KOPF HOCH Plus Werkstatt "Spannung" - Medium Magazin

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KOPF HOCH Plus Werkstatt "Spannung" - Medium Magazin
magazin für journalisten

                                                                                                                                               #03/2017
                                                                                                                                               EURO 10,–
EURO 10,– · Postfach 1152, 83381 Freilassing · ISSN 0178-8558 · Y9072 E · Foto: Anja Weber

                                                                                             KOPF
                                                                                             HOCH
                                                                                             und mit Mut
                                                                                             in die Schlacht!
                                                                                             Giovanni di Lorenzo

                                                                                                                   Plus
                                                                                             über Haltung.

                                                                                                                               Werkstatt „Spannung“
                                                                                                                               Special „Neue Berufsbilder“
KOPF HOCH Plus Werkstatt "Spannung" - Medium Magazin
Editorial
                  ANNETTE MILZ
                 ist Chefredakteurin des „medium magazins“.

                  FOTO: E. HÄBERLE

Haltung für                                                                                                                    #freedeniz
                                                               Also haben wir zum Interview mit di Lorenzo diesmal
                                                              auch Fragen aus der „Top 30“-Community mitgenom-
                                                              men. Es wurde ein spannendes Experiment (Seite 14).                  Es lebe
den Alltag                                                      Zugleich haben wir eine junge Kollegin und einen
                                                              jungen Kollegen gebeten, ihre eigene Sicht auf das
                                                                                                                                 das freie
                                                                                                                                    Wort!
                                                              Thema Haltung zu schildern.
                                                                Jessica Schober, mit ihrer Aktion „Wortwalz“ be-
Die Frage nach der Haltung ist fast                           kannt geworden, schildert eindringlich ihre Überle-
so alt wie der Journalismus selbst.                           gungen, warum sie nun erneut eine Aktion gestartet
                                                              hat – die „Newscomer“ – und wie sehr sie nach Ant-
Trotzdem müssen wir sie uns immer                             worten ringt auf die Frage: Wie weit darf Engagement
wieder stellen. Die jungen Kollegen                           im Journalismus gehen? (Seite 22.)
fordern zeitgemäße Antworten ein.                               Daniel Drepper wiederum, seit 1. April Chefredakteur
Zu Recht.                                                     von Buzzfeed Deutschland und Jahrgang 2012 unserer
                                                              „Top 30 bis 30“, stellt sich die Frage nach der Haltung
                                                              jetzt aus einer anderen Sicht als zuvor als Reporter bei
Nichts ist mehr sicher in diesen Zeiten. Aber seien wir       Correctiv: Als Chefredakteur muss er nun auch für
ehrlich: Es sind – trotz allem oder gerade auch des-          seine Redaktion Haltung definieren – und sie einfor-
wegen – gute Zeiten für den Journalismus. Denn sie            dern. Wie er das tut, lesen Sie auf Seite 25.
erzwingen Diskussionen über unseren eigenen Berufs-
stand, die nicht mehr in den üblichen Festtagsreden           Mehr als nur ein PS: Haltung im Verborgenen zeigen
und Podiumsdebatten versanden.                                seit vielen Jahren diejenigen, die ehrenamtlich im
  Dafür sorgen schon, zum Glück, die jungen Kolle-            Verein „Journalisten helfen Journalisten“ in Not ge-
ginnen und Kollegen, die die alten zwingen, Farbe zu          ratenen und verfolgten Kolleginnen und Kollegen
bekennen. Wofür stehst du? Wie schaffen wir es, wie-          helfen. In diesen Tagen ist das besonders nötig (s. Sei-
der als glaubwürdig wahrgenommen zu werden? Wie               te 97): Wer hätte noch vor Kurzem für möglich ge-
erreichen wir noch ein breites Publikum mit Quali-            halten, dass so viele Journalisten in unserem Nach-
tätsjournalismus? Und die Grundsatzfrage: Was ist das         barland Türkei bedroht, verfolgt, inhaftiert werden
überhaupt heute, Haltung im Journalismus?                     und unser aller Solidarität dringend bedürfen?
  Als wir im November 2016 zur 1. „Top 30 bis 30“-Kon-          Auch, und leider immer noch Deniz Yücel. Der Kor-
ferenz nach Frankfurt einluden, haben solche Fragen           respondent der Welt-Gruppe ist bei Redaktionsschluss
viele Diskussionen unter den Teilnehmern geprägt.             Ende April immer noch in Haft in der Türkei und es
  Wir haben den Ball aufgenommen und spielen ihn in           sieht nicht danach aus, als würde sich das so schnell
dieser Ausgabe weiter – an Giovanni di Lorenzo. Als           ändern.
Chefredakteur der „Zeit“ ist er einer der erfolgreichs-         Deshalb erst recht: #freedeniz. Es lebe das freie Wort!
ten dieser Zeiten, die Auflage der „Zeit“ steigt stetig,
gegen den Trend und Katzenjammer in der Branche.
Ihn treibt seit vielen Jahren die Frage nach Werten,
nach richtigen und falschen Bekenntnissen im Jour-
nalismus um. Und offenbar gibt es viele, die gerne
Antworten von ihm erfahren möchten: Sein Buch mit
Co-Autor Axel Hacke „Wofür stehst du?“ ist ein Best-
seller, die Zeit-Online-Twitteraktion #fragGiovanni
lief im Frühjahr bereits zum fünften Mal, mit reger
Beteiligung.

                                                                                 Journalisten-Werkstatt „Spannung“

                                                                                 Für Abonnenten ist unsere 20-seitige
                                                                                 Werkstatt von Marie Lampert zum Thema
                                                                                 „Spannung“ aus der Reihe „Besser schreiben“
                                                                                 kostenfrei in dieser Ausgabe enthalten.
                   „medium magazin“ gibt es                                      Nachbestellungen (6,99 Euro zzgl. Versand)
                   auch im iKiosk – als                                          bitte über vertrieb@mediummagazin.de oder
                   Einzelausgabe und im Abo.                                     newsroom.de/shop.

                                                                                                                               MEDIUM MAGAZIN   3
KOPF HOCH Plus Werkstatt "Spannung" - Medium Magazin
Inhalt #03/2017

I MP RESSUM
                                                 TITEL
                                                                                                  ZEIT FÜR MUT
                                                                                                  Wie gelingt es uns, wieder als glaubwürdig
                                                                                                  wahrgenommen zu werden? Antworten von
                                                                                                  Giovanni di Lorenzo, Chefredakteur der „Zeit“
medium magazin                                                                                    Interview: Annette Milz,
Unabhängige Zeitschrift für Journalisten                                                          mit Fragen aus der „Top 30 bis 30“-Community,
32. Jg., Nr. 3/2017                                                                               Fotos: Anja Weber                         Seite 14
Gegründet von Sebastian Turner
Chefredakteurin
Annette Milz (V.i.S.d.P., Frankfurt/Main)                                                         OBJEKT ODER SUBJEKT?
                                                                                                  Warum Jessica Schober („Wortwalz“) sich beim
Redaktion
                                                                                                  Projekt „Newscomer“ engagiert und womit sie
Katy Walther (Frankfurt), Daniel Bouhs,
Jens Twiehaus, Dr. Anne Haeming,
                                                                                                  im Journalismus hadert.                Seite 22
Daniel Kastner (Berlin), Senta Krasser
(Köln), Carolin Neumann, Inge Seibel
(Hamburg), Annette Walter (München),                                                              HALTUNG? JA, BITTE!
Ulrike Langer (Seattle)                                                                           „Wir sollten mit breiter Brust Reporter sein“,
                                                                                                  fordert Daniel Drepper, der neue Chefredakteur
Autoren                                                                                           Buzzfeed Deutschland.                      Seite 25
Butterland, Christian Fahrenbach, Julian
Heck, Anton Hunger, Prof. Josef Joffe,
Norbert Küpper, Peter Littger, Carl
Wilhelm Macke, Annette Ramelsberger,
Stephan Seiler, Bernd Stößel, Pauline
Tillmann                                             RUBRIKEN                                             BERUF UND MEDIEN
Anzeigen- und Medienberatung
Ruperta Oberauer
                                            6      Spektrum. Meldungen, Redaktions-­              26    360 Tage im Bunker
Tel. +43/6225/27 00-35
ruperta.oberauer@oberauer.com                      Wohnzimmer der „Neuen Post“, Sport­                  Der NSU-Prozess und kein Ende: Ein
                                                   foto des Jahres, Uwe Kopfs doppeltes                 Bericht aus dem Inneren des zermür-
Redaktion
Im Uhrig 31, 60433 Frankfurt am Main               Vermächtnis                                          benden Dauerprozesses
Tel. 069/95 29 79-44, Fax -45                                                                                              Annette Ramelsberger
                                            8      Meisterstücke. Drei herausragende Texte
E-Mail: redaktion@mediummagazin.de
www.mediummagazin.de                               und ihre Autoren            Senta Krasser     28    Ist „Schwarze“ sagen schon falsch?
#twitter @mediummagazin                                                                                 Interview mit Moderatorin Jana
                                            10     Digitale Perlen: Bemerkenswerte
www.facebook.com/mediummagazin                                                                          Pareigis über die Situation Andersfar-
                                                   Startups (Teil 15)          Julian Heck
Verlag und Medieninhaber                                                                                biger in Deutschland        Katy Walther
Johann Oberauer GmbH                        12     Junge Perspektiven. Wer uns und was
                                                                                                  30    Fotos für die Freiheit
Postanschrift: Postfach 11 52,                     uns auffiel              Jens Twiehaus
83381 Freilassing                                                                                       Fotografen und ihre Werke für den
Zentrale: Fliederweg 4,                     84     Kiosk. Markt für Freie         Bernd Stößel         Bildband 2017 der Reporter ohne
A-5301 Salzburg-Eugendorf                                                                               Grenzen
Tel. +43/6225/27 00-0, Fax -11              87     Layouttipp. „Südwest Presse“
                                                                            Norbert Küpper       36    Experimente im Regionalen
Produktion
Daniela Schneider,                                                                                      Wie Medien im Superwahljahr Vertrau-
                                            88     PR-Personalien. (Seiten-)Wechsel in
Martina Hutya, Sabrina Weindl                                                                           en zurückgewinnen und ihr Publikum
                                                   der Branche               Katy Walther
Abo- und Vertriebshotline
                                                                                                        wieder mehr für Politik interessieren
Tel. +43/6225/27 00-41, Fax -44             90     Die Hunger-Kolumne. Die Chefaufseher                 wollen (Teil 2)             Katy Walther
                                                                                                                                                         FOTOS: ANJA WEBER, SÜDDEUTSCHE, MAURICE WEISS

E-Mail: abo@mediummagazin.de                       entdecken eigene Sprache Anton Hunger
                                                                                                  40    Lokale Ideen
Druck                                       91     Lesetipps. Bücher zum Querdenken                     Unser regionales Schaufenster –
Druckerei Roser, Salzburg
                                                                             Bernd Stößel              diesmal mit neuen Fenstern 
                                            92     Personalien. Köpfe und Karrieren		                                              Katy Walther
                                                                             Jens Twiehaus       44    Recherchen regional runterbrechen
                                            97     Journalisten helfen Journalisten. „Wenn              Das Recherchebüro Correctiv koope-
                                                   deine Zeit gekommen ist, kriegen sie
                                                                                                        riert mit 16 Regionalzeitungen. Das
                                                                                                        bringt Reichweite – und komische
                                                   dich“        Butterland, Carl Wilhelm Macke
                                                                                                        Konstellationen. Wie die Zusammenar-
                                            98     Terminal. Fragebogen: Julia Bönisch,                 beit funktioniert und die lokalen
                                                   Drahtzieherin mit Handlungsdrang                     Kollegen arbeiten.          Jens Twiehaus

4                                                                                                                              MEDIUM MAGAZIN #03/2017
KOPF HOCH Plus Werkstatt "Spannung" - Medium Magazin
PLUS: 20 Seiten Journalisten-Werkstatt „Spannung“
                        Wenn die Werkstatt fehlt: Extrabestellungen
                        via vertrieb@mediummagazin.de – oder am besten
                        gleich ein „medium magazin“-Abo, in dem die
                        Werkstätten enthalten sind.

                                                                                                                         K L E I N G E D RU C K T ES
JULIA BÖNISCH                                                                                     JANA PAREIGIS
„Im Praktikum                                                                                     „Wir verlieren einen
bei der taz habe                                                                                  bestimmten Teil der    Humor
ich gelernt: Wenn                                                                                 Gesellschaft, wenn
sich niemand                                                                                      wir ihn auch medial
                                                                                                                         ist, wenn man trotzdem lacht.
beschwert, hast                                                                                   ständig abwerten.“
                                                                                                  Seite 28               Eine Binse, jaaaa. Aber eine mit
du was falsch
gemacht.“                                                                                                                echter Lebensweisheit. Denn sie
            Seite 98                                                                                                    hilft besonders gut im Alltag einer
                                                                                                                         Social-Media-Redaktion. Das hat
                                                                                                                         das Redaktionsengelchen neulich
                                                                                                                         bei einem Praktikum in einer
                                                                                                                         Onlineredaktion festgestellt: Dort
                                                                                                                         war es viel mit der Moderation der
                                                                                                                         Facebook-Community beschäf-
                                                                                                                         tigt – und so was ist ja keineswegs
                                                                                                                         vergnügungssteuerpflichtig.
                                                                                                                           Was dem Redaktionsengelchen
                                                                                                                         geholfen hat gegen schlechte
                                                                                                                         Laune angesichts der ganzen
                                                                                                                         Hetz- und Hassposts? „Sehr net-
                                                                                                                         te Kollegen“, ein Livestream der
                                                                                                                         schwangeren Giraffe April aus
                                                                                                                         Australien – und Kommentare
                                                                                                                         wie diese: „Eine neue Studie der
                                                                                                                         Humboldt-Universität beweist,
48     Die sieben Sünden des neuen                              66     Der Frachter bewegt sich		                        dass 95 % aller Genies (IQ über
       Journalismus                                                    Die Öffentlich-Rechtlichen müssen                 150) die AfD wählen.“ Oder ein
       Ein Essay von Josef Joffe, Mitherausge-                         sparen – und sich zugleich erneuern.              Nutzer promotete unter fünf, sechs
       ber der „Zeit“, über modische Unsitten                          Eine aufschlussreiche Recherche über              Artikeln seinen eigenen You­tube-
       im Journalismus. 		            Josef Joffe                      die Innovationsarbeit und -hürden in              Kanal mit sehr schrägen politischen
                                                                       der ARD                    Senta Krasser         Gitarrengesängen – jeweils zehn
52     „Ich gehe da als Mensch rein“
                                                                                                                         Minuten lang. Wie gesagt: Humor
       … sagt Johanna Adorján, „Süddeutsche
                                                                                                                         ist, wenn man trotzdem lacht. Der
       Zeitung“. Teil 22 unserer Interviewreihe
                                                                            PRAXIS                                       Kommentar wurde allerdings nicht
       über außergewöhnliche Reporter
                                   Stephan Seiler
                                                                                                                         zugelassen, weil er in die Katego-
                                                                77     Plan A für das eigene Ding                        rie der „nicht belegbaren Behaup-
60     2017 ist das Jahr der Algorithmen                               Immer mehr Journalisten entscheiden               tungen“ gehörte. Und auch der
       Von Social Bots bis Hearables – sechs                           sich dafür, eigene unternehmerische               Youtube-Star hatte es schwer,
       gar nicht mal so futuristische Trends                           Wege zu gehen, und gründen ein                    weil er „ab einer gewissen Häu-
       für den Journalismus von der „South                             Startup. Doch was gilt es dabei zu                figkeit in die Kategorie: Bitte be-
       by Southwest“(SXSW).                                            beachten?                 Pauline Tillmann
                                                                                                                         ziehen Sie sich auf das Thema des
                                    Ulrike Langer                                                                       Artikels“ fiel und damit verschwand.
62     Was wir jetzt brauchen                                                                                              Womit wir bei den Kommentaren
       LaSharah Bunting, Leiterin Digital                                   SPECIAL NEUE BERUFSBILDER                    zum „medium magazin“ wären:
       Transformation bei der „New York                                                                                  Danke für die guten Zusprüche zur
       Times“, antwortet auf Fragen nach der                    72     Spezialisierung ist wieder in                     vergangenen Ausgabe und der
       Zukunft der Qualitätsinhalte                                   Adieu, eierlegende Wollmilchsau: Die              neuen Haptik! Lob ist uns zugege-
65     Graue Lady, schwarze Zahlen                                     Jobprofile differenzieren sich wieder aus         ben ein bisschen willkommener
       Die US-Medienbranche verzeichnet                         74     Sechs neue Jobs                                   als Kritik. Aber wenn’s denn sein
       seit dem Amtsantritt des neuen                                  Profile im Arbeitsalltag                          muss: Nur zu! Wenn Ihnen unsere
       Präsidenten sattes Umsatzwachstum.                                                                                Arbeit auch noch 54 Euro zzgl.
                                                                76     „Das sind Künstler“                               Versand fürs Jahresabo wert ist,
       Was bringen Donald Trumps Tiraden
                                                                       Interview mit Studio71-Geschäfts­                 halten wir das besonders gerne
       der „New York Times“ wirklich?
                                                                       führer Ronald Horstman                            aus!		                 Annette Milz
                            Christian Fahrenbach
                                                                                                     Anne Haeming

                                                                                                                                        MEDIUM MAGAZIN     5
KOPF HOCH Plus Werkstatt "Spannung" - Medium Magazin
Spektrum

    Z I TAT E
                                                        4.802
                                                    MELDUNGEN
                                                                                                   junge Menschen haben ARD und ZDF 2016
                                                                                                   ausgebildet.

                                                                                                   Italienisch) bestehen. Die Datenfreunde
                                                                                                   (OpenDataCity) aus Berlin steuern Umfra-
                                                                                                   gen in der Bevölkerung und Social Media
                                                   Presserat hat die Richtlinie 12.1               Monitoring über die behandelten EU-The-
     „Die Demokratie                               geändert – ein bisschen                         men bei. Interessierte Medien sind einge-
                                                   Der Deutsche Presserat hat, nach heftigen       laden, diese Tools auf ihren eigenen Web-
     braucht die Irritation                        Auseinandersetzungen mit etlichen Redak-        seiten zu nutzen. European Data News Hub
     … Wir brauchen den                            tionschefs, allen voran Tanit Koch, nun doch    will die Bevölkerung über EU-Themen
                                                   die umstrittene Richtlinie 12.1 im Presseko-    informieren, aber auch Diskussionen an-
     Mut, uns irritieren zu                        dex zum Minderheitenschutz geändert. Das        regen über die Themen, die Menschen in
     lassen durch die Din-                         Plenum beschloss Ende März eine entspre-        Europa und weltweit bewegen – z. B. Um-
     ge, die wir nicht ver-                        chende Neufassung der Regeln für die Kri-
                                                   minalitätsberichterstattung und bekräftig-
                                                                                                   weltschutz, Migration oder Arbeitslosigkeit.
                                                                                                   Das Projekt erhält Fördermittel von der
     stehen. Sie müssen                            te darin die Selbstverantwortung der            Europäischen Kommission.
     uns Ansporn sein.“                            Medien. Die neue Richtlinie lautet nun:
                                                     „In der Berichterstattung über Straftaten     dpa-Kindernachrichten:
     Barbara Hans, Chefredakteurin Spiegel
                         Online, am 19. April in
                                                     ist darauf zu achten, dass die Erwähnung      Happy Birthday!
                         ihrer Kritik zu Stephan     der Zugehörigkeit der Verdächtigen oder       Wie feiern amerikanische Ureinwohner?
                         Lambys Film „Nervöse        Täter zu ethnischen, religiösen oder ande-    Warum wird der Bundestag gewählt? Und
                         Republik“, tinyurl.com/     ren Minderheiten nicht zu einer diskrimi-     auch: Warum gibt es Terror? Solche Fragen
                         Hans-Kritik
                                                     nierenden Verallgemeinerung individuel-       beantworten die Kindernachrichten der
                                                     len Fehlverhaltens führt. Die Zugehörigkeit   Deutschen Presse-Agentur (dpa), und das
                                                     soll in der Regel nicht erwähnt werden, es    seit zehn Jahren. Am 1. April 2007 ging die
                                                     sei denn, es besteht ein begründetes öf-      erste Meldung des Teams an die Kunden.
                                                     fentliches Interesse. Besonders ist zu be-    Heute sind die Texte, Fotos und für online
                                                     achten, dass die Erwähnung Vorurteile         oft interaktiven Grafiken für sechs- bis zwölf-
                                                     gegenüber Minderheiten schüren könnte.“       jährige Kinder ein fester Bestandteil der
                                                   Der Presserat kündigte an, „bald“ Leitsätze     deutschen Medienlandschaft. „Vielleicht
     „Wenn ihr euch an                             für die Umsetzung in der Praxis vorzulegen.
                                                   Darauf darf man gespannt sein.
                                                                                                   waren Nachrichten für Kinder die beste Idee,
                                                                                                   die wir je hatten“, lobt dpa-Chefredakteur
     eine Sache von der F8                           Denn, so kommentierte Michael Hanfeld         Sven Gösmann das Angebot, das noch unter
     erinnern werdet …                             in der FAZ die Neuerung in der Nuance: „Sie
                                                   ersetzt den ,begründbaren Sachbezug‘ durch
                                                                                                   seinem Vorgänger Wilm Herlyn eingeführt
                                                                                                   wurde. Selbst international hat das Konzept
     Die Umwandlung der                            ,begründetes öffentliches Interesse‘ und        Anerkennung erfahren: Die Kindernach-
     Kamera von einer                              unterstreicht das Diskriminierungsverbot
                                                   deutlich. Für Journalisten, die sich vorur-
                                                                                                   richten haben den Award for Excellence der
                                                                                                   Europäischen Nachrichtenagentur EANA
     Funktion in eine                              teilsfrei mit den Dingen beschäftigen, sollte   erhalten. Und seit einem Jahr gibt es auch
     Plattform, wo jeder                           das nichts Neues sein.“
                                                   www.presserat.de/pressekodex/pressekodex/
                                                                                                   einen englischen Ableger an südafrikani-
                                                                                                   schen Schulen.
     Entwickler für Aug-                                                                                                                             FOTOS: BAUER MEDIA GROUP/KLAUSBECKER, IRIS KARSTENSEN, ESTEBAN FELIX

     mented Reality auf-                           Europaplattform für Gratisnach- Weniger Volos bei den
                                                   richten von AFP, ANSA und dpa Öffentlich-Rechtlichen
     bauen kann, wird ein                          Das erste Mal in ihrer Geschichte arbeiten      4.802 junge Menschen haben die öffent-
     wichtiger Schritt                             die Nachrichtenagenturen AFP, ANSA und
                                                   die Deutsche Presse-Agentur (dpa) gemein-
                                                                                                   lich-rechtlichen Rundfunkanstalten im
                                                                                                   Jahr 2016 ausgebildet, gaben ARD und das
     vorwärts sein.“                               sam an einer Europaplattform mit frei zu-       ZDF Anfang April bekannt. Darunter wa-
                                                   gänglichen Nachrichten. Offizieller             ren 348 Programmvolontäre, 202 weitere
                                                   Launch-Termin des European Data News            Volontäre und Trainees sowie 1.108 Aus-
                           Mark Zuckerberg am
                           19. April in seinem     Hub (EDNH), der kostenfreie Inhalte zu          zubildende nach dem Berufsbildungsgesetz
                           eigenen Facebook-       EU-Themen für internationale Medien be-         (BBiG) und 3.144 Praktikanten. Interessant
                           Account über das        reitstellt, ist im Juni 2017. Schwerpunkt-      ist das Geschlechterverhältnis: 2.855 Frau-
                           nächste große
                                                   mäßig bietet die Plattform datenbasierte        en und 1.947 Männer. 2015 waren es noch
                           Facebook-Projekt
                                                   Nachrichtenpakete, die aus Fotos, Videos,       5.176 (der leichte Rückgang korreliert mit
                                                   Audiobeiträgen, interaktiven Grafiken, In-      den Mitarbeiterzahlen), während die Be-
                                                   fografiken und Texten in fünf Sprachen          werbungen zugenommen haben. Infos:
                                                   (Englisch, Deutsch, Französisch, Spanisch,      tinyurl.com/Ausbildungsbericht-2016

6                                                                                                                          MEDIUM MAGAZIN #03/2017
KOPF HOCH Plus Werkstatt "Spannung" - Medium Magazin
TERMINTIPP                                      FUNDSTÜCK

GEN Summit 2017 mit preis-
gekröntem Datenjournalismus
Am 21. bis 23. Juni treffen sich in Wien Chef-
redakteure aus der ganzen Welt zum „7.
Global Editors Summit 2017“, veranstaltet
vom Global Editors Network (GEN). Die drei
Tage stehen unter den Schwerpunktthemen
Disruption, Innovation und Kooperation.
  Am 22. Juni werden im Rahmen des GEN
Summit auch die Preise für die Data Jour-
nalism Awards 2017 verliehen. Laut GEN
gingen in diesem Jahr so viele Bewerbungen
wie nie zuvor ein: 573 aus 51 Ländern. Die
Nominierungen werden am 27. Mai zur Data
Journalism Unconference in London bekannt
gegeben. globaleditorsnetwork.org/dja2017

30 Jahre Journalistinnenbund
Am 30. Juni bis 2. Juli feiert das Netzwerk
für Journalistinnen an seinem Gründungsort       DAS ZIELGRUPPEN-WOHNZIMMER: Ganz physisch sollen sich die Redaktionsmitglieder des Bauer-Media-Group-
Frankfurt/Main sein 30-jähriges Bestehen         Yellowblatts „Neue Post“ neuerdings in ihre Zielgruppe hineinversetzen. Um die Leserin stets vor Augen zu
mit einer großen Jubiläumsveranstaltung          haben, wurde ihr Konferenzraum dem Wohnzimmer der Zielgruppe 50 plus nachempfunden. „Wir müssen uns
und vielen prominenten Gästen.                   jeden Tag aufs Neue darauf besinnen, für wen wir schreiben. Nur so können wir für unsere Leserin die beste
                                                 ,Neue Post‘ machen“, sagt Chefredakteur Roland Hag: „Mit dem ,Neue Post‘-Wohnzimmer gehen wir noch einen
  Das Schwerpunktthema lautet: Pressefrei-       Schritt weiter und setzen unsere Redakteure in die gute Stube der Zielgruppe. So machen wir die Nähe zu den
heit und Frauenrechte.                           Leserinnen erlebbar.“ Das Wohnzimmer mit Eichenschrankwand und Plätzchen-Etagere wird übrigens nicht nur
tinyurl.com/journalistinnenbund-30Jahre          für Konferenzen genutzt, sondern auch für Treffen mit Leserinnen und Anzeigenkunden.

A U F D I E P L ÄT Z E 1 - 2 - 3

Mediale Siegertypen                                                                        1
Welcher Medienmensch wird 2017 die meisten
Schlagzeilen produzieren? Das fragte die Me-
                                                  2
                                                                                                                                                   3
dienkontaktplattform Recherchescout 160
Journalisten im Rahmen des Media Delphi 2017
Deutschland.
  Die Kollegen waren sich einig: Jan Böhmer-
mann steht mit seiner polarisierenden Mi-
schung aus Satire, Journalismus, Kunst und
Politik auch dieses Jahr ganz oben auf dem
Treppchen. Nachdem er bereits 2016 auf Platz 1
gewählt wurde, gewinnt der mehrfache Preis-
träger (auch „medium magazin“-„Unterhal-
tungsjournalist des Jahres 2016“) mit 61,3
Prozent erneut.
  Auch Kai Diekmann, Ex-„Bild“-Chefredak-
teur und Ex-Bartträger, verteidigt mit 42 Pro-
zent seinen 2. Platz. Platz 3 des Rankings (im
Vorjahr mit Oliver Welke besetzt) geht 2017
mit 34 Prozent an Edward Snowden. Quelle:
www.recherchescout.com/media-del-
phi-2017

                                                                                                                                     MEDIUM MAGAZIN        7
KOPF HOCH Plus Werkstatt "Spannung" - Medium Magazin
Junge Perspektiven. Macher und Meinungen

TEXT: JENS TWIEHAUS

Wer und was uns auffiel
Das „medium magazin“-Trio
                                                                               C
                                                                                       Was uns freut
                                                                                       Der Wechsel von Correctiv-Mann
                      Pussy-Podcasterin Vanessa Vu                                     Daniel Drepper zu Buzzfeed kam
                      Vanessa Vu und mehrere Kolleginnen nutzen eine
                                                                                       plötzlich und erzeugte in der
                      Übung an der Deutschen Journalistenschule, um
                                                                                       Branche, na klar: Buzz. Unter den
                      einen Podcast zu gründen: Ihr „Pussycast“ nennt
                                                                                       Reaktionen gab es kaum skepti-
                      sich „der feministische Podcast“ und trägt
                                                                                       sche Ablehnung. Die meisten
                      selbstbewusst ein Logo in Vagina-Form. Die jungen
                                                                                       Stimmen aus der Branche sagten:
                      Journalistinnen wollen auch nach ihrer DJS-Schul-
                                                                                       Spannend! Mal sehen, was er
                      zeit regelmäßig über Feminismus sprechen, weil er
                                                                                       aufbaut.
                      in den meisten Medien nicht vorkomme. Zum
                      Auftakt geht es um Gentlemen, Vagina-Witze und

Vanessa Vu
                      Selbstbefriedigung. An der ersten Folge, verant-
                      wortet von Vanessa Vu, haben Elsbeth Föger,
                      Caroline Wiemann, Ramona Drosner und Anett
                                                                              D        Was uns ärgert
                                                                                       Ist Kritik ohne Verstand:
                                                                                       Nora-Vanessa Wohlert und
                      Selle gearbeitet.
                                                                                       Susann Hoffmann haben die
                      https://soundcloud.com/pussycast
                                                                                       Female Future Force gestartet,
                                                                                       eine Akademie speziell für Frauen.
                      Youtuber Felix von der Laden                                     52 Wochen mit 52 Experten.
                      Er ist im Netz besser bekannt als Dner: Der                      Per Crowdfunding sammeln sie
                      Youtuber Felix von der Laden erreicht über                       Geld und Kritiker ohne Kenntnis
                      seinen größten Kanal mehr als drei Millionen                     lästern: Damit finanzieren die doch
                      Abonnenten und vermarktet sich mit eigener                       nur ihre defizitäre Redaktion
                      Firma selbst. Felix zeigt sich unbeschwert beim                  Edition F.
                      Reisen und dreht „Let’s Plays“, also Computer-                   http://www.femalefutureforce.com
                      spiel-Videos. Aber nun wird es ernst: Für Funk
                      geht er raus und dreht die sehenswerte Doku-
                      Reihe „follow me.reports“ über Chancengleich-
                      heit. Klassisch journalistisch und in hoher
                      Produktionsqualität kriecht er in die Behausung
                                                                           Events
Felix von der Laden
                      der Obdachlosen Nicole und geht mit ihr Pfand-       übern Tellerrand
                      flaschen sammeln.
                      http://go.funk.net/followme_reports                  n Wissenschaft trifft digitale Realität: Am 12. Mai
                                                                             lädt der „Tagesspiegel“ zum Digital Science
                                                                             Match. Rund 50 Computer-Wissenschaftler
                      Lokal- und „Zeit“-Journalist                           präsentieren ihren Blick auf digitale Innovati-
                      Gabriel Kords                                          on. Die Veranstaltung findet am Geburtstag des
                      Gabriel Kords hat eine Doppelrolle: Der 28-Jährige     ersten digitalen Computers statt, den Konrad
                      ist knapp zur Hälfte Redakteur beim „Nord-             Zuse 1939 in Berlin vorstellte.
                      kurier“ in Vorpommern und bei der „Zeit“ in            https://science-match.tagesspiegel.de
                      Leipzig. Vor der Bundestagswahl kommt eine
                      Rolle hinzu: Kords ist einer der „Überland“-         n Die „Zeit“ wird zum Event: Am 13. Mai findet
                      Lokalreporter, die im Ressort D17 von Zeit Online      in Hamburg die „Lange Nacht der ‚Zeit‘“ statt.
                      aus den Regionen berichten. Vorpommern ist             Zum Auftakt, schon um 14 Uhr, können Nach-
                      zerrissen: Landschaftlich schön und touristisch        wuchs-Fotografen und -Illustratoren den
                                                                                                                                  FOTOS: THILO SCHMÜLGEN

                      attraktiv, jedoch arm und mit einem erschreck-         Redakteuren ihre eigenen Werke vorstellen
                      end hohen Zuspruch für Rechtsextreme. Kords            und dazulernen. Die Veranstaltungen gehen
Gabriel Kords
                      Wahlheimat Greifswald sticht daraus wiederum           bis tief in die Nacht und sind alle kostenlos.
                      hervor: In der Studentenstadt gibt es eine aktive
                      linke Szene.

12                                                                                                      MEDIUM MAGAZIN #03/2017
KOPF HOCH Plus Werkstatt "Spannung" - Medium Magazin
„Die meisten Menschen können im
                                                         Alltag gar nicht mehr unterscheiden:
                                                         Was ist richtig und was ist falsch?“
INTERVIEW: JENS TWIEHAUS | FOTO: THILO SCHMÜLGEN         Hendrik Geisler

SAG DOCH MAL …

„Fehlinformationen
und Halbwahrheiten“
Hendrik Geisler und Lukas Hansen fragen im
NRW-Wahlkampf: „Stimmt das wirklich?“
Ihr Faktencheck für den „Kölner Stadt-Anzeiger“
überprüft Politiker-Aussagen. Die Wähler erreichen
sie über Facebook-Videos.
Was ist der Anlass zur Serie – wird im NRW-Wahl-         Polizeiarbeit auf Basis von Daten. Dabei wird Predi-      ZUR PERSON
kampf besonders viel gelogen?                            citive Policing längst angewendet.
  Hendrik Geisler: Uns fällt auf, dass viele Politiker    Hansen: Wir beobachten viele Fehlinformationen           Hendrik Geisler, 28,
schwammig formulieren und viele Infos deshalb gar        und Halbwahrheiten.                                       ist Lokalredakteur
nicht überprüfbar sind. Das trifft auf Vertreter aller    Geisler: Oft kommt bei Lesern nur eine zentrale          des „Kölner
Parteien zu. Was bedeutet „viele Übergriffe durch        Aussage an. Wir wollen deswegen möglichst viele           Stadt-Anzeigers“.
Flüchtlinge auf Frauen“? Was ist viel, was wenig?        prüfen.                                                   Er hat bis 2015 in
Manche Wahlprogramme blättern wir durch und                                                                        Würzburg studiert
finden auf 200 Seiten vielleicht fünf wirklich harte     Fördert ihr Politikerverdrossenheit, indem ihr auf-       und dann beim
Fakten.                                                  deckt, wie häufig sie Quatsch erzählen?                   „KStA“ volontiert.
                                                           Geisler: Nein. Politiker erzählen nicht mehr Unsinn     E-Mail: Hendrik.
Das klingt nach sehr hohem Aufwand.                      als andere Menschen.                                      Geisler@dumont.de
  Lukas Hansen: Ja, wir machen jede Woche zwei             Hansen: … nur bei Politikern betrifft es, gerade im     Twitter: @hendrikgee
Videos für Facebook und unsere Website. Die müssen       Wahlkampf, viel mehr Menschen, als wenn irgendwer
recherchiert und produziert werden. Ein Kollege hilft    was Falsches behauptet. Übrigens veröffentlichen wir      Lukas Hansen, 22,
bei Dreh und Schnitt. Eigentlich arbeiten wir beide      auch, wenn etwas stimmt. Wir zeigen, was ist. Das         ist Volontär beim
in der Lokalredaktion und machen den Faktencheck         sind dann nur nicht die Videos, die die meiste Auf-       „Kölner Stadt-An-
zusätzlich. Das ist stressig – aber zum Mittagessen      merksamkeit bekommen.                                     zeiger“. Sein
kommen wir so gerade noch. Nebenbei gucken wir                                                                     zwölfmonatiges
immer in unsere Twitter-Liste, lesen Interviews oder     Fakten checken ist Kernaufgabe jedes Journalisten.        Volontariat
schauen Wahlkampfveranstaltungen, die live auf Face­     Weshalb in Serie?                                         absolviert er im
book übertragen werden.                                    Geisler: Weil es in diesen Zeiten wichtiger denn je     Rahmen des
  Geisler: Wir hätten gern Zugriff auf Wortprotokolle    ist, jede zweifelhafte Information zu überprüfen.         Journalistik-Studi-
von allen Wahlveranstaltungen, aber so was gibt es       Menschen hatten nie zuvor Zugriff auf so viele Infor-     ums an der TU
nicht.                                                   mationen und die meisten können im Alltag gar nicht       Dortmund.
  Hansen: Deshalb fordern wir auch Leser auf: Wenn       mehr unterscheiden: Was ist richtig und was ist falsch?   E-Mail: Lukas.
Sie an einer Aussage zweifeln, schicken Sie uns die        Hansen: Die Rückmeldungen sind ein großer An-           Hansen@dumont.de
genaue Quelle an faktencheck@ksta.de und wir prü-        sporn. Viele Leser und User schreiben: „Danke,            Twitter: @Lukas_
fen das.                                                 Stadt-Anzeiger!“ Wir zeigen uns bewusst im Video,         Hansen
                                                         weil Gesichter Vertrauen schaffen, es für Transparenz
Was ist das Ziel des Faktenchecks?                       sorgt und natürlich, weil Video auf Facebook funk-
 Geisler: Wir wollen wirklich sehen: Wer sagt die        tioniert.
Wahrheit? „Stimmt das wirklich?“ ist kein Entlar-          Geisler: Ich glaube, die meisten Leute sind im Wahl-
vungs-Tool für die AfD. Falsches wird quer durch alle    kampf auf der Suche nach der Wahrheit. Niemand
Parteien erzählt. Ich habe den Eindruck, dass hinter     wird gerne angelogen. Und deshalb bedanken sich
vielen Aussagen schlicht Unwissen steckt. Da ist zum     viele für unsere Dienstleistung. Für uns ist das eine
Beispiel CDU-Spitzenkandidat Armin Laschet, der          Verpflichtung: Wir dürfen keine Fehler machen, als
behauptet, es gebe in NRW keine vorausschauende          Faktenchecker müssen wir zu 100 Prozent genau sein.

                                                                                                                   MEDIUM MAGAZIN    13
KOPF HOCH Plus Werkstatt "Spannung" - Medium Magazin
Medien. Regionales Schaufenster

                                                                                              Legende: * PV = Projektverantwortlich,
TEXT: KATY WALTHER                                                                            CR = Chefredakteur

Lokale Ideen
                                                                                              ich mitgebracht nach Heilbronn und für die
                                                                                              „Heilbronner Stimme“ und stimme.de um-
                                                                                              gesetzt. Bei der konkreten Gestaltung der
                                                                                              Serie hat auch Janis Dietz mitgearbeitet.

In jeder Ausgabe stellen wir interessante Projekte im                                         Haben Sie sich ein bisschen von der Re-
                                                                                              cherche der SZ inspirieren lassen?
­Regionalen vor. Diesmal: Viele Fragen und Rundumblicke.                                        Mit der tollen SZ-Recherche hat „Noch
                                                                                              Fragen?“ weniger zu tun – zumindest war
                                                                                              die SZ-Recherche nicht die Inspiration. Die
                                                                                              Idee, unsere Kunden stärker in unsere Ar-
                                                                                              beit einzubinden und Journalismus trans-
                                                                                              parenter zu machen, haben aber beide
                                                                                              Serien gemeinsam. Die SZ legt ihren Fokus
                                                                                              auf Überthemen, zu denen die Kolleginnen
                                                                                              und Kollegen dann umfangreich und in
                                                                                              verschiedene Richtungen recherchieren.
                                                                                              Wir suchen eher konkrete Fragen unserer
                                                                                              Leser zur Region Heilbronn, die wir mit
                                                                                              einer Geschichte beantworten.

                                                                                              Wie viele Vorschläge hat die Redaktion
„Heilbronner Stimme“                          Runde hat mit deutlicher Mehrheit eine          beim ersten Aufruf bekommen?
                                              Frage zum Heilbronner Untergrund ge-              Nach dem ersten Aufruf haben uns etwa
Onlineprojekt „Noch Fragen?“                  wonnen: „Gibt es ein Tunnelsystem unter         25 ernst gemeinte Fragen erreicht – und
mit Leserabstimmung                           Heilbronn?“ Ihre Recherchen für die Ant-        ein paar wenige, die wir aussortiert haben.
PV: CR Uwe Heer, Onlinechef Daniel Stahl      wort haben die Stimme-Reporter in               Daraus haben wir drei Themen für eine
und Onlineredakteur Janis Dietz, 07131/615-   360°-Bildern und Karten dokumentiert.           erste Abstimmung ausgewählt. Den Sieger
791, janis.dietz@stimme.de                    Die Fragesteller können zudem bei den Re-       der Abstimmung, die Tunnelgeschichte,
www.stimme.de/noch-fragen,                    cherchen erleben, wie „ihre“ Geschichte         haben wir sofort umgesetzt. Auch einer
www.wearehearken.com                          entsteht und wie journalistische Arbeit         Frage zu einem in der Region verschwun-
                                              funktioniert. Die Resonanz war laut Chef-       denen Meteoriten, die in der Abstimmung
Was bewegt die Menschen in der Region         redakteur Uwe Heer sehr gut: „Durch das         auf Platz 2 landete, sind wir nachgegangen
Heilbronn? In der neuen Online-Serie          neue Format stärken wir die Leser-­Blatt-       (www.stimme.de/meteorit). Eine weite-
„Noch Fragen?“ gehen Redakteure der           Bindung und bekommen gleichzeitig eine          re Frage zu einer abgebauten Skulptur in
„Heilbronner Stimme“ den Fragen und           Reihe toller Themenideen, die wir sowohl        der Heilbronner Innenstadt konnten wir
Themenideen ihrer Leser nach. Das Beson-      für Print als auch Online aufbereiten kön-      schnell beantworten, weil die Redaktion
                   dere daran: Die Leser      nen.“ Die technische Unterstützung kommt        ohnehin schon zu dem Thema recherchiert
                      können auch dar-        von dem amerikanischen Startup Hearken          hatte. Inzwischen ist auch die zweite The-
                       über abstimmen,        (Chicago), mit dem die „Heilbronner Stim-       menrunde vorbei und wir haben erneut
                         welches Thema        me“ als erstes deutsches Medienunterneh-        21 Fragen erhalten. Ausnahmslos neugie-
                         die Redakteure       men zusammenarbeitet.                           rige und spannende. Wir haben uns vor-
                         als Nächstes re-                                                     genommen, alle zwei Wochen eine Frage
                         cherchieren sol-     Nachgefragt bei Daniel Stahl, Onlinere-         zu beantworten. Bei der Form der Antwort
                        len. In der ersten    dakteur der „Heilbronner Stimme“: Sie           wollen wir sehr frei bleiben.
                                              lassen jetzt die Bürger die Themen mitbe-
                                              stimmen. Wer hatte die Idee zum Projekt?        Was genau macht Hearken für Sie?
                                                Daniel Stahl: Ich war im vergangenen Jahr      Hearken stellt das Tool, mit dem wir für
                      Daniel Stahl,           als Burns-Stipendiat in Kanada und in den       die Serie arbeiten, unterstützt uns mit ei-
                      „Heilbronner Stimme“
                                              USA. Dort habe ich Hearken kennengelernt,       ner smarten technischen Plattform für die
                                              ein Tool, mit dem viele nordamerikanische       Serie. Dort sammeln wir die Fragen mit-
                                                                                                                                                FOTO: STEFAN GREGOR

                                              Lokalsender und Lokalzeitungen arbeiten.        samt Mailadressen der Fragesteller. Am
                                              Die Serien, die damit entstehen, haben dort     Ende einer Recherche können wir so alle
                                              Namen wie „Curious City“ und machen Le-         erneut benachrichtigen. Außerdem hilft
                                              serinnen und Leser gezielt vom ersten Schritt   Hearken uns mit viel Know-how aus an-
                                              an zu einem Teil der Recherche. Das habe        deren ähnlichen Serien.

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KOPF HOCH Plus Werkstatt "Spannung" - Medium Magazin
„So illustrieren wir den Fortschritt
                    und erinnern uns daran, bei einem
                    Thema nachzufassen.“
                            Michael Bröcker, „Rheinische Post“

„Rheinische Post“                                Verlagsgruppe Rhein Main                         WDR
Lokaloffensive mit 33 Leitfragen Briefaktion „Ne me quitte pas“ Datenprojekt „Wir sind
PV: CR Michael Bröcker, 0211/505 2300, PV: Stefan Schröder, CR „Wiesbadener 18 Millionen“
michael.broecker@rheinische-post.de              Kurier“, 0611/355 5300, sschroeder@vrm.          PV: Produktion: Hoferichter & Jacobs; Au-
                                                 com; Koordination: Reinhard Breidenbach,         toren: Lutz Hofmann, Jasmin Lakatos,
Wie schafft man es, im hektischen Alltag         Sina Schreiner, Lars Hennemann                   Michael Erler, Markus Fitsch und Benjamin
einer Lokalredaktion journalistische Krea-       http://verlagsgrupperheinmain.pageflow.io/       Arnold; Redaktion: Monika Pohl und Chris-
tivität und Innovation zu systematisieren?       nemequittepas#93152                              tiane Mausbach vom WDR-Dokuteam,
Warum macht die Redaktion montags und                                                             monika.pohl@wdr.de
dienstags oft „business as usual“, während       Seit Charles de Gaulle und Konrad Ade-           www1.wdr.de/verbraucher/18-millionen/
samstags überraschende Themen angeboten          nauer ist die deutsch-französische Freund-       Daten: www.18millionen.wdr.de
werden? Solche Fragen lagen der Lokalof-         schaft ein Stützpfeiler der europäischen         Mediathek: www.wdr.de/mediathek
fensive zugrunde, die die „Rheinische Post“      Idee. Aber diese in der Weltpolitik vielleicht
(RP) 2015/2016 für alle 29 Teilausgaben ge-      einmalige Erfolgsgeschichte der Freund-          Aus frei zugänglichen Daten z. B. des sta-
startet hat. Das Ergebnis ist ein Maßnah-        schaft zweier ehemaliger Erbfeinde ist in        tistischen Bundesamtes Geschichten zu
menmix, zu dem großflächige Formate für          Gefahr, womöglich sogar das ganze Frie-          machen, ist nichts Besonderes mehr. Ei-
visuelles Storytelling in der Zeitung ebenso     denswerk der EU: „Angesichts dieser              gene Statistiken als Grundlage für Doku-
gehören wie der „Bürgermonitor“, bei dem         fürchterlichen Aussicht, dass in Frankreich      mentationen in Auftrag zu geben, dagegen
einmal pro Woche Themen aus der Leser-           die Europa-Hasser die Oberhand gewinnen          schon. „Wir sind 18 Millionen“ von Hofe-
schaft – Missstände, Ärgernisse, Behörden-       können“, rief Chefredakteur Stefan Schrö-        richter & Jacobs im Auftrag des WDR ist
probleme – aufgegriffen und mit einer Am-        der eine Aktion ins Leben: Unter dem Titel       so eine Doku. In vier Teilen (Wohnen,
pel markiert werden. „So illustrieren wir        „Ne me quitte pas“ („Verlasse mich nicht“        Freizeit, Ernährung und Zukunft) beleuch-
den Fortschritt und erinnern uns selbst          – nach dem Chanson des belgischen Chan-          tet sie das Leben der Menschen in NRW.
daran, bei einem Thema nachzufassen“,            sonniers Jacques Brel) veröffentlichen die       Mit spannenden Ergebnissen: Die Nord-
erklärt Chefredakteur Michael Bröcker. Die       Zeitungen der Gruppe („Darmstädter               rhein-Westfalen schlafen zwei Minuten
Ergebnisse der Lokaloffensive wurden nun         Echo“, „Gießener Anzeiger“, „Allgemei-           weniger als die „Durchschnittsdeutschen“,
in 33 Leitfragen zusammengefasst, als Hand-      ne Zeitung“ Mainz und „Wiesbadener               engagieren sich häufiger in Vereinen und
out an alle Redakteure verteilt und in DIN A2    Kurier“/„Wiesbadener Tagblatt“) mindes-          stehen so lange im Stau wie niemand sonst.
an jeden Desk gehängt – als „Hilfsmittel für     tens bis zur Stichwahl am 7. Mai jeweils         Im Schnitt suchen sie 16 Minuten am Tag
unsere Lokalredakteure, um eine überra-          zwei Briefwechsel zwischen Deutschen             einen Parkplatz, trinken täglich 0,8 Liter
schende, attraktive und relevante Zeitung        und Franzosen pro Woche – Menschen aus           Bier und sind gut zwei Stunden online. Im
zu machen“, sagt Bröcker. Unter den 33           der Region, Prominente und Normalbür-            Westen wird im Jahr 2030 in fast jeder
Fragen: „Welches Thema bräuchte eigentlich       ger. Die Briefe und Antworten werden in          zweiten Wohnung nur noch eine Person
mehr Platz?“, „Welcher Mensch steht im           Print und als Pageflow-Multimedia-Ge-            leben. Auf seiner Website hat der WDR für
Mittelpunkt, der keine öffentliche Funktion      schichte veröffentlicht. Zu den ersten           alle NRW-Regionen die wichtigsten Daten
bekleidet?“, „Welches unserer Themen wird        Briefschreibern zählte ESA-Generaldirek-         zusammengefasst. Die Doku-Reihe „Wir
morgen Stadtgespräch sein?“, „Wo erklären        tor Johann-Dietrich Wörner. „Dazu gibt           sind 18 Millionen“ ist noch ein Jahr in der
wir dem Leser die Welt?“, „Wenn ich noch         es begleitende Reportagen und Berichte,          Mediathek abrufbar.
eine halbe Stunde investiere, wo könnten         da vor allem die rheinland-pfälzischen           (siehe auch Seite 66 die „Innovationsga-
wir die Ausgabe besser machen?“. Auch die        Ausgaben unserer Zeitungsgruppe die ehe-         ragen der Öffentlich-Rechtlichen“)
fünf Zielgruppen der RP wurden visualisiert,     malige Grenze zu Frankreich im Blick ha-
so dass sich die Redakteure immer bewusst        ben“, berichtet Stefan Schröder.
sind, für wen sie schreiben.                                                                      				                                    >>>

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„Wir sind kein Schnellboot wie ein Start-up,
                           eher ein Frachter, der auch in stürmischen Zeiten
                           Sicherheit und Orientierung bieten will.“
                              Roland Scheble, Bayerischer Rundfunk (BR)

PRAXIS

Drei Beispielprojekte aus öffentlich-rechtlichen Innovationsabteilungen
„360 Grad Kölner Dom“ (WDR):                             „Truly Media“ (Deutsche Welle):                            „Bremen Next“ (Radio Bremen):
Hightech trifft auf Weltkulturerbe                       Google, hilf(t) beim Verifizieren!                         Die Jungen crossmedial erobern
Beim Hit-Thema Virtual Reality gibt der WDR              Noch bevor das Thema in der Medienwelt                     Nicht Fernsehen, nicht Radio, nicht Internet,
seit dem Vorjahr ordentlich Gas, und das hier            förmlich explodierte, setzte Wilfried Rundes               sondern alles gleichzeitig und zusammen:
ist das bislang größte und aufwendigste                  Team für technische Innovation bei der                     Das ist der neue crossmediale Jugendkanal,
Projekt: Mithilfe der 360-Grad-Technik und               Deutschen Welle Verifikation von Inhalten                  den Radio Bremen im August 2016 aufmach-
einer VR-Brille kann man durch den Kölner                aus sozialen Netzwerken auf die For-                       te. Bremen Next, das zurzeit wichtigste
Dom „fliegen“ und scheinbar grenzenlos                   schungsagenda. 2014 startete das mit                       Zukunftsprojekt an der Weser, mit dem die
verschiedene Perspektiven wählen. Die                    EU-Mitteln (Horizon 2020) geförderte                       Jungen gewonnen werden sollen, nahm
WDR-Tüftler selbst stießen in der Entwick-               Projekt Reveal. Mit dem daraus entstande-                  Anlauf als Idee in der hauseigenen „Digitalen
lungsphase an die Grenzen des Machbaren.                 nen Prototyp bewarb sich die DW zwei Jahre                 Garage“ (s. Seite 70) und wird jetzt von einer
So mussten verschiedene Kamerasysteme                    später bei Googles Digital News Initiative und             bunten Truppe, die nicht wesentlich älter ist
(darunter ein fernsteuerbarer Leih-Dolly aus             erhielt aus dem Fonds 300.000 Euro für die                 als die Zielgruppe, für Bremerinnen und
England) ausprobiert werden, ob sie in der               Weiterentwicklung. Das Ergebnis: Truly                     Bremer im Alter zwischen 15 und 25 Jahren
Dunkelheit des Doms taugen. Absichtlich                  Media, eine Plattform „von Journalisten für                gemacht. Redaktionsleiterin ist Felicia
setzte das vierköpfige Kernteam auch                     Journalisten“, die die Echtheit von Informa-               Reinstädt, die Radio Bremen vom Bayeri-
Techniken ein (wie die Photogrammetrie),                 tionen, die auf Facebook & Co. zirkulieren,                schen Rundfunk abgeworben hat. Alle
die effektiv wohl nur wenige Zuschauer                   teilautomatisiert überprüft. Entwicklungs-                 Themen werden von Beri, Joka, Adu und
nutzen können, die aber dem eigenen                      partner war das Athens Technology Center                   Co. so aufbereitet, dass sie sowohl in sozialen
Erkenntnisgewinn nützen. Die Kölner wollen               (ATC). Die Plattform ist in drei Hauptbereiche             Medien funktionieren, aber auch im Radio,
– und können es auch mit Stütze aus dem                  unterteilt: „Find“, „Organise“ und „Verify“.               wo die visuelle Komponente zwangsweise
Sondertopf für Innovationen der WDR-Inten-               In den Bereich Verify (siehe Bild) ist Google              wegfallen muss. Dafür wurden ganz neue
danz – selbst VR-Wissen aufbauen und                     Maps eingebunden, d. h. über die aus dem                   redaktionelle und technische Denk- und
künftig so wenig Aufträge wie möglich an                 Twitter-Foto extrahierten Geodaten wird die                Arbeitsweisen entwickelt. Das Spektrum der
externe Dienstleister vergeben. Dafür wurde              entsprechende Ansicht in Google Street                     Themen reicht vom Partymachen bis zum
eine achtköpfige „VR Taskforce“ gegründet;               View aufgerufen, so dass verifiziert werden                politischen Weltgeschehen, das auf Bremen
die Mitglieder werden von ihren jeweiligen               kann, wo das Foto aufgenommen wurde. Im                    und Umgebung heruntergebrochen wird. So
Redaktionen fünf Tage im Monat freigestellt,             Unterschied zu anderen Verifikationstools                  findet sich auf dem eigenen Youtube-Kanal
um sich intensiv um VR-Projekte zu                       (z. B. Factfox des BR) ermöglicht Truly                    z. B. eine Reportage über den Problem-­
kümmern. In die Dom-App floss gleichwohl                 Media, sich kollaborativ intern mit den                    Stadtteil Grohner Dühne und ein Interview
Fremdwissen ein, etwa von der Münchner                   eigenen Experten, aber auch mit anderen                    mit dem aus Kurdistan geflüchteten Rapper
Spezialfirma Re’Flekt, die auch die „Süddeut-            Redaktionen auszutauschen und abzustim-                    KC Rebell, das in einem Bremer Flüchtlings-
sche Zeitung“ bei ihren 360-Grad-Videos                  men. An der momentanen Beta-Testphase                      heim geführt wurde. Anders als das bayeri-
unterstützt. Über das starke visuelle Erlebnis           beteiligt sind neben dem Social Media Desk                 sche Pendant Puls wird das Programm von
hinaus war es den Machern wichtig,                       der DW auch „Tagesschau“, WDR, SWR, BR                     Bremen Next zusätzlich über UKW verbreitet.
inhaltlichen Mehrwert über virtuelle Infoflyer           und AFP. Die DNI-Förderung endet im                        In der Hansestadt begreift man sich selbst als
in die App einzuarbeiten. Nächster Schritt:              September. Bis dahin möchte das deutsche                   „kleine regionale Schwester von Funk“, dem
Der „WDR-Dom“ wird Gegenstand einer                      Auslandsfernsehen ein (Finanzierungs-)                     im vorigen November gestarteten Jugend­
User-Experience-Studie. Erste Ergebnisse                 Modell zur Fortführung des Projekts                        angebot von ARD und ZDF, das allerdings nur
sollen Ende Mai vorliegen.                               gefunden haben.                                            Online-only-Verbreitung hat.
Link: dom360.wdr.de                                      Link: www.truly.media                                      Link: www.bremennext.de

„Neuland betreten“: WDR-Intendant Tom Buhrow (r.)        Echt oder falsch? Das mit DNI-Förderung entwickelte Tool   „Regionale Schwester von Funk“: Das Jugendangebot von
ist hingerissen vom neusten VR-Projekt seines Senders.   Truly Media checkt die Herkunft von News und Fotos.        Radio Bremen ist im Netz, hat aber auch UKW-Verbreitung.

                                                                                                                                                  MEDIUM MAGAZIN         67
Special. Neue Berufsbilder

TEXT: ANNE HAEMING

SPEZIALISIERUNG
IST WIEDER IN
Vor 15 Jahren sah es so aus, als müsste ein Redakteur bald                                               Natürlich wissen wir alle, wie normal
                                                                                                        dieses damals unvorstellbare Arbeiten in-
die Jobs von vielen machen. Nun entsteht eine Gegenbe-                                                  zwischen ist. Die Projektion war: Jeder
wegung: Die Jobprofile differenzieren sich wieder aus.                                                  Redakteur wird ein Allrounder sein.
                                                                                                         Und nun scheint es, dass es eine Art Weg
                                                                                                        zurück gibt. Keine Regression, nein, der
Es war im Spätherbst 2002 in der Redaktion              müsse alles können, was aus den Fotografen,     Leserbriefredakteur ist gut in seiner Rolle
einer Berliner Tageszeitung, als eine Res-              Layoutern und den anderen werde, tja, hm,       als Community Manager angekommen.
sortleiterin von einer Fortbildung zurück-              das müsse man sehen. Es klang ganz und gar      Sondern ein Zurück zur Ausdifferenzierung.
kam und auf der Morgenkonferenz von der                 unwahrscheinlich, in dieser Zeit, als es noch    Denn die neuen Berufsbilder, die derzeit
Zukunft erzählte. Redakteure, sagte sie,                ein Redaktionshandy gab, das man sich aus-      entstehen, repräsentieren eine Art Zwi-
würden bald auch Fotos machen und Videos                leihen konnte, wenn man zu einer Demo           schenplateau: Rund um neue Aufgabenge-
von den Terminen mitbringen und alles zu-               oder so musste, um den Stand der Dinge          biete und Gewerke wachsen die Teams. Sie
sammen produzieren. Auch online. Jeder                  kurz vor Andruck durchzutelefonieren.           haben inzwischen genug Manpower, um

                                                                                                                                                        FOTO: KAIQUE ROCHA

Der wackelige Selfmade-Look ist nicht mehr gefragt, weder bei Instagram noch bei Youtube. Jetzt gilt:
möglichst professionell und alles in HD, please. Mindestens.

72                                                                                                                            MEDIUM MAGAZIN #03/2017
#1
                     „Instagram ist
                     nicht so komplex
                     wie Youtube.“
                     Oğuz Yılmaz, Gründer Whylder, Ex-Y-Titty

sich zu spezialisieren. Und ändern damit             Eine Runde Top 10                                ren Seite der Kamera. Er erinnert sich noch
auch die Arbeitsstrukturen beim Rest.                An dieser Stelle ein paar Zahlen: Bei Insta-     gut an die Anfänge, als noch kein Geld mit
  Und dennoch machen die Social-Media-Re-            gram haben Toni Kroos und Mesut Özil 11,9        Youtube zu verdienen war: 2011 begann Y-
dakteure, Datenjournalisten, Entwicklungs-           Millionen Follower, das junge Stuttgarter        Titty mit einer geschenkten Xbox 2011 und
redakteure, SEO-Texter, Instagrammer,                Zwillingspärchen Lisa und Lena 10,9 Mil-         der „Pionierarbeit“: Im Wohnzimmer ihrer
Analysten und Youtuber immer wieder die              lionen. Die Plattform hatte laut eigenen         Dreier-WG, mit Strahlern vom Baumarkt,
Erfahrung, dass sie fast bei null anfangen           Angaben Ende 2016 600 Millionen Nutzer           das einzige Ziel, jeden Freitag um 16 Uhr ein
müssen, sollen sie erklären, was eigentlich          weltweit.                                        Video hochzuladen. Ende 2011 stellten sie
ihr Job ist (siehe Berufsporträts S. 74/75).           Laut aktuellem Social-Media-Kompass            erste Leute ein, zogen in ein Studio, produ-
                                                     des BVDW hat Snapchat 2016 rund sieben           zierten bald 14 Videos die Woche.
Bei Facebook geht’s mit Gefühl                       Millionen deutsche Nutzer; die Musikplatt-
„Vor fünf Jahren gab es niemanden, der               form musical.ly hatte laut Eigenangaben          Professionalisierung, please
Berufserfahrung im Social-Media-Bereich              Anfang 2017 8,5 Millionen, eine Verachtfa-       Jetzt, in der neuen Rolle, ist Oğuz Yılmaz
hatte“, sagt Torsten Beeck, Leiter Social            chung in einem Jahr; das deutlich ältere         froh, nicht mehr so abhängig davon zu sein,
Media und Mitglied der Chefredaktion des             Twitter veröffentlichte 2016 erstmals Nut-       mit seinem Gesicht für etwas zu stehen.
„Spiegels“, „damals machten das alle noch            zerzahlen für Deutschland: zwölf Millionen.      Und staunt darüber, wie wenig Firmen
nebenher, wie ich auch.“ Er war Ressort-               Die deutschen Twitterprofile mit den meis-     verstanden haben, was diese Youtuber, In-
leiter bei „Computer Bild“, leitete von 2012         ten Followern: 1. Mesut Özil (14,8 Mio.),        stagrammer, Snapchatter eigentlich ma-
bis Ende 2014 die Abteilung Social Media             2. Toni Kroos (4,5 Mio), dann folgen bis Platz   chen. „Die Kunden haben oft falsche Er-
und Community bei „Bild“ und wechselte               13 der Musiker Zedd, Heidi Klum, Fußballer       wartungen“, sagt er. „Vielen geht es darum,
dann an die Ericusspitze. Als er bei „Bild“          und Fußballmannschaften, auf der 14 mit          möglichst viele Klicks für die Homepage zu
anfing, war er der Einzige in der Rolle, als         2,6 Mio. Cinta Laura Kiehl, eine deutsch-in-     generieren. Dafür sind Influencer oft das
er ging, war sein Team auf 30 angewachsen.           donesische Schauspielerin, Model und Sän-        falsche Vehikel.“
  Anfangs postete man zehn Mal am Tag                gerin aus Quakenbrück. Spiegel Online steht        Überhaupt: Influencer, dieses Wort, das
einen Text bei Facebook und filterte unter           auf Platz 16, vor Twitter Deutschland; und       in Deutschland Anfang 2016 auf einmal auf
den Kommentaren alle raus, die „Arsch-               die Beauty-Influencerinnen @bibisbeauty          dem Radar der Google-Trends-Suchstatis-
loch“ oder „Hitler“ schrieben. Beim „Spie-           und @dagibee auf 28 und 29.                      tik auftauchte. Yılmaz definiert das so: Ein
gel“ seien es nun etwa 20 Mitarbeiter, in              Bei Facebook gehen die ersten neun Plät-       Instagrammer mit 10.000 Abonnenten ist
den kommenden zwölf Monaten solle das                ze an Fußballer, Platz 10: Rammstein. Von        ein Influencer, sofern die Interaktion mit
Team um 50 Prozent wachsen, so Beeck.                Medien erst mal keine Spur.                      den Nutzern stimmt. Mit Whylder berät er
  Es gehe gar nicht anders, erklärt er, allein         Und hier noch die Top 10 der deutschen         Firmen, mit welchem Konzept es sich lohnt,
weil die Vielfalt der Aufgaben und Kanäle            Youtube-Kanäle: 1. der Fußballkanal Free-        mal hier, mal da einen Post mit 500 Euro
nonstop wachse. „Wir denken heute sehr viel          kickerz (5,39 Mio.), 2. der Computerspiel-       zu sponsern. Aber wer nicht wisse, welche
stärker darüber nach, was wir auf welchen            kommentarkanal Gronkh (4,57 Mio.), 3.            Botschaft man vermitteln wolle, könne den
Kanälen brauchen“, so Beeck. „Was bei Face­          die Schmink-Tutorials von Bibis Beauty           richtigen Influencer gar nicht finden.„In-
book klappt, läuft auch auf anderen Plattfor-        Palace (4,49), dahinter Musiklabel, Welt-        stagram ist nicht so komplex wie Youtube“,
men – aber nicht umgekehrt. Bei Facebook             erklärvideos, Lifestyle, Comedy. Hier do-        sagt er. „Fotos zu erstellen ist einfacher, als
funktionieren vor allem Emotionen, also Wut,         minieren Macher, für die das der Hauptbe-        Videocontent zu produzieren.“ Zumal der
Häme, Humor. Und damit auch Breaking                 ruf ist. Und nicht nebenher Fußball spielen.     wacklige Selfmade-Look nicht mehr gefragt
News mit ihrem Überraschungselement.“                                                                 sei, professionelle Videos in HD müssten es
  Irgendwer muss all das auswerten und in            Ein Comedy-Mann wird Berater                     schon sein.
die Redaktion zurückspielen, außerdem                Es gibt einen, der geradezu verkörpert, wie        In Social-Media-Zeitrechnung gehört
bitte ein Video in hochkant und zehn Se-             die Macher in diesem Segment erwachsen           Oğuz Yılmaz zu einer anderen Generation.
kunden lang, und dann noch mal quadra-               werden: Oğuz Yılmaz, einer der Y-Titty-          Er hat einen Beruf, den es vor fünf Jahren
tisch in Langform, jemand muss sich um               Youtuber, dessen Comedy-Kanal bis Ende           nicht gab: als Gründer einer Agentur für
Kooperationen mit Plattformen kümmern,               2015 lief und etliche Preise abräumte (übri-     „plattformübergreifende Kommunikati-
irgendwer einen Dummy bauen, um das                  gens immer noch auf Platz 10 der meist­          onsstrategien im Social Web“.
Ergebnis des Votings auf dem einen Kanal             abonnierten deutschen Kanäle ist). Vor ei-         Dieser Dominoeffekt spiegelt sich in den
zu visualieren, und klassischerweise wäre            nem Jahr hat Yılmaz nun die Seiten               Redaktionen. Aber damit wird traditionel-
es Job der Marketingabteilung, Konzepte              gewechselt. Er ist jetzt Berater.                les journalistisches Handwerk nicht degra-
auszutüfteln, um bei Facebook Erlöse zu               Zusammen mit Lukas Schneider, der zuvor         diert, es findet nur einen anderen Ausdruck.
erzielen.                                            bei Endemol gearbeitet hat, gründete er in       Wer etwa Zahlen auswertet, muss wissen,
  Die Schnittstelle für all das ist Beecks           Köln die Social-Media-Beraterfirma Whyl-         was daraus abzuleiten ist. Für die nächste
Team. Voilà, die Ära der neuen Ausdiffe-             der. Sie ergänzen sich: Schneider hat lange      Story.
renzierung, in der „Social-Media-Redak-              Kooperationen mit Youtubern und Marken
teur“ nur noch als Oberbegriff gelten kann.          gemanagt, Yılmaz kennt das von der ande-

                                                                                                                               MEDIUM MAGAZIN     73
Terminal. Fragebogen

FOTO: BASTIAN LINDER PHOTOGRAPHY

Julia Bönisch,
Drahtzieherin mit
Handlungsdrang
Warum sind Sie Journalistin           Uff, diese Fragen kann ich
geworden?                            nicht mehr hören. Ich glaube,
 Julia Bönisch: Weil man (fast)      bei dem Thema wird in der
überall hin und (fast) jede Fra-     Branche zu viel geredet und zu
ge stellen darf.                     wenig gehandelt.

Wie kamen Sie an Ihren ersten        Mit welchem Ihrer Merkmale
Beitrag?                             würde man Sie am treffendsten
  Während meines ersten Prak-        karikieren oder parodieren?
tikums bei der WAZ in Gelsen-          Ich fürchte, ich gelte als ziem-
kirchen. Das Thema war offen-        lich streng – es könnte also         JULIA BÖNISCH,
sichtlich nicht besonders auf-       etwas mit einer Peitsche zu tun      Jahrgang 1980, ist seit Januar Chefredakteurin von süddeutsche.de. Bönisch
                                                                          wuchs in Gelsenkirchen auf, studierte Journalistik und BWL an der Uni Eich-
regend – ich kann mich nicht         haben …                              stätt-Ingolstadt und in Indiana/USA. Während des Studiums sammelte sie bei der
mehr dran erinnern.                                                       „Westdeutschen Allgemeinen Zeitung“, der taz, bei „Bild“, Sat.1 und dem ZDF
                                     Ihre persönlichen Stärken und        Erfahrung. Bei Spiegel Online machte sie mehrere Redakteursvertretungen.
Ihre Vorbilder im Journalismus?      Schwächen?                           Bönisch reiste nach dem Studium für die katholische Entwicklungshilfe-Organi-
                                                                          sation Missio durch die Welt. 2007 kam sie zu süddeutsche.de, verantwortete das
  Ehrlich gesagt: Da habe ich         Ich bin sehr ungeduldig, lei-       Ressort Job & Karriere, leitete das Team Plus, war Chefin vom Dienst und ab 2012
keine. Ich lerne jeden Tag von       der auch mit Menschen … Eine         stellvertretende Chefredakteurin. Seit Januar 2017 bildet sie mit Stefan Plöchinger
vielen tollen Kollegen.              Stärke ist, dass ich das weiß        eine Doppelspitze.
                                     und daran arbeite.
Ein Journalist ist ein guter Jour-
nalist, wenn er/sie …?               Was macht Sie wütend oder            Woche ohne Strom, fließend                   Mit Netflix und beim Putzen.
  … bereit ist, sich überraschen     ungeduldig?                          Wasser, dafür aber mit einer
zu lassen, beharrlich ist und         Schlechte Planung und wenn          schlimmen Lebensmittelvergif-              Sind Sie Mitglied einer Partei?
einen guten Draht zu Menschen        Menschen ihre Entscheidungs-         tung. Dass ich trotzdem eine                 Nein. Ich finde, das verträgt
findet.                              spielräume nicht nutzen.             gute Geschichte mitgebracht                sich nicht mit dem Selbstver-
                                                                          habe, darauf bin ich stolz.                ständnis eines Journalisten.
Die Herausforderung des Jour-        Welche sozialen Medien nutzen
nalismus als Tweet in 140 Zei-       Sie und wofür?                       Welcher ist Ihnen peinlich?                Welcher Rat hat Ihnen auf Ih-
chen?                                  Facebook, Twitter, In­s ta­          Das verrate ich natürlich nicht          rem beruflichen Weg besonders
 Alles im Fluss (Das waren nur       gram, Xing – die alle recht ak-      :-)                                        geholfen?
14).                                 tiv. Accounts habe ich auch bei                                                   Im Praktikum bei der taz habe
                                     Snapchat und Pinterest, da bin       Ihre drei Lieblinge unter Zei-             ich gelernt: Wenn sich niemand
Wie wichtig ist Klatsch?             ich aber nur passive Konsu-          tungen, Sendungen und Web-                 beschwert, hast du was falsch
 Ich bin gerne über Klatsch im       mentin.                              sites?                                     gemacht.
eigenen Haus informiert, das                                                Ich lese, schaue und höre je-
hilft an vielen Stellen – von der    Mit wem würden Sie gerne mal         den Tag drei Dutzend – und                 Was sollte Ihnen später einmal
Personalplanung bis zu der Fra-      einen Tag tauschen?                  entdecke jedes Mal woanders                nachgesagt werden?
ge, welcher Kollege sich gut mit      Eigentlich mag ich mein ei-         etwas Neues, das mir Spaß                   Sie kannte weder Blei- noch
Orchideenthemen auskennt.            genes Leben ziemlich gerne.          macht.                                     Klebesatz.
Auf der thematischen Ebene
kann er ein erster Anstoß für        Auf welchen Beitrag sind Sie         Ihr Lieblings-(Fremd-)App?
eine Recherche sein …                besonders stolz?                      WhatsApp.
                                      Ich war mal für eine Reporta-
Wo haben es Frauen im Jour-          ge im Grenzgebiet von Angola         Wie und womit entspannen Sie
nalismus schwerer?                   und Sambia unterwegs – eine          sich?

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