbekümmerten Art die Messlatte hoch für 2014», sagt Moderator Mauro Wolf. Grossmäuliges, lausbübisches selbstvertrauen – die halbe Miete? Aus einem unbekannten Haufen junger Wilder wurde plötzlich eine Truppe ambitionierter Aufstreber. Wie konnten sie sich in kurzer Zeit zu ei- nem der musikalischen Aushängeschilder der stadt Luzern mausern? rap mit zukunft Mitunter ein Grund für den Erfolg ist eine musikali- sche Öffnung, die auch elektronische Einflüsse zulässt. Der Hip-Hop-Hype hält auch bei der kopfbedeckung Einzug. zvg so wurde das hiesige Gespür für guten und erfolgrei- chen Hip-Hop geschärft, kommentiert kilian Mutter, Musikchef bei Radio 3fach. Man verschreibt sich nicht 12
hip-hOp Philipp kathriner, DJ-Name «still Phill», ist quasi Pionier und Teil der Crew. Er organisierte 2011 das ers- te «Bonker inferno», ein Battle, bei dem sich Rapper in Wortduellen messen. Er habe «einfach eins und eins zusammengezählt», gespürt, dass sich etwas zusam- menbraut. Zunächst machten nur Luzerner mit, für die zweite Ausgabe 2013 kamen Rapper aus der ganzen schweiz, um sich beim Bunker auf der Allmend ge- genseitig zu messen, Dampf abzulassen – und gleich- zeitig technisch immer besser zu werden. Bitches n' hoes «ich war zuerst kein grosser Fan von ‹041›», gibt Mike Walker, GeilerAsDu-Rapper und Radio-3fach-Ge- schäftsleiter, zu. «Das roch von aussen stark nach selbstbeweihräucherung, einem sich-selber-Feiern.» Aber: «Man merkt heute, die wollen nicht nur Erfolg, sondern ziehen wirklich ihr eigenes Ding durch.» Man mache sich zentrale Eigenschaften der digitalen Mu- sikproduktion zunutze: «Heute kann man Hip-Hop Januar 2014: Moskito gewinnt den kick Ass Award von Radio 3fach. Bild: Livia faden mit einfachen Mitteln und etwas Geduld schnell auf ein verdammt gutes Niveau bringen.» Paradebeispiel: Der dieses Jahr erschienene Track «2041», auf dem die meisten namhaften Rapper aus Luzern vertreten sind, produziert von Emm (der 2007 mit seinem Track «Ei mehr nur Ghetto zelebrierendem «Gangsta-Rap», son- stadt die schwiiz» bekannt wurde) und kackmusikk. dern lässt positive Lebensgeschichten zu, hat Mut zur und würden diese Jungs nicht auf schweizerdeutsch Veränderung. Als inspirationsquellen fungieren etwa rappen, man könnte schwören, das sei der neueste shit Meek Mill oder Rick Ross aus den usA, die mit über- aus Übersee. fetten Bässen, beissenden synthesizern und Vor- Aber Halt. Waren Hip-Hopper nicht für viele mal schlaghammer-Attitüde einer Generation, die mit La- diese üblen Möchtegernkriminellen von der Ecke? dy Gaga und Justin Bieber aufgewachsen ist, identität Diejenigen, die ihre Baggy-Hosen immer zu tief tragen stiften. und auch ein Cap auf dem kopf haben, wenn die son- Doch ist man angesichts solcher seitensprünge ne nicht scheint? «Hip-Hop ist Teil der Gesellschaft überhaupt noch «real», wie man im Hip-Hop-Jargon geworden, man versteht es», sagt Walker. Aber was ist die Treue zu den Old-school-Wurzeln der 90er, aber mit Zeilen wie: Ech wott dini Kollegin verschwende loh / auch Ehrlichkeit und Echtheit des selbst produzierten ond denn ergendwenn met ehre ufs Zemmer go / Bitch von Hip-Hops bezeichnet? «klar, die Entwicklung in Lu- Marash & Dave? «ich sage es immer wieder, man soll zern gefällt nicht jedem, aber man ist viel mehr an der uns ernst, aber nicht beim Wort nehmen.» Diese jun- Zukunft orientiert als anderswo», so sRF-Virus-Mode- gen Rapper wissen ganz genau, was sie sagen; und rator Mauro Wolf. und gerade diese neuzeitliche An- auch, was sie damit sagen wollen. Man übt kritik an sicht berge ein ungeheures Potenzial. der Gesellschaft, persifliert sich selbst und reflektiert «Vor allem hat man in Luzern gemerkt, dass man seine umgebung in heftigen Worttiraden. Da muss sich den dörflichen Bedingungen anpassen und zu- man auch mal «hässig» sein, wie sie gerne sagen, eine sammenspannen muss», nennt kilian Mutter einen grosse klappe riskieren und sich als künstlerfigur iro- weiteren Wachstumsfaktor der hiesigen Rap-szene. nisieren, um sich und die Welt in ein revolutionäres Einzelgängerideologien funktionieren an einem Ort, Licht zu setzen. Die Rapper sind die Punks von heute, wo jeder jeden kennt, nicht. und dort kommt das Label und wir nehmen sie und ihre Metaphern besser ernst. «041» ins spiel. Was als einfaches Zeichen der Zugehö- rigkeit zur Luzerner Rap-sippe begann, hat sich zu ei- nem losen Zusammenschluss aus Partylabels, Produ- «2041» – show mit emm, kackmusikk, Mimiks, zenten, Filmern, Fotografen und allen, die mitmachen Marash & dave und geilerasdu: fr 7. März, südpol wollen, ausgedehnt. luzern. 13
hslu-umzug Ein Plus für Emmen, ein Minus für die Stadt? Der Umzug der Hochschule Luzern – Design & Kunst nach Emmen ist beschlossene Sache. Was bedeutet der Umbruch für das kulturelle Leben der Stadt? Vielleicht weniger als befürchtet. Von Michael Gasser Der Bau 745 auf dem ehemaligen Viscosi-Areal: Hier wird die Hochschule Luzern – Kunst & Design einziehen. Bild: zvg 2016 ist es soweit: Rund die Hälfte der 620 Studierenden sowie der äussert sich Urs Dossenbach von der Kommunikationsabteilung 180 Mitarbeitenden der Hochschule Luzern – Design & Kunst der Stadt Luzern. Er ist sich sicher, dass sich der Umzug positiv auf zieht in Richtung Emmen, in die Viscosistadt. Nicht zuletzt, weil den Kulturstandort Luzern auswirken wird. «Die Bildung von es am Stammhaus an der Rössligasse nicht mehr genügend Platz fruchtbaren Szenen und Cluster-Netzwerken der Kunst oder Kul- gibt. «Schon meine Vorgänger haben versucht, einen anderen turwirtschaft wird begünstigt.» Dank dem neuen Standort würde Standort für unsere Ausbildungen zu finden», sagt Gabriela Chris- die Hochschule nun «noch attraktiver». Ein Gewinn für die Regi- ten, Direktorin der Hochschule, und spricht von einer Chance. «In on, erklärt Dossenbach. der Viscosistadt können wir neu gestaltete Räume auf unsere Be- Die Emmener Gemeinderätin Susanne Truttmann zeigt sich dürfnisse ausrichten und so beste Rahmenbedingungen für die ebenfalls hochzufrieden: «Wir werden Hochschulstandort. Damit Design- und Kunstausbildung im 21. Jahrhundert schaffen.» wird ein langjähriges strategisches Ziel realisiert.» Die Lage der Toll für das Institut, toll für die Studierenden, doch: Wird der Viscosistadt sei zentral und die Gemeinde werde das «im Entste- Umzug der «Kunsti» nicht eine spürbare Lücke ins kulturelle Le- hen begriffene Netzwerk» wo immer möglich und mit guten Rah- ben der Stadt reissen? Christen kann sich das nicht vorstellen: «Ei- menbedingungen unterstützen. Truttmann ist sich sicher, dass nerseits bleiben wir mit der Hälfte der Ausbildungen bis 2019/2020 sich zusätzliche Gaststätten, Läden, Gewerbebetriebe, Ateliers in der Stadt. Und dann wird sich die Stadt in den nächsten Jahren oder Agenturen ansiedeln und damit für ein «urbanes Ambiente» stark in Richtung Luzern Nord entwickeln.» Noch optimistischer und «die nötige Wirtschaftlichkeit» sorgen werden. Das Konzept 14
hslu-uMzug trägt bereits erste Früchte: schon jetzt sollen mehr als 50 Firmen sei, soll solcher auch gefördert werden. Doch was, wenn die Gen- oder Freischaffende auf dem Areal tätig sein (041 berichtete im trifizierung zuschlägt und Emmen plötzlich hip und deutlich teu- Februar 2013). Es herrscht Aufbruchstimmung und der nahende rer wird? Platzt dann nicht auch der Verkehr aus allen Nähten? umzug der Hochschule wird von so viel Beifall begleitet, dass es sorgen, denen man sich in Emmen noch nicht hingeben mag. Das schwierig ist, überhaupt kritische Voten auszumachen. ist für übermorgen. Bis auf Weiteres glaubt man sich gewappnet. Derzeit sei die Gemeinde verkehrstechnisch hervorragend ange- clubs und Beizen schaffen bunden, sagt Truttmann. und verspricht beispielsweise für die Philipp klaus, Wirtschafts- und sozialgeograf, hat sein Büro in Zukunft noch stabilere Busverbindungen. der Nähe des Toni-Areals, wo der zukünftige Campus der Zürcher Hochschule der künste im Entstehen begriffen ist. Aus 35 stand- Barrieren überwinden orten, die momentan noch über Zürich und Winterthur verteilt Der stadtentwicklungsexperte Alex Willener ist der Auffassung, sind, wird ein einziger. Auch hier erfolgt also ein Zusammenzug. der standortwechsel der kunsthochschule und auch der Musikab- (Gestaltet wurde das Toni-Areal übrigens von den Zürcher EM2N- teilung, die neben den südpol zieht, werde nicht zu enormen Ver- Architekten, die nun auch das Viscosi-Areal überbauen.) Für den änderungen führen. Der Hochschuldozent für soziale Arbeit be- spezialisten in Fragen zu kultur, kreativwirtschaft und stadtent- tont: «im Vergleich zu anderen schweizer Fachhochschulen sind wicklung ist es nachvollziehbar, dass sich das Departement Design die standorte der HsLu immer noch sehr nahe beieinander.» Hin- und kunst an einem Ort wie der Viscosistadt ansiedelt. schliess- zu komme, dass die interdisziplinäre Zusammenarbeit in der Leh- lich seien industriebauten charmant und aufgrund ihrer häufig re und in der Forschung aktiv gefördert wird, so Willener. Natür- hellen und unterschiedlich grossen Räume für kreative interes- lich sei das studentische Leben für Luzern sehr relevant. «Die sant. Der Bau 745, wo früher die textile Weiterverarbeitung pro- stadt wird durch dieses sehr aufgewertet, speziell im kulturbe- duzierter Garne geprüft und entwickelt wurde, hat eine Nutzflä- reich.» Ein Zustand, den man nicht leichtfertig aufs spiel setzen che von 10 500 Quadratmetern und wird derzeit umgebaut. Für sollte. Willener rechnet jedoch nicht damit, dass demnächst Hun- rund 24 Millionen Franken, die von der Eigentümerin, der neu derte von studenten in Richtung Emmen abwandern. «Das Leben gegründeten Viscosistadt AG, aufgeworfen werden. in der stadt dürfte den meisten letztlich doch attraktiver erschei- klaus findet die idee, eine gemischte siedlung im kunst- und nen.» Noch existiere zwischen Emmen und Luzern so etwas wie Designbereich aufzubauen, sehr sinnvoll. Allerdings brauche die eine mentale Barriere, glaubt Willener. «Diese gilt es jetzt erst mal Gestaltung der Vermietung ein feines Gespür für das Mögliche. zu überwinden.» «Eine zu hohe Rendite sollten die Betreiber nicht anstreben», und was geschieht eigentlich mit den Räumen an der Rössli- meint er. Damit das Projekt auch langfristig Erfolg hat, müssten gasse, aus denen sich die Hochschule Luzern – Design & kunst die Mieten in der Viscosistadt tief genug sein, um eben nicht bloss schon bald verabschiedet? «Die Liegenschaften gehören nicht der Werbebüros, sondern auch start-ups und Avantgardisten anzulo- stadt», erklärt urs Dossenbach so kurz wie bündig. Eine aktive cken. «Diese sind sehr preissensitiv.» Wie Christen ist auch klaus Planung sieht anders aus. Ähnlich knapp äussert sich Luzern in der Auffassung, dass sich die Nähe zu industrie, Gewerbe und Bezug auf den neuen standort der Hochschule: «Die Viscosistadt kreativwirtschaft für studierende als praxisnahes und befruch- liegt ausserhalb des gemeinsamen Planungsperimeters von Lu- tendes umfeld erweisen könnte. Damit das Areal mit Leben erfüllt zern Nord, weshalb die stadt Luzern keinen Einfluss auf deren werden könne, seien Clubs, Beizen, nicht definierte Räume oder Nutzung hat», sagt Dossenbach. Nun, es dauert wohl noch eine auch ein Hostel vonnöten, glaubt er. «Das Ganze braucht Cachet Weile, bis wirklich zusammenwächst, was auf Dauer zusammen- und die Architektur sollte nicht zu geschliffen sein.» gehört. Laut Truttmann verfügt Emmen über bezahlbaren Wohn- raum – selbst für studenten. soweit das der Gemeinde möglich Stufenweiser Umzug der neue Hauptstandort im Bau 745 soll 2016 eröffnet werden, 2014 be- ginnen die Bauarbeiten. die Hochschule Luzern bezieht das gebäude mit einem Mietvertrag über 20 Jahre. in einem ersten Schritt werden die Stu- diengänge «Kunst & Vermittlung», «film» mit animation und Video sowie «Camera arts» nach emmen ziehen. die sieben Standorte der Hochschu- le – Kunst & design werden so auf drei reduziert. Verlassen werden die Standorte in Littau, in der Rössligasse und an der Lädelistrasse. die Senti- matt- und Baselstrasse-Standorte bleiben vorerst bestehen. es wird zurzeit ANZEIGE noch verhandelt, ob in einer zweiten etappe das gesamte departement in www.viscose-eventbar.ch die «Viscosistadt» ziehen wird. (mak) 15
Bahnhof luzern Am 25. April 2014 schliessen das Au Premier, die Trenino-Bar und das Bahnhofbuffet ihre Türen. Sie weichen Umbauplänen der SBB. 041 war noch einmal da, sprach mit Stamm- gästen und der Chefin de Service. Von Pablo Haller, Bilder: Mischa Christen Sperrstunde im Bahnhof Luzern Die Rolltreppe hoch, da leuchtet schon dieser Schriftzug entgegen, ten Stock aufgelöst wird, hätte niemand gedacht.» Die Gastig hier Trenino. An der Wand hängt eine Karte von Lissabon bis Istanbul, oben sei breit gefächert, bestätigt sie. Von Wohlhabenden, den von Rom bis Paris. Die Küstenregion flimmert leuchtblau. Darun- KKL-Besuchern, die eher im Au Premier verkehren. Der Mittel- ter glimmen die Schnäpse. Als Stammtisch fungiert das untere schicht, den Arbeitern und Alkoholikern im Trenino. Den Treseneck. Aus den Boxen Radio Pilatus, mit dem Slogan, dass Schwarzafrikanern und Arabern im Raucher des Bahnhofbuffet. zwischen acht und 17 Uhr kein Song mehr doppelt laufe. Leute «Das ist etwas, das ich sehr schätze.» kommen und gehen, die Vielfalt fällt auf: Zugbegleiter oder VBL- Chauffeure, die pausieren, Feierabendbierpublikum, junge Leute Sushi und Shops und die üblichen Barfliegen, die sich hier in ihrem zweiten Wohn- Bald wird Arnold sagen müssen: «geschätzt habe», denn der Res- zimmer wähnen. Hinter dem Tresen steht die Chefin de Service, taurationsbetrieb weicht den SBB-Verkaufsschaltern, die bis an- Yolanda Arnold. Eine Barkeeperin wie aus dem Büchlein. Taff, hin im Untergeschoss standen. Unten sollen neben Billett- und ohne Berührungsängste, stets mit einem träfen Spruch auf den Geldautomaten neue Läden entstehen. Die Telefonkabinen und Lippen. «Ich komme gleich!», ruft sie mir zu und widmet sich Postomaten unterhalb der Rolltreppen verschwinden, an dieser zwei Gästen, die nicht wissen, was sie wollen. «Entscheidet euch Stelle entstehen ein Sushi-Restaurant sowie ein zusätzlicher Ki- mal! Sonst bring ich ne Flasche Dom Perignon für 180 Franken.» osk. Die Bodega im Untergeschoss, die ebenfalls seit 1990 von der Draussen kontrollieren zwei Polizisten einen Schwarzen. Bahnhof Restauration Luzern AG betrieben wird, bleibt – vorerst. «So, jetzt.» Arnold steht am Tresen und macht sich eine Parisi- Der Kiosk im Erdgeschoss zieht zusammen mit dem Brezelkönig in enne gelb an. Von den Veränderungen erfahren habe das Personal einen neuen Pavillon, die mobilen Gleisstände werden entfernt. einen Tag bevor es in der Zeitung war. «Man wusste schon länger, Der gesamte Umbau dauert von Mai 2014 bis März 2015 und kostet dass Veränderungen anstehen. Aber dass die Restauration im ers- acht Millionen Franken. 16
Bahnhof luzern Szenen aus der Trenino-Bar. Hier treffen Banker und VBL-Chauffeur aufeinander. Im Bild rechts unten: Yolanda Arnold, Chefin de Service. Mit der Frage konfrontiert, ob man hier nicht etwas Schützens- ist, steht sie wieder am falschen Ort. Die sollte auf derselben Etage wertes zerstöre, bloss um mehr Mieteinnahmen zu generieren, wie die Gleise sein. Ich muss doch, wenn ich in den Coop gehe, schreibt SBB-Mediensprecherin Lea Meyer von veränderten Kun- nicht bis zur Decke sehen. Da könnte man doch einen Deckel denbedürfnissen, wie es bereits in der Medienmitteilung steht. Es drauf machen, die Anlagen hinstellen und es hätte erst noch mehr werde auch in Zukunft ein Bahnhofbuffet geben, in welcher Form Platz im Erdgeschoss.» Ein weiterer ergänzt: «Die Millionen kön- sei aber noch nicht klar. Man liest oft die Worte Kunden und nen sie ja verlochen wenn der Tiefbahnhof kommt. Weshalb schon Kundenfreundlichkeit, aber eine schlüssige Antwort, weshalb jetzt? Die sollen warten und dann was Anständiges machen.» man einen florierenden Restaurationsbetrieb schliesst, steht aus. Die Bar hat sich geleert. Bald ist viertelvorzwölf, Sperrstunde. Auch Pro Bahn kritisierte in einer Medienmitteilung den Ent- Wir haben Menschen aus verschiedenen Kontinenten getroffen, scheid der SBB als «nicht kunden-, sondern allein kommerz- weitgereiste Unternehmer, Universitätsmitarbeiter, Agglo-Bewoh- freundlich». ner, die auf einige letzte Biere vorbeischauten. Viele wollten sich nicht fotografieren lassen oder zitiert sehen. «Es hat wohl heutzu- Wohin nach der Schliessung? tage etwas Subversives, den Abend in einer Raucherbar zu verbrin- «Was die machen ist eine Schande», findet ein Stammgast. Im gen», bemerkt jemand. Ein anderer: «Vielleicht wollen sie bloss ih- Sommer ginge es ja noch, da könne man draussen sitzen und re Einsamkeit nicht publizieren.» «So, jetzt aber!», ruft Yolanda trotzdem rauchen, aber wo er im Winter künftig sein werde – Arnold, und unser Häuflein Übriggebliebene geht durch die Schie- «keine Ahnung». Die Barchefin ergänzt: «Für unsere Stammgäste betür. Die Stühle sind oben, der Schriftzug erloschen. Es ist fünf ist es ein viel besprochenes Thema, wo man sich nach der Schlies- Minuten vor Mitternacht. sung treffen will.» Ein anderer Gast schaltet sich ein: «Ich weiss Ein weiterer Text zum Thema SBB und ihrer Rolle als Bauherrin befindet sich auf nicht, was sich die SBB da denken. Wenn die Schalteranlage oben Seite 21. 17
allmend Die Kultur bleibt Bänkliwärmer Im neuen Stadion auf der Luzerner Allmend hätten zwei bis drei Konzerte pro Jahr statt- finden sollen. Diesen Sommer erhält es mit «Allmend rockt» gerade mal das zweite in drei Jahren. Auch künftig wird Musik auf der Allmend vor allem ein Lückenfüller sein. Von Markus Föhn Fussballfans mögen ein gesangsfreudiger Menschenschlag sein, sind nicht strenger als anderswo. Zudem sind die Stadionverant- doch in der Swissporarena auf der Luzerner Allmend müsste ei- wortlichen offen für Ideen.» gentlich längst mehr erschallen als nur ihre Schlachtgesänge. Im Das sind auch die Verantwortlichen der Messe Luzern, die im Herbst 2009 jedenfalls sprach Thomas Schönberger, damals CEO vergangenen Sommer in unmittelbarer Nachbarschaft zum Stadi- der FC Luzern-Innerschweiz AG, im «Blick am Abend» von «zwei on eine neue Messehalle in Betrieb genommen hat. «Wir streben bis drei» Konzerten, die jedes Jahr über die Bühne gehen sollten. rund zehn Konzertanlässe pro Jahr an», sagt Urs Hunkeler, Mit- «Die ganz grossen Stars wie Coldplay werden wir nicht holen kön- glied der Geschäftsleitung der Messe Luzern. nen», schränkte er zwar ein; «internationale Bands in der Grössen- Erste Konzerterfahrung sammelte die Messehalle, die Platz für ordnung von Reamonn» lägen aber drin, ebenso Volksmusikkon- 6000 Personen bietet, kurz vor Weihnachten, bei einem Auftritt zerte und Schlager-Anlässe. Auch von klassischen Konzerten war der Sängerin Katie Melua vor knapp 4500 Leuten. Veranstalter war die Rede: «Erste Gespräche mit dem Lucerne Festival sind bereits Act Entertainment aus Basel. Deren Geschäftsführer Thomas Dürr geführt», sagte Schönberger im «Blick am Abend». Worauf sich die hält die Stadt Luzern wegen ihres Festhaltens an der Billettsteuer «Neue Luzerner Zeitung» am Tag darauf fragte: «Dirigiert Abbado zwar für einen schwierigen Ort für Konzerte, zeigt sich mit der Hal- bald auf der Allmend?» le jedoch zufrieden. Zwar sei die Lüftung während des Konzerts Nach dem Tod des Stardirigenten im Januar wird es dazu nicht etwas zu laut gewesen, doch gehöre dies zu den Kinderkrankheiten mehr kommen. Aber auch sonst verläuft die Suche nach Konzert- einer neuen Halle, sagt er. «Die Akustik funktioniert, die Halle ist Acts fürs Stadion offensichtlich mehr als harzig. Zwar bringen im gut gemacht. Sie bietet sicher mehr als etwa die Eventhalle der Juni Luzerner Veranstalter und Musikagenturen unter dem Dach Messe Basel.» der Allmend rockt GmbH ein Festival mit Gölä, The BossHoss, Sha- Doch wie für die Swissporarena gilt auch für die Messehalle: kra und Fabian Anderhub ins Stadion– doch das wird gerade mal Das Konzertprogramm ist überschaubar. Im März tritt Bligg auf, der zweite Konzertanlass seit dessen Eröffnung vor drei Jahren später an der Schlagernacht Helene Fischer, Francine Jordi und sein. Den Anfang machte im Juni 2012 die «Sommer-, Schlager- weitere Schlagersternchen; andere Musik gibts 2014 voraussicht- und Show-Nacht»; ein im Sommer darauf programmiertes Konzert lich nicht. «Wir sind im Gespräch mit Veranstaltern», sagt dazu des Klassik-Pop-Quartetts Il Divo lagerten die Veranstalter wegen Urs Hunkeler von der Messe Luzern. «Die Halle ist neu, es braucht schleppenden Vorverkaufs kurzerhand in die Halle des Eiszen noch etwas Zeit, bis sie sich etablieren kann.» trums im Tribschenquartier aus. Kultur, wenn gerade sonst nichts ist Veranstalter sind vorsichtig Tatsächlich wäre ein übervoller Konzertkalender für eine erst halb- Die Swisspor Events AG, Betreiberin der Arena, will trotz bislang jährige Halle wohl etwas viel verlangt – zumal Konzerte gar nicht bescheidenem Konzertangebot nichts davon wissen, dass es ihr Kerngeschäft sind. «Die Messehalle wird die meiste Zeit des schwierig sei, Kulturveranstaltern den Stadionrasen schmackhaft Jahres für Messen gebraucht», sagt Hunkeler. Und das ist auch ei- zu machen. Ein Anlass komme vielmehr halt erst dann zustande, ner der Gründe, weshalb von der Luzerner Allmend als Konzert- «wenn wir das Gefühl haben, er passt bei uns ins Stadion und ge- standort wohl nichts Revolutionäres zu erwarten ist, trotz einer neriert auch Profit», sagt Mediensprecher René Baumann. Be- massiv verbesserten Infrastruktur: Musik wird dort nur gespielt, stimmt werde es nach dem Festival «Allmend rockt» weitere Kon- wenn gerade sonst nichts los ist. «Erste Priorität hat der Fussballbe- zerte auf der Allmend geben: «Wir pflegen gute Beziehungen zu trieb», sagt Swissporarena-Mediensprecher René Baumann. «Wir Veranstaltern und stehen in regelmässigem Kontakt zu ihnen.» müssen Rücksicht darauf nehmen, dass der Rasen nicht zu stark Doch die stehen bei der Swissporarena nicht gerade Schlange. unter einer Veranstaltung leidet.» «Die grossen Veranstalter halten sich zurück», sagt Martin Koch, Martin Koch von der Allmend Rockt GmbH glaubt daher auch Inhaber der Musikagentur Fettes Haus und Mitglied der Geschäfts- nicht, dass in der Swissporarena Unmengen von Konzerten über führung der Allmend rockt GmbH. «Das Stadion ist neu, im Mo- die Bühne gehen werden – auch wenn die Veranstalter ihre heutige ment weiss noch niemand, welche Konzerte für welches Publikum Zurückhaltung dereinst ablegen sollten: «Letztlich haben auch die darin am besten funktionieren.» Das Eis müsse noch gebrochen grossen Stadien wie Bern oder Zürich höchstens zwei, drei Konzer- werden. Koch ist aber optimistisch: «Die Infrastruktur stimmt, die te pro Jahr. Die fussballfreie Zeit ist kurz und übervoll mit etablier- Auflagen bezüglich Lautstärke, Soundchecks und Auf- und Abbau ten Anlässen, die schwierig zu konkurrieren sind.» 18
Aktuell Die Birmingham-Connection Im Sommer 2014 beginnt die Zukunft beim Lucerne Festival. Von Susanne Kübler Andris Nelsons dirigiert im kommenden Sommer die Brahms- Aber selbst wenn sie provisorisch sind: Diese Berufungen zei- Programme mit dem Lucerne Festival Orchestra (LFO), die der gen deutlich, in welche Richtung das Lucerne Festival unterwegs kürzlich verstorbene Claudio Abbado noch geplant hatte: Das sind ist, und sie stimmen optimistisch. Einerseits sind das LFO und die gute Neuigkeiten. Der 35-jährige Lette ist der wohl gefragteste Di- LFA offensichtlich derart attraktiv, dass man keine Schwierigkei- rigent seiner Generation, das Luzerner Publikum kennt ihn seit ten hat, Dirigenten aus der allerobersten Liga dafür zu finden. Auf 2008. Nelsons ist ein Charismatiker und gleichzeitig einer, der sich der anderen Seite begnügt man sich beim Lucerne Festival nicht nicht auf sein Charisma verlässt, sondern die musikalische Arbeit mit irgendwelchen Prominenten, sondern setzt auf solche, die mit fast überbordender Energie vorantreibt. Zweifellos wäre er wirklich arbeiten wollen mit ihren Musikern. Dass sowohl Rattle auch nach diesem Sommer ein willkommener Nachfolger für Ab- als auch Nelsons ihren Weg zum internationalen Renommee beim bado, aber ob es so kommt, ist derzeit noch unklar. Man sei daran, City of Birmingham Symphony Orchestra begonnen haben, mag Gespräche zu führen, heisst es beim Lucerne Festival – offenbar Zufall sein; kein Zufall ist dagegen ihre Ausdauer bei diesem Or- soll nichts überstürzt werden. Und man war stilvoll genug, nicht chester: Rattle blieb bis zu seiner Wahl zu den Berliner Philhar- alles schon zu regeln, während Abbado noch aktiv war. monikern in Birmingham, Nelsons bis heute, obwohl er längst Ähnlich ist die Situation bei der anderen grossen Institution auch andere Angebote hat. des Festivals, bei der von Pierre Boulez gegründeten Lucerne Fes- So schwierig es ist, geeignete Nachfolger zu finden für Musi- tival Academy (LFA). Der 88-jährige Boulez bleibt zwar weiterhin ker-Persönlichkeiten wie Claudio Abbado und Pierre Boulez, die Künstlerischer Leiter, er wird aber wegen seiner Augenprobleme das Profil des Lucerne Festival in den vergangenen Jahren so ent- nicht mehr dirigieren können. Im kommenden Sommer wird nun scheidend geprägt haben: Wenn man dafür Dirigenten gewinnen Simon Rattle an der Academy unterrichten und ein Konzert über- könnte, die nicht von einem glamourösen Event zum nächsten nehmen, und auch in seinem Fall ist nicht klar, ob es sich um eine hüpfen, sondern sich ganz und gar einer Aufgabe verschreiben, einmalige Aktion handelt oder ob er dereinst Boulez’ Nachfolge dann stehen die Chancen gut, dass die beiden Projekte auf hohem antreten wird. Niveau weitergeführt werden können. Nachruf auf den Verleger Martin Wallimann «Er war ein Menschenfreund, eine treue Seele, her und zählte zu den erfahrensten und vielsei- dern auch im kalten Wind der Politik standhaft wie es sie heute nicht mehr oft gibt. Wenn er je- tigsten Kunstdruckern der Schweiz. 1991 grün- und vehement für die starken und die schwa- mand in sein Herz geschlossen hatte, dann dete er den Martin Wallimann Verlag, in dem chen Seiten der Poesie gekämpft. Dass er solch kämpfte er für ihn. Dann liess er sich auch nicht neben Kunstbüchern auch Lyrik, Prosa und Er- nachrufende Worte mit Stirnrunzeln und fra- von Stimmen beirren, die mit seinen Veröffentli- zählungen erschienen, ein besonderes Herz hat- gendem Blick beantwortet hätte, machte ihn chungen wenig oder nichts anfangen konnten.» te er dabei für die Anagramme. Daneben hat er noch liebenswerter.» Das sagt der Autor Christoph Schwyzer über immer wieder Literatur- und Kulturveranstal- Auch Christoph Schwyzer schätzte die Art von seinen Verleger Martin Wallimann, der am 5. tungen oder auch Ausstellungen initiiert. So ist Wallimann und wie er mit dem Metier umging. Februar 2014 im Alter von 55 Jahren unerwar- die Buchmesse «Luzern bucht», die diesen Mo- «Martin war eigenartig, eigenständig, manch- tet gestorben ist. Wallimann war ein wichtiger nat zum 30. Mal stattfindet, untrennbar mit der mal auch eigensinnig. Sprach er von Literatur, und gewichtiger Mensch. Die Innerschweiz ver- Initiative und dem Engagement von Wallimann von seinem Beruf als Verleger, so hatte das – liert mit ihm nicht nur einen Kunst-Handwer- verbunden. 2009 erhielt er den Innerschweizer vielleicht weil er vom Druckerhandwerk her zu ker der alten Schule, sondern auch eine Persön- Kulturpreis. den Büchern gekommen war – nichts Aufgesetz- lichkeit, die sich nicht vom Mainstream verein- Für den Autor und Musiker Max Christian tes, nichts abgehoben Schöngeistiges, nichts nahmen liess, sondern eigene Akzente setzte. Graeff war Martin Wallimann ein Verleger Überdrehtes an sich.» Wallimann war Walli- Martin Wallimann wurde 1958 in Alpnach ge- «von der alten, aufrichtigen Sorte», wie es sie mann. Und dieser wird uns fehlen. boren. Als ausgebildeter Offsetdrucker führte er fast nicht mehr gebe. «Dabei hat er nicht nur Pirmin Bossart seit 1983 ein handwerkliches Druckatelier. Für ein profiliertes, persönliches Programm zwi- Weitere Texte zu Martin Wallimann befinden sich in der zahlreiche Künstler stellte er Originalgrafiken schen kleiner und grosser Welt geschaffen, son- Literaturpause in der Heftmitte. 19
Gefundenes fressen Wir sind Cevapcici heimen Gewürzmix der Familie Sakic. Produziert wird zweimal die Woche, fri- sche Ware ist das A und O in diesem Busi- ness. Die Würstchen kommen bei 200 Grad auf den Grill und werden im eigenen Fett scharf angebraten. Sakic erklärt: «Das Fleisch spricht zu uns, wenn es zittert und schwitzt wissen wir genau, dass der richti- ge Zeitpunkt zum Wenden da ist.» Danach In meinen kulinarischen Erinnerungen an Mein Mann des Vertrauens hat nicht wird die Hitze des Grills leicht reduziert, eine Balkanreise vor zehn Jahren spielt nur den schönsten Schnauz Luzerns, er um Zwiebeln und Gemüse mitzubraten. Fleisch die Hauptrolle: aufgespiesste, gol- grilliert auch die besten Hackfleischröll- Kurz vor dem Servieren legt Sakic das digbraune Spanferkel entlang der Land- chen weit und breit. Kasim Sakic führt zu- selbstgebackene Brot auf den Grill, damit strassen und Cevapcici im Multipack. Be- sammen mit seiner Frau Mirsada den City- sich der Fleischgeschmack darauf über- sonders den fingergrossen Würstchen Take-Away im Hirschmatt-Quartier. Die trägt. Auf dem Teller wird die ganze Pracht «Tschewaptschitschi» bin ich seither ver- beiden stammen ursprünglich aus der Re- mit Ajvar ergänzt, einer Art Paprikamus, fallen. Zur Hauptsache bestehen sie aus gion Sarajevo, wo Cevapcici zu den Grund- das in den Balkanländern zu fast allem ge- Hackfleisch vom Rind und einer je nach nahrungsmitteln gehören. Nach mehreren gessen wird. Wer dann noch nicht genug Region unterschiedlichen Würzmischung. Jahren als Angestellte in Luzerner Gastro- hat, sollte unbedingt die selbst gemachten Hackfleisch ist ein böses Wort und ein ge- betrieben entschlossen sie sich vor sieb- süssen Baklava von Mirsada Sakic probie- fährliches Lebensmittel; wegen seines ho- zehn Jahren zur Selbstständigkeit. «Wir ren. Das Völlegefühl ist danach enorm, die hen Eiweissgehalts ist das Fleisch ein leich- sind Cevapcici», sagt Kasim Sakic im Ge- Zufriedenheit aber noch grösser. tes Opfer für Bakterien. Deshalb darf nur spräch mehrmals, die Frage über das An- Hackfleisch verkauft werden, das am sel- gebot in ihrem Lokal habe sich gar nie ge- Text Urs Emmenegger; Foto Sylvan Müller ben Tag hergestellt wurde – und zwar aus stellt. Seine Hausspezialität wird vom frischem Fleisch, nicht aus tiefgekühltem. Metzgermeister Kleeb aus Hitzkirch herge- Alles in allem also eine delikate Konsum- stellt und besteht aus Rinds- und Kalb- City-Take-Away, Winkelriedstrasse 30, 6003 Luzern, entscheidung. fleisch aus der Region und dem streng ge- 041 210 00 34, 7 Tage die Woche geöffnet ANZEIGEN 20
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