KRANKENSTAND VERBOTEN? - Fragwürdige Maßnahmen unter dem Deckmantel eines effizienten "Krankenstandmanagements" - Gewerkschaft GPA

Die Seite wird erstellt Hortensia-Angelika Metzger
 
WEITER LESEN
KRANKENSTAND VERBOTEN? - Fragwürdige Maßnahmen unter dem Deckmantel eines effizienten "Krankenstandmanagements" - Gewerkschaft GPA
KRANKENSTAND
VERBOTEN?
Fragwürdige Maßnahmen unter
dem Deckmantel eines effizienten
„Krankenstandmanagements“

Aus der Broschürenserie
Gewerkschaft GPA – Abteilung Arbeit & Technik   1
IMPRESSUM:
Herausgeber: Gewerkschaft GPA, 1030 Wien, Alfred-Dallinger-Platz 1
Redaktion: Alexander Pichler, Gewerkschaft GPA – Grundlagenabteilung
Layout: Christina Schier, Gewerkschaft GPA – Abteilung Organisierung und Marketing
Bilder/Fotos: iStock, Daniel Novotny, Michael Mazohl
ÖGB ZVR-Nr.: 576439352

Stand: September 2021
AUTORINNEN
© Daniel Novotny

                                                                      © Daniel Novotny

                                                                                                                            © Daniel Novotny

                   Dr.in Eva Angerler                                                    Mag.a Andrea Komar                                    Mag.a Isabel Koberwein
                   Abteilung Arbeit & Technik der                                        Leiterin der Gewerkschaft GPA                         Grundlagenabteilung
                   Gewerkschaft GPA                                                      Rechtsabteilung                                       der Gewerkschaft GPA

                   Die Inhalte sind nach bestem Wissen erstellt und sorgfältig geprüft. Es besteht jedoch keine Haftung seitens der AutorInnen
                   oder der Gewerkschaft GPA. Inhalte dürfen unter Angabe der AutorInnen weiterverbreitet werden (CC-Urheberrecht).

                                                                                                                                                                        3
VORWORT

4
    © MichaelMazohl
VORWORT

Die arbeitsbezogenen Gesundheitsprobleme nehmen infolge steigenden Arbeitsdrucks zu. Viele ArbeitnehmerIn-
nen haben Angst um ihren Arbeitsplatz und vermeiden nötige Krankenstände. Langfristig schädigen sie durch
dieses Verhalten ihre Gesundheit oft so nachhaltig, dass sie ernsthaft erkranken und letztendlich doch den
Arbeitsplatz verlieren. Stressbedingte Erkrankungen, wie zum Beispiel Burn-out, sind ein Produkt unserer sich
ständig intensivierenden Arbeitswelt. ArbeitnehmerInnen übersehen oft die ersten Signale, weil sie glauben, es sich
nicht „leisten“ zu können, einen Krankenstand in Anspruch zu nehmen. Diese gesundheitspolitisch bedenkliche
Entwicklung bedroht sozialpolitische Errungenschaften, wie zum Beispiel die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall
und belastet durch Langzeitkrankenstände auch unser Sozialsystem.

Vor diesem Hintergrund kommen den fragwürdigen Methoden des „Krankenstands- oder Fehlzeitenmanage-
ments“, die in Betrieben auftreten, besondere Brisanz zu. Die Möglichkeiten neuer technischer Systeme verführen
immer mehr ArbeitgeberInnen dazu, sensible Daten wie Krankenstandsdaten in unzulässiger Weise aufzubereiten,
auszuwerten und öffentlich zu machen. Sie werden zu einem Instrument der Kontrolle sowie der Leistungs- und
Verhaltenssteuerung. ArbeitnehmerInnen, die eigentlich darauf vertrauen dürfen, dass diese Daten lediglich dem
gesetzlichen Auftrag entsprechend verwendet werden, sehen sich plötzlich durch ebendiese Daten unter Druck
gesetzt. Ihre Krankheit wird gegen sie ausgespielt.

Durch die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) sind sensible personenbezogene Daten nicht nur besonders
geschützt, der Missbrauch dieser Daten kann auch exorbitant hohe Strafen nach sich ziehen.

Neben dem strengen Datenschutz, den der/die Einzelne für sich ins Treffen führen kann, bietet das Arbeitsver-
fassungsgesetz (ArbVG) dem Betriebsrat starke Mitbestimmungs- sowie Gestaltungsrechte zum Schutz der Beschäf-
tigtendaten.

Ziel dieser Broschüre ist, fragwürdige Methoden im Umgang mit Krankenstandsdaten aufzuzeigen, einen verant-
wortungsvollen Umgang mit diesen Daten zu fördern und den Beschäftigten und BetriebsrätInnen Möglichkeiten
zu eröffnen, sich erfolgreich gegen Datenmissbrauch zu wehren. Außerdem werden Modelle dargestellt, die besser
geeignet sind, die Gesundheit im Betrieb zu fördern als die geschilderten Methoden eines „Fehlzeitenmanagements“.

Barbara Teiber, MA
Vorsitzende

                                                                                                                 5
INHALT

 Zur Entwicklung von Krankenständen.  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 8

 Es beginnt schon beim Bewerbungsgespräch .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 10

 Im betrieblichen Alltag.  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 12
    Krankenstandsrückkehrgespräche. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  12
    Entgeltsysteme. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14
    „Rating“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  15

 Bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses.  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 16
    Worauf ist während eines Krankenstandes zu achten?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17

 Rechte des/der Einzelnen .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 18

 Rechte und Möglichkeiten des Betriebsrates .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 20
    § 96 Abs 1 Z 2 ArbVG (Notwendige Zustimmung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  20
    § 96 Abs 1 Z 3 ArbVG (Notwendige Zustimmung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21
    § 96 a Abs 1 ArbVG (Ersetzbare Zustimmung). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21
    § 97 Abs 1 Z 1 ArbVG (Erzwingbare Zustimmung). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21
    § 97 Abs 1 Z 8 und 9 ArbVG (Freiwillige Betriebsvereinbarung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  22
    § 92 a ArbVG (Arbeitsschutz). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  22
    „Kollision“ von Rechtsgrundlagen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  22

 Gesundheit und Prävention im Betrieb .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 23
    Arbeitsplatzevaluierung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  23
    Betriebliche Gesundheitsförderung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24
    Themen und Instrumente bei der betrieblichen Gesundheitsförderung . . . . . . . . . . . . . .  25
    Betriebliches Wiedereingliederungsmanagement (BEM) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  26
    Wiedereingliederungsteilzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  28

                                                                                                                                                          Praktische Beispiele

                                                                                                                                                          Wertvolle Tipps

                                                                                                                                                          Beispielrechnung

                                                                                                                                                                                                    6
ZUR ENTWICKLUNG
VON KRANKENSTÄNDEN

E
       in Blick auf die langfristige Entwicklung von          macht Arbeitslosigkeit krank, zum anderen trauen
       Krankenständen in Österreich zeigt, dass die           sich Arbeitslose eher als Beschäftigte, sich krank
       Krankenstandszahlen seit 1980 sinken. 1980 la-         zu melden, weil die mögliche Sanktion des Arbeits-
gen die durchschnittlichen Krankenstandstage pro              platzverlustes fehlt.
Beschäftigtem bei 17,4 Tagen im Jahr. In den letzten
Jahren sind es ziemlich konstant 12 bis 13 Tage. Dieser       Die Praxis zeigt, dass die Angst der Beschäftigten,
langfristige Rückgang der Krankenstände begann zu             aufgrund von Krankenständen ihren Arbeitsplatz zu
dem Zeitpunkt, als die Arbeitslosigkeit zu steigen be-        verlieren, nicht unbegründet ist. So steigt etwa nach
gann. Seit 1982 zeigt die Statistik einen engen Zusam-        einem zwei- bis vierwöchigen Krankenstand das Risiko,
menhang zwischen steigender Arbeitslosigkeit und              im Jahr danach den Job zu verlieren, beträchtlich. Um-
sinkender Krankenstandsquote. Das lässt den Schluss           gekehrt haben ältere ArbeitnehmerInnen mit längeren
zu, dass viele Beschäftigte aus Angst vor der Arbeits-        Krankenständen kaum eine Chance, ins Erwerbsleben
losigkeit einen notwendigen Krankenstand nicht in An-         zurückzukehren.
spruch nehmen.
                                                              In der Krankenstand-Statistik zeigen sich teils erhebli-
In der Arbeitspsychologie und Arbeitsmedizin wird das         che Unterschiede je nach Branche, Beruf und regiona-
Phänomen, trotz Krankheit am Arbeitsplatz zu erschei-         lem Umfeld.
nen, Präsentismus genannt. Dieses Phänomen tritt ins-
besondere in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit verstärkt auf.     Die wichtigsten Krankenstandsursachen sind heute
                                                              vor allem auf Krankheiten des Muskel-Skelett-Systems
Der Arbeitsgesundheitsmonitor der AK OÖ, eine reprä-          und des Atemsystems zurückzuführen. Zusammen ver-
sentative Befragung von ArbeitnehmerInnen in Öster-           ursachen diese Erkrankungen rund 50 % der Kranken-
reich, bildet weitere betriebliche Faktoren ab, die Arbeit-   standsfälle und 42 % aller Krankenstandstage. Arbeits-
nehmerInnen veranlassen, krank zur Arbeit zu gehen.           unfälle waren in den vergangenen Jahren rückläufig,
Knappe Personalressourcen, fehlende Vertretungsre-            während psychische Erkrankungen im vergangenen
gelungen und ein hohes Verantwortungsbewusstsein              Jahrzehnt stark gestiegen sind.
der Beschäftigten spielen dabei wesentliche Rollen.
                                                              Dafür verantwortlich sind Rahmenbedingungen wie
Arbeitslose haben eine signifikant höhere Kranken-             neue Formen prekärer Arbeitsverhältnisse, Arbeits-
standsquote als Beschäftigte. Es ist zu vermuten, dass        platzunsicherheit, die alternde Erwerbsbevölkerung,
dabei zwei Faktoren eine Rolle spielen: Zum einen             eine Intensivierung der Arbeit, hohe emotionale

                                                                                                                    7
ZUR ENTWICKLUNG VON KRANKENSTÄNDEN

Anforderungen bei der Arbeit und die unzureichende                              ablegen müssen, der ohnedies schon gewaltige Druck,
Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben.1                                       krank zur Arbeit zu gehen. Gesundheitspolitisch stellt
                                                                                der Präsentismus eine alarmierende Entwicklung dar.
Die Krankenstandszahlen werden häufig als Indikator                              Wenn ArbeitnehmerInnen trotz des Fortschreitens von
für den Gesundheitszustand eines Betriebes betrach-                             stressbedingten und sonstigen Erkrankungen heute
tet. ArbeitgeberInnen und Vorgesetzte gehen aller-                              weniger Krankenstandstage haben als früher, ist ab-
dings sehr unterschiedlich mit diesen Daten um. Die                             sehbar, dass dieser Umstand den Vormarsch psychi-
Praxis zeigt, dass Krankenstandsdaten immer häufiger                             scher Erkrankungen nicht eindämmen, sondern forcie-
zu einem Instrument des „Personalmanagements“                                   ren wird. Damit dreht sich die Spirale nach unten weiter.
werden. Die technischen Möglichkeiten erlauben heut-
zutage eine lückenlose und systematische Erfassung                              Das Thema „Krankenstand“ spielt von der Begrün-
und Aufbereitung dieser Daten. Die Methoden sind un-                            dung bis zur Beendigung eines Arbeitsverhältnisses
terschiedlich, lassen sich aber unter dem Begriff des                           eine große Rolle. Ob es um den betrieblichen Um-
„Fehlzeitenmanagements“ zusammenfassen. Für die                                 gang mit Krankenstandsdaten, deren Auswertung
ArbeitnehmerInnen potenziert sich dadurch, dass sie                             oder verpflichtende Krankenstandsrückkehrgespräche
zunehmend Rechenschaft über ihre Krankenstände                                  geht, das Thema ist stets ein heikles.

          KRANKENSTANDSTAGE NACH KRANKHEITSGRUPPEN

    %
    100
                                                                                                                  Sonstige Krankheiten
     90
                                                                                                                  Psychische- und
     80                                                                                                           Verhaltensstörungen

     70                                                                                                           Krankheiten des
                                                                                                                  Kreislaufsystems
     60
                                                                                                                  Krankheiten des
     50                                                                                                           Atmungssystems

     40                                                                                                           Krankheiten des
                                                                                                                  Verdauungssystems
     30
                                                                                                                  Krankheiten des
     20                                                                                                           Muskel-Skelett-Systems

     10                                                                                                           Verletzungen und
                                                                                                                  Vergiftungen
      0
              1994               2000                2005               2010                2019

                                                Quelle: Fehlzeitenreport 2020, Dachverband der österreichischen Sozialversicherungsträger, Wifo

1    Quelle: Fehlzeitenreport 2020, Wifo, https://www.sozialversicherung.at/cdscontent/load?contentid=10008.741074&version=1606987636

                                                                                                                                                  8
ES BEGINNT SCHON
BEIM BEWERBUNGS-
GESPRÄCH

W
           er einen Job sucht, ist darum bemüht, im Be-   Beide Ansinnen sind – wenig überraschend – unzulässig.
           werbungsgespräch einen möglichst guten         Aber welche Fragen sind im Bewerbungsgespräch er-
           Eindruck auf den/die potenzielle/n Arbeit-     laubt, welche verboten? Was kann der/die Arbeitssu-
geberIn zu machen. Schließlich ist davon auszugehen,      chende tun, wenn ihm/ihr unzulässige Fragen gestellt
dass sich auch viele andere Arbeitssuchende um die-       werden? Und welche Möglichkeiten hat der Betriebsrat,
sen Job bemühen. Um sich gegen MitbewerberInnen           potenziellen neuen MitarbeiterInnen solche Fragen zu
durchzusetzen, gilt es, nicht nur mit Qualifikation und    ersparen?
einnehmendem Auftreten zu punkten, sondern im Ge-         Krankenstandsdaten und insbesondere Diagnosen
spräch auch ein gutes Einvernehmen mit dem/der Ar-        sind, was wohl niemand ernsthaft in Frage stellen wird,
beitgeberIn herzustellen.                                 höchstpersönliche und sensible Daten (Art. 9 DSGVO:
Arbeitsverhältnisse sind wegen der wirtschaftlichen       besondere Kategorie personenbezogener Daten).
Abhängigkeit der ArbeitnehmerInnen ganz grund-            Umso erstaunlicher ist der leichtfertige, mitunter gera-
sätzlich von einem Ungleichgewicht der Kräfte – von       dezu unverschämte Umgang mit diesen Daten durch
zwei einander gegenüberstehenden, ungleich starken        (potenzielle) ArbeitgeberInnen. Die Corona-Pandemie
VerhandlungspartnerInnen – geprägt. In einem Bewer-       hat die Begehrlichkeit von ArbeitgeberInnen, Gesund-
bungsgespräch verschärft sich die Lage für Arbeitssu-     heitsdaten der BewerberInnen abzufragen, noch er-
chende noch, weil sie den Job, um den sie sich bemü-      höht. Die Frage nach einer COVID-19-Schutzimpfung
hen, in der Regel dringend brauchen. Die Gefahr des       ist dabei eine der beliebtesten.
Machtmissbrauchs durch den/die ArbeitgeberIn steigt       Aus gutem Grund enthalten Krankenstandsbestätigun-
durch diese Ausgangssituation. Tatsächlich nutzen Ar-     gen, die dem/der ArbeitgeberIn vorzulegen sind, zwar
beitgeberInnen die prekäre Lage, in der sich Stellen-     Beginn und Ende des Krankenstandes, aber niemals
werberInnen befinden, immer öfter aus, um an Informa-      eine Diagnose. ArbeitnehmerInnen haben nämlich ein
tionen zu gelangen, die ihnen gar nicht zustehen.         Recht auf Datenschutz.
                                                          Gewisse Fragen, welche die Intimsphäre des/der Ar-
                                                          beitssuchenden betreffen, sind jedenfalls unzulässig und
                                                          können nicht einmal mit einer allfälligen Zustimmung
   Beispiel 1: Im Zuge des Bewerbungsgespräches           des Betriebsrates „legalisiert“ werden. Grundrechtswid-
   wird der/die Arbeitssuchende nicht nur nach            rige bzw. sittenwidrige Fragen können somit auch mit
   der Anzahl und jeweiligen Dauer seiner/ihrer           Betriebsvereinbarung nicht wirksam zugelassen werden.
   Krankenstände in den letzten zwei Jahren, son-         Hierbei handelt es sich beispielsweise um Fragen nach
   dern auch nach den Diagnosen gefragt.
                                                          ●   Zugehörigkeit zu einer politischen Partei oder
   Beispiel 2: Im Zuge des Bewerbungsgespräches               Gewerkschaft;
   wird der/die Arbeitssuchende aufgefordert, sich        ●   Religionszugehörigkeit;
   einem Gesundheitscheck zu unterziehen.                 ●   Sexuellen Gewohnheiten bzw. sexueller Ausrichtung;

                                                                                                                9
ES BEGINNT SCHON BEIM BEWERBUNGSGESPRÄCH

●   Schwangerschaft;                                      ArbeitgeberIn Arbeitssuchenden stellen darf. Nimmt
●   Familiären Plänen (Kinderwunsch);                     man Fragen, die in die Persönlichkeitsrechte der Be-
●   Vermögensverhältnissen;                               troffenen eingreifen und deshalb der Regelungskom-
●   Gesundheitszustand (z. B. nach Erkrankungen,          petenz der Betriebsparteien entzogen sind, aus, so
    Diagnosen, Heilungschancen);                          unterscheidet man bei den im Rahmen von Bewer-
●   Verwandten und Bekannten.                             bungsgesprächen häufig verwendeten Personalfrage-
                                                          bögen zwischen schlichten und qualifizierten.
Solche Fragen verletzen die Intimsphäre des/der Ein-
zelnen gröblich. Weil sie unzulässig sind, können Stel-   Schlichte Fragebögen sind stets zulässig. Sie enthalten
lenwerberInnen sie auch ohne nachteilige Folgen           lediglich allgemeine Angaben zur Person sowie über die
falsch oder gar nicht beantworten.                        Qualifikation für die in Aussicht genommene oder be-
Ausnahmen finden sich lediglich bei Tätigkeiten, die       reits ausgeübte Verwendung. Hierbei handelt es sich um
bestimmte gesundheitliche Voraussetzungen erfor-
dern. Dort, wo das Gesetz und/oder die Art der Tätig-     ●   Angaben, die aus sozialversicherungsrechtlichen
keit Fragen zum Gesundheitszustand und/oder zu Ge-            und steuerrechtlichen Gründen erforderlich sind;
sundenuntersuchungen (z. B. Blutbild, Lungenröntgen       ●   Angaben, die zur ordnungsgemäßen Einstufung
etc.) verlangen, gilt das bisher Gesagte nur bedingt.         in den Kollektivvertrag erforderlich sind (z. B. Vor-
So wird es wohl jedem einleuchten, dass überall dort,         dienstzeiten);
wo Leben und Gesundheit anderer auf dem Spiel ste-        ●   Arbeitszeugnisse;
hen, notwendige Fragen zum Gesundheitszustand             ●   Ausbildung;
und/oder Gesundenuntersuchungen zulässig sind.            ●   Name, Wohnort, Familienstand.
Vorstellbar wären hier etwa medizinische Berufe, bei
denen ein Austausch von Körperflüssigkeiten zwischen       Qualifizierte Fragebögen gehen über diese Angaben
Menschen möglich oder sehr wahrscheinlich ist sowie       hinaus und dienen dem/der (potenziellen) Arbeitgebe-
Berufe in Zusammenhang mit der Herstellung von Le-        rIn nicht selten dazu, Informationen über persönliche
bensmitteln.                                              Umstände oder Meinungen der Betroffenen zu erhal-
Auch die Zulässigkeit einer Frage nach einer COVID-       ten, aus denen sich (auch) auf deren Persönlichkeit,
19-Schutzimpfung wird von der Art der Tätigkeit ab-       Unfallgeneigtheit (z. B. gefährliche Sportart als Hobby)
hängen. Wer in seiner Arbeit mit besonders vulnerab-      und zeitliche Verfügbarkeit (familiäre Sorgepflichten,
len Personen zu tun hat, wird eine solche Frage wohl      Abendschule, rege Freizeitaktivitäten) schließen lässt.
wahrheitsgemäß beantworten müssen, zumal es sich          Aus all diesen Informationen lassen sich für Arbeitgebe-
bei COVID-19 um eine meldepflichtige Krankheit nach       rInnen durchaus interessante und für die Auswahl künf-
dem Epidemiegesetz handelt und eine Schutzimpfung         tiger MitarbeiterInnen auch relevante Schlüsse ziehen.
empfohlen wird. Dasselbe gilt für den Nachweis der
Impfung. Ein solcher darf von dem/der (potenziellen)      In Betrieben mit Betriebsrat sind qualifizierte Fra-
ArbeitgeberIn jedoch weder kopiert noch i. Z. m. per-     gebögen nur mit dessen Zustimmung zulässig
sonenbezogenen Daten gespeichert werden.                  (§ 96 Abs 1 Z 2 ArbVG). Der Betriebsrat kann die Ver-
Aber auch der Betriebsrat kann bis zu einem gewis-        wendung qualifizierter Fragebögen entweder verhin-
sen Grad mitbestimmen, welche Fragen der/die              dern oder die Fragestellungen mitgestalten.

                                                                                                                10
IM BETRIEBLICHEN
ALLTAG

G
         ewisse Krankenstandsdaten muss der/die Ar-           transparent gemacht werden („Rating“) und ande-
         beitgeberIn erheben, um seinen/ihren ge-             rerseits auch eine strategische Grundlage für Per-
         setzlichen Verpflichtungen nachzukommen.              sonalentscheidungen darstellen.
Bei diesen Daten handelt es sich um Beginn, Ende und
Dauer des Krankenstandes sowie die Angabe, ob es          Abgesehen davon, dass diese Instrumente vielseitig
sich um einen Arbeitsunfall oder eine Berufskrankheit     einsetzbar sind und zum Missbrauch (Disziplinierung)
handelt.                                                  verleiten, zeigt die Praxis auch, dass Führungskräften
                                                          oft das Bewusstsein und die soziale Kompetenz fehlen,
Diese Daten sind einerseits für die Entgeltfortzahlung,   die für einen angemessenen Umgang mit Kranken-
andererseits auch für Sozialversicherungsträger, Be-      standsdaten erforderlich sind.
triebskrankenkassen und andere berechtigte Instituti-
onen erforderlich. Selbstverständlich sind diese Daten    Dies sollen die folgenden Maßnahmen veranschauli-
auch dem Betriebsrat und allenfalls dem Arbeitsins-       chen.
pektorat zugänglich zu machen.

ArbeitgeberInnen und Vorgesetzte haben allerdings         KRANKENSTANDSRÜCKKEHRGESPRÄCHE
ein erhöhtes Interesse daran, zusätzliche Informatio-
nen über Krankenstände und deren Ursachen zu erhal-       Hierbei handelt es sich um die Einführung verbind-
ten. Als primären Zweck nennen sie den Umstand, dass      licher Gespräche der ArbeitnehmerInnen mit ihren
Führungskräfte nützliche Informationen zu Hintergrün-     Vorgesetzten nach der Rückkehr aus dem Kranken-
den krankmachender Faktoren im Arbeitsumfeld und          stand (oder aus bestimmten Krankenständen) im
damit Wissen für konkrete Ansatzpunkte für ein effekti-   Unternehmen/Betrieb.
ves betriebliches Gesundheitswesen erwerben wollen.       Häufig gibt es ein standardisiertes Formular mit vor-
                                                          gesehenen Fragen als Grundlage für die Gesprächs-
Die Instrumente, derer sie sich bedienen, sind unter      führung. Das Gespräch wird dokumentiert und von
anderem                                                   beiden GesprächspartnerInnen unterschrieben.

●   Krankenstandsrückkehrgespräche,                       Immer wiederkehrende Gesprächsvorgaben sind:
●   Entgeltsysteme, die einen Anreiz für möglichst we-
    nige Abwesenheiten bieten                             ●   Fragen nach dem Befinden, die auf eine Bekannt-
●   systematisch    aufbereitete   personenbezogene           gabe der Diagnose und allfälliger Folgeerkrankun-
    Krankenstand-Statistiken, die einerseits im Betrieb       gen abzielen;

                                                                                                             11
IM BETRIEBLICHEN ALLTAG
© iStock

           ●   Fragen nach krankmachenden Ursachen am Ar-             Intimsphäre der MitarbeiterInnen eingreifen. So genü-
               beitsplatz (Art der Tätigkeit, Arbeitsumfeld, Bezie-   gen beispielsweise Informationen über bevorstehende
               hungen zu KollegInnen und Vorgesetzten);               Abwesenheiten (Krankenhausaufenthalt, Kur etc.), um
           ●   Erörterung von Verbesserungsvorschlägen, den           einen reibungslosen Arbeitsablauf im Betrieb zu ge-
               Arbeitsplatz betreffend;                               währleisten; das Abfragen der Diagnose ist nicht er-
           ●   Erörterung dienstrechtlicher Konsequenzen wie z. B.    forderlich.
               Versetzung.
                                                                      Gemeinsam ist diesen Formularen jedoch, dass sie die
           Wegen ihrer Unterschiedlichkeit sind die Formula-          Qualität von Personalfragebögen haben. Wie bereits
           re grundsätzlich differenziert zu betrachten. Sehr         im Zusammenhang mit Einstellungsfragebögen aus-
           häufig überschneiden sich Fragen, an denen der/die          geführt, muss man daher zwischen zulässigen schlich-
           ArbeitgeberIn ein legitimes Interesse hat, mit Fra-        ten und zustimmungspflichtigen qualifizierten Frage-
           gen, die über dieses Interesse hinausgehen und in die      bögen unterscheiden.

                                                                                                                        12
IM BETRIEBLICHEN ALLTAG

Werden die Daten auch elektronisch erfasst, muss au-
ßerdem darauf geachtet werden, ob sie mit anderen
Daten verknüpft werden können, zu welchem Zweck
dies geschehen soll und wer Zugriff auf die Daten und         Beispiel 1: Der Grad der Erreichung vorgege-
allfällige Verarbeitungsergebnisse hat. Daraus erge-          bener Ziele führt zu einem Prämienanteil, der
ben sich weitere Zustimmungserfordernisse des/der             mit der Anzahl der tatsächlich im Betrieb ver-
Einzelnen und des Betriebsrates.                              brachten Arbeitstage multipliziert wird. Der/die
                                                              ArbeitnehmerIn erhält den Prämienanteil somit
Standardisierte, verbindliche Krankenstandsrückkehr-          pro Anwesenheitstag im Betrieb.
gespräche haben den Charakter von Kontrollmaß-
nahmen.                                                       Beispiel 2: Ein Entgeltsystem, in dem sich die
                                                              Höhe des leistungsbezogenen Anteils nach er-
Egal, ob sie nach jedem Krankenstand oder nach be-            reichten Punkten bestimmt, enthält eine „Absen-
stimmten Krankenständen (z. B. nach Anzahl der Kran-          zenmatrix“, die – je nach Dauer der Abwesen-
kenstände im Jahr oder nach Dauer eines Kranken-              heit gestaffelt – einen Punkteabzug vorsieht.
standes differenziert) geführt werden, sie signalisieren
kranken ArbeitnehmerInnen Misstrauen und stigmati-            Absenzen werden wie folgt definiert: Jene An-
sieren deren Fehlzeiten.                                      zahl der Kalendertage, an denen sich ein/eine
                                                              ArbeitnehmerIn im Krankenstand oder auf Kur
ArbeitgeberInnen, die Gespräche mit ArbeitnehmerIn-           befindet, wobei Absenzen von bis zu 16 Kalen-
nen nach Rückkehr aus Kurzkrankenständen (z. B. an            dertagen pro Jahr unberücksichtigt bleiben.
Freitagen, Montagen, Fenstertagen etc.) suchen, tun           Es obliegt der Führungskraft zu entscheiden, ob
dies offenkundig, weil sie den Verdacht hegen, diese          es berücksichtigungswürdige Gründe gibt, um in
ArbeitnehmerInnen hätten „krankgefeiert“. Hier steht          Einzelfällen einen Punktezuschlag von maximal
es den ArbeitgeberInnen ohnedies frei, bei verdächti-         50 % des automatischen Punkteabzugs zu ge-
ger Häufung solcher Kurzkrankenstände eine Kranken-           währen. Dieser Punktezuschlag ist zu begründen.
standsbestätigung zu verlangen. Krankenstandsrück-            Die Führungskraft bewertet somit, welche Krank-
kehrgespräche sind somit nicht erforderlich.                  heit einen Krankenstand „rechtfertigt“ und wel-
                                                              che nicht.
Aber auch Gespräche nach längeren Krankenstän-
den erzeugen ein Klima des Misstrauens, in dem
ArbeitnehmerInnen ganz unweigerlich das Gefühl be-
kommen, sich für ihre Erkrankung „rechtfertigen“ zu        In beiden Fallbeispielen ist der (wirtschaftliche) An-
müssen.                                                    reiz, auch krank zur Arbeit zu erscheinen, groß.
                                                           Krankenstände werden in der Leistungsbeurteilung
                                                           als Kriterium herangezogen und führen zu einer
ENTGELTSYSTEME                                             Minderung des Einkommens.

Bei den sogenannten „Anwesenheitsprämien“ han-             Ein weiterer, erschreckender Aspekt: In vielen leis-
delt es sich um Entgeltbestandteile, die Arbeitneh-        tungsbezogenen Entgeltsystemen stehen die Prämien
merInnen (nur) in jenem Ausmaß erhalten, in dem sie        einer Arbeits- oder Projektgruppe zu. Sind Kranken-
in einem bestimmten Zeitraum (zumeist ein Jahr) im         stände ein Faktor, der die Höhe der Gruppenprämie
Betrieb anwesend – also z. B. nicht krank – waren.         beeinflusst, werden kranke ArbeitnehmerInnen oft zu
                                                           Opfern eines unbarmherzigen Gruppenzwangs.
Solche „Anwesenheitsprämien“ finden sich oft ver-
steckt in sehr komplexen leistungsbezogenen Entgelt-       Der Oberste Gerichtshof (OGH) hat die Gefahren, die
systemen.                                                  „Anwesenheitsprämien“ mit sich bringen, erkannt. Er
                                                           hat sie für sittenwidrig und daher nichtig erklärt, und
                                                           begründet dies wie folgt: Solche Prämien verletzen den
                                                           Schutzzweck der Entgeltfortzahlungsbestimmungen.

                                                                                                                 13
IM BETRIEBLICHEN ALLTAG

Das Bedenkliche an der sogenannten Anwesenheits-            Ein solches System könnte, weil Persönlichkeitsrechte
prämie liegt in der Anreizwirkung, dass kranke Arbeit-      verletzt werden, nicht einmal durch den Abschluss
nehmerInnen, um finanzielle Einbußen zu vermeiden,           einer Betriebsvereinbarung „legalisiert“ werden.
keine Rücksicht auf ihren Geist und Körper nehmen           Außerdem widerspricht es dem strengen Regime der
und „Raubbau“ mit ihrer Gesundheit treiben, indem           DSGVO. Besondere personenbezogene Daten dürfen
sie, statt sich daheim auszukurieren, zur Arbeit erschei-   nur insoweit gespeichert und verarbeitet werden, als
nen (vgl. z. B. OGH 7. 6. 2001, 9 Ob A 295/00y).            dies dem legitimen Zweck entspricht (also z. B. der Er-
                                                            füllung gesetzlicher Pflichten).

„RATING“

Selbstverständlich müssen Unternehmen die Kranken-             Im Intranet eines Unternehmens werden die
stände ihrer MitarbeiterInnen aufzeichnen, um ihren            Krankenstände der einzelnen MitarbeiterInnen
gesetzlichen Verpflichtungen – insbesondere der                 in einem Dokument dargestellt, kategorisiert
Entgeltfortzahlungspflicht im Krankenstand – nach-              und – je nach Anzahl der Krankenstandstage –
kommen zu können.                                              in unterschiedlichen Farben gekennzeichnet:

Der Zweck dieser Aufzeichnungen ist vorgegeben (Ent-           0 bis 6 Krankenstandstage werden grün,
geltfortzahlung, Meldung an die Sozialversicherung
etc.). Die Aufzeichnungen sind vertraulich zu behan-           7 bis 10 Krankenstandstage gelb
deln und nur einem sehr beschränkten Personenkreis
zugänglich zu machen.                                          11 bis 14 Krankenstandstage orange und

In letzter Zeit häufen sich allerdings Fälle, in denen         ab 15 Krankenstandstage rot unterlegt
Krankenstandsaufzeichnungen in einer weit über die
gesetzlichen Vorgaben hinausgehenden Art und Weise             Wie bei einem Ampelsystem ist auf den ersten
verwendet werden. Diverse Statistiken oder „Ratings“,          Blick erkennbar, wer häufig und wer eher selten
die personenbezogene Krankenstandsdaten enthal-                krank ist. Zugleich signalisieren die gewählten
ten, werden einer betrieblichen Öffentlichkeit zugäng-         Farben bereits eine Beurteilung dieser Kranken-
lich gemacht und erzeugen Druck auf kranke Arbeit-             standszeiten.
nehmerInnen.
                                                               Alle MitarbeiterInnen können in diese „Rating-
Kranke ArbeitnehmerInnen werden durch dieses Sys-              Liste“ Einsicht nehmen.
tem „an den Pranger gestellt“.

Erschwerend kommt hinzu, dass dieses System eine
sehr strenge Beurteilung vornimmt. Es erweckt den
Eindruck, als wäre lediglich ein Krankenstand von bis
zu 6 Tagen im Jahr „in Ordnung“. Bereits ab 15 Kran-
kenstandstagen werden ArbeitnehmerInnen offenbar
zu „Problemfällen“. Wie streng dieses System ist, zeigt
die Statistik, wonach die durchschnittliche Anzahl an
Krankenstandstagen in Österreich bei ca. 12 Tagen per
Jahr liegt.

Ein solches System ist unzulässig, weil personenbe-
zogene Daten nicht nur zweckwidrig verwendet, son-
dern kranke MitarbeiterInnen auch (betriebs-)öffent-
lich bloßgestellt und in ihrer Menschenwürde verletzt
werden.

                                                                                                                 14
BEI BEENDIGUNG DES
ARBEITSVERHÄLTNISSES

U
         m gleich mit einem weit verbreiteten Irrtum auf-    Eine krankheitsbedingte Entlassung ist verschulden-
         zuräumen: Ein Krankenstand schützt weder            sunabhängig; der/die ArbeitnehmerIn behält z. B. den
         vor Kündigung noch vor Entlassung. Ganz im          Anspruch auf gesetzliche Abfertigung Alt.
Gegenteil: In der Praxis kann man häufig beobachten,
dass vermehrte Krankenstände für ArbeitnehmerIn-             Eine krankheitsbedingte Kündigung von Arbeitneh-
nen die Gefahr bergen, ihren Job zu verlieren. Es fällt      merInnen ist stets zulässig, es sei denn, es bestünde ein
auch auf, dass es immer öfter während eines Langzeit-        besonderer Kündigungsschutz.
krankenstandes zur Auflösung des Arbeitsverhältnisses
kommt. Allerdings wird im Rahmen eines Kündigungs-           Im Zuge einer Kündigungsanfechtung vor Gericht
oder Entlassungsanfechtungsverfahrens vor Gericht            kommt es jedoch zu einer Abwägung der Interessen
nicht jeder Krankenstand als berechtigter Kündigungs-        beider Seiten. Nicht jeder längere Krankenstand wird
oder Entlassungsgrund angesehen. Die Judikatur legt          vom Obersten Gerichtshof als tauglicher Kündigungs-
diesbezüglich einen strengen Maßstab an.                     grund angesehen. Voraussetzung dafür, dass die
                                                             Kündigung auch vor Gericht hält, ist die krankheits-
Ein kranker/eine kranke ArbeitnehmerIn kann krank-           bedingte Unmöglichkeit des planmäßigen Einsatzes
heitsbedingt entlassen werden, wenn                          eines Arbeitnehmers/einer Arbeitnehmerin an einem
                                                             Arbeitsplatz, sofern aufgrund der betrieblichen Situ-
●   die Krankheit zu einer sehr lange andauernden Ar-        ation eine Überbrückung durch eine Vertretung nicht
    beitsunfähigkeit führt, deren Ende nicht absehbar ist,   erfolgen kann.
●   krankheitsbedingt eine weitere Verwendung im Un-
    ternehmen nicht möglich ist,                             In der Judikatur wurden Krankenstände von einem
●   die Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit aus-          halben Jahr ohne Aussicht auf Wiederherstellung, von
    sichtslos erscheint.                                     über eineinhalb Jahren und von 126 „Kranktagen“ als
                                                             für den/die ArbeitgeberIn nicht mehr zumutbar ange-
                                                             sehen. Auch Krankenstände, die über den Großteil des
                                                             Arbeitsjahres hinweg gehäuft auftreten, wurden als
    Prägnante Entscheidungen betreffen einen                 Kündigungsgrund anerkannt.
    querschnittgelähmten       Berufsfussballspieler
    (vgl. OGH 9 Ob A 186/93), Alkoholismus,                  Können krankheitsbedingte Ausfälle von Arbeitneh-
    der eine weitere Verwendung sinnlos macht                merInnen durch organisatorische Maßnahmen beho-
    (vgl. OGH 8 Ob A 218/95) sowie Kleptomanie               ben werden, ohne dass größere betriebliche Schwie-
    einer Putzfrau (vgl. OGH 9 Ob A 186/93).                 rigkeiten entstehen, so ist die Weiterbeschäftigung der

                                                                                                                   15
BEI BEENDIGUNG DES ARBEITSVERHÄLTNISSES

erkrankten ArbeitnehmerInnen dem/der ArbeitgeberIn          erfolgt. Es hängt von der Art der Erkrankung ab, ob
hingegen zumutbar. Auch krankheitsbedingte Minde-           beispielsweise ein Spaziergang den Heilungsverlauf
rungen der Arbeitsleistung sind im Normalfall (noch)        günstig oder ungünstig beeinflusst.
kein Kündigungsgrund.
                                                            Auf die Frage, ob ArbeitnehmerInnen im Krankenstand
Aber auch kranken ArbeitnehmerInnen wird die ge-            für ihren/ihre ArbeitgeberIn erreichbar sein müssen –
setzliche Möglichkeit eingeräumt, ihr Arbeitsverhältnis     ob sie z. B. ihr Dienst-Handy eingeschaltet haben oder
unter bestimmten Voraussetzungen unter Wahrung all          ihre E-Mails lesen müssen –, hat der Oberste Gerichtshof
ihrer Ansprüche vorzeitig aufzulösen.                       eine Antwort gegeben, die zu einigen falschen Schluss-
                                                            folgerungen geführt hat. Fakt ist, dass ArbeitnehmerIn-
So berechtigen gemäß § 26 Angestelltengesetz                nen im Regelfall nicht erreichbar sein müssen.
(AngG) zwei gesundheitsbedingte Gründe den/die
Angestellte/n zum vorzeitigen Austritt:

●   die Unfähigkeit, die Dienstleistung fortzusetzen und
●   die Unmöglichkeit, die Dienstleistung ohne Scha-           Wenn der/die ArbeitnehmerIn während seines/
    den für seine/ihre Gesundheit fortzusetzen.                ihres Krankenstandes für die Bekanntgabe un-
                                                               bedingt erforderlicher Informationen, deren
Ein Austrittsgrund liegt also nicht erst vor, wenn der/        Vorenthaltung zu einem wirtschaftlichen Scha-
die Angestellte gesundheitlich nicht mehr in der Lage          den des Arbeitgebers/der Arbeitgeberin füh-
ist, die geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen. Es          ren würde, zur Verfügung stehen muss. Dies gilt
genügt, wenn bei Fortsetzung der Arbeitsleistung in            allerdings nur in einem Ausmaß – etwa telefo-
absehbarer Zeit ein gesundheitlicher Schaden objektiv          nisch –, welches ihren Genesungsprozess nicht
zu befürchten ist.                                             beeinträchtigt. Betroffen sind in erster Linie An-
                                                               gestellte in gehobener Position. Aber auch hin-
Die Dienstleistung muss nicht Ursache für die Gesund-          sichtlich dieses Ausnahmefalles ist der Oberste
heitsgefährdung sein. Auch ein anlagebedingtes Lei-            Gerichtshof strikt: Der/die ArbeitgeberIn muss
den kann zum Austritt berechtigen, wenn das Weiter-            nämlich konkretisieren, um welche Informatio-
arbeiten den Zustand verschlechtert. Ebenso können             nen es sich handelt, warum diese nicht ander-
negative Begleitumstände der Arbeit sowie das Ar-              weitig beschafft werden können und warum
beitsklima (Mobbing) einen Austrittsgrund bilden.              aus dem Fehlen der Informationen ein schwerer
                                                               wirtschaftlicher Schaden entstehen würde
Bevor ein kranker/eine kranke ArbeitnehmerIn sich al-          (OGH 26.11.2013, 9 ObA 115/13x).
lerdings dazu entschließt, vorzeitig auszutreten, sollte
er/sie sich rechtlich beraten lassen. Dem/der Arbeit-
geberIn muss zunächst Gelegenheit gegeben werden,
einen zumutbaren Ersatzarbeitsplatz anzubieten. Au-         Anzumerken ist, dass ArbeitgeberInnen vermehrt
ßerdem muss der Austrittsgrund objektiv nachvollzieh-       Detektivbüros auf ihre kranken MitarbeiterInnen an-
bar gemacht werden (z. B. ärztliches Attest).               setzen, um deren Verhalten während des Krankenstan-
                                                            des zu überprüfen. In einem gewissen Rahmen sieht
                                                            die Rechtsprechung diese Maßnahme als zulässig
WORAUF IST WÄHREND EINES                                    an, insbesondere dann, wenn konkrete Verdachts-
KRANKENSTANDES ZU ACHTEN?                                   momente vorliegen, der/die ArbeitnehmerIn könn-
                                                            te den Krankenstand „erschlichen“ haben. Für den
Der/die kranke ArbeitnehmerIn darf kein Verhalten set-      Fall, dass ein Missbrauch des Krankenstandes nach-
zen, das der Heilung abträglich ist. Im Zweifelsfall sind   gewiesen werden kann, muss der/die Betroffene
geplante Aktivitäten mit dem/der behandelnden Arzt/         die Detektivkosten, sofern angemessen, tragen
Ärztin abzuklären. Diverse Gerichtsentscheidungen           (OLG Linz 09.11.2016, 12 Ra 78/16a).
machen deutlich, dass eine Beurteilung des Verhaltens
der kranken ArbeitnehmerInnen stets einzelfallbezogen

                                                                                                                    16
RECHTE DES/DER
EINZELNEN

A
        ufgrund ihrer Stellung als Individuen genießen    rIn mitzuteilen, woran sie erkrankt sind. Siehe Ausnah-
        ArbeitnehmerInnen Persönlichkeitsrechte. Die      men in Kapitel „Es beginnt schon beim Bewerbungs-
        in der Verfassung gewährleisteten Grundrechte     gespräch“ (Seite 10).
gelten mittelbar kraft zivilrechtlicher Generalklauseln
(§§ 16, 879 ABGB) auch im Arbeitsverhältnis. Der/die      Die Diagnose bleibt Privatangelegenheit des/der
ArbeitgeberIn hat insbesondere die Privat- und In-        Erkrankten. Dies gilt im aufrechten Arbeitsverhältnis
timsphäre der Beschäftigten zu respektieren und das       ebenso wie im Rahmen eines Bewerbungsgespräches.
Recht auf Datenschutz (DSGVO und Datenschutzge-           Krankenstandsrückkehrgespräche zwischen Arbeit-
setz) zu achten. Jede einzelne Arbeitsanweisung ist vor   nehmerIn und Führungskraft oder sonstige Frage-
diesem Hintergrund zu betrachten.                         stellungen zu Krankenständen sind nur zulässig, wenn
                                                          sie sich in allgemeinen Fragen nach dem Befinden
Selbst durch kollektive Regelungswerke wie z. B. Be-      erschöpfen oder dem/der ArbeitnehmerIn auf freiwil-
triebsvereinbarungen dürfen die Persönlichkeits-          liger Basis Gelegenheit geben, krankmachende Fakto-
rechte des/der Einzelnen nicht verletzt werden. Der       ren seiner/ihrer Arbeit wie z. B. erhöhten Stress, Zugluft
Regelungskompetenz der BetriebspartnerInnen sind          etc. aufzuzeigen.
diesbezüglich Grenzen gesetzt.                            Natürlich können ArbeitnehmerInnen jederzeit die Ent-
Die Frage nach Krankenstandsdiagnosen verletzt            scheidung treffen, die Art ihrer Erkrankung im Unter-
ganz unzweifelhaft die Persönlichkeitsrechte der Ar-      nehmen kundzutun. Vielen Beschäftigten erscheint es
beitnehmerInnen, sofern es sich nicht um eine melde-      völlig unbedenklich, ihre KollegInnen und Vorgesetz-
pflichtige Erkrankung handelt, von der auch der/die       ten wissen zu lassen, dass sie z. B. saisonal bedingt an
ArbeitgeberIn Kenntnis erlangen muss, um seiner/ihrer     Grippe, Infekten oder einer starken Verkühlung leiden.
Fürsorgepflicht nachkommen zu können.                     Dabei müssen sie aber stets im Hinterkopf behalten,
Krankenstandsdaten sind eine besondere Kategorie          dass ihr freimütiger Umgang mit derart sensiblen Da-
personenbezogener Daten mit sehr hohem Schutz-            ten ihre weniger mitteilsamen KollegInnen in eine un-
niveau nach der DSGVO. ArbeitnehmerInnen haben            angenehme Situation bringt. Je mehr ArbeitnehmerIn-
zwar, um das Disponieren im Betrieb zu erleichtern, die   nen ihre Diagnosen bekannt geben, desto höher ist
Verpflichtung Krankenstände, notwendige Behand-            die Wahrscheinlichkeit, dass jene KollegInnen, die dies
lungen und deren voraussichtliche Dauer unverzüg-         nicht zu tun bereit sind, auf wenig Akzeptanz bei ihren
lich zu melden. Diese Verpflichtung umfasst jedoch         Vorgesetzten stoßen, unter Druck gesetzt werden oder
nicht Angaben über die Art der Erkrankung bzw. die        womöglich sogar in Verdacht geraten, an Krankheiten
Art der Behandlungen. ArbeitnehmerInnen sind also         zu leiden, über die man gemeinhin nicht gerne spricht
grundsätzlich nicht verpflichtet, dem/der Arbeitgebe-      (z. B. Geschlechtskrankheiten, psychische Erkrankungen,

                                                                                                                 17
RECHTE DES/DER EINZELNEN

Aids, Krebs). Es empfiehlt sich daher schon aus Grün-       Gemäß Art. 9 DSGVO ist die Verarbeitung personen-
den der Solidarität, mit Angaben zur Art von Erkran-       bezogener Daten, aus denen die rassische und eth-
kungen sparsam umzugehen.                                  nische Herkunft, politische Meinungen, religiöse oder
Durch Krankenstandsrückkehrgespräche kann Druck            weltanschauliche Überzeugungen oder die Gewerk-
auf ArbeitnehmerInnen ausgeübt werden. Kranken-            schaftszugehörigkeit hervorgehen, sowie die Verarbei-
stände bzw. Kranke werden quasi stigmatisiert. Die         tung von genetischen Daten, biometrischen Daten zur
Konsequenz ist, dass viele ArbeitnehmerInnen selbst        eindeutigen Identifizierung einer natürlichen Person,
im Fall einer Erkrankung lieber arbeiten gehen als sich    Gesundheitsdaten oder Daten zum Sexualleben oder
solchen Gesprächen zu stellen. Denkbare Folgen sind        der sexuellen Orientierung einer natürlichen Person
der Raubbau am eigenen Körper, eine damit mögli-           untersagt.
cherweise einhergehende Gesundheitsbeeinträchti-           Verarbeitet werden dürfen solche Daten dann, wenn
gung und eine Belastung unseres Gesundheitssystems         der/die ArbeitgeberIn sie zur Erfüllung seiner/ihrer
durch Folgeerkrankungen/chronische Erkrankungen.           gesetzlichen Verpflichtungen aufzeichnen und über-
Das sind exakt jene Folgen, die der Oberste Gerichtshof    mitteln muss.
zum Anlass genommen hat, „Anwesenheitsprämien“             Ist dies nicht der Fall, bedarf die Verarbeitung der
eine deutliche Absage zu erteilen. Im Licht seiner Judi-   Zustimmung des/der Betroffenen. Diese Zustimmung
katur kann man daher nur zu einem Schluss gelangen:        muss jeweils auf eine konkrete Datenverwendung
Wenn Krankenstandsrückkehrgespräche so eingesetzt          (Zweck) bezogen und frei von Zwang abgegeben wor-
werden, dass Beschäftigte unter Druck geraten, sind        den sein. Eine „Blankoermächtigung“ z. B. im Arbeits-
sie sittenwidrig.                                          vertrag genügt dem strengen Erfordernis der Freiwil-
Darauf hinzuweisen ist, dass die DSGVO (Datenschutz-       ligkeit nicht.
grundverordnung der EU) und das Datenschutzgesetz          Nach dem Arbeitsverfassungsgesetz (ArbVG) hat der
sogenannte „Rechte der betroffenen Person“ kennen,         Betriebsrat Möglichkeiten, die Datenschutzrechte der
die u. a. vorsehen, dass jeder/jede Einzelne Anspruch      MitarbeiterInnen zu wahren und verbindliche Regelun-
auf Auskunft darüber hat, welche Daten über die ei-        gen über den Umgang mit solchen Daten im Betrieb zu
gene Person der/die ArbeitgeberIn gespeichert hat, zu      treffen (Betriebsvereinbarungen).
welchen Zwecken diese Daten verarbeitet werden und
wann ihre Löschung erfolgt. Diese Rechte umfassen          In Betrieben, in denen es keinen Betriebsrat gibt, re-
auch einen Anspruch auf Richtigstellung von falsch         gelt das Arbeitsvertragsrechts-Anpassungsgesetz
gespeicherten bzw. auf Löschung von unberechtigt           (AVRAG), dass die Einführung und Verwendung von
ermittelten Daten, auf Einschränkung der Datenverar-       Kontrollmaßnahmen und technischen Systemen, wel-
beitung oder auf Widerspruch.                              che die Menschenwürde berühren, nur mit Zustim-
                                                           mung des/der Einzelnen zulässig ist.

                                                                                                              18
RECHTE UND
MÖGLICHKEITEN DES
BETRIEBSRATES

D
         a Gesundheitsdaten höchst sensible Daten           Angaben über die fachlichen Voraussetzungen für die
         sind, sind sie der Regelungskompetenz der Be-      beabsichtigte Verwendung oder die verrichtete Tätigkeit
         triebspartnerInnen weitestgehend entzogen.         hinausgeht (§ 96 Abs 1 Z 2 ArbVG).
Es ist unbestritten, dass in die Privat- und Intimsphäre
der ArbeitnehmerInnen auch durch Betriebsvereinba-          Allgemeine Angaben zur Person sind z. B. Name, Wohn-
rung nicht wirksam eingegriffen werden kann.                ort, Familienstand (soweit für die Lohnverrechnung
                                                            erforderlich); Angaben über die fachlichen Voraus-
Aber auch dort, wo Fragen über den Gesundheits-             setzungen umfassen Auskünfte über vorangegangene
zustand bzw. das Befinden der ArbeitnehmerInnen              Arbeitsverhältnisse (z. B. Dienstzeugnisse), die dortige
(noch) nicht in Persönlichkeitsrechte eingreifen, gibt es   Verwendung und die Qualifikation des Arbeitnehmers/
oft großen Regelungsbedarf. Je nach Art und Intensität      der Arbeitnehmerin.
der Ermittlung und des Umgangs mit Gesundheitsda-
ten räumt das Arbeitsverfassungsgesetz (ArbVG) dem          Darüber hinausgehende Angaben erfordern die Zu-
Betriebsrat unterschiedlich starke Kompetenzen ein.         stimmung des Betriebsrates; ohne diese Zustimmung
                                                            dürfen die Fragebögen nicht verwendet werden.

§ 96 ABS 1 Z 2 ArbVG                                        Diese strenge Regelung trägt dem traurigen Umstand
(NOTWENDIGE ZUSTIMMUNG)                                     Rechnung, dass ArbeitgeberInnen sich oft Informati-
                                                            onen über persönliche Umstände der Beschäftigten
Bewerbungsgespräche,      Krankenstandsrückkehrge-          verschaffen wollen, an deren Geheimhaltung diese ein
spräche oder periodisch stattfindende Mitarbeite-            Interesse haben (persönliche Meinungen, Hobbys, Ge-
rInnengespräche werden häufig an Hand von vorge-             sundheitszustand).
gebenen Formularen strukturiert geführt. In diesen
Formularen erfolgt auch eine entsprechende Doku-            Das Gesetz gibt dem Betriebsrat die Möglichkeit, die
mentation. In der Regel handelt es sich bei dieser Art      Verwendung solcher Fragebögen entweder gänzlich
von Aufzeichnungen um qualifizierte Personalfrage-           zu unterbinden (Vetorecht) oder durch den Abschluss
bögen.                                                      einer Betriebsvereinbarung auf die Gestaltung des
                                                            Fragenkatalogs entscheidend Einfluss zu nehmen.
Für all diese Gespräche gilt gleichermaßen, dass            Hierbei geht es im Wesentlichen um eine Abwägung
das Führen von qualifizierten Fragebögen zwingend            der betrieblichen Interessen mit jenen der Beschäftig-
der Zustimmung des Betriebsrates bedarf, sofern             ten.
ihr Inhalt über allgemeine Angaben zur Person sowie

                                                                                                                 19
RECHTE UND MÖGLICHKEITEN DES BETRIEBSRATES

Wie schon mehrfach gesagt können Fragen, die in die         § 96 A ABS 1 ArbVG
Persönlichkeitsrechte der Betroffenen eingreifen, nicht     (ERSETZBARE ZUSTIMMUNG)
einmal mit Betriebsvereinbarung wirksam zugelassen
werden. Solche Fragen wären aus Fragebogen-Ent-             Werden die im Zuge der Gespräche gewonnenen per-
würfen ersatzlos zu streichen.                              sonenbezogenen Informationen elektronisch ermit-
                                                            telt, verarbeitet und/oder übermittelt, ist die Zustim-
                                                            mung des Betriebsrates gemäß § 96 a Abs 1 ArbVG
§ 96 ABS 1 Z 3 ArbVG                                        dann zwingend erforderlich, wenn das System über
(NOTWENDIGE ZUSTIMMUNG)                                     die Ermittlung von allgemeinen Angaben zur Person
                                                            und fachlichen Voraussetzungen hinausgeht. Ledig-
Die Art und Weise, in der Krankenstandsdaten erhoben        lich eine Datenverwendung in Erfüllung gesetzlicher,
und verwendet werden, kann eine unzulässige Kont-           kollektiver oder einzelvertraglicher Verpflichtungen ist
rollmaßnahme darstellen. Berührt eine Kontrollmaß-          zustimmungsfrei.
nahme nämlich die Menschenwürde, kann sie ohne
Zustimmung des Betriebsrates nicht rechtswirksam            Ohne Betriebsvereinbarung dürfen Systeme zur au-
eingeführt werden.                                          tomationsunterstützten Ermittlung, Verarbeitung und
                                                            Übermittlung von personenbezogenen Daten nicht
Die Interpretation des Begriffs „Menschenwürde“ er-         verwendet werden. Die Zustimmung des Betriebsrates
gibt sich aus der Summe der persönlichkeitsbezoge-          kann allerdings durch die Schlichtungsstelle ersetzt
nen Grund- und Freiheitsrechte (z. B. Recht auf Ach-        werden.
tung des Privat- und Familienlebens, der Wohnung und        Regelungsinhalt einer solchen Betriebsvereinbarung
des Briefverkehrs; Vereinsfreiheit; Meinungsfreiheit).      sollte sein, welche Daten erhoben und in welcher Wei-
Eines dieser Grundrechte ist das Recht auf Daten-           se und zu welchem Zweck sie weiterverwendet und mit
schutz; Krankenstandsdaten sind äußerst sensible und        anderen Daten verknüpft werden dürfen. Außerdem,
somit besonders geschützte Daten.                           nach welchem Zeitraum diese Daten wieder zu löschen
                                                            sind. Dabei sind die datenschutzrechtlichen Vorgaben
Selbstverständlich ist die Menschenwürde der Arbeit-        (z. B. Zweckbindung, Rechte der betroffenen Personen,
nehmerInnen auch im Arbeitsverhältnis zu wahren.            Datenminimierung) einzuhalten.
Der/die ArbeitgeberIn ist im Rahmen der sogenannten
Fürsorgepflicht dazu angehalten, die Persönlichkeit
der ArbeitnehmerInnen zu schützen. Dieser Schutz            § 97 ABS 1 Z 1 ArbVG
umfasst auch die Individualität, d. h. die persönliche      (ERZWINGBARE ZUSTIMMUNG)
Entwicklung, Selbstdarstellung und Bewahrung der
Eigenständigkeit. Darin besteht auch der unmittel-          Werden im Betrieb für alle ArbeitnehmerInnen nach
bare Bezug zum Schutz der Daten einer Person, da            der Rückkehr aus dem Krankenstand (oder aus be-
sich in ihnen ein Teil ihrer Individualität widerspiegelt   stimmten Krankenständen) verbindliche Gespräche mit
(vgl. OGH vom 20.12.2006, 9 ObA 109/06d).                   ihren Vorgesetzten eingeführt, so handelt es sich hier-
                                                            bei jedenfalls um eine Ordnungsvorschrift.
Eine Verletzung der Menschenwürde durch Kont-               Solange es keine Betriebsvereinbarung gibt, kann der/
rollmaßnahmen ist jedenfalls rechtswidrig; dort, wo         die ArbeitgeberIn Ordnungsvorschriften einseitig er-
durch eine Maßnahme die Menschenwürde nicht ver-            lassen. Ist der Betriebsrat mit der vom Unternehmen
letzt, aber zumindest berührt wird, kann der Betriebsrat    vorgegebenen Regelung nicht einverstanden, kann er
entweder durch Verweigerung seiner Zustimmung die-          den Abschluss einer Betriebsvereinbarung verlangen
se Maßnahme verhindern oder durch Abschluss einer           und gegebenenfalls auch über die Schlichtungsstelle
Betriebsvereinbarung die Maßnahme soweit entschär-          erzwingen (§ 97 Abs 1 Z 1 ArbVG). Der Entscheidung
fen, dass sie die Grundrechte der ArbeitnehmerInnen         der Schlichtungsstelle kommt die Qualität einer Be-
nicht mehr gefährdet.                                       triebsvereinbarung zu.
Dass standardisierte, verbindliche Krankenstandsrück-       Ordnungsvorschriften regeln das Verhalten der
kehrgespräche Kontrollmaßnahmen darstellen, wurde           ArbeitnehmerInnen im Betrieb. Bei Abschluss ei-
bereits ausführlich erläutert.                              ner Betriebsvereinbarung geht es also in erster Linie

                                                                                                                20
RECHTE UND MÖGLICHKEITEN DES BETRIEBSRATES

darum, Spielregeln zu finden, institutionalisierte Kran-     ihm muss auch Einsicht in bezughabende Unterlagen
kenstandsrückkehrgespräche zu einem sinnvollen in-          gewährt werden. Den/die ArbeitgeberIn treffen außer-
nerbetrieblichen Instrument zu machen, das es Arbeit-       dem einige spezielle Informationspflichten.
nehmerInnen ermöglicht, auf freiwilliger Basis, ohne        Des Weiteren hat der/die ArbeitgeberIn mit dem Be-
Druck und in entspannter Atmosphäre krankmachen-            triebsrat über die beabsichtigte Bestellung oder Ab-
de Faktoren am Arbeitsplatz aufzuzeigen und Wünsche         berufung von Sicherheitsfachkräften, Arbeitsmedizi-
hinsichtlich ihrer Arbeit (z. B. Arbeitszeitreduktion zum   nerInnen sowie von Personen zu beraten, die für die
Stressabbau) zu äußern.                                     Erste Hilfe, die Brandbekämpfung und Evakuierung
                                                            zuständig sind. Der Betriebsrat hat das Recht, den/
                                                            die ArbeitsinspektorIn zu den Beratungen beizuzie-
§ 97 ABS 1 Z 8 UND 9 ArbVG (FREIWILLIGE                     hen. Die Beratungspflicht entfällt nur dann, wenn die
BETRIEBSVEREINBARUNG)                                       beabsichtigte Maßnahme im Arbeitsschutzausschuss
                                                            behandelt wird. In diesem Ausschuss sind nämlich
Weiters gibt das Arbeitsverfassungsgesetz dem Be-           auch Mitglieder des Betriebsrates vertreten. Eine ohne
triebsrat die Möglichkeit, im Einvernehmen mit dem/         Beratung mit dem Betriebsrat oder Behandlung im Ar-
der BetriebsinhaberIn ein betriebliches Gesundheits-        beitsschutzausschuss vorgenommene Bestellung von
wesen zu etablieren, dessen Ausgestaltung das ge-           Sicherheitsfachkräften und ArbeitsmedizinerInnen ist
samte Spektrum von Präventivmaßnahmen (Gesund-              rechtsunwirksam. Einige seiner Befugnisse kann der
heitsförderung) bis zu Regeln für den Umgang mit            Betriebsrat mit Beschluss an die Sicherheitsvertrau-
bereits erkrankten ArbeitnehmerInnen (Wiederherstel-        enspersonen im Betrieb delegieren.
lung der Gesundheit) umfassen kann.
Das Arbeitsverfassungsgesetz spricht insbesondere           Mehr zum ArbeitnehmerInnenschutz ist im Kapitel
von Maßnahmen und Einrichtungen zur Verhütung von           „Gesundheit und Prävention im Betrieb“ zu finden
Unfällen und Berufskrankheiten sowie Maßnahmen              (Seite 23 ff.).
zum Schutz der Gesundheit der ArbeitnehmerInnen
(Z 8) und von Maßnahmen zur menschengerechten
Arbeitsgestaltung (Z 9).                                    „KOLLISION“ VON RECHTSGRUNDLAGEN
Maßnahmen zur menschengerechten Arbeitsgestal-
tung sollen das Wohlbefinden der ArbeitnehmerInnen           Es kommt immer wieder vor, dass in einem konkreten Fall
im Betrieb fördern und sind umfassend zu verstehen.         die Voraussetzungen für zwei oder mehrere der oben
Fragen des Betriebsklimas und der Personalführung           angeführten Ermächtigungen, eine Betriebsvereinba-
können ebenso Inhalt solcher Betriebsvereinbarungen         rung abzuschließen, vorliegen. Eine Betriebsvereinba-
sein, wie die Gestaltung des Arbeitsplatzes, die Art der    rung kann ohne weiteres auf mehrere Gesetzesgrund-
zur Verfügung stehenden Betriebsmittel oder die Ar-         lagen gestützt werden, wobei jene, die dem Betriebsrat
beitsorganisation.                                          das stärkste Mitwirkungsrecht einräumt, die führende ist.
Ideen finden sich unter Abschnitt „Themen und Instru-        Wenn ArbeitgeberInnen gelegentlich argumentieren,
mente bei der betrieblichen Gesundheitsförderung“           sie dürften dem Betriebsrat aus datenschutzrechtli-
(Seite 25 ff.). Eine solche Betriebsvereinbarung ist        chen Gründen keine personenbezogenen Daten der
nicht erzwingbar.                                           MitarbeiterInnen zur Verfügung stellen bzw. müssten
                                                            keine Betriebsvereinbarung mit ihm schließen, irren
                                                            sie. Die Mitwirkungsrechte des Betriebsrates werden
§ 92 A ArbVG (ARBEITSSCHUTZ)                                durch das Regime der DSGVO nicht berührt. Dies ge-
                                                            währleistet u. a. eine sogenannte „Öffnungsklausel“ in
Wichtig ist in diesem Zusammenhang außerdem                 Art. 88 DSGVO (Datenverarbeitung im Beschäftigungs-
§ 92 a ArbVG (Arbeitsschutz). Der/die Arbeitgebe-           kontext). Aufgrund der „Öffnungsklausel“ können im
rIn hat den Betriebsrat in allen Angelegenheiten der        Recht der Mitgliedstaaten oder in Kollektivvereinba-
Sicherheit und des Gesundheitsschutzes rechtzeitig          rungen (einschließlich „Betriebsvereinbarungen“)
anzuhören und mit ihm darüber zu beraten. Dabei             spezifische Vorschriften für die Verarbeitung per-
handelt es sich um eine Generalklausel. Der Betriebs-       sonenbezogener Beschäftigtendaten im Beschäfti-
rat hat nicht nur ein Anhörungs- und Beratungsrecht,        gungskontext vorgesehen werden.

                                                                                                                  21
GESUNDHEIT UND
PRÄVENTION
IM BETRIEB

A
        rbeitgeberInnen tragen weitreichende Verant-     Gesundheitsmanagements, werden im Folgenden
        wortung für den Schutz der Gesundheit und        überblicksmäßig dargestellt.
        der Sicherheit ihrer Beschäftigten. Eine Legi-   Weitergehende Informationen finden sich u. a. in der
timation für einen oftmals bedenklichen Umgang mit       Broschüre „Psyche in der Krise – Unterstützung, Lösun-
Krankenstandsdaten lässt sich daraus aber in keiner      gen und Präventionsmaßnahmen im Betrieb“.
Weise ableiten, auch wenn dies ArbeitgeberInnen mit
der Begründung, ein effektives betriebliches Gesund-
heitssystem etablieren zu wollen, oftmals versuchen.     ARBEITSPLATZEVALUIERUNG
Vielmehr baut ein solches System auf funktionierenden
Strukturen im ArbeitnehmerInnenschutz auf. Eine um-      Das ArbeitnehmerInnenschutzgesetz (ASchG) ver-
fassende Sichtweise auf das Thema Gesundheit und         pflichtet ArbeitgeberInnen zum Schutz der Sicherheit
Prävention erfordert über die Erfüllung der gesetzli-    und Gesundheit der MitarbeiterInnen. Dafür ist es not-
chen Vorgaben aus dem ArbeitnehmerInnenschutz            wendig, die bestehenden Gefahren und Gesundheits-
hinaus aber auch Maßnahmen und Programme zur             risiken zu ermitteln und geeignete Schutzmaßnah-
betrieblichen Gesundheitsförderung (BGF) wie auch        men festzulegen. Dieser als Arbeitsplatzevaluierung
zur Wiedereingliederung von Beschäftigten nach ei-       bezeichnete Prozess ist das Kernstück im Arbeitneh-
nem längeren Krankenstand.                               merInnenschutz. Er zielt darauf ab, durch ein syste-
                                                         matisches und organisiertes Vorgehen, Belastungen
Bei der Umsetzung von Vorschriften zum Arbeitneh-        und Risiken zu minimieren und dadurch eine laufende
merInnenschutz ist die Erhebung von Krankenstands-       Verbesserung der Arbeitsbedingungen zu erreichen. In
daten weder zweckmäßig noch legitim, geht es doch        § 4 ASchG sind die dafür geltenden Anforderungen
hier immer um die Verbesserung von Arbeitsbedin-         und Grundsätze geregelt.
gungen und nicht um die Entwicklung individueller
Gesundheitsmaßnahmen. Das gilt auch bei der be-          Seit 2013 ist im ASchG klargestellt, dass unter Gesund-
trieblichen Gesundheitsförderung. Werden in diesem       heit sowohl physische wie auch psychische Gesundheit
Zusammenhang Erhebungen durchgeführt, etwa zur           zu verstehen ist. In Konsequenz trägt der/die Arbeitge-
Arbeitszufriedenheit, muss jedenfalls Anonymität ge-     berIn die Verantwortung, auch psychische Belastun-
währleistet sein.                                        gen zu evaluieren. Das bedeutet, dass etwa die Gestal-
                                                         tung der Arbeitsaufgaben und die Art der Tätigkeiten,
Die einzelnen Prozesse und Instrumentarien, die in       der Arbeitsumgebung, der Arbeitsabläufe sowie der
der betrieblichen Präventionsarbeit maßgeblich           Arbeitsorganisation zu berücksichtigen und hinsicht-
sind sowie die Pfeiler innerhalb eines betrieblichen     lich möglicher Gesundheitsrisiken zu beurteilen sind.

                                                                                                             22
Sie können auch lesen