Klimawandel und Madagaskar - we care. Schulinfopaket
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we care. Schulinfopaket Klimawandel und Madagaskar Eine Schulaktion von
Inhalt Vorwort ........................................................................................................ 3 Einführung zum Materialeinsatz ......................................................................... 4 A we care. Unterrichtspaket Madagaskar ......................................................................................... 5 Wo ist das Land, in dem der Pfeffer wächst? ............................................... 5 Tonga Soa! Willkommen in Madagaskar! ..................................................... 7 Insel der Seefahrer: Von Piraten und anderen Eroberern ................................ 9 Unser Schatz ist die Natur ..................................................................... 10 Land der vielen Gesichter ...................................................................... 12 Wie die Ahnen das Leben in Madagaskar prägen ........................................ 14 Insel der Kinder .................................................................................. 15 Madagaskar: Eines der ärmsten Länder der Welt ......................................... 17 Wie Bevölkerungswachstum, Umwelt und Klima zusammenhängen ................. 18 Leben mit dem Klimawandel: Sechs Kinder berichten .................................. 22 Glossar .............................................................................................. 28 Anregungen zur Umsetzung, weiterführende Materialien und Links ................ 29 Klimawandel ...................................................................................... 30 Klimawandel: Was ist das eigentlich? ....................................................... 30 Warum es auf der Erde immer wärmer wird ................................................ 31 Wie der Mensch den Treibhauseffekt verstärkt ........................................... 33 Blick in die Zukunft ............................................................................. 35 Wie sicher sind Vorhersagen der Klimamodelle? Mojib Latif antwortet ............ 37 Noch ist es nicht zu spät: Schnürt euer Treibhausgas-Sparpaket ................... 38 Wir packen mit an .............................................................................. 39 Klimaschützen leichtgemacht: Der Selbsttest ............................................ 39 Macht mit beim großen WE CARE. Kurzfilm-Wettbewerb ............................... 41 Weiterführende Materialien und Links zum Thema Klimawandel ..................... 42 Wie ihr Familien in Madagaskar mit CARE helfen könnt ............................... 43 Das WE CARE. Klimaprojekt für Madagaskar ............................................... 45 B we care. Aktionspaket Aktionsideen für Schulfeste und Co. ................................................................. 48 Wie organisiere ich eine Spendenaktion? Kleiner Leitfaden ................................... 51 Materialliste zum Bestellen ............................................................................. 53 WE CARE – Wir machen mit! Infobogen ............................................................. 54 Spendenaufstellung ....................................................................................... 55 Fragebogen zur WE CARE. Schulaktion 2010/2011 ................................................. 57 Impressum .................................................................................................. 58 2
Vorwort Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, heute gibt es keine Zweifel mehr: Der Klimawandel existiert, unsere Erde wird wärmer und der Mensch hat durch sein Verhalten einen gravierenden Anteil daran. Während wir den Klimawandel in Deutschland bisher kaum spüren, ist er für viele Menschen in unseren weltweiten Hilfsprojekten schon heute bittere Realität. Tagtäglich erleben wir, wie der Klimawandel die Lebensgrundlage Hunderttausender zerstört und wichtige Entwicklungsschritte zunichte macht. Katastrophenschutz und Projekte zur Klimaanpassung der Menschen in den ärms- ten Weltregionen sind für CARE zu einem der wichtigsten Arbeitsschwerpunkte geworden. Klima- wandel ist deshalb auch Thema unserer diesjährigen WE CARE. Schulaktion. Wir freuen uns, dass das Thema Klimawandel im Schulunterricht immer mehr an Bedeutung gewinnt. Das Spektrum an Unterrichtsmaterialien ist insbesondere für die Sekundarstufe II groß. Mit den vorliegenden Materialien möchten wir auch jüngere Schüler dazu einladen, sich mit dem Klima- wandel zu beschäftigen und das Thema aus einer neuen Perspektive zu sehen, der Perspektive von Kindern aus Madagaskar. Madagaskar ist ein Land, das Kinder wie Erwachsene mit seiner natürlichen und kulturellen Vielfalt fasziniert. Als Land der Piraten, der Gewürze, des Dschungels, vieler Tiere und Pflanzen, die an keinem anderen Ort der Welt zu finden sind, bietet es große Gestaltungsmöglichkeiten. Gleichzei- tig zählt Madagaskar zu den ärmsten Ländern der Welt und kämpft wie kaum ein anderes Land schon heute mit den dramatischen Konsequenzen des Klimawandels: Wirbelstürme mit wachsender Zerstörungskraft, Überschwemmungen, nicht endende Dürren, unvorhersehbare Regenmuster, der Anstieg des Meeresspiegels und die Zerstörung der Korallenriffe – kaum eine der prognostizierten Folgen des Klimawandels hat Madagaskar nicht längst erreicht. Ausgehend von der viertgrößten Insel der Welt möchten wir es Ihnen erleichtern, Schülern die komplexen Zusammenhänge zwi- schen Bevölkerungswachstum, Umweltzerstörung und Klimawandel zu vermitteln und globales Ler- nen zu ermöglichen. Unsere diesjährige Schulspendenaktion ist Madagaskar gewidmet. Im trockenen Süden des Landes unterstützt CARE Familien bei der schwierigen Aufgabe, dem Hunger zu trotzen und sich dem Kli- mawandel und seinen Folgen besser anzupassen: durch Katastrophenschutz, neue Anbau- und Bewässerungstechniken und Wiederaufforstung. Wir danken Ihnen herzlich für Ihr Interesse und Ihre Unterstützung. Ihre Brigitte Schulte Stellvertretende Vorsitzende CARE Deutschland-Luxemburg e.V. 3
Einführung zum Materialeinsatz A) Das WE CARE. Unterrichtspaket ist in drei Module gegliedert Das erste Modul ist dem Land Madagaskar gewidmet: Elia und Misoa, zwei in Deutschland lebende Jungen aus Madagaskar, schlagen eine Brücke zwischen Deutschland und ihrer Heimat. Sie entfüh- ren nach Madagaskar und laden zur Auseinandersetzung mit Land und Leuten ein. Wie unterschiedlich der Alltag von Kindern vor Ort aussieht und wie der Klimawandel schon heute das Leben ihrer Familien prägt, vermitteln die Porträts sechs madagassischer Kinder, die beispiel- haft das Leben vieler unserer Projektteilnehmer widerspiegeln. Zum Schutz der Kinder stimmen die Geschichten mit den abgebildeten Kindern nicht überein. Anders verhält es sich mit Elia und Misoa, bei denen wir Namen und Fotos veröffentlichen dürfen. Die Texte des ersten Moduls bieten sich für Gruppenarbeiten, Referate sowie als Reflexionshilfe zu den Unterschieden und Parallelen zwischen der deutschen und madagassischen Lebenswelt an oder eignen sich für die Gestaltung einer Ausstellung. Das dazugehörende Bildmaterial kann auf DVD kostenlos bei uns angefordert werden. Film-, Materialhinweise und Links geben weiterführende Anregungen für eine vielseitige Gestaltung von Unterrichtseinheiten und Projekttagen rund um Madagaskar und die dort bestehende Umwelt- und Klimaproblematik. Das zweite Modul hilft, dem Themenkomplex Klimawandel und seinen Ursachen auf den Grund zu gehen. Was ist Klima und wie wird es messbar? Was ist der Treibhauseffekt und wie verstärkt ihn der Mensch? Mit welchen Konsequenzen müssen wir jetzt und in Zukunft rechnen, wenn der Aus- stoß von Treibhausgasen weltweit nicht gesenkt wird? Neben Informationen und einem Interview mit dem deutschen Klimaforscher Mojib Latif machen Experimente und Grafiken das komplexe Thema für Schüler greifbarer. Das dritte Modul beschreibt, was Kinder in Deutschland in ihrem Alltag tun können, um einen Beitrag zur Verminderung des von Menschen gemachten Treibhauseffektes zu leisten und wie sie gemeinsam mit CARE Familien in Madagaskar bei deren Anpassung an das veränderte Klima helfen können. Dabei wird die Arbeit von CARE in Madagaskar vorgestellt, erklärt, wie Katastrophen- schutz-Maßnahmen dort ganz konkret aussehen und welches Projekt die diesjährige Spendenaktion unterstützt. Hinweise und Links zu weiterführenden Unterrichtsmaterialien und Kampagnen für Schüler ergänzen auch dieses Modul. Die drei Module und ihre Kapitel können frei miteinander kombiniert, als Ganzes oder auch nur in Ausschnitten zum Einsatz kommen. B) Das WE CARE. Aktionspaket Das WE CARE. Aktionspaket gibt erste Ideen und Anregungen zur Gestaltung verschiedener Schü- ler-Spendenaktionen rund um Klima und Madagaskar sowie Tipps und Leitfäden zur Umsetzung und zu Unterstützungsmöglichkeiten durch CARE Deutschland-Luxemburg e.V. Über Ihre Anregungen zur Weiterentwicklung unserer Schulmaterialien freuen wir uns sehr! Unser besonderer Dank für die Unterstützung bei der Erstellung der Materialien gilt der Familie Schmidt-Rakotomalala, Klaus Heimer, der Familie Golz von www.madainfo.de, der Deutsch-Madagassischen Gesellschaft e.V., Mojib Latif, dem Hamburger Bildungsserver, dem Projekt Eine Welt in der Schule, Germanwatch e.V. sowie WWF Deutschland. 4
A1 we care. Unterrichtspaket Wo ist das Land, in dem der Pfeffer wächst? Hallo! Ich heiße Misoa und das ist mein Bruder Elia. Wir sind 18 und 16 Jahre alt und leben in der Nähe von Frankfurt. Seit drei Jahren sind wir jetzt in Deutschland. Wir wollen euch auf eine Reise in unsere Heimat einladen. Wo das ist? Das müsst ihr selbst herausfinden! Wir helfen euch! Elia und ich kommen von einer alten Pirateninsel. Ihre verwinkelten Buchten boten früher ideale Orte, um gekaperte Handelschiffe zu verstecken. Diese transportierten wertvolle Waren aus Asien nach Europa. In Deutschland besingt ein ziemlich bekanntes Lied diese Zeit. Kinder kennen unser Land manchmal auch von einem Zeichentrickfilm. Manche nennen unsere Heimat „das Land, wo der Pfeffer wächst“ – oder einfach Gewürzinsel, weil zum Beispiel 80 Prozent der Vanille weltweit aus unserer Heimat kommen. Unser Land, unsere Insel, wird von vielen auch der „achte Kontinent“ genannt, denn hier konnte sich eine einzigartige Tier- und Pflanzenwelt entwickeln: 80 Prozent aller Tiere und Pflanzen gibt es an keinem anderen Ort der Welt. Zum Beispiel die Lemuren. Das sind Halb- affen. Auf unserer Insel leben über 60 Chamäleon-Arten. Sie sind Überlebende aus der Dino- saurierzeit und können mit ihren Augen gleichzeitig nach hinten und vorne sehen – in die Vergangenheit und in die Zukunft, sagt man bei uns. Unser Land liegt in Afrika, auch wenn viele Bewohner eher asiatisch aussehen – wie wir. Denn unsere Insel wurde in ihrer Geschichte von Asiaten, von Afrikanern und Arabern besiedelt. Azafady Mbola Tsara – das heißt „Entschuldigen Sie, Guten Tag!“ – so begrüßen wir uns in unserer Sprache. Inzwischen sprechen wir genauso fließend Deutsch und natürlich Franzö- sisch. Denn unsere Insel war lange Zeit eine französische Kolonie. 5
Weil unser Land eines der ärmsten Länder der Welt ist und nur wenige gute Schulen hat, sind wir mit unseren Eltern nach Deutschland gekommen. Hier machen wir Abitur und möchten später studieren. Unser Vater stammt aus Deutschland und hat lange als Entwicklungshelfer gearbeitet. Sobald wir studieren und allein wohnen können, werden unsere Eltern zurück auf die Insel ziehen. Und wir? Mal sehn. Ich möchte später mit Computern arbeiten. Und Elia träumt davon, Sport und Französisch zu studieren – schließlich braucht unser Land noch einen guten Fuß- ball-Nationaltrainer! Na, wisst ihr jetzt mehr? Wenn nicht, schaut in eurem Atlas nach und sucht die größte Insel im Indischen Ozean. Wenn euch das Internet lieber ist, dann sucht bei Wikipedia nach den fett markierten Wörtern. Sie helfen euch! Aus welchem Land kommen Misoa und Elia? Macht euch mit Atlas, Lexikon und Internet auf die Suche! Schreibt eure wichtigsten Ergebnisse in die Tabelle: Wie heißt Elias und Misoas Heimatinsel? ..................................................................... Wie viele Einwohner leben dort? ............................................................................... Wie groß ist das Land? ........................................................................................... Wie heißt die Hauptstadt? ....................................................................................... Welche Sprachen spricht man? .................................................................................. Welche Religionen werden praktiziert? ....................................................................... Warum wird die Insel der achte Kontinent genannt und was sind die anderen Kontinente? .......................................................................................................................... .......................................................................................................................... Welche spannenden Infos habt ihr noch über Misoas und Elias Land finden können? .......................................................................................................................... .......................................................................................................................... .......................................................................................................................... .......................................................................................................................... 6
Tonga Soa! Willkommen in Madagaskar! Madagaskar ist die viertgrößte Insel der Welt. Sie ist anderthalbmal so groß wie Deutschland und liegt im Indischen Ozean, 400 km vor der Südostküste Afri- kas, gegenüber von Mosambik. Noch vor etwa 1.500 Jahren war die Insel so gut wie unbewohnt und über und über mit kostbarem Regen- und Trockenwald bedeckt. Heute leben hier über 20 Millionen Men- schen – das hat die Natur natürlich verändert. Über 90 Prozent des Waldes wurden zerstört, um Ackerflä- chen, Weideland und Holzkohle zu gewinnen. Früher hieß Madagaskar „die grüne Insel“, heute heißt sie „die rote Insel“, weil ihre Landschaft zur Savanne geworden ist und von tiefen, roten Erosionskratern gezeichnet ist. Aber dazu später mehr. Tropischer Regenwald, Strand oder Wüste? Kein Problem! Madagaskar liegt südlich und nicht weit entfernt vom Äquator, ein Teil Madagaskars gehört noch zur Klimazone der Tropen, der südliche Teil dagegen zu den Subtropen. Im Zentrum der Insel erstreckt sich ein großes Hochplateau. Es bedeckt zwei Drittel der Insel und ist mit ein Grund für ihre unterschiedlichen Landschaften. Im Norden und entlang der Ostküste herrscht tropisches Klima, es ist heiß, feucht und regenreich. Die Temperaturen liegen gleichmäßig bei etwa 25 Grad Celsius. Hier konnte bis heute Regenwald erhalten bleiben – mit unzähligen Tieren und Pflanzen, die es nur auf Madagaskar gibt. Der Norden und die Ostküste sind so fruchtbar, dass manche sagen, man brauche nur ein Holzstück in die Erde zu stecken und es treibe Wurzeln. Hier gleicht Madagaskar einem Paradies und es riecht wunderbar: Es wachsen Kaffee, Kakao, Vanille, Pfeffer, Ananas, Guaven, Papaya – kurz alles, was man sich Wenn man genau hin- wünscht. Zwischen Dezember und März ist die Ostküste nicht nur sehr regenreich. Mit dem Regen sieht, erinnert die Form kommen fast jedes Jahr heftige Zyklone und richten große Zerstörungen an. Sie können Windge- der Insel an einen linken schwindigkeiten von bis zu 200 Stundenkilometern erreichen. In diesen Zeiten fällt die Schule aus, Fuß. alle versuchen, ihre Häuser nicht zu verlassen. Die arme Bevölkerung ist jedoch kaum geschützt. Ihre einfachen Häuser, ihre Tiere und die Ernten werden durch die heftigen Winde, Regenfälle und Überschwemmungen einfach weggespült. Auf dem Hochplateau im Zentrum der Insel herrscht ein gemäßigtes Klima. Im Norden und Osten werden Vanille, Kaffee und Zuckerrohr angebaut. Es gibt Reisfelder und Grasflächen mit großen Rinderherden. Hier liegt auch die Hauptstadt Antananarivo, das wirtschaftliche und politische Zentrum des Landes. Je weiter man nach Westen und nach Süden kommt, desto trockener und wärmer wird es. Früher gab es im Westen den hier einzigartigen Trockenwald, doch dieser wurde fast vollständig abgeholzt und durch Savanne ersetzt. Erosion richtet hier große Schäden an. Aufgabe: Seht euch im Atlas eine Landkarte von Ganz im Süden Madagaskars regnet es fast nie und wenn, nur wenige Tage im Jahr. Hier ist es nicht Madagaskar an. Findet selten 40 Grad heiß und so trocken, dass nur Affenbrotbäume und Dornengewächse überleben. Den ihr die beschriebenen Süden nennen wir Dornenland. Menschen und Tiere leiden hier oft unter Wassermangel und Hunger. Landschaftsformen auf der Karte wieder? 7
Madagaskar Antsiranana Nosy Be Straße von Mosambik Masoala Regenwald Mahadjanga R Ts i n g y Karstgebiet Ile Sainte-Marie A Alaotra-See K S Toamasina A Antananarivo G Antsirabe A d lan D cho Indischer Ozean s H A ale M ntr Fianarantsoa Ze Ambalavao Ihosy Isalo Gebirge Ilakaka Ranotsara Toliara Amboasary Ifotaka Tolanaro (Fort Dauphin) 8
Insel der Seefahrer Von Piraten ... Erst vor 1.500 Jahren wurde Madagaskar von Menschen besiedelt. Sie erreichten die Insel über das Meer. Malaien, Afrikaner und Araber haben sich auf der Insel angesiedelt. Vor 500 Jahren entdeckten die Europäer Madagaskar. Ihre Handelswege nach Indien verliefen ent- lang der Ostküste. Mit den Handelsschiffen kamen bald auch Seeräu- ber in die Region. Sie wurden zu den ersten europäischen Siedlern Madagaskars und ließen sich in den Felsbuchten des Nordens und auf der kleinen vorgelagerten Insel Sainte Marie nieder. Von hier aus kaperten sie reich beladene Handelsschiffe. Anfang des 18. Jahrhunderts sollen auf Sainte Marie bis zu 1.000 Piraten gelebt haben. Die Namen der berühmtesten von ihnen, William Kidd, „der Einäugige“, Henry Every, „der Erzpirat“, oder John Bowen, „der Wilde“, leben in den Erzählungen der Insel noch heute weiter. Auch die Bucht von Diégo-Suarez ganz im Norden galt als wichtiger Piratenunterschlupf. Hier soll einst die Piratenrepublik „Libertalia“ entstanden sein. Die Piraten von Madagaskar inspirierten schon Daniel Defoe und Robert Louis Stevenson zu ihren bis heute bekannten Büchern „Robinson Crusoe“ und „Die Schatzinsel“. Wenn ihr wollt, forscht mehr dazu! ... und anderen Eroberern Um den Seeräubern Einhalt zu gebieten, versuchten die Portugiesen, Holländer, Engländer und zuletzt die Franzosen, immer wieder die Küste Madagaskars zu erobern und Stützpunkte zu errich- ten. Doch die Bevölkerung leistete Widerstand. 1794 gründete sich das Königreich Madagaskar. Der erste König, Radama I., versuchte, einen Staat nach europäischem Vorbild aufzubauen. 1890 gelang es Frankreich nach blutigen Kämpfen in Madagaskar ein Protektorat zu etablieren. Die koloniale Ausbeutung des Landes begann. Die Franzosen bauten Straßen und Bahnlinien, gründe- ten Gewürz-, Kaffee-, Kakao- und Sisalplantagen, entdeckten Edelholz und Edelsteine und schiff- ten die Kolonialwaren nach Europa. Nach dem Zweiten Weltkrieg erhob sich Widerstand gegen Frankreich. 1960 erlangte Madagaskar die Unabhängigkeit und wurde eine Präsidialrepublik. Das Staatsoberhaupt ist der Präsident. Er wird alle fünf Jahre direkt von seinem Volk gewählt. Und heute? Die Republik Madagaskar hat bewegte politische Zeiten hinter sich – und vor sich. Kurz nach der Unabhängigkeit erlebte sie eine Militärherrschaft, die das Land in die wirtschaftliche Krise trieb, danach eine Zeit des Sozialismus. 1992 wurde die Verfassung neu gestaltet und unter den folgen- den Präsidenten gewann Madagaskar an politischer und wirtschaftlicher Stabilität. Doch die gesunkenen Weltmarktpreise für Vanille und die Liberalisierung des weltweiten Textilmarktes führ- ten 2005 zu einem herben Rückschlag. 2007 verabschiedete der amtierende Präsident Ravalo- manana einen fünfjährigen Aktionsplan, um die Armut und die dramatische Umweltzerstörung in Madagaskar zu bekämpfen. Doch die Unzufriedenheit mit dem Präsidenten wuchs. Korruption und Misswirtschaft wurden ihm vorgeworfen. Im März 2009 gelang dem Bürgermeister der Hauptstadt, Tipp für Leseratten: Andry Rajoelina, mithilfe des Militärs ein Putsch. Seitdem regiert er als Präsident einer nicht „Die Piraten von Liberta- demokratisch gewählten Übergangsregierung. Die internationale Gemeinschaft sanktioniert den lia“ heißt der 2009 neu Verfassungsbruch und fordert Neuwahlen. Rajoelina reagiert nicht. Madagaskar befindet sich in der erschienene Abenteuer- außenpolitischen und wirtschaftlichen Isolation. Vieles, was für Madagaskar wichtig ist – der Bau roman der Kinder- und von Schulen und Gesundheitsstationen, Umwelt- und Katastrophenschutz, Armutsbekämpfung – ist Jugendautorin Nasrin seitdem auf Eis gelegt. Siege. 9
Unser Schatz ist die Natur Einmalig und schützenswert Für Forscher und Wissenschaftler ist Madagaskar ein Traum! Warum? Madagaskar war einst Teil des Urkontinents Gondwanaland. Als dieser vor mehr als 150 Millionen Jahren auseinanderbrach und die heutigen Erdteile Afrika und Asien entstanden, blieb Madagaskar als kleines Bruchstück übrig. Die Insel hat so seit Jahrmillionen eine eigene Entwicklungsgeschichte. Etwa 85 Prozent der in Die lustigsten Lemuren Madagaskar lebenden Tier- und Pflanzenarten sind endemisch, das heißt, es gibt sie an keinem sind die Sifaka. Ihre seit- anderen Ort der Welt! Zum Beispiel viele der auf Madagaskar lebenden Chamäleon-Arten. Sie stam- lichen Sprünge sehen aus men noch aus der Dinosaurierzeit. Auf Madagaskar gibt es Chamäleons, die nur so groß werden wie wie beim Sackhüpfen. ein Fingernagel, andere, die bis zu 80 cm groß sind. Von Waldgeistern und Flugfüchsen In manchen Regionen Madagaskars trifft man auf fliegende Füchse. Das sind riesige Obst-Fleder- mäuse, deren Flügelspanne mehr als einen Meter ausmacht. Sie haben rotes, buschiges Fell. Ihre Jungen tragen sie wie Kängurus. Auch 92 Prozent der über 60 verschiedenen Schlangenarten gibt es nur auf Madagaskar. Keine davon ist giftig! Her- ausragend ist die Hundskopfboa – sie kann bis zu vier Meter lang werden. Das Wahrzeichen von Madagaskar allerdings sind die Lemuren. Das sind Halbaffen, Nachkommen der gemeinsamen Vorfah- ren von Menschen und Affen. Vor 60 Millionen Jahren waren Lemuren auch auf anderen Erdteilen verbreitet. Hier wurden sie durch die weiterentwi- ckelten Affen verdrängt. Nicht auf Madagaskar! Für viele Madagassen sind Lemuren heilig. Sie dürfen nicht getötet werden, weil sie nach tradi- tionellen Vorstellungen die Seelen der Verstorbe- nen tragen können – deshalb heißen sie auch Waldgeister. Für die Natur übernehmen sie eine wichtige Aufgabe: Mit ihrem Kot tragen sie Pflanzensamen weiter und sichern die Ausbreitung des Regenwaldes. Über 100 verschiedene Lemurenarten gibt es bei uns – die bekannteste ist der Katta mit seinem schwarz-weiß gestreiften Schwanz. Die lustigsten Lemuren sind die Larvensifaka, kurz Sifaka. Sie können in den Bäumen bis zu zehn Meter weit springen und aufrecht stehend auf den Hinterbeinen laufen – ihre seitlichen Sprünge sehen aus wie beim Sackhüpfen. Die Wälder, in denen die einzigartigen Tiere Madagaskars leben, werden immer weniger. Die Bevöl- kerung zerstört sie, um den Bedarf an Feldern, Weideplätzen und Feuerholz zu decken und illegal Edelhölzer zu schlagen. Die Regierung hat zwar zwei Drittel der heute noch verbliebenen Waldge- biete unter Naturschutz gestellt, doch noch fehlt es an ausgebildeten Fachleuten und Aufklärungs- programmen für die Bevölkerung. Mit dem Wald geht der Lebensraum vieler Tiere und Pflanzen unwiederbringlich verloren und nicht zuletzt die Lebensgrundlage der Madagassen. 10
Baobab – der ungewöhnlichste Baum der Insel Tipp: Viele Tiere Mada- Auch die Pflanzen haben sich auf gaskars sind auch in einzigartige Weise in Madagaskar deutschen Zoos zu sehen. entwickelt und sich den unter- Der Kölner Zoo hat ein schiedlichen klimatischen Ver- Madagaskar-Haus. Auch hältnissen angepasst. Im Hoch- das Tropenaquarium in land wachsen kälteresistente Hagenbecks Tierpark in Pflanzen, im tiefen Süden Pflan- Hamburg dreht sich rund zen, die sich wirksam vor Hitze um die Tierwelt Madagas- schützen und Wasser speichern kars. Vielleicht habt ihr können. Zum Beispiel der Bao- die Möglichkeit zu einem b a b, a uc h A f f e n b ro t b a u m Besuch? genannt. Statt aus Holz besteht sein Inneres aus Fasern, die Was- ser speichern. Diese Wasserreserven helfen dem Baum und den Menschen, die Trockenzeit zu überstehen. Baobabs können einen Umfang von sieben Metern haben und bis zu 30 Meter hoch werden. Manche sind bis zu 1.000 Jahre alt. Die Menschen im trockenen Süden und Westen ver- wenden ihn auf vielfältige Weise. Die Triebe und Blätter dienen als Salat. Die Samen, in Wasser eingelegt, ergeben eine süße Milch, geröstet kann man aus ihnen Kaffee brauen. Die Fasern des Baobab schenken Wasser, aus ihnen kann aber auch Kleidung, Klebstoff, Medizin und sogar Mate- rial zum Dachdecken gewonnen werden. Und manche erstellen aus Baobabrinde sogar Seife. Für viele ist der Baobab ein heiliger Baum. Seine Anwesenheit gilt als gutes Omen. Schwarzes Gold Madagaskar riecht gut. Denn Madagaskar ist das Land der Gewürze. Wenn ihr Vanille einkauft, um Kuchen oder Pudding zu machen, kommt diese mit großer Wahrscheinlichkeit aus Madagaskar. Vanille ist neben Kaffee, Sisal, Zucker und Bergbauprodukten das Hauptausfuhrprodukt, das „schwarze Gold“ Madagaskars. Eigentlich ist die Vanille ein Blütens- tengel und gehört zur Familie der Orchideen. Wenn Vanille- schoten geerntet werden, sind sie grün. Trocknen sie, wer- den sie schwarz. Genauso ist es mit Pfeffer. Pfeffer ist eine Schlingpflanze. Die Beeren sind nur deshalb schwarz, grün oder rot, weil sie zu unterschiedlichen Reifezeiten geerntet werden. Unreif sind die Beeren grün, werden sie getrocknet, färben sie sich schwarz. Lässt man die Beeren reifen, hat man roten Pfeffer, und entfernt man von diesem die Schale, gewinnt man weiße Pfefferkörner, die mildeste aller Pfeffer- sorten. Nelken dagegen wachsen auf dem immergrünen Nel- kenbaum, der vom Holz bis über die Blätter nach Nelkenöl riecht. Natürlich kocht man in Madagaskar mit all diesen Gewürzen. Mehr spannende Informationen rund um die Tier- und Pflanzenwelt Madagaskars findet ihr auf der Internetseite des World Wildlife Fund for Nature: www.wwf.de. 11
Land der vielen Gesichter So vielfältig wie die Natur sind auch die Menschen von Madagaskar. Im Landesinneren haben die Leute asiatische Gesichtszüge – wie Elia und ich. An den Küsten wohnen afrikanisch und arabisch aussehende Familien, weil sich auf Madagaskar über Jahrhunderte hinweg Menschen aus unter- schiedlichen Ländern Südostasiens und Afrikas niedergelassen haben. Heute unterscheidet man 18 Bevölkerungsgruppen. Wir teilen die gleiche Sprache, die gleiche Kultur und viele gemeinsame Traditionen. Wir zum Beispiel gehören zur Volksgruppe der Merina, das heißt „die vom Land, von dem aus man die Ferne sehen kann“, denn die Merina bewohnen die Hochebene Madagaskars rund um die Hauptstadt Antananarivo. Die Antaimoro („die, die an der Küste leben“) siedeln an der Unsere madagassischen Ostküste. Sie verfügen über ein großes Wissen über Pflanzenmedizin, Astrologie und Magie und Namen haben immer eine sind noch heute angesehene Heiler. Die Bara sind ein Hirtenvolk in der südlichen Hochebene und Bedeutung: Mein Name die Antandroy bewohnen das Dornenland. Der Lebensmittelpunkt der Bara sind die Rinder. Schon Misoa, zum Beispiel, ist kleine Kinder unter ihnen üben das „Rinderstehlen“, eine Art Volkssport. Und ihr? Ihr seid die die Abkürzung von Mami- Vazaha – die hellhäutigen Ausländer. soa – das heißt „süßes Glück“. Wir sprechen in Bildern Unsere Sprache ist Malagasy. Sie hat ihre Wurzeln im Indonesischen und benutzt viele Bilder. Sonne, zum Beispiel, heißt auf Malagasy „Auge des Himmels“, und Heimat heißt „Land der Ahnen“. Viele Kinder haben einen madagassischen und einen französischen Namen. Weltmeister im Reisessen Als Erstes kamen Menschen aus Indonesien nach Madagaskar. Sie brachten den Reisanbau und den Glauben an die Ahnen mit auf unsere Insel. Dort, wo es der Boden und der Regen erlauben, ist Madagaskar heute über und über mit Reisfeldern bedeckt. Wir sind sogar Weltmeister im Reisessen und verbrauchen mehr davon als die Chinesen, jeder von uns 130 kg im Jahr! In Madagaskar gibt es Reis zum Frühstück, zum Mittagessen und zum Abendessen – mal als Brei, mal als Reisbällchen, gekocht oder frittiert. Wir mischen ihn mit verschiedenen süßen und salzigen Soßen, mit Gemüse oder Fleisch – deshalb wird es nie langweilig. Drei Viertel der Bevölkerung leben in Madagaskar von der Landwirtschaft. Auf fast der Hälfte aller Äcker wird Reis angebaut und dennoch reicht er nicht, um den Reisbedarf aller Madagassen zu decken. Der Staat muss Reis importieren und das ist teuer. 12
Das Zeburind – Unser Symbol für Reichtum Die afrikanischen Einwanderer brachten die Tradition der Rinderzucht nach Madagaskar. Die Rinder hier sehen anders aus als in Deutschland. Es sind Buckelrinder. Wir nennen sie Zebu. Heute spielt das Zeburind in der Kultur Madagaskars eine große Rolle: Es ist ein Zeichen für Reichtum, es bringt Glück und Wohlstand – das gilt besonders im Westen und Süden des Landes. Wer hier viele Zebu- rinder besitzt, ist ein bedeutender Mann. Stirbt er, wird sein Grab mit den Hörnern seiner Zebu- rinder geschmückt. So können auch die Nachfahren sehen, wie wohlhabend er war. Zeburinder sieht man in Madagaskar überall. Sie brauchen viel Platz und Weideland. Das ist nicht einfach, denn Zeburinder gibt es heute in Madagaskar etwa genauso viele wie Einwohner – also über 20 Millionen. Neben Zeburindern sind Zie- gen für Familien in Madagas- kar wichtige Nutztiere. Sie geben Milch und Fleisch und können auch auf trockenen Weiden überleben. 13
Wie die Ahnen das Leben in Madagaskar prägen Christentum und Ahnenkult gehören bei uns zusammen Viele Madagassen (45 Prozent) haben im Laufe der Jahrhunderte eine christliche Religion ange- Wir selber glauben nicht nommen. Wir zum Beispiel wurden evangelisch erzogen. Die arabisch geprägte Bevölkerung (fünf an den Einfluss der Prozent) praktiziert den Islam. Egal ob christlich oder islamisch – für mehr als die Hälfte der Ahnen, aber unsere Groß- Madagassen spielt der Glaube an die Ahnen und den madagassischen Schöpfergott Zanahary eine mutter. Sie hat uns viel wichtige Rolle. Die Toten beeinflussen nach traditionellen Vorstellungen das Schicksal der Leben- von den traditionellen den – positiv oder auch negativ – und setzen sich bei dem Schöpfergott für die Belange der Men- Bräuchen erzählt. schen ein. Deshalb ist es wichtig, die Ahnen gut zu behandeln und sie zu ehren. Wer einen Fried- hof in Madagaskar besucht, wird sich wundern: Die Grabstätten für die Toten sind oft größer und schöner gebaut als die Häuser der Lebenden. Und es gibt viele Feste und Rituale, um die Toten zu ehren und in den Alltag mit einzubeziehen. Famadihana – die Totenumbettung Das Wichtigste dieser Feste ist die Totenumbettung – die Famadihana. Wird ein Familienmitglied schwer krank oder möchte man die Ahnen aus einem anderen Grund um Hilfe bitten, wird die Verwandtschaft aus dem ganzen Land zusammengetrommelt. Das sind oft über 150 Personen. Un- ter Beisein eines traditionellen Heilers, dem Mpanandro, wird das Grab der Ahnen geöffnet. Die Gebeine der Toten werden in kostbare Seidentücher gehüllt und in einer großen Prozession mit Musik und Tanz durch das Dorf getragen. Man erzählt ihnen von den Sorgen, Ängsten und Wün- schen, zeigt ihnen die neuen Familienmitglieder und trägt sie, begleitet von vielen Ritualen, in ihre Grabstätte zurück. Um die Anwesenden zu verpflegen und um die Ahnen zu ehren, werden bei dem Fest viele Zeburinder geschlachtet. Eine Umbettung kann eine Familie ein ganzes Jahresein- kommen kosten, aber vielen Familien ist sie es wert, in der Hoffnung, dass sich die Ahnen für sie einsetzen. Zur Verehrung der Ahnen gehört es auch, be stimmte Verhaltensregeln einzuhalten, heilige Orte nicht zu betreten, bestimmte Dinge nicht zu essen oder nicht auszusprechen. Diese In jedem Haus auf Madagas- Tabus nennen wir Fady. Lemuren und Schlangen – insbesondere die Boa – gelten an vielen Orten kar haben auch die Ahnen als heilig und können die Seele der Ahnen tragen. Deshalb ist es Fady, ein Tabu, sie zu jagen oder einen für sie vorgesehenen gar zu töten. Das Gleiche gilt für Krokodile. Platz. Mora-Mora – langsam, langsam – ist in Madagaskar ein wichtiger Grundsatz, deutsche Hektik oder Ungeduld sind fast schon ein Tabu. 14
Insel der Kinder Madagaskar ist das Land der Kinder, der Zaza! Fast die Hälfte der Bevölkerung ist unter 15 Jahre alt. Fünf oder sechs Geschwister zu haben, ist in Madagaskar normal. Alte Menschen dagegen gibt es wenige. Die durchschnittliche Lebenserwartung in Madagaskar liegt bei 60 Jahren. In Deutsch- land werden die Menschen im Durchschnitt 18 Jahre älter. Leben in der Stadt – Leben auf dem Land Das Leben der Kinder in Madagaskar ist sehr unterschiedlich – abhängig davon, wie reich ihre Eltern sind, ob diese selbst lesen und schreiben können, ob sie es sich leisten können, ihre Kinder in die Schule zu schicken, oder ob diese zuhause oder beim Geldverdienen helfen müssen. Antananarivo Elia und ich haben den Großteil unserer Kindheit in der Hauptstadt Antananarivo verbracht – wir nennen sie Tana. In Tana leben manche Menschen ganz ähnlich wie in Deutschland. Es gibt große Firmen, eine Textilindustrie, es gibt Schulen, eine Universität, Supermärkte, Kinos, Restaurants, Fußballvereine und Internet-Cafés. Die sind für uns besonders wichtig. Nur deshalb können wir mit unseren Freunden in Tana Kontakt halten. Alle sind bei Facebook, wir mailen und chatten, wenn wir können. Und doch ist das Leben in Tana anders, weil ein Großteil der Bevölkerung extrem arm ist. 75 Prozent verdienen nicht mehr als 2.500 Ariary, das ist etwa ein Euro am Tag. Neben Autos beherrschen Fahrräder, Ochsenkarren und Pousse-Pousse, so heißen unsere Rikschas, die Straßen. Tana ist eine lebendige Stadt, überall gibt es Händler und Marktstände. Andere wichtige Städte der Insel sind die Hafenstadt Toamasina, Hier seht ihr uns bei einem die Universitätsstadt Fianarantsoa Besuch unserer Cousinen und oder Antsirabe, die Stadt der Salz- Cousins in Antsirabe, meiner therme. Geburtsstadt. 15
Leben auf dem Land 80 Prozent der Bevölkerung Madagaskars lebt auf dem Land. Die Straßen in Madagaskar sind nicht mit denen in Deutschland zu vergleichen. In Madagaskar sind nur die Hauptverkehrsstraßen geteert. Wenn es viel regnet, werden die normalen Straßen zu Schlammrutschen und viele von ihnen unpassierbar. Deshalb sind Dörfer oft nur schwer erreichbar und bei Regen von der Außen- welt abgeschnitten. In den meisten Dörfern gibt es keinen Strom und kein fließendes Wasser. Die Häuser sind aus Lehm oder Holz gebaut und ihre Dächer werden mit Blättern, Palmen oder Stroh Als wir nach Deutschland gedeckt. Abgesehen von Plantagen gibt es auf dem Land kaum Industrie und fast keine Arbeits- kamen, waren es die plätze. Die Menschen leben von dem, was sie selbst pflanzen und ernten. In vielen Regionen Sauberkeit und die Madagaskars – vor allem im trockenen Süden und Westen – reicht das gerade zum Überleben. Geschwindigkeit auf den Bleibt der Regen aus – wie oft in den letzten Jahren – leiden die Familien Hunger. Wird jemand Autobahnen, die uns krank und braucht teure Medizin oder soll ein Kind zur Schule gehen, bleibt dafür kein Geld. überwältigten. Schule ist Luxus Auf dem Land gibt es nur wenige Schulen. Oft laufen Kinder mehrere Stunden bis zur nächsten Schule. Die staatliche Grundschule in Madagaskar dauert fünf Jahre. Seit sie kostenlos ist, werden 80 Prozent der Kinder eingeschult, doch nur zwölf Prozent von ihnen gehen volle fünf Jahre zur Schule. Viele brechen vorher ab, weil sie zuhause gebraucht werden. Die weiterführende Schule besuchen nur sieben von 100 Kindern. Ein Drittel der Erwachsenen kann nicht lesen und schreiben. 16
Madagaskar: Eines der ärmsten Länder der Welt Madagaskar ist ein Paradies, und doch zählt es zu den ärmsten Ländern der Welt. Durchschnittlich verdienen die Menschen in Madagaskar nicht mehr als 850 Euro pro Jahr. Die Weltbank zählt Madagaskar des- halb zu den 15 ärmsten Ländern der Welt. Doch das Einkommen ist ungleich verteilt. Über 66 Prozent der Bevölkerung lebt in absoluter Armut und verdient weniger als einen Euro am Tag! Das reicht bei Weitem nicht, wenn allein ein Kilo Reis auf dem Markt schon 50 Cent kostet. 80 Prozent der Armen leben auf dem Land von dem, was sie anbauen. In der Regenzeit eines Jahres verschlechtert sich ihre Situation. Überschwemmungen, Zyklone, Schädlinge und darauf folgende lange Dürreperioden vermindern die Ernten so stark, dass Teile des Landes auf internationale Nahrungsmittelhilfe angewiesen sind. Fast die Hälfte der Kinder auf dem Land ist fehl- oder unterernährt. Ein unterernährter Körper kann sich nur schlecht gegen Krank- heiten schützen: In Madagaskar sterben jeden Tag etwa 160 Kinder an vermeidbaren Krankheiten wie Durchfall, Malaria und Atemwegsinfektionen. 2007 verabschiedete die Regierung einen Fünf- jahresplan zur nationalen Armutsbekämpfung, die neben mehr Bildung und Gesundheitseinrichtun- gen unter anderem ein höheres Wirtschaftswachstum vorsieht. Warum ist Madagaskar trotz seines kulturellen und natürlichen Reichtums so arm? Gründe dafür gibt es viele. Einer ist zum Beispiel die starke Verpflichtung der Madagassen gegen- über ihren Familienangehörigen. Wer immer an der Macht ist, ist nach traditionellen Vorstellungen verpflichtet, seine Familie daran teilhaben zu lassen. Korruption und Vetternwirtschaft in der politischen und wirtschaftlichen Führungsschicht sind deshalb ein großes Problem. Auch die kolo- niale Vergangenheit hat Spuren hinterlassen. Wie fast alle ehemaligen Kolonien lebt Madagaskar auch nach seiner Unabhängigkeit primär von der Ausfuhr seiner kostbaren Rohstoffe. Würde das Land seine Rohstoffe nicht verkaufen, sondern selbst zu Produkten verarbeiten, könnte es mehr daran verdienen und im eigenen Land Arbeitsplätze schaffen. Für den Aufbau einer produzierenden Industrie fehlt Madagaskar jedoch bisher das Geld. Das Gleiche gilt für andere Formen der Infra- struktur: In Madagaskar fehlt es an Straßen, die den Warenaustausch zwischen allen Landesteile erleichtern, es fehlt an Schulen und an Krankenhäusern. Zusätzlich befindet sich das Land in einem nur schwer zu durchbrechenden Teufelskreis aus Bevöl- kerungswachstum, Umweltzerstörung und Klimawandel: Armut Klimawandel Bevölkerungswachstum Umweltzerstörung 17
Wie Bevölkerungswachstum, Umwelt und Klima zusammenhängen Bevölkerungswachstum Madagaskars Bevölkerung wächst so schnell wie in kaum einem anderen Land Afrikas. Allein in den letzten 30 Jahren hat sich die Bevölkerung verdreifacht! 20 Millionen Menschen leben heute in Madagaskar, jedes Jahr steigt ihre Anzahl um drei Prozent. Mehr Menschen brauchen mehr Platz, denn in Madagaskar leben bisher 80 Prozent der Menschen ausschließlich von der Landwirtschaft. Solange sie ihren Lebensunterhalt nicht anders verdienen können, brauchen sie mehr Anbau- und Weideflächen, mehr Wasser und mehr Holz, denn Holz ist derzeit die nahezu einzige Energiequelle im Land. Aus diesem Grund rodet die verarmte Bevölkerung den Regenwald. Die Umwelt wird zerstört 7 BRANDRODUNG: Mehr als 90 Prozent des ursprünglichen Waldes Madagaskars haben sich unter dem wachsenden Druck der Bevöl- kerung in Rauch aufgelöst. 120.000 Hektar Wald verliert Madagas- kar im Jahr an den traditionellen Wanderfeldbau, das unkontrol- lierte Abbrennen von Weideland für Millionen von Rindern, an den Nutzholzeinschlag und die weit verbreitete Holzkohleherstellung, die vielen armen Bauern ein zweites Einkommen ermöglicht. Gelingt es nicht, die Waldzerstörung aufzuhalten, wird es in 40 Jahren auf Madagaskar keinen Wald mehr geben. Doch der Wald ist ein wichtiger Lebensraum, nicht nur für Tiere und Pflanzen, sondern vor allem für den Menschen. Dort, wo Wald ist, verhin- dern die Pflanzen das Abtragen und Auslaugen der Böden durch 18
Sonne, Wind und Starkregen. Der Wald dient den Menschen als wichtiger Wasserspeicher und Luftfilter und nicht zuletzt als Schutz vor Naturgewalten, die Madagaskar jedes Jahr ereilen. 7 WANDERFELDBAU: Beim Wanderfeldbau bewirtschaften Bauern ein Feld ein bis drei Jahre lang und verlangen dem Boden alles ab, was er ohne Pflege geben kann. Danach lassen sie das Feld eine Zeit lang brachliegen und bestellen ein anderes Stück Land. Dazu brennen sie die gewach- sene Vegetation ab und nutzen die Asche als Dünger. Früher, als noch nicht so viele Menschen auf Madagaskar wohnten, konnte die Natur diese Form der Landwirtschaft verkraften. Heute werden die Rotationszyklen aufgrund von Landmangel immer kürzer. Die Böden können sich nicht mehr erholen. Sie werden unfruchtbar und zu trockener Grassavanne. Das Einführen neuer, nachhaltigerer Anbaumethoden kann helfen, aber Gewohnheiten zu ändern, braucht Zeit. 7 BODENSCHWUND: Die traditionelle Form der Landnutzung lässt jedes Jahr 25 Prozent der Äcker und Weiden Madagaskars in Flammen stehen. Durch die Hitze verbackt der Boden zu einer sterilen, erosionsanfälligen Kruste, die kein Wasser aufnehmen kann. Der Grundwasserspiegel sinkt. Kommt starker Regen, frisst dieser tiefe Wunden in den Boden. Lavaka – Löcher – nennen die Madagassen die Erosionskrater von gigantischer Größe. Jedes Jahr schwemmt der Regen Tonnen des roten Lehmbodens entlang der Lavaka in die Flüsse bis zum Meer. Dieser Boden- schwund raubt Madagaskar die landwirtschaftlichen Entwicklungsmöglichkeiten und führt zur weiteren Verarmung der Bevölkerung. Wo der Lehmboden in das Meer geschwemmt wird, legt er sich auf die Korallenriffe. Sie sterben und können Fischen nicht mehr als Brutstätte dienen. 0 1985 verabschiedete die Regierung Madagaskars gemeinsam mit der Weltbank einen natio- nalen Umweltaktionsplan. Zwei Drittel des noch verbliebenen Waldes wurden zu Naturschutz- gebieten erklärt, Abholzung ist offiziell verboten. Erosionsschutz, Forstwirtschaft und die Schulung der Bevölkerung in Natur- und Umweltschutz stehen auf dem Programm. In Schulen wurde das Fach „Umwelterziehung“ eingeführt. Viele Akteure arbeiten jetzt gemeinsam daran, den Wald und die Böden von Madagaskar zu retten – auch wenn die aktuelle politische Situ- ation diese Arbeit erschwert. 19
Klimawandel Das Klima Madagaskars verändert sich. Das hat zwei Gründe: Dort, wo im Land Regenwald gerodet wurde, steigt auch die Temperatur der Luft und der Erde an. Der Boden vertrocknet, weniger Wasser verdunstet und kann als Regen im Süden des Landes den Wasser- kreislauf aufrechterhalten. Madagaskar wird trockener und heißer. Als wäre dies nicht genug, bekommt Madagaskar zusätzlich wie kaum ein anderes Land schon heute die Auswirkungen des großen, welt- weiten Klimawandels zu spüren. Denn Bevölkerungswachstum und Umweltzerstörung sind nicht nur Probleme von Madagaskar. Sie betreffen die ganze Welt und führen dazu, dass sich unser Weltklima erwärmt. Der so genannte „globale Klimawandel“ wirkt sich je nach Kontinent und Region unterschiedlich aus. Während wir von ihm in Deutschland bisher nur wenig zu spüren bekommen, zeigt er sich in Afrika und besonders in Madagaskar mit ganzer Macht. Das größte Problem ist die Zunahme von Wetterextremen: 7 ZYKLONE: Jedes Jahr zwischen Dezember und April treffen Zyk- lone, heftige tropische Wirbelstürme, auf die Küsten Madagas- kars. Sie lösen Sturmfluten und Überschwemmungen aus und kosten vielen Menschen das Leben. Im Zuge der weltweiten Kli- maerwärmung haben die Zyklone ihre Zerstörungskraft vergrö- ßert. Sie sind stärker geworden – mit dramatischen Konsequen- zen für die Bevölkerung. Allein 2007 erlebte Madagaskar sechs aufeinander folgende Zyklone, eine halbe Millionen Menschen verloren Häuser, Vieh und Ernten. 2008 folgten drei große Zyk- lone, 340.000 Menschen verloren ihr Zuhause. In beiden Jahren entstanden Schäden von insgesamt 335 Millionen Dollar, so schätzen Weltbank und UN-Organisationen. 7 DÜRREN UND STARKREGEN: Die Bauern von Madagaskar haben keine künstlichen Bewässerungssysteme für ihre Äcker, sie sind vom Regen abhängig. Seit vielen Generationen wissen sie, wann Regen- und Trockenzeit kommen, und wann es am besten ist, zu säen, Reisstecklinge zu pflanzen und die Ernte einzuholen. Doch mit der globalen Klimaerwärmung werden die Regenmuster cha- otisch und unvorhersehbar. Die Dürreperioden werden länger, und wenn Regen kommt, kommt er mit solcher Macht, dass er alles überschwemmt. Im Süden erleben die Madagassen nun schon das dritte Dürrejahr in Folge. 7 ERWÄRMUNG DER MEERE: Nicht nur die Luft, auch die Meere werden wärmer. Das betrifft beson- ders den Indischen Ozean und den Südpazifik. Warmes Wasser dehnt sich aus und braucht mehr Platz: Deshalb ist der Meeresspiegel um Madagaskar gestiegen. In den Küstenregionen siedeln viele Menschen in Gebieten, die jetzt von Überschwemmung bedroht sind. Das wärmere Wasser stört auch die empfindlichen Korallen vor Madagaskar beim Wachstum. Diese sind die Kinder- stube für die hier vorhandenen Fische. Je mehr Korallen sterben, desto weniger Fisch bleibt der Bevölkerung. 20
Quelle: Eine Welt in der Schule, Germanwatch 21
Leben mit dem Klimawandel: Sechs Kinder berichten Rosaline Ich heiße Rosaline und möchte euch von einem gar nicht glücklichen Tag erzählen. Wir verloren unser Zuhause. Wir wohnen in Ankobahoba auf der Insel Sainte Marie. Wir hatten kein Radio, deshalb wussten wir nicht, dass ein Wirbelsturm naht. Alles kam sehr plötzlich, mitten in der Nacht. Unsere Mutter schrie, wir sollten aufwachen und nach draußen rennen. Wind und Regen zerrten am Dach unseres Hauses, bis es weggerissen wurde. Als wir draußen waren, fiel alles in sich zusammen. Nur wenige Häuser im Dorf haben dem Sturm standgehal- ten. Auch die Felder wurden verwüstet, die Vanillepflanzen, die Nel- ken und die Hühner sind einfach davongeweht. Wir wurden bei Nach- barn untergebracht, bis die Männer im Dorf Haus für Haus wiederaufgebaut haben. Zu Essen hatten wir in den ersten Tagen kaum. Innerhalb einer Nacht stieg der Preis für Reis im Dorf von 1.000 Ariary auf 1.600 Ariary. Aber Geld hatten wir sowieso nicht. Wir sammelten vom Sturm heruntergefallene Früchte des Brotfruchtbaums, später dann Wurzeln – bis Hilfe kam und Reis verteilt wurde. Unser Dorf hat so einen Sturm noch nie erlebt. Unsere Fami- lie wohnt seit vielen Generationen hier, die Häuser wurden bis zu diesem Tag nie zerstört. Meine Mutter sagt, das ist der Klimawandel. Mithilfe von CARE haben mein Vater und andere Männer im Dorf ein Katastrophenschutz-Team gegründet. Sie beobachten den Wasserstand, bauen ein sturm- sicheres Gemeinschaftshaus und schmieden Evakuierungs- und Versorgungspläne für den nächsten Sturm. Auch ein Radio haben wir jetzt. Es ist für uns sehr wichtig geworden. Und Spaß macht Radio hören natürlich auch. Trotzdem, wenn die Sturmsaison im Januar beginnt, habe ich Angst. 22
Frédéric Ich heiße Frédéric. Ich habe fünf jüngere Geschwister und wohne in Tana, der Hauptstadt unserer Insel – genauer im Vorort Andohatapenaka. Andohatapenaka liegt im Tal in der Nähe des Flussdel- tas. Als ich klein war, sind wir vom Land hierher gezogen. Wie viele. Hier ist es billig, eine Hütte zu bekommen, denn jedes Jahr, wenn die Zyklone und der Regen kommen, wird das Viertel über- schwemmt. Jedes Jahr ein bisschen mehr. Eigentlich wollten meine Eltern in Tana Arbeit finden, aber das ist nicht leicht. Deshalb gehen wir jeden Tag zusammen auf die Müllhalden. Hier sammeln wir, was verwertbar ist. Für das, was wir finden, bekommen wir an der Sammelstelle Geld, an manchen Tagen bis zu 2.000 Ariary. Manche Sachen – Kronkorken, Dosen, Gummilatschen – behalten wir. Wir bauen daraus Spielzeug für uns und unsere Freunde. An guten Tagen verkaufen wir sogar eins. Mein wichtigster Gegenstand ist mein Drachen. Ich hab ihn selbst gebaut. Immer wenn ich kann, lasse ich ihn auf dem Hügel hinter unserem Viertel fliegen. Der Hügel ist unser zweites Zuhause, hier bleiben wir viele Tage, wenn mit den Zyklonen die Überschwemmun- gen kommen, und warten, bis das Wasser wie- der fort ist. Dann räumen wir mit allen Nach- barn die Straßen und Häuser frei. Immer wieder neu. Meine Mutter träumt davon, eines Tages genug Geld zu haben, um eine Hütte auf dem Hügel zu mieten. Wenn ich älter bin, werde ich eine bessere Arbeit finden und ihr dabei helfen. 23
Soaniry Ich heiße Soaniry und bin 15 Jahre alt. Ich komme aus einem kleinen Dorf in der Nähe von Ifotaka. Mein Tag beginnt früh um fünf Uhr morgens. Als Erstes zünde ich die Holzkohle im Fatampera an, das ist ein tragbarer Blechofen, auf dem wir kochen. Ich hole Wasser und koche Reisbrei für das Frühstück. Dann wecke ich meine Geschwister. Meine kleinen Brüder müssen um acht Uhr in der Schule sein. Meine Schwestern und ich gehen nicht zur Schule, aber abends zeigen mir die Kleinen, was sie gelernt haben. Sie zeigen mir, wie lesen geht, und ich übe mit ihnen. Nach dem Frühstück arbeite ich auf dem Feld oder in unserem Küchengarten. Mein wichtigster Gegenstand ist mein Spaten, ich brauche ihn zum Umgraben und Unkraut jäten. Wir haben Glück: Unser Feld liegt nicht weit vom Fluss Mandrare. Es ist der einzige Fluss, der in dieser Zeit noch ein bisschen Wasser hat, alle anderen sind ausgedörrt. Schuld ist die Dürre. Früher kamen Dürren wie heute nur alle zehn Jahre, sagt Großmutter. Dann kamen sie alle fünf Jahre. Jetzt kommt sie jedes Jahr. Deshalb wird unsere Ernte von Jahr zu Jahr schlechter. Sie reicht nicht, um uns zu ernähren. Viele Leute im Dorf sind auf Hilfe angewiesen. Seit zwei Jahren arbeitet mein Vater in den Sisalplantagen bei Amboasary. Nur deshalb konnten wir uns Saatgut für die nächste Ernte leisten. Früher haben wir nur Reis angebaut, aber die Trockenheit zerstört die Pflanzen. Einige Bauern im Dorf haben bei CARE eine Schulung gemacht und Saatgut für Reis und andere Gemüsearten mitgebracht, das der Tro- ckenheit besser standhält. Jetzt bauen wir neben Reis auch Hirse, Maniok, Süßkartoffeln, Bohnen und andere Gemü- searten an. Ich hoffe, dass wir bald wieder so viel ernten können, dass unser Vater nicht mehr in die Plantagen muss. Dann sind wir wieder eine richtige Familie. 24
Silemeke Ich heiße Silemeke. Ich wohne bei Amboasary. Ich bin 8 Jahre alt. Seit ich klein bin, bin ich für das Holzsuchen zuständig. Mein Onkel ist Köhler geworden, weil die Felder nicht mehr genug Ernte bringen. Er brennt das Holz, das ich finde, in seinem Lehmofen zu Holzkohle. Dann verkaufen wir es an der Nationalstraße 10. Wir suchen uns einen Platz, wo besonders viele Schlaglöcher sind – da fahren die Autos langsam und wir verkaufen besser. Jeder braucht hier Holzkohle zum Kochen. Großvater hat erzählt, dass es früher überall Holz gab. Aber das ist lange her. Heute ist es schwer, gutes Brennholz zu finden, und manchmal sogar gefährlich. Oft laufen wir über drei Stunden, bis wir geeignetes Brennholz finden. Wir dürfen nur die Zweige nehmen, die auf dem Boden liegen und offiziell keine Büsche oder Äste mehr schlagen, damit die wenigen Bäume im Umland erhalten bleiben. Manche sind unfair und warten in einem Hinterhalt, bis wir mit gutem Holz nach Hause kommen. Dann versuchen sie, unser Holz zu klauen. Aber jetzt sind wir zu viert und gehen immer gemeinsam. Seitdem traut sich keiner mehr, uns anzugreifen. Das Holz, was ich sammle, bringt jeden Tag etwa 1.500 Ariary. Davon kann meine Mutter eine Tagesportion Reis für die ganze Fami- lie kaufen. Mein wichtigster Gegenstand? Das ist mein Messer, ich brauche es, um die Äste zum Tragen kleinzuschneiden. 25
Henintsoa Ich heiße Henintsoa und bin sehr glücklich, dass wir eine neue Schule haben. Alle aus dem Dorf haben mitge- baut und zur Einweihung gab es ein großes Fest mit Zebufleisch. Wir sind stolz auf unsere Schule, denn vorher haben wir lange unter freiem Himmel lernen müssen. Das ist mühsam, es wird sehr heiß und Schatten gibt es wenig. Was mit unserer alten Schule geschah? Termiten haben sie zerstört. Seit es in unserer Region kaum noch Pflanzen und Tiere gibt, haben Termiten keine natürlichen Feinde mehr. Sie sehen aus wie flie- gende Ameisen und zerfressen alles, was aus Holz ist. Gemeinsam mit CARE haben wir sie ver- jagt und ein neues Schulgebäude gebaut. Nicht nur wir Kinder, auch die Erwachsenen im Dorf lernen in der Schule lesen und schreiben – abends. Alle zusammen pflanzen wir Sträucher, damit sich hier wieder Tiere ansiedeln und Ter- miten keine Chance mehr haben. Einen Schulgar- ten haben wir auch. Hier wachsen Blumenkohl, Bohnen, Maniok und Süßkartoffeln, aber auch Bananen. Viele Eltern denken, Schule ist nicht so wichtig. Ein echter Madagasse muss Zebus hüten, den Spaten zur Feldarbeit bedienen und Fischen können, sagen sie. Doch die Zeiten ändern sich. Mein wichtigster Gegenstand? Das ist für mich meine Schiefertafel. Mit ihr übe ich zu schreiben. Das macht mir in der Schule am meisten Spaß. Ich will einmal Lehrer werden – denn wer viel weiß, kann etwas verändern. 26
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