Öl-Junkie Amerika Was die Abhängigkeit vom Erdöl für die USA politisch bedeutet von Michael T. Klare - Internationale Politik

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Öl-Junkie Amerika Was die Abhängigkeit vom Erdöl für die USA politisch bedeutet von Michael T. Klare - Internationale Politik
Energie für das 21. Jahrhundert

                       Öl-Junkie Amerika
                       Was die Abhängigkeit vom Erdöl für die USA politisch bedeutet
                       von Michael T. Klare

                       Schon zu Beginn seiner Amtszeit war es George W. Bush bewusst, dass
                       die USA sich in einer Energiekrise befinden. Folgerichtig setzte er die
                       Politik seines Vorgängers Clinton fort, den amerikanischen Zugriff auf
                       ausländische Energiequellen zu sichern, vor allem im Nahen Osten, am
                       Kaspischen Meer, in Westafrika und Südamerika. Zunehmend vermischen
                       sich dabei amerikanische Außen-, Wirtschafts- und Sicherheitspolitik.

                       Die USA verbrauchen etwa ein Drittel der weltweiten Energievorräte. So viel
                       Energie bereitzustellen, erweist sich als eine fast unerfüllbare Aufgabe. Als
                       George W. Bush seine Amtsgeschäfte aufnahm, litten der Osten und Mittlere
                       Westen unter Engpässen bei der Öl- und Gasversorgung und Kalifornien sogar
                       unter zeitweiligen Stromausfällen. Im August 2003 waren weite Teile des
                       Nordostens und des Mittleren Westens von anhaltenden Stromausfällen be-
                       troffen, und im vergangenen Spätsommer legten die Hurrikans Katrina und
                       Rita die Öl- und Gasproduktion an der amerikanischen Golfküste lahm. Be-
MICHAEL T. KLARE,      reits 2001 hatte Bush eine Energiekrise in Amerika konstatiert. Das lenkte
geb. 1942, ist         seine gesamte Aufmerksamkeit auf die Erschließung weiterer Energiequellen.1
Professor für             Die Krise betrifft zwar sämtliche Energieformen, hauptsächlich aber Erdöl,
Peace and World
Security Studies am
                       da dies die Hauptenergiequelle der USA ist. Mehr als jedes andere Industrie-
Hampshire College      land hängen die USA von enormen und weiter steigenden Öllieferungen ab.
in Amherst,            Jeder Engpass ist daher ein Grund zur Sorge für amerikanische Politiker. Die
Massachusetts.         periodisch auftretenden Engpässe der vergangenen Jahre (und die hohen Prei-
Seine letzten Bücher   se, die sie zur Folge hatten) bedeuteten erhebliche Probleme für Schlüsselin-
sind „Resource
Wars: The new
                       dustrien wie Autoindustrie, Luftfahrt, Transportsektor, Petrochemie, Touris-
Landscape of Global    mus, Landwirtschaft und die Versorgung der Vorstädte. Jede Unterbrechung
Conflict“ (2001) und   der globalen Ölversorgung stellt außerdem eine erhebliche Bedrohung für die
„Blood and Oil:        nationale Sicherheit dar, weil auch die Militärmaschinerie vom Erdöl abhängt.
The Dangers and           Die USA verbrauchen heute ungefähr 20 Millionen Barrel Öl pro Tag. Laut
Consequences of
America’s Growing      US-Energieministerium werden im Jahr 2025 27 Millionen Barrel pro Tag be-
Dependency             nötigt.2 Genügend Öl bereitzustellen ist das vordringlichste Ziel der alteinge-
on Imported            sessenen privaten Ölfirmen, deren größte, wie Exxon Mobil und Chevron, zu
Petroleum“ (2004).     den profitabelsten Unternehmen der Welt gehören. In den letzten Jahren
                       avancierte „Energiesicherheit“ für die US-Administration zum wichtigsten
                       Thema neben „nationaler Sicherheit“.
                          Das benötigte Erdöl bereitzustellen ist weder für private Unternehmen
                       noch für die Regierung eine leichte Aufgabe. Einen Großteil ihres täglichen
                       Bedarfs konnten die USA im Unterschied zu den meisten anderen großen In-
                       dustrieländern im 20. Jahrhundert aus einheimischen Quellen decken. Doch
                       der Gesamtertrag aller einheimischen Quellen erreichte seinen Scheitelpunkt
                       1 „Remarks by the President While Touring Youth Entertainment Academy,“ Plainfield, N.J.,
                       14. März 2001: www.whitehouse.gov/news/releases/2001/03/20010314-2.html
                       2 U.S. Department of Energy, Energy Information Administration (DoE/EIA): International
                       Energy Outlook 2005 (Washington, D.C.: DoE/EIA, 2005), Tabelle A4, S. 93.(Im Folgenden
                       DoE/EIA, IEO–2005.)

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bereits 1971; seitdem geht die amerikanische Erdölproduktion stetig zurück.
Amerikanische Energiefirmen entwickelten neue Bohrtechniken, um aus
alten Ölfeldern noch etwas herauszuholen und weit abgelegene Offshore-Öl-
felder erschließen zu können. Gleichzeitig schlossen sie Verträge mit auslän-
dischen Produzenten ab und suchen weltweit nach immer neuen Quellen.
   Zu Beginn des 21. Jahrhunderts stießen beide Strategien auf eine Reihe von
Hindernissen. Im Inland waren die älteren Ölfelder einfach ausgelaugt, es gab
Proteste gegen die Zerstörung von Naturschutzgebieten, und Bohranlagen
weitab der Küste zu errichten, erwies sich als schwierig. Aber die größten
Probleme entstanden auf internationaler Ebene: Korruption und Instabilität in
bestimmten Schlüsselregionen, Widerstand gegen ausländische Investoren in
Entwicklungsländern mit verstaatlichter Ölindustrie sowie verschärfter Wett-
bewerb um Energieressourcen mit China und anderen Schwellenländern.
   1998 mussten 50 Prozent des amerikanischen Ölbedarfs durch Importe ge-
deckt werden; damit war eine Schwelle überschritten.
Sämtliche Hochrechnungen des Energieministeriums            Die USA mussten sich
wiesen auf eine weiter steigende Importabhängigkeit         entscheiden: höherer Erdöl-
hin. Ferner verschob sich der Schwerpunkt der globalen verbrauch oder Förderung
Ölproduktion unaufhaltsam von Norden (USA, Kanada,
Europa, die westlichen Ausläufer der ehemaligen Sowje-
                                                            erneuerbarer Energien.
tunion) in Richtung Süden (Naher Osten, Afrika, Lateinamerika, die östli-
chen Ausläufer der ehemaligen Sowjetunion), also in instabile Regionen. Zur
großen Sorge amerikanischer Regierungen verhielten sich viele dieser aufstre-
benden Produzentenländer den USA gegenüber offen feindlich oder unter-
stützen sogar antiamerikanische Terrororganisationen.

Der Bush-Cheney-Plan
Anfang 2001 gründete George W. Bush die National Energy Policy Develop-
ment Group (NEPDG) unter dem Vorsitz von Vizepräsident Dick Cheney.
Als ehemaliger Geschäftsführer der Ölförderfirma Halliburton verfügt Che-
ney über beste Beziehungen zu den großen Ölfirmen.
  Als die NEPDG ihre Arbeit aufnahm, zeigte sich bald, dass die USA sich zwi-
schen zwei sehr verschiedenen Wegen der Energiegewinnung zu entscheiden
hatten: Sie konnten weiterhin immer mehr Öl verbrauchen und sich damit in
immer größere Abhängigkeit von ausländischen Zulieferern bringen. Oder den
Erdölverbrauch schrittweise verringern und intensiv erneuerbare Energien för-
dern. Experten war schon lange klar, dass irgendwann eine Entscheidung zwi-
schen diesen beiden Möglichkeiten getroffen werden musste. Aber erst mit der
Gründung der NEPDG wurden diese Optionen auf höchster Ebene diskutiert.
  Anfang Mai (und nach heftigen Diskussionen über diese Frage) legten die
Mitglieder der NEPDG ihren Bericht vor, der nach sorgfältiger Überprüfung
durch das Weiße Haus am 17. Mai 2001 veröffentlicht wurde. Das als „Che-
ney Report“ bekannte Papier zur „National Energy Policy“ (NEP) vermittelte
auf den ersten Blick den Eindruck, als wolle sich die Regierung dem Um-
weltschutz und verbesserter Energieeffizienz zuwenden, statt den Ölver-
brauch zu steigern. Bush erklärte, die NEP fördere „die Entwicklung energie-
sparender Technologie“.3 Aber nur kleine Abschnitte des Gesamttexts befas-
3 „Remarks by the President to Capital City Partnership“, 17. Mai 2001: http://www.whitehouse.
gov/news/releases/2001/05/20010517-2.html

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                   sen sich mit Umweltschutz. Eine genauere Lektüre zeigt, dass der Report
                   vielmehr empfiehlt, die einheimische Ölproduktion auszudehnen (durch die
                   Ausbeutung bisher unangezapfter Vorkommen in Offshore-Feldern und Na-
                   turschutzgebieten, etwa in Alaska) und immer größere Mengen Erdöl aus
                   dem Ausland zu beschaffen.4
                      Erst das achte und letzte Kapitel des Cheney-Reports – „Strengthening
                   Global Alliances“ – offenbart den eigentlichen Kern der Energiepolitik
                   der Bush-Regierung. Das Kapitel beginnt mit den Worten: „Die Energiesi-
                   cherheit der Vereinigten Staaten beruht auf ausreichender Energiezufuhr
                   für das Wirtschaftswachstum der USA und der Welt.“ Der Bericht mahnt
                   an, „die Energiesicherheit zu einer Priorität unserer Handels- und Au-
                   ßenpolitik zu machen.“5
                      Der Cheney-Report lässt sich nicht darüber aus, wie viel Erdöl genau die
                   USA importieren müssen. Berechnungen des US-Energieministeriums von
                   2005 zufolge müssen es aber kolossale Mengen sein: Für das Jahr 2010 wird
                                        der amerikanische Ölbedarf mit etwa 22,5 Millionen
     Amerika verlässt sich bei der Barrel pro Tag beziffert, für 2020 mit 25,8 Millionen
     Erdölversorgung nicht allein Barrel. Die einheimische Ölproduktion wird diesen Vor-
     auf die Marktkräfte.               hersagen zufolge etwa gleich bleiben (bei 9,5 bis 9,9
                                        Millionen Barrel pro Tag), so dass die USA 2010 12,6
                   Millionen und 2020 16,3 Millionen Barrel pro Tag importieren müssen.
                   Zum Vergleich: 12,6 Millionen Barrel pro Tag verbrauchen Afrika, der Nahe
                   Osten und Lateinamerika heute gemeinsam; Westeuropa und Russland ver-
                   brauchen derzeit zusammen 16,3 Millionen Barrel pro Tag.6
                      Aus dem Cheney-Report wird deutlich, dass die amerikanischen Entschei-
                   dungsträger sich bei der Erdölversorgung nicht allein auf die Marktkräfte
                   verlassen. Der Zugriff auf ausländische Ölquellen wird sich zu einem zen-
                   tralen Bereich der amerikanischen Außenpolitik entwickeln. Das bedeutet,
                   die Regierungen der Ölförderländer dazu zu überreden, ihren Erdölausstoß
                   zu steigern, ihre Exporte in die USA zu erhöhen und ihre Energieindustrien
                   für die Einflussnahme und die Investitionen amerikanischer Firmen zu öff-
                   nen. Um diese Regierungen bei Laune zu halten, werden die USA sie über-
                   dies mit modernen Waffen und militärischer Ausbildung versorgen oder
                   sich für die Zahlung von Hilfsgeldern einsetzen.
                      Der Bush-Cheney-Plan hat allerdings auch militärische Implikationen.
                   Denn die meisten jener Länder, die die USA in der Zukunft mit Erdöl ver-
                   sorgen werden, sind entweder in Konflikte verwickelt oder amerikafeind-
                   lich. Die Bemühungen der US-Regierung um ausländisches Öl werden
                   daher fast immer Unordnung hervorrufen oder sogar auf gewaltsamen Wi-
                   derstand in den betreffenden Regionen stoßen. Auch wenn militärische
                   Gewalt nur als letztes Mittel betrachtet wird, glauben amerikanische Poli-
                   tiker schon seit langem, dass sie bisweilen unvermeidlich ist, um den Zu-
                   fluss lebenswichtiger Energieversorgung sicherzustellen. Genau zu diesem
                   Schluss kam George H. W. Bush im August 1990, als er amerikanische
                        4 Eine detaillierte Analyse des Cheney-Reports findet sich in Michael Klare: Blood and Oil: The
                        Dangers and Consequences of America’s Growing Dependency on Imported Petroleum, New York 2004.
                        5 National Energy Policy Development Group: National Energy Policy (Washington, D.C.: The
                        White House, Mai 2001), Kap. 8, S. 1–4 (Im Folgenden NEPDG, NEP 2001).
                        6 DoE/EIA, IEO-2005, Tabelle A4, E1, S. 93, S. 157.

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Truppen an den Persischen Golf schickte, um die saudischen Ölfelder vor
einem möglichen Angriff durch irakische Truppen zu schützen, die gerade
Kuwait besetzt hatten.7

Der Persische Golf
Der Persische Golf ist das weltweit größte Erdölreservoir. Laut British Petro-
leum (BP) verfügen die größten Ölproduzenten am Golf zusammen über
etwa 728 Milliarden Barrel Erdöl – zwei Drittel der bekannten weltweiten
Reserven. Etwa 30 Prozent der weltweiten Erdölproduktion stammen aus
den Golf-Staaten.8 Die meisten Analysten nehmen an, dass der Anteil der
GolfStaaten an der weltweiten Ölproduktion in den kommenden Jahren
noch steigt, da die Produktion in anderen Weltgegenden unaufhaltsam ab-
nimmt.9
   Obwohl die USA derzeit nur ein Viertel ihres importierten Erdöls aus der
Golf-Region beziehen, hat Washington ein großes strategisches Interesse an
der dortigen Produktion, weil seine Hauptverbündeten, Japan und Westeuro-
pa, stark von Importen aus dieser Region abhängen – und weil das hohe Ex-
portvolumen der Golf-Staaten die Weltmarktpreise für Öl relativ niedrig hält.
   Natürlich spielen die Vereinigten Staaten schon seit geraumer Zeit eine
Rolle am Persischen Golf. Während des Zweiten Welt-
kriegs traf sich Franklin D. Roosevelt mit Abdul-Aziz        Schon im Zweiten Weltkrieg
Ibn Saud, dem Begründer des Königreichs Saudi-Arabi- schloss Roosevelt mit den
en, um mit ihm ein Abkommen zu schließen, in dem             Saudis ein Ölabkommen.
sich die USA verpflichteten, die Herrscherfamilie gegen
innere und äußere Feinde zu schützen, und im Gegenzug privilegierten Zu-
gang zum saudischen Öl erhielten. Sicherheitsgarantien – und damit verbun-
den die Lieferung von Waffen oder Stationierung von Truppen – gaben die
USA später auch Persien unter dem Schah, Kuwait, Bahrain, Katar und den
Vereinigten Arabischen Emiraten.
   Trotz einiger freimütiger Aussagen Dick Cheneys hat das Weiße Haus stets
bestritten, dass der Angriff auf den Irak irgendetwas mit Öl zu tun habe. Aller-
dings verfügt der Irak laut Bericht des US-Energieministeriums von 2002 über
Reserven von 112,5 Milliarden Barrel Öl, mehr als jedes andere Land außer
Saudi-Arabien. Weitere 220 Milliarden Barrel werden in bislang unentdeckten
Feldern vermutet.10 So lange Saddam Hussein an der Macht war und die UN-
Sanktionen galten, mussten diese Vorkommen unangezapft bleiben. Doch nach
dessen Sturz konnten amerikanische Firmen ins Land, um diese Felder zu er-
schließen – was der heutige stellvertretende Premierminister Achmed Chalabi
vor dem Krieg den Vertretern von US-Ölfirmen in mehreren Gesprächen in
Aussicht gestellt hatte.11
7 „Our country now imports nearly half the oil it consumes and could face a major threat to its eco-
nomic independence. The sovereign independence of Saudi Arabia is of vital interest to the United
States.“ So Bush sen. in einer Rede vom 7. August 1990, The New York Times, 8.8.1990.
8 BP: BP Statistical Review of World Energy, Juni 2005 (London 2005), S. 4, S. 6.
9 Vgl. die Prognosen für den weltweiten Ölausstoß bis 2025 in DoE/EIA, IEO-2005, Tabelle E1,
S. 157.
10 U.S. Department of Energy, Energy Information Administration: „Irak,“ kurze Länderanalyse,
28.3.2002, www.eia.doe.gov/cabs/iraq.
11 Vgl. Dan Morgan und David B. Ottaway: In Iraq War Scenario, Oil Is Key, Washington Post,
15.9.2002; und: Don’t Mention the O-Word, The Economist, 14.9.2002, S. 25–27.

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                        Derzeit sind die Ausweitung der irakischen Ölproduktion und die Beteili-
                     gung ausländischer Firmen nur eine theoretische Möglichkeit, angesichts von
                     Chaos und Gewalt, die das Land heimsuchen. Aufgrund ständiger Angriffe
                     und Sabotageakte funktioniert die irakische Ölinfrastruktur kaum noch; der
                     tägliche Erdölausstoß fiel unter das Vorkriegsniveau auf etwa 1,8 Millionen
                     Barrel pro Tag – weit entfernt von den drei bis fünf Millionen Barrel pro Tag,
                     die das Energieministerium und exilierte irakische Ölfunktionäre vorherge-
                     sagt hatten. Um die Verluste so gering wie möglich zu halten und die Produk-
                                           tion sogar wieder zu steigern, pumpte das US-Verteidi-
     So lange im Irak keine                gungsministerium Milliarden in die Sicherheit der Ölin-
     Stabilität herrscht, engagieren frastruktur und stationierte Truppen entlang gefährdeter
     sich westliche Ölfirmen nicht. Pipelinerouten – ohne großen Erfolg. Angesichts der der-
                                           zeitigen Sicherheitslage wollen sich größere Ölfirmen
                     nicht im Irak engagieren. Eine spürbare Produktionssteigerung setzt also sta-
                     bile Verhältnisse voraus.12 Wann und wie endlich Stabilität erzielt werden
                     kann, wird in USA derzeit heftig debattiert. Eines ist allerdings sicher: Die
                     US-Regierung will sich weder vollständig aus dem Irak zurückziehen noch
                     ihren Versuch aufgeben, die irakische Ölproduktion zu steigern.
                        Genauso wichtig wie der Irak sind Produktionssteigerungen in anderen
                     Ölstaaten, Stabilität in Saudi-Arabien und die Gefährdung der regionalen
                     Stabilität durch den Iran. Besonders akut ist die Notwendigkeit der Produk-
                     tionssteigerung in Saudi-Arabien. Das Land verfügt über ein Viertel der
                     weltweiten Ölreserven, schätzungsweise 265 Milliarden Barrel, und ist
                     daher das einzige Land, das den wachsenden Bedarf der USA und der rest-
                     lichen Welt decken könnte (siehe dazu den Beitrag von André Salem, S.
                     44–49). Laut US-Energieministerium muss sich Saudi-Arabiens Netto-Aus-
                     stoß an Erdöl im ersten Viertel des 21. Jahrhunderts um 77 Prozent erhö-
                     hen (von 9,2 Millionen Barrel pro Tag im Jahr 2002 auf 16,3 Millionen im
                     Jahr 2025), um den für diesen Zeitpunkt auf 119 Millionen Barrel pro Tag
                     geschätzten weltweiten Ölbedarf zu decken.13 Die saudischen Kapazitäten
                     um diese 7,1 Millionen Barrel pro Tag (das entspricht der gemeinsamen
                     Produktion von Kuwait, Nigeria und Venezuela) zu erhöhen, wird hunder-
                     te Milliarden Dollar kosten und enorme technische und logistische Proble-
                     me aufwerfen.14 Der Cheney-Report empfiehlt, Saudi-Arabien dazu zu be-
                     wegen, amerikanische Investoren zuzulassen. Jeder Versuch Washingtons
                     jedoch, Druck auf Riad auszuüben, würde auf entschiedenen Widerstand
                     der Königsfamilie stoßen, welche in den siebziger Jahren die Ölfelder ver-
                     staatlicht hat, die zuvor in US-Besitz waren, und gegenüber Wünschen aus
                     Amerika nicht allzu beflissen erscheinen möchte.15
                        Auch hat sich die lang währende Sicherheitspartnerschaft zwischen den
                     beiden Ländern zu einer Ursache für Spannungen in Saudi-Arabien entwi-
                     ckelt. Immer mehr junge Saudis lehnen die USA wegen ihrer engen Verbin-
                     dung zu Israel und Washingtons vermeintlicher Islamfeindlichkeit ab. Aus
                        12 U.S. Department of Energy, Energy Information Administration: „Irak,“ kurze Länderanalyse,
                        Juni 2005, www.eia.doe.gov/cabs/iraq.html.
                        13 DoE/EIA, IEO 2005, Tabelle E1, S. 157.
                        14 Vgl. Jeff Gerth: Forecast of Rising Oil Demand Challenges Tired Saudi Fields, The New York
                        Times, 24.2.2004.
                        15 Vgl. Michael Scott Doran: The Saudi Paradox, Foreign Affairs, Januar/Februar 2004, S. 35–51;
                        F. Gregory Gause III: Saudi Arabia Challenged, Current History, Januar 2004, S. 21–24.

36      Klare / US-Erdölpolitik                                                                 IP • Februar • 2006
Öl-Junkie Amerika Was die Abhängigkeit vom Erdöl für die USA politisch bedeutet von Michael T. Klare - Internationale Politik
KANADA                                              BRASILIEN     GR. BRITANNIEN   NORWEGEN     UKRAINE      ASERBAIDSCHAN      USBEKISTAN     TURKMENISTAN     KASACHSTAN         RUSSLAND
      6578                                               10 113        53              -            34 153          -                -               -               31 279               157 010
      1,60                                               0,22          0,71            2,39         0,56            0,06             1,86            2,90            3,0                  48,0
      16,8                                               11,2          4,7             9,7          -               0,6              0,27            0,27            39,6                 72,3
      mit Ölsand

USA                                                               DEUTSCHLAND                                                                                                      CHINA

      246 643                                                          6739                                                                                                               114 500

      5,29                                                             0,28                                                                                                               2,23

      29,4                                                             0,3                                                                                                                17,1

MEXIKO                                                            ALGERIEN                                                                                                         IRAN
      -                                                                -                                                                                                                  -
      0,9                                                              4,55                                                                                                               24,8
      14,8                                                             11,8                                                                                                               132,5

VENEZUELA                                                         LIBYEN                                                                                                           MALAYSIA

      -                                                                -                                                                                                                  -
      4,22                                                             1,3                                                                                                                2,46
      77,2                                                             39,1                                                                                                               -
                                                                                                SUDAN        SAUDI-ARABIEN      KATAR          INDIEN

                                                                                                    -               -                -               92 445
KOLUMBIEN               BOLIVIEN                                  NIGERIA          ÄGYPTEN                                                                                         INDONESIEN
                                                                                                    0,09            6,75             17,93           0,54
      6611                    -                                        -               -                                                                                                  4968
                                                                                                    0,6             262,7            15,2            -
      0,13                    0,72                                     5,0             1,85                                                                                               2,56
      1,8                     0,5                                      35,3            -                                                                                                  -
                                                                                                             IRAK               KUWAIT         V.A.E. **

                                                                                                                    -                -               -
                                                                                   SÜDAFRIKA                                                                                       AUSTRALIEN
                                                                                                                    3,14             1,55            5,89
                                                                                       48 750                                                                                             78 500
WELT                                                                                                                115              99,0            80,3
                                                                                       -                                                                                                  2,41
                                                                                       -                     ** VEREINIGTE ARABISCHE EMIRATE                                              -
             Kohle (Mio. Tonnen)                     909 064

             Gas* (1000 Mrd. m3)                      179,53
                                                                                   Fossile Brennstoffe: geschätzte Reserven
             Öl* (Mrd. Fass)                          1188,6
             *) gesicherte Reserven   Stand: 2004                                                                                                                            Grafik: IP / A. Wolff
                                                                                                                                                              Quelle: BP, www.welt-in-zahlen.de
Öl-Junkie Amerika Was die Abhängigkeit vom Erdöl für die USA politisch bedeutet von Michael T. Klare - Internationale Politik
Energie für das 21. Jahrhundert

                  diesem antiamerikanischen Milieu rekrutierte Osama Bin Laden zahlreiche
                  Anhänger. Nach dem 11. September griff die saudische Regierung bisweilen
                  hart gegen Islamisten durch, die jedoch weiterhin mit allen Mitteln jede Art
                  von saudischer Kooperation mit Washington unterbinden wollen.
                     Ein weiterer Risikofaktor am Persischen Golf ist der Iran. Amerikanische
                  Politiker sind nicht bloß über Teherans Nuklearambitionen besorgt, sondern
                  auch über seinen konventionellen Militärapparat, der eine potenzielle Bedro-
                                        hung für die Ölschifffahrt auf dem Persischen Golf dar-
     Sofort nach dem Ende der           stellt. Vermutlich stationierte der Iran Bodenraketen an
     Sowjetunion begannen die           der schmalen Straße von Hormuz, durch die jeden Tag
     USA, auf die kaspischen            schätzungsweise 14 Millionen Barrel Öl, ein Fünftel der
                                        gesamten Weltproduktion, verschifft werden. Das US-
     Energievorräte zuzugreifen.        Zentralkommando CENTCOM (Central Command)
                  wurde 1983 mit dem Hauptzweck gegründet, diesen lebenswichtigen Wasser-
                  weg vor Angriffen zu schützen. Bis heute unterhält CENTCOM deswegen ein
                  großes und schlagkräftiges Militärpotenzial.
                     Doch trotz aller militärischen Anstrengungen ist die Region heute noch
                  immer nicht stabiler als bei der Gründung des CENTCOM. Die Aufstände im
                  Irak flauen nicht ab, die Opposition gegen die saudische Herrscherfamilie
                  scheint so stark wie immer und der Iran bedroht weiterhin amerikanische Si-
                  cherheitsinteressen. Man sollte meinen, diese Sachlage müsste George W. Bush
                  und seine Berater eigentlich veranlassen, eine andere Strategie zur Durchset-
                  zung amerikanischer Interessen am Golf zu entwickeln. Doch wie seine Amts-
                  vorgänger verlässt Bush sich auf den Einsatz militärischer Gewalt.

                        Das Kaspische Meer
                        Im Bush-Cheney-Plan werden energische Anstrengungen gefordert, die aus-
                        ländischen Öllieferanten Amerikas breiter zu diversifizieren. In diesem Zu-
                        sammenhang schlägt der Cheney-Report vor, Produktion und Export in Gebie-
                        ten außerhalb der Golf-Region, vor allem am Kaspischen Meer, in Westafrika
                        und in Lateinamerika, zu unterstützen.
                          Besonders die Länder am Kaspischen Meer – Aserbaidschan, Georgien, Ka-
                        sachstan, Kirgisien, Turkmenistan, Tadschikistan, Usbekistan und die an-
                        grenzenden Länder Iran und Russland – erregen Washingtons Aufmerksam-
                        keit. In dieser Region befinden sich nachgewiesene Reserven von 17 bis 44
                        Milliarden Barrel Öl.16 Zum ersten Mal versuchten die Vereinigten Staaten
                        unter Präsident Bill Clinton auf die kaspischen Energievorräte zuzugreifen.
                        Sofort nach deren Unabhängigkeit von der Sowjetunion begann Wa-shington
                        eine Kampagne, um deren Ölfelder für westliche Investoren zu öffnen und
                        die Errichtung neuer Exportpipelines zu ermöglichen.
                          Das Hauptziel der Clinton-Regierung war die Genehmigung neuer Export-
                        routen vom Kaspischen Meer zu den westlichen Märkten. Da die US-Regierung
                        das kaspische Öl nicht durch Russland leiten wollte (um Moskau nicht die
                        Kontrolle über westliche Energiezufuhr zu geben) und durch den Iran nicht lei-
                        ten konnte (da die amerikanischen Gesetze dies verboten), setzte sich Clinton
                        für den Plan ein, Öl und Gas von Baku in Aserbaidschan über die frühere Sow-
                        16U.S. Department of Energy, Energy Information Administration: „Kaspisches Meer“, kurze
                        Länderanalyse, September 2005, www.eia.doe.gov/emeu/cabs/caspian.html.

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Öl-Junkie Amerika Was die Abhängigkeit vom Erdöl für die USA politisch bedeutet von Michael T. Klare - Internationale Politik
Energie für das 21. Jahrhundert

jetrepublik Georgien ins türkische Ceyhan zu transportieren. Kurz bevor er aus
dem Amt schied, unterzeichnete Clinton in der Türkei ein regionales Abkom-
men für die Errichtung der drei Milliarden Dollar teuren Baku-Tbilisi-Ceyhan-
Pipeline (BTC). Die Bush-Regierung versucht, den Bau der BTC-Pipeline zu be-
schleunigen und die Beteiligung amerikanischer Firmen an kaspischen Ener-
gieprojekten auszuweiten. In Zukunft will die Regierung außerdem eine Pipe-
line von Kasachstan nach Baku errichten, um so den Energiefluss aus Zentral-
asien über das BTC-Pipeline-System in den Westen zu ermöglichen.17
   Bis zum 11. September 2001 beschränkte sich das amerikanische Engagement
im Kaspischen Raum und in Zentralasien hauptsächlich auf ökonomische und
diplomatische Bemühungen, gepaart mit einigen Militärhilfeabkommen. Um die
Taliban und Al-Qaida in Afghanistan zu bekämpfen, stationierte das Verteidi-
gungsministerium jedoch zehntausende Soldaten in dieser Region und errichte-
te Militärbasen in Kirgisien und Usbekistan. Aber alles spricht dafür, dass die
Vereinigten Staaten eine permanente militärische Präsenz errichten und die mi-
litärische Zusammenarbeit mit befreundeten Regimen stärken wollen.
   Die Präsenz der amerikanischen Streitkräfte am Kaspischen Becken soll an-
geblich dem Kampf gegen den Terrorismus dienen. Aus Regierungsdokumenten
geht jedoch eindeutig hervor, dass es auch um die Sicherung des Erdöls geht. Be-
merkenswert ist in dieser Hinsicht die Entscheidung, amerikanische Militäraus-
bilder in Georgien zu stationieren, um eine Spezialeinheit auszubilden, die ir-
gendwann den georgischen Abschnitt der BTC-Pipeline bewachen soll.18 Ähn-
lich aufschlussreich ist auch der US-Plan, die ehemalige So-
wjetbasis in Atyrau in Kasachstan – einem der wichtigsten Offenbar wird eine dauerhafte
Ölzentren am Kaspischen Meer – zu renovieren und die         Militärpräsenz in Kirgisien
Errichtung einer kasachischen schnellen Eingreiftruppe zu und Usbekistan angestrebt.
finanzieren. Diese Truppe soll es nach Angaben des ameri-
kanischen Außenministeriums „Kasachstan ermöglichen, auf Terrorangriffe
gegen Ölplattformen oder seine Grenzen zu reagieren“. Die Anlage in Atyrau
wird auch als mögliche Zwischenbasis für amerikanische Truppen in Betracht
gezogen, die eines Tages in dieser Gegend stationiert werden könnten, um ge-
meinsame Operationen mit den kasachischen Streitkräften durchzuführen.19
   Offensichtlich stehen einem zunehmenden Erdölexport aus dieser Region
noch zahlreiche Hindernisse im Weg. Manche sind rein logistischer Natur:
Ohne neue Pipelines können keine größeren Mengen kaspischen Öls in den
Westen transportiert werden. Aber es gibt auch politische und juristische
Hürden: Die meist autoritären Regime leiden unter Korruption und setzen
die Rechts- und Steuerreformen, die Voraussetzung für groß angelegte Inves-
titionen aus dem Westen wären, nur sehr unwillig um.

Westafrika
„Westafrika wird wohl bald eine der am schnellsten wachsenden Öl- und Gas-
quellen für den amerikanischen Markt sein“, heißt es im Cheney-Report,20
17 NEPDG, NEP 2001, Kapitel 8, S. 12–13.
18 Vgl. Chip Cummins: US Plans to Send Military Advisers to Georgia Republic, Wall Street Jour-
nal, 27.2.2002.
19 US Department of State: Congressional Budget Justification, Foreign Operations, Fiscal Year
2005, Washington 2005, S. 371. Die Hinweise auf die Atyrau-Basis stammen aus der Ausgabe
des Vorjahres, Fiscal Year 2004, S. 348–349.
20 NEPDG, NEP 2001, Kap. 8, S. 11. Vgl. auch: Black Gold, The Economist, 26.10.2002, S. 59–60.

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Energie für das 21. Jahrhundert

                   was die Attraktion der Region als Öllieferant für die Bush-Regierung beträcht-
                   lich erhöht. Obwohl afrikanische Produzenten 2002 nur 10,8 Prozent der
                   Weltölproduktion lieferten, prognostiziert das Energieministerium, dass ihr
                   Anteil bis 2025 auf 13,4 Prozent anwachsen wird und das weltweite Angebot
                   um 7,8 Millionen Barrel pro Tag steigt.21
                      Die Regierung richtet ihre Bemühungen vor allem auf zwei Schlüsselstaaten:
                   Nigeria und Angola. Nigeria produziert bereits etwa 2,3 Millionen Barrel pro
                   Tag und soll seine Kapazitäten bis 2025 verdoppeln. Nigeria mangelt es jedoch
                                         an den nötigen Finanzmitteln, um diese Expansion selbst-
     Nigeria und Angola sind die ständig durchzuführen, und sein schwerfälliges Rechtssys-
     Schlüsselstaaten. Doch              tem – zu schweigen von der Korruption – schreckt viele
                                                                                   22
     fehlende Rechtsstaatlichkeit ausländische Firmen von Investitionen ab. Der Cheney-
                                         Report fordert Außen-, Handels- und Energieminister auf,
     verhindert Investitionen.           mit nigerianischen Stellen zusammenzuarbeiten, um „das
                   Klima für amerikanischen Öl- und Gashandel und für Investitionen zu verbes-
                   sern“. Ein ähnlicher Ansatz bestimmt auch die Haltung der Regierung gegen-
                   über Angola. Mit ausreichenden externen Investitionen, so der Cheney-Report,
                   hätte Angola „das Potenzial, seine Exporte in den nächsten zehn Jahren zu ver-
                   doppeln“.23 Aber auch hier verhindern die ausufernde Korruption und ein un-
                   günstiges Rechtsklima dauerhafte Investitionen durch ausländische Firmen.
                      Ein weiteres Problem sind politische und ethnische Unruhen. Im Frühjahr
                   2003 kam in Nigeria ein Großteil der Produktion zum Erliegen, als es in der
                   Delta-Region, Hauptstandort des nigerianischen Festlandöls, zum Ausbruch
                   ethnischer Gewalt kam. Ende 2005 kam es zu weiteren Unruhen, ausgelöst
                   durch den Wettbewerb lokaler Stämme um die Zahlungen, die Ölfirmen für Ge-
                   meindenentwicklung zur Verfügung stellen.24
                      Die Vereinigten Staaten dürften dieser Schwierigkeiten durch die Stationie-
                   rung amerikanischer Truppen kaum Herr werden, da sie damit zweifellos Er-
                   innerungen an den Kolonialismus heraufbeschwören und Proteste im In- und
                   Ausland provozieren würden. Nichtsdestoweniger will Washington seine Mili-
                   tärhilfen für befreundete Regierungen in der Region erhöhen und gemeinsame
                   Militärübungen abhalten. Die amerikanische Unterstützung für Angola und
                   Nigeria stieg in den Jahren 2002 bis 2004 deutlich auf etwa 300 Millionen
                   Dollar an. Außerdem hält das Verteidigungsministerium Ausschau nach Flug-
                   häfen und militärischen Anlagen, die amerikanische Truppen provisorisch
                   nutzen können. Mögliche Standorte für derartige Anlagen sind Ghana, Kenia,
                   Mali, Senegal und Uganda.25 Gegenüber dem Wall Street Journal gab ein hoher
                   US-Offizier zu, dass „die Hauptaufgabe der amerikanischen Truppen (in Afri-
                   ka) darin bestehe, die Ölfelder Nigerias, die in Zukunft bis zu 25 Prozent aller
                   amerikanischen Ölimporte ausmachen werden, zu sichern.“26
                        21 DoE/EIA, IEO 2005, Tabelle E1, S.    157.
                        22 U.S. Department of Energy, Energy    Information Administration: „Angola,“ kurze Länderana-
                        lyse, Februar 2004, www.eia.doe.gov/emeu/cabs/angola.html.
                        23 NEPDG, NEP 2001, Kapitel 8, S. 11.
                        24 Vgl.: Nigerian Troops Move Into Delta to Put Down Ethnic Riots, The New York Times,
                        20.3.2003. Somini Sengupta: Nigerian Strife, Little Noted, Is Latest Threat to Flow of Oil, The
                        New York Times, 22.3.2003. Lydia Polgree: Blood Flows with Oil in Poor Nigerian Villages, The
                        New York Times, 1.1.2006.
                        25 Greg Jaffe: In Massive Shift, US Is Planning to Cut Size of Military in Germany, Wall Street
                        Journal, 10. Juni 2003. Eric Schmitt: Pentagon Seeking New Access Pacts for African Bases, The
                        New York Times, 5. Juli 2003.
                        26 Jaffe (Anm. 25).

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Lateinamerika
Zu guter Letzt sieht der Cheney-Plan bedeutend höhere Ölimporte aus Lateina-
merika vor. Die USA beziehen bereits jetzt einen Großteil ihrer Importe von
dort. Venezuela ist nach Kanada und Saudi-Arabien der drittgrößte Ölversorger
der USA, Mexiko der viert- und Kolumbien der siebtgrößte. Mit besonderem
Nachdruck drängt der Plan auf den Erwerb zusätzlichen Öls aus Mexiko und
Venezuela. „Seine Ölreserven, die ungefähr 25 Prozent größer sind als unsere
eigenen nachgewiesenen Reserven, machen Mexiko im nächsten Jahrzehnt vor-
aussichtlich zu einer Quelle erhöhter Ölproduktion.“27 Venezuela verfügt über
große Reserven an herkömmlichem Öl und über enorme Mengen an so genann-
tem Schweröl (ein schlammähnliches Material, aus dem man durch einen kost-
spieligen Raffinierungsprozess herkömmliches Öl herstellen kann).
   Doch die amerikanischen Versuche, die mexikanischen und venezolani-
schen Energievorräte anzuzapfen, werden auf große Schwierigkeiten stoßen:
Aufgrund der langen Geschichte ausländischer Ausbeutung unterliegen die
Energiereserven dieser Länder der staatlichen Kontrolle, und es existieren
hohe rechtliche und konstitutionelle Hürden für auslän-
dische Beteiligungen an der heimischen Ölproduktion.        Solange Chávez an der
Daher werden sie sich einer größeren amerikanischen         Macht ist, bleibt Venezuelas
Beteiligung an ihren Ölindustrien entgegenstemmen, ob- Ölindustrie verschlossen.
wohl sie die wirtschaftlichen Vorteile des zunehmenden
Ölexports in die USA natürlich trotzdem genießen wollen. Das gilt besonders
für Venezuela, das mit der neuen Verfassung von 1999 Ausländern den Besitz
von Ölgesellschaften verbot und unter der Führung von Hugo Chávez weitere
Hindernisse für ausländische Investoren errichtete. Nach dem Ende des lan-
gen Generalstreiks von 2002 und 2003, der von Gegnern des Präsidenten or-
ganisiert worden war, erlangte Chávez die Kontrolle über die staatseigene Öl-
gesellschaft Petróleos de Venezuela und entließ Manager, die sich für Ge-
schäfte mit ausländischen Firmen aussprachen.28 Solange Chávez an der
Macht bleibt, wird Washington in seinem Streben nach amerikanischen In-
vestitionen in Venezuelas Ölindustrie kaum erfolgreich sein.
   Energiefragen spielen auch in der Beziehung der USA zu Kolumbien eine
Rolle. Kolumbien gilt in den USA zwar hauptsächlich als Kokain-Anbauge-
biet, ist aber auch einer der wichtigsten Öllieferanten. Bemühungen um eine
Produktionssteigerung in Kolumbien wurden jedoch bisher durch permanen-
te Guerilla-Anschläge auf Ölanlagen und -pipelines verhindert. Mit der Be-
gründung, sie würden auch Rauschgifthändlern Zuflucht gewähren, helfen
die USA dem kolumbianischen Militär und der Polizei, diese Guerillas zu be-
kämpfen. Zudem leiten amerikanische Militärausbilder mit 2002 vom Kon-
gress bewilligten Fördermitteln von 94 Millionen Dollar (die in den folgen-
den Jahren erneut bewilligt wurden), ein Trainingsprogramm zur Bekämp-
fung von Aufständischen für jene kolumbianischen Kräfte, die die Canon-
Limón-Pipeline zwischen den inländischen Ölfeldern und den Raffinerien
und Exportanlagen an der Karibikküste sichern sollen.29 So werden die USA

27NEPDG, NEP 2001, Kapitel 8, S. 9.
28Venezuelan Oilman: Rebel with a New Cause, The New York Times, 9.2.2003.
29Für Hintergrundinformationen zur kolumbianischen Ölindustrie, siehe U.S. Department of
Energy, Energieinformationsverwaltung, „Kolumbien“, kurze Länderanalyse, Juli 2004, www.eia.
doe.gov/cabs/colombia.html, 7. Juli 2004.

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Energie für das 21. Jahrhundert

                        auf ihrer Suche nach zusätzlichen Energieversorgern vermutlich immer wei-
                        ter in den kolumbianischen Bürgerkrieg verwickelt werden.

                   Ein weltweiter Öl-Schutz-Service
                   Im selben Maße, wie die Abhängigkeit von importiertem Öl zunimmt, dürf-
                   ten die Vereinigten Staaten von Unterbrechungen des weltweiten Energieflus-
                   ses bedroht sein und sich immer weiter in fremde Ölkonflikte verstricken.
                   Das bedeutet, dass die amerikanischen Truppen immer mehr Zeit und Ener-
                   gie der Verteidigung überseeischer Ölfelder, Pipelines, Raffinerien und
                   Schiffsrouten widmen müssen. Dadurch verwandeln sich die amerikanischen
                   Streitkräfte allmählich in einen weltweiten Öl-Schutz-Service.30
                      Um sich bewusst zu machen, wie sehr die Energie- und die Sicherheitspolitik
                   der Bush-Regierung tatsächlich zusammenhängen, sollte man genauer betrach-
                   ten, auf welche Truppen sich die USA stützen, um in Zeiten von Krisen und
                                          Konflikten ihren Zugang zu fremden Ölquellen zu sichern.
     Der Kampf gegen Terror und Es handelt sich um Einheiten, die so schnell wie möglich
     der Einsatz für eine sichere         in konfliktträchtige Gegenden gelangen und die Armeen,
     Ölversorgung lassen sich nicht die ihnen im Wege stehen, zügig überwältigen müssen. Im
                                          amerikanischen Militärjargon werden diese Truppen als
     sauber auseinander halten.           „power projection forces“ bezeichnet; der Begriff umfasst
                   sowohl die Luft- und Bodentruppen als auch Schiffe und Flugzeuge. Deren Not-
                   wendigkeit wird im Quadrennial Defense Review (QDR) des Verteidigungsmi-
                   nisteriums vom September 2001 deutlich unterstrichen. Nur wenige Wochen
                   nach den Terroranschlägen vom 11. September erschienen, hebt das QDR na-
                   türlich die Dringlichkeit der Terrorbekämpfung hervor, doch der Hauptakzent
                   liegt auf der Entsendung amerikanischen Militärs auf ferne Schlachtfelder.31
                      Es bestehen also Überschneidungen zwischen dem Kampf gegen Terror und
                   „Schurkenstaaten“ auf der einen Seite und der Verteidigung überseeischer Ölanla-
                   gen auf der anderen. Je genauer man amerikanische Militäraktionen in bestimm-
                   ten Weltregionen betrachtet, umso klarer wird, dass der Krieg gegen den Terroris-
                   mus und der Kampf um eine sichere Ölversorgung zu einer Einheit verschmelzen.
                      Anhänger der Bush-Regierung bringen vor, dass der Einsatz militärischer
                   Truppen zur Verteidigung ausländischer Ölquellen angesichts antiamerikani-
                   scher Gewalt notwendig und im Hinblick auf die nationale Sicherheit gerechtfer-
                   tigt, wenn nicht sogar moralisch geboten ist. Diese Sichtweise deckt sich mit dem
                   klassischen „Realismus“, der besagt, dass jedes Land seine nationalen Interessen
                   verteidigen muss, wenn es nicht durch andere, aggressivere Staaten Nachteile er-
                   dulden will. Doch wie so viele Überzeugungen der Realisten hat dieser Ansatz
                   einen entscheidenden Mangel: Wenn die USA in Regionen, in denen antiwestli-
                   che Gefühle ohnehin schon virulent sind, ihre Truppen stationieren, provozie-
                   ren sie noch mehr Gewalt und damit Unterbrechungen der Ölversorgung. Es
                   sieht so aus, als habe Bush die falsche Wegrichtung eingeschlagen, als er Anfang
                   2001 eine Entscheidung in der Energiepolitik zu fällen hatte. Hätte er sich an-
                   ders entschieden, wären die Vereinigten Staaten heute weniger abhängig von
                   ausländischem Erdöl und das Risiko, immer wieder in blutige Ölkriege verwi-
                   ckelt zu werden, wäre sehr viel kleiner.
                        30 Der Autor verwendet diesen Begriff erstmalig in Klare 2004 (Anm. 4), S. 7. Zu ähnlichen
                        Analysen vgl. Chip Cummins: As Threats of Oil Facilities Rise, US Military Becomes Protector,
                        Wall Street Journal, 30.6.2004.
                        31 U.S. Department of Defense: Quadrennial Defense Review Report, Washington 2001, S. 4, S. 43.

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