KRITIK Goethes Werther im Digitalzeitalter FSJK Wie es das Leben verändern kann SCHLÜSSELERLEBNISSE Zehn Kulturschaffende erzählen WAS KUNST KANN ...
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Magazin der LAG Kinder- und Jugendkultur Hamburg Sommer 2021 KRITIK Goethes Werther im Digitalzeitalter FSJK Wie es das Leben verändern kann SCHLÜSSELERLEBNISSE Zehn Kulturschaffende erzählen WAS KUNST KANN Dr. Julia F. Christensen im Interview
Inhalt 03 Editorial Herausgeber Heike Roegler LAG Kinder- und Jugendkultur e.V. www.kinderundjugendkultur.info Ehrenbergstraße 51, 22767 Hamburg 04 Schlüsselerlebnisse Telefon: 040 - 524 78 97 10 Zehn Kulturschaffende berichten Die LAG Kinder- und Jugendkultur vernetzt die Hamburger Akteur*innen und vertritt die Interessen 15 Warum tut Kultur gut? ihrer Mitglieder gegenüber Politik und Verwaltung. Dr. Julia F. Christensen erklärt es Redaktion: Christine Weiser, Claas Greite, Dörte Nimz Grafik: Meike Gerstenberg Das nächste Heft erscheint im 18 Kritik September 2021 punktlive spielt werther.live www.kinderundjugendkultur.info Gefördert von der Behörde für Kultur und Medien 19 Freiwilliges Soziales Jahr Kultur der Freien und Hansestadt Hamburg. Drei Ehemalige erzählen Bildnachweise: Titel: Meike Gerstenberg, Seite 3: privat, Seite 4: 21 Serie Meike Gerstenberg, Seite 5: Sinje Hasheider, Seite 6: Die Landesvereinigung Kulturelle privat, Seite 7: Helge Krückeberg, Seite 8: TIDE TV, Jugendbildung Berlin e.V. Seite 9/10: privat, Seite 11: Seiteneinsteiger e.V., Seite 12: privat, Seite 13: Nepomuk Derksen, Seite 14: pri- vat, Seite 15: Mansur Nazali, Seite 17: Thomas Dashu- 23 Meldungen ber, Seite 19: privat (2), Seite 20: TIDE/Timo Remmers, privat, Seite 22: LKJ Berlin, Seite 23: Raoul Doré, Seite 24: Lukulule e.V., Brakula, BKJ, Bunte Kuh e.V., Vorle- 24 Tipps severgnügen, StockSnap/Pixabay. 2
E D I TO R I A L Hoffnung in Zeiten der Pandemie TEXT: HEIKE ROEGLER einfach so gut, weil sie Teilhabe ermöglicht, Interessen weckt, hilft, Stär- „Zuviel des Guten kann wundervoll sein.“ (Mae West) ken zu finden. Kultur hilft, Möglichkeiten zu entdecken, und öffnet Per- spektiven. Sie baut Brücken. Kultur hat die Kraft zur Transformation, die Was haben wir uns dabei gedacht, zum Sommer ein Heft zu dem Thema wir für die Zukunft brauchen. „Kultur tut gut“ zu machen? Es ist vielleicht ein besonders sehnsüchtig erwarteter Sommer für viele von uns. Es gibt Hoffnung auf Lockerun- Ich wünsche allen einen wundervollen Sommer. Erholen Sie sich und gen in Pandemiezeiten. Ferien stehen an. Der Wunsch, durchzuschnau- genießen Sie den Sommer mit möglichst viel Kultur. Sie tut uns allen fen und sich etwas gehen lassen zu können, scheint erfüllbar. Ich per- so gut. sönlich stelle mir vor, wie ich draußen in einem Buch lese und versun- ken bin. Ich träume von einem Theaterstück im Freien, wünsche mir ein Konzert. Es macht mich ganz kribbelig, wenn mir das alles in den Sinn kommt. Es hat etwas Verheißendes. Auch zu Hochzeiten der Pandemie war die Kultur nie weg. Sie hat mich im Lockdown weiter mit anderen Menschen verbunden und berührt. Gleichwohl freue ich mich auf mehr Kultur, auf gemeinsame Erlebnisse, die die digitalen Begegnungen ergänzen. Der Hamburger Kultursom- HEIKE ROEGLER mer kommt dazu gerade recht. Für diese kju-Ausgabe haben wir Kultur- schaffende und Jugendliche nach besonderen Erlebnissen gefragt, die Heike Roegler leitet die Bildung und Vermittlung im Altonaer sie mit Kultur hatten. Ihre Geschichten, die von besonderen Momenten Museum und Jenisch Haus für die Stiftung Historische Museen und ihrer starken Wirkung erzählen, stehen im Mittelpunkt und laden Hamburg. Freiberuflich übernimmt sie Arbeiten in der Leseförde- ein, Wohlbefinden zu erzeugen. rung, oft als Dozentin für das Feld der digitalen Lesewelten. Als Vor- stand der LAG ist sie u.a. Ansprechpartnerin für den Bereich Politik, Wir wissen es und sollten uns trotzdem einfach auch einmal die Zeit Diversität sowie Teil des Redaktionsteams des kju-Magazins. gönnen, uns die Freude unserer Arbeit vor Augen zu führen. Kultur tut 3
Als die Chipstüte knisterte Klaus Schumacher, Künstlerischer war aufmerksam, folgte der Geschichte, in der entstand nicht, weil sie ermahnt wurden, son- Leiter des Jungen Schauspielhauses zunächst der Alltag des männlichen Jugendli- dern weil hier jemand, den sie mochten, um chen gezeigt wird, der in den Tag hineinlebt, seine Geschichte kämpfte und ihr einen Wert Im Jahr 2006 haben wir mit dem Jungen mit seiner Gang abhängt, viel Mist macht. gab. Und von da an lauschte wirklich jede*r Schauspielhaus das Stück „Sagt Lila“ auf die Dann verliebt er sich in das Mädchen Lila, die gebannt. Das Ensemble führte das Publikum Bühne gebracht, nach dem gleichnamigen eine Art Engelsgestalt mit sehr derber Sprache sehr leicht durch den Rest der Vorstellung. Roman eines Autors, der sich nur „Chimo“ ist. Wir hatten ein fantastisches Ensemble, das Jeder Satz erzeugte Resonanz. Es ging um nennt. Der Text erzählt eine Liebesgeschichte sich das Stück wirklich zu eigen machte, es auf Liebe und Tod in unmöglichen Verhältnissen zwischen zwei Jugendlichen, die in der Pari- der Bühne lebte, mit Renato Schuch und Julia mit wunderbaren, rauen Helden. ser Banlieue leben. Der Schweizer Regisseur Nachtmann als Protagonist*innen. Bei dieser Daniel Wahl inszenierte das Stück, das wir im einen Vorstellung gab es einen ganz besonde- Am Ende gab es den schönsten Applaus, den Malersaal aufführten. Wir wollten mit dem ren Moment. Die männliche Hauptfigur erzählt man sich nur vorstellen kann. Einen Applaus, Stück durchaus Jugendliche aus allen Schich- gerade von den schlimmen Umständen, unter der nichts mit Konventionen und Höflichkeit ten erreichen. Das ist unser Anspruch: Wir denen Lila starb. Renato Schuch stand im Zen- zu tun hatte. Eine regelrechte kurze Explosion. wollen Schwellenängste abbauen und ein Pro- trum, da knisterte plötzlich eine Chipstüte im Dieser Moment zeigte mir, was Geschichten gramm anbieten, das alle meint. „Sagt Lila“ ist Publikum. Das ist bei so einem Publikum gar tatsächlich können: Grenzen überwinden und ein Stoff, mit dem das möglich ist. Im Publi- nicht mal so unüblich und normalerweise auch Menschen zusammenbringen. kum saßen bei vielen Vorstellungen Jugendli- in Ordnung. Aber Renato unterbrach sein Spiel che, bei denen der Ton rauer, das Leben durch- und sagte ins Publikum: „Hey, wenn du jetzt aus härter ist. Chips isst, dann verpasst du was!“ Eine der Vorstellungen stach heraus, die werde Es herrschte absolute Stille. Im Publikum gab ich nie vergessen. Wir merkten an dem Tag von es ein regelrechtes Erschrecken über Renatos Anfang an, dass es funktionierte. Das Publikum direkte Ansprache. „Der meint das.“ Die Stille JUNGESSCHAUSPIELHAUS.DE 5
Wie ich zur Lockerheit beim Clara Paulick, 17, Stipendiatin der ten große Flächen malen. Na herrlich. Es ist Malen Lichtwark-Gesellschaft Hamburg echt anstrengend, macht keinen Spaß und e.V. sieht auch nicht gut aus. Mir wird immer wie- der gesagt, ich solle nicht so viel basteln, Im vergangenen Jahr habe ich ein Stipendi- einfach mal locker lassen. Aber ich fand, fand um der Lichtwark-Gesellschaft für die Talent- das sah nicht gut aus. Irgendwie sah in die- schmiede bekommen, einen einjährigen Kursus sem Moment gar nichts mehr gut aus. Was für Begabtenförderung, der von der Künstlerin machte ich denn hier? Schon wieder wird Adriane Steckhan an der Hochschule für Ange- mir gesagt: Nicht so viel basteln! Lass doch wandte Wissenschaften (HAW) geleitet wird. mal locker! Das Kunststipendium war anders als der Kunst- Schließlich habe ich die Stifte genommen und unterricht in der Schule. Ich habe dort Leute wütend auf dem Blatt herumgekritzelt. Ein- kennen gelernt, die genauso motiviert waren fach nur die Stifte über das Blatt geschrappt. wie ich. Wir konnten uns auf Augenhöhe über Ich habe nicht mehr gebastelt, sondern die unsere Kunst unterhalten. Auch die Aufgaben, Stifte einfach unkontrolliert über das Blatt flie- die wir bekommen haben, waren viel freier. gen lassen. Und das war der Moment, an dem Man konnte zeichnen, worauf man Lust hatte, ich für mich entdeckt habe, was Malen über- mit den anderen über seine Zeichnungen reden haupt bedeutet. Ich hatte mir bei diesem wüten- oder sich gegenseitig porträtieren. den Bild überhaupt keine Gedanken über das Ergebnis gemacht, sondern einfach nur aus Aber dann sollte ich malen. Nicht zeich- dem Moment heraus gehandelt. Und gerade nen, sondern malen. Wegen des Lockdowns das machte dieses Bild so lebendig. Dieses Bild mussten wir aber in Räume mit Parkettbo- drückte etwas aus. Man konnte sehen, was ich den umziehen, in denen wir keine Farben dabei gefühlt hatte. Seitdem habe ich verstan- benutzen durften. Wie sollte ich also malen, den, was es bedeutet, wenn man sagt, ein Bild ohne Farbe? Nur mit Buntstiften? Dann eben drücke etwas aus. ohne Farbe malen. Was auch immer Adria- ne damit gemeint hatte. Ich fing einfach an, Ich habe an diesem Tag zu einer Lockerheit ein Gesicht zu zeichnen. Mit Buntstiften. Aber gefunden, die ich auch später beim richtigen ich sollte doch malen. Mache ich das nicht Malen beibehalten habe. Für mich bedeu- die ganze Zeit? Was ist Malen überhaupt? tet Zeichnen seitdem, etwas darzustellen; Hauptsache es ist farbig, oder nicht? Ich soll was ich aber male, wirkt auf mich lebendig. jetzt keine Linien mit dem Stift machen, son- dern Flächen. Ich sitze vor einem riesigen Blatt Papier und soll mit winzigen Buntstif- LICHTWARKGESELLSCHAFT.DE 6
Wenn der Funke überspringt Beispiel die Frage nach dem Lieblings-Fuß- ballverein. Es waren ganz, ganz besondere Gespräche. Zusätzlich haben die Musiker*in- nen zwischendurch kurze Duette vorgetra- gen; ein kleines Live-Musik-Erlebnis gab es also noch dazu. Die Künstler*innen waren begeistert und die Lehrkräfte ebenfalls. Das war sehr schön für uns, gerade in dieser Zeit, in der man sehr wenig direktes Feedback für in die Kaistudios der Elbphilharmonie bege- seine Arbeit erhält. Der anschließende Kon- ben, von dort aus haben wir eine Live-Schal- zertbesuch wurde durch ein digitales Angebot Franziska Embach, Mitarbeiterin der te ermöglicht. Vor der Kamera saßen jeweils ersetzt: Die Kinder konnten zu Hause oder in Education-Abteilung der Elbphilhar- zwei Künstler*innen und eine Mitarbeite- der Klasse einen Konzertmitschnitt ansehen. monie rin der Education-Abteilung. Technisch war das eine gewisse Herausforderung und wir An einigen der Künstlerbegegnungen habe ich In diesem Frühjahr haben wir das Format haben uns auch gefragt, ob der Funke auf selbst teilgenommen und auch mir haben die „Künstlerbegegnungen“ neu eingeführt. diese Weise wohl überspringen würde. Aber Kinder Fragen gestellt. Ein Schüler wollte wis- In dem Format bringen wir Schulklassen erstaunlicherweise tat er das. Die Künstlerbe- sen, warum ich meinen Beruf gewählt habe, von Klassenstufe 2 bis 7 mit Musiker*innen gegnungen waren jeweils ein richtiges High- warum ich Musikvermittlerin geworden bin. zusammen. Die Schulklasse schaut zuerst zur light für die Schulkinder, die ja auch zu Hause Ich antwortete ihm, dass ich mit Musik auf- Vorbereitung ein Einführungsvideo zu einem vor ihren Bildschirmen saßen. Sie waren toll gewachsen bin und dass es für mich immer Konzert, das wir produziert haben. Dann vorbereitet, einige hatten für dieses Treffen ein riesiges Glück war, sie zu haben. Deshalb wollten wir zusammen mit der*dem Musi- sogar Bilder gemalt. Und die Kinder stellten habe ich mich entschieden, dass ich möglichst ker*in die Schulklasse besuchen, die sich unglaublich viele Fragen. Sie wollten zum vielen Menschen auch dieses Glück ermög- anschließend ein Konzert in der Elbphilhar- Beispiel wissen, welche Vorbilder die Musi- lichen möchte. Bei den Künstlerbegegnun- monie ansehen sollte. Aber in Pandemie-Zei- ker*innen haben oder wie es sich anfühlt, gen wurde mir klar, dass das wirklich gelingt: ten lief natürlich manches anders, als wir eine bestimmte Melodie zu spielen. Ande- dass der Funke überspringt und Kinder sich für uns das überlegt hatten. Die Besuche in den re fragten, wie die Künstler*innen mit Ner- Musik begeistern. In solchen Momenten wird Schulen haben wir im März noch durchge- vosität umgehen – das sind ja Herausforde- mir klar, was der Sinn meiner Arbeit ist. führt, mit einem Hygienekonzept. Danach rungen, die sich auch dann stellen können, waren nur noch digitale Treffen möglich. Wir wenn man in einer Schulband spielt. Es gab haben uns also für jede Künstlerbegegnung auch sehr viele persönliche Fragen, wie zum ELBPHILHARMONIE.DE 7
Die Sendung meines Lebens Jonas Apel 19, Redaktionsmitglied Irgendwann war es dann so weit, im Studio von Schnappfisch waren die Vertreter*innen der Parteien, meis- tens selbst noch ziemlich junge Leute. Ich habe Seit 2017 bin ich Mitglied im Team von gemeinsam mit meinem Kollegen Jennik mode- Schnappfisch, das ist die Jugendredaktion riert und war viel angespannter als sonst. Auf- von Hamburgs Community-Sender Tide. Wir geregt bin ich sonst nie, ich habe eigentlich machen zusammen Hörfunk- und TV-Beiträge schon Routine. Aber dieses Mal war es anders, sowie Podcasts. Zwischen fünf und zehn Leu- man weiß ja, Politiker*innen sind rhetorisch ten sind normalerweise dabei – je nachdem, stark und im Wahlkampfmodus. Da muss man wie viel Arbeit gerade für die Schule anfällt. Es sich als Moderator durchsetzen. Wir hatten gibt einen guten Teamgeist, jede*r hat seine das vorher in Trainings geübt. Als es dann los- Aufgabe, jede*r kann sich auf jede*n verlas- ging, war die Gesprächsatmosphäre eigent- sen. Bei Schnappfisch mitzumachen, das ist lich recht entspannt – mich erstaunte, wie eine einzigartige Erfahrung – wo kann man freundlich und nett die Vertreter*innen mitei- sonst schon als Schüler*in mit Profi-Equipment nander umgingen. Wenn zu viel geschwafelt in einem echten Studio arbeiten? Die tech- wurde, haben wir als Moderatoren eingehakt. nischen Dinge wie Ton, Kamera und Schnitt Ich wurde im Laufe der Aufzeichnung mutiger machen bei uns aber eher andere Redaktions- und bin am Schluss mit einem sehr zufriedenen mitglieder, mein Ding ist die Moderation. Und Gefühl rausgegangen. die Recherche von Beiträgen. Am besten finde ich es, wenn man richtig lange an einer großen Unsere Wahlsendung war nicht nur unser bisher Sache arbeitet, die einem am Anfang erst ein- größtes Projekt, sie war mit 44 Minuten auch mal irrwitzig vorkommt. Ein Beispiel dafür ist doppelt so lang wie unsere üblichen Beiträge. unsere Sendung zur Hamburger Bürgerschafts- Manchmal werden wir auf der Straße oder pri- wahl, die wir Anfang 2020 gemacht haben. vat darauf angesprochen, das macht einen dann Das war uns extrem wichtig. 2019 war ja ein schon stolz. Uns hat das als Team zusammenge- sehr politisches Jahr, Stichwort: „Fridays for schweißt und mir noch mal klar gemacht, was Future“. Wir haben vorher sehr lange geplant ich nach der Schule machen möchte: Ich will in und überlegt. Schließlich haben wir beschlos- den politischen Journalismus gehen. sen, Vertreter*innen aller Parteien in der Bür- gerschaft einzuladen. TIDENET.DE 8
Fernanda Ortiz, Künstlerische dem Stuhl steht ein Laptop, auf dem Laptop- Leiterin des K3 Jugendclubs am Bildschirm tanzt der Jugendklub. Auf dem Dis- K3 Zentrum für Choreografie play sehe ich nach über einem Jahr die Höhen Tanzplan Hamburg und Tiefen einer*s jeden von uns. Ein Jahr Pan- Tanzen, demie. Die Welt bleibt stehen und dreht sich Ich sitze allein zu Hause vor dem Computer weiter. Für manche schneller als für andere. und warte auf den Jugendklub. Es ist März Ich sehe die kleinen Kacheln der Zoom-Mee- 2020 und nichts wird so sein, wie wir es kann- tings, in denen verschiedene junge Menschen als ob ten, nur wissen wir das noch nicht. Trotz der gemeinsam tanzen möchten – mit strahlenden Ungewissheit kommt der Jugendklub voller Gesichtern oder nach einem miesen Tag, nach Energie und tanzt, als ob es kein Morgen gäbe. dem sechsten Zoom-Meeting oder nach den Es bleiben das Zusammengehörigkeitsgefühl Abi-Vorbereitungen. es kein und eine improvisierte Handy-Videoaufnahme, die ein paar Monate später im Video ABOUT Z Ich erinnere mich an eine nicht allzu ferne Zeit, im K3 Magazin veröffentlicht wird. in der der schwarze Tanzteppich einfach ein schwarzer Tanzteppich ohne weißes Tape und Morgen Spätsommer 2020: Ich stehe allein in einem ohne acht Bereiche war, auf dem man über- leeren Tanzstudio. Der schwarze Tanzteppich all tanzen durfte. Ich erinnere mich an nah ist mit weißem Tape in acht Bereiche unterteilt. beieinander tanzende Menschen, Körper, die In jedem Bereich gibt es ein Kreuz und um das schwitzen durften und meiner Überzeugung gäbe Kreuz gibt es einen gestrichenen Kreis, in dem nach durch Tanzen verschiedene Beziehungen man tanzen darf. Ein Gerät misst den Kohlen- zu sich selbst und zur Welt um sich herum auf- dioxid-Gehalt in der Raumluft. Wir müssen 2,5 bauen konnten. Meter Abstand halten und dürfen nicht schwit- zen. Wenn ich nicht wüsste, dass dies der ein- Eine Tanzimprovisation vorbereiten. Passende zige Weg ist, uns wiederzusehen, würde ich Musik für ungewisse Zeiten suchen. Ich warte denken, es ist ein Science-Fiction Film. Oder auf den Jugendklub. Wir tanzen zusammen, als ein einziger Albtraum. ob es kein Morgen gäbe. Frühjahr 2021: Ich tanze allein in einem leeren Tanzstudio. Auf einem Tisch steht ein Stuhl, auf K3-HAMBURG.DE 9
Zirkus ist Verständigung ohne Sprache Marlene Ganz, 19, Artistin im und präsentiert. Die Atmosphäre ist immer polnischen Hauptstadt Warschau: Wenn wir Circus Rotznasen toll. Als Kind habe ich diese Fahrten geliebt mit gleichaltrigen Jugendlichen zusammen- und mein Zuhause keine Sekunde vermisst. kamen, brauchte es keine Sprachkenntnis- Zirkus ist für mich Gemeinschaft. Er schafft Heute begleite ich als Trainerin diese Reisen se. Die Verständigung klappt trotzdem sofort, sofort ein Verbundenheitsgefühl, er lässt Frei- und darf beobachten, wie auch zurückhal- wenn man die gleiche Begeisterung für etwas räume, in denen man sich ausprobieren, etwas tendere Kinder in dieser Zeit aufblühen. Wie teilt. Natürlich ist es spannend zu sehen, wie lernen und andere Menschen kennenlernen sie mutiger und selbständiger werden und andere Gruppen arbeiten, ihr Repertoire ken- kann. Seit meinem sechsten Lebensjahr trai- ihre ganz persönlichen Erfolgserlebnisse sam- nenzulernen. Aber meist bleibt es nicht dabei, niere ich einmal die Woche beim Circus Rotz- meln. Jeder Auftritt vor Publikum kostet Über- sich nur gegenseitig das eigene Programm nasen. Ich habe verschiedene Disziplinen aus- windung, aber bislang hatten wir nie negative vorzuführen. Richtig toll ist es immer dann, probiert, Jonglieren und Einradfahren zum Bei- Rückmeldungen, sondern immer das Gefühl, wenn man gemeinsam etwas Neues erarbei- spiel. Aber ich habe schnell gemerkt, dass mir den Menschen eine Freude gemacht zu haben. tet. In Polen beispielsweise haben die Jugend- Akrobatik am meisten Spaß macht, gern auch lichen Musikstücke zu unseren Zirkusnum- zu zweit oder am Vertikaltuch. Schlüsselerlebnisse für mich waren unsere mern geschrieben und aufgeführt. Das war internationalen Zirkusreisen. Diese Fahrten, beeindruckend. Die Erinnerung daran, wie Alle zwei Jahre geht es im Sommer für Kin- bei denen wir oft Zirkusgruppen besuchen, wir gemeinsam Volkstänze einstudiert haben, der ab neun Jahre auf Zirkusreise durch Nord- sind etwas ganz anderes als ein Urlaub mit bleibt für immer. deutschland. Das große Zirkuszelt kommt mit, Familie oder Freunden. Es ist etwas, was ein Küchenwagen und alles, was wir brauchen. nur denen gehört, die mitfahren. Egal ob in Zwei Wochen lang wird gemeinsam trainiert Cornwall in England oder in der Nähe der CIRCUS-ROTZNASEN.DE 10
Eine Zeit, die den Blick für das Wesentliche schärft Nina Kuhn, Geschäftsführender gung war groß, und an den vielen Kinderbrie- Das vergangene Jahr war für uns, wie für viele Vorstand von Seiteneinsteiger e.V. fen haben wir gemerkt, mit welcher Freude Kulturschaffende, ein Jahr der Reflexion, das sie sich in die Welt der Geschichten entfüh- den Blick auf das Wesentliche geschärft hat. Den Seiteneinsteigerinnen war zu Beginn der ren ließen. Einerseits wurde uns im Stillstand bewusst, Pandemie eines klar: Wir wollen so wenige For- wie selbstverständlich uns die vielfältigen kul- mate wie möglich absagen. Bei den rund 3000 Corona bedeutet für unsere Arbeit: Alle turellen Angebote der Stadt geworden sind, Veranstaltungen pro Jahr, die wir im Auftrag Lesungen oder Workshops an Schulen müs- wie gut sie uns tun – und wie sehr sie uns der Sprach- und Leseförderung initiieren bezie- sen realisierbar sein, egal ob im Home- gerade fehlen. Andererseits haben wir auch hungsweise veranstalten, waren die letzten 14 schooling, hybrid oder beim Regelunter- sehr positive Erfahrungen gemacht. Monate für uns eine spannende und berei- richt. Bei Familienveranstaltungen gilt es, chernde Herausforderung. die Abstandsregeln zu berücksichtigen, dar- In 16 Jahren unserer Arbeit haben wir vermut- über hinaus möchten wir die Kinder vom lich noch nie so viel Feedback und Dank von Das Frühjahr 2020 hat bei uns eine Arbeits- Bildschirm weglocken und im besten Fall Eltern, Ehrenamtlichen, Mentor*innen oder euphorie ausgelöst. Der Flut an beklemmen- Leseförderung mit körperlicher Aktivität ver- Lehrer*innen bekommen wie in den vergan- den Nachrichten wollten wir Positives entge- binden. Besonders erfreulich hat dies bei der genen 14 Monaten. Die große Resonanz und genstellen. Wir begannen jedes Projekt abzu- Detektiv-Comic-Rallye ULF in den Märzferien Dankbarkeit ist für uns ein Schlüsselerlebnis, klopfen, Konzepte neu zu denken. Statt im geklappt. Die fantasievollen Materialien der weil uns klar wird, wie viel wir tatsächlich März Kirsten Boies 70. Geburtstag groß im Künstlerin Tanja Esch wurden uns aus den anstoßen und erreichen können – auch unter Ernst Deutsch Theater zu feiern, starteten wir Händen gerissen, 1500 gedruckte Mappen so veränderten Bedingungen in Zeiten eines zusammen mit dem Hamburger Abendblatt fanden in nur drei Tagen Abnehmer*innen, Lockdowns. Wir haben viel gelernt, und es ist einen Lesewettbewerb für Schulkinder – zu dazu gab es über 3000 Downloads – und 14 viel Neues entstanden. Ganz bestimmt wird den Büchern der Jubilarin. Wer sich ein Buch Tage lang sah man in Winterhude rund um das unsere Arbeit über die Zeit der Pandemie nicht leisten konnte, bekam es geschenkt oder den Schinkelplatz schon ab den frühen Mor- hinaus prägen. konnte es sich kostenlos downloaden. Manche genstunden kleine Detektiv*innen, die etwa Lehrer*innen brachten Kindern die Bücher mit zwei Stunden lang den kniffeligen Fall Ein- dem Fahrrad bis vor die Haustür. Die Beteili- stein lösten. SEITENEINSTEIGER-HAMBURG.DE 11
Ich möchte gehört werden, deshalb stehe ich auf der Bühne Lorena Scotti, 18, Sängerin bei Überall sonst wäre ich falsch. Einen Job im Lukulule e.V. Büro kann ich mir für mich nicht vorstellen. Ich möchte, dass mir die Menschen zusehen und Kunst und Musik gehörten schon immer zu mir zuhören. Denn ich habe etwas zu sagen meinem Leben. Ich war fünf Jahre alt, als ich und das Bedürfnis, gehört zu werden. In der zum Verein Lukulule kam. Dort konnte ich im Fernsehsendung bin ich dann zwar früh aus- Laufe der Jahre viel lernen, mit tollen Menschen geschieden, aber die Erfahrung hat mich zusammenarbeiten und alles Mögliche auspro- bestärkt, meine Leidenschaft, die Musik, kon- bieren. Ich habe Songtexte geschrieben, getanzt, sequent weiterzuverfolgen. Und das mache Theaterstücke kreiert und an Aufführungen teil- ich seither. Gerade habe ich meinen ersten genommen. Song „Mindblow“ und ein Video dazu ver- öffentlicht. Zum ersten Mal den fertig pro- In dem Moment, als es Klick machte, war ich elf duzierten eigenen Song zu hören, war unbe- Jahre alt. Ich hatte gerade an der TV-Casting- schreiblich. show „The Voice Kids“ teilgenommen und auf einer großen Bühne live vor Tausenden Zuschau- Es gibt da noch etwas, dass mir persönlich sehr er*innen und einer Jury gesungen. Vor dem Auf- wichtig ist. Als Künstlerin bin ich stark und tritt war ich unglaublich aufgeregt, alles fühl- unabhängig. Damit möchte ich andere Frau- te sich surreal an. Ich werde nie vergessen, en ermutigen, ihre Schönheit und ihre Talen- wie ich da stand. Während ich sang, fühlte ich, te zu zeigen. Ich möchte dazu beitragen, dass wie das Adrenalin durch meinen ganzen Kör- wir alle so sein können, wie wir sein wollen, per rauschte. ohne Angst, beurteilt zu werden oder irgend- welche Label angeklebt zu bekommen, die wir Danach wusste ich: Kreativ sein, mich als Künst- uns nicht selbst ausgesucht haben. lerin ausdrücken, das ist es, was ich machen möchte. Die Bühne ist der Ort, an den ich gehö- re, den ich brauche. Dort fühle ich mich wohl. LUKULULE.DE 12
Selbstgebaute Räume der Begegnung Karen Derksen, PR- und Öffentlich- Flyer an geflüchtete Menschen in den Unter- eigenen Leib erlebt haben. Am Nebentisch keitsarbeiterin bei Bunte Kuh e.V. künften verteilt. hat der 15-jährige Raad aus einer Basisklasse seine Schafherde geformt. Wie ich von seiner Von Weitem ist das Zeltdach von Bunte Kuh Ich habe einen besonderen Arbeitsplatz, denn Lehrerin erfahre, musste seine Familie sie im e.V. mit dem Banner „Bauen mit Lehm für Groß die Mitmach-Aktion bietet einen Ort, den es in Irak zurücklassen. Die detailgetreue Nachbil- und Klein“ vor der Rindermarkthalle St. Pauli der Großstadt viel zu selten gibt: Hier treffen dung zeigt, wie innig er mit den Tieren verbun- zu sehen. Näher kommend, höre ich meinen sich Alt und Jung sowie Arm und Reich, Men- den ist. Aus Lehm hat er seine verlorene Welt Kollegen Tarik singen; im Takt dazu klopfen schen mit und ohne Behinderungen aus unter- neu geschaffen. Als er sie mir zeigt, lächelt etwa 40 Kita- und Schulkinder dicke Lehmbat- schiedlichen Nationen, angezogen vom Bau- er stolz. In nächster Nähe bauen Kita-Kinder zen auf die Mauern der riesigen Lehmskulptu- material Lehm und seiner sozialen und kultu- Monster, Burgen, Prinzessinnen und Dinos aus ren. Auch die Tische und Bänke zum Modell- rellen Klebekraft. Fasziniert halte ich mit der ihrer Fantasie. Nicht nur beim Bauen begegnen bauen sind gut besetzt. Kinder und Jugend- Kamera Augenblicke fest, in denen aus dem sich ihre Welten; die zahlreichen Kunstwerke liche arbeiten konzentriert an ihren eigenen Nebeneinander ein Miteinander wird. werden gemeinsam ausgestellt. fantasievollen Entwürfen, von denen einige in Groß nachgebaut werden. Was ich in diesem Jahr sehe, trifft mich mitten Selten habe ich stärker gespürt, dass unser ins Herz. Vor mir am Tisch sitzen zwei Jugend- Konzept „Dabeisein, sich künstlerisch ausdrü- Mein Arbeitswerkzeug ist die Kamera. Als PR- liche aus Syrien. Sie haben Panzer und Kano- cken und gesehen werden“ aufgeht, und dass und Öffentlichkeitsarbeiterin für die Bunte nen aus Lehm geformt. Diese zielen auf die Kunst im wahrsten Sinne des Wortes „notwen- Kuh bin ich jetzt mittendrin und dokumentie- zerschossenen Mauern eines Hauses und auf dig“ ist. re das bunte Treiben auf dem für alle kosten- tote Menschen, darunter ein Kind. Ich frage, los zugänglichen Platz. In diesem Jahr haben ob ich sie mit ihrem Modell fotografieren darf, wir nicht nur 90 Institutionen aus benachtei- sie nicken freundlich – aber ihr Blick in meine ligten Stadtteilen eingeladen – Kitas, Schulen Kamera spricht Bände. Was sie gebaut haben, und Behinderten- und Stadtteileinrichtungen – ist viel mehr als ein Modell; ihr Blick spiegelt sondern auch englisch- und arabischsprachige den Krieg, den sie vor nicht langer Zeit am BUNTEKUH-HAMBURG.DE 13
Ich dachte, Songs schreiben können nur Produzent*innen Maria Krivenkov, 20, Kursteilneh- Produzent*innen. Das Thema hat mich inter- Songs schreiben. Und noch etwas habe ich merin beim Jugendkunsthaus Esche essiert, also bin ich hingegangen und geblie- gelernt: Nicht alles, was sich reimt, ist auto- ben. Unsere Coaches sind Profis, sie verdie- matisch gut. Momentan studiere ich im zweiten Semester nen ihr Geld als Sängerin, Tänzerin und Cho- Expressive Arts in Social Transformation mit reografin. Sie geben uns Freiraum und Impul- Am liebsten schreibe ich Songs in der Grup- dem Schwerpunkt Bildende Kunst und dem se, genau das, was wir in dem Moment brau- pe. Das ist einfach eine ganz andere Ener- Nebenfach Poesie an der Medical School in chen. Nebenbei erfahren wir auch etwas über gie. Außerdem sind Inspiration und Motivation Hamburg. Ein Schlüsselerlebnis hatte ich kürz- den Berufsalltag im Kulturbereich. größer, wenn man gemeinsam mit anderen an lich in einer Prüfung. Ich habe überlegt, wie einem Song arbeitet. Jeder bringt etwas von ich das Thema angehe, und anstatt die Aufga- Aktuell beschäftigt mich ein Zitat: „Ich singe, sich ein, eine Melodie, eine Strophe oder einen be schriftlich zu beantworten, habe ich einfach was ich nicht sagen kann“. Ich habe es kürz- Refrain. Am Ende bin ich immer wieder über- einen Song geschrieben. lich gelesen und weiß nicht, von wem es ist. rascht, wie toll die Songs geworden sind. Der Aber es beschreibt ganz gut ein Gefühl, das perfekte Abschluss ist der Auftritt mit einem Vor drei Jahren wäre ich weder auf die Idee ich kenne. Musik ist direkt, geht ohne Umwe- selbst geschriebenen Song. Wenn ich sehe, gekommen, noch hätte ich mir das zugetraut. ge ins Herz. Um Menschen zu berühren, muss wie das Lied Menschen berührt, macht mich Als ich damals in die Esche kam, war ich sehr ich beim Schreiben offen und authentisch sein. das glücklich. beeindruckt. Es gab so viele kreative Angebo- Das heißt, ich muss micht trauen, meine Emoti- te! Darunter einen Songwriting-Kurs, das fand onen offenzulegen und mich verletzlich zeigen. ich toll. Ich dachte immer, das können nur Nur wenn ich das beherzige, kann ich wirklich ESCHE.EU 14
Die Psychologin und Neurowissenschaftlerin Dr. Julia F. Christensen im KJU-Interview Kunst - die beste Medizin für Körper und Psyche 15
KJU-Magazin: Das Motto dieses Heftes lautet „Kultur tut leicht, dass die Person, die das Kunstwerk gemacht hat, über etwas gut!“. Stimmt das überhaupt? räsoniert, was auch mit uns zu tun hat. Julia F. Christensen: Ein großes Ja! Regelmäßige Kulturerlebnis- Und was passiert, wenn wir selbst aktiv werden – also se können sich positiv auf unsere psychische und sogar körperliche tanzen, singen, dichten oder malen? Gesundheit auswirken. Erste Studien zeigen, dass sie dazu beitragen Da wird die Person als Ganzes gefordert. Weitere Bereiche des Gehirns können, wichtige Körperprozesse auszubalancieren. Das betrifft etwa werden aktiviert. Wer selbst kreativ wird, trainiert auch die Fähigkeit, in das Hormonsystem, die Immunabwehr sowie den Stoffwechsel. Das sich selbst hineinzuspüren. Er bekommt also eine bessere Verbindung zu kommt dadurch, dass man durch Kulturerlebnisse direkt oder indirekt sich selbst. Durch diese so genannte Interozeption nehmen wir biologi- einen Entspannungszustand in seinem Körper aktivieren kann. Der sche Prozesse wie etwa unseren Herzschlag wahr – und unsere Gefühle. wiederum kurbelt diese Regulierungsprozesse an. Mit anderen Worten: Wenn wir singen oder tanzen, sind wir ganz bei uns. Können Sie beschreiben, was im Gehirn passiert, wenn wir Kunst rezipieren, also z.B. ein Musikstück hören Außerdem schafft künstlerisches Schaffen neue Verknüpfungen im oder ein Bild betrachten? Gehirn, die beim Denken und bei Problemlösungen helfen. Dies könn- Die Rezeption von Kunst, also beispielsweise die Betrachtung einer te ursächlich dafür sein, dass einige Studien zeigen konnten, dass zum Tanzaufführung oder das Anhören eines Musikstücks, passiert natür- Beispiel regelmäßiges Tanzen vor Demenz oder Herzkrankheiten schüt- lich vorerst über unsere Sinne. Ein Zusammenspiel verschiedener zen kann. Und dann ist da noch der soziale Aspekt. Gemeinsames Tan- Gehirnsysteme kann dann, zum Beispiel bei Kunst- und Kulturerleb- zen oder Musizieren kann ein ganz besonderes Gemeinschaftsgefühl nissen, sogenannte ästhetische Gefühle erzeugen. Dabei werden im schaffen, das sich ebenfalls sehr positiv auf die Gesundheit auswirkt. Gehirn bestimmte Empfindungen getriggert, wie leichte Aufregung oder Ehrfurcht. Oder wir sind ergriffen und empfinden Mitgefühl, zum Lassen sich ähnliche Effekte beobachten, wenn ein Beispiel, wenn wir eine traurige Geschichte erzählt bekommen. Wich- Mensch z.B. Sport treibt oder eine Mathematikaufgabe tig ist, dass wir – weil es sich ja um Kunst handelt – diese Gefühle löst, oder ist ein Kulturerlebnis etwas ganz Singuläres, in einer sicheren Umgebung empfinden. Wenn wir eine dramatische auch neurowissenschaftlich betrachtet? Szene in der Oper erleben, empfinden wir nicht den Stress, den wir Da scheiden sich die wissenschaftlichen Geister noch, die Forschung fühlen würden, wenn das in Wirklichkeit passieren würde. zu dem Thema läuft auf Hochtouren. Die Schwierigkeit besteht darin, genau abzugrenzen, was als „Kunst“ gilt, und was nicht. Aber man Einige Studien haben auch gezeigt, dass traurige emotionale Regun- kann wohl schon sagen, dass es besonders einfach ist, durch die Küns- gen dazu führen, dass das Bindungshormon Prolaktin ausgeschüttet te besondere Aktivierungen in Körper und Geist zu erzielen. Dadurch ist wird. Dieses Hormon ist dafür mitverantwortlich, dass wir uns aufge- Kunst schon etwas Besonderes, auch weil kreatives Schaffen eben neue hoben und geborgen fühlen. Außerdem: Wer Kunst genießt, fühlt sich neuronale Verknüpfungen schafft – und uns gleichzeitig Genuss ver- in dem Moment nicht allein. Denn je nach Kunstwerk spüren wir viel- schafft. Andere Aktivitäten, die das Belohnungssystem aktivieren, gibt 16
es natürlich auch. Sport zum Beispiel. Aber sportlicher Wettkampf führt und Erinnerungsvermögen zu tun haben. Aber davon bekommen wiederum zur Ausschüttung des Stresshormons Cortisol, und das ist auf wir zu wenig. Dauer nicht so gut für unser Immunsystem. Das scheint allerdings auch zu passieren, wenn Kunst professionell oder zu perfektionistisch betrie- Und wie ist die Situation aus Ihrer Sicht im Alltag von ben wird. Das Gesündeste ist, Kunst als Hobby zu betreiben. Mein Rat Kita- und Schulkindern? deshalb: Seid nicht so perfektionistisch, habt Mut zur Lücke! Ich glaube, auch in deren Alltag ließe sich die Kunst sehr viel stärker integrieren. Je mehr Kunst, desto besser! Warum nutzt man beispiels- Sie forschen ja ausschließlich an Erwachsenen. Lassen weise nicht stärker die Liebe des menschlichen Gehirns für Geschichten, sich diese Ergebnisse Ihrer Meinung nach auf Kinder um Sprachen zu lernen? Das wirkt viel besser, als ewig Vokabellisten und Jugendliche übertragen? auswendig zu lernen. Unser Gehirn lernt auch durch Motorik sehr viel, Ja, auf jeden Fall. Das Gehirn junger Menschen funktioniert ja genau- also durch Bewegungen unseres Körpers. Das Tanzen zur Musik lässt so wie das der Erwachsenen. Der Unterschied ist nur, dass es noch sich wunderbar nutzen, zum Beispiel, um physikalische Zusammen- formbarer ist. Deshalb ist es besonders wichtig, bei Kindern den hänge oder mathematische Formeln zu lernen. Grundstein zu legen, damit sie später die Künste als Werkzeug für ihren Alltag nutzen können. Die positiven Effekte für das Gehirn, die Sie schildern – bekommen wir im Alltag eigentlich genug davon, oder sind wir diesbezüglich unterversorgt? Wenn wir die westliche Welt betrachten, wo etwa Singen und Tanzen einfach nicht zum Alltag gehören, sind wir ganz klar unter- versorgt. Wir haben in unserem täglichen Leben zwei Extreme, die schlecht sind. Zum einen geht es bei der Arbeit ganz viel um rationales Denken, Analysieren, Systematisieren. Vorgänge, ZUR PERSON bei denen die Präfrontallappen des Gehirns gefordert sind. Zum anderen sind viele Menschen regelrecht süchtig nach simp- Dr. Julia F. Christensen ist eine dänische Neurowissenschaftlerin. Sie stu- len Genüssen. Um sich zu entspannen, surfen sie im Internet dierte in Frankreich, Spanien und Großbritannien Psychologie und Neu- oder schauen sich simpel gestrickte Serien im Fernsehen an. Das rowissenschaften und promovierte an der Universität der Balearischen sind Tätigkeiten, die auf das Gehirn wirken wie purer Zucker. Es Inseln in Spanien. Inzwischen lebt sie in Frankfurt am Main und forscht werden nur sehr basale Ebenen des Genusssystems angesprochen. am Max-Planck-Institut für Empirische Ästhetik. Zusammen mit dem Neu- Wenn wir aber Kunst genießen, die uns wirklich innerlich berührt, rowissenschaftler Dong Seon-Chang schrieb sie das Buch „Tanzen ist die sieht das Bild ganz anders aus. Das ist ein richtiges Feuerwerk, beste Medizin“, das im Rowohlt-Verlag erschienen ist. ganz viele Ebenen werden angesprochen, die mit Identität, Ratio 17
Werther virtuell KRITIK Theater auf der digitalen Bühne TEXT: HANNA SCHNEIDER F ast 250 Jahre sind seit dem spiegelt, spielt sich die Inszenierung vornehm- den sind, kann das eine ziemliche Herausfor- Erscheinen von Johann Wolf- lich auf Werthers Computerbildschirm ab. Die derung darstellen. Aber bei einem jungen Pub- gang von Goethes „Die Leiden Kommunikationsmittel haben sich vervielfacht: likum kann das genau den richtigen Nerv tref- des jungen Werthers“ vergan- Gleich in der ersten Szene nutzt Werther Zoom, fen. Interessant ist in diesem Zusammenhang gen. Nun war die Geschichte um mit Willi zu sprechen, nimmt währenddes- auch die interaktive Komponente des Stücks: auf der Online-Bühne zu sehen sen einen Anruf von Lotte entgegen, die ihm Die Instagram-Profile aller Hauptfiguren exis- – ein rein virtuelles Gastspiel auf Einladung über eBay-Kleinanzeigen ein Buch verkauft, tieren real und können selbst abseits der Vor- des Jungen Schauspielhauses. Am 25. April und liest gleichzeitig Nachrichten auf Face- stellungen besucht werden. In der auf Aktua- zeigte das junge Theater-Kollektiv punktlive book und WhatsApp. Auch ohne dass die Figu- lität ausgelegten digitalen Welt von werther. das Stück „werther.live“, eine moderne Insze- ren sich je außerhalb des virtuellen Raums tref- live verwundert einzig, dass eine momentan nierung des klassischen Stoffs. Regie führte fen, entfaltet sich die Erzählung mühelos in besonders stark genutzte Social Media-Platt- Cosmea Spelleken. Die Gruppe punktlive ver- den verschiedenen Medien. form wie TikTok fast vollständig fehlt. bindet Theater, Social Media und Film, um daraus eine eigene Erzählform entstehen zu Nach ihrer zufälligen Begegnung auf eBay Wie schon bei der Romanvorlage von 1774 lassen: „digitales Theater“. Mit Bezug auf das entdecken Werther und Lotte über Chat und speist der Reiz von werther.live sich vor allem digitale Zeitalter unserer Gegenwart und die Videotelefonate ihre besondere Verbindung. aus der jugendlich-emotionalen Unmittelbar- Pandemie-Situation ist „werther.live“ explizit Willi wird auf denselben Wegen über die keit, mit der die Erzählung vermittelt wird. Fast für den virtuellen Raum konzipiert. sich entfaltende Sehnsucht auf dem Laufen- 250 Jahre später bleibt sie damit eine zeit- den gehalten und Albert durch den eifer- lose Liebesgeschichte, die auch im virtuellen Die Geschichte bleibt dieselbe: Werther (Jonny süchtigen Werther auf Instagram ausgespäht. Raum ihre Kraft behält – und in der Atemlo- Hoff) verliebt sich in die bereits an Albert Das Publikum folgt Werther, wie er zwischen sigkeit der teils improvisierten Live-Inszenie- (Michael Kranz) vergebene Lotte (Klara Wör- den Chatfenstern hin- und herspringt. Abge- rung beeindruckt. demann) und berichtet seinem besten Freund sehen von einigen Einsprengseln weicht die Wilhelm (Florian Gerteis) von der fortschrei- sprachliche Inszenierung komplett vom Ori- Ein Hinweis für die pädagogische Arbeit mit tend aussichtsloser werdenden Leidenschaft. ginaltext ab. Stattdessen wird eine mit Ang- werther.live: Das Stück endet unkommentiert Am Ende weiß Werther sich nicht mehr anders lizismen gespickte Jugendsprache benutzt. mit Werthers Selbstmord und den verzweifelten zu helfen und wählt den Freitod. Soweit die Reaktionen von Willi und Lotte. Es wird emp- Handlung, die sehr konsequent in die Gegen- Das sehr zeitgemäße Kommunikationsgewitter fohlen, diese Thematik im Klassenverband päd- wart übertragen wurde. In einer radikal sub- verlangt dem Publikum eine hohe Konzentra- agogisch aufzufangen. jektiven und sehr intimen Perspektive, die die tion ab. Für Nicht-Digital-Natives oder solche, des briefeschreibenden Werthers von 1774 die in der Pandemie bildschirmmüde gewor- WERTHER-LIVE.DE 18
Reflexion, Inspiration und Rüstzeug für die Zukunft Vier junge Menschen erzählen, wie ihr Freiwilliges Soziales Jahr im Bereich Kultur (FSJK) ihr Leben beeinflusst hat TEXT: SAMIRA AIKAS D ie Arbeit als Freiwillige*r in einer kul- Leistungsdruck, keine Sorgen um Alltägliches. Der turellen Einrichtung erlaubt es, sich Austausch über die Einsatzstellen und die kreativen selbst zu finden, sich kreativ auszu- Prozesse haben mich in meiner persönlichen Entwick- drücken und die eigenen Grenzen lung sehr weitergebracht.“ Das Texteschreiben wäh- auszutesten. Das Jahr kann inspirie- rend der Workshops inspirierte sie so sehr, dass sie rend wirken und die Weichen für die heute mit zwei Freundinnen gemeinsam ein queer- weitere Zukunft stellen. Vier ehemalige FSJler*innen feministisches Erotikmagazin namens „Gazer“ heraus- ziehen ihr Resümee. bringt, das unter anderem in der Buchhandlung im Schanzenviertel (Schulterblatt 55) erhältlich ist. Nach Féline Rathke, 26, hat nach ihrem Abitur ihr FSJ ihrem FSJ arbeitete sie als Regieassistenz in der Kaba- am Deutschen Schauspielhaus im Bereich Drama- rettbühne Polittbüro und am Schauspielhaus, bevor turgie absolviert. Die Entscheidung für den kulturel- sie dort eine Ausbildung zur Veranstaltungstechni- len Bereich fiel der Hamburgerin nicht leicht, da sie kerin machte. „Seitdem arbeite ich dort als Beleuch- mit einer klassischen Gesangsausbildung und zwölf terin und habe mich um einen Studienplatz für The- Jahren Theatererfahrung zwar eine Leidenschaft für aterregie an der Hochschule für Musik und Theater den kulturellen Bereich mitbrachte, sich aber auch beworben.“ seit Jahren ehrenamtlich im Bereich der Antirassis- Fél musarbeit engagiert. Das FSJ sollte ihr Klarheit dar- Auch Ina Dallo, 21, entschied sich 2017 für einen in eR athk über verschaffen, ob sich beide Bereiche miteinander FSJ-Platz am Theater. Das Junge Schauspielhaus war e verbinden lassen. Heute bezeichnet Féline das FSJ als eine der wenigen kulturellen Einrichtungen, bei denen das bisher „beste Jahr ihres Lebens“. Féline: „Es wur- sich die damals noch etwas unentschlossene Abituri- den Räume und Rahmenstrukturen geschaffen, die es entin beworben hatte. „Ich habe als Hospitantin und Ina erlaubten, Gedanken absolut frei zu entfalten. Kein Assistentin Stücke betreut, in theaterpädagogischen Dal lo 19
Bereichen mitgeholfen, an Recherchen mitgearbeitet, hatten schon ihre Geschwister und mehrere Freundin- Materialmappen erstellt, war ab und zu auch mit in nen absolviert, was diese dann auch in ihrer Studien- Schulen und vieles mehr“, sagt Ina. Die Arbeit gab ihr platzwahl beeinflusst hatte. Diese Vorbilder bestärk- sehr gute Einblicke in viele Bereiche der Theaterwelt. ten dann auch Marie im Jahr 2015 in ihrer Entschei- Das FSJ und auch das Jahr danach, in dem sie am Jun- dung, eine FSJK-Stelle in Hamburg anzunehmen. Ihr gen Schauspielhaus blieb, haben ihre Leidenschaft freiwilliges Jahr absolvierte sie im Atelier Freistil, einer für Theater und Kultur intensiviert und sie schließlich Werkstatt für Menschen mit Behinderungen. Zu ihrer dazu bewogen, Kulturwissenschaften und ästhetische Arbeit gehörte die Assistenz im Arbeitsalltag, Pfle- Praxis mit dem Fächern Theater und Medien an der ge, aber auch Assistenz bei künstlerischen Arbeiten. Universität Hildesheim zu studieren. „Das FSJK gab mir ein Jahr Zeit und Muße, mich aus- zuprobieren. Ich war von Kunst, Menschen mit künst- Achim Chruscinski, 21, hat sich 2017 aufgrund seiner lerischer Betätigung und Materialien umgeben“, sagt ausgeprägten Leidenschaft fürs Fotografieren und Fil- Marie. men für einen FSJK-Platz bei TIDE entschieden, Ham- burgs Community-Sender und Ausbildungskanal. Der Heute studiert sie Illustration, ein Gebiet, das sie Hamburger wollte nach seinem Abitur nicht sofort schon in ihrer Kindheit sehr interessierte. In der Wahl studieren oder eine Ausbildung machen. Die FSJK- ihres Studienfachs wurde sie unter anderem von ehe- Stelle gab ihm die perfekte Gelegenheit, sich auszu- maligen FSJKlerinnen bestärkt, die sie im Atelier Frei- probieren, selbst besser kennenzulernen und einzu- stil kennenlernte. Das Studium konzentriert sich zwar schätzen, ob das Filmen und Schneiden von Videos auf ihre eigene künstlerische Entwicklung, Marie kann Ac auch beruflich Spaß machen könnte. Die eine Hälfte sich aber vorstellen, danach wieder Kunst und Sozia- him Chru scinski seines Freiwilligenjahres war er in der Ausbildungsre- les miteinander zu verbinden. daktion „Hamburg immer anders!“ beschäftigt. Dabei lernte er den Alltag in einem Fernsehsender kennen, vor allem bezogen auf die Herstellung von TV-Maga- zinbeiträgen. „Man recherchiert, sucht Interview- partner*innen, dreht den Beitrag und schneidet ihn anschließend“, erklärt Achim. Die andere Hälfte sei- nes FSJ verbrachte er in der TV-Postproduktion und war dort für die Bearbeitung und den Schnitt von INFO Fernsehsendungen verschiedener Genres verantwort- lich. Durch die vielfältigen, intensiven Einblicke in die Die LAG Kinder- und Jugendkultur ist die Trägerin Arbeit bei einem Fernsehsender fiel ihm die endgül- des FSJK in Hamburg. Sie sucht Einsatzstellen, ver- tige Entscheidung für seine berufliche Zukunft leicht. mittelt Freiwillige, organisiert Seminare und Bil- Heute ist Achim im dritten Lehrjahr der Ausbildung dungstage und steht den kulturellen Einrichtun- zum Mediengestalter für Bild und Ton. gen und Freiwillen das ganze Jahr über zur Seite. Weitere Informationen auf der Webseite der LAG. Ma Marie Lunkenheimer, 25, aus Bielefeld hatte schon rie Lun kenhe immer eine künstlerische Ader. Ihre Eltern sind als imer Pädagog*innen in einer Förderschule tätig. Ein FSJK KINDERUNDJUGENDKULTUR.INFO 20
in SERIE für e D ac h ork am es a tc hw meins l es P e G kulturel ie e rl i . v e n e.V r Haup LKJ B en in d e r tritt tadt ts D tung n rich WEN DLE R Ei Z 400 T T: LU TEX I hren 30. Geburtstag im vergangenen Jahr hat die Landes- vereinigung Kulturelle Jugendbildung (LKJ) Berlin e.V. nicht groß feiern können. Die Coronavirus-Pandemie trübt auch die Aussichten für die nahe Zukunft. „Wir befürchten, dass vieles von dem, wofür wir viele Jahre lang gekämpft haben, in Folge der Pandemie durch Haushaltseinsparungen in Gefahr geraten könnte“, sagt David Stachon, bei der LKJ unter anderem für Öffentlich- keitsarbeit zuständig. Die in Kreuzberg ansässige LKJ Berlin ist als eingetragener Verein mit anerkannter Gemeinnützigkeit fachpolitische Dachorganisation für die kulturelle Bildung in der Hauptstadt. Ihre Mitglieder sind 50 Landesar- beitsgemeinschaften, Verbände, Organisationen sowie Vereine. Damit ver- tritt die LKJ rund 400 Einzeleinrichtungen und ist unter anderem Trägerin des Freiwilligen Sozialen Jahres in der Kultur für Berlin und Brandenburg. Außerdem ist bei der LKJ Berlins Servicestelle für „Kultur macht stark. Bündnisse für Bildung“ angesiedelt. Das vom Bundesministerium für 21
Bildung und Forschung finanzierte Programm fördert außerschulische „Jugend.Sprungbrett.Kultur“ unterstützt Fachpersonal bei der diversitäts- Angebote der kulturellen Bildung, die entsprechende Servicestelle in Ham- orientierten Öffnung der Berliner Einrichtungen, etwa mit einer „Roadmap burg ist ein Angebot der LAG. Diversität und Inklusion“. Den ehrenamtlichen Vorstand der LKJ wählen die Mitglieder aus ihren David Stachon ist als Bildungsreferent auch für das Projekt Jugendkul- Reihen. Die praktische Arbeit wird vom sogenannten Koordinationsbüro turzentren in bezirklichen Bildungsnetzwerken, (kurz JuKuBi), zuständig. mit 18 Festangestellten und zwei Honorarkräften erledigt, Geschäftsfüh- „Bei JuKuBi geht es oft um die Frage ,Wie bringen wir alle an einen Tisch, rerin ist seit 2004 Cornelia Schuster. Die LKJ wird im Wesentlichen nicht damit es besser läuft?´. Die Vernetzung auf bezirklicher Ebene ist verbesse- als Institution finanziert. rungsfähig“, sagt Stachon. Berlin-Mitte beispielsweise, so Stachon, sei in Sachen effizienter Struktur ein Paradebeispiel: mit eigenem Rahmenkon- Die LKJ Berlin wurde 1990 gegründet. „Nach der Wende schossen in Ber- zept, einer eigenen Arbeitsgruppe im Bezirk, in der alle Fachressorts ver- lin viele Vereine und Initiativen aus dem Boden, die LKJ war eine unter vie- treten seien. Dennoch sei so etwas nicht als Blaupause geeignet, weil die len, am Anfang eine ABM-Einrichtung, die mit einzelnen Projekten, Bro- Bezirke großen Wert auf Eigenständigkeit legten sowie unterschiedliche schüren, Festivals und Services wie dem infofon/infofax beschäftigt war.“ Möglichkeiten und Traditionen hätten. „JuKuBi bräuchte in jedem Bezirk Wichtige Schritte für die weitere Entwicklung, so Stachon, seien die Aner- eine Stelle, die sich um die Vernetzung der Kulturellen Bildung kümmert“, kennung als überbezirkliche freie Trägerin der Jugendhilfe (seit 1997) und sagt Stachon. Bei der chronischen Unterfinanzierung in diesem Bereich sei vor allem die Trägerschaft des Freiwilliges Sozialen Jahres Kultur 2001 es besonders wichtig, über mögliche Fördertöpfe wie das 2020 in Kraft gewesen. David Stachons Resümee: „Wir sind in unsere Aufgaben hinein- getretene Jugendförder- und Beteiligungsgesetz für Berlin zu informieren gewachsen, als Dachverband akzeptiert und gut vernetzt.“ und die Antragstellung zu unterstützen. „Durch dieses Modellprojekt der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie zur Stärkung der Kin- Das übergeordnete Ziel der LKJ ist die Stärkung der Kulturellen Kinder- der- und Jugendarbeit werden 25 Millionen Euro zusätzlich in die Bezir- und Jugendbildung in Berlin. Dafür wird in zwei Säulen gearbeitet. Es wer- ke gespült“, sagt Stachon. „Wir helfen gern dabei, dass dieses Geld dort den Kooperation und Austausch der Mitgliedsverbände gefördert, Fachin- ankommt, wo es gebraucht wird.“ formationen durch Tagungen (etwa 2019 zur Frage „Kulturelle Bildung - Politischer Auftrag in rechtspopulistischen Zeiten!?“) und Jours Fixes sowie Newsletter bereitgestellt. Zudem betreibt die LKJ Lobbyarbeit gegenüber Öffentlichkeit, Politik und Verwaltung. Des Weiteren unterstützt eine Reihe eigener Projekte und Programme die Mitglieder bei der Vernetzung, berät bei Projektentwicklung sowie Da vid Stac -finanzierung, bietet Fortbildungen an oder eröffnet Räume für Kunst- hon und Kulturprojekte junger Geflüchteter. Zu den ständigen Projekten der LKJ zählen der „infonetkalender“, ein werbefreier, berlinweiter Veranstal- tungsüberblick für Kinder bis zwölf und gemeinsam mit der Stiftung für Kulturelle Weiterbildung und Kulturberatung die Navigations-Plattform „Kubinaut“ als Spiegel der kulturellen Bildung in Berlin. Das Programm LKJ-BERLIN.DE 22
MELDUNGEN Der Erkundungsgang ist kostenlos zu erle- len und Handlungsbedarfen in der kultu- ben im Rahmen des Festivals Hauptsache rellen Jugendarbeit. Erste Ergebnisse wur- Frei #7 vom 25.8. bis 4.9. und voraussicht- den jetzt vorgestellt. Demnach wird aktuell lich während des Hamburger Kultursom- die Bewältigung der Corona-Pandemie als mers. Aktuelles dazu im Netz. größte Herausforderung bewertet, gefolgt von der Herausforderung des Umgangs mit TRAUMMASCHINEINC.NET Digitalität. Als Unterstützung im Umgang mit Digitalität wünschen sich die Befragten Bis zur Bundestagswahl: Jede Woche von der Politik die Finanzierung von Fort- fünf Gründe bildungen und bessere Aussstattung. Die „100 Gründe für Kinder- und Jugendkultur“ Studie wird im Spätsommer veröffentlicht. Fantasievoller Erkundungsgang im ist der Titel eines neuen Projekts der Landes- BKJ.DE Volkspark arbeitsgemeinschaft (LAG) Kinder- und Sogar im dicht besiedelten Hamburger Jugendkultur Hamburg. Bis zur Bundes- Abschlussausstellung der Großstadtdschungel gibt es noch „weiße tagswahl am 26. September teilt die LAG Talentschmiede als Film Flecken“ zu entdecken: zum Beispiel ent- auf Instagram sowie in dem Blog zur Akti- Die Talentschmiede der LichtwarkSchule lang der Mühlenau, einem Bach im Ham- on (siehe unten) seit dem 10. Mai jede Hamburg ist ein einjähriges Kunst-Stipendi- burger Volkspark. Für diesen hübschen Woche fünf kreative Gründe für Kinder- um für besonders begabte Schüler*innen im Waldstreifen hat sich die Theatergruppe und Jugendkultur. Gerade in diesen Zeiten Alter von 13 bis 15 Jahren (siehe auch Seite Traummaschine Inc. einen fantasievollen möchte die LAG zeigen, wie wichtig es ist, 6). Für ein Jahr erhalten die Stipendiat*innen Erkundungsgang ausgedacht. Der Multi- allen Kindern kulturelle Teilhabe zu ermög- von der Künstlerin Adriane Steckhan profes- media-Walk – ein Update der alten Schnit- lichen. Gepostet wurden bisher unter ande- sionellen Kunstunterricht. Die Kurse finden zeljagd – verläuft über 15 Stationen rund rem Zitate von Künstler*innen, Comicstrips im Atelier der Hochschule für angewandte eine Stunde lang. Nach und nach gelan- und Bilder von Kunstwerken. Wissenschaften Hamburg (HAW) statt. Am gen die Spaziergänger ins „Hirn der Fins- ternis“, wie der Titel verspricht, sofern sie Ende jedes Kurses werden die entstande- mit einem internetfähigen Smartphone INSTAGRAM.COM/100_GRUENDE/ nen Werke im Altonaer Museum öffentlich oder Tablet samt QR-Scanner sowie wald- gezeigt. Wegen der Auflagen im Rahmen 100GRUENDE.DE der Coronavirus-Pandemie konnte es diesmal bodenfähigen Schuhen ausgestattet sind. Beim ersten Scan begrüßt Kapitän Wal- keine öffentliche Ausstellung geben, statt- ter die Besucher in einem kurzen Film Studie InnovationsBarometer: dessen hat das Team der Lichtwark-Schu- und erzählt ihnen vom rätselhaften Ver- Erste Egebnisse le einen Film über die Stipendiat*innen und schwinden seiner Schiffe. An jeder wei- Wie ist die Stimmung auf der Praxisebene der ihre Arbeiten erstellt. Dieser kann über die teren Station erfährt das neugierige Pub- Kulturellen Bildung? Fühlen sich die Organi- Webseite und den YouTube-Kanal der Schule likum ab acht Jahren mehr über den alten sationen, Vereine und Verbände ausreichend angesehen werden. Seefahrer, seine Tochter Charlie und eine unterstützt? Fragen wie diese hat das „Inno- geheimnisvolle Frau Krakowski, die einer vationsBarometer 2020“ untersucht, eine LICHTWARKSCHULE.DE mehrarmigen Meeresbewohnerin ähnelt. Online-Studie zu den Innovationspotenzia- 23
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