Klimaschutz und Energiepreise: Deutschland auf dem Weg zur "Electric Society" - energie.de
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ZUKUNFTSFRAGEN Klimaschutz und Energiepreise: Deutschland auf dem Weg zur „Electric Society“ Knut Kübler Der Klimaschutz erfordert einen Umstieg auf erneuerbare Energien. Dadurch wird „Strom“ zum dominierenden Energieträger in Deutschland. Aus den Vorgaben der Bundesregierung kann man für die privaten Haushalte ableiten, dass der „Anteil Strom am Endenergieverbrauch“ von heute 20 % bis 2050 auf über 60 % wachsen soll. Viele wollen den Weg zu der „Electric Society“ durch günstige Strompreise erleichtern. Sie fordern eine Befreiung der Strompreise von Umlagen, Abgaben und Steuern. Wenig wird darüber geredet, dass damit Kosten der Energiewende „externalisiert“ werden. Künstlich niedrig gehaltene Strompreise verletzen eines der wichtigsten Grundgebote der Marktwirtschaft: „Preise sollen die Wahrheit sagen“. Die Bundesregierung hat sich ein „großes Ziel“ gesetzt: Klimaneutralität 2050. Was bedeutet das? Es ist vorteilhaft, sich dieser Frage zu- nächst grundsätzlich zu nähern. Man sagt: Ein Land arbeitet „klimaneutral“, wenn es gerade so viele Treibhausgase emittiert, wie die Natur absorbiert bzw. wie man durch Technik aus der Atmosphäre entnehmen kann. Es ist offen- sichtlich, dass diese Definition für praktische Überlegungen einigermaßen „unhandlich“ ist; es gibt zu viele Treibhausgase, zu viele Senken und schließlich auch sehr unterschiedliche Möglichkeiten, der Atmosphäre Treibhausgase zu entziehen. Solange die Übersetzung dieser komplexen Zusammenhänge für die praktische Politik noch weitgehend ungeklärt ist, scheint es gerechtfertigt, für den Bereich der Energie- versorgung von einem ganz einfachen Ver- ständnis auszugehen: Klimaneutralität 2050 bedeutet, dass ab 2050 in Deutschland keine Die Energiezukunft Deutschlands wird heute mehr und mehr durch die Erwartung einer „Electric Tonne Kohle, kein Liter Mineralöl und auch Society“ beschrieben Bild: Adobe Stock kein Kubikmeter Erdgas mehr verbrannt wer- den dürfen. Stattdessen soll die Versorgung mit Energie nur durch erneuerbare Energien am Beispiel einer Analyse für die privaten 14,1 % sowie die Fernwärme von 7,6 %. Und sichergestellt werden [1]. Haushalte nachspüren. schließlich deckt Strom, der zu einem wach- senden Anteil aus erneuerbaren Energie- So wie die Dinge liegen, werden dabei Wind- Energieverbrauch der privaten quellen stammt, fast 20 % des Endenergiever- energie und Sonne (mit Hilfe der Photovoltaik) Haushalte: 2019 und 2050 brauchs der Haushalte. die Hauptlast tragen müssen. Nun können Wind und Photovoltaik praktischerweise nur Der Energieverbrauch der privaten Haushalte Was können wir über den Energieverbrauch über Strom genutzt werden. Damit wird ver- in Deutschland lag im Jahr 2019 bei 2.399 PJ der privaten Haushalte im Jahr 2050 sagen? ständlich, warum die Energiezukunft Deutsch- und beträgt damit rund ein Drittel des gesam- Es ist bemerkenswert, dass der von der Bun- lands heute mehr und mehr durch die Er- ten Endenergieverbrauchs. Für unsere Ana- desregierung seit vielen Jahren gepflegte wartung einer „Electric Society“ beschrieben lyse ist vor allem die Struktur des Energiever- „Politikstil“ mit seiner kaum noch zu über- wird. brauchs der privaten Haushalte von Interesse. sehenden Anzahl quantitativer Zielsetzungen Die fossilen Energieträger (Kohle, Mineralöl, es auch Laien möglich macht, Abschätzungen Diese Perspektive wirft viele grundlegen- Erdgas) tragen mit rd. 60 % die Hauptlast der über 30 Jahre zu wagen, jedenfalls wenn man de Fragen auf. Interessant ist insbesondere, Versorgung. Die nach den Konventionen der die Texte liest und die Vorgaben der Bundes- welche Rahmenbedingungen bei den Ener- Statistik bei den „privaten Haushalten“ zu regierung für bare Münze nimmt (siehe dazu giepreisen erforderlich sind, damit der ange- verbuchenden erneuerbaren Energien, d. h. [2] und [3]). Wie einfach das geht, kann man strebte Übergang erfolgreich gestaltet werden Biomasse, Solarthermie, Geothermie und demonstrieren, indem man Schritt für Schritt kann. Dieser Frage wollen wir exemplarisch Umgebungswärme, leisten einen Beitrag von die politisch vorgegebenen bzw. mit etwas 18 ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 71. Jg. (2021) Heft 1/2
ZUKUNFTSFRAGEN ZUKUNFTSFRAGEN Für einen darüber hinausgehenden Einsatz Tab. 1: Endenergieverbrauch der privaten Haushalte von Wasserstoff zur Wärmeversorgung der 2019 Setzung 2050 2019/2050 privaten Haushalte besteht bis 2050 kaum PJ Anteil in % PJ Anteil in % Veränderung Potenzial. Der Wert dürfte in jedem Falle Kohle 14 0,6 0 0,0 -100 % so klein sein, dass es zur Vermeidung von Mineralöl 486 20,3 0 0,0 - 100 % Spekulationen gerechtfertigt erscheint, in Erdgas 926 38,6 0 0,0 - 100 % unserer Bilanz keine Angaben zum Einsatz Erneuerbare/Wärme 338 14,1 450 25,0 + 33 % von Wasserstoff zu machen. Fernwärme 183 7,6 200 11,1 +9% Q Jetzt ist nur noch über den Beitrag Wasserstoff - - - ? - von Strom in 2050 zu entscheiden. Hier ist Strom 451 18,8 1.150 63,9 + 155 % es sinnvoll, eine Abschätzung im Zusam- Summe 2.399 100,0 1.800 100,0 - 25 % menhang des insgesamt zu erwartenden Energieverbrauchs der privaten Haushalte energiewirtschaftlichem Sachverstand abzu- die Ergebnisse aktueller Studien hinzu, vorzunehmen. Auf diesem Gebiet haben schätzenden Verbrauchswerte für die einzel- kann man zu den folgenden Setzungen ge- wir es mit größeren Unsicherheiten zu tun. nen Energieträger in die Bilanz 2050 einträgt langen: Für die erneuerbaren Energien er- Vereinfacht wollen wir für unsere Analyse (Tab. 1): scheint ein Zuwachs bis 2050 um rd. 30 % unterstellen, dass der Energieverbrauch der möglich [4]. Bei der Fernwärme, die vor der privaten Haushalte in 2050 rd. 25 % unter Q Am einfachsten sind die Eintragungen nicht zu unterschätzenden Aufgabe steht, dem heutigen Wert liegt. Diese Festlegung bei den fossilen Energieträgern. Die Vorgabe in Zukunft auch klimaneutral zu arbeiten, liegt im Rahmen der politischen Vorgaben „Klimaneutralität 2050“ führt hier zu klaren kann man nach dem Urteil der Fachwelt und entspricht auch dem, was aktuelle Verhältnissen. Bei Kohle, Mineralöl und 2050 allenfalls geringfügig höhere Werte Studien auf diesem Gebiet erwarten [6]. Erdgas müssen in der Bilanz 2050 Eintra- erwarten [5]. Q Wer den Überlegungen bis hierher gungen mit dem Wert „Null“ stehen. Man Q Es gibt Erwartungen, dass bis 2050 gefolgt ist, kann nun sofort und ohne wei- kann nur staunen, aber mit einem Schlag ist zusätzlich zu den „klassischen Energieträ- tere Umstände den Wert für Strom in 2050 schon fast die Hälfte der Aufgabe erledigt. In gern“ auch sog. synthetisch hergestellte ermitteln. Ergebnis der Berechnung: Die der Bilanz sind drei von sieben festzulegen- Brennstoffe, insbesondere Wasserstoff, zur Bereitstellung von Strom muss gewaltig den Werten besetzt. Verfügung stehen. Es ist daher aus grund- zunehmen, von heute bis 2050 um 155 %. Q Auch bei den nächsten beiden Positio- sätzlichen Erwägungen sinnvoll, eine solche Dementsprechend müsste übrigens auch nen, den erneuerbaren Energien zur Bereit- Option mit zu bedenken. Allerdings ist der Ausbau bei Windkraft und Photovoltaik stellung von Wärme und der Fernwärme, absehbar, dass diese neuen Brennstoffe auf vorankommen, die ja im Wesentlichen die- sind Abschätzungen gut und relativ leicht absehbare Zeit nur in sehr begrenzten Men- sen zusätzlichen Strombedarf decken sollen. möglich. Orientiert man sich an den poli- gen zur Verfügung stehen und wenn, dann tischen Absichtserklärungen und nimmt vor allem in der Industrie benötigt werden. An dieser Stelle lohnt es sich, noch einmal auf die Energiebilanz 2050 zu schauen. Wir haben gelernt, dass die privaten Haushalte 80 in Zukunft nur noch die Wahl zwischen Erneuerbaren/Wärme, Fernwärme und Strom 70 Ziel: Klimaneutralität (und auf ganz lange Sicht vielleicht auch noch 60 * Wasserstoff) haben. Diese Energieträger ste- hen untereinander im Wettbewerb. Es spricht einiges dafür, dass es die erneuerbaren Ener- 50 gien und auch die Fernwärme schwer haben werden, sich gegen den aller Voraussicht nach 40 Deutschland übermächtig werdenden Wind- und PV-Strom Früheres zu behaupten. 30 Bundesgebiet 20 Ursache dafür ist eine Gesetzmäßigkeit, die mit der Formulierung „the winner takes it all“ 10 beschrieben wird. Der Anteil von Strom am Endenergieverbrauch könnte also noch deut- 0 lich größer als in unserem Beispielfall aus- 1960 1970 1980 1990 2000 2010 2020 2030 2040 2050 2060 fallen; es kann vielleicht sogar so sein, dass diejenigen Recht bekommen, die heute von der Abb. 1 Anteil Strom am Endenergieverbrauch der privaten Haushalte in % Vision einer „All Electric Society“ sprechen. Dass sich daraus ein neues Thema für die ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 71. Jg. (2021) Heft 1/2 19
ZUKUNFTSFRAGEN Wettbewerbspolitik ergeben wird, sei hier nur bei den im Raumwärmebereich zum Einsatz Die nun vorliegende Bestandsaufname führt am Rande erwähnt. In jedem Fall sollte man kommenden Technologien, bedürfen sog. direkt zu der Frage, was die Politik tun sollte, sich darauf vorbereiten, dass Energiepolitik „Heizkostenberechnungen“. Hier spielen neben um möglichst sicher zu sein, dass ihre poli- in Zukunft vor allem „Strompolitik“ bedeutet. den Energiekosten auch Kapitalkosten, War- tischen Vorgaben eingehalten werden. Eine tungskosten und andere Kosten eine Rolle. naheliegende Möglichkeit besteht darin, Ein- Energieverbrauch Das kann zu neuen Bewertungen führen. Inte- fluss auf die Verbraucherpreise zu nehmen. und Preissignale ressant ist insbesondere der Blick auf die Über Steuern oder andere Instrumente lassen wichtigste Konkurrenztechnologie zu den sich Mineralöl und Erdgas verteuern. Und Leser ahnen nach der Lektüre des ersten heute üblichen Heizsystemen auf Basis von durch Senkung von Abgaben und Steuern Abschnitts, dass die weitere Umsetzung der Heizöl und Erdgas – die elektrische Wärme- bzw. der Gewährung von Zuschüssen kann Energiewende keine leichte Übung wird. Das pumpe. Unter günstigen Bedingungen kann man Strom billiger machen. Auf diese Weise kann man noch besser durch den Blick auf die eine elektrische Wärmepumpe aus einer Kilo- verringert sich der Abstand der Preise zwi- Entwicklung eines Indikators verstehen, mit wattstunde Strom drei, vier oder auch mehr schen den fossilen Energieträgern und Strom. dessen Hilfe man die Position Deutschlands Kilowattstunden Nutzwärme bereitstellen. Je kleiner die Differenz, umso größer wird der auf dem Weg in die „Electric Society“ gut bele- Damit verliert der in der Abb. 2 angedeutete Anreiz für die Verbraucher, auf den Energie- gen kann; gemeint ist der Anteil von Strom am Preisvergleich ein wenig von seinem Schre- träger Strom umzusteigen. Endenergieverbrauch (Abb. 1). Zu Beginn der cken. Allerdings verschwindet der Schrecken 1960er Jahre lag der Anteil von Strom am End- nicht völlig, denn vieles hängt hier vom Ein- Leider hat die auf den ersten Blick so vorteil- energieverbrauch der Haushalte bei 5 % (alte zelfall ab. Es ist bekannt, dass die Wirtschaft- hafte Verbilligung von Strom einen Pferdefuß. Bundesländer). Bis zur Wiedervereinigung lichkeit einer Wärmepumpe in zentraler Weise Und dieser wird umso größer, je weiter man gab es einen Anstieg auf 15 %. In den dann durch dem Dämmstandard des Hauses und sich in Richtung des Jahres 2050 bewegt. folgenden Jahren ist der Anteilswert nur noch die Art des Heizverteilsystems (Fußboden- In einer Welt, in der Strom zum dominieren- geringfügig gewachsen. Seit dem Jahr 2000, heizung oder Radiatoren) bestimmt wird. den Energieträger geworden ist, verwandelt also seit 20 Jahren, liegt der Indikator stabil Das macht die Wärmepumpe vor allem für sich nämlich die politische Vorgabe einer Ver- zwischen 18 % und 20 %. Nun soll der Anteil Neubauten interessant. Bei den vielen unsa- ringerung des Energiebedarfs der privaten von Strom am Endenergieverbrauch der priva- nierten Gebäuden aus dem Baubestand sieht Haushalte unverhofft in eine Vorgabe zur Ver- ten Haushalte innerhalb von nur 30 Jahren (!) die Welt schon ganz anders aus. Diese Zusam- ringerung des Stromverbrauchs. Es ist offen- von 20 % auf über 60 % gesteigert werden; wie menhänge im Umfeld einer „Electric Society“ sichtlich, dass künstlich verbilligte Strompreise soll das gehen? und den vielen anderen Stromanwendungen nicht zu diesem Ziel passen. näher zu analysieren, ist interessant, müsste Diese Frage ist nicht leicht zu beantworten. sinnvollerweise aber im Rahmen eines eigen- Hinzu kommt ein weiteres: Die Bundesregie- Sicher aber ist, dass die Energiepreise eine ständigen Beitrags erfolgen. rung redet viel über den sog. ersten Grund- Rolle spielen werden. Wie ist hier die Aus- gangsposition? Auf dem Wärmemarkt beherr- schen heute Mineralöl und Erdgas das Feld. 35 Die Daten zeigen, dass Strom in keiner guten Wettbewerbsposition ist. Der Preisabstand 30 Strom zwischen den beiden marktbeherrschenden fossilen Energieträgern einerseits und Strom andererseits ist gewaltig (Abb. 2). Strom ist 25 heute mehr als viermal so teuer wie Heizöl und Erdgas. Besonders aufschlussreich ist 20 auch eine Analyse der längerfristigen Ent- wicklung. Von 2000 bis 2019 ist der Strom- preis für die privaten Haushalte real um mehr 15 als 60 % gestiegen; die realen Preise für Öl und Erdgas haben dagegen nur leicht zuge- 10 nommen. Mit anderen Worten: Die Wettbe- Erdgas werbsposition von Strom im Energiemix der 5 Heizöl privaten Haushalte hat sich im Zuge der Ener- giewende sogar verschlechtert. 0 Der guten Ordnung halber sei darauf hinge- 1990 1995 2000 2005 2010 2015 2020 2025 wiesen, dass die Gegenüberstellung der rei- nen Marktpreise nur einer ersten Orientie- Abb. 2 Reale Energiepreise für die privaten Haushalte in ct/kWh (2015) rung dienen kann. Vergleiche, insbesondere 20 ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 71. Jg. (2021) Heft 1/2
ZUKUNFTSFRAGEN ZUKUNFTSFRAGEN satz der Energiewende „Efficiency First“, Das Spiegelbild dieses Vorgangs bezeichnet Von der Theorie zur Politik d. h. Energieeinsparung soll „über allem“ man mit „internalisieren“. Darunter versteht stehen. Strompreise zu subventionieren und man die bewusste Rücknahme des Externa- Die Frage nach den „richtigen Energiepreisen“ im gleichen Atemzug „Stromeinsparung“ lisierungsvorgangs: Kosten, die einem Drit- ist für die Politik kein grundsätzlich neues zu einer Priorität zu machen, passt nicht so ten angelastet worden sind, werden aus des- Thema. In einer Marktwirtschaft betrachtet es recht zusammen. Über diese Ungereimthei- sen Rechnung wieder herausgenommen und die Politik seit jeher als eine ihrer Hauptauf- ten wird kaum geredet, verständlicherweise. zurück in die Rechnung des Verursachers gaben, dafür zu sorgen, dass auf den verschlun- Wer in der Tagespolitik nach einfachen und befördert. Soweit zur Begrifflichkeit. genen und oft unübersichtlichen Wegen von pragmatischen Lösungen suchen muss, kann der Produktion bis zum Endverbraucher keine sich mit „solchen Kleinigkeiten“ nicht lange Nun gibt es ein zentrales Prinzip der Markt- Kosten verloren gehen. So wurde im März 1994 aufhalten (wenn er sie denn überhaupt zu wirtschaft: Die Preise für Güter und Dienst- festgestellt: „Die Bundesregierung betrachtet Kenntnis nimmt). Andererseits ist es eine leistungen sollen immer alle Kosten decken. die Internalisierung externer Kosten als Dau- alte Erfahrung, dass eine Politik um so über- Abweichungen von diesem Prinzip verfäl- eraufgabe, nicht nur in der Energiepolitik, zeugender wirkt, je mehr ihre Vorgaben schen das Preissystem, das in einer Markt- sondern auch in anderen Politikbereichen“ [9]. stimmig sind und sie sich in ein kohärentes wirtschaft die Orientierungsbasis für mehr Gesamtkonzept einfügen. Das ist hier offen- oder minder alle Entscheidungen bildet. „Fal- Wer den Überlegungen bis hierher gefolgt ist, sichtlich nicht der Fall. sche Preise“ führen zu schlechten Kaufent- hat jetzt vermutlich ein Interesse daran, die scheidungen und vor allem zu langfristigen aktuellen Vorschläge der Bundesregierung zu Marktwirtschaftliche Fehlinvestitionen (siehe dazu [7] und [8]). höheren Öl- und Gaspreisen bzw. günstigeren Orientierung Für den Energiebereich bedeutet das etwa, Strompreisen in die hier entwickelte Systema- dass die Preise für Kohle, Öl, und Erdgas tik einzuordnen. Dabei ergibt sich folgendes: Damit kommen wir zum Thema „Energie- nicht nur die direkten Kosten der Förderung, politik und Energiepreise“. Vorteilhafter- der Umwandlung und des Transports ent- Q Beginnen wir mit dem am 08.11.2019 weise beginnt man diesen Abschnitt mit eini- halten sollen, sondern auch alle Kosten, die vorgelegten Entwurf eines Gesetzes zur gen grundsätzlichen Überlegungen. Manchen durch eine Belastung der Umwelt entstehen. Einführung eines nationalen Zertifikatehan- Lesern mag der folgende Text etwas „theo- Das gleiche gilt für alle anderen Energieträ- dels für Brennstoffemissionen [10]. Die in retisch“ erscheinen. Er ist aber von einigem ger. So sollte auch der Strompreis alle Kosten diesem Gesetz vorgeschlagenen Festpreise Nutzen, um die aktuellen Vorschläge der tragen, der Produktion, der Verteilung, der pro Tonne CO2 für die Jahre 2021 bis 2025 Bundesregierung zur Beeinflussung der Ver- Speicherung, des gesamten Systems und (2021: 25 €, 2022: 30 €, 2023: 35 €, 2024: braucherpreise auf dem Energiemarkt besser auch die einer Schädigung der Umwelt. 40 €, 2025: 55€) werden zu einer schrittwei- bewerten zu können. Jeder weiß: Bei der sen Anhebung der Preise für Öl und Erdgas Gewinnung, Umwandlung und Nutzung von Es gab einmal eine Zeit, in der viele mit führen [11]. Ziel dieses Gesetzes ist es, die Energie entstehen zwangsläufig Kosten. Diese erhobenem Zeigefinger mahnten „Die Ener- Kosten der Umweltzerstörung und einer Kosten kann man in „interne“ und „externe“ giepreise müssen die Wahrheit sagen“. Schädigung der Atmosphäre durch Treib- Kosten trennen. Kosten sind „intern“, wenn sie Man erinnere sich, dass diese Forderung hausgase zu erfassen und diese Kosten in voll in der Kostenrechnung der Verursacher vor allem im Kontext der Entscheidungen die Verbraucherpreise zu „internalisieren“. stehen. Verursacher sind in unserem Fall um die Nutzung von Kohle und Kernener- Q Dann gibt es die Ankündigung der die privaten Haushalte. Kosten sind „extern“, gie erhoben wurde. Es wäre eigentlich nur Bundesregierung in dem Klimaschutzpaket, wenn sie sich nicht in der eigenen Kostenrech- konsequent, wenn alle diejenigen, die sich die EEG-Umlage zu senken und dadurch nung niederschlagen, sondern abgewälzt und damals in diesem Sinne zu Wort gemeldet für günstige Strompreise zu sorgen. Dazu Dritten, insbesondere der Gemeinschaft der haben, sich nunmehr mit der gleichen Laut- liegen jetzt auch Entscheidungen vor. Die Steuerzahler, in Rechnung gestellt werden. stärke an der aktuellen politischen Debatte EEG-Umlage soll in 2021 auf 6,5 ct/kWh beteiligen würden. Sie müssten jetzt dafür und in 2022 auf 6,0 ct/kWh sinken [12]. Die- Diese Unterscheidung führt zu zwei weiteren eintreten, dass auch die „Preise für die er- sen Vorgaben müssen Berechnungen entge- wichtigen Begriffen. Mit dem Wort „externa- neuerbaren Energien“ die Wahrheit sagen gengehalten werden, die darauf hindeuten, lisieren“ bezeichnet man den Vorgang des sollen. Davon ist heute wenig zu hören. dass die EEG-Umlage in 2021 eigentlich auf Auslagerns von Kosten aus der Rechnung Logik und Interesse passen offensichtlich 9,6 ct/kWh steigen müsste. Aus der Diffe- des Verursachers in die Rechnung anderer. nicht immer zusammen. renz von 9,6 ct/kWh und 6,5 ct/kWh resul- tiert ein Finanzierungsbedarf. Die Lösung ist ein Bundeszuschuss für 2021 in Höhe Tab. 2: Energiepreise für private Haushalte in ct/kWh von 10,8 Mrd. €. Damit werden die Kosten Ist-Stand Aufschlag Klimaschutzprogramm für den Ausbau der erneuerbaren Ener- gien aus der Rechnung der Verursacher, den 2019 2021 2022 2023 2024 2025 Energieverbrauchern, in Richtung Steuer- Heizöl 6,90 + 0,70 + 0,84 + 0,98 + 1,12 + 1,54 zahler verschoben, in unserer Terminologie Erdgas 6,79 + 0,60 + 0,72 + 0,84 + 0,96 + 1,32 also „externalisiert“. ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 71. Jg. (2021) Heft 1/2 21
ZUKUNFTSFRAGEN Zukunft der Verbraucher- preise für Energie 40 Nachdem Klarheit über die verschiedenen Maß- 35 Strom Abschlag nahmen der Bundesregierung besteht, stellt sich die Frage, mit welchen Preisen die Ver- 30 braucher in den kommenden Jahren rechnen sollten. Eine nähere Analyse zeigt schnell, dass 25 Abstand Abstand die mit dem System von Festpreisen für CO2 24,41 ct 22,97 ct 20 verbundenen Preisaufschläge für Heizöl und Erdgas bis 2025 noch relativ überschaubar sind 15 (Tab. 2). Erdgas 10 In gleicher Weise zeigt sich, dass auch die Absenkung der EEG-Umlage in 2021 auf 5 6,5 ct/kWh bzw. in 2022 auf 6 ct/kWh eher Aufschlag geringfügige Auswirkungen hat. Anstelle 0 eines Strompreises von 31,2 ct/kWh (2019) 2010 2015 2020 2025 können die Verbraucher jetzt für 2021 mit einem Strompreis von 31,1 ct/kWh und 2022 Abb. 3 Erdgas- und Strompreis für die privaten Haushalte in ct/kWh mit einem Preis von 30,5 ct/kWh rechnen (ohne weitere Marktreaktionen). der oben entwickelten Terminologie werden etwa die Akzeptanz der Bevölkerung für das Was bedeutet das für den Abstand der Ver- damit Kosten der Energiewende „externali- Ziel „Klimaneutralität“ durch einen als über- braucherpreise zwischen den fossilen Ener- siert“. Das widerspricht dem ökonomischen höht eingestuften Strompreis in Gefahr gera- gieträgern und Strom? Hier zur Illustration Grundprinzip und steht auch nicht im Ein- ten. Auch ist zu beachten, dass ein zu hoher Daten zu den Veränderungen der Wettbe- klang mit den zahlreichen und vollmundigen Strompreis populistische Strömungen ermun- werbsposition von Strom gegenüber Erdgas Bekundungen, die die Politik vor vielen Jah- tern könnte, die Energiewende als das Anlie- (Abb. 3): In 2019 betrug der Abstand zwi- ren abgegeben hat. gen einer „abgehobenen Elite“ oder auch als schen Strompreis und Erdgaspreis 24,41 ct/ „generelles Murks-Projekt“ abzuwerten [13]. kWh. In 2022 liegt der Abstand bei 22,97 ct/ Gibt es dafür eine Erklärung? Zunächst ist Vor diesem Hintergrund sind die Absicht und kWh. Auch wenn das einer Verbesserung daran zu erinnern, dass es immer leicht ist, Bereitschaft der Politik, die EEG-Umlage zu um rd. 6 % entspricht, bleibt eine große Dif- den hehren Prinzipien der Marktwirtschaft reduzieren und die Verbraucher damit zu ent- ferenz. Und so erscheint es fraglich, ob ein zu folgen, wenn „die Welt in Ordnung ist“ lasten, durchaus nachvollziehbar. „Preisimpuls“ in dieser Größenordnung für (Mark Twain: „prosperity is the best protector sich genommen, d.h. ohne weitere begleiten- of principles“). Kompliziert werden die Dinge Nun gibt es auch eine andere, sehr viel grund- de Maßnahmen, ausreicht, um Verbraucher immer dann, wenn die Verhältnisse schwie- sätzlichere Erklärung. Sie geht von der Hypo- dazu zu bringen, über die Umstellung von rig werden. Und es ist offensichtlich, dass die these aus, dass Energiegeschichte ein konti- Erdgas auf Strom überhaupt nachzudenken; Verhältnisse bei der weiteren Umsetzung der nuierlicher Lernprozess ist. In der Abfolge geschweige denn, die notwendigen Investiti- Energiewende schwierig werden. So könnte von Generation zu Generation verändern sich onen in Gang zu setzen. Tab. 3: Strompreis private Haushalte Anfang 2020 Zwei gegenläufige Entwicklungslinien ct/kWh Anteil in % Beschaffung, Vertrieb 7,18 22,89 Die ersten Schritte Deutschlands auf dem Netzentgelte, inkl. Messung 7,71 24,58 Weg zu einer „Electric Society“ sind mit dem Konzessionsabgabe 1,66 5,29 Einstieg von Festpreisen für CO2 und den EEG-Umlage 6,756 21,53 damit verbundenen Preisaufschlägen für KWKG-Umlage 0,226 0,72 die fossilen Energieträger getan. Mit diesem §19 StromNEV-Umlage 0,358 1,14 Ansatz folgt die Politik der ökonomischen Offshore-Haftungsumlage 0,416 1,33 Theorie, den Empfehlungen der Fachwelt Umlage für abschaltbare Lasten 0,007 0,02 und ihren eigenen Versprechungen, d. h. der Stromsteuer 2,05 6,53 „Internalisierung externer Kosten“. In einem MWSt. 5,01 15,97 zweiten Schritt hat die Bundesregierung ent- Summe 31,373 100,00 schieden, die EEG-Umlage zu senken. Nach 22 ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 71. Jg. (2021) Heft 1/2
ZUKUNFTSFRAGEN ZUKUNFTSFRAGEN politische Grundvorstellungen und Über- gieeffizienz und zum Ausbau der erneuer- Energieeinsparungen zum Schutz der Erd- zeugungen. Vielleicht leben wir gerade in baren Energien, zum Aufbau einer Wasser- atmosphäre zu bewegen. Es ist nun einmal einer Phase, in der die Idee, der Energiever- stoffwirtschaft oder auch zur verstärkten eine alte Erfahrung, dass der „empfindlichste braucher solle in Eigenverantwortung und im staatlichen Forschungsförderung. Körperteil des Menschen der Geldbeutel“ ist. Einklang mit marktwirtschaftlichen Prinzi- pien die Kosten der Energiewende tragen, an Der Ansatz, die Steuerzahler stärker als An dieser Stelle kommt manchen Lesern viel- Bedeutung verliert. Im Gespräch ist eine neue bisher an den Kosten der Energiewende zu leicht in Erinnerung, dass es in Deutschland Vorstellungswelt. Danach wird der Umbau beteiligen, wird seit längerem diskutiert. auf dem Gebiet der Strompreise schon einmal der Energieversorgung in Deutschland als Es gibt vielfache Forderungen, die EEG- eine bemerkenswerte Entwicklung gegeben „gesamtgesellschaftliche Aufgabe“ eingestuft. Umlage zu reduzieren. Wie weit diese Über- hat. So war die Regierung in der ehemaligen Infolgedessen sei es angemessen, dass die legungen nun aber auch im „Mainstream“ der DDR der Auffassung, dass man der Bevölke- Kosten der Energiewende in erster Linie von politischen Debatte angekommen sind, bele- rung keine hohen Strompreise zumuten könne. der Mehrheit aller Steuerzahler geschultert gen die Empfehlungen des Sachverständigen- Berechnet wurden den privaten Verbrauchern werden sollten. rates zur gesamtwirtschaftlichen Entwick- Anfang 1990 rd. 8 Pf/kWh. Gleichzeitig lagen lung [14]. In dem jüngsten Jahresgutachten die Produktionskosten bei 24 Pf/kWh (selbst- Mit einer solchen Argumentation wäre eine regen die Mitglieder des Sachverständigen- redend ohne Beachtung der externen Kosten Reduktion des Strompreises sogar um gut rates eine umfassende Energiepreisreform der Umweltzerstörung). Der Stromwirtschaft 30 % denkbar. Zum Beleg genügt es, einen an, zu der bemerkenswerterweise auch eine fehlten allein durch die Geschäfte in diesem kurzen Blick auf die Zusammensetzung des vollständige Abschaffung der EEG-Umlage Bereich fast 3 Mrd. Mark pro Jahr in der Kasse heutigen Strompreises zu werfen (Tab. 3). (aktuell: 6,756 ct/kWh) und eine Reduzie- [15]. Dieser Betrag musste aus Haushaltsmit- Nahezu die Hälfte des Strompreises der rung der Stromsteuer auf den europäischen teln bereitgestellt werden. Heute wissen wir, privaten Haushalte entfällt auf Abgaben, Mindeststeuersatz von 0,01 ct/kWh (aktuell: dass dieses Modell der Strompreisbildung Umlagen und Steuern. Die meisten dieser 2,05 ct/kWh) gehört. Allein die Abschaffung kein langes Leben hatte. zusätzlichen Belastungen haben etwas mit der EEG-Umlage würde für die privaten der Energiewende zu tun. Wer sich auf die- Haushalte eine Entlastung bei ihrer Strom- Für alle, die an dieser Stelle noch weiter über sem Gebiet nicht so genau auskennt, für den rechnung um 8,4 Mrd. € oder rd. 200 € pro die Verantwortung des Staates für günstige kann es hilfreich sein, sich noch einmal die Haushalt bedeuten. Energiepreise grübeln wollen, sicherheits- Details der einzelnen Positionen vor Augen halber noch ein kurzer Hinweis zur Klar- zu führen: Angesichts dieser Zahlen sollte man eigent- stellung: Niemand wird Einwände gegen lich erwarten, dass jetzt eine Debatte in Gang eine Politik haben, die es sich zur Aufgabe Q Die EEG-Umlage nach dem Erneuer- kommt, bei der auf der einen Seite Ordnungs- macht, dass Strom für bestimmte Einkom- bare-Energien-Gesetz dient dem Ausbau der politiker darauf aufmerksam machen: „Die mensgruppen bezahlbar bleibt. Das sicher- erneuerbaren Energien. Strompreise in Deutschland lügen“ und auf zustellen, sollte allerdings vorrangig eine Q Mit den Einnahmen der KWKG-Umlage der anderen Seite die Pragmatiker darauf Aufgabe der Sozialpolitik sein, keine Aufgabe werden die Kosten aus der Förderung von antworten: „Ja, ja, aber doch für einen guten der Energiepolitik. Kraft-Wärme-gekoppelten Kraftwerken ge- Zweck“. Einen solchen Meinungsaustausch deckt. zu verfolgen, wäre interessant; man könnte Ausblick Q Die Abgabe zu § 19 StromNEV dient einiges über das Spannungsfeld zwischen dem Ausgleich von individuellen Netzent- ökonomischer Rationalität und politischem Eingeweihte wissen seit langem, dass zu gelten für privilegierte Netzverbraucher. Opportunismus lernen. Beginn der kommenden Legislaturperiode Q Die Offshore-Umlage ist für mögliche eine grundlegende Diskussion über die Entschädigungszahlungen an Betreiber von Insgesamt ist diese neue energiewirtschaftli- Zukunft der Energiewende in Deutschland Offshore-Windparks gedacht. che Perspektive für manche erfreulich, aller- ansteht. Zu widersprüchlich und unüber- Q Die Abgabe für abschaltbare Lasten deckt dings nicht ohne Nebenwirkungen. In der sichtlich ist die heutige Politik. Zwischen Vergütungszahlungen für sog. Abschalt- Zuspitzung versteht man schnell, dass bei der Vision „Klimaneutralität 2050“ und den leistungen ab. Diese kommen beispielsweise einem solchen Ansatz viele Haushalte in den immer wieder vorgebrachten Mahnungen dadurch zustande, dass Industriebetriebe Genuss günstiger Strompreise gelangen wür- für Realismus gibt es eine Diskrepanz, die kurzfristig auf die Lieferung von Strom ver- den, die es gar nicht nötig hätten. Manche man mit dem gesunden Menschenverstand zichten. Das dient der Netzstabilität und der werden eine solche Entwicklung zu Recht als nicht überbrücken kann. Kennzeichnend Versorgungssicherheit. unfair und ungerecht einstufen. Weiter und für die Gesamtsituation ist eine Aussage Q Auch die Energiesteuer kann als Kosten- wichtiger: Der Anreiz, Strom einzusparen, von Bundeskanzlerin Angela Merkel bei der element der Energiewende eingestuft wer- würde beeinträchtigt. Politisch nachvoll- Vorstellung des Klimaschutzprogramms am den. Die Steuer ist eine Art Gegenposition ziehbare, aber ökonomisch kaum zu recht- 20.09.2019. Gesagt wurde dort: „Politik ist zu den zusätzlichen Bürokratiekosten, zu fertigende Strompreissenkungen machen es eben das, was möglich ist“. Wer die aktuelle den Kosten der zahllosen Programme der sehr viel schwerer, die Verbraucher zu den Debatte verfolgt, kann erkennen, dass die- Bundesregierung zur Steigerung der Ener- notwendigen und langfristig nachhaltigen ser Grundsatz die Politik beherrscht. Und so ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 71. Jg. (2021) Heft 1/2 23
ZUKUNFTSFRAGEN ergibt sich ein Glaubwürdigkeitsproblem: auf dem Weg zu dem Ziel „Klimaneutralität [7] Wer hierzu mehr wissen will, sei auf eine auch Wie kann man bei Investoren, Produzen- 2050“. heute noch lesenswerte, im Auftrag des BMWi entstan- ten und Verbrauchern Vertrauen gewinnen, dene Grundsatzstudie verwiesen: Masuhr, K., u.a.: Die wenn man ankündigt, man gehe jetzt auf Ein Neustart bei der Energiewende wird externen Kosten der Energieversorgung, Gutachten im Elefantenjagd („Klimaneutralität 2050“), nicht einfach werden. Es ist eine alte Erfah- Auftrag des BMWi, Stuttgart 1992. und sich dann aber mit der Konstruktion rung, dass kaum etwas gefährlicher ist, als [8] Moths, E.: Die Preise schweigen, in: Merkur 1993, von Mäusefallen („Klimaschutzgesetz“) be- eine mit großen Hoffnungen auf den Weg 47. Jg., Heft 530, S. 455-461. gnügt? gebrachte Reform erneut zu reformieren. [9] Deutscher Bundestag: Antwort der Bundesregie- Hinzu kommt, dass uns die Entwicklungen rung auf eine kleine Anfrage zum Thema „Internalisie- Sollte sich die nächste Bundesregierung tat- um die „Corona-Krise“ noch einmal ein- rung externer Kosten der Energieversorgung“, Druck- sächlich darauf einlassen, die Energiepolitik drücklich an die Tatsache erinnern, dass sache 12/7128, Berlin 22.03.1994. in Deutschland auf eine neue Basis zu stellen, wir – trotz allen Bemühens und langfristiger [10] Deutscher Bundestag: Entwurf eines Gesetzes ist eine Aufgabe von größter Bedeutung: Der Planungen – letztlich sehr, sehr wenig über über einen nationalen Zertifikatehandel für Brennstoff- Umbau der Energieversorgung sollte so kosten- die Zukunft wissen. Und so bleibt zum emissionen (Brennstoffemissionshandelsgesetz BEHG), günstig wie irgend möglich erfolgen. Dazu gibt Schluss die Feststellung, dass die kommen- Berlin 8.11.2019. Deutscher Bundesrat: Vermittlungs- es angesichts der gewaltigen, heute noch kaum den zehn Jahre Energiepolitik in Deutsch- ausschuss erzielt Kompromiss zum Klimapaket, Pres- richtig zu überblickenden Belastungen der land mit einiger Sicherheit interessanter und semitteilung, Berlin 18.12.2019. öffentlichen Haushalte durch die Corona-Krise spannender werden als die letzten zehn Jahre. [11] Kübler, K.: Zu den Wirkungen des Klimaschutz- keine Alternative. Damit rückt die Weiter- programms 2030 – Eine picoökonomische Analyse, in entwicklung des im Klimaschutzprogramm Anmerkungen Energiewirtschaftliche Tagesfragen 70. Jg. (2020), Heft vorgesehenen Preismechanismus an die erste 3, S. 36-41. Stelle. Das würde heißen, dass nicht nur die [1] Wer nach einer Plausibilisierung dieser Vereinfa- [12] BMWi: EEG-Umlage 2021: Fakten & Hintergründe, CO2-Aufschläge für die fossilen Energieträ- chung sucht, sei auf einige aktuelle Festlegungen der Berlin 15. Oktober 2020. ger stärker steigen müssen. Es würde auch Politik verwiesen. So schließt die Bundesregierung [13] Radtke, J. u.a.: Energiewende in Zeiten des Populis- bedeuten, dass der Strompreis seine vollen die Option, fossile Energien zu nutzen und die dabei mus, Wiesbaden 2019. Kosten decken sollte. entstehenden CO2-Emissionen durch Abtrennung und [14] Sachverständigenrat zur Begutachtung der ge- Speicherung von der Atmosphäre fernzuhalten, aus samtwirtschaftlichen Entwicklung: Jahresgutachten Hier bietet sich vor allem der rasche Aufbau (carbon-capture and storage). Auch der global überaus 2020/21, Wiesbaden 1.10.2020. eines Systems „zeitvariabler Stromtarife“ an, sinnvolle Gedanke, in Deutschland auf ausgewählten [15] Kübler, K.: Externe Kosten und Standortsiche- das naturgemäß am ehesten mit dem Phäno- Feldern fossile Energieträger zu nutzen und die dabei rung - Eine energiepolitische Gestaltungsaufgabe, men eines stark schwankenden Angebots freiwerdenden CO2-Emissionen durch eine kostengüns- in: „Energiewirtschaftliche Tagesfragen 54. Jg. (1995), von Wind- und Solarstrom umgehen kann. tigere Minderung in anderen Ländern zu kompensie- Heft 8, S. 491-496. Je größer die Preisdifferenzierung, um so ren, wird nicht in Erwägung gezogen. Und schließlich eher werden Verbraucher bereit sein, ihren gilt das Ende der CO2-freien Kernenergie in Deutsch- Stromverbrauch gezielt zu steuern. Vor allem land als „auf ewig“ beschlossen. Dr. K. Kübler, Rheinbach mittelfristig wird man im Zuge der abzuse- [2] BMWi, BMU: Energiekonzept für eine umweltscho- kmkueweb.de henden Umstellung vieler Heizsysteme auf nende, zuverlässige und bezahlbare Energieversor- Wärmepumpen und einer wachsenden Zahl gung, Berlin 28.09.2010. von Elektrofahrzeugen ein nennenswertes [3] BMU: Klimaschutzplan 2050 – Klimaschutzpoliti- Potenzial zu Lastverschiebungen erwarten sche Grundsätze und Ziele der Bundesregierung, Ber- können. Viel wichtiger ist es aber, den Preis lin 2016. als Knappheitssignal zu stärken und damit [4] Die Begründung für diesen überschaubaren Zu- einen dauerhaften Anreiz für Investitionen wachs liegt darin, dass bei der größten Position unter in effiziente Geräte und einen sparsamen den hier betrachteten erneuerbaren Energien, der Bio- Umgang mit Strom zu geben. masse, nur noch ein geringes Ausbaupotenzial besteht. Ursächlich sind ökologische Grenzen, aber auch Nut- Viele werden die Forderung nach kosten- zungskonflikte mit der Produktion von Nahrungsmit- gerechten Strompreisen als wirklichkeits- teln und einer stofflichen Verwertung. Siehe dazu auch: fremd einstufen; so wie auch manche das Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina: Ziel „Klimaneutralität 2050“ für eine blanke Bioenergie – Möglichkeiten und Grenzen, Halle 2013. Illusion halten. Beide Punkte hängen aber in [5] Großklos, N. u. a.: Fernwärme für eine klimaneutra- gewisser Weise zusammen: „Wahre Strom- le Wärmeversorgung – Thesenpapier; Institut für Woh- preise“ sind eine wichtige Voraussetzung für nen und Umwelt, Darmstadt 2020. die notwendigen und politisch vorgegebenen [6] Prognos u.a.: Energiewirtschaftliche Projektionen Energieeinsparungen und die wiederum und Folgeabschätzungen 2030/2050, Studie im Auftrag sind eine wichtige Voraussetzung für Erfolge des BMWi, 10. März 2020. 24 ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 71. Jg. (2021) Heft 1/2
ZUKUNFTSFRAGEN Meinungen & Fakten ZUKUNFTSFRAGEN Emissionshandel: Bewährungsprobe für Marktstabilisierungsreserve Der 2005 eingeführte europäische Emissionshandel (EU ETS) umfasst derzeit alle 31 Länder des europäischen Wirtschafts- raumes und hat eine zentrale Funktion in der europäischen Klimapolitik. Dem EU ETS unterliegen insgesamt 45 % der europäischen Treibhausgasemissionen. 2021 beginnt die vierte, bis 2030 reichende Handelsperiode. Reform- und Stärkungs- maßnahmen sollen die Funktionsweise des Systems verbessern und widerstandsfähiger gegen Krisen machen. Im Zentrum steht die Frage, ob die 2019 eingeführte Marktstabilitätsreserve für die notwendige Balance zwischen Angebot und Nachfrage bei den handelbaren Emissionszertifikaten sorgen kann. Im November 2017 einigten sich das EU- rund 2 Mrd. Zertifikaten über den linearen Ende des Vorjahres den Schwellenwert von Parlament und der Rat auf eine gemeinsame Reduktionsfaktor abgebaut werde und das rund 833 Mio. Berechtigungen überschreitet. Reform des EU-ETS. Die Richtlinie (EU) 2018/ System würde keine Signale für Investitionen 410 [1] legt die Rahmenbedingungen für die in kostengünstige CO2-Minderungen mehr Zwischen 2019 und 2023 beträgt die jährliche Fortführung des EU-Emissionshandels in der aussenden. Kürzung der Auktionsmenge 24 % des Über- Handelsperiode 2021 bis 2030 fest. Diese schusses, ab 2024 sinkt dieser Anteil auf (die Richtlinie trat am 08.04.2018 in Kraft. Mit dem Beschluss (EU) 2015/1814 wurde ursprünglich für die gesamte Periode vorgese- deshalb eine Markstabilitätsreserve für das henen) 12 %. Damit soll sichergestellt werden, Der Europäische Rat geht davon aus, dass ein EU ETS angelegt, um das Auktionsangebot dass der Zertifikate-Überschuss zügig und vor gut funktionierender, reformierter Emissions- flexibler und das System krisenfester zu allem in den ersten Jahren der vierten Handels- handel mit einem Instrument zur Stabilisie- machen. Die Markstabilitätsreserve reduziert periode abgebaut werden. Die nicht versteiger- rung des Marktes das wichtigste Mittel zur die Auktionsmenge, wenn zu viele Emissions- ten Emissionsberechtigungen fließen zunächst Erreichung des Ziels einer CO2-Reduzierung zertifikate im Umlauf sind oder stockt das der MSR zu. Unterschreitet die Umlaufmenge von mindestens 40 % (künftig mindestens Angebot auf, wenn eine Unterversorgung des den Schwellenwert von 400 Mio. Berechtigun- 55 %) darstellt. Zugleich rechtfertige die Ver- Marktes droht. gen, werden 200 Mio. Berechtigungen – ab meidung einer Verlagerung von Emissionen 2024 100 Mio. Berechtigungen – aus der in Drittländer, das Carbon Leakage, weiterhin Funktionsweise der Reserve zusätzlich versteigert. Allerdings nur die Aufschiebung der vorgesehenen vollstän- Marktstabilitätsreserve dann, wenn ausreichend Berechtigungen in digen Versteigerung und die gezielte kosten- der Reserve verfügbar sind. lose Zuteilung von Emissionszertifikaten an Die Marktstabilitätsreserve (MSR) wird seit bestimmte Sektoren der Industrie, so dass dem 01.01.2019 als langfristiges Instrument Löschungsmechanismus auch künftig nur etwa 57 % aller bereitge- zum Abbau und zur Beschränkung des Über- stellten Emissionszertifikate zur Versteige- angebots an CO2-Zertifikaten eingesetzt. Sie Um die Überschüsse nicht nur temporär, son- rung kommen. soll das System widerstandsfähiger machen, dern dauerhaft zu reduzieren, werden ab 2023 indem sie das Angebot flexibler an Verände- alle Zertifikate aus der MSR gelöscht, die über Darüber hinaus erhalten die Mitgliedstaaten rungen der Nachfrage ausrichtet. Hauptziel das Auktionsvolumen des Vorjahres hinaus- die Möglichkeit, im Falle einer Schließung von der MSR ist es, die aufgelaufenen Überschüsse gehen. Damit soll verhindert werden, dass die Stromerzeugungsanlagen in ihrem Hoheitsge- an Zertifikaten dauerhaft zu verringern. Eine Überschüsse in nennenswertem Umfang wieder biet Zertifikate aus ihrem Versteigerungsvolu- Rückgabe in den Markt ist nicht vorgesehen in den Markt zurückgeführt werden und damit men zu löschen. Dabei darf die zu löschende und nur für den Fall einer deutlichen Knapp- mittel- und langfristig zu höheren Emissionen Menge den fünfjährigen Durchschnitt der heit an Zertifikaten möglich. führen. Durch die dauerhafte Löschung von Emissionen der von der Schließung betroffe- Überschüssen, die durch Überallokation, Krisen nen Anlagen nicht überschreiten. Kürzung und Aufstockung oder zusätzliche Instrumente entstehen können, von Auktionsmengen erfolgt eine dynamisierte Anpassung des Caps. Bereits 2012 hatte die Kommission in ihrem Bericht über die Lage des europäischen CO2- Indikator für den Marktüberschuss ist die sog. Durch die Marktstabilisierungsreserve werden Marktes an das Parlament und den Rat [2] auf Umlaufmenge (TNAC, Total Number of Allo- also mehr Emissionen vermieden, als durch strukturelle Ungleichgewichte zwischen Ange- wances in Circulation). Dieser jedes Jahr im das linear fallende Cap des EU ETS eigentlich bot und Nachfrage hingewiesen, die vornehm- Mai von der EU-Kommission veröffentlichte vorgegeben ist. Außerdem soll die MSR die lich im Zuge der vorangegangenen Wirtschafts- Wert ist maßgeblich für die Auktionsmengen- Aufgabe haben, durch die Mengenstabilisie- und Finanzkrise entstanden waren und zu kürzung durch die MSR [3]. Die Auktions- rung Schwankungen bei Zertifikatspreisen zu einem deutlichen Überschuss an Zertifikaten menge eines Jahres wird ab September für die dämpfen und Preiserwartungen zu stabilisie- geführt hatten. Nach Ansicht der Kommission folgenden 12 Monate gekürzt, wenn die Menge ren, um Investitionen in die CO2-Einsparung dauere es zu lange, bis dieser Überschuss von der im Umlauf befindlichen Zertifikate zum besser planen zu können [4]. ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 71. Jg. (2021) Heft 1/2 25
ZUKUNFTSFRAGEN Meinungen & Fakten Nationale Löschungsoption bei der zeugungskapazitäten stilllegen, können sie Die MSR vor und während Stilllegung von Stromerzeugungs- Zertifikate aus ihrem Auktionsanteil maximal der Corona-Pandemie kapazitäten in Höhe der Durchschnittsmenge der geprüf- ten Emissionen der betreffenden Anlage wäh- Zum Jahresbeginn 2019 trat die Markstabili- Für den Fall, dass Mitgliedstaaten im Zuge rend eines Zeitraums von fünf Jahren vor der tätsreserve in Kraft. Zur Grundausstattung nationaler Klimaschutzmaßnahmen Stromer- Stilllegung löschen [5]. der MSR zählen 900 Mio. Zertifikate, die be- reits in früheren Jahren zunächst temporär aus dem Markt genommen worden waren (Backloading) sowie die Berechtigungen, die nicht bis Ende 2020 (kostenlos) zugeteilt werden (Restmengen). Für den Zeitraum vom 01.09.2019 bis zum 31.08.2020 wurde das zu versteigernde EUA- Volumen, dem MSR-Mechanismus entspre- chend, EU-weit um etwa 397 Mio. Emissions- berechtigungen (EUA) reduziert [6]. Damit sank das durch Auktionierung, kostenlose Zuteilung und Umtauschkontingente für Projektgutschriften zur Verfügung gestellte Angebot an Emissionsberechtigungen deut- lich unter die ermittelten Emissionen der ETS-Anlagen sowie unter die Höhe des nomi- nellen Cap (siehe Abb. 1). Dennoch verblieb eine frei zirkulierende Überschussmenge deutlich oberhalb des oberen MSR-Schwel- lenwerts (833 Mio. EUA): Zum Ende des Jah- res 2019 lag die Menge an überschüssigen Emissionsberechtigungen nach Angaben der EU-Kommission bei rund 1,39 Mrd. EUA (TNAC). Dieser Wert ist maßgeblich für die Aukti- onsmengenkürzung durch die MSR vom Abb. 1 Nachfrage und Angebot im Gesamtsystem - Vergleich der Emissionen mit den verfügbaren Emissions- berechtigungen sowie Entwicklung der Umlaufmenge seit 2008 Quelle: DEHST 01.09.2020 bis zum 31.08.2021. In diesem Zeitraum werden daher insgesamt rund 332,5 Mio. (24 %) von 1,39 Mrd. EUA nicht versteigert, sondern in die MSR verscho- ben [7]. Durch die Aktivierung der Marktstabilitäts- reserve im Januar 2019 hat sich Zahl der zu versteigernden Zertifikate um etwa 36 % ver- ringert (siehe Tab.). Die Verknappung sorgte für eine Reduzierung der freien Umlaufmenge um fast 40 %. Der bis 2022 stark wachsende Bestand an Emissionsberechtigungen in der MSR wird ab 2023 durch den automatischen Löschungsprozess deutlich reduziert. Da- mit wird das Erreichen des Zielkorridors durch den ab 2023 wirkenden Löschungs- mechanismus beschleunigt (siehe Abb. 2). Abb. 2 Begrenzung des Umfangs der MSR durch den Löschungsmechanismus ab 2023 Quelle: BMU 26 ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 71. Jg. (2021) Heft 1/2
ZUKUNFTSFRAGEN Meinungen & Fakten ZUKUNFTSFRAGEN Tab.: Auktionsmengen im stationären Bereich 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 Auktionsmenge EU-weit 715,3 89,7 826,1 528,4 632,7 951,2 915,8 588,6 in Mio. EUA Auktionsmenge Deutschland in 23,5 182,6 127,1 143,9 160,8 196,8 172,2 127,6 Mio. EUA Anteil Deutschland in % 26,2 22,1 24,1 22,7 22,5 20,7 18,8 21,7 Kohleausstieg, Green Deal der Stromerzeugungskapazitäten entspricht. Emissionsberechtigungen. Dadurch könnte und Corona-Krise Diese Menge wird für das jeweils vorange- ein senkender Effekt auf den CO2-Preis ein- gangene Kalenderjahr ermittelt und durch treten oder wiederum zu einer höheren Nach- Gem. Artikel 2 des Gesetzes zur Reduzierung Beschluss der Bundesregierung festgestellt. frage nach Zertifikaten in anderen Bereichen und zur Beendigung der Kohleverstromung führen (sog. Wasserbetteffekt). (KVBG) in Deutschland werden im Fall des Der Kohleausstieg soll die Treibhausgasemis- Verbots der Kohleverfeuerung in Deutsch- sionen der Energiewirtschaft in Deutschland Der Netto-Minderungseffekt des Kohleaus- land Emissionsberechtigungen aus der natio- gemäß Klimaschutzplan 2050 um 61 bis 62 % stiegs könnte allerdings je nach aktueller nal zu versteigernden Menge an Berechti- gegenüber 1990 auf 175 bis 183 Mio. t CO2 bis Wettbewerbssituation und weiterem Ausbau gungen in dem Umfang gelöscht, welcher der zum Jahr 2030 reduzieren. Diese Entwicklung der EE-Stromerzeugung geringer ausfallen Emissionsminderung durch die Stilllegung führt zu einer reduzierten Nachfrage nach als die historischen Emissionen der still- analytisch. technologisch. Profitieren Sie von quantitativ. unserem Know-how Lösungen für digitale Geschäftsmodelle Er zeuger, Verbraucher und Betreiber von Energieinfra struk tur rücken in Zeiten zunehmend dezentraler Energieerzeugung durch Vernetzung und Echtzeit-Infor mationsaustausch eng zusammen. Wir unterstützen Sie beim Auf bau Ihrer digitalen Geschäftsmodelle: - Umsetzung digitaler Investitions- und Wartungsstrategien - Machine-Learning-Verfahren und skalierbare Datenplattformen in Vertrieb, Handel, Netzplanung und -steuerung - Softwarebasierte Szenarioplanung zur Dekarbonisierung von Verkehr, Industrie und Immobilienportfolios - Systemanalysen für den europäischen Markthochlauf von Wasserstoff ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 71. Jg. (2021) Heft 1/2 00 www.d-fine.com Berlin, Düsseldorf, Frankfurt, London, München, Wien, Zürich
ZUKUNFTSFRAGEN Meinungen & Fakten gelegten Kraftwerke, da die wegfallende gängen der Industrie führt diese Entwicklung schlusses (EU) 2015/1814. https://eur-lex.europa.eu/ Kohle-Stromerzeugung zumindest teilweise zu einer geringeren Nachfrage nach CO2-Zer- legal-content/de/ALL/?uri=CELEX%3A32018L0410 durch eine höhere Auslastung anderer fossi- tifikaten und zu einer Erhöhung der freien [2] Bericht der Kommission an das Europäische Parla- ler Kraftwerke im In- oder Ausland ersetzt Umlaufmenge. ment und den Rat: Die Lage des CO2-Marktes in der EU werden muss. Im Falle der Stilllegung von im Jahr 2012. COM(2012) 652 final, Brüssel, 14.11.2012. deutschen Braun- und Steinkohlekraftwer- Wenn dieser Zuwachs an Zertifikaten durch https://ec.europa.eu/clima/sites/clima/files/ets/re- ken liegt der Nettominderungseffekt in etwa die MSR abgeschöpft und die dem Markt form/docs/com_2012_652_de.pdf im Verhältnis Zwei zu Eins. Die Stilllegung entzogenen Berechtigungen im weiteren Ver- [3] Veröffentlicht unter: https://ec.europa.eu/clima/ der Braunkohle-Kraftwerksblöcke erfolgt lauf unwiderruflich gelöscht werden, wird policies/ets/reform_en#tab-0-1; für 2019 siehe: https:// überwiegend später als die der Steinkohle- die Pandemie-bedingte Emissionsminderung ec.europa.eu/clima/sites/clima/files/ets/reform/ Blöcke, weshalb ein substanzieller Rückgang dauerhaft wirksam und trägt zur Erreichung docs/c_2020_2835_en.pdf beim Bedarf an Emissionsberechtigungen in des Klimaziels 2030 bei. Allerdings schwan- [4] Vgl. Pittel, K.; Cordt, H.; Gschnaller, S.; Mier, M.; Aza- Folge des Kohleausstiegs in Deutschland erst ken die Annahmen über die Größe dieses Bei- rova, V.: Die Corona-Krise und ihre Auswirkungen auf in der zweiten Hälfte der 2020er-Jahre zu trags derzeit erheblich und sind wegen des den europäischen Emissionshandel. Ifo Schnelldienst; erwarten ist. unklaren weiteren Pandemie-Verlaufs schwer München Bd. 73, Ausgabe 6, (10.06.2020), S. 67-71. verlässlich abzuschätzen. [5] Vgl. Artikel 12 Absatz 4 RL (EU) 2018/410 vom 14. Die Marktstabilitätsreserve (MSR) schwächt März 2018: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/ den beschriebenen Wasserbetteffekt durch Ausblick DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32018L0410&from=DE den Ausgleich der anteiligen und zeitversetz- [6] C/2019) 3288 final – Communication from the Com- ten Nachfragerückgänge im EU-ETS infolge Im August 2018 ging die Deutsche Emissi- mission. des deutschen Kohleausstiegs ab. Zudem onshandelsstelle (DEHST) noch davon aus, [7] C/2020) 2835 final – Communication from the beabsichtigt Deutschland, von der Möglich- dass die MSR den Überschuss an Berechti- Comission. keit Gebrauch zu machen, den Nachfrage- gungen ab 2019 deutlich reduzieren wird, so [8] https://www.dehst.de/DE/Europaeischer-Emis- rückgang nach Emissionsberechtigungen, dass der Überschuss, die sog. Umlaufmenge, sionshandel/Emissionshandel-verstehen/Weiterent- der nicht durch die MSR ausgeglichen wird, Anfang bis Mitte der 2020er Jahre im Ziel- wicklung/Ueberschuesse-MSR/ueberschuesse-msr- durch zusätzliche Löschung von Emissions- bereich von unter 833 Mio. Berechtigungen node.html;jsessionid=B757571CF8F669B1BD45E42B6 zertifikaten zu kompensieren. liegen werde. Allerdings haben sich die ener- 75DA91F.2_cid284#doc10239342 gie- und klimapolitischen Rahmenbedin- [9] Die erste Überprüfung findet im Jahr 2021 statt; Auswirkungen der neuen Klimaziele gungen verändert und werden sich weiter siehe: Revision for phase 4 (2021-2030) unter https:// ändern. Damit die MSR auch unter sich wan- ec.europa.eu/clima/policies/ets/revision_en Die beschlossene Anhebung des 2030-Re- delnden Bedingungen wirkungsvoll funktio- [10] Agora Energiewende: Vom Wasserbett zur Bade- duktionsziels der EU von 40 auf mindestens nieren kann, soll sie zu Beginn der vierten wanne – Die Auswirkungen der EU-Emissionshandels- 50-55 % CO2-Einsparung gegenüber 1990 Handelsperiode überprüft und im Bedarfs- reform 2018 auf CO2-Preis, Kohleausstieg und den Aus- könnte das Ambitionsniveau allerdings über fall überarbeitet werden [8, 9]. bau der Erneuerbaren; Juli 2018. den deutschen Kohleausstieg hinaus erhö- [11] Für eine Minderung um 55 % zwischen 1990 und hen. Von derzeit etwa 1,4 Mrd. müsste die Es ist sehr wahrscheinlich, dass die aktuelle 2030 müssten die Emissionen durchschnittlich um 172 Zertifikatsmenge im EU-ETS auf rund 1 Mrd. Reform des EU ETS nicht die letzte gewesen Mio. t. CO2-Äquivalente pro Jahr gemindert werden. Das sinken. Ein derart umfangreicher Eingriff in sein wird. Angesichts eines sinkenden Caps entspräche in den kommenden Jahren mehr als einer das Emissionshandelssystem ist mit dem vor- ist zu erwarten, dass die Schwellenwerte Verfünffachung der bis 2020 erbrachten Minderungs- handenen Instrumentarium der Marktstabili- für das Greifen der Marktstabilitätsreserve leistung. Zudem könnte der Brexit eine zusätzliche sierungsreserve nicht zu leisten. Möglicher- sowie die Freigabe von Zertifikaten aus der Minderung von mehr als drei Jahresminderungen er- weise wird es eine neuerliche Diskussion um MSR abgesenkt werden müssen [10]. Auch fordern. eine weitere Anhebung oder eine Dynamisie- im Zuge der möglichen Zielverschärfung rung des linearen Emissionsreduktionsfak- der EU-Ziele müsste das EU ETS erneut re- tors geben. formiert werden [11]. Dabei dürfte eine dau- „et“-Redaktion erhafte Verzahnung des EU ETS mit natio- Folgen der Corona-Pandemie nalen Maßnahmen einer der Schwerpunkte werden. Aktuell führen die Maßnahmen zur Eindäm- mung der Corona-Pandemie zu einer Reduzie- Anmerkungen rung des Energieverbrauchs und der Strom- nachfrage. Außerdem sank die CO2-Intensität [1] Richtlinie (EU) 2018/410 des Europäischen Parla- der Stromerzeugung durch einen höheren ments und des Rates vom 14.03.2018 zur Änderung der Anteil erneuerbarer Energien im Vergleich Richtlinie 2003/87/EG zwecks Unterstützung kostenef- zum Vorjahr um fast 20 %. Zusammen mit fizienter Emissionsreduktionen und zur Förderung von den konjunkturell bedingten Emissionsrück- Investitionen mit geringem CO2-Ausstoß und des Be- 28 ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 71. Jg. (2021) Heft 1/2
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