KULTURBRIEF Buchhandlung Breuer & Sohn - APRIL 2022

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KULTURBRIEF Buchhandlung Breuer & Sohn - APRIL 2022
KULTURBRIEF
Buchhandlung Breuer & Sohn

  A P R I L    2 0 2 2
KULTURBRIEF Buchhandlung Breuer & Sohn - APRIL 2022
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  Konzert-
  Highlights
  2022.

             18.3
                 0                             18
                                                              19.30
   24
    PR
                                               MAI
    A

STADTKIRCHE BAYREUTH                STADTKIRCHE BAYREUTH

Orgelkonzert                        Tenebrae Choir.
Viktor Lukas.                       FASZINIERENDE CHORMUSIK
                                    AUS ENGLAND
WERKE AUS BAROCK UND ROMANTIK

                                                                      19.30
                     21                                 25I
                     MAI                                MA
                           19.3
                                0

REICHSHOF KULTURBÜHNE               MARKGRÄFLICHES OPERNHAUS

Beethoven!                          Sheridan Ensemble.
The Next Level.                     THE BEST IN MUSIC

MUSIK, TANZ, WAHNSINN
KULTURBRIEF Buchhandlung Breuer & Sohn - APRIL 2022
PRÄLUDIUM
    Nachrichten aus einem Kulturland
                                von
                            Frank Piontek

In gewissem Sinn ist die neue Ausgabe des Kulturbriefs aus Bayreuth,
 den Umständen entsprechend, eine Sonderausgabe. Wir mussten
nicht lange suchen, um die Ukraine in den verschiedensten Bereichen
zu entdecken: in der Reihe Das neue Album widmen wir uns einem Bay-
reuther Konzert des Ukrainischen Jugendsinfonieorchesters, das Gute
Buch bietet seelische Hilfestellungen, die Bibliothek, die wir besucht
haben, ist das Ergebnis von Vertreibungen, die den Bogen vom 2. Welt-
krieg zur Gegenwart schlagen, wir gehen in eine ukrainische Küche,
und der Musiker, der hier war, ist ein Mann aus einer jener Städte, die
gerade angegriffen und beschossen werden. Man könnte nun fragen,
welchen Stellenwert die friedliche Kultur in diesen Zeiten noch hat.

Die Antwort ist einfach: Sie zeigt uns, dass sie das einzige Mittel ist,
um weltweit miteinander auszukommen. Kultur ist kein Luxus, son-
dern die Essenz, die das und die Leben nicht allein reicher macht. Sie
ist, zusammen mit den nötigen Verwandtschafts- und Liebesbezie-
hungen, genau jenes völkerverbindende Element, das, über Sprach-,
Mentalitäts- und Systemgrenzen hinweg, den Frieden nicht allein sym-
bolisiert, sondern ist: in der Musik, der Sprache, auch der Kulinarik.

Nein, ein Konzert verhindert keinen Krieg, aber es vermag uns,
wenn‘s glückt, dafür zu sensibilisieren, dass Konflikte dort keine Kraft
mehr haben, sich zu Kriegen zu entwickeln, wo gespielt, geschrieben,
geredet – und gut gegessen wird. Nicht allein in Osteuropa, auch
bei uns, den befreundeten Russen, Chinesen, Franzosen, Amerikanern
und allen anderen Nationen, die uns so etwas Luxuriöses und Selbst-
verständliches wie Bücher, Kompositionen, Gemälde und sonstige
Spielarten der Zivilisation hinterließen.

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„Ein starker Gedanke
teilt auch dem,
der anderer Meinung ist,
von seiner Kraft
etwas mit.“

         Marcel Proust
KULTURBRIEF Buchhandlung Breuer & Sohn - APRIL 2022
Inhalt
                                     Ausgabe
                                      N°15

        PRÄLUDIUM3
        BAYREUTH LEUCHTET         6
        NAIS VOM HEINER           7
        IM BILDE                  8
        HAIKU8
        AUS BAYREUTHS KÜCHEN      9
        DAS NEUE BUCH            10
        WAR HIER                 12
        HEIMATLICHES13
        ABSCHWEIFUNGEN16
        BAYREUTHER FESTSPIELE    18
        FESTKULTUR21
        DAS NEUE ALBUM           23
        HINTER DEN KULISSEN      24
        AUSSTELLUNGEN26
        BIBLIOTHEKEN28
        GESCHICHTEN AUS DEM WALD 31
        VOM GRÜNEN HÜGEL         32
        KULTURTERMINE            34

                              VIELEN DANK!
        Wir danken unseren Mäzenen für ihr Engagement.
          Durch Sie wird der Kulturbrief erst möglich.

                               UNTERNEHMEN

Alexander von Humboldt Kulturforum Schloss Goldkronach e.V., Friedrichsforum
Bayreuth, Kanzlei Treibert, Kunstmuseum Bayreuth, Musica Bayreuth Orgelwoche
 Bayreuth e. V., Stadtbibliothek Bayreuth, Stiftung Verbundenheit mit den Deut-
schen im Ausland, Osterfestival - Kultur- und Sozialstiftung Internationale Junge
                  Orchesterakademie, Zahnärzte am Opernhaus
                              PRIVATPERSONEN
             Angelika Beck, Wolfgang Hammon, Gudrun Hartmann,
           Irmintraut Jasorka, Dr. Dieter Schweingel, Raymond Tholl

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BAYREUTH LEUCHTET
                       Kultureller Beistand

L  esen gegen das Fehlen von Worten – so hieß das literarische Programm, mit dem die
   Studiobühne Bayreuth ihre Solidarität bekundete: mit Texten ukrainischer, russi-
scher und polnischer Autorinnen und Autoren, auch einer Theater-Szene von Karl Va-
lentin. „Angesichts des Krieges und des dadurch hervorgerufenen Leids der Menschen
in der Ukraine versuchen wir“, hieß es, „mit einem Lese-Abend unserer Sprachlosig-
keit mit literarischen Texten zu begegnen“. Gingen die Spenden in diesem Fall an die
studentische Initiative Ukrainehilfe UBT, so sang der von Barbara Baier gegründete
und geleitetet Zamir-Chor einige Werke der ukrainischen Komponisten in der Schloss-
kirche: für die humanitäre Brücke Oberfranken-Transkarpatien/Ukraine. Отлично
– gut so!

                           In naher Zukunft

D   as Bayreuther Osterfestival ist wieder da! Nach zwei Pausenjahren wird es uns mit
    mehreren Konzerten erfreuen, u.a. mit der wunderbar sensiblen Pianistin Alexandra
Mikulska. Eröffnet wird das Festival am Karfreitag durch ein seltenes Oratorium in der
Bayreuther Stadtkirche: Johann Balthasar Kehls Die Pillgrimme auf Golgatha. Hoffen
wir, dass wieder viele Musikfreunde in das Opernhaus und zu Steingraeber pilgern
werden.

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NAIS VOM HEINER
         Stellda vor
                von
         Reinhold Hartmann

 S   tell da vor, wenn alla Leit
     lebertn ganz ohne Streit
 tätn sich mitnander freia
 und net lauter Zwietracht streia.
 Stell da vor, dass alla Dooch,
 aana soochd, dass er Diech mooch
 und Dir net auf die Goschn haut
 host mol widder wos versaut.
 Stell da vor, Dei Nochber kummt
 auf Besuch und kaaner brummt
 bringt an Kung miet und Kaffee
 no des wär doch werkli schee.
 Stell da vor, dass auf der Welt
 ka aanziger Schuss mehr fällt
 stott Weltkriech tät des wohl im Lebn
 werkli bloß nuch Moßkriech gebn.
 Stell da vor, es werd net glong
 a jeder tät die Wohrheit song
 Kerng, Politik und Schul,
 kaaner liecht, des wär ja cool.
 Stell da vor, auf dera Welt
 hätt a jeds genügend Geld
 kännt Essn und zum Oziehng kaafn
 und missert net zur Toofl laafn.
 Stell da vor, bei Jung und Alt
 geberts an Zusammenhalt
 jeds hilft na andern ieberoll
 des wenn so wär, no des wär toll..
 Stell da vor, sowos täts gebn,
 und mir tätns nuch derlebn
 irchendwie wär des doch schee,
 helfma zamm, dann werds aa geh.

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IM BILDE

         Wo ist das zu finden?

           HAIKU

     Was noch bleibt
mit 90 Jahren ..... vergiss es
   erwarte den Frühling
    Abe Midorijo (1886 - 1980)

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AUS BAYREUTHS KÜCHEN
Vegetarischer Borschtsch aus der Ukraine
                                 von
                             Frank Piontek

   Zutaten für 6 Personen

   2 geschälte Rote Beete in kleinen Streifen. 4 Möhren in Scheiben.
   700 g Weißkohl in Streifen. 4 große gewürfelte Kartoffeln. 1 kleines
   Stück Sellerieknolle in kleinen Würfeln. 2 gepresste Knoblauchzehen.
   1 gewürfelte Gemüsezwiebel. 2 Lorbeerblätter. 2 EL gehackte Peter-
   silie. 4 EL Tomatenmark. 1,25 l Gemüsebrühe. Salz. 10 schwarze
   Pfefferkörner. Olivenöl. 250 ml Saure Sahne. 1 EL Zitronensaft.

   So geht‘s:
   Öl in einer Pfanne erhitzen. Sellerie und Rote Beete darin anschwit-
   zen, dann aus der Pfanne nehmen. In neuem Öl die Gemüsezwiebel
   und den Knoblauch anbraten. Die Kartoffelwürfel dazu geben und
   leicht anbraten. Brühe dazu gießen und zum Kochen bringen. Das
   restliche Gemüse, die Pfefferkörner, das Tomatenmark und das Lor-
   beerblatt hinein geben, ca. 20 Minuten köcheln lassen. Dabei mehr-
   mals umrühren. Mit Salz abschmecken. Während des Kochens die
   Saure Sahne mit dem Zitronensaft verrühren und ziehen lassen. Das
   Ganze wird schließlich mit (weißem oder anderem) Brot und der
   Sahne serviert.
   Fertig ist die ukrainische Nationalsuppe – guten Appetit!

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D AA SS GG U
         D          U TT EE BB U
                               U CC HH
           Handwaffenbüchlein
                            von
                      Benjamin Breuer

Die unbändige Flut an Nachrichten über zahlreiche unter-
schiedliche Kanäle überschwemmt uns. Es sind Nachrichten,
die teilweise sehr wichtig für uns sind und die uns persönlich
betreffen. Und es sind Informationen, die überhaupt nichts
mit unserem Leben oder mit unserem Umfeld zu tun haben.
Informationen, die vor allem von den wichtigen Dingen ab-
lenken. Letztere sind nicht nur überflüssig, sondern können
uns schaden. Dem Einzelnen genauso wie der ganzen Gesell-
schaft. Denn wenn wir aufgrund unwichtiger Nachrichten
das Bedeutsame aus dem Auge verlieren, ist keinem gehol-
fen. Was also tun? Es ist ja nicht so, dass wir nicht die Wahl
hätten. Jeder von uns kann das Radio abschalten, kann die
Newsticker ausblenden und die Online-Zeitungen ungeöff-
net lassen, vor allem die sozialen Medien ignorieren. Nichts
einfacher als das, möchte man meinen. Aber so ist es nicht.
Der Nachrichtenwahn ist stark geworden. Es handelt sich fak-

                              10
tisch um eine Abhängigkeit. Es ist wie mit dem Pawlowschen
            Hund. Sobald die Glocke klingelt, entsteht der unbedingte
            Drang nach Nachrichtenfutter. Diese Konditionierung hat
            dazu geführt, dass wir uns durch Neuigkeiten tatsächlich be-
            lohnt fühlen. Auch wenn Sie grausam und fürchterlich sind.
            Die Verhaltensanalyse hat diesen Prozess ausführlich bewie-
            sen. Die Abhängigkeit von diesen Nachrichten hat aber zur
            Konsequenz, dass wir nicht mehr unterscheiden zwischen
            dem, was uns betrifft, und dem, was für unser Leben völlig
            unerheblich ist. Diese Differenzierung aber ist wichtig. Nur
            wenn wir sie wahrnehmen, ist es möglich, dass wir uns auf
            Dinge konzentrieren, die wir beeinflussen können. Gerade
            jetzt ist dieser Fokus essentiell. Will man anderen Menschen
            eine Hilfe sein, muss man selbst gefestigt sein, stark, einen
            langen Atem haben, sonst wird die Hilfe schnell verpuffen.
            Es gibt einen Philosophen, der uns dabei ein wenig helfen
            kann. Epiktet. Er lebte, griechischen Ursprungs, kurz nach
            Christus in Rom. Sein kleines Werk Encheiridion ist in einer
            wunderschönen Ausgabe in der Bibliothek der Weltweisheit
            erschienen. Die folgende Erklärung findet sich hier im An-
            hand: „Der griechische Titel ist absichtlich doppeldeutig. Er
            bedeutet Handbüchlein, das man stets zur Hand haben muss,
            um ein erfülltes, glückliches Leben im Sinne der stoischen
            Philosophie führen zu können, und Handwaffe, mit der man
            sich in jeder Lebenssituation gegen Gefährdungen erfolgreich
            verteidigen kann.“ Diese Abwehr gegen die Verunsicherung
            kann uns und denen, die uns jetzt brauchen, nur recht sein.

               T I TD EALSI LGLUUTSET R
                                      BAU TCIHO N
High noon an einem Sonntag in Bayreuth. Während die Eingeborenen alle beim Klöß
-Essen sitzen, durchqueren völlig unbemerkt zwei weltberühmte Persönlichkeiten,
nämlich Phileas Fogg und sein Diener Jean Passepartout, auf ihrer Reise in 80 Tagen
um die Welt Bayreuth. Wegen der miserablen Bahnanbindung waren sie auf einen
Eselskarren angewiesen, mit dem sie aber wesentlich schneller vorankamen als mit
den öffentlichen Verkehrsmitteln. Zeichnung: Matthias Ose

                                         11
WAR HIER
                           Joseph Rubinstein
                                          von
                                      Frank Piontek

„I  ch bin Jude − hiermit ist für Sie alles
    gesagt“. Mit diesen Worten kündigte
sich ein Mann in Tribschen an, der zu den
                                                   nicht miterleben, weil ihn seine psychi-
                                                   sche Empfindlichkeit daran hinderte, ob-
                                                   wohl ihn Wagner sehr schätzte. 1877 trat
tragischsten Gestalten in Wagners Um-              Rubinstein wieder auf Wagner zu, der
kreis gehörte. Geboren wurde er 1847               ihn bald als Hauspianist engagierte, doch
in Starokostjantyniw, dem ukrainischen             blieben Probleme nicht aus, weil Wagner
Teil des damaligen Zarenreichs. Sein               und seine Frau gelegentlich die angebli-
Vater lebte später in Charkiw, er selbst           che Unvereinbarkeit des jüdischen und
hat seit 1858 in Mitteleuropa gewirkt:             des deutschen „Wesens“ zur Sprache
zunächst in Wien und Salzburg, dann                brachten. Dennoch müssen die letzten
in Bayreuth, wo Joseph Rubinstein sich             Jahre für den Musiker, der auch durch
zu den „Prinzipien des Meisters von Bay-           die Bearbeitung einiger Wagner-Werke
reuth“ bekannte, indem er in die „Nibe-            Unsterblichkeit errang, die glücklichs-
lungenkanzlei“ eintrat. Bis 1876 gehörte           ten gewesen sein, weil die Spannungen
er zu den jungen Leuten, deren Arbeit              letzten Endes unwichtiger waren als die
als Assistenten der ersten Bayreuther              fruchtbaren Begegnungen in Gespräch
Festspiele unverzichtbar war. Rubinstein           und Musik. 16 Monate nach dem Tod
hatte Fähigkeiten, die über das Korrepe-           seines Herren brachte er sich um – umso
tieren und Notenkopieren hinausgingen:             bewegender, dass Cosima Wagner seine
als Konzertpianist sollte er noch Jahre            sterblichen Überreste auf dem Jüdischen
später Lorbeeren einsammeln. Die Eröff-            Friedhof in Bayreuth begraben ließ.
nung der Festspiele konnte er trotzdem

                                              12
HEIMATLICHES
              Die Weidenberger Bahrschilder
                                           von
                                      Adrian Roßner

D    ie Weidenberger Kirche St. Michael
     gilt vollends zurecht als Prunkstück
des markgräflichen Barockstils. Besuchern
                                                    konnte: Die „Zünfte“ waren geboren.
                                                    Neben den bekannten Vereinigungen, die
                                                    in großen wie auch in kleinen Städten die
jedoch, die das monumentale Bauwerk                 Bäcker, die Müller oder landwirtschaft-
besichtigen und sich vom himmlischen                lich orientierte Handwerksberufe wie
Prunk auf der (zur Erbauungszeit recht              Wagner zusammenfassten, organisierten
kärglichen) Erde ablenken lassen, entge-            sich – je nach Anzahl – mancherorts auch
hen zwei kleine ovale Scheiben, die sich            die Schmiede in einer entsprechenden Ei-
links und rechts der inneren Eingangstür            nung. In Weidenberg lässt sich eine sol-
befinden und auf ein vergangenes Kapitel            che Institution bereits seit 1688 nachwei-
der Lokalgeschichte verweisen.                      sen, was darauf schließen lässt, dass ihre
Schon im Mittelalter hatte eine wahre               Traditionen weit zurückreichen müssen.
„Verstädterung“ auch unserer Region ein-            Tatsächlich gilt die These, derzufolge die
gesetzt, die zur Folge hatte, dass sich die         namensgebenden Herren von Weiden-
bis dato meist landwirtschaftlich geprägte          berg als Lokatoren und auch als Über-
Gesellschaft tiefgreifend veränderte. Aus           wacher einer seit dem Hochmittelalter
den Bauern, die meist auf verlehnten Hö-            betriebenen Suche nach Erzen fungierten,
fen arbeiteten und viele Produkte des tägli-        als gesichert. Urkundlich fassbar wird der
chen Lebens selbst herstellten, hatten sich         Bergbau zwar erst 1466, entwickelte sich
Handwerker entwickelt, die immer öfter              dann jedoch innerhalb kürzester Zeit zur
in die größeren Siedlungen zogen, um                gewinnbringenden         Wirtschaftsmacht:
dort den in der Entwicklung befindlichen            Schon 1450 war eine Berggesellschaft ge-
„Markt“ zu bedienen. Daraus entstand –              gründet worden, um die Fördermengen
vollends logisch für dieses frühkapitalis-          zu steigern. Rund um den Ort hatten
tische System – eine gewisse Konkurrenz             sich davon ausgehend nicht allein Zechen
zwischen den einzelnen Anbietern, die               und Bergwerke entwickelt, sondern es war
beispielsweise versuchten, einander durch           eine Art „kleines Ruhrgebiet“ entstanden,
günstiger hergestellte Waren auszubooten.           in dem auf relativ engem Raum die Ver-
Die damit einhergehende Qualitätsmin-               arbeitung der abgebauten Rohstoffe di-
derung nötigte schon bald dazu, die Her-            rekt vor Ort geschehen konnte. Von den
steller in einer Organisation zu vereinen,          Gruben mit recht bildhaften Namen wie
die sich zum einen um die Wahrung ihrer             „Reiche Zeche“ oder „Beschertes Glück“
Rechte kümmerte, zum anderen jedoch                 kamen die Erze in die produzierenden
dafür sorgte, dass eine gewisse Fairness im         Betriebe, „darunter drey Waffenhämmer,
Vertrieb der Waren sichergestellt werden            von denen zwey zur Oberpfalz gehören

                                               13
Anzeige

2 8 .              B A Y R E U T H E R                                 O S T E R F E S T I V A L

15. April
                                                                                   Tickets
                                                                                   bei den örtlichen Vorverkaufsstellen:
                                                                                   Steingraeber & Söhne, Theaterkasse Bayreuth
                                                                                   und Kultur- und Sozialstiftung IJOA (tickets@ijoa.de)

– 1. Mai
                                                                                   sowie online unter www.eventim.de

2022

                                                                                                                                           Fotos: © Bayerische Schlösserverwaltung (Foto: Feuerpfeil Verlag, Bayreuth)
Karfreitag,
15. April, 17 Uhr
Stadtkirche Bayreuth
                                                                                      HIGH
ERÖFFNUNGS-                                                                           LIGHT
KONZERT
Johann Balthasar Kehl:
„Die Pillgrimme auf Golgatha“
Stadtkantorei Bayreuth &
Neue Nürnberger Ratsmusik                                 FESTIVAL
Solisten: Mi-Seon Kim (Sopran),
Yvonne Berg (Alt), Reiner Geißdörfer
(Tenor), Michael Kranebitter (Bass)
                                                           BRASS
Leitung: Michael Dorn                                        Sonntag, 1. Mai, 19:30 Uhr
                                                             Markgräfliches Opernhaus
Karsamstag, 16. April,                                              Bayreuth
11 Uhr, Kammermusiksaal,
Steingraeber & Söhne                                           Austrian Brass Consort
                                                               „Der Tag eines Königs“
M ATI N É E I                                                Leitung: Prof. Erich Rinner
Katharina und Anouchka Hack
(Klavier und Cello), mit Werken von
Beethoven, Debussy und Brahms

Samstag, 23. April,
11 Uhr, Kammermusiksaal,
Steingraeber & Söhne
                                       Die Kultur- und Sozialstiftung bereichert
                                                                                      BAYREUTHER
M ATI N É E I I                        das Kulturangebot in Bayreuth und              OSTERFESTIVAL
                                       hilft kranken Kindern in der Region.
Chopin im Rausch des Tanzes
Aleksandra Mikulska (Klavier)          Intendant: Prof. Dr. Ulrich S. Schubert         www.osterfestival.de

 Partnerhotel des Bayreuther
     Osterfestivals 2022

                                                                                      BAYREUTHER
                                                                                      OSTERFESTIVAL
[und deren][…] Arbeiten auf Märkte und
Messen geschickt und von In- und Aus-
ländern aus fernen Gegenden abgeholt
werden“, wie Johann Michael Füssel in
seinem Tagebuch schreibt. Diese soge-
nannten „Schrötelhämmer“ (Hammer-
werke zum Zerkleinern des Erzes vor dem
eigentlichen Schmelz-Vorgang) stecken             zu rechnen, sofern ein Mitglied Gott läs-
noch heute in vielen Ortsnamen wie                terte oder sich despektierlich über einen
„Rosenhammer“ und dienten daneben                 seiner Brüder äußerte, ohne Beweise für
als Vorlage für unzählige Sagen, in denen         seine Beschuldigungen vorweisen zu kön-
sich die „Schröteler“ den ein oder ande-          nen. Als Ehre jedoch galt es den Meistern,
ren Scherz mit den neuen Bewohnern                wenn ihnen bei der Beerdigung von den
ihrer alten Mühlen erlaubten. Mit Auf-            übrigen Mitgliedern der Zunft das Geleit
kommen der weiterverarbeitenden Berufe            gegeben wurde, wodurch auch die omi-
und der relativ schnell eintretenden „Sät-        nösen Tafeln in der Weidenberger Micha-
tigung“ des Marktes wurde schon bald              els-Kirche ihren wahren Sinn enthüllen.
eine Spezialisierung auf einzelne Produkte        Es handelt sich dabei um „Bahrschilder“,
notwendig: So etablierten sich neben den          die man bei Beerdigungen entweder di-
Hufschmieden auch die Nagel-, Ringel-             rekt am Sarg des verstorbenen Meisters
und Sägschmiede, die sich in Weidenberg           oder aber an einem „Bahrtuch“, das ihn
(wo sich noch Ende des 18. Jahrhunderts           bedeckte, befestigte. Interessant sind in
15 solcher Handwerker nachweisen las-             diesem Zusammenhang in erster Linie die
sen) in einer entsprechenden Zunft zu-            beiden unterschiedlichen Ausführungen:
sammenschlossen. Ausschlaggebend für              Während das eine Schild die in der Zunft
diese Form der Organisation waren neben           vereinten Schmiedeberufe aufführt, zeigt
der bereits erwähnten Sicherstellung des          das andere, dominiert von den beiden
fairen Wettbewerbs untereinander auch             herrschaftlichen Löwen, die jeweiligen
die Festschreibung der Gesellen-Ausbil-           Symbole wie Wagenrad, Säge und Gür-
dung, die Dauer der Lehrzeit und – meist          telschnalle. Es darf davon ausgegangen
vergessen – starke Auswirkungen auf das           werden, dass einst mehrere dieser Schilder
Privatleben der Mitglieder. Wer Teil einer        existierten (auch für andere Zünfte, wie
Zunft werden wollte, musste nicht allein          die Bäcker), wovon sich jedoch vermut-
über das notwendige Kapital verfügen,             lich keine mehr erhalten haben. Insofern
mit dem die Eignung ihre Geschäfte be-            bieten diese beiden, wenngleich unschein-
trieb und das notfalls unschuldig verarm-         baren Objekte einen beeindruckenden
ten Kameraden zur Verfügung gestellt              Blick in die Vergangenheit nicht allein
wurde, sondern sich auch den Gepflogen-           Weidenbergs, sondern der gesamten Re-
heiten und Regeln unterwerfen. So war             gion und weisen zudem auch auf die Ge-
mit einer Anzeige aus den eigenen Reihen          sellschaftsformen unserer Vorfahren hin.

                                             15
AD
           BA S HGWUETI EF UB NUGCEHN
             SC
Der Weg der leeren Hand - Budō-Karate
                                 von
                          Misahi Musamoto

    Mit Karate assoziiert der Laie große starke Männer in weißen
    Anzügen, die dicke Bretter durchschlagen und dieselben vor
    dem Kopf zu haben scheinen. Bessere Schlägertypen eben. Inte-
    ressierte halten Karate für einen Kampfsport, bei dem sie neben
    der Möglichkeit, sich zu wehren, vor allem Fitness und Muckis
    im Fokus haben. Beides sind Teile des Karate und doch haben
    Sie mit Karatedo (Do = Weg), dem Wesen der ursprünglichen
    Kampfkunst, des Budo, sehr wenig bis gar nichts gemein. In
    seinem Ursprungsort, Japans südlichster Präfektur Okinawa,
    dem ehemaligen Königreich Ryūkyū, ist Karate aus der Not-
    wendigkeit der Clans entstanden, sich gegen die Samurai ohne
    die Hilfe von Schwertern zu wehren. Das Tragen von Schwer-
    tern war von der Obrigkeit über Jahrhunderte verboten und
    so entwickelten sich Techniken zur Selbstverteidigung, die in
    den verschiedenen Karatestilen aufgingen. Mithilfe dieser Stile
    war es tatsächlich möglich, völlig unbewaffnet einem Schwert-
    träger Paroli zu bieten und das bei sehr guten Gewinnchancen.
    Das ist lange her und bekannt ist heutzutage vor allem der Stil

                                  16
Shotokan des großen Meisters Gichin Funakoshi, der maßgeblich für
die Verbreitung der Kampfkunst auf der ganzen Welt verantwortlich
war. Dabei wurden die vielen verschiedenen Techniken, anders als die
des Schwertkampfes, nicht schriftlich weitergegeben, sondern über so-
genannte Kata. Ein Kata ist eine Bewegungsabfolge, die bis zu 108 teils
hochkomplexe Angriffs- und Verteidigungstechniken beinhalten kann.
Mithilfe des Erlernens dieser Kata wird man über die Jahre zum Kara-
teka. Am Ende dieses Weges kann man mit Sicherheit ein paar Bretter
zerbröseln, doch das ist nicht der Sinn des Ganzen. Die Ausübung des
Karate ist ein Akt höchster Selbstüberwindung, der Überwindung des
eigenen Egos. Oder wie der Meister Mabuni Kenwa – der Gründer
des Shitō-Ryū-Karate – sagte: Karate ist Zen in Bewegung. Das macht
deutlich, dass es sich eben nicht um einen simplen Kampfsport han-
delt, sondern um eine Lebensweise, die zu Ausgeglichenheit und Mit-
menschlichkeit führt. So wie die erste Bewegung jeder Kata im Karate
immer eine Verteidigung darstellt, ist ein Karateka dazu angehalten,
sich niemals aktiv auf einen Kampf einzulassen. Das höchste Ziel das
Karate ist die Vermeidung des Konflikts. Dass sich auf dem Weg der
leeren Hand nebenbei die Gesundheit immens verbessert, der Körper
stark wird und der Geist klar, und dass man Karate bis ins hohe Alter
trainieren kann, sollte für sie und ihn Motivation genug sein, es we-
nigstens einmal auszuprobieren.
                                                                          Anzeige

                Inhaberin: Elke Leppert-Beck

    FRÜHLING - WÜNSCHE - FRIEDEN

                         Telefon: 0921 63835
                      Erlanger Str. 73, Bayreuth

                                  17
BAYREUTHER FESTSPIELE
    In diesem Jahr machen wir einiges anders
     Das Programm der Bayreuther Festspiele
                                         von
                                     Frank Piontek

I m nächsten Jahr machen wir alles an-
  ders… Man denkt unwillkürlich an
den Satz, den Richard Wagner 1876 am
                                                  gen von Stephen Gould, der stimmlich
                                                  sichtlich gewachsenen und im besten
                                                  Sinne gereiften Catherine Foster, Georg
Ende der ersten Festspiele der Nachwelt           Zeppenfeld und Ekaterina Gubanova
ins Mikrophon gesprochen hat. Nicht,              aufgeführt werden, bevor am 31. Juli
dass im Sommer 2022 in Bayreuth alles             das Rheingold den ersten Ring-Zyklus
anders wäre; nach dem außergewöhn-                eröffnen wird. Davor, dazwischen und
lichen Programm der Spiele 2021 wirkt             danach stehen Tannhäuser unter Axel
das neue Programm geradezu konserva-              Kober, Der fliegende Holländer, wieder
tiv, aber auch heuer werden die Festspiel-        unter der ukrainischen Dirigentin Oksa-
freunde mit einigen Neuigkeiten kon-              na Lyniv, und – bereits zum letzten Mal
frontiert werden.                                 – der von Christian Thielemann dirigier-
Allein die Tatsache, dass neben dem               te Lohengrin in der Inszenierung Yuval
schon lange geplanten Ring, der unter             Sharons auf dem Programm. Schließlich
der Regie von Valentin Schwarz und                werden am 31. August und 1. September
mit Pietari Inkinen am Pult mehrmals              zwei Konzerte mit Klaus Florian Vogt
über die Bühne gehen wird, eine weitere           unter Andris Nelsons die Zuhörer und
Neuinszenierung eines der kanonischen             Zuschauerinnen erfreuen.
Werke Richard Wagners geben wird,                 Zu den schönen Extras auch dieses Jahres
lässt aufmerken. Die Festspiele werden            gehört wieder die Reihe Diskurs Bayreuth
also nicht, wie erwartet, mit einer der           – diesmal, von Neuem im Reichshof, mit
bekannten Produktionen, sondern mit               der theatralen Produktion Nach Tristan –
dem Tristan eröffnet werden – der indes           Eine Reise aus der Vergangenheit rückwärts
nur zweimal gebracht wird. Am 25. Juli            in die Gegenwart. O-Ton Festspiele: „Ein
wird die Handlung in drei Aufzügen, diri-         Abend zwischen Richard Wagner und
giert von Cornelius Meister und in Sze-           Heiner Müller, der den Weg von Tris-
ne gesetzt von Roland Schwab, gesun-              tan und Isolde zu Quartett auslotet, mit

                                             18
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Texten beider Autoren und Musik von
Wagner, eingerichtet von Ingo Kerkhof
und Gerhard Ahrens.“ Wir erinnern uns
an Heiner Müllers und Erich Wonders
grandiose Tristan-Inszenierung – und
freuen uns auf Dagmar Manzel und Syl-
vester Groth. Diskurs Bayreuth veranstal-
tet auch an zwei Abenden ein sommer-

                                                                                    Foto: © Alexander Hornoff
liches Festspiel Open Air: „Das Œuvre
Richard Wagners bildet hier zwar den
inhaltlichen Ankerpunkt, soll jedoch
bewusst besetzungs- und genreübergrei-
fend interpretiert werden können, um
die Wichtigkeit unterschiedlicher Sicht-
und Herangehensweisen zu inhaltlich                        100+1 = Wir feiern
gleichen Themen nachhaltig zu fördern.“              RW    weiter Jubiläum -
Man darf gespannt sein, wie aus der                  21    feiern Sie mit uns!
programmatischen Theorie konzertante
Praxis wird. Eintritt frei, das ist ja schon          Denis Scheck
eine Art Programm. Damit nicht genug:                         Literaturkritiker,
am 9. August wird es wieder eine TAFF-                Übersetzer und Journalist
Festspielnacht am Goldbergsee geben,
mit Martin Rassau als (erzfränkischem)                  präsentiert seinen „Kanon“
Conferencier, einem bislang noch nicht                - und den seines Hundes aus
genannten „Starsolisten“ und weiteren                 „Der undogmatische Hund“.
Sängern der Festspiele. Gleichfalls nie-                                  Sonntag
derschwellig ist das diesjährige Kino-
angebot: am 5. August darf man ab 18
                                                              15.05.2022
                                                         16:30 Uhr | Eintritt: 10,- €
Uhr, also um zwei Stunden zeitversetzt,
                                                               VVK: ab 14.04.2022
das Schlussstück der Tetralogie, die Göt-
terdämmerung, im Kino besichtigen.                        Ort: RW21 Black Box, UG
Im nächsten Jahr machen wir alles an-                       Richard-Wagner-Str. 21
ders? Jein – aber man darf gespannt sein,                   Tel: 0921-50 70 38 - 30
welchen Radius die Festspiele jenseits des
Kanons in diesem Sommer ausmessen
werden.

                                                    www.stadtbibliothek.bayreuth.de

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J Ü R G E N BRO DW O LF

PARAPHRASEN

20. MÄRZ – 19. JUNI 2022

       Kunstmuseum Bayreuth
       Altes Barockrathaus
       Maximilianstraße 33
       95444 Bayreuth
       Geöffnet: Di – So 10 – 17 Uhr

       www.kunstmuseum-bayreuth.de
FESTKULTUR
           Einzigartig bürgerlich
 Die Karfreitagsprozession zu Lohr am Main
                                         von
                                     Frank Piontek

K   eine Karfreitagsprozession ist älter.
    Die erste Quelle, die uns darüber
Auskunft gibt, stammt aus dem Jahr
                                                  Was aber macht die unterfränkische Kar-
                                                  freitagsprozession so einzigartig? Zum
                                                  einen ist sie die letzte vollständig erhal-
1658, eigentümlich ist auch der Ablauf.           tene Figural-Prozession Deutschlands.
Denn die Bewohner von Lohr am Main                Waren das Heilsgeschehen abbildende
gestalten dieses Fest nicht als „Event“           Prozessionen im 17. und 18. Jahrhun-
(auch wenn es für die, die mitmachen, je-         dert noch üblich, so wurden sie im Zuge
des Mal ein Ereignis ist), sondern als un-        der Säkularisation verboten. Zum Ande-
gewöhnlich ernste religiöse Prozession.           ren handelt es sich nicht um eine kirch-
Dass man heute den langen Zug schwei-             liche, sondern um eine bürgerliche Ver-
gend an sich vorüberziehen lässt und nur          anstaltung. „Bei der seit über 300 Jahren
der unheimliche Schlag einer einsamen             bestehenden Prozession“, liest man auf
Trommel erklingt (bevor den Ende des              der Homepage des Vereins, der sich um
Zugs am Ende denn doch eine Blaska-               die Prozession kümmert, „sind die An-
pelle, die Wombacher Blasmusik, mit               gehörigen aller Berufe gebeten, sich bei
Trauerchorälen macht): dies ist erst seit         der Station einzugliedern, die Ihnen [sic]
den 60er Jahren so Sitte. Bis dahin pfleg-        besonders nahe steht“. Es sind die Mit-
ten die Gläubigen die Prozession noch             glieder der alten Handwerkszünfte, der
betend und singend zu begleiten, bevor            Vereine und Verbände, die die 13 schwe-
die Schwärze des Karfreitags auch über            ren, blumengeschmückten Holzpodeste
die vergleichsweise passiven Teilnehmer           auf ihren Schultern tragen, auf denen
des Trauerfests kam und Stille in den             die lebensgroßen Figuren die „Leidens-
Straßen einkehrte. Erst im Anschluss an           geschichte unseres Herrn und Heilands“
den Schweigemarsch wird heute auf dem             darstellen, wie es auf einem Schild heißt,
Kirchplatz gebetet und gesungen.                  das von einem Kind, noch vor der Stadt-

                                             21
kapelle von Lohr am Main, vorangetra-             Förster und Waldarbeiter. Die Bäcker
gen wird: vom Stadtkirchenplatz von               tragen den Leib Christi (den sie auch
St. Michael über kleine Straßen und die           backen) durch die Straßen – und wenn
Hauptstraße wieder zurück zum Aus-                Christus seiner Kleider beraubt wird, ha-
gangspunkt.                                       ben‘s die Schneider und die Mitarbeiter
Begründet wurde die Karfreitagsprozes-            der Bekleidungsindustrie und des Textil-
sion vermutlich von Kapuzinern oder Je-           handels zu verantworten, bevor eine der
suiten: als gegenreformatorische Aktion,          schönsten Figuren, Jona im Maul des
die wir uns ursprünglich noch viel grö-           Walfischs, als Allegorie der Auferstehung
ßer vorstellen müssen. Es sind nicht we-          von der lebenrettenden Feuerwehr ver-
niger als 600 schwarz gekleidete Lohrer           sorgt wird. Die Prozession ist Männersa-
Männer und ein paar Frauen, die die Fi-           che, aber es gibt eine bezeichnende und
guren durch die Stadt tragen, doch keine          schöne Ausnahme: Junge Frauen über-
Geistlichen, die allerdings den Zug (an           nehmen fast am Schluss die Pietà, die
der Spitze nach der Kapelle: die Minis-           trauernde Muttergottes mit dem toten
tranten) zusammen mit den städtischen             Jesus.
Mandatsträgern abschließen. Durchaus              So ist die Karfreitagsprozession zu Lohr
hintersinnig ist dabei die Zuordnung der          am Main gleich beides, ein sog. Volks-
einzelnen Figuren zu den jeweiligen Be-           aufzug, aber auch eine wandelnde Me-
rufsständen und Handwerkerinnungen:               ditation über das Leiden und Sterben
Das Abendmahl gehört der Büttnerin-               Christi: des Repräsentanten aller Men-
nung und dem Brau- und Gastgewerbe,               schen, die unschuldig verfolgt, angeklagt,
die Gefangennahme Christi wird der                gefoltert und ermordet werden. „Es hat
Wagner-, Schmiede- und Schlosserin-               ja alles was sehr Archaiches“, sagte der
nung sowie den Metall- und Eisenarbei-            Würzburger Weihbischof Ulrich Boom
tern anvertraut, die Geißelung Christi ist        zu diesem eigentümlichen Leidens- und
in Händen der Schuhmacher- und Satt-              Hoffnungsfest. Etwas Archaisches – und,
lerinnung, der Polsterer, Raumgestalter,          leider, immer auch etwas sehr Zeitloses.
Fliesenleger und der Kolpingfamilie, die          Die Bürger von Lohr am Main wissen es
Kreuzträger sind gewöhnlich Gärtner,              spätestens seit 1658.
Landwirte, Obst- und Gemüsehändler,

                                             22
DAS NEUE ALBUM
Yo u t h s y m p h o n y O r c h e s t r a o f U k r a i n e :
                     To n f ü r To n
                                von
                            Frank Piontek

 S    ie ist, lesen wir, „eine Kulturbotschafterin der Ukraine“. Sie di-
      rigierte, als erste Frau im Graben der Bayreuther Festspiele ste-
 hend, im Sommer 2021 einen exzellenten Fliegenden Holländer. Ihr
 Bayreuth-Debüt lag damals schon zwei Jahre zurück, denn bereits
 Ende August 2019 trat sie in der Panzerhalle vor ein Orchester ihrer
 Heimat. Oksana Lyniv ist eine Frau aus Joseph Roths Geburtsort
 Brody, die als Chefdirigentin der Grazer Oper amtierte und seit 2022
 Generalmusikdirektorin des Teatro Communale di Bologna, also der
 erste weibliche GMD Italiens ist. Daneben gründete sie 2017 das
 Ukrainische Jugendorchester und das Kulturfestival LvivMozArt in
 Lviv. „Ein psychophysisches Erlebnis ersten Ranges“, so nannte das
 ein Rezensent, als er den Höhepunkt des Bayreuther Festivals junger
 Künstler miterlebte. Nun liegt ein Teilmitschnitt dieses bemerkens-
 werten Konzerts auf CD vor. Zwar fehlen die Taras Bulba-Ouver-
 türe des ukrainischen Nationalkomponisten Michail Lyssenko und
 einige Sätze des symphonischen Hauptwerks des Abends, doch wenn
 Krystina Mychailenko das technisch wie poetisch anspruchsvolle ers-
 te Liszt-Klavierkonzert mit Bravour und interpretatorischer Digni-
 tät interpretiert, bleiben keine Wünsche offen. Das Orchester formte
 unter Oksana Lyniv einen Klang, der uns begreifen ließ, dass Musik
 nur dann zu fließen vermag, wenn er „stimmt“: auch in der Schehera-
 zade des großen russischen Komponisten Nikolai Rimski-Korsakow,
 da der Einbruch des herrlichen Wogenthemas und der erlösende fina-
 le Akkord das Werk, die Interpretation, das Konzert und das Album
 herrlich beschließen.
 Label: Festival junger Künstler

                                   23
HINTER DEN KULISSEN
                       Friedrich Leers
                  Die Ruinen von Bad Bernek
                                    Textauswahl von
                                     Stephan Jöris

I n Hof hielt ich mich nur einen Tag auf.
  Diese Stadt, welche beinah fünftausend
Einwohner zählt und mehr als sechs-
                                                   Fuße des berühmten Fichtelgebirges –
                                                   und ward nicht getäuscht.
                                                   Hoch über mir links auf dem kahlen
hundert Häuser, ist der Sitz eines Lan-            sonnigen Gipfeln der Felsen traten auf
deshauptmanns und hat außer den drei               drei verschiedenen Gegenden in roman-
kleinen Städten Münchberg, Lichten-                tischer Pracht, von leicht schweben-
berg und Naila noch vier Marktflecken              den Gesträuchen umwebt, die braunen
und vier Dörfer unter sich. Sie ruht am            Trümmer von Burgen und halb einge-
Fuße einer ansehnlichen Bergkette, und             stürzten Warten hervor. – Es waren die
wird von den Wellen der Saale gespült,             Ruinen von Bernek! - Tief unten, wie in
die drei kleine Meilen von hier bei Zelle          ein weites Grab gesenkt, zwischen den
unter einem Baum ihre Quelle hat.                  aufgetürmten Felsenmassen, so freund-
An einem schönen Morgen reiste ich von             lich und still mit seinen schwärzlichen
hier ab, über Münchberg und Gefrees.               Schindeldächern das Städtlein her, wel-
Von hier fing die Gegend an, sich von              ches von jenen bewunderungswürdigen
neuem zu verwildern; der Weg senkte                Überresten des Altertums seinen Namen
sich zwischen Steinklippen, welche bei             entlehnte.
jedem Schritte links und rechts höher              Die Etymologisten haben sich weid-
ragten und zuletzt, als froh, schroffe Fel-        lich gestritten über dieses Namens Her-
senmauern mit ihren Gipfeln nachbar-               kommen; da meinten einige, in diesen
lich den Himmel grüssten.                          wilden Gründen hätten die Bären ihre
Links unten murmelte am Wege ein                   Hekke und Zucht vor Zeiten gehabt;
schmaler Bach von Weiden und Erlen                 andere versicherten, an der Gebirgsecke
geschirmt, zwischen den hochgrasigten              müssten sonst liebliche Beeren den Pilger
Ufern hin. - Ich erwartete etwas Außer-            freundlich herangelokt haben, und neu-
erdenkliches, Denn ich stand hier am               lich behauptete noch ein anderer, dass

                                              24
die uns bekannten ältesten Bewohner              Schweißtropfen perlte auf den heißen
dieser Gegenden, die Slawen und eigent-          Fels hinab.
licher, Sorben, hier auf den Berggipfeln,        Ein alter, hoher, vierekkigter Thurm er-
ihrem Donnergotte Perun, oder Perku-             hebt sich majestätisch da, wo sich der
ne, Tempel und ein unverlöschliches,             Schlossberg absenkt zur Stadt. Einsam
heiliges Altarfeuer gehalten hätten.             wehen eben in den Rissen und Brüchen
Ich will keinem widerstreiten. Alles was         seines Gemäuers einzelne Halme und die
man für solche Meinungen auftreiben              nickende Distel. Rings umher zu seinen
kann, sind Wahrscheinlichkeiten ohne             Füßen ruht eingesunkenes Mauerwerk,
Kraft der Beruhigung; mühsame, und               verwittert und bemoost. – Dies war die
dankbare Arbeiten, welche der Geschich-          weiland feste Burg – Bernek!
te und dem menschlichen Heil wenigen,            Wo sind die Helden, welche einst aus
oder keinen Vortheil zu führen; leuch-           deinen Thoren hervorstürzten beim
tende Spiele des Wizzes, ohne Wärme.             klingenden Spiel der Waffen? – Wo die
Gelockt von dem prächtigen, ehrwür-              lieblichen Dirnen welche den frommen
digen Anblick der Ruinen, eilt ich nach          Rittern die glühende Stirn kühlten nach
dem Städtchen und von da aus empor zu            der Heimkunft vom Abenteuer der Feh-
ihnen. Es krümmte sich der schmale Pfad          de oder vom wilden Thurney? – Ich höre
allmählich am schroffen Felsen hindern,          nicht mehr der vollen Becherklang, der
kleine Hütten lehnten sich nach unten            Ritter Kriegeslied, der Knappen und Zo-
an den Abhang dieses Berges, mit ihrem           fen muntern Scherz.
Gärtchen und halb zerfallenen Zäunen.            Sind verweht, die Gebeine der Helden,
Weit hinauf bauten die Schwalben nach-           erloschen ist ihrer Thaten Gedächtniß!
barlich ihr Nest.                                In diesen morschen Trümmern nistet
Wie die friedlichen Hütten dort unten            nun Verwesung; Fledermaus und Eu-
so fahrlos ruhen, inzwischen ungeheure           len flattern bei Nacht um des alternden
Felsenstücke grausen drüber hinschwe-            Thurmes Höh‘ und unter moosigen Ge-
ben und ihren Absturz drohn!                     stein bettet sich der Salamander.
Ein grünes Nez von Rankengewächsen
ums spinnt freundlich die herunterdro-           Ausschnitt aus Meine Wallfahrt nach Paris -
hende Last und scheint sie allein noch an        1796 vom Christoph Friedrich Leers (1769
ihrer Stelle zu fesseln.                         - 1825). Christoph Friedrich Leers wurde in
Wunderbar durcheinander gewürfelte               Wunsiedel geboren und war ein deutscher
                                                 Kaufmann, Fabrikant und Magistratrat der
Felstrümmern liegen in schauerlichem             Stadt Bayreuth. Leers beteiligte sich im hohen
Gemisch umher, jeden Augenblik bereit,           Maße am öffentlichen Leben und engagierte
in die schwindlichte Tiefe prasselnd hin-        sich für die verschiedensten sozialen Einrich-
unter zu fahren; nur ein karges Moos, ein        tungen im Bayreuth seiner Zeit. Seinen Nach-
mageres Steingras grünt dort und hie.            lass stiftete er zur Errichtung des Leers’schen
Endlich ist der Berg erstiegen; manches          Waisenhauses.
müde Ach! ward geseufzt und mancher

                                            25
AUSSTELLUNGEN
         Silent Landscapes – im Stillen laut
                                            von
                                       Inken Bößert

„B     itte nicht berühren“ – dies fällt bei
       Betty Beiers Erdschollen besonders
schwer. 100x100x5-20 cm messen die
                                                    dahinter. Bedrückend wird sichtbar ge-
                                                    macht, was wir längst wissen. Wir ver-
                                                    ändern die Welt. Weltweit. Klimawandel,
dreidimensionalen Bildskulpturen. Ein               illegale Brandrodung, Hafenerweiterung,
Quadratmeter der Erde, ein Quadratme-               Staudammbau. Alles von Beier in Kunst-
ter, der wegen seiner Geschichte als Ab-            harz oder Acryl festgehalten.
druck festgehalten wurde. Eine Geschich-            Erfrischenderweise wird der Wissens-
te der Vergänglichkeit. Die zukünftige              durst gelöscht. Fundort der Abnahme
Vergänglichkeit, wie beim Schneeferner.             und Datum sind minutiös festgehalten.
Als Beier diesen Quadratmeter Gletscher             Die Geschichte dahinter kann auf Inter-
in den Bayerischen Alpen künstlerisch               netseiten per QR-Code noch in der Aus-
verewigte, war seine Vergänglichkeit vor-           stellung erkundet werden. Das „Gefährt“,
gezeichnet. Er schmolz. Oder die vollzo-            mit dem Beier zu den Fundorten kommt,
gene Vergänglichkeit der Erdscholle aus             ist ebenso Teil der Ausstellung wie Zeich-
Paraguay. Diese dokumentiert das, was               nungen und Fotografien.
nicht mehr da war, als der Quadratmeter             Nun könnte man die Ausstellung ver-
Erde zur Erdscholle wurde. Durch illega-            lassen und „Was kann denn eine Ausstel-
le Brandrodung hält die Bildskulptur fest,          lung…“ seufzen. Aber „Mind the gap“!
was durch menschlichen Eingriff unwie-              Diese Ausstellung kann mehr. In einem
derbringlich ist. Oder aus Island, China,           Zeitalter, in dem der Mensch der wich-
Alaska, Brasilien, Hamburg – demnächst              tigste Einflussfaktor auf geologische, at-
auch von der Frankenalb in der Fränki-              mosphärische und biologische Prozesse
schen Schweiz..                                     geworden ist, wurden Wege gesucht, die-
So wie die Ästhetik der Erdschollen be-             sen Einflussfaktor zu begeistern. Inspirati-
rührt, so ergreifend sind die Geschichten           on gab das vor 500 Jahren gemalte Aqua-

                                               26
rell „Das große Rasenstück“ von Albrecht        Franken verortet. So führt Anke Jentsch,
Dürer, auf dem sich Pflanzenarten des           Biologin, Professur für Störungsökolo-
fränkischen Wiesenstücks identifizieren         gie, Universität Bayreuth, unter ande-
lassen. Auf den Spuren Dürers und an-           rem Bildungsaktionen mit Jugendlichen,
hand von naturwissenschaftlichen Expe-          Gletscher-Exkursionen, Gelände-Expe-
rimenten zur Rolle von Biodiversität für        ditionen zu Biodiversitätsforschung und
die nachhaltige Nutzung von Grünland            Klimawandel durch. Und eine weitere
sollen Kunstwerke aus Oberfranken zum           Erdscholle wird entstehen - aus dem Fich-
Thema Artenschwund und Biopiraterie             telgebirge. Eine weitere (öko)politische
entstehen. Dafür wurde die Zusammen-            Skulptur, die nicht mit dem mahnenden
arbeit von Menschen aus Wissenschaft,           Zeigefinger daherkommt, die nicht laut
Kunst und Medien in Zusammenarbeit              schreit und anklagt, sondern auf beson-
mit Jugendlichen gewagt und heraus kam          dere Weise wachrüttelt. Beier sagt: „Bö-
das Projekt: „Mind the gap! Wissenschaft        den sind Archive, die vom Einwirken der
und Kunst zu Artenschwund in Fran-              Menschen zeugen.“ Und macht daraus
ken.“ Hierbei werden aktuelle, lokale           gesellschaftsverändernde Kunst. Durch
Herausforderungen des Artenschwunds             die Konservierung des Erinnerungspo-
mit den globalen Erkenntnissen der Bio-         tenzials der Erde, Silent Landscapes, die
diversitätsforschung verbunden und in           im Stillen laut sind.

                                                                                 Anzeige

                                           27
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            Humboldt-Wanderung Goldkronach
                               Termine:
               immer samstags von 11.00 – 18.00 Uhr
23. April, 28. Mai, 11. Juni, 16. Juli, 20. August, 24. September und
                              15. Oktober
                   Ausgangs- und Zielpunkt: Marktplatz Goldkronach
Geführte Humboldt-Wanderungen mit David Zinke    Während der Wanderungen gibt es Erläuterungen über
und Hartmut Koschyk auf dem Humboldtweg          die Geschichte des Bergbaus in Goldkronach und die
rund um Goldkronach mit Humboldt-Brotzeit.       fränkischen Jahre Alexander von Humboldts.

                                                 Bei dieser Wanderung begehen wir den „Humboldtweg“,
                                                 sowie einen Teil des „Fränkischen Gebirgsweges“ und
                                                 bestaunen die Relikte des über Jahrhunderte andauern-
                                                 den Goldkronacher Bergbaues. Neben historischen Er-
                                                 läuterungen zum Bergbau und der Geschichte der Stadt
                                                 Goldkronach erfahren wir auch viel über das Leben und
                                                 Wirken Alexander von Humboldts in Goldkronach und
                                                 dem Fichtelgebirge und genießen verschiedene herrli-
                                                 che Ausblicke über die Landschaft und die umliegenden
                                                 Täler. Weiterhin ist eine „Humboldt-Brotzeit“ Teil der
                                                 Wanderung.

                                                 Die Wegstrecke umfasst knapp 12 Kilometer bei ange-
                                                 nehm verteilten 400 Höhenmetern und mehreren klei-
                                                 nen Rastmöglichkeiten. Festes Schuhwerk, dem Wetter
                                                 angepasste Kleidung und Getränkemitnahme werden
                                                 empfohlen.

                                                 Hier ein Einblick in die Wanderroute:
                                                 https://v.bayern.de/kWNPj

                                                 Der Unkosten-Beitrag beträgt pro Person 10 Euro
                                                 einschließlich der Humboldt- Brotzeit!

                       Anmeldung erforderlich unter Telefon: 09241/4858592
                          oder E-Mail: info@humboldt-kulturforum.de

                                    www.humboldt-kulturforum.de
BIBLIOTHEKEN
 Die Bibliothek des Lastenausgleichsarchivs
                                           von
                                      Frank Piontek

W     enn dieses Heft – wir schreiben An-
      fang April 2022 – herauskommt,
werden nach nur fünf Wochen vier Mil-
                                                   und Berlin das deutsche Archivgut ver-
                                                   walteten, bearbeiteten und herausgaben:
                                                   als historisches Gedächtnis, das Millionen
lionen Ukrainer ihr Land verlassen ha-             Dokumente, die zwischen 1495 und der
ben. Damit haben wir es mit der größten            Gegenwart entstanden, sicherte und nutz-
Fluchtbewegung zu tun, die seit 1945 in            bar machte. Das Bayreuther Archiv kam
derart kurzer Zeit über die Welt kam. In           1989 hinzu: als Zentralarchiv für den
Bayreuth erinnert ein Ort in besonderer            Lastenausgleich, also für alle Dokumen-
Weise an eine andere Flüchtlingskrise, die         te, die als Objekte des Kriegsfolgenrechts
gleichfalls beispiellos war: an die Flucht         für eine Archivierung in Frage kamen. In
und Vertreibung all jener deutschspre-             mehr als 30 laufenden Kilometern wer-
chenden Menschen, die zwischen 1945                den im früheren Krankenhaus der Stadt
und 1950 aus den deutschen Ostgebieten             Bayreuth in der Dr.-Franz-Str. 1 u.a. die
sowie aus Ostmittel-, Ost- und Südost-             Akten der Ausgleichsverwaltung gelagert,
europa gewaltsam nach Westen gespült               die viele jener Schäden widerspiegeln, die
wurden.                                            die Vertriebenen und die Flüchtlinge sei-
Unter den Bayreuther Archiven ragt also            nerzeit erlitten. Zu den Archivalien gehört
eines besonders heraus: das Lastenaus-             nun auch – wie in allen anderen Standor-
gleichsarchiv, das als Außenstelle des Bun-        ten des Bundesarchivs – eine Bibliothek.
desarchivs firmiert. Zieht man all jene            Knapp 20000 Bände bilden genau jenes
Standorte ab, die nach der Integration             Thema ab, das in den Originaldokumen-
der Stasi-Unterlagen in die Bestände des           ten pure Zeitgeschichte und deren soziale
Bundesarchivs hinzukamen, hatte man                Bewältigung durch den Lastenausgleich
es bis zum Mauerfall mit sieben großen             ist: hier wie dort geht es um die Verhält-
Archiven zu tun, die zwischen Koblenz              nisse in den Ostgebieten des ehemaligen

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Deutschen Reichs, um Flucht und Ver-             literatur, die, da es sich um eine Dienstbi-
treibung am Ende des 2 Weltkriegs, um            bliothek handelt, neben den Archivalien
die Integration der Vertriebenen und             im Benutzersaal gelesen und ausgewertet
um Millionen Aussiedlerschicksale. So            werden können. Eine Ortschronik von Ja-
wird etwa die im Archiv befindliche, in          cobshagen, Kreis Saatzig (Pommern), ein
den 1950er Jahren entstandene Ost-Do-            Buch über die Evangelische Volksschule
kumentation durch eine sehr eigene Art           in Lemberg, über deutsche Kolonien im
von historischer Primärliteratur ergänzt:        Gouvernement Kijew oder die Beziehun-
Den 30.000 Berichten, durch die die              gen zwischen der Stadt Weiden und Böh-
Erlebnisse der Menschen in den letzten           men in den Jahren 1241 bis 1600 mag
Monaten des Zweiten Weltkriegs, aber             nur wenige interessieren – das Wissen um
auch die Wirtschafts- und Lebensver-             die historischen Zusammenhänge, Er-
hältnisse in den ehemaligen Ostgebieten          eignisse und Orte zu sammeln ist per se
lebendig werden, stehen jene Bücher zur          sinnvoll, weil die Geschichte und damit
Seite, die man vermutlich in kaum einer          die Menschen, die sie machten, niemals
anderen Bibliothek finden wird: spezielle        ohne die nur scheinbar abseitigsten De-
Ortschroniken, ganze Reihen von Tele-            tailkenntnisse angemessen beurteilt wer-
fonbüchern, Autobiographien und viele            den können, oder, um es in ein Bild zu
andere Werke, die für die Erforschung            bringen: Ein großes Gemälde besteht aus
von Flucht und Vertreibung, für die Re-          Abertausenden von Pigmentflecken.
gionalgeschichte und Familienkunde der           Der literarische Schatz wurde übrigens
ehemaligen deutschen Ostgebiete und              titelmäßig digital erschlossen: auf der Sei-
für die frühe Sozial- und Gesellschafts-         te https://bibliothek.bundesarchiv.de/F
geschichte der Bundesrepublik Deutsch-           kann der Interessent mit Namen und
land unverzichtbar sind. Der Leiter des          Stichworten schon mal recherchieren, was
Lastenausgleichsarchivs, Karsten Kühnel,         über die alten Heimatorte Stettin, Bres-
weist darauf hin, dass die Historiker den        lau oder Schlesien so alles gelesen wer-
Wert der Bibliothek gelegentlich unter-          den kann. Im Blick auf die gegenwärtige
schätzen, da sich doch auch in ihren Be-         Flucht der bedrängten Ukrainer kann
ständen äußerst seltene Geschichtsquellen        man – auch als Bayreuther Geschichts-
befinden, die das Wissen um das Leben            freund – allerdings nur hoffen, dass ein
in den ehemaligen deutschen Ostgebieten          wertvolles Historisches Archiv der Ukrai-
gespeichert haben. Kommen hinzu die              ner, das sich ausserhalb des Kriegsgebietes
Bände einer Sekundär- und Forschungs-            befindet, niemals nötig sein wird.

                                            30
GESCHICHTEN AUS DEM WALD
                      Jagdsaison
                               von
                       Irmintraut Jasorka

  S    ie saßen dicht beieinander, der alte Berg Raabe und sein
       Waldwichtel. In der Dämmerung erschien der schlan-
  ke Laubfrosch größer als gewöhnlich – und sehr aufgeregt.
  „Wichtel – Wichtel hör doch!“ Wichtel hörte. „Wohin so has-
  tig!“ „Er ist soeben vorübergegangen! Kleiner König, hat er
  gesagt, warum bist du nicht bei der Chorprobe zum Feiertag?
  Ich kann doch nicht singen, Herr“, habe ich gesagt – und
  Er – „Ich gebe dir eine Stimme! Du sollst einen langen tiefen
  Ton singen, mit einem kleinen Kullern am Ende! Und du
  sollst so lange singen, wie jemand dich hört!“
  „Und jetzt muss ich zur Chorprobe – aber wo ist die?“ „Nächs-
  te Wiese links – Schraat, mein Rabe, du bist doch ein Sing-
  vogel – jetzt los!“ Von der Wiese tönte es: Löffel der Feldhase
  schlug den Rhythmus mit dem Hinterlauf. Tack, Tack, Tack!
  Sieben junge Zaunkönige saßen brav einer über den anderen
  auf dem Busch am Steinbruch; Auerhahns Familie kollerte im
  Takt, der Fuchs bellte sein „Hi“ synkopisch dazwischen. Gril-
  len zirpten, Mäuse pfiffen, der Schlag der Hasenpfote hielt
  alle zusammen.
  „Halt – jetzt kommt die neue Stimme!“ rief der Wichtel –
  und ein langer runder Sang kam aus der Kehle des kleinen
  Froschkönigs, Jubel und ein wasserheller Triller. Pause. „Das
  ist ja herrlich!“ rief der Wichtel. „Eine Sängerin fehlt noch
  – aber da ist sie schon!“ Dann sang die Amsel. Die Chor-
  gemeinschaft fiel zurück – leise schwankend, drängend; und
  die Amsel sang. Hoch oben auf der Baumspitze jubelte sie ihr
  Frühlingslied, ein Beben ging durch den Wald, die Süße des
  Lebens.
  Jäh brach der Wohllaut ab. Die Kugel pfiff – ein Knall, ein
  ferner langer Klagelaut. – Die Wiese war leer, die Amsel fort,
  „Jagdzeit!“ sagte der alte Rabe und flog davon.
  Am nächsten Morgen schon, der Tau benetzte die grünen
  Wiesen, hörte man sie wieder musizieren.

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VOM GRÜNEN HÜGEL
    Tonbandgespräche m it Wolfgang Wagner
           Bayreuth 6. August 1985
                                       von
                                   Raymond Tholl

M    aria Müller (1898 Theresien-
     stadt +1958 Bayreuth) debütierte
1919 als Elsa in Richard Wagners Lo-
                                                 en auf. Weitere Gastspiele führten
                                                 sie nach Salzburg, London, Mailand,
                                                 Paris, Wien und Hamburg. Nach dem
hengrin am Linzer Stadttheater. Nach             zweiten Weltkrieg ist sie noch gelegen-
Engagements in Brünn (1920/21),                  tlich an der Städtischen Oper in Berlin
am Deutschen Theater in Prag (1921-              aufgetreten. Maria Müller beherrschte
23) und an der Münchner Staatsoper               ein vielfältiges Repertoire, war aber be-
(1924/1925) kam sie 1926 an die Städ-            sonders als Wagner-Sängerin berühmt.
tische Oper und 1927 an die Staatsoper           (Das neue Lexikon der Musik / Verlag
in Berlin, der sie bis Ende des Zweiten          J.B.Metzler)
Weltkriegs angehörte. 1925-35 war sie
gleichzeitig an der Metropolitan Opera           Herr Wagner, wie bei den meisten
in New York, wo sie auch im italien-             deutschen Sängern ihrer Generation setzte
ischen Fach gefeiert wurde. 1930 trat sie        der zweite Weltkrieg einen Strich unter die
erstmalig bei den Bayreuther Festspiel-          Fortsetzung einer Weltkarriere der Ma-

                                            33
ria Müller. Als die Städte in Trümmern         Sind Sie Maria Müller, die 1958 in
lagen, war diese Sängerin Mitte vier­          Bayreuth starb, in den letzten Jahren
zig, und ihr Herz war gebrochen durch          ihres Lebens begegnet?
den Verlust ihres Mannes. Wann begeg-
neten Sie zum ersten Mal Maria Müller?         Sie war sehr zurückhaltend und hat
                                               das Schicksal nie überwunden, dass
1944 habe ich als junger Mann mit              ihr Mann am Schluss des Krieges noch
25 Jahren unmittelbar noch mit die­            eingezogen wurde und gefallen ist. Sie
ser großen Künstlerin arbeiten können,         wurde nach dem Krieg hier in Bayreuth
und habe nachher die ganze Tragödie            bei einer Dame aufgenommen, bei der
erlebt. Bedingt durch ihren im Krieg           sie immer während den Festspielen ge-
gefallenen Mann war sie vollkommen             wohnt hat. Trotzdem lebte sie in ein-
hilflos und dadurch starb sie hier. Es         er totalen Einsamkeit und wollte auch
war ein Trauerspiel, denn sie war so           niemand empfangen. Wir haben noch
stark an ihren Mann gebunden, der al-          einmal versucht, sie in einem Konzert
les für sie abnahm, alles also was mit         hier zu reaktivieren, vor 1951. Das hat
ihrer sängerischen Karriere, mit ihrer         sie gemacht, sie sang die Hallenarie, es
Laufbahn zu tun hatte.                         war ein grosser Triumph für sie, sie ist
Er war ein echter Manager und Betreuer         dann aber nie mehr bei uns aufgetreten.
und wie der nicht mehr da war, sie             Ich habe in den Jahren immer wieder
hätte bestimmt noch viel mehr leisten          versucht, sie zu besuchen, aber leider
können, sackte sie in sich zusammen.           ohne Erfolg. Sie wollte nicht mehr an
Sie hatte also niemand, der sie irgend-        ihre glanzvolle Zeit in Bayreuth erin-
wie führen konnte.                             nert werden und ich erfuhr nur über
                                               Bayreuther Leute, wie es ihr ging.

                                                                                Anzeige

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                                                      Gartengeschichte erleben und verstehen
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           Samstag, 02.4.2022                         19.00 Uhr
                                                      Michael Dorn
 Vorlesestunden                                     ↸ Stadtkirche Bayreuth
 Spannende und lustige Geschicten
 11.00 Uhr                                                     Dienstag, 05.4.2022
 RW21
↸ Richard-Wagner-Str. 44                              Junge Meisterpianisten
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 Orgel um 12
                                                      19.30 Uhr  12
 Eine Andacht mit Pfr. M. Gundermann und KMD
                                                     ↸ Steingraeberhaus Kammermusiksaal
 12.00 Uhr
 Michael Dorn                                        Rollin‘ Chocolate Band
↸ Stadtkirche Bayreuth                                Süb-Live-Konzert
                                                      20.00 Uhr  2
 Maunz‘ und Wuffs guter Tag
                                                     ↸ Kunst- und Kulturhaus Neuneinhalb
 Mobiles Kinderstück von Timo Parvela
 15.00 Uhr
                                                                Mittwoch, 06.4.2022
 Studiobühne Bayreuth
 Arild Andersen Group                                Vorlesestunden
 Eine Legende des norwegischen Jazz                  Spannende und lustige Geschichten
 20.00 Uhr  24                                      16.00 Uhr  12
 Jazzforum Bayreuth e. V.                            RW21
↸ Bechersaal                                         ↸ Richard-Wagner-Str. 45
                                                      Kammerorchester des Nationaltheaters Prag
            Sonntag, 03.4.2022                        Mit Petr Vronský und Franziska Hölscher
                                                      17.00 Uhr  37,50
 Sonntagsführung Deutsches Gewürzmuseum
                                                      Das Zentrum
 10.30 Uhr
 Kulmbacher Mönchshof
                                                          Alle aktuellen Kulturtermine
↸ Museen im Kulmbacher Mönchshof
                                                           unter: www.kulturbrief.de

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