Konferenzberichte - Ingenta Connect
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Zeitschrift für Germanistik | Neue Folge XXX (2020), Peter Lang, Bern | H. 3, S. 665–679 Konferenzberichte Die Geschichtlichkeit des Briefs. Kontinuität und Wandel einer Kommunikationsform (Internationale Tagung in Marburg v. 27.–28.2.2020) Die Veranstalter*innen Norman K asper (Halle/S.), anthropologische Basisphänomene die Kontinuität Jana K ittelmann (Halle/S.), Jochen Strobel schriftlicher Distanzkommunikation begründen (Marburg) und Robert Vellusig (Graz) hatten können. an die Philipps-Universität Marburg geladen, um Yulia Mevissen (Boston) („und ja, ich weiß, daß sich gemeinsam dem Medium ,Brief ‘ in seinem wir uns nicht kennen, aber…“. Epistolare Distanz- Wesen zwischen Gebrauchstext und Literatur, Spiele), ebenfalls Literaturwissenschaftlerin, seiner Funktionsweise als „sozialem Distanz- übertrug Vorüberlegungen zu epistolaren Distanz- regulator“ und in seiner Eigenart als Objekt markern auf digitale Korrespondenzen und wid- multiperspektivisch zu nähern. Dabei sollte diese mete sich anhand von Tilman Rammstedts Roman Kommunikationsform auf Konstanten sowie Ent- Die Abenteuer meines ehemaligen Bankberaters wicklungslinien in ihrer mehrere Jahrtausende (2012) räumlicher, sozialer und zeitlicher Distanz währenden Geschichte untersucht werden. Zu in der E-Mail-Kommunikation. Dabei fokussierte diesem Zweck trafen sich Briefforschende verschie- sie Mechanismen der digitalen Kontaktaufnahme dener Disziplinen, die Brief und Briefkommunika- sowie eine spezifische Online-Zeitlichkeit. tion von der Antike bis zur Gegenwart hin anhand In der zweiten Sektion betrachtete Rüdiger signifikanter Beispiele auf Aspekte wie etwa G ör ner (London) (Der Brief als Denkform) Kommunikationsvoraussetzungen und -funk- anhand der Briefe von Friedrich Hölderlin und tionen, Sprachspiele, Denk- und Schreibräume, John Keats verschiedene epistolare Denk- und Distanzmarker und Rezeptionsmöglichkeiten Schreibmodi. Der Brief frage „nach personaler betrachteten. Zugleich standen Fragen nach dem Voraussetzung denkerischer Prozesse“, die sich Werkstatus bzw. der Relation von Briefen zu mal mehr, mal weniger dem Adressaten zuwende. Werken sowie das inszenatorische Potenzial von Jener sei durch die Methode und Ordnung des Briefen zur Diskussion. Eine Kulturgeschichte Briefes genötigt, der ,Systematik‘ desselben und des Briefs sei, so Robert Vellusig, immer auch somit auch des Absenders zu folgen. Besonders Teil einer Kulturgeschichte zwischenmenschlicher Hölderlins Turmbriefe zeichneten sich durch Re- Umgangsformen. petition und die Notwendigkeit eines ,Du‘, eines Die erste der fünf Sektionen wurde von der angesprochenen Gegenübers, aus. Keats Briefe Literaturwissenschaftlerin Sophia Wege (Halle/S.) hingegen befinden sich Görner zufolge in einem (Spurenlesen. Evolvierte Fähigkeiten als Vorausset- Spannungsfeld zwischen ästhetischer Distanz und zungen brieflicher Kommunikation) eröffnet, die, intimer Nähe. Die „Verfertigung der Gedanken ausgehend von einem evolutionsbiologischen An- beim (Brief-)Schreiben“ ermögliche ein Denken satz, das Medium Brief innerhalb der kognitiven in Briefform, das bei beiden Autoren zugleich ein Literaturtheorie verortete und dabei die zur schrift- Bedenken der Briefform sei. lichen Kommunikation notwendigen kognitiven, Jochen Strobel (Brief und Netzwerk), Ger- technischen und soziokulturellen Mindestvor- manist und Editor, reflektierte ausgehend von aussetzungen rekonstruierte. Die Fähigkeit zum Manuel Castells Netzwerkgesellschaft (1996) den Werkzeuggebrauch, zur menschlichen Bindung Netzwerkbegriff in der Briefforschung und proble- (Theory of Mind) und zum Spurenlesen sind matisierte dabei besonders die Überlieferungslage, demnach zeitenüberdauernde Faktoren, die als die Voraussetzungen editorischer Praxis sowie © 2020 The author(s) - http://doi.org/10.3726/92167_665 - Dieses Werk ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung 4.0 Internationalen Lizenz Weitere Informationen: https://creativecommons.org/licenses/by/4.0
666 | Konferenzberichte die Grenzen der Darstellungsmöglichkeiten von ästhetische Kategorien der Galanterie und galanten Personennetzwerken. Im Rahmen dessen unter- Epistolographie am Beispiel der Briefe Aurora von schied er zwischen Darstellungs- und Zugriffs- Königsmarcks. Die eindrucksvoll innovativ-freie, modi und sensibilisierte für die Differenz zwischen galante Briefform eröffnete einen neuen Abschnitt Menschen- und Maschinenlesbarkeit von Briefen. der Briefgeschichte. Stauffer demonstrierte anhand Unabhängig von Netzwerk- und Graphenzusam- der untersuchten Brieftexte, dass ein locker-unge- menhängen sei jedoch zur adäquaten Erfassung die zwungener Briefstil, der nicht durch ein rhetori- Lektüre des Einzelbriefs unumgänglich. sches Dispositionsschema determiniert war, bereits Der Historiker und Digital Humanist A ndreas vor Gellerts Brieflehre existierte und der galante Kuczera (Gießen/Mainz) (Briefe mit der digita- Brief sogar als Wegbereiter des post-Gellert’schen len Brille – Briefmodellierungen in drei digitalen ,natürlichen‘ Briefstils angesehen werden kann. Projekten von Augustinus bis zu den Sozinianern) In der vierten Sektion durchschritt Jana K ittel- illustrierte anhand von Augustinus-Briefen, der mann (Kabinett. Garten. Spaziergang. Räume des Barbarossa-Korrespondenz im Liber epistolarum Briefs) Wissens- und Erkenntnisräume in Briefen der Hildegard von Bingen sowie dem soziniani- und in Gärten mit Fokus auf dem 18. Jahrhundert, schen Briefwechsel die Potenziale und Grenzen der wobei sie ,Raum‘ als den Ort gesellschaftlicher Visualisierungen und Modellierungen von Briefen Interaktion verstand. Sie zog Parallelen zwischen und Briefdaten im digitalen Raum und reicherte der Garten- und Briefgestaltung sowohl im Ent- Jochen Strobels vorhergehende theoretisch-abs- wurf als auch in der Darstellung, Beschreibung trakte Ausführungen mit praktischen Beispielen und Inszenierung. Gärten dienten in Kittelmanns an. Dabei bestätigte er dessen Plädoyer, dass Vi- Exempeln als Schreib- sowie als Lektüreorte und sualisierungen stets als Reduktionen und Graphen letztlich auch als Brieftopoi, wobei ein vermeint- primär als Zugriffshilfen auf das dahinterliegende lich natürlicher Briefstil mit einer vermeintlichen Material zu verstehen seien. Naturwildnis im Garten verschränkt werden kann. Den Auftakt zur dritten Sektion machte am Gärten und Briefe fungierten hierbei als Schnitt- darauffolgenden Tag die Theologin Eve-M arie stellen zwischen Authentizität und Literarizität. Becker (Münster) (Distanz oder Nähe? Das Pa- Anschließend betrachtete Claudia Bamberg rousia-Motiv bei Paulus und Seneca im Vergleich), (Marburg) (Schau-Objekte der Literatur. Funktio- die nach der Nachhaltigkeit und dauerhaften nen des Briefs in Sammlungen und Ausstellungen Gültigkeit eines Briefs vor dem Hintergrund des des frühen und des späten 19. Jahrhunderts) den Parousia-Motivs, also der ,Präsentmachung‘ des Brief in seiner Eigenschaft als Gegenstand, spe- Schreibers durch seine schriftliche Mitteilung, ziell als Ausstellungsobjekt, und stellte die Frage, fragte. Ein Brief kann hierbei als Technik der was denn überhaupt ausgestellt werde, wenn räumlichen Überwindung zum Erreichen des ein Brief exponiert wird – mit dem Ergebnis, abwesenden Freundes dienen – er ermöglicht dass eine Funktionsverschiebung von Briefen in eine Vergegenwärtigung des Verfassers sowohl Sammlungen und Ausstellungen stattgefunden für den direkt adressierten Empfänger als auch hat. Während Briefe im 18. Jahrhundert noch für die mögliche Nachwelt, denn was Parousia „als materialisierte Subjektivität“ und primär als zu Lebzeiten leistet, wird postum von Memoria Andachtsobjekte dienten und Briefsammlungen übernommen. Parousia, so Becker, scheint an die in einer Art ,Wunderkammermodell‘ präsentiert Lebenszeit gebunden; durch das Memoria-Motiv wurden, wandelte sich das Interesse am Brief im 19. hingegen ist es etwa bei Senecas Briefen möglich, Jahrhundert eher in Richtung eines objektiveren, den Brief als Medium der Selbstartikulation und museal-wissenschaftlich motivierten Ansatzes. der Identitätsstiftung von biographischen Situatio- Bestehen blieb jedoch – wenngleich mit anderer nen zu lösen und potenziell auch auf infinite Zeit Gewichtung – die Fähigkeit des Briefs, „Vergan- hin urbar zu machen. genes in die Gegenwart“ zu transportieren und Nach einem Zeitsprung von der Antike in durch seine Materialität einerseits den Verfasser die frühe Neuzeit präsentierte Isabelle Stauffer zu vergegenwärtigen, andererseits als reichhaltige (Eichstätt) (Der galante Brief. Aurora von Königs- Quelle zu dienen, wodurch er zum auratisierten marck) wesentliche Gestaltungselemente und Zeitschrift für Germanistik, Neue Folge XXX (2020) Peter Lang
Konferenzberichte | 667 Fetischobjekt werden konnte, dessen Lesarten über Nähe und Distanz. Elemente einer Anthropologie die Epochen hinweg aber changierten. des Briefs war, hat abermals verdeutlicht, wie di- Die Materialität stellte auch Sophia V. K rebs vers und vielseitig das Kommunikationsmedium (Wuppertal) (Papier, Raum, Distanz. Lektürehin- ,Brief‘ ist und wie viele Desiderate bezüglich seiner weise zum,Brief ‘ um 1800) in den Vordergrund, Erforschung bestehen. Der Brief in seiner Text- indem sie auf Basis einer Auswertung von Brief- ualität, Medialität und Materialität ermöglicht stellern Gestaltungsnormen herausstellte und einerseits eine Erweiterung von Spielräumen der diese mit authentischen Briefen, in diesem Fall Selbstdarstellung, andererseits eine Erweiterung von August Wilhelm Schlegel, abglich. Dabei des Denkens durch Briefaustausch. Der ‚Werk- wurde eine semantisierte Schreibraumgestaltung stattcharakter‘ des Briefs, der Brief als geschützter sichtbar, die sich auf nahezu jedes materielle ‚Erprobungsraum‘ für Gedanken und Texte vor der Element des Briefs übertragen lässt und inhalt- Überführung in eine breite mediale Öffentlichkeit liche Aussagen bereits anhand der Gestalt eines wurde während der Tagung ebenso hervorgeho- Briefes ermöglicht – wenngleich freilich, analog ben wie sein Potenzial, retrospektiv Zugriff auf zu den Netzwerkausführungen tags zuvor, diese spezielle Zeiträume, Epochen, Personen, Denk- Zugriffsmöglichkeit nicht die Lektüre des Verbal- weisen und Kommunikationsmodi zu eröffnen. textes ersetzen kann. Der Brief bot und bietet Möglichkeiten zum Die fünfte Sektion war N or m a n K a sper schriftlichen Kontakt und Austausch fernab der (Profunde Post. Ernst Jünger und die Tradition Literatur – erlaubt aber dennoch eine (schriftlich des Gelehrtenbriefs) vorbehalten, der sich mit der fixierte) Orientierungssuche und Verewigung des Sammlung, Sortierung und Praxis eines Gelehr- ,Selbst‘. Antworten auf Fragen nach Erfolg der tenbriefwechsels am Beispiel von Ernst Jünger Briefkommunikation, der Glaubwürdigkeit des und der Ägyptologin Emma Brunner-Traut Briefs als Form, seiner Überzeitlichkeit und seinen auseinandersetzte. Jünger, der aufgrund seines epochenspezifischen Kommunikationsstandards Nachlassbewusstseins auch als ,Archivautor‘ be- konnten nur andeutungsweise gegeben werden. trachtet werden kann, lässt in seinem Korrespon- Eine Publikation von Beiträgen der beiden denzverhalten eine „weltanschauliche Forschung“ Tagungen ist geplant. erahnen. Im Kontext einer wissenspoetologischen Auswertung des Briefwechsels wurde darin ein Sophia Victoria Krebs Abstecken des weltanschaulichen Rahmens mit Bergische Universität Wuppertal Rückversicherung durch brieflichen Kontakt mit Fakultät für Geistes- und Kulturwissenschaften den Naturwissenschaften erkannt, was wiederum Lehrstuhl für Neuere deutsche Literaturwissen- in Jüngers Abhandlung Das spanische Mondhorn schaft und Editionswissenschaft (1962) Niederschlag fand. Gaußstraße 20 Die Tagung, die ihrerseits die Fortsetzung eines D–42285 Wuppertal 2018 in Graz abgehaltenen Kongresses zum Thema Werk und Beiwerk. Zur Edition von Paratexten (18. Internationale Tagung der Arbeits- gemeinschaft für germanistische Edition im Deutschen Literaturarchiv Marbach v. 12.– 15.2.2020) Was ist Gegenstand einer Edition? Das heißt im- hierzu in das Deutsche Literaturarchiv in Marbach mer auch: Was ist nicht ihr Gegenstand? Diesem am Neckar. Die interdisziplinäre Plenartagung weitgreifenden, freilich auch unter ‚digitalen Vor- wurde in Kooperation mit der Fachgruppe Freie zeichen‘ fortlaufend virulenten Problemkomplex Forschungsinstitute in der Gesellschaft für Musikfor- widmete die Arbeitsgemeinschaft für germanistische schung und der Arbeitsgemeinschaft philosophischer Edition ihre 18. Internationale Tagung und lud Editionen durchgeführt und fand erstmals an Peter Lang Zeitschrift für Germanistik, Neue Folge XXX (2020)
668 | Konferenzberichte jenem, Archiv und Bibliothek zusammenführen- Beiwerkbegriffs, (c) die Fragen nach der Werk- dem Ort statt, der Werke sowie Vor- und Nachlässe politik und (d) eine konkrete Operationalisierung von Autor*innen des 19. und 20. Jahrhunderts in des Werkbegriffs. exzeptioneller Vielfalt versammelt. Monik a S chmitz-E mans (Bochum) hob in Im Anschluss an das Paratext-Verständnis ihrem Plenarvortrag die Bedeutung sinnkonsti- Gérard Genettes führte die Tagung übergreifende tutiver Materialeigenschaften im Rahmen edito- Fragestellungen insofern eng, als sich Forschende rischer Repräsentationen hervor. Anhaltspunkte der Literatur-, Geschichts- und Musikwissen- für die besondere Geltung der Materialität liegen schaft wie auch der Philosophie theoretisch und etwa vor, wenn Erwähnungen oder Anspielungen am Beispiel laufender Editionsprojekte darüber im schriftlichen Text (etwa durch Sprachbilder) austauschen sollten, wie mit jenen Elementen erfolgen. Wenn Materialität und Buchgestaltung editorisch umzugehen sei, die – wie es im Call zum literarischen Ereignis zu rechnen sind, werden for Papers hieß – zwar „mit dem zu edierenden die Herausforderungen, diese editorisch darzu- Text bzw. Werk materiell verbunden sind, aber stellen, und der Anspruch, solcher ‚Buchliteratur‘ nicht seine eigentlichen Textsorten (‚Peritexte‘) gerecht zu werden, besonders groß. Am Beispiel der bilden“. Indem Genettes prägende Monographie unterschiedlichen Ausgaben von Laurence Sternes Seuils (dt. Paratexte) von 1987 schon begriff- Tristram Shandy wurden entsprechend markante lich Pate stand, begründete die darin vollzogene Aspekte herausgearbeitet. Sterne hatte in das Unterscheidung von ‚Text‘ und ‚Werk‘ das zen Manuskript eine Anweisung für den Buchbinder trale Problembewusstsein und wies damit auf ein integriert, der zufolge im Produktionsprozess zwei Bündel editorischer Herausforderungen hin. Aus leere Buchseiten mit stets zufällig herangezogenem der freilich ergänzungsbedürftigen, terminologisch Marmorpapier beklebt werden sollten. Im Roman- unscharfen Begriffsapparatur und dem, zumal text spricht der Erzähler unmittelbar davor von aus editorischer Sicht, begrenztem Phänomenbe- der „marbled page“ als „emblem of my work“. wusstsein hatten die Veranstalter die entscheidende Neben dem Anteil der ‚marmorierten Seite‘ am Wahrnehmung geborgen, dass sich „Text“ – wie Sinngehalt des Werkes verdient aber auch der Um- Genette schreibt – „selten nackt, ohne Begleit- stand Beachtung, dass der Produktionsprozess der schutz einiger gleichfalls verbaler oder auch nicht ersten Ausgaben im 18. Jahrhundert ausschließlich verbaler Produktionen“ präsentiert. So wurde die Unikate hervorgebracht hat. Wie lässt sich nun das Aufmerksamkeit auf jene Merkmale von Werken Zufällige, Einmalige und Individuelle der Erstaus- gelegt, die Autoren, Herausgeber und Verlage gaben erhalten, wenn die Charakteristika der Pro- dem ‚nackten Text‘ hinzugeben, um ihn ‚präsent‘ duktion mit zentralen Inhalten des Textes in enger zu machen: Titel und Illustrationen, Vor- und Verbindung stehen? Die offensichtliche Kongruenz Nachworte, Motti und Widmungen, Typographie von Literatur und Materialität hatte – im Fall und Buchumschläge. Folgt man der Genett’schen dieses Romans – sehr unterschiedliche editorische Heuristik „Peritext + Epitext = Paratext“ weiter, so Lösungen hervorgebracht: In den darauffolgenden gehören auch Epitexte in den reflexionsbedürftigen Ausgaben wurde entweder die je Buchexemplar Bezirk moderner Editorik: Als werkexterne Para- singuläre Form des marmorierten Blattes homo- texte sind Epitexte autoreigene oder fremde Do- genisierend reproduziert, nur die schriftliche An- kumente wie Tagebuch- und Notizbucheinträge, weisung des Autors ohne das entsprechende Blatt Briefäußerungen oder Interviews. Nach Genette wiedergegeben oder gar beides einfach weggelas- bildet die Gesamtheit dieser Paratexte das „Bei- sen. Während sich dieser Umstand leicht aus den werk, durch das ein Text zum Buch wird und als reproduzierenden und teils nunmal unachtsamen solches vor die Leser und, allgemeiner, vor die Kulturtechniken erklären lässt, weist der Fall der Öffentlichkeit tritt.“1 „black page“ auf ein anderes Phänomen hin. Die je Im Folgenden sollen aus der Fülle der insgesamt nach Drucktechnik unterschiedlich ausgeformte, rund 50 Tagungsbeiträge vier ausgewählte The- vom Autor klar als schwarz markierte Seite wurde menbereiche nachvollzogen werden, die grund- nicht nur nicht immer im technisch möglichst legende Aspekte des Themas verhandelt haben: dunklen Schwarz, sondern auch in verschiedenen die Problematisierung des (a) Werk- und (b) des Formen reproduziert: beispielsweise in Form eines Zeitschrift für Germanistik, Neue Folge XXX (2020) Peter Lang
Konferenzberichte | 669 Grabsteins. Der editorische Umgang mit der se- (Heidelberg) und Christine Vogl (München/ mantisch aufgeladenen Seite fußt auf der jeweils Halle). Sie arbeiteten spezifische, langfristig interpretierten Anweisung des Autors. Wie auch wirksame Entscheidungen der Editoren heraus, die „marbled page“, so erhält auch die „black page“ die sich im Licht des Tagungsthemas als proble- ihre Bedeutung in Bezug auf den geschriebenen matisch erweisen. Ausgehend von Lessings – in Text, wodurch das vermeintliche Beiwerk zum den Jahren 1753–1755 selbstständig publizierter Teil des Werkes wird. – Werkausgabe konstatierte Reibold, dass die Vom Beiwerk in Richtung Werk arbeitete sich Konzeption der Schrifften auf einem durchdach- Barbara Hunfeld (Würzburg) problembewusst ten und erfolgreichen werkpolitischen Kalkül an dem Begriff der Werk-‚Vorarbeit‘ und seinen basiert, wobei Paratexte bedeutenden Anteil an editorischen Konsequenzen ab. Aus der Anfangszeit der Autorkomposition hatten. Überzeugende Be- der Jean-Paul-Philologie stamme eine traditionelle lege hierfür lieferten Hinweise zum Sinngehalt der Vorstellung von der „Klassizität des Dichterwerks“ Frontispize und zur Bedeutung der Textarrange- und habe im Bereich der Literaturwissenschaft zur ments in den sechs Bänden.2 Die paratextuellen Ratifizierung teleologischer Annahmen geführt: Besonderheiten dieser Werkausgabe fanden in Wenn Schreiben ausschließlich auf die Schaf- den zahlreichen Lessing-Ausgaben (von K. G. fung von Text und Werk gerichtet sei, gehörten Lessing über Lachmann/Muncker bis Göpfert Handschriften in den Bereich der „den Werken und Barner) gleichwohl keine editorische Auf- beizuordnenden Materialien“. Hieraus zogen Jean- merksamkeit: Nie seien die Schrifften – der Erst- Paul-Editoren die Konsequenz, diese Materialien ausgabe gemäß – gemeinsam mit ihren Paratexten nicht zu edieren, sondern lediglich rubrizierend ediert worden. De facto wurden die von Lessing – in Auswahl oder Paraphrase – „mitzuteilen“. angeordneten und paratextuell gerahmten Texte Weil ihnen kein eigenständiger Sinn zugeschrieben in den späteren Werkausgaben unter anderen wurde, interpretierte man sie, ohne sie zugleich Gesichtspunkten ediert und das heißt: aus ihrem per Edition mitzuteilen. Wenn auch die neuere von Lessing konzipierten Rahmen herausgelöst. Jean-Paul-Edition eine relative Aufwertung der Vogl konzentrierte sich im Rahmen ihres Refe- Handschriftenkonvolute vollzog, blieb dieses Kor- rats auf Lessings kunsttheoretische Hauptschrift pus dem Werk nachgeordnet: Als Beitexte wurden Laokoon (1766) und stellte heraus, dass zwischen die Handschriften Teil der Kommentar-, nicht der der rezeptiven Geltung des Textes und dem Be- Werkbände. Demgegenüber suchte Hunfeld den streben, eine zuverlässige Textedition herzustellen, Eigensinn dieser Konvolute zu begründen, indem ein Ungleichgewicht bestehe. Dieses „eklatante sie ihre Bedeutung als „Labyrinth polyvalenter Missverhältnis“ zeige sich an der – editorisch nie Ideennotate“ herausstellte. So perspektiviert, stelle reflektierten und in Folge revidierten – Auswahl sich die Bedeutung bezogen auf das spezifische jener Epitexte, die für die Fortsetzung relevant Schaffen Jean Pauls neu dar; es müsse von einem waren und sozusagen zum avant-texte zu rechnen „Allwerk“ gesprochen werden, in dem das „Parer- seien. Die erstmals von Lachmann/Muncker gon“ zum hierarchisch gleichberechtigten „Ergon“ 1898 vorgenommene Auswahl und Beschränkung werde. Aus der Spezifik des Jean-Paulsch’en Œuvre auf 30 Nachlassstücke hat auch Wilfried Barner und der komplexen Verschränkung von publizier- in seine Studienausgabe übernommen und den tem Werk, Textfassungen und der Vorstellung Begriff ‚Paralipomena‘ verwendet. Die neuere eines Gesamtwerks gewann Hunfeld die These, Lessing-Philologie habe demgegenüber den Nach- dass sich die Handschriften und die publizierten weis erbracht, dass diese Beschränkung die Sich- Texte komplementär zueinander verhalten, folglich tung, folglich auch die Analyse des tatsächlichen das eine für das jeweils andere Werk und Beiwerk Umfangs von Lessings groß angelegtem Projekt sei. Die gegenwärtig erarbeitete Ausgabe negiert behindere. Zahlreiche „(Epi-)Textstücke“ seien damit das Klassizitätspostulat und reagiert mit der in anderen Zusammenhängen überliefert, ohne Edition der sogenannten Vorarbeiten im Rahmen dass dadurch ihr Ausschluss zu rechtfertigen sei: eigener Texteditionsbände. in den Anmerkungen in Lessings Handexemplar Der umfangreichen Editionsgeschichte von von Winckelmanns Kunstgeschichte, in diver- G. E. Lessing widmeten sich Janina R eibold sen Notizen in Kollektaneen und in brieflichen Peter Lang Zeitschrift für Germanistik, Neue Folge XXX (2020)
670 | Konferenzberichte Äußerungen, sowie, als epitextuelle Elemente, gewinnbringend unter den Begriffen „Werk“ und in Lessings antiquarischen Schriften. Vogl strich „Beiwerk“ fassen. Einerseits konnte damit eine heraus, dass der Unterschied zwischen Text und erste Ausmessung des Verhältnisses beider Begriffe Epitext schwierig zu definieren sei, sodass sich be- zueinander geleistet und deren zentrale Stellung sondere Herausforderungen für die Repräsentation im editorischen Aufgabenapparat herausgestellt im Rahmen einer historisch-kritischen Ausgabe werden (man denke an das kleine, sowohl verbin- ergäben. dende als auch trennende „und“ im Tagungstitel); Dass das Verhältnis von „Werk“ und „Beiwerk“ andererseits wurde deutlich, dass es hier noch einer auch in anderen Bereichen virulent wird, zeigte der terminologischen Schärfung bedarf. Um diffe- Beitrag von K arin Schmidgall (Marbach) und renziert beschreiben zu können, was auf welche A rno Barnert (Weimar). Denn die herkömmli- Weise Gegenstand einer spezifischen Edition ist cherweise bloß als Hilfswissenschaft begriffene Bi- und was nicht – und dies also auch argumentativ bliothekswissenschaft muss sich neben dem – nicht nachvollziehbar zu machen –, besteht ein erhöhter nur technischen – Wandel innerhalb der digitalen Bedarf nicht nur an einer angemessenen Termino- Bibliothekskataloge nun auch mit literaturwissen- logie, sondern auch einer neuerlichen editorischen schaftlichen Fragen beschäftigen: Im Rahmen des Aufgaben- und Methodenreflexion. Wie gewohnt sich etablierenden Standards der Functional Requi- werden die Plenarvorträge in den kommenden rements for Bibliographic Records (FRBR) tritt die beiden Bänden der editio (Nr. 34/35, 2020/2021) Frage, was ein spezifisches Werk ausmache – und erscheinen; die Sektionsvorträge werden von den was nicht –, auch aus bibliothekssystematischer Veranstaltern in der Reihe Beihefte zu editio 2021 Sicht in den Fokus. In diesem Standard wird herausgegeben. zwischen der Werk-, Expressions-, Manifestations- und der Exemplar-Ebene unterschieden, wobei eine Ebene jeweils als die Realisation bzw. Materialisa- Anmerkungen tion der jeweils vorhergehenden verstanden wird. Gegenüber der üblichen Darstellung (top-down) 1 Gérard Genette: Paratexte. Das Buch vom Beiwerk zeigten Schmidgall und Barnert allerdings die des Buches. Frankfurt a. M. 2001, S. 9 f. Möglichkeit auf, dieses System ‚von unten‘ her zu 2 G. E. Leßings Schrifften. 6 Tle. Berlin 1753–1755. denken: nämlich ausgehend von den materialiter konkret vorliegenden Exemplaren hin zu den Andreas Dittrich abstrakteren Werkeinheiten. Hier wird deutlich, Bergische Universität Wuppertal dass die bibliothekarischen Systeme, mit denen im GRK 2196: Dokument – Text – Edition akademischen Alltag gearbeitet wird, nicht nur mit Gaußstr. 20 einem zentralen Begriff der Editions- und Litera- D–42119 Wuppertal turwissenschaft operieren, sondern dass hier ge- troffene Entscheidungen auch maßgebliche Effekte auf wissenschaftliche Recherchen haben können. Mike Rottmann Abschließend lässt sich sagen, dass im Rahmen Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg der Tagung ein breites Spektrum editorischer Germanistisches Institut Problemlagen ins Bewusstsein gebracht wurde; Ludwig-Wucherer-Straße 2 viele Editionsprojekte und die in ihnen bearbei- D–06018 Halle teten Texte, Werke und Materialien lassen sich Zeitschrift für Germanistik, Neue Folge XXX (2020) Peter Lang
Konferenzberichte | 671 Das Regiebuch. Zur Lesbarkeit theatraler Produktionsprozesse in Geschichte und Gegenwart (Tagung in Hamburg v. 20.–21.2.2020) In seiner Einführung im Warburg-Haus strich gedruckten Lesedramas zu einem Regiebuch. der Organisator M artin Schneider (Hamburg) Dieses wurde durch handschriftliche Angaben zur heraus, dass bereits der Begriff des ‚Regiebuchs‘ Ausstattung, hinzugefügte Regiebemerkungen, Probleme aufwerfe. Könne davon nicht erst die Erweiterungen und Kürzungen des gesprochenen Rede sein, seitdem es Regisseur*innen gebe, ob- Textes sowie Angaben zur Gestaltung der Zwi- gleich die Tagung mit Aufführungsmaterial aus schenakte für eine Inszenierung ausgearbeitet. dem 16. Jahrhundert einsetze? Untersucht werden Jahn betonte, dass es zwar viele Dramendrucke sollte, ob sich Gemeinsamkeiten zwischen den aus dieser Zeit gebe, aber Ausgaben wie diese von Regiebüchern der letzten Jahrhunderte feststellen Areteugenia singulär seien. Dennoch ließen sich ließen. Schneider betonte die Materialität des hier, ebenso wie bei den zuvor vorgestellten Re- Regiebuchs als Sammlung von Aufführungsmate- giebüchern, nur bedingt Aussagen über die realen rialien und Regiearbeit und verwies auf seine Form Aufführungen treffen, da immer noch Distanz als Palimpsest. Mit Blick auf Schriften um 1900 zwischen Aufführung und Regiebuch bestehe. zeigte Schneider, dass mit dem Beginn des Drucks Dirk Niefanger (Erlangen) (Schillers Bearbei- von Regiebüchern und dem damit verbundenen tung von Lessings „Nathan“ – und die Stuttgarter Urheberrecht eine besondere Fixierung von In- Regiebücher) untersuchte vier Regiebücher, die alle szenierungen notwendig geworden sei. aus Schillers Bearbeitung von Lessings Nathan der Im Anschluss hielt Ju li a G old (Gießen) Weise für das Weimarer Theater entstanden: eine (Ersetzung, Streichung, Zettelsammlung. Zur Mate- Subskriptionsausgabe, die Marbacher Reinschrift rialität des Luzerner Apostelspiels [1585/1599]) einen ‚h‘, ein Dirigierbuch und ein „Inspicir“-Buch. Die Vortrag über ein handschriftliches Regiebuch der daraus hervorgehende Fassung wurde an andere Luzerner Apostelspiele, welches bereits Ende des Theater verkauft, so auch nach Stuttgart. Nie- 16. Jahrhunderts Charakteristika späterer Re- fanger arbeitete u. a. heraus, dass das Stuttgarter giebücher aufweist, so bspw. Rollenverzeichnisse, Dirigierbuch sich inhaltlich eher an Lessings Regieanweisungen und Stellpläne für die Spie- Fassung hält als an Schiller. Gemeinsamkeiten ler*innen. Gold rekonstruierte die Arbeit, die an zwischen den Büchern bestehen vor allem in ihrer dem Regiebuch vorgenommen wurde, und lieferte intensiven Bearbeitung, in verschiedenen Farben Belege für die These, dass die handschriftlichen und Handschriften, die auf eine lange Nutzung Aufzeichnungen Grundlage für den Spielleiter der Bücher hinweisen. waren, um die Inszenierung zu gestalten. Über das Regiebuch als Protokoll von Ver- Anschließend entwickelte Cora Dietl (Gießen) änderungen im Probenprozess und die daraus („Nota bene: Abeunt.“ Das Zuger Oswald-Spiel als ablesbare „Maschinen-Dramaturgie“ sprach Meike missverstandenes Regiebuch) Argumente dafür, Wagner (Stockholm) (Maschinen-Dramaturgie. dass eine um 1600 datierte Handschrift eben- „Der Zauberflöte zweyte Theil. Das Labyrinth oder falls als frühes Regiebuch aufzufassen sei. Dietl Der Kampf mit den Elementen“ am Berliner Natio- machte dies besonders an den handschriftlichen nal-Theater 1803). Die Regiebücher des Berliner Eintragungen von Regieanweisungen und dem Theaters beinhalten neben Textergänzungen regelmäßig an aufführungsrelevanten Stellen u. ä. auf der jeweils rechten Seite drei Spalten, in vermerkten „Nota bene“ fest, das als möglicher denen Dekorationsvorschläge, Arbeitsaufträge Hinweis für die Spielleitung und die Spieler*innen, und die Notizen des Bühnenmalers zu finden diese Momente in der Aufführung besonders zu sind. Aus diesen Notizen lassen sich einerseits die beachten, zu lesen sei. Probleme des Probenprozesses, andererseits der Bernhard Jahn (Hamburg) (Das Wolfenbüt- szenische Sinn der Theatertechnik ablesen. In den teler Exemplar von Daniel Cramers „Areteugenia“. Regiebüchern ist die Institution Theater als pro- Ein barockes Regiebuch?) zeigte an einem baro- duktive Maschine zu erkennen. Wagner betonte cken Dramendruck die Transformation eines deren besondere Dramaturgie, die sich nicht nur Peter Lang Zeitschrift für Germanistik, Neue Folge XXX (2020)
672 | Konferenzberichte im Text und in der Bühnenmalerei, sondern bspw. Dokuments warf für Ernst die Frage auf, warum auch in der Technik der Bühnenbeleuchtung das Theater, die gerade entstehende Dramaturgie erkennen lasse. und die Problematisierung der Regie von Jessner Den letzten Vortrag des ersten Tagungstages nicht öffentlich verhandelt wurden. hielt K atrin Dennerlein (Würzburg) (Kleists Eine besondere Form des Regiebuchs stand im „Zerbrochner Krug“ in seiner ersten erfolgreichen Fokus des Vortrags von A nna H äusler (Dresden) Bühnenbearbeitung). Das Inspektionsbuch der (Modelltheater. Brechts Modellbücher). Die soge- Hamburger Aufführung von 1820 basiert auf nannten Modellbücher wurden als dreibändige Friedrich Ludwig Schmidts Bearbeitung von Ausgaben publiziert, welche den Text des Stücks, Kleists Text, die als erste erfolgreiche Fassung Fotoreihen der Produktionen sowie Anmerkun- auch in anderen Städten gespielt wurde. Das gen Brechts und seines Teams boten. Die Bücher vorhandene handschriftliche Buch beinhaltet wurden an andere Theater unter der Bedingung wenige Ergänzungen neben dem eigentlichen verkauft, dass die Dramen in eben dieser Form Text, dennoch lassen sich Requisitenlisten sowie aufgeführt würden, was für die Verbreitung der eine Skizze des Bühnenbilds finden. Da dieses In- Brecht’schen Regieform sorgte. Auch wenn diese spektionsbuch kein Soufflierbuch ist, sondern für Bedingung später gelockert wurde, bieten die Mo- den Inspizienten z. B. Auf- und Abtritte vermerkt dellbücher Brechts nicht nur eine detaillierte Nach- sind, kommt es bereits dem Begriff ‚Regiebuch‘ vollziehbarkeit seines Arbeitens, sondern belegen recht nahe. Dennerlein verwies in diesem Kontext den Versuch der Etablierung eines künstlerischen darauf, dass der Inspizient um 1820 häufig gleich- Standards für die Inszenierung seiner Texte. zeitig als Regisseur fungierte. Nina Birkner (Jena) („Im Krieg ist die Welt Jörg K r ämer (Erlangen) (Was verraten Re- dem Menschen bloß Schicksal“ – Hansgünther giebücher? Erkenntnispotentiale von Musiktheater- Heymes Bearbeitung von Schillers „Wallenstein“ Regiebüchern des langen 19. Jahrhunderts) eröffnete für das Schauspiel Köln (1969)) ging anhand der den zweiten Tagungstag mit einem Vortrag über Suhrkamp-Taschenbuch-Ausgabe zu Heymes mehrere Regiebücher aus der Theaterbibliothek Schiller-Inszenierung der Frage nach, ob diese für des Staatstheater Nürnbergs von 1800 bis 1918. den Druck bearbeitete Fassung als echtes Regie- Krämer zeigte die Entwicklung von Partituren buch Heymes gelten darf. Der Druck enthält als Regiebüchern hin zu durchschossenen Klavier- neben Szenenfotos an den entsprechenden Stellen auszügen, die im Regelfall ab 1908 für Regie, In- auch Quellentexte und Erfahrungsberichte und spizient und Souffleur dreifach vorhanden waren. protokolliert die Regiearbeit Heymes minutiös. Neben den eingetragenen Besetzungsstärken sowie Somit darf die Veröffentlichung nach Birkner als Anweisungen zu Requisiten, Dekoration und der Regiebuch gelten, da sie die Spielvorlage mit Be- Mimik und Gestik der Spieler*innen erschienen arbeitungen enthält. Als Dokumentation erlaubt ab 1828 vermehrt gedruckte Musterregiebücher, das Buch vor allem eine hermeneutische Deutung durch die Pariser Inszenierungen identisch in der Inszenierung. Nürnberg aufgeführt werden konnten. Krämer Über ein zeitgenössisches Phänomen sprach stellte die These auf, dass dieses Nachspielen der A nika Tasche (Göttingen) (Dea Loher & Andreas Regiehefte die Regie normierte und stabilisierte. Kriegenburg. Text und/versus Regie am Beispiel von Wolf-Dieter Ernst (Bayreuth) (Das Regiebuch „Das letzte Feuer“), die mit Blick auf Kriegenburgs als Beweisstück? Die kulturpolitische Kontroverse um Hamburger Inszenierung von Das letzte Feuer das die ‚Klassiker‘-Inszenierung Leopold Jessners) analy- besondere Verhältnis von Autorin und Regisseur sierte ein „Meta-Regiebuch“ Leopold Jessners, wel- beleuchtete und die Frage aufwarf, inwiefern ches als Dramaturgie-Traktat die machtpolitische Inszenierungen von Autor*innen mitgedacht Dimension des Theaters in Bezug auf Verhältnis werden. Loher lässt im Text bewusst Lücken für von Regie und Text behandelt. Die schöpferische die Regie, die Kriegenburg aufgreift. So schlägt Freiheit der Regie im Umgang mit Klassikern wird sich Tasche zufolge das Verhältnis von Regie und dabei anhand des ‚Klassikers‘ als Streitfall zwischen Text bereits im Dranmentext selbst fest und hat Revolution und Revisionismus thematisiert. Der Auswirkungen auf das Regiebuch sowie auf die politische Aspekt des damals nicht publizierten letztliche Aufführung. Zeitschrift für Germanistik, Neue Folge XXX (2020) Peter Lang
Konferenzberichte | 673 Mit dem Regiebuch im digita len Zeit- des Theaters auftauchen. Während das Regiebuch alter beschäftigte sich M artin Jörg S chäfer jedoch eine Inszenierung speichert und bei jeder (Hamburg) (Textentwicklung und Textausdrucke Aufführung erneut gebraucht wird, verbraucht sich von René Polleschs „Ich kann nicht mehr“ (2017)). das Drehbuch im Laufe der Filmproduktion selbst. Wie er an Polleschs Hamburger Inszenierung Die Tagung hat deutlich gemacht, dass sich his- zeigte, ist das Regiebuch heutzutage im Regelfall torische Kongruenzen zwischen den Aufführungs- eine digitale Datei, die bearbeitet und je nach Be- materialien feststellen lassen, die die Rede vom darf ausgedruckt wird. In diesen Dateien gilt: Was Regiebuch bereits vor der eigentlichen Position weg ist, ist weg, denn die ständigen Ergänzungen der Regie plausibel erscheinen lassen. Die hand- und Durchstreichungen der als Palimpsest auf- schriftliche Bearbeitung der Regiebücher wurde tauchenden älteren Regiebücher sind nicht länger auch durch den Buchdruck nicht abgelöst, jedoch dokumentiert. Zwar gebe es häufig eine Master- scheint sie in jüngerer Zeit durch digitale Va- datei, die alle Vermerke sammelt, jedoch werde rianten ersetzt zu werden. In den Diskussionen diese zumeist aufgeteilt in eine besondere Fassung wurde wiederholt bemerkt, dass die jeweiligen für Spieler*innen, Bühnentechniker*innen oder Regiebücher trotz zeitlicher und örtlicher Diffe- die Soufflage. Eine allen zur Verfügung stehende renzen überraschend ähnlich aussehen und sich Datei, ein allumfassendes Regiebuch, gebe es hier- bestimmte Elemente der Notation und Formen bei jedoch nicht. der Bearbeitung über einen weiten Zeitrahmen Den letzten Vortrag der Tagung hielt J an hin wiederholen. Henschen (Erfurt) (Das Drehbuch als prozessualer Die Publikation eines Tagungsbandes ist Text), der den Blick auf das Regiebuch in der Diffe- geplant. renz zum Drehbuch schärfte. Henschen stellte das Produktionsdrehbuch, also die finale Version des Tobias Funke Drehbuches, als dem Regiebuch ähnlichste Fas- Universität Hamburg sung dar. In diesem Buch sind u. a. Bewegung, Re- Fakultät für Geisteswissenschaft quisiten und Klang fixiert. Produktionsdrehbücher Überseering 35 enthalten ebenfalls diverse Streichungen und D–22297 Hamburg Bearbeitungen, wie sie auch in den Regiebüchern An den Schnittstellen von Fakt und Fiktion. Formen und Funktionen dokufiktionalen Erzählens in der Gegenwart (Tagung in Erlangen v. 7.–9.11.2019) In der Einführung durch die Organisatorinnen der Authentizität des Dargestellten stelle. Der sog. Christine Lubkoll und Agnes Bidmon entfal- ‚semi-dokumentarische Vertrag‘ beinhalte das tete Bidmon die zu beleuchtenden Perspektiven: Versprechen der impliziten Andeutung oder des Das seit einiger Zeit in den Künsten und ihren expliziten Ausstellens, dass die Erzählungen „als unterschiedlichen medialen Dispositiven enorm Grenzgänger zwischen Fakt und Fiktion angelegt populäre Format Dokufiktion – die Annäherung sind“. Erzähltheoretisch und -ethisch seien damit an die Wirklichkeit unter dem konstitutiven Ein- untrennbar verbunden die Frage nach dem gene- bezug von dokumentarischem, in die fiktionale rellen Status der Kategorien ‚Fakt‘ und ‚Fiktion‘ Erzählumgebung einmontiertem Material – sei sowie die Frage nach der Glaubwürdigkeit der medienhistorisch nicht neu, habe aber in den Erzählungen. letzten Jahrzehnten eine neue Qualität gewonnen. Die erste Sektion, „Theoriehorizonte“, eröffnete Als seine Spezifik könne gelten, dass es an den Monik a Schmitz-E mans (Bochum) (Zwischen Schnittstellen der Kategorien ‚Fakt‘ und ‚Fiktion‘ Fiktion, Dokufiktion und Metafiktion: Umberto auf einer Metaebene immer auch die grundlegende Ecos Roman „Il cimitero di Praga“ im Kontext Frage nach der Erzählbarkeit des Faktischen und seiner Recherchen zu den ‚Weisen von Zion‘) mit Peter Lang Zeitschrift für Germanistik, Neue Folge XXX (2020)
674 | Konferenzberichte Betrachtungen von Umberto Ecos fingierter konjekturales bzw. vermutendes Erzählen, größere Entstehungsgeschichte einer realhistorisch sehr Distanzierung vom nicht Dokumentierten durch wirkmächtigen Verschwörungstheorie, den Proto- thematische Verlagerung zum Dokumentierbaren, kollen der Weisen von Zion. Eco führe mit seinem hypothetisches Erzählen, Legitimation fiktionaler Roman, in dem mit der fiktionalen Erzählung um Textteile durch rahmend abgegrenzte nichtfiktio- einen Vorlagenverfasser der Protokolle sowie um nale Teile, Protokollstil (Wirklichkeit dokumen- deren realhistorische Bedingungszusammenhänge tieren, ohne sie abzubilden) sowie Autofiktion Fiktionales und Faktuales miteinander vermischt mit unbestimmter erster Person Singular. Diesen sind, vor, wie mit faktualem Bildmaterial Fiktio- Verfahren als Modi entsprächen insbesondere die nales ‚dokumentiert‘ werde. Er entlarve damit eine verbalgrammatischen Modi Nezessativ, Potentialis Strategie, wie Bilder zur Genese und Popularisie- und Konditionalis – die es zur Präzisierung des Be- rung von Fiktionen beitrügen, wodurch sich der griffsfeldes der Dokufiktion genauer zu bestimmen Fiktion entstammende Verschwörungstheorien auf und zu analysieren gälte. die Realgeschichte auswirkten. Im Zentrum des ersten Vortrags der zweiten Woher das spezifische Irritationspotential Sektion, „Mediale Inszenierungen“, von A nto - dokufiktionaler Texte, in denen sich faktuale nius Weixler (Wuppertal) (Die Konstruktion von und fiktionale Darstellungsweisen oft kaum Wirklichkeit. Authentifizierungsstrategien in doku- voneinander unterscheiden lassen, kommt, fragte fiktionalem Erzählen), standen Überlegungen zum Eva-M aria Konrad (Frankfurt am Main) („Was Konzept der Authentizität. Spezifikum dokufik- aber feststand, waren ein paar Daten, Fakten.“ Do- tionalen Erzählens sei es, die angewandten fiktio- kufiktion aus fiktionalitätstheoretischer Perspektive) nalisierenden Erzählverfahren auszustellen, um auf und beantwortete diese Frage ausgehend von den die Unmöglichkeit rein referentieller Authentizität traditionellen Regeln der aktuellen Fiktiona- hinzuweisen. Dies folge aus dem Bewusstsein, dass litätspraxis: die bei den Leser(innen) vorausgesetzte Authentizität nur relational, durch Verfahren der fiktionalitätstypische Rezeptionshaltung und die Produktion und/oder Rezeption, herstellbar sei Gebote, weder von den fiktionalen Äußerungen und es überdies den Rezipient(inn)en obliege, auf deren Wahrheit noch auf die diesbezüglichen medialen Kommunikationen das Prädikat ‚au- Überzeugungen des Autors zu schließen. Doku- thentisch‘ zuzuschreiben. Zentrales Beispiel für fiktionen brächen mit den Konventionen des eine solche Authentifizierungsstrategie war das faktualen und denen des fiktionalen Diskurses Verfahren der Textschwärzung, das Weixler u. a. und lösten so die eingangs erwähnte Irritation aus. anhand von F.C. Delius’ Unsere Siemens-Welt. Eine Bei der fiktionalitätstheoretischen Einordnung Festschrift zum 125-jährigen Bestehen des Hauses S. argumentierte Konrad in Abgrenzung von Kom- vorführte. positionalitätstheorien für die Betrachtung doku- Authentizität war auch im Vortrag von Stepha- fiktionaler Texte als Grenzfälle zwischen Faktizität nie C atani (Saarbrücken) (Kunst und Kritik. Das und Fiktionalität und dergestalt als „bewusste politische Kino Jafar Panahis) zentral. Anhand von Provokationen“ des Kategorisierungsbedürfnisses Grenzfällen zwischen Spielfilm und Dokumenta- der Rezipient(inn)en. tion des iranischen Kinoschaffenden Jafar Panahi Erzählverfahren und -techniken dokufiktio- zeigte sie, wie dieser die klare Unterscheidung von nalen Erzählens zwischen Montage und Amal- afilmischer und profilmischer Referentialisierung gamierung exemplifizierte M icha el Niehaus verunmögliche. So sei etwa in Taxi (2015), das im (Hagen) (Erzählverfahren und Erzähltechniken Mittelpunkt von Catanis Ausführungen stand, un- dokufiktionalen Erzählens) anhand vierer Texte aus klar, welche Teile davon der physischen Wirklich- der unmittelbaren Gegenwart: Florian Illies’ 1913 keit jenseits der filmischen Inszenierung zugehören (2012), Helmut Lethens Die Staatsräte. Elite im (= afilmisch) und welche für den Film generiert Dritten Reich: Gründgens, Furtwängler, Sauerbruch, und arrangiert sind (= profilmisch). Panahis Filme Schmitt (2018), Hans Joachim Schädlichs Felix und hinterfragten mit ihrer fast permanenten Referen Felka (2018) sowie Judith Schalanskys Verzeichnis tialität konsequent den Binarismus von Fiktion einiger Verluste (2018). Zentrale Verfahren des und Wirklichkeit und reflektierten damit den dokufiktionalen Erzählens sind Niehaus zufolge Begriff der Authentizität. Zeitschrift für Germanistik, Neue Folge XXX (2020) Peter Lang
Konferenzberichte | 675 Fragen nach dem Umgang von Reality-TV mit Beweis und Dokumentation, die Fotografie als der Wirklichkeit und dem produktions- wie re- Präsenz und Abwesenheit des unverstellten Realen zeptionsseitigen Anspruch des Dokumentarischen mit Vorbildfunktion für das eigene literarische ging Thomas Schröder (Innsbruck) (Reality-TV Schaffen, die Fotografie als kontrafaktische Ge- und die Wirklichkeit. Überlegungen aus medienwis- schichte und die Fotografie als Geschichtsspeicher, senschaftlicher Perspektive) nach. Er systematisierte der Geschichten generiert. das Format und nahm dabei – nach der einführen- Mit gedruckten Inter views befasste sich den Unterscheidung von narrativen (authentische Thomas Wegmann (Innsbruck) (In weiter Ferne oder nachgestellte Wiedergabe tatsächlichen wohl dagewesen. Interviews als Fiktionen der Wirk- Geschehens) und performativen (erkennbare pro- lichkeit) und damit mit einem journalistischen duktionsseitige Eingriffe in die Handlungen der Format, dem gemeinhin ein sehr hoher Grad von Mitwirkenden) Formaten – das Phänomen der Faktualität zugeschrieben wird, da sein Anspruch Scripted Reality in den Fokus. Schröder unter- ist, ein tatsächlich stattgefundenes Gespräch zu suchte deren gezeigte Wirklichkeit qualitativ und dokumentieren. Vorwiegend anhand von fingier- bot quantitative Studien über die Rezeption hin- ten Interviews führte er die Bedingtheiten der sichtlich Realitätsnähe und Fiktionalität. Fiktionalisierung vor, denen auch vermeintlich rein Das aktuell sehr populäre Format des dokumen- faktuale Interviews notwendigerweise unterliegen, tarischen Historiendramas untersuchte Daniel in welchen immer Präsenz und Absenz sowie Schäbler (Hildesheim) (Inszenierungsstrategien Oralität und Literalität interferierten. von Diskrepanz und Kongruenz. Eine Ökonomie Die Relationen zwischen Fakt und Fiktion im des Wissens in dokufiktionalem seriellen Erzählen) Gegenwartstheater untersuchten A ndré Studt anhand der TV-Miniserie Chernobyl (HBO/sky und Hans-Friedrich Bormann (Erlangen) (Neuer 2019) und entwarf dabei eine Ökonomie des Realismus – neue Illusionen? Kunst als Politik im Wissens zwischen Medium und Rezipient(in). Er Gegenwartstheater) anhand von Jacques Rancières zeigte konkrete Ausgestaltungen der für die Zu- Unterscheidung zwischen Polizei (verstanden als schreibung von Authentizität dominanten Modi Gesamtheit von Prozessen der Distribution von der Objektauthentizität (authentische Zeugnisse) Mächten, Funktionen und Legitimationen, die sowie der Subjektauthentizität (authentisches Er- Verbindung und Einwilligung von Gemeinschaf- leben) und exemplifizierte die Wissenskongruenz ten hervorbringen) und Politik (als dem Aufbe- und -diskrepanz zwischen Figuren und Rezi- gehren gegen die polizeilichen Normierungen mit pient(inn)en sowie deren jeweiligem Wissensvor- der Voraussetzung der Gleichheit aller an diesen sprung bzw. -rückstand. Objektauthentizität und Prozessen beteiligten Individuen). Den Begriff Wissenskongruenz sowie Subjektauthentizität der Polizei exemplifizierten sie mit der Aktion und Wissensdiskrepanz korrelierten miteinander: Holocaust-Mahnmal Bornhagen des Zentrums für Die detailgetreue Ausstattung etwa decke sich politische Schönheit – die Aktion habe die für das mit den Vorstellungen des Publikums, und der Aufbegehren gegen Normierungen notwendige Wissensvorsprung des Publikums gegenüber den Reflexion durch Affekt- und Aufmerksamkeitsme- Figuren erzeuge stellenweise dramatische Ironie chanismen ersetzt. Das Politische illustrierten sie und ermögliche Empathie mit den Figuren. mit Milo Raus Theaterinszenierung Five Easy Pie- Grundlegend für den Vortrag von B er nd ces über die Geschehnisse um den Kindermörder Stiegler (Konstanz) (Photo-Fiction. Fotografien Marc Dutroux, die zur Herstellung von Gleichheit, als Wirklichkeitssimulatoren in literarischen Texten) etwa in den Perspektivierungen des Täters, seines war die Annahme, dass Fotografien als Teil einer Umfelds und den gängigen Urteilen, fähig sei. Praxis, bei der Wirklichkeitsvorstellungen ver- Agnes Bidmon moderierte nach der zweiten handelt werden, immer auch Fiktionen sind. In Sektion eine öffentliche Podiumsdiskussion chronologischer Ordnung stellte er fünf Modi li- zum Thema Fakt, Fake, Fiktion mit den Dis- terarischer Photo-Fictions mit Modellcharakter vor kutant(inn)en Silke Steiner (Drehbuchautorin), und bot damit eine extrem geraffte Geschichte der Timur Vermes (Autor, Journalist, Übersetzer), Photo-Fiction der letzten einhundert Jahre: Den A lexander Jungkunz (Chefredakteur Nürnberger „Hoax“, die Fotografie im Text als vermeintlicher Nachrichten) und M artin Hundhausen (Physiker, Peter Lang Zeitschrift für Germanistik, Neue Folge XXX (2020)
676 | Konferenzberichte Regionalgruppenleiter Scientists for Future), in Mockumentary aus Jan Böhmermanns Fernseh- der die Schnittstellen von Fakt und Fiktion in den sendung Neo Magazin Royale. Laut Podskalsky Bereichen Medien (filmisches und literarisches erfolge in Mockumentarys auf mehreren Ebenen Erzählen), Journalismus und Wissenschaft be- eine Reflexion des Verhältnisses von Geltungsan- leuchtet wurden. spruch (Frage nach Fiktionalität oder Faktualität), Die dritte Sektion, „Narrative und interaktive der Einordnung einer Aussage als wahr oder falsch Verfahren“, eröffnete Markus Wiegandt (Leipzig) und dem Moment der Täuschung. Sie zeigte in- („If the kids are united…“ Geschichtsschreibung/ terne und externe imitierte Dokumentations- und Geschichtenschreibung als literarischer Roundtable Legitimationsstrategien von Mockumentarys und am Beispiel von Jürgen Teipels Doku-Roman „Ver- wies Phänomene der Entertainisierung bzw. der schwende deine Jugend“) mit der Untersuchung des Public History und dem Histotainment nach. Genres Doku-Roman aus der Popkulturgeschichts- Christine Lubkoll hob in ihrer tagungsab- schreibung. Hauptmerkmal der Genrevertreter sei schließenden Zusammenfassung hervor, dass der die Kompilation der erzählten Geschichte aus poly- aus den Medienwissenschaften stammende Begriff phonem Erzählen von Geschichten und Anekdoten der ‚Dokufiktion‘ sich für eine medienübergrei- aus tatsächlich geführten Interviews. Er grenzte das fende und eben auch literaturwissenschaftliche Genre ab von der verwandten Oral History und Betrachtung von Mischformen inzwischen offen- bot charakteristische Faktoren für die Selektion sichtlich bewährt habe. Er schärfe das Bewusstsein und das Arrangement des verwendeten Materials. für verschiedene Grade, Kompositionsweisen, Anhand der dokuf iktionalen Videospiele Modi und Funktionen einer Verbindung des Valiant Hearts. The Great War und Never Alone Dokumentarischen mit dem Fiktionalen. Für eine beleuchtete M ar en C onr ad (Erlangen) (Das differenzierte Betrachtung seien außerdem neben Dokumentarische als interaktiver Wissens- und Er- den Verfahrensweisen selbst auch die rezeptions- fahrungsraum? Dokumentarspiele zwischen musealer bedingten Zuschreibungen zu berücksichtigen. Wissensinszenierung und ludischer Immersion) Angesichts der Vielfalt und Kreativität doku- Kombinationen aus klassischem, nicht-narrativem fiktionaler Formen und Funktionen sollte der Abenteuer-Rätselspiel und den Erzählverfahren Phänomenbereich nicht zu eng eingegrenzt, aber des Dokumentarfilms sowie den literarisch-narra- auch nicht zu vage bestimmt werden: Trotz einer tiven Verfahren von Sachliteratur: Die fiktionale relativ offenen Breite der Beispiele konnten doch Handlung um die Spielfigur(en) dieser Spiele sei die Entscheidungsverfahren und die Analysekri- jeweils in einen spezifischen kulturellen Kontext terien für die Bestimmung des Dokufiktionalen bzw. ein spezifisch kulturelles Ereignis eingebettet. erheblich präzisiert werden. – Die Beiträge er- Conrad zeigte dabei Verfahren der Übernahme scheinen Anfang 2021 in einem Sammelband im musealer Strategien der Wissensaufbereitung und Verlag Walter de Gruyter. -archivierung. Mit dem Format Mockumentary (Mock- Andreas Lugauer Documentary, fingierte Dokumentation mit Friedrich-Alexander-Universität intern und extern markierter Täuschungsabsicht) Erlangen-Nürnberg beschäftigte sich Ver a Podsk alsky (Freiburg) Department Germanistik und Komparatistik ( Jan Böhmermanns „Unternehmen Reichspark“ Bismarckstraße 1 – Satirische Mockumentaries und ihre Bedeutung D–91054 Erlangen für faktuale Wahrheitsansprüche) anhand einer Zeitschrift für Germanistik, Neue Folge XXX (2020) Peter Lang
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