Gemeinsamer Rechenschaftsbericht 2020 des Vorstands und Beirats von amntena e.V.

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Gemeinsamer Rechenschaftsbericht 2020 des Vorstands und Beirats von amntena e.V.
Gemeinsamer Rechenschaftsbericht 2020
des Vorstands und Beirats von amntena e.V.

Stand 7. Mai 2021
Gemeinsamer Rechenschaftsbericht 2020 des Vorstands und Beirats von amntena e.V.
1. VORWORT

                                    Wer immer nur in den Fußstapfen anderer tritt,

                                                hinterlässt keine eignen Fußspuren.

Daher haben wir uns im Jahr der Pandemie im Herbst 2020 überlegt, dass wir
diesem ungewöhnlichen Jahr mit einem für den Verein neuen Instrument, einem
schriftlichen Rechenschaftbericht entgegnen wollen.

Ziel des Berichts ist, die Mitglieder und Unterstützer oder einfach nur Interessierte,
über den Fortgang unserer Arbeit und das Wirken des Vereins zu informieren.

Unsere Mitgliederversammlung und viele Treffen und Aktivitäten mussten wir in
2020 leider absagen. Unsere Freiwilligen mussten ihren Dienst unerwartet
abbrechen. In diesem Zusammenhang möchten wir unseren Partner-
Organisationen in Chile, Peru und Bolivien und insbesondere den deutschen
Botschaften vor Ort sowie dem Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit
(BMZ) und dem weltwärts-Sekretariat in Bonn großen Dank aussprechen. Sie alle
haben sich vorbildlich verhalten und unseren Freiwilligen und uns tatkräftig zur
Seite gestanden.

Wir danken auch allen Freiwilligen, ihren Eltern und Unterstützern, unseren
Mitgliedern sowie sonstigen Spendern, die durch ihr Engagement oder ihre
Spenden unsere Vereinsziele unterstützen.

Wir befürchten, dass die weltweite Armut und Ungleichheit durch die aktuelle
Pandemie weiter wachsen wird, aber wir werden weiterhin mit Ihnen gemeinsam
dagegen ankämpfen!

Der Beirat und Vorstand im Mai 2021

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2. UNSERE ZIELE
Zweck des Vereins ist die Förderung der Entwicklungszusammenarbeit. Als der
Verein gegründet wurde, nannte man dies noch „Entwicklungshilfe“.

Der Terminus „Entwicklungshilfe“ drückt jedoch indirekt die Überlegenheit eines
Akteurs aus. Wir wollen aber mit allen Partnern auf Augenhöhe
zusammenarbeiten. Projekte und Maßnahmen planen, verantworten und führen
wir stets gemeinsam mit den Menschen vor Ort durch. Aus diesem Grund sprechen
wir lieber von Entwicklungszusammenarbeit als von Entwicklungshilfe, auch wenn
die Begriffe letztlich dasselbe meinen.

Wofür engagieren wir uns?
Wir wollen…

•   Informationen über die sozialen Probleme weitergeben.
•   Ursachen von Armut und Landflucht aufdecken und benennen.
•   die Lebensbedingungen der notleidenden Bevölkerung verbessern.
•   verschiedene Projekte unterstützen.
•   soziale Dienste in den Projekten für Jugendliche ermöglichen.

Warum engagieren wir uns?
•   Weil wir glauben, dass wir das Zusammenleben der Menschen verbessern
    können, indem wir uns besser kennen lernen und Vorurteile abbauen.
•   Weil viele unserer Mitglieder selbst als Freiwillige in Lateinamerika gearbeitet
    haben und dieses „Glück“ nun weitergeben und teilen wollen.
•   Weil die Sprache der Schlüssel zu den Menschen ist und unsere Freiwilligen ihr
    Leben lang von ihren Spanisch-Kenntnissen oder sonstigen Erfahrungen
    profitieren können.
•   Weil unsere Freiwilligen als ideelle Botschafter ihrer Einsatzländer und Projekte
    nach Europa zurückkehren und sie durch ihr Engagement hier weiter
    unterstützten können.

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Wie engagieren wir uns?
•   Wir verfolgen keine eigenwirtschaftliche Zwecke.
•   Wir engagieren uns für ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige,
    mildtätige, kirchliche Zwecke im Sinne des Abschnitts „Steuerbegünstigte
    Zwecke“ der Abgabenordnung.
•   Wir sind nicht konfessionell gebunden.
•   Wir sind selbstlos tätig. Mit Ausnahme einer Verwaltungskraft in der
    Geschäftsstelle in Tiefenbronn-Mühlhausen arbeiten der Vorstand und der
    Beirat ehrenamtlich. Für Seminare im Rahmen des weltwärts-Programms mit
    Förderung durch das BMZ erhalten die Referent*innen Honorarvergütungen
    nach angemessenen Tagessätzen.

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3. UNSERE AKTIVITÄTEN

Vorstand und Beirat
Der Vorstand besteht aus fünf, der Beirat aus bis zu elf Personen. Die Mitglieder
beider Gremien werden von der Mitgliederversammlung im zweijährigen Turnus
gewählt.

Dem    Vorstand      obliegen    die     Geschäftsleitung,    die   Ausführung   der
Vereinsbeschlüsse und die Verwaltung des Vereinsvermögens. Der Vorstand ist
berechtigt,   ein   Vereinsmitglied    zur   Vornahme   von   Rechtsgeschäften   und
Rechtshandlungen jeder Art für den Verein zu ermächtigen.

Der Beirat berät und unterstützt den Vorstand. Vorstand und Beirat arbeiten
kollegial miteinander. Die meisten Sitzungen des Vorstands und Beirats finden
daher gemeinsam statt. Über Sitzungen und Beschlüsse werden Protokolle geführt.

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Unsere Beschlüsse im Jahr 2020

Beschluss #1 vom 07.05.2020

Ein bestehendes Arbeitsverhältnis des Vereins zu einem Mitglied wird zum
01.07.2020 auf einen befristeten Angestelltenvertrag in Teilzeit umgestellt.

Beschluss #2 vom 12.06.2020

Die Mitgliederversammlung 2020 soll nicht im Herbst 2020, sondern durch
Corona bedingt erst 2021 tagen.

Beschluss # 3 vom 12.06.2020

Der aktuelle Beirat und Vorstand bleiben, durch Corona bedingt, interimsmäßig
ein weiteres Jahr im Amt und werden erst 2021 entlastet und neugewählt.

Beschluss # 4 vom 09.10.2020

Unter den jetzigen Corona-Bedingungen werden wir keine Freiwilligen in
absehbarer Zeit nach Südamerika entsenden.

Beschluss # 5 vom 09.10.2020

Aufgrund der Pandemie entfällt die gemeinsame Weihnachtsfeier von Vorstand und
Beirat.
Beschluss # 6 vom 09.10.2020

Aufgrund der Pandemie soll in diesem Jahr kein amntena junior Treffen (als
Präsenz-Treffen) mehr stattfinden.

Beschluss # 7 vom 28.12.2020

Mitglieder, die aus dem Beirat oder Vorstand ausscheiden, sollen eine offizielle
Danksagung für ihre Aktivität erhalten.

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amntena junior

amntena junior ist eine Gruppe ehemaliger
Freiwilliger, die sich nach ihrer Rückkehr aus
Südamerika weiterhin für den amntena e.V.
engagiert. Die Gruppe wurde 2012 gegründet
und verfügt aktuell über zirka 25 aktive
Mitglieder, welche quer über Deutschland
verteilt arbeiten oder studieren. Anbei ein vor der Pandemie aufgenommenes Foto
aus dem Jahr 2019.

In der letzten Sitzung 2019 traten Franziska Leichte und Magdalena Faust von
ihren Posten als Koordinatorinnen bei amntena junior zurück; nochmal ein großes
Dankeschön! Sie bleiben uns natürlich weiterhin erhalten. Magdalena hat den
Schritt in den Beirat gewagt und Franziska bringt ihre vielfältige Erfahrung weiter
bei amntena junior ein.

Johanna Faust und Jakob Bültemann übernahmen so im Herbst 2019 die
Koordination von amntena junior und nach einer Einarbeitung sind sie seit Sommer
ganz in ihrer Rolle angekommen.

Aufgrund der Corona-Pandemie musste das geplante Treffen im April leider
ausfallen. Dank der Lockerungen konnte Mitte August dann endlich wieder ein
persönliches Treffen stattfinden. So kamen zwölf ehemalige
Freiwillige in Miltenberg bei Familie Faust zusammen, um sich
über das letzte Dreivierteljahr auszutauschen und neue Projekte
zu planen. Wegen der Pandemie wurden im laufenden Jahr fast
alle Info-Messen abgesagt. Deshalb war es auf diesem Wege
nicht   möglich,   über   den   weltwärts-Freiwilligendienst   zu
informieren und Interessenten für ein Auslandsjahr mit
amntena zu begeistern. Gerade deshalb wurde versucht,
Alternativen zu finden. Als Kleinprojekt wurde der Druck von
amntena junior Pullis und T-Shirts vorangetrieben. Interessierte
an einem solchen Pulli können sich gerne bei amntena junior melden.

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Gemeinsamer Rechenschaftsbericht 2020 des Vorstands und Beirats von amntena e.V.
Beim Treffen in Miltenberg wurden außerdem vier Rückkehrer*innen erstmals in
der Runde von amntena junior begrüßt. Es ist immer wieder schön, sich jahrgangs-
übergreifend besser kennenzulernen und auszutauschen.

Aufgrund der Kontaktbeschränkungen war ein persönliches Treffen dann leider
nicht möglich. Am Samstag, dem 14. November 2020 konnten sich die Mitglieder
von amntena junior aber online austauschen. Trotz widriger Umstände war das
erste digitale amntena junior Treffen ein voller Erfolg! Zu altbekannten gesellten
sich auch neue Gesichter und im produktiven Austausch entstanden wieder gute
Ideen zu verschiedenen Themen, mit denen sich amntena junior derzeit
beschäftigt. Ein Beispiel dafür ist ein erster Entwurf von Postkarten und Aufklebern,
die auf amntena aufmerksam machen sollen.

Darüber     hinaus     wurden       weitere
Möglichkeiten    diskutiert,   um    junge
Menschen für amntena zu begeistern.
Neben den konstruktiven Diskussionen
blieb am Ende der Sitzung noch Zeit und
Raum für den persönlichen Austausch,
der leider gerade in dieser Zeit oftmals
zu kurz kommt.

2020 führten wir folgende Veranstaltungen durch:
•   September: Schulvortrag von Annemarie Maier in Oberstdorf
•   September: Schulvorträge von Lukas Sydow an seiner alten Schule
•   Oktober: Ehrenamtsmesse in Frankfurt am Main
•   Oktober: Schulvorträge von Magdalena Faust in Rheinberg und Bönen

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Aufgrund     der    Corona-Pandemie           mussten    wir   2020     folgende
Veranstaltungen leider absagen:
•   März: SchülerInfoTage in Tübingen
•   Mai: „BerufsInfoMesse“ in Offenburg
•   Oktober: „Hin und Weg“ Messe in Ulm
•   Oktober: „Jetzt aber weg“ Messe in Rottweil

Alle Rückkehrer*innen können im Anschluss an ihren Freiwilligendienst amntena
junior bei der Arbeit unterstützen und Aufgaben übernehmen. Voraussetzung
dabei ist lediglich, dass sie Mitglied bei amntena werden.

Der heutige Vorstand und Beirat von amntena bestehen inzwischen mehrheitlich
aus Menschen, die als Jugendliche am Freiwilligendienst teilgenommen haben.
amntena junior ist also weit mehr als eine unbedeutende Jugendorganisation ohne
Budget und Handlungsspielraum.

Wir sind die Zukunft des Vereins!

Interessierte können sich per E-Mail melden und erhalten dann Informationen,
beispielsweise zu den nächsten Treffen. Ebenso stehen wir für Fragen jederzeit zur
Verfügung. Bei Fragen und für mehr Infos einfach mailen an Johanna Faust oder
Jakob Bültemann unter amntenajunior@gmx.de.

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Spendenaufrufe 2020

Im Jahr 2020 haben wir zwei große Spendenaufrufe an alle Mitglieder und
sonstigen Spender und Unterstützer getätigt.

Erster Spendenaufruf (Altenpflege-Einrichtungen)

Ende Mai 2020 starteten wir durch die Covid-19-Pandemie einen Spendenaufruf
zugunsten der Altenpflege-Einrichtungen in Cusco (Peru) und Cochabamba
(Bolivien). Gerade ältere Menschen haben in diesen Ländern unsere Hilfen bitter
nötig. Das Ergebnis dieses ersten Spendenaufrufes brachte

5.505 Euro

zusammen. Das Geld haben wir an die Altersheime in Cochabamba und Cusco
überwiesen. Im Namen der Einrichtungen möchten wir den großzügigen Spendern
herzlich danken.

Zweiter Spendenaufruf (Behinderten-Einrichtungen)

Anfang Dezember haben wir in unserem Jahresschlussbrief um die finanzielle
Unterstützung unserer Behinderteneinrichtungen aufgerufen. Im vergangenen
Jahr war Natalie Boelk aus Bonn im „Hogar Sagrado del Corazón de Jesús" in
Cochabamba (Bolivien) tätig. Hannah Küppers aus Heinsberg arbeitete zur
gleichen Zeit im Projekt „Dios con Nosotros“ in Recoleta (Santiago de Chile). Im
Ergebnis kamen hierbei

10.073 Euro

zusammen. Wir waren gleichermaßen überrascht und dankbar, dass so ein großer
Betrag von unseren Mitgliedern und Unterstützern zustande gekommen ist. Im
Februar 2021 haben wir jeweils 5.000 Euro für die Einrichtungen in Cochabamba
und in Santiago de Chile überwiesen.

Spendeninitiative von Lukas S. aus Nottuln / Freiburg

Lukas aus dem Münsterland war 2019/20 als Freiwilliger in
Cusco (Peru) für die Fundación Cristo Vive tätig. Die
ungeplante Rückkehr nach Deutschland im Frühjahr dieses
Jahres war für ihn Anlass, verstärkt für unser Projekt zu
werben. Er hat durch zahlreiche Vorträge bei Schulen und
Unterstützern eine tolle Resonanz und Spenden für unsere
Projektpartner erzielt, wofür wir und unsere Partner ihm
unseren Dank aussprechen.

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Partnerdialog 2020 in Peru

      Im Januar 2020 fand wieder der Partnerdialog in Lurín, in der Nähe
      von Lima, statt. Es kamen die Projektverantwortlichen aus den
      verschiedenen Einsatzstellen aus Peru, Chile und Bolivien zusammen.
      Das Treffen dauerte drei Tage. Dadurch hatten wir die Möglichkeit,
      wertvolle Einzelgespräche mit den Verantwortlichen aus jedem
      Projekt zu führen. Dabei ging es hauptsächlich um die Freiwilligen,
      die von uns in die Stelle entsendet wurden und die Unterstützung bei
      eventuellen Herausforderungen. Gleichzeitig konnten wir dadurch
      erfahren, wie es den einzelnen Projekten aktuell geht und über
      Veränderungen sprechen.

      Neben diesen Einzelgesprächen fanden etliche thematische Einheiten
      statt, die alle Teilnehmenden betrafen und gemeinsam gestaltet und
      durchgeführt wurden. Themen waren die Erwartungen an die
      Freiwilligen und die der Freiwilligen selbst, Vorbereitung durch
      amntena auf den Freiwilligendienst, Grundrechte der Freiwilligen und
      ein    allgemeiner     Austausch   über   die   Gestaltung     sowie
      Rahmenbedingungen des Freiwilligendienstes. Gerade dieser
      gemeinsame Austausch macht den Partnerdialog aus unserer Sicht so
      wertvoll und bereichernd.

Zwischenseminar 2020 in Peru
      Das Zwischenseminar fand 2020 für alle Freiwilligen gemeinsam im
      Januar in Lurín statt. Für alle Freiwilligen zusammen ein Seminar zu
      gestalten war eine Herausforderung, die sich aber gelohnt hat.
      Während des Seminars fanden Einzelgespräche zu jedem Projekt
      statt, um zu erfahren, wie es den Freiwilligen bisher ergangen ist und
      darum bei der Lösung von Problemen zu helfen.

      Zudem gab es hauptsächlich gemeinschaftliche Einheiten. Die
      Freiwilligen berichteten mit Bilden über positive und negative
      Erfahrungen der ersten Hälfte des Freiwilligendienstes. Sie hatten die
      Chance, darüber zu reflektieren, was sie in der zweiten Hälfte ändern
      möchten oder welche Ideen sie noch gerne verwirklicht sähen. Ein
      Thema war auch die finanzielle Unterstützung durch amntena für die

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Durchführung von Projekten der Freiwilligen. Außerdem sprachen wir
            über die Bestimmungen und Richtlinien des weltwärts-Programms.

            Bei dem Seminar ging es auch darum, sich schon gedanklich auf die
            Rückkehr vorzubereiten, beispielsweise sich rechtzeitig über die
            Gestaltung der Rückkehr und des Ankommens zu machen. Außerdem
            erarbeiteten wir Ideen für ehrenamtliches Engagement in
            Deutschland nach der Rückkehr der Freiwilligen.

Seminare für weltwärts-Freiwillige
Aufgrund der unerwarteten Rückholung unserer Freiwilligen aus den Einsatzländer
im Frühjahr 2020 und der ungewissen Lage unseres noch nicht ausgereisten
Jahrgangs 2020/21 war es für uns lange fraglich, ob und wie wir Vorbereitungs-
und Rückkehrerseminare durchführen wollen und können.

Nach reiflicher Planung und Überlegung konnten wir im Juli 2020 ein
Rückkehrerseminar in der Jugendherberge in Würzburg durchführen. Im
September 2020 konnten wir ein zweites Vorbereitungseminar für den neuen
Jahrgang durchführen. Unsere Seminar- und Gruppenarbeiten waren auf das
Hygiene-Konzept der Jugendherberge abgestimmt. Wir konnten aber viele Themen
im Freien behandeln.

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Personalia im Beirat und Vorstand
Der Vorstand besteht aus fünf Personen. 2020 gab es keine personellen
Veränderungen.

Der Beirat kann gemäß unserer Satzung aus bis zu elf Personen bestehen. Es gab
folgende Veränderungen:

Magdalena Faust wurde noch im Dezember 2019 neu in den                     Beirat
aufgenommen. Sie war 2015/16 als Freiwillige in Urubamba (Peru) tätig.

Pia Wohnhas hat sich aufgrund der Pandemie beruflich umorientieren müssen
und die Geschäftsstelle des Vereins übernommen. Daher ist sie auf eigenen
Wunsch im Juni 2020 aus dem Beirat ausgeschieden.

Julian Kopp ist auf eigenen Wunsch im Oktober 2020 aus dem Beirat
ausgeschieden.

Aktuell sind daher vier Posten im Beirat vakant.

Mitglieder
Der Verein hat zum Ende des Jahres 2020 rund 360 bzw. 412 (mit Partnern)
Mitglieder. Im Jahr 2020 traten 21 Mitglieder aus dem Verein aus, jedoch auch 26
neue Mitlieder in den Verein im selben Zeitraum ein.

Von unseren Mitgliedern lebt mehr als die Hälfte in Baden-Württemberg. Jedes
sechste Vereinsmitglied kommt aus Bayern und jedes zehnte lebt in Nordrhein-
Westfalen. Die Prozentuale Verteilung unserer Mitglieder nach Bundesländern sieht
daher vereinfacht wie folgt aus:

Sitz des Vereins ist Tiefenbronn-Mühlhausen. Daher ist es wenig verwunderlich,
dass die meisten Mitglieder (nämlich 20) aus dem Enzkreis stammen. In folgenden
Stadt- oder Landkreisen leben jeweils mehr als zehn Mitglieder: Heilbronn,
Tübingen, München, Esslingen, Stuttgart, Ortenaukreis, Karlsruhe, Ostalbkreis.

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15 Prozent unserer Mitglieder sind als Ehepartner bzw. als Familie Mitglied im
Verein. Die Mehrheit (51 Prozent) unserer Mitglieder ist weiblich.

Das durchschnittliche Mitglied ist seit knapp zwölf Jahren Teil des Vereins. Dabei
erfreuen uns mit Blick auf die Dauer der Vereinsmitgliedschaft zwei Dinge:

Mehr als zehn Prozent unserer Mitglieder sind seit mehr als 30 Jahren ein wichtiger
Bestandteil von amntena. Für das langjährig entgegengebrachte Vertrauen sind
wir sehr dankbar und auch stolz, dass diese solide Mitgliederbasis uns über diesen
langen Zeitraum unterstützt und an die Ziele und Ideen des Vereins glaubt.

Beinahe 40 Prozent unserer Mitglieder sind vergleichsweise neu dabei und erst seit
weniger als fünf Jahren Teil des Vereins. Das zeigt, dass wir über die Entsendung
von Freiwilligen eine breite Öffentlichkeit erreichen können und dass es uns
gelingt, die ehemaligen Freiwilligen sowie Personen aus ihrem Freundes- und
Bekanntenkreis für die Arbeit von amntena zu begeistern und als Mitglieder des
Vereins zu gewinnen.

In Summe sind Personen aus allen Altersschichten bei amntena vertreten und
bilden eine gesunde und solide Basis.

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4. BERICHTE AUS DEN LÄNDERN
Aufgrund der Corona-Pandemie mussten die Freiwilligen des Jahrgangs 2019/20
ihren Dienst leider im Frühjahr 2020 abbrechen und nach Deutschland
zurückreisen. Da das Virus weiterhin weltweit grassiert und die Fallzahlen auch in
Lateinamerika hoch sind, war eine Entsendung neuer Freiwilliger aus dem
Jahrgang 2020/21 nicht möglich. Auch wenn wir über unsere Länderbeauftragten
im Verein weiterhin regelmäßig im Kontakt zu den Partnerorganisationen vor Ort
stehen und uns mit diesen über die aktuelle Lage austauschen, fällt es uns
schwerer, Einblicke in die tägliche Arbeit in den Einsatzstellen zu geben. Dafür
haben sich drei Rückkehrer/innen intensiv mit den (politischen) Geschehnissen in
unseren Einsatzländern auseinandergesetzt und darüber berichtet.

Die folgenden Berichte wurden bereits in unserem Dezember-Newsletter
veröffentlicht und können in ihrer kompletten Fassung auf unserer Homepage
abgerufen werden. Sie geben jeweils die Meinung der genannten Verfasser wieder.

       Peru
Hintergründe zur Amtsenthebung des peruanischen Präsidenten

Ege Can Yalim aus Köln war als Freiwilliger im Jahrgang
2017/18 in Prosoya (Peru) und hat hier seine zweite Heimat
gefunden. Seit seiner Rückkehr nach Deutschland studiert er
in Tübingen Soziologie & Erziehungswissenschaft, hält aber
weiterhin Kontakt nach Peru und berichtet darüber, wie er die
jüngsten politischen Ereignisse rund um die Absetzung von
Präsident Vizcarra wahrgenommen hat:

Im November 2020 beschloss der peruanische Kongress, den
zu diesem Zeitpunkt amtierenden Präsidenten Martín Vizcarra
des Amtes zu entheben. Es kursierten Gerüchte, dass er
zwischen 2011 und 2014 als Gouverneur Bestechungsgelder
von einer Baufirma erhalten hätte. Im Raum stehen umgerechnet etwa 500.000
Euro. Vizcarra stritt die Vorwürfe ab. 105 von 130 Kongressabgeordneten
stimmten dennoch für die Entmachtung des Staatschefs. Was folgte, waren heftige
Proteste im gesamten Land. Bei Auseinandersetzungen mit der Polizei starben
mehrere Personen. Hunderte wurden verletzt. Die Bevölkerung stellte sich
zwischen Corona- und Wirtschaftskrise gegen die Übergangsregierung, die deshalb
nach nur fünf Tagen im Amt bereits wieder zurücktrat.

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Die Menschen gingen aber auch danach noch weiter auf die Straße, da sie im Amt
des Präsidenten ein Symbol für viele Missstände im Land sehen. Den letzten sieben
wird Korruption vorgeworfen.

Aber auch der Kongress ist nicht frei von diesem Laster. Gegen 68 der 130
peruanischen Kongressabgeordneten laufen aktuell Ermittlungen wegen
Bestechung, Veruntreuung und ähnlichen Delikten. Obwohl Peru eine starke
Wirtschaft innerhalb Lateinamerikas vorzuweisen hat und in den letzten Jahren
durchgehend gewachsen ist, kommt davon bei einem Großteil der Bevölkerung
wenig an. Vor allem die jungen Menschen streben nach Veränderung.

Malin berichtet von ihrer Arbeit in Peru

Malin Walter (20) aus Berlin war bis zu Beginn der
Pandemie in Peru tätig. Inzwischen studiert sie
internationale Beziehungen an der Universität Erfurt.
Hier hat sie ihre Erlebnisse für uns zusammengefasst.

Peru ist ein Land, welches man einfach nicht
zusammenfassen kann, da es so facettenreich ist. Der
ganze Auslandsaufenthalt war von Anfang bis Ende
immer für eine Überraschung gut. Das beste Beispiel
dafür ist die Arbeit im Frauenhaus, denn diese war
unvorhersehbar. Während Meike und ich jeden Morgen die 746 Stufen
hinaufstiegen, überlegten wir uns, wie heute der Plan aussehen würde und wann
wir wohl heute die Stufen wieder hinabsteigen werden. Aber man konnte einen
Tag im Frauenhaus einfach nicht planen. Immer, wenn wir uns sicher waren, dass
wir heute einen ganz normalen Tag vor uns haben, änderte sich dies, sobald wir
durch die Tür traten. An der Tür wurden wir mit lauten Rufen und vielen
Umarmungen von den Kindern begrüßt. Allein für diese Freude bin ich jeden
Morgen sehr gerne ins Frauenhaus gegangen. Auch die Mamas haben uns immer
mit vielen Besitos (Küsschen) und Umarmungen empfangen. Da es keinen
regelmäßigen Tagesrhythmus gab, haben wir uns jeden Tag eine Aufgabe gesucht.
Wir sind mit den Kindern zum Fußballplatz gelaufen, haben gemalt und gelesen,
haben den Mamas in der Küche geholfen, sie in die Stadt begleitet oder unseren
Englischunterricht vorbereitet. Hinzu kam noch unser Workshop „cocina alemana“
und der Boxkurs. Bei all diesen Aktivitäten hatten alle immer sehr viel Spaß, wir
haben viel gelacht und voneinander lernen können. Durch die Arbeit im
Frauenhaus bin ich sehr viel flexibler und spontaner geworden. Wer hätte gedacht,
dass man einen ganzen Kochworkshop quasi ohne Zutaten problemlos durchführen
kann. Durchstrukturieren und Planen bringen in Peru einfach nichts, da sich jeder
gemachte Plan in Sekunden einmal um 180 Grad drehen kann. Ich habe zudem
sehr viel über die peruanische und deutsche Küche gelernt, indem wir Gerichte mit
den Mamas gekocht haben, die ich vorher noch nie zubereitet habe.

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So schön all die Ausflüge waren, so viel schöner war es jedoch in unserem
Zuhause, Cusco, mit der stets vor uns liegenden, schönen Aussicht auf die Berge.
Genauso waren es die vielen Paraden und Feste mit singenden und tanzenden
Menschen in den Straßen; das Staunen über den Blick über die Stadt; das ständige
Ausschauhalten nach dem schneebedeckten Berg Ausangate. Mit der Zeit lernte
man mehr und mehr die Stadt und die Menschen kennen. So trafen wir auf dem
Weg zur Arbeit schon viele Bewohner, die uns freundlich grüßten und mit denen
wir ab und zu in eine kleine Unterhaltung gerieten. Auch in den Tiendas (kleinen
Läden) hatten wir irgendwann unsere Lieblingsmamitas gefunden, mit denen man
sich stets sehr gut unterhalten konnte. Das traf natürlich nicht nur auf die Läden
zu, sondern auch auf die Märkte, denn da freuten sich unsere Mamitas durchweg
sehr, wenn wir für unseren Einkauf vorbeikamen.

Da man am Anfang immer für einen Touristen gehalten wird, ist es umso schöner,
wenn man mit den Einheimischen auf peruanischem Spanisch reden und ihnen
erklären kann, dass man nun schon längere Zeit in der Stadt ist und auch noch ein
bisschen bleiben wird. Denn so wurde man von jedem gleich ganz anders
behandelt.

Neben der Arbeit im Frauenhaus hatten wir ab und zu die Möglichkeit, unserer
Chefin Ana María auf ihrem Feld zu helfen. Dieses Feld war nur durch eine Stunde
Laufen erreichbar und war somit eine sehr schöne Abwechslung zu dem Alltag in
der Stadt. Neben den Ausflügen auf das Feld trafen wir uns zum Frühstück bei ihr
oder fuhren mit ihr in die Nachbarorte. Ich hatte immer das Gefühl, dass es in
ihrem Interesse lag, dass wir so viel wie möglich von Peru kennenlernen. Das habe
ich sehr schätzen gelernt. Außerdem hat sie sich ausnahmslos um uns gekümmert,
vor allem in den letzten Wochen.

Genauso dankbar bin ich für die gute Betreuung von Seiten der Amntena. Wir
hatten viele Ansprechpartner, die stetig ein offenes Ohr für uns hatten. Susanne
Remmlinger war unsere Freiwilligenbetreuerin in Peru. Sie holte uns vom
Flughafen ab und begleitete uns in unseren ersten Stunden in Lateinamerika.
Susanne war für uns jederzeit erreichbar und stand uns mit Rat und Tat zur Seite;
ebenso Aglaja, unsere Freiwilligenbetreuerin auf deutscher Seite. Da sie bei den
Vorbereitungs- und Zwischenseminar mit dabei war, konnten wir von Anfang an
all unsere Fragen an sie stellen, was sehr hilfreich war.

Auch Kurt Wohnhas, erster Vorsitzender von Amntena e.V., leitete jedes Seminar
und erzählte uns viele Anekdoten. Er kümmerte sich um viele organisatorische
Dinge und half uns bei jeglichen Problemen vor und nach unserem Dienst.
Außerdem möchte ich meinen herzlichen Dank an alle Spenderinnen und Spendern
richten, die mir diese unglaubliche Zeit erst ermöglicht haben.

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Chile
Rückblick auf die Proteste in Chile 2019 sowie die darauffolgende
Abstimmung über eine Verfassungsreform im Herbst 2020

Esther Bammel aus Edenkoben hat ihren Freiwilligendienst bei
unserer Partnerorganisation Cristo Vive in Santiago de Chile
geleistet. Im Jahrgang 2016/17 hat sie in der Einrichtung für
Menschen mit Behinderung "Hogar dios con nosotros"
gearbeitet und ist auch während ihres Studiums der Sozialen
Arbeit für ein Praktikum bei Amnesty International erneut nach
Chile zurückgekehrt, kurz bevor die Proteste dort begannen,
von denen sie nun berichtet. Ihre Bachelorarbeit an der FH
Münster beschäftigt sich mit einer Aufführung chilenischer
Aktivistinnen ("Un violador en tu camino" der Gruppe „Las
Tesis“), die mit ihrer Performance gegen Vergewaltigung,
strukturelle Diskriminierung von Frauen und Straffreiheit demonstrieren.

Der 18. Oktober 2019 war ein historischer Tag für Chile. An diesem Tag begann
eine noch immer andauernde Welle von Protesten in großen Teilen der chilenischen
Bevölkerung gegen soziale Ungerechtigkeit. Der angekündigte Anstieg der U-
Bahn-Preise gepaart mit den jahrzehntelangen unwürdigen Verhältnissen im Land
ließen das Fass überlaufen. Zwischen dem 18. Oktober und dem 19. November
2019 gab es nach Angaben des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für
Menschenrechte 26 Tote während der Proteste - einige durch Schusswaffen der
Sicherheitskräfte - sowie tausende Verletzte.

Die Gründe für die Demonstrationen sind vielfältig. Viele der angeklagten
Verhältnisse können jedoch auf die veraltete Verfassung zurückgeführt werden,
die 1980 von dem Diktator Augusto Pinochet (1916-2006) verabschiedet wurde.
Auch wenn die Verfassung selbst nach der Diktatur immer wieder geändert wurde,
wurden die grundsätzlichen Probleme nicht aus dem Weg geräumt. Allgemein kann
gesagt werden, dass das neoliberale Wirtschaftssystem, das in der Verfassung
verankert ist, die Wirtschaft über die Rechte und Bedürfnisse der Menschen stellt
und der Staat kaum eingreifen darf. In Chile herrscht eine hohe Ungleichheit, die
in einigen Bereichen besonders stark zum Vorschein kommt.

Im Dezember 2019 schien der Präsident einzusehen, dass die Menschen sich nicht
wieder beruhigen würden. Sie würden die Ungerechtigkeiten nicht weiter
hinnehmen und darauf hoffen, dass die Politik schon ihr Bestes tun wird, um die
Lebensrealität vieler Chilenen und Chileninnen zu verbessern. Piñera kündigte
daher an, dass am 26. April 2020 ein Referendum stattfinden solle. Dabei sollten
die Chilenen und Chileninnen bestimmen, ob sie eine neue Verfassung wünschen
und wenn ja, wie diese entstehen soll.

                                       17
Anfang 2020 verschob die Regierung das Referendum aufgrund der Corona
Pandemie auf den 25. Oktober. Während die emigrierten Chilenen im Ausland ihre
Stimme – aufgrund der Zeitverschiebung – teilweise schon abgegeben hatten,
öffneten die Wahllokale in Chile am 25. Oktober um 8 Uhr morgens. Den ganzen
Tag lang wurde über das Referendum berichtet. Alle Fernsehkanäle waren live
zugeschaltet und man sah, wie die ersten Zettel aus den Boxen geholt wurden.
Auf einem Sender wurden die Zettel des reichen Viertels Vitacura und gleichzeitig
die des eher ärmeren Viertels Estación Central parallel übertragen. Die
Verhältnisse waren bei beiden ungefähr gleich: 70 zu 30. Bloß waren in Vitacura
70% gegen die Verfassungsänderung und in Estación Central 70% dafür. Im Laufe
des Abends kristallisierte sich jedoch letzteres Verhältnis im ganzen Land heraus
und so lautet das Endergebnis schließlich: 78,28% der Stimmen für die neue
Verfassung, 21,72% dagegen! Nur in fünf von 346 Kommunen gewannen die
Gegner der Verfassungsänderung. Dabei handelte es sich um die reichsten
Kommunen des Landes. In den Armenvierteln Renca und La Pintana, in denen auch
amntena Freiwillige und unsere Partnerorganisation Cristo Vive vor Ort präsent
sind, stimmten hingegen ca. 90% für die Verfassungsänderung.

Mit dem historischen Beschluss der Verfassungsänderung verbinden viele
Chileninnen und Chilenen die Hoffnung auf einen Schritt in Richtung mehr sozialer
Gerechtigkeit. Deshalb konnte auch die Corona Pandemie die Menschen nicht am
Feiern hindern. Schon in den Wahllokalen wurde gejubelt. Auf den Straßen wurde
gehupt und mit Fahnen geschwungen, gesungen, getanzt. Es wurden Feuerwerke
gezündet und bis spät in die Nacht gefeiert. Monatelang gaben die Chilenen und
Chileninnen nicht auf. Sie schreckten nicht zurück, als die Regierung die Polizei
und das Militär auf sie hetzte und versuchte, sie einzuschüchtern. Sie resignierten
nicht wegen der konstanten Beleidigungen der Politiker, denen es scheinbar
gleichgültig war, wie es dem Volk ginge. Hartnäckig stellten sie sich der vielfältigen
Gewalt und beharrten auf ihrem Recht auf Versammlung. Auch wenn die Aussicht
auf eine neue Verfassung ein historisches Erlebnis ist und Grund zum Feiern gibt,
sollen und werden die vielen Opfer des Kampfes für ein würdigeres Chile nicht
vergessen werden.

Madeleine berichtet von ihrer Arbeit in Chile

Madeleine Erdmann (20) aus Wolfach (Baden) war bis zu
Beginn der Pandemie in Chile tätig. Zurzeit arbeitet sie als
Rettungssanitäterin für das Rote Kreuz im Ortenaukreis. Hier
hat sie ihre Zeit in Chile für uns zusammengefasst.

Anfang August ging es ans andere Ende der Welt, in unser
neues zu Hause, Santiago de Chile. Nach einer langen Reise
wurden wir dann total herzlich von Helga begrüßt und danach
ging es direkt zu Schwester Karoline, die uns ebenfalls mit
offenen Armen empfing.

                                         18
Nach Kofferauspacken, Schnuppertagen im Kindergarten, Sprachschule und dem
Kennenlernen meiner Mitbewohnerinnen ging der Alltag auch schon los. Ich habe
mich dafür entschieden in der Sala mit den ältesten Kindern zu arbeiten. In der so
genannten „Transición“ sind Kinder zwischen vier und fünf Jahren, die im
kommenden Jahr eingeschult werden.

Langeweile kam mit dieser Gruppe nicht auf. Nach unserer Ankunft wurde gleich
mit den Vorbereitungen für den Nationalfeiertag im September begonnen, der in
Chile sehr groß gefeiert wird.

Im Oktober kamen dann zwar nur ganz wenige Kinder, doch trotzdem war es alles
andere als langweilig. Grund dafür waren die Proteste, welche am 18. Oktober
begonnen haben. Viele Eltern hatten daraufhin Angst, ihre Kinder aus dem Haus
gehen zu lassen. Die Stimmung im Kindergarten war bedrückt und auch wir in der
WG wussten nicht genau, wie wir mit der Situation umgehen sollten. Unser
Supermarkt wurde geplündert, das Militär fuhr durch die Straßen und ein
nahegelegenes Gebäude in unserem Viertel ist bei Protesten abgebrannt.

Während der Ausgangssperre durften wir das Haus nicht verlassen und fühlten uns
zum Teil in unseren eigenen vier Wänden nicht mehr sicher. In dieser Zeit wurden
wir sehr gut von unseren Tías, Helga und von amntena unterstützt. Immer wieder
fragten sie nach, wie es uns gehe, kamen bei uns zu Hause vorbei und gaben uns
Sicherheit. Nach ein paar Wochen beruhigte sich die Lage, allerdings hörten die
Proteste bis zu unserer Abreise nie auf.

Gleich nach den Weihnachtsfeiertagen gingen auch schon die Vorbereitungen der
„Despedida“ (der Verabschiedung der ältesten Kinder, die in die Schule kommen)
los. Es wurde viel geplant, gebastelt und geputzt. Die unmittelbaren
Vorbereitungen und die letzten paar Wochen mit meinen Kindern habe ich
allerdings verpasst, da es für mich und die anderen Amntena Freiwilligen im Januar
nach Peru zum Zwischenseminar ging. Gemeinsam mit allen Freiwilligen haben wir
das letzte halbe Jahr reflektiert. Es war echt interessant, sich mit den Freiwilligen
aus den anderen Ländern zu unterhalten und von ihren Erfahrungen und
Erlebnissen zu hören.

Im Februar, den Sommerferien im heißen Santiago, als die Kinder dann nicht mehr
da waren, hatten wir Zeit, ein Kleinprojekt in unserer Einrichtung durchzuführen.
Wir Freiwilligen im Kindergarten Renca beschlossen, mit Hilfe unserer
Mittbewohnerin Anne, ein bereits bestehendes Haus auf dem Innenhof des
Kindergartens zu einem Kaufladen umzugestalten. Wir haben es frisch gestrichen,
Regale eingebaut und Spielsachen darin platziert. Zudem haben wir Beete, die sich
ebenfalls auf dem Hof des Kindergartens befinden, bepflanzt.
Wir vier hatten bei der Durchführung des Projekts sehr viel Spaß und insgesamt
war unser Projekt ein voller Erfolg, worüber sich die Tías und vor allem die Kinder
sehr gefreut haben.

                                         19
Zwar haben wir stets neue Informationen über die Lage auf der ganzen Welt
bekommen, dennoch hat niemand damit gerechnet, dass wir unseren Dienst
abbrechen müssten. Zunächst waren wir alle am Boden zerstört und zutiefst
traurig, uns innerhalb von wenigen Tagen von unserer neuen Heimat und den
liebgewonnenen Menschen verabschieden zu müssen. Nach und nach kam dann
aber das Verständnis und die Einsicht, dass es so wahrscheinlich am besten für
uns alle ist. Nach rührendem Abschied von meiner Einrichtung, von Helga und
Schwester Karoline ging es für mich am 21. März wieder zurück nach Deutschland
und zu meiner Familie.

Es war im Endeffekt kein ganzes Jahr, aber ich habe in diesen acht Monaten super
viel gelernt, gesehen und entdeckt. Und es war die beste Entscheidung, ein solches
Abenteuer einzugehen. Ich bin unendlich dankbar, dass ich diese Erfahrung
machen durfte und dankbar für all die Menschen, die mich in diesem Jahr begleitet
haben. Dankbar bin ich auch gegenüber der Amntena, der Fundacion Cristo Vive,
meinen Spendern und all den Menschen, die mich in diesem Jahr begleitet haben.

                                       20
Bolivien
Die politische Situation in Bolivien sowie die Präsidentschaftswahlen
2019 und 2020

Lars Schacht war als Freiwilliger im Jahrgang 2017/18 in
der Landwirtschaftsschule in Cochabamba, Bolivien tätig.
Auch nach seiner Rückkehr aus Lateinamerika bleibt er
dem Kontinent verbunden und studiert in Bonn
Lateinamerikastudien, Politik und Gesellschaft.

Mit      der     öffentlichen    Berichterstattung    im
deutschsprachigen Raum über das Geschehen in
Lateinamerika ist es so eine Sache: Während die
gewaltsamen Proteste in Guatemala gegen die korrupte
Regierung, bei denen Teile des Parlaments in Brand
gesteckt und fast 50 Menschen ins Krankenhaus gebracht wurden, in der
Tagesschau nach weniger als zwei Minuten „abgefrühstückt“ waren, kamen
andererseits viele Smartphones angesichts unzähliger „Eilmeldungen“, die den Tod
eines argentinischen Fußballspielers verkündeten, gar nicht mehr zur Ruhe. Ein
weiteres Beispiel dafür, dass der südliche Teil des amerikanischen Kontinents
hierzulande für die meisten Menschen von äußerst geringem Interesse ist, wenn
es nicht gerade um Ballsportarten geht, zeigte sich innerhalb des letzten Jahres
am Beispiel Boliviens, das in diesem Zeitraum massive politische Umbrüche
durchlitt. Es ist bezeichnend, dass einer der längeren Videobeiträge des
öffentlichen Rundfunks zu diesem Thema ausgerechnet die Zukunft des
Wirtschaftsabkommens (bezüglich des Lithiumvorkommens im Salar de Uyuni)
zwischen der bolivianischen Regierung und einem süddeutschen Unternehmen in
den Fokus nimmt und damit die landesinterne Relevanz der politischen
Ausnahmesituation auf ein Minimum reduziert. Hierin zeigt sich der noch immer in
den Köpfen vieler Menschen verankerte Eurozentrismus und die anhaltende
Kolonialität, die im weiteren Verlauf dieses Textes, der die bolivianischen
Präsidentschaftswahlen      2019  und    2020    und   die   dazwischenliegende
Übergangsperiode thematisiert, immer wieder betont werden soll.

1. Die Ära Morales und die politische Ausgangssituation 2019

Ohne Betrachtung ihrer langen Vorgeschichte lassen sich die bolivianischen
Präsidentschaftswahlen im Jahre 2019 und die darauffolgenden Ereignisse kaum
verstehen. Bereits vor dem eigentlichen Stichtag am 20. Oktober 2019 war das
Land von einer inneren Spaltung in zwei Lager geprägt, die auf Konfliktlinien
zurückzuführen ist, die die äußerst heterogene Bevölkerung des Binnenstaats
schon seit der politischen Unabhängigkeit von Spanien im Jahre 1825 durchziehen.
Diese Polarisierung hatte sich mit der Regierungszeit der MAS-Partei (Movimiento
al Socialismo) unter dem Präsidenten Evo Morales Ayma noch weiter zugespitzt.
Als erster indigener Präsident Boliviens verfolgte er mit seiner Regierung ab 2006
                                       21
ein dekolonialistisches Programm, in dessen Rahmen zahlreiche innen- und
außenpolitische Veränderungen angestoßen wurden, auf die an dieser Stelle nur
exemplarisch eingegangen werden kann. So ließen sich ab 2006 unter anderem
eine erhebliche Stärkung der Rechte von Indigenen und eine deutliche Zunahme
der Wirtschaftskraft und Alphabetisierungsrate feststellen. Außerdem ging der
Anteil der Menschen unter der Armutsgrenze an der Gesamtbevölkerung weiter
zurück und es wurde ein Gesetz erlassen, das Kinderarbeit unter bestimmten
Bedingungen legalisierte . Außenpolitisch kam es seit 2006 zu einer ideologischen
Entfernung von den USA und damit einhergehend zum Rückgang der
wirtschaftlichen und politischen Einflussnahme        der Supermacht auf den
Andenstaat. Auf der anderen Seite wurden die Beziehungen nach Kuba, Venezuela,
Russland und China vertieft. Außerdem war 2018 ein Abkommen zwischen dem
baden-württembergischen Unternehmen ACI Systems und YLB, dem staatlichen
Lithiumunternehmen Boliviens, unterzeichnet worden, das eine massive
Ausbeutung des wertvollen Rohstoffes Lithium im Salar de Uyuni durch
ausländische Großunternehmen zu für Bolivien ungünstigen Bedingungen
verhindern sollte.

Trotz des progressiven Kurses der MAS-Regierung ist deren Amtszeit jedoch bei
weitem nicht nur positiv zu bewerten und man sollte sich hüten, in Lobeshymnen
auf ihre polarisierende Gallionsfigur Evo Morales zu verfallen, um den in den
vergangenen Jahren bei seinen Befürworter*innen ein regelrechter Personenkult
entstanden ist. Im Folgenden seien nur einige der kritischen Amtshandlungen
Morales und der MAS-Regierung angeführt. Dass zahlreiche Politiker*innen in
Lateinamerika in Hinblick auf Korruption keine allzu vorbildlichen Verhaltenen an
den Tag legen, ist kein Geheimnis. Wenige Staatsoberhäupter haben es in ihrer
Amtszeit jedoch durchgesetzt, ein neues Regierungsgebäude auf Staatskosten von
umgerechnet fast 30 Mio. € errichten zu lassen, das einen Privatbereich für den
Präsidenten enthält, der über eine Luxusausstattung jenseits aller
Verhältnismäßigkeiten verfügt. Das im Volksmund als „Evo-Tower“ bezeichnete
Hochhaus inmitten der Altstadt von La Paz bietet einen unübersehbaren Ausreißer
im Stadtbild des bolivianischen Regierungssitzes. Das für den Umzug noch
nachvollziehbare dekolonialistische Argument, der ehemalige Regierungspalast sei
durch seinen europäischen Architekturstil als Glorifizierung der Kolonialgeschichte
interpretierbar und somit antiindigenistisch, rechtfertigt andererseits wohl kaum
einen solchen Prunkbau wie den „Evo-Tower“. Neben zweifelhaften
Staatsausgaben sind es vor allem aber die Eingriffe in die bolivianische Verfassung,
die eine breite Angriffsfläche auf Morales und die MAS-Regierung bot und
Vorwürfe, Bolivien sei auf dem Weg in eine sozialistische Diktatur, aufkommen
ließ. Hatte die Verfassung auch eine wiederholte Wiederwahl des Duos
Morales/García Linera ausgeschlossen (Artikel 168), so konnte dieses Gesetz
dennoch durch eine Änderung im Jahre 2009 übergangen werden und ermöglichte
Morales und seinem Vizepräsidenten García Linera eine erneute Amtszeit bis 2019.
Trotz der Verfassungsänderung war jedoch eine anschließende vierte Amtszeit
weiterhin blockiert. Statt sich nun um eine passende politische Nachfolge zu
kümmern, konzentrierte sich die MAS darauf, eine erneute Verfassungsänderung
durchzusetzen, die Morales und García Linera bis 2025 im Amt halten sollte. Das
                                        22
dafür erforderliche Referendum wurde 2016 von der Bevölkerung mit absoluter,
wenn auch knapper Mehrheit abgelehnt, Ende 2018 jedoch mit Bezug auf die
Amerikanische Menschenrechtskonvention vom bolivianischen Verfassungsgericht
für ungültig erklärt, welches daraufhin Morales erneutes Antreten zur Wahl 2019
erlaubte. Zusätzlich zu den tief in der bolivianischen Bevölkerung verankerten
Konfliktlinien (bspw. Hochland/Tiefland, Stadt/Land, Indigene/Nichtindigene)
hatte sich der politische Konflikt zwischen Gegnern und Befürwortern der MAS-
Regierung vor den Präsidentschaftswahlen 2019 also zudem wegen der
polarisierenden Debatte um einen möglichen Demokratieabbau verschärft. Zutiefst
emotionalisiert rief dies teilweise Gewaltbereitschaft auf beiden Seiten hervor.

2. Die Präsidentschaftswahl am 20. Oktober 2019 und die politischen Unruhen
danach

Das bolivianische Wahlsystem sieht vor, dass Kandidat*innen die absolute
Mehrheit der Stimmen oder mindestens 40% der Stimmen und einen Vorsprung
von mindestens 10% auf den*die Zweitplatzierte*n haben müssen, um
Präsidentschaftswahlen im ersten Gang zu gewinnen. Bei der Wahl 2019 hatten
Prognosen im Vorhinein zwar von einer wahrscheinlichen Mehrheit der MAS
gesprochen, jedoch auch von einer großen Wahrscheinlichkeit dafür, dass die
Bedingungen für einen Wahlsieg im ersten Durchgang nicht erfüllt werden würden.
Als größten Konkurrenten für Morales bei einer möglichen Stichwahl wurde der
konservative Carlos Mesa von der Partei Comunidad Ciudadana (CC) mit Gustavo
Pedraza als Vizepräsidentschaftskandidat an seiner Seite prognostiziert. Da es
sicher schien, dass im Falle einer solchen Stichwahl vermutlich alle Anhänger der
Opposition gesammelt für Mesa stimmen würden, war es für die MAS von
ungemeinem Interesse, im ersten Wahldurchlauf den nötigen Anteil der Stimmen
zu erhalten.

Bei Veröffentlichung der Zwischenergebnisse, sah es zunächst nach 84%
ausgezählter Stimmen danach aus, dass die MAS nicht genügend Stimmen
erhalten würde, um eine Stichwahl zu verhindern. Anschließend an diese
Hochrechnung brach die Aktualisierung der Zwischenergebnisse für 23 Stunden
ab. Als am Abend des 21. Oktober die Übertragung erneut einsetzte, waren 95%
der Stimmen ausgezählt und der Abstand von Morales auf Mesa groß genug, um
aus dem ersten Wahldurchgang als siegreich hervorzugehen. Die Organisation
Amerikanischer Staaten (OAS), die die Wahl beobachten lassen hatte, fasste diese
drastische Änderung der Verhältnisse als Indizien für einen möglichen Wahlbetrug
auf, äußerte diese Befürchtungen öffentlich und appellierte an die Oberste
Wahlbehörde Boliviens. Daraufhin kam es in mehreren bolivianischen Städten zu
gewaltsamen Ausschreitungen unter den Anhängern der Opposition. In den
folgenden Tagen wurden mehrere Generalstreiks organisiert, bei denen es um die
Forderung einer Stichwahl zwischen Morales und Mesa ging. Nichtsdestotrotz
wurde Evo Morales am 25. Oktober von der Obersten Wahlbehörde mit 47% der
Stimmen zum Sieger im ersten Wahlgang erklärt. Mesa hatte mit 36,5% nicht
genügend Stimmen erhalten, um eine Stichwahl zu begründen. Trotz anhaltender

                                       23
Anschuldigungen des Wahlbetrugs von verschiedenen Seiten hatte sich das Duo
Morales/García Linera also im Amt halten können. Im Laufe der folgenden Wochen
rissen die gewaltsamen Proteste in verschieden Teilen des Landes nicht ab.
Insbesondere in Santa Cruz de la Sierra wurde weiterhin unter der Führung des
ultrarechten Luis Fernando Camacho (Leiter des Comité Cívico de Santa Cruz)
gewaltsam gegen den Wahlsieg Morales protestiert. In mehreren Städten kam es
außerdem zu Gegendemonstrationen der MAS-Anhänger*innen, zu denen die
Regierung teilweise aufgerufen hatte. Anfang November schlossen sich in Santa
Cruz, Cochabamba und Sucre Polizist*innen den Demonstrationen an, wogegen
das Militär auf Anordnung des Verteidigungsministers Javier Zavaleta (MAS)
jedoch vorerst nicht vorging.

Abschließend sei an dieser Stelle noch erwähnt, dass bis heute kein Beweis für
einen tatsächlichen Wahlbetrug vorgelegt werden konnte, weder seitens der OAS
noch aus anderer Quelle. Es handelt sich also nur um unbelegte Vorwürfe, die zu
den gewaltsamen Ausschreitungen nach der Wahl führten. Der Wandel hinsichtlich
der Stimmverteilung nach dem Abbruch der Ergebnisaktualisierung konnte aus
anderen Quellen schlüssig damit begründet werden, dass Hochburgen der MAS
schlichtweg später ausgezählt wurden als Landesteile mit hoher Konzentration an
Oppositionellen. Mehrere US-amerikanische Wissenschaftler*innen (von der
University of Pennsylvania, der Tulane University und dem Massachusetts Institute
of Technology) konnten mittlerweile unabhängig voneinander nachweisen, dass es
bei den bolivianischen Präsidentschaftswahlen 2019 keinen Wahlbetrug gab. Im
Gegenzug wurde die OAS (bisher folgenlos) der Mitverantwortung für das
politische Debakel beschuldigt.

3. Der Rücktritt Morales und die Selbsternennung der Interimspräsidentin

Die Proteste nach der Wahl hatten stetig an Intensität gewonnen. So wurden von
mehreren Anhängern der Opposition im weiteren Verlauf der Ausschreitungen
vielerorts Whipalas verbrannt und einige Polizist*innen entfernten sie von ihren
Uniformen. Dieses symbolische Verhalten -in der kolonialen Tradition von
Rassismus und Indigenenfeindlichkeit- rief heftigste Gegenreaktionen der MAS-
Anhänger*innen hervor. Am 10. November schließlich entzog in Anbetracht des
unhaltbaren Zustandes der beidseitigen Gewalt nach der Polizei nun auch das
Militär die Unterstützung für die MAS-Regierung unter Morales, woraufhin dieser
Neuwahlen zustimmte. Noch am Abend desselben Tages verkündete Morales
seinen Rücktritt. Dass der frisch wiedergewählte Präsident plötzlich auf die Idee
kam, freiwillig in der Provinz von Chimoré unter einer Abdeckplane auf einem
Feldbett zu nächtigen, um sich anschließend ins mexikanische Exil zu begeben, ist
unwahrscheinlich. Und tatsächlich hatte der „Rücktritt“ Morales nicht ohne Druck
des Militärs stattgefunden, was den Begriff des „Putsches“ ins Spiel brachte. Zwei
Tage danach ernannte sich Jeanine Áñez, die zweite Vizepräsidentin des Senats,
selbst als Interimspräsidentin zu Morales Nachfolgerin und formte eine
Übergangsregierung. Da alle verfassungsrechtlich Nachfolgenden zurückgetreten
waren, ließ die Verfassung offen, wer nun das Recht auf das Präsidentschaftsamt

                                       24
innehatte     und    Áñez    Selbsternennung        wurde    vom    bolivianischen
Verfassungsgericht akzeptiert. Die Tatsache, dass es sich bei den ersten
Gratulanten der neu ernannten Präsidentin um Donald Trump und Jair Bolsonaro
handelte, dürfte bei vielen die Alarmglocken zum Klingen gebracht haben. Und
tatsächlich verkörperte Áñez in vielerlei Hinsicht das exakte Gegenteil zu Morales:
Bei ihrem Einzug ins Regierungsgebäude verkündete sie, unter ihr würde „die Bibel
wieder in den Palast zurückgebracht werden“ und die angebliche indigene
Hegemonie beendet werden. Ihre indigenenfeindliche Haltung brachte sie in der
Vergangenheit in den sozialen Medien immer wieder zum Ausdruck. Die Amtszeit
von Jeanine Áñez sollte ursprünglich nur bis zu den verkündeten Neuwahlen nach
spätestens 90 Tagen andauern, umfasste letztlich aber ein knappes Jahr.

4. Die Übergangszeit unter Jeanine Áñez

Die Selbsternennung Áñez und die Flucht führender MAS-Politiker*innen nach
Mexiko hatte auf die Situation in Bolivien keinesfalls eine deeskalierende Wirkung.
Sah die vorher gewaltsam demonstrierende Opposition zwar ihre Forderungen
erfüllt und den Anreiz für weitere Protestaktionen somit nicht mehr gegeben,
waren es nun vor allem die MAS-Anhänger*innen, die auf die Straße gingen. In La
Paz und vor allem in El Alto, das einen besonders hohen Anteil an indigener
Bevölkerung aufweist, kam es durch errichtete Straßensperren zum Stillstand des
Verkehrs. Von Cochabamba aus versuchte ein Zusammenschluss zahlreicher
Gegner*innen der neuen Übergangsregierung, bis zum Regierungssitz La Paz zu
gelangen, um dort für die Rückkehr Morales ins Amt des Präsidenten zu
protestieren. Auf dem Weg kam es kurz hinter Cochabamba in der Stadt Sacaba
am 15. und 16. November zu einem regelrechten Massaker, bei dem neun
Menschen von Polizei und Militär erschossen und über 100 Menschen verletzt
wurden. Ein am Vortag von Áñez erlassenes Dekret, in dem sie das Militär
aufgefordert hatte, gegen die Demonstrierenden vorzugehen und die Einsatzkräfte
gleichzeitig vor anschließender Strafverfolgung befreit hatte, dürfte wesentlich zu
deren Einsatz von unverhältnismäßiger Gewalt beigetragen haben. Am 20.
November kam es in El Alto im Stadtteil Senkata zu einem weiteren Vorfall, bei
dem mehrere Menschen bei Protesten von Sicherheitskräften getötet und weitere
verletzt wurden. Schließlich wurde das Dekret vom 14. November, das die
Straffreiheit von Polizei und Militär gewährt hatte, am 28. November nach
anhaltender Kritik und Vorwürfen gegen Áñez schließlich zurückgenommen . Durch
die heftigen Eskalationen sah sich schließlich auch die UN dazu gezwungen, ins
politische Geschehen Boliviens einzugreifen und zwischen den polarisierten Lagern
zu vermitteln. Offensichtlich mit Erfolg: In den weiteren Wochen beruhigte sich die
politische Lage im gesamten Land allmählich und der Andenstaat verschwand
vorerst wieder aus dem Blickfeld des globalen Nordens.

Áñez Amtszeit war dennoch von einigen Handlungen und Ereignissen geprägt, die
teils eine klare Wende des politischen Kurses Boliviens darstellten. Hierbei ist vor
allem die Tatsache zu nennen, dass zahlreiche MAS-Politiker*innen (allen voran
Morales und García Linera) von der Übergangsregierung wegen verschiedener

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Straftaten angeklagt wurden - darunter Korruption und Verbrechen gegen die
Menschlichkeit. Die New York Times beispielsweise fasste die Verfolgung und
Inhaftierung von Morales-Anhänger*innen als Methode auf, ihre Macht zu erhalten
und Dissens zu unterdrücken. Dass es Morales und García Linera bei ihrer
eventuellen Rückkehr nach Bolivien nicht erlaubt sein würde, erneut als Präsident
und Vizepräsident zu kandidieren, wurde ausdrücklich klargestellt. Insbesondere
kurz nach Áñez Selbsternennung zur Interimspräsidentin, aber auch noch in den
Monaten danach, ließ sich eine erhöhte Militär- und Polizeipräsenz im Alltag und
(wie Reporter ohne Grenzen berichtete) Angriffe auf die Pressefreiheit feststellen.
Wirtschaftspolitisch lassen sich einerseits Steuersenkungen für große
Unternehmungen nennen und (für Deutschland interessant) das Kündigen des
Abkommens mit ACI Systems. Außerdem problematisierte Áñez den großen
„ausländischen Einfluss“ in Bolivien: vor allem die Anwesenheit venezolanischer
Geflüchteter im Land wurde kritisiert. Auch distanzierte sich die Interimsregierung
von Ländern, die - wie zuvor auch Bolivien - eine antiimperialistische Ideologie
angehangen hatten. So wurden beispielsweise die Botschaften in Nicaragua und
Iran aus finanziellen Gründen geschlossen und die vorher guten Beziehungen zu
Kuba und Venezuela so gut wie eingestellt, während das Verhältnis zu den USA
verbessert wurde. Im Umgang mit der Corona-Pandemie reagierte Áñez mit
strengen Maßnahmen, die anfangs durchaus Erfolg brachten. So konnte eine
Eskalation der Krise in Bolivien im Vergleich zu den Nachbarländern deutlich länger
hinausgezögert werden, auch wenn die Verbreitungsgeschwindigkeit und
Sterberate später auch in Bolivien extreme Ausmaße annahm.

Bevor abschließend auf die Wiederholung der Präsidentschaftswahlen am 18.
Oktober eingegangen wird, soll nicht unerwähnt bleiben, dass die ursprünglich auf
Januar angesetzten Neuwahlen bald auf März und dann auf Mai verschoben
wurden. Wegen der Corona-Pandemie wurde die Wahl anschließend noch einmal
auf unbestimmte Zeit nach hinten verlegt. Erst Ende September kündigte Áñez
ihren endgültigen Rücktritt an. Von vielen MAS-Anhängern wurde die wiederholte
Wahlverschiebung scharf kritisiert       und Áñez wurde vorgeworfen, ihre
Interimspräsidentschaft in die Länge zu ziehen. Auch ihre zwischenzeitliche
Kandidatur für die Wahlen 2020 wurde von vielen Seiten negativ bewertet, hatte
sie doch im Januar noch mehrmals beteuert, sich nicht als Kandidatin aufstellen
zu lassen. Lautstark geäußerte Bedenken aus verschiedenen politischen
Richtungen, die Neutralität der von ihr organisierten Neuwahlen würde dadurch
gefährdet und die Glaubwürdigkeit Boliviens im Ausland Schaden nehmen,
brachten Áñez schließlich im September dazu, sich aus dem Wahlkampf
zurückzuziehen. Zuvor hatte sie sich wiedermalig deutlich gegen die MAS-Partei
positioniert und an die Opposition appelliert, gesammelt gegen deren
Spitzenkandidaten Luis Arce zu stimmen.

5. Die Präsidentschaftswahl am 18. Oktober 2020 und ein Blick in die Zukunft

In Anbetracht der vorangegangenen Ereignisse, die die bolivianische Demokratie
nicht  gerade    im   besten  Licht  hatten    stehen     lassen,   stand  die

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