Landraub in Kambodscha - Zuckerrohrplantagen, Menschenrechts-verletzungen und die Handelsinitiative "Alles außer Waffen" der Europäischen Union

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Landraub in Kambodscha - Zuckerrohrplantagen, Menschenrechts-verletzungen und die Handelsinitiative "Alles außer Waffen" der Europäischen Union
Landraub in Kambodscha
Zuckerrohrplantagen, Menschenrechts-
verletzungen und die Handelsinitiative
„Alles außer Waffen“ der Europäischen Union
Landraub in Kambodscha - Zuckerrohrplantagen, Menschenrechts-verletzungen und die Handelsinitiative "Alles außer Waffen" der Europäischen Union
IMPRESSUM

FIAN Österreich
Internationale Menschenrechtsorganisation für das Recht auf Nahrung
Schwarzspanierstraße 15/3/1
1090 Wien
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Fax: 01 2350 - 20
Mail: office@fian.at
www.fian.at

ZVR: 937 480 634

Autorin:
Andreea Zelinka
mit Tina Wirnsberger

Wien, August 2020

Diese Publikation entstand im Rahmen des Projekts „Kleinbäuer*innenrechte sind Menschenrechte“, gefördert durch die
Austrian Development Agency (ADA) aus Mitteln der Österreichischen Entwicklungszusammenarbeit. Die hier vertretenen
Standpunkte geben die Ansicht der Herausgeber*innen wider und stellen in keiner Weise die offizielle Meinung der
Fördergeber*innen dar.
Landraub in Kambodscha - Zuckerrohrplantagen, Menschenrechts-verletzungen und die Handelsinitiative "Alles außer Waffen" der Europäischen Union
Landraub in Kambodscha
       Zuckerrohrplantagen,
   Menschenrechtsverletzungen
     Und die Handelsinitiative
        „Alles Außer Waffen“
      Der Europäischen Union
Landraub in Kambodscha - Zuckerrohrplantagen, Menschenrechts-verletzungen und die Handelsinitiative "Alles außer Waffen" der Europäischen Union
Landraub in Kambodscha - Zuckerrohrplantagen, Menschenrechts-verletzungen und die Handelsinitiative "Alles außer Waffen" der Europäischen Union
INHALT

EINLEITUNG............................................................................................................ 4
    Everything But Arms – Alles außer Waffen......................................................
    Landkonflikte und Kriminalisierung ...............................................................
ZUCKERBOOM und landgrabbing ............................................................................ 6
    Ernährungslage vor dem Zuckerboom ...........................................................
    Entwicklung der Zuckerrohrindustrie .............................................................
    Zuckerexporte in die EU ..................................................................................
PROFITEURE DES ZUCKERBOOMS............................................................................... 8
Fälle..................................................................................................................... 9
    Koh Kong und Preah Vihear .............................................................................
    Kampong Speu ................................................................................................
    Oddar Meanchey ..............................................................................................
Menschenrechtliche Einordnung....................................................................... 15
    Nationale und extraterritoriale Staatenpflichten ...........................................
    Zum Recht auf Nahrung und anderen Menschenrechten in Kambodscha ...
    Analyse nach UNDROP ....................................................................................
Schlussfolgerungen und empfehlungen ............................................................ 22
    Proaktive Menschenrechtsagenda der EU in Bezug auf Landgrabbing .........
    Menschenrechtskonforme Ausgestaltung von Politiken und Strategien ......
    Implementierung der UNDROP .......................................................................
    Rechenschaftspflicht und Regulierung von in der EU ansässigen Akteuren .
    Rolle der Zivilgesellschaft fördern ..................................................................
Chronologie der Ereignisse ............................................................................... 24
QUELLENNACHWEISE ............................................................................................. 26
Landraub in Kambodscha - Zuckerrohrplantagen, Menschenrechts-verletzungen und die Handelsinitiative "Alles außer Waffen" der Europäischen Union
EINLEITUNG

Everything But Arms – Alles außer Waffen

Kambodscha wird als eines der 47 ärmsten       Dialogprozesses mit der kambodschani-
Länder der Welt als Least Developed Count-     schen Regierung entschieden, bestehende
ry („am wenigsten entwickeltes Land“, LDC)     Handelspräferenzen zu entziehen. 4 Die
eingestuft und daher im Rahmen des Allge-      kambodschanische Regierung hatte die
meinen Präferenzsystems (APS) der Europä-      Möglichkeit, während einer 6-monatigen
ischen Union (EU) mit Handelspräferenzen       Schonfrist substantielle Änderungen vorzu-
unterstützt. Unter der Handelsinitiative       nehmen, um dem Entzug entgegenzuwirken.
Everything But Arms (EBA) kann Kambod-
scha Produkte quoten- und zollfrei nach Eu-    Seit 2010 haben von Landraub betroffene
ropa exportieren – eben alles außer Waffen     Gemeinden – unterstützt von FIAN und an-
und Munition.                                  deren zivilgesellschaftlichen Organisationen
                                               in Kambodscha, Thailand und Europa – die
Vor dem Hintergrund der Millennium-            EU dazu aufgerufen, diese Menschenrechts-
Entwicklungsziele aus dem Jahr 2001 will       verletzungen zu untersuchen. 5 Das zehnjäh-
die EU damit ermöglichen Armut zu verrin-      rige Warten auf eine Entscheidung hat struk-
gern, Arbeitsplätze zu schaffen und den all-   turelle Probleme der EU-Handelsinitiative
gemeinen Wohlstand zu erhöhen. Tatsäch-        sowie der internen Entscheidungsprozesse
lich boomt der Export aus Kambodscha in        innerhalb der EU-Institutionen aufgedeckt
die EU. Seit 2008 sind die Exporte um 630%     und somit jahrelange Menschenrechtsver-
gestiegen. Ein Großteil davon kommt aus        letzungen in Kauf genommen.
dem Textilsektor und macht 39% des ge-
samten kambodschanischen Exports aus. 1        Das zeigt, dass EBA keine adäquaten und
Zwar wurden im Textilsektor neue Arbeits-      bindenden Rahmenbedingungen hat, um
plätze geschaffen, allerdings findet die Ar-   Menschenrechtsverletzungen zu vermeiden,
beit unter unmenschlichen Bedingungen          sondern sogar zu ihnen beiträgt.
statt: die Beschäftigten arbeiten für einen
minimalen Lohn und ein Drittel sind unter-     Landkonflikte und Kriminalisierung
ernährt. 2
                                               In Kambodscha sind 7,1 Millionen Menschen
Im Agrarbereich hat EBA dazu geführt, dass     unterernährt 6, das entspricht 44,3% der Ge-
in Kambodscha seit 2006 über 150.000 Hek-      samtbevölkerung. Zumeist sind landarme
tar Land an private Investor*innen für Zu-     Bäuer*innen mit weniger als 0,5 Hektar
ckerrohrplantagen verpachtet wurden. 3 Das     Land, Landlose, von Frauen geführte Haus-
führte dazu, dass die ärmste Bevölkerung       halte und indigene Gemeinschaften betrof-
enteignet, vertrieben und ihnen ihre Le-       fen. 7
bensgrundlage – ihr Land – entzogen wurde.
Das heißt ihr Recht auf Nahrung sowie die in   Bis zu 84% der Kambodschaner*innen leben
der UN-Erklärung für Kleinbäuer*innen und      in ländlichen Gebieten, wobei die meisten
andere Menschen in ländlichen Gebieten         von ihnen für ihren Lebensunterhalt von
(UNDROP) verankerten Rechte wurden ver-        ihrem Zugang zu Land abhängig sind. 8 Laut
letzt. Am 12. Februar 2020 hat die Europäi-    der Cambodian League for the Promotion
sche Kommission nach einem einjährigen         and Defense of Human Rights (LICADHO)
Untersuchungs- und                             waren allein im Jahr 2018 über 8000 Fami-
                                               lien oder rund 32 000 Menschen von neuen
4
Landkonflikten betroffen. Die Gemeinden               chung der Landaktivist*innen durch die Re-
kämpfen oft gegen mächtige Geschäftsty-               gierung.
coons, die den kambodschanischen Staat
und dessen Exekutive im Rücken haben.

Viele sind mit Drohungen, Einschüchte-
rungsversuchen, rechtlicher Schikane bis
hin zu Inhaftierung konfrontiert. Nach dem
Verbot der größten Oppositionspartei und
Etablierung eines     de facto Einparteien-
staats 2017-18 verstärkte sich die Überwa-

        Hintergründe EBA
        In den 1960er Jahren wollte die United Nations Conference on Trade and
        Development (UNCTAD) den Zugang zum Exportmarkt für Entwicklungsländer
                         ZUCKERBOOM und landgrabbing
        verbessern. Die UNCTAD II Konferenz in New Delhi hat 1968 das Allgemeine
        Präferenzsystem (Generalized System of Preferences/APS) eingeführt, um die
        Einnahmen von Entwicklungsländern durch Exporte zu erhöhen, sowie
        Industrialisierung und Wachstum zu fördern.

        APS ist ein formales System der Freistellung von der Meistbegünstigungsklausel der
        Welthandelsorganisation (WTO). Die Meistbegünstigung bestimmt, dass die Importe
        aller WTO-Mitgliedsländer gleich behandelt werden. 1979 hat das Allgemeine Zoll-
        und Handelsabkommen (General Agreement on Tariffs and Trade/GATT) eine
        Möglichkeit     geschaffen,    Entwicklungsländern       unter    APS    spezielle
        Handelspräferenzen zuzugestehen.

        EBA ist eine Flagschiff-Initiative der EU, die 2001 vor dem Hintergrund der
        Millennium-Entwicklungsziele verabschiedet wurde. EBA gestattet 49 Ländern, die
        als LCD eingestuft sind, den vollen zoll- und quotenfreien Zugang zum europäischen
        Binnenmarkt. Der Marktzugang für Zucker wurde im Oktober 2009 vollständig
        liberalisiert. Auch der EU-Zuckermarkt wurde ab dem 01.10.2017 liberalisiert. Das ist
        von besonderer Bedeutung, da es in der EU bis dahin ein garantierter Mindestpreis
        galt, der lange Zeit dreimal über dem Weltmarktpreis lag. Jedoch gibt es einen
        Widerspruch: EBA will explizit Privatinvestitionen in den ärmsten Ländern der Welt
        fördern, gewährleistet aber keine Rahmenbedingungen, die die ohnehin von Armut
        betroffene Bevölkerung vor Missbrauch schützt.

5
ZUCKERBOOM und landgrabbing

Ernährungslage vor dem Zuckerboom

Bevor die Zuckerrohrplantagen errichtet         Expansion großangelegter kapitalbasierter
wurden, verfügten viele Menschen in den         Produktion und zur Zerstörung kleinbäuerli-
ländlichen Gemeinden über eine komplexe         cher Landwirtschaft und lokalen Ernäh-
Strategie zur Existenzsicherung. Betroffene     rungssystemen geführt. Damit muss auch
in Aimlang, Kampong Speu Provinz, gaben         das Produktionsmodell, das durch sog.
an, ungefähr zwischen 500-1.000 US-$ pro        „Entwicklungs-Politiken“ gefördert wird, in
Hektar Land im Jahr allein durch den Anbau      Frage gestellt werden. 12
von Reis zu verdienen. Familien verfolgten
eine ganze Reihe an Aktivitäten, wie den        Entwicklung der Zuckerrohrindustrie
Anbau von Bananen, Ananas und Mangos,
die Viehhaltung (Schweine, Hühnern und          Die Entwicklung der kambodschanischen
Rinder), das Sammeln von Waldfrüchten           Zuckerrohrindustrie ging mit zahlreichen
und Wasserpflanzen, die Fischerei, die Holz-    Verstößen gegen nationales Recht einher.
verarbeitung und Köhlerei. Manche arbeite-      Seit 2006 vergibt die kambodschanische
ten auch zusätzliche als Fahrer*innen oder      Regierung Land im Rahmen der ELC an pri-
Lehrer*innen. Diese Mischung sorgte für ei-     vate Investor*innen für die agro-industrielle
ne verhältnismäßig stabile und langfristig      Zuckerrohrproduktion. 13 Das Landgesetz aus
nachhaltige Quelle für Nahrung, Einkommen       dem Jahr 2001 oder die Verordnung 146
und Lebensunterhalt. 9 In den frühen            über ELC aus dem Jahr 2005 gestatten nur
1990ern war Landnutzung in Kambodscha in        eine max. Größe von 10 000 Hektar, um die
erster Linie bedarfsorientiert organisiert,     mit Vertreibung und Ähnlichem verknüpfte
was eine angemessene Verteilung von Land        Risiken zu entschärfen. Viele ELC reichen
und „praktisch überhaupt keine Landlosig-       allerdings weit darüber hinaus und/oder
keit” gewährleistete. 10 Heute ist der Mangel   ignorieren Bestimmungen, die unfreiwillige
an Zugang zu ertragreichem Land eines der       Umsiedlungen scharf begrenzen. Das Glei-
gravierendsten Probleme in Kambodscha.          che gilt auch für Richtlinien bezüglich der
Viele Menschen sind hochgradig von              Umwelt- und Sozialverträglichkeitsprüfun-
schlecht bezahlten Jobs auf den Zucker-         gen und Konsultationen mit der lokalen Be-
rohrplantagen abhängig. Da es sich um Sai-      völkerung im Vorfeld von der Vergabe sol-
sonarbeit handelt, haben die meisten 2-6        cher Konzessionen. 14 Bis 2012 wurden ins-
Monate Arbeit pro Jahr, bei der sie 3 US-       gesamt 2,6 Hektar Land vergeben. Heute
$ am Tag verdienen. 11 Die Tatsache, dass das   sind es mehr als 2,1 Millionen Hektar Land 15–
Einkommen und die Ernährung gänzlich von        eine Fläche, die in etwa 52% der gesamten
dieser Arbeit abhängt, äußert sich in prob-     Agrarfläche in Kambodscha entspricht 16 – an
lematischen Situationen. Ende 2012 litten       private Konzerne für (agrar-)industrielle
80% der Menschen in dem Umsiedlungsge-          Nutzung vergeben. Mit dieser Vergabepraxis
biet New Pis in Kampong Speu unter Hun-         wird die Entscheidungsgewalt darüber, wie
ger, weil sich die Zuckerrohrernte durch ne-    und für welchen Zweck Land, Wasser und
gative Witterungsumstände verzögerte. Das       Wälder jetzt und in der Zukunft genutzt wer-
System der sogenannten ökonomischen             den, denjenigen Menschen aus der Hand
Landkonzessionen (Economic Land Conces-         gerissen, die seit jeher für ihren Lebensun-
sions/ELC), darunter auch die durch EBA         terhalt darauf angewiesen sind und sich um
entstandenen Zuckerrohrplantagen, hat zur

6
Felder, Bäche und Wälder gekümmert und              schenrechtsorganisationen dokumentierten,
diese gepflegt haben.                               dass weit mehr als eine halbe Million Men-
Viele der ELC beinhalten Land, das von der          schen, also 3,5% der Gesamtbevölkerung,
lokalen Bevölkerung genutzt wird (Reisfel-          von Landkonflikten betroffen sind oder gar
der, gemeinschaftlich genutzte Wälder, Wei-         vertrieben wurden. 2012 verkündete die Re-
deland, Dörfer oder Wasservorkommen).               gierung schließlich ein Moratorium für neue
Dies führt zu einer regelrechten Welle von          ökonomische Landkonzessionen.
Landkonflikten. Kambodschanische Men-

       Geschichten des Widerstands

       Vor den Wahlen 2018 reisten Hunderte Dorfbewohner*innen aus mehr als 23
       von Landraub betroffenen Gemeinden aus dem ganzen Land nach Phnom
       Penh, um Petitionen einzureichen. Die Anreise einiger Gemeinden mit dem
       Auto wurde durch Sicherheitskräfte blockiert, statt dessen wurden sie dazu
       gezwungen aus ihrer Provinz in die Hauptstadt zu Fuß zu gehen. 17

Zuckerexporte in die EU

Die Exporte aus Kambodscha in die EU ha-            Viele der involvierten Firmen äußerten ex-
ben sich von 2011-2016 um 227% erhöht.              plizit, dass EBA die Hauptmotivation dafür
2017 erreichte der gesamte Export Kambod-           war, in Kambodscha Land zu erwerben und
schas in die EU den Wert von 5 Mrd. €. Damit        zu investieren. So sagte zum Beispiel der
verdoppelte sich der Wert seit 2013. 2018           Assistent von Ly Yong Phat, dass EBA Kosten
gingen 45% aller kambodschanischen Ex-              reduziere und ihr Unternehmen so konkur-
porte in die EU. 95,5% der möglichen Expor-         renzfähig mache. Ein Sprecher der KSL
te wurden unter EBA getätigt. EBA hat Ar-           Group erklärte, dass die Investitionen in
beitsplätze geschaffen, speziell im Textilsek-      Kambodscha eine Expansion ihres Zucker-
tor, welcher 75% der kambodschanischen              geschäfts bedeuteten, mit gleichzeitigem
Exporte in die EU umfasst. 18 Aus dieser Sicht      Genuss der Privilegien durch EBA. Auch Mitr
argumentiert die EU die Effektivität der            Phol gab zu die Investitionen zu tätigen, um
Handelsinitiative in Kambodscha. Allerdings         vom zollfreien Export und garantierten Min-
handelt es sich um eine Initiative ohne             destpreis des EBA zu profitieren. 20
Schutzmechanismen.
                                                    Es ist bemerkenswert: In Kambodscha bre-
In Abwesenheit jeglicher Rahmenbedingun-            chen sie nationales Recht und verletzen in-
gen, die soziale Gerechtigkeit und Men-             ternationale Normen und in Europa profitie-
schenrechte gewährleisten, wurde nicht nur          ren sie von lukrativen Präferenzen. 21 Dies
eine riesige Zuckerindustrie aus dem Nichts         verletzt die Verpflichtung der EU in all ihren
aus dem Boden gestampft, sondern zudem              außer-europäischen Aktivitäten die Men-
die Existenzgrundlage tausender Menschen            schenrechte zu wahren. 22
zerstört. 19

7
PROFITEURE DES ZUCKERBOOMS
                   Die wichtigsten involvierten kambodschanischen und ausländischen
                                    Politiker*innen und Investor*innen:

                   Ly Yong Phat                                   Mitr Phol Sugar Corporation
 „König von Koh Kong“, einer der reichsten Ge-          Privatbesitz der Vongkusolkit-Familie, führender
schäftsmänner Kambodschas, betreibt u.a. Ka-              Produzent und Exporteur von Zucker in Thai-
sinos, Hotels und setzt mit der L.Y.P. Group gro-       land und größter Produzent Asiens. Die Familie
ße Bau- und Immobilienprojekte um. Als Inves-           war in Besitz von 16-18 000 Hektar Land in Kam-
tor ist er an mehreren Zucker- und Kautschuk-            bodscha. 2014 verkündete die Coca Cola Com-
plantagen, sowie zwei Special Economic Zones            pany, dass Mitr Phol zu ihren Top Drei Zuckerzu-
   beteiligt. Ein Tochterunternehmen ist die             lieferer gehört. 24 Mitr Phol hat mittlerweile ihr
Phnom Penh Sugar Company. Außerdem ist er                Land an die kambodschanische Regierung zu-
Senator der regierenden Partei Cambodian Pe-            rückgegeben, die es allerdings nicht an die Bäu-
 ople's Party (CPP) und Wirtschaftsberater des           er*innen überführte, sondern weitgehend dem
               Premierministers. 23                                           Militär. 25

                                                                       Ve Wong Corporation
                 KSL Group                               Firma in Taiwan, die seit 1959 in den Bereichen
 Führender Zuckerproduzent Thailands. 2005               Nahrung, Handel, Bau und allgemeine Entwick-
 wurde die Tochter Khon Kaen Sugar Industry               lung tätig ist. 1966 gründete Ve Wong 1966 ge-
PCL gegründet, die Zuckerfabriken u.a. in Kam-           meinsam mit KSL Group die Thai Fermentation
 bodscha besitzt und seit 2009/10 produziert.              Industry Co., Ltd., die in erster Linie Tapioca
Der gesamte dort hergestellte Zucker wird in die                  Starc und Zuckerrohr anbaut. 27
               EU exportiert. 26
                                                                                ASR
                   Tate & Lyle                           Bezeichnet sich als den größten Zuckerraffina-
Britischer multinationaler Konzern, der seit 130          teur der Welt, kauft 100% des Zuckers, der in
  Jahren Zucker importiert und raffiniert. 2010          Koh Kong produziert wird. Der Konzern besitzt
 verkauften sie ihr Zuckerraffinerie-Geschäft an          Florida Crystals Corporation (64%) und Sugar
 American Sugar Refining (ASR), das in England             Cane Growers Cooperative of Florida (36%).
unter dem Namen T&L Sugars Limited registriert           Florida Crystals ist Tochter von Fanjul Corpora-
 ist. Im selben Jahr wurde bekannt, dass Tate &            tion, die bekannt für Umweltzerstörung und
  Lyle ihren Zucker aus Koh Kong importiert. 28             sklavenähnlichen Arbeitsbedingungen ist.

                                         Rui Feng International
 Gehört chinesischen Investor*innen. 2011 erhielt der Konzern von der kambodschanischen Regierung 8
 841 Hektar Land durch ELC. Durch seine vier Schwesterfirmen besitzt er fünf weitere ELC von insgesamt
40 000 Hektar. 2016 eröffnete der Konzern eine Zuckerrohrraffinerie. Der Zucker wird in die EU, nach Chi-
   na und Indien exportiert. Zusätzlich zu den ELC schloss der Konzern bereits 2017 Verträge mit Bäu-
           er*innen, die insgesamt 350 Hektar Landfläche für den Zuckerrohranbau nutzen. 29

8
Fälle
Die durch EBA ausgelöste rasante Expansion
der Zuckerindustrie betrifft vor allem die
vier Provinzen Koh Kong, Kampong Speu,          Koh Kong und Preah Vihear
Odday Meanchey und Preah Vihear und             Im August 2006 vergab die kambodschani-
wurde dort von schwerwiegenden und sys-         sche Regierung zwei ELC an Koh Kong Plan-
tematischen Menschenrechtsverletzungen          tation und Koh Kong Sugar für die industriel-
begleitet. Fast alle kulturellen, ökonomi-      le Zuckerproduktion in den Distrikten Botum
schen und sozialen Rechte ländlicher Perso-     Sakor und Sre Ambel in der Provinz Koh
nengruppen sind betroffen, die Rechte auf       Kong. Die beiden Firmen wurden durch eine
Nahrung, Wohnen, Arbeit, Bildung und Ge-        Partnerschaft zwischen KSL Group aus Thai-
sundheit wurden massiv verletzt. 30 Den Fa-     land, Ve Wong Corporation aus Taiwan und
milien wurde ihr Land, ihre Unterkunft und      Senator LY Yong Phat gegründet. Letzterer
Einkommensgrundlage genommen. Sie               verkaufte seinen Anteil 2010 an KSL, die 70%
wurden ohne Zugang zur minimalen Versor-        der kambodschanischen Schwesterfirmen
gung ihrer Grundbedürfnisse – Nahrung,          besitzt. 36 Die Dauer der ELC beträgt 90 Jah-
Kleidung, Wohnraum und medizinische             re. 37 Die Zuckerrohrplantage in Koh Kong
Grundversorgung – zurückgelassen. Das           wurde juristisch auf zwei Konzessionen auf-
führte teilweise zu extremen Hunger und         geteilt. Sie grenzen aneinander und wurden
enormen Verschlechterung des Gesund-            als eine zusammenhängende Plantage mit
heitszustands. 31                               einer Gesamtfläche von 19 100 Hektar entwi-
                                                ckelt – eine Verletzung der gesetzlichen Be-
Einige der Familien, insbesondere aus Oddar     grenzung von ELCs auf 10 000 Hektar. Die
Meanchey, sahen sich gezwungen nach Thai-       Plantage ist in Besitz der KSL Sugar und Ve
land zu migrieren. 32 Diejenigen, die in Kam-   Wong, zwei kambodschanische Rechtsträger
bodscha blieben, mussten als Tagelöhner         mit derselben Büro-Adresse. Die Firmen ha-
unter unsicheren, schlechten Bedingungen        ben sich am selben Tag für die ELC bewor-
und für wenig Geld auf den Zuckerplantagen      ben, diese erhalten und den Vertrag unter-
arbeiten. 33 Die Situation der Frauen ver-      schrieben.
schlechterte sich besonders: manche wur-
den durch die Arbeitsmigration der Männer       Die Landflächen, die die privaten Inves-
zurückgelassen, andere migrierten selbst        tor*innen erhielten, überlappen mit Flächen
nach Thailand oder begannen Neun-               lokaler Bäuer*innen in Chi Kha, Trapaing
Stunden-Tage auf den Zuckerrohrplantagen        Kandaol und Chouk Dörfern der Chi Kor Leu
zu arbeiten. Gleichzeitig liegt die Kinderbe-   Gemeinde im Sre Ambel District. 38 12 456
treuung unter erschwerten Bedingungen           Familien besaßen Land auf den vergebenen
weiterhin bei ihnen. 34 Häusliche Gewalt        Konzessionen. Sie wurden über das Projekt
nahm nach dem Landraub zu. Die kinder-          nicht informiert und es wurde auch nicht mit
rechtliche Situation verschlechterte sich in    ihnen abgestimmt. 39 Die Dorfbewoh-
Bezug auf Bildung, körperliche und psychi-      ner*innen wurden 2006 angegriffen, als
sche Unversehrtheit und auch Kinderarbeit       Bulldozer und Bagger in Begleitung von be-
wurde auf den Plantagen beobachtet. Un-         waffneter Polizei und Militär ohne Vorwar-
tersuchungen bestätigen, dass 85 Kinder,        nung auftauchten und anfingen, ihr Land zu
manche erst 8 Jahre alt, auf Zuckerplanta-      räumen und ihre Ernte zu zerstören. Die
gen in Koh Kong arbeiteten. 35                  meisten Bäuer*innen verloren ihren gesam-
                                                ten Gemüseanbau. Die beiden Gemein-

9
schaftswälder (ca. 1800 Hektar) wurden           gab die EU-Kommission einen Kompromiss
komplett zerstört. Zudem verloren sie ihren      mit der kambodschanischen Regierung be-
Zugang zu Wasser, da Bäche und Seen blo-         kannt. Ein Entwurf eines Terms of Reference
ckiert, verschmutzt, zugeschüttet oder im        (TOR) wurde 2015 finalisiert, der einen Plan
Übermaß für die Bewässerung der neuen            für einen Audit in den ELC der Zuckerrohr-
Plantagen genutzt wurden. 40 Die Landräu-        plantagen in u.a. Koh Kong, Kampong Speu,
mungen hielten an. Die Asian Human Rights        Oddar Meanchey vorsieht. Seither steht der
Commission (AHRC) dokumentierte die              Untersuchungsprozess still, da eine formelle
Räumung von 250 Familien in Chi Kor Leu          Antwort der kambodschanischen Regierung
am 19. September 2006, die ohne gerichtli-       fehlt. Diese reagierte nicht darauf und zeigte
chen Beschluss stattfand. Dorfbewoh-             demnach keine Veranlassung das Mandat
ner*innen wurden während der Vertreibun-         Europas zu unterzeichnen. Im August 2017
gen verletzt oder angeschossen. Ein in der       kündigte das kambodschanische Ministeri-
Gemeinde ansässiger 35-jähriger Aktivist,        um für Land-Management, Stadtplanung
Herr An In, wurde mit einer Axt erschlagen       und Bauwesen (MLMUPC) plötzlich einen
aufgefunden, nachdem er die Vertreibungen        Untersuchungsprozess der ELC für Zucker-
dokumentiert und Widerstand geleistet hat-       rohr an. Allerdings hält der Prozess keinen
te. Niemand wurde für diese Tat verurteilt. 41   internationalen Standards stand und die
                                                 resultierenden Entschädigungen waren in-
Vier Jahre später, im Januar 2010 eröffnete      adäquat. Vor diesem Hintergrund können in
KSL eine Zuckerraffinerie in Sre Ambel.          Koh Kong bis heute drei Gruppen unter-
Sechs Monate später fand der erste Export        schieden werden: die erste Gruppe hat Land
von Zucker aus Kambodscha im Wert von            zurückbekommen und/oder alternatives
3,31 Mio. US-$ statt. In Großbritannien nahm     Land erhalten. Die zweite Gruppe wurde
Tate&Lyle 10 000 Tonnen Zucker aus Koh           zwar mit Land entschädigt, dieses ist jedoch
Kong ab, die vorher einen Fünf-Jahres-           für Landwirtschaft ungeeignet oder kolli-
Vertrag mit KSL abgeschlossen hatten, um         diert mit einem anderen Dorf oder Schutz-
all den Output aus Kambodscha und Laos zu        gebiet. Eine dritte Gruppe wartet weiter auf
kaufen. Seit 2010 hat Tate&Lyle‘s Raffinerie     Entschädigung.
ca. 48 000 Tonnen Zucker aus Kambodscha,
im Wert von 24 Mio. € erhalten. 42 Die thai-     In Preah Vihear sind über 280 Familien und
ländische nationale Kommission für Men-          zwei indigene Gemeinden der Kouy vom
schenrechte (National Human Rights Com-          Landraub betroffen. Der Konflikt der Klein-
mission of Thailand, NHRC) stellte bereits       bäuer*innen und Dorfbewohner*innen be-
2015 fest, dass grundlegende Menschen-           steht mit einer Reihe kambodschanischen
rechte, als auch die im Internationalen Pakt     Konzernen: Lan Feng International, Rui Feng
über wirtschaftliche, soziale und kulturelle     International, Heng Yui Interational, Heng
Rechte (WSK-Pakt) verletzt wurden und der        Rui International und Heng Non Internatio-
thailändische Konzern KKS dafür teils zur        nal. 45 Insgesamt wurden nur an eine einge-
Verantwortung gezogen werden muss. 43 KSL        schränkte Personenzahl Entschädigungsan-
weist jegliche Vorwürfe der Menschen-            gebote gemacht. 2012 hatten 230 Familien
rechtsverletzungen von sich. 44                  angebotene Reparationen erhalten. Die An-
                                                 träge von 200 weiteren Familien wurden von
Trotz der Ergebnisse aufeinanderfolgender        der kambodschanischen Regierung abge-
UN-Sonderberichterstatter*innen seit 2012        lehnt. Die Mehrheit der indigenen Gemein-
hat die EU-Kommission wiederholt und ex-         den blieb vom Entschädigungsprozess aus-
plizit keine Notwendigkeit gesehen, eine         geschlossen und es nicht klar, ob und inwie-
Untersuchung zu veranlassen. Ende 2014           fern die neue Arbeitsgruppe der Regierung

10
die Beschwerden der Indigenen bearbeiten             Räumungen durch Militär und Sicherheits-
wird.                                                kräfte setzen diese auch scharfe Munition
                                                     ein.
Der Einsatz von staatlichen Einsatzkräften
wie des Militärs ist in Kambodscha illegal, ist      Kampong Speu
bei Landkonflikten in den letzten Jahren
aber zur Gewohnheit geworden. Im März                2010 wurden zwei nebeneinanderliegende
2018 gingen Militär- und Sicherheitskräfte           ELC im Ausmaß von jeweils 9000 Hektar in
gegen Bäuer*innen und Dorfbewoh-                     den Bezirken Thpong und Aoral in der Pro-
ner*innen in der Provinz Kratie im Nordos-           vinz Kampong Speu an die Unternehmen
ten des Landes vor, die während gewaltsa-            Phnom Penh Sugar PPS und Kampong Speu
mer Räumungen gegen die Zerstörung ihres             Sugar KSS vergeben. Diese Unternehmen
Eigentums protestierten. Mindestens drei             sind im Besitz von Ly Yong Phat. 47 Im März
Personen wurden dabei verletzt. Der Streit           2011 unterzeichnete Premierminister Hun
besteht um eine ELC von 9855 Hektar, die an          Sen ein Dekret, welches Land im angren-
Memot Rubber Plantation vergeben wurde,              zenden Naturschutzgebiet Aoral Protected
sich jedoch mit dem Land der Bäuer*innen             Area neu einstuft, um die Konzession von
überlappt. 46                                        KKS um weitere 4700 Hektar zu vergrößern.
                                                     Im Jahr 2014 umfasste die Zwillingskonzes-
2019 wurden Bäuer*innen in Preah Vihear,             sion bereits über 23 000 Hektar Land. 48 Laut
die im Konflikt mit einer Kautschuk-Firma            Repräsentant*innen der Gemeinden kon-
waren, von Soldat*innen systematisch schi-           trolliert Phnom Penh Sugar mehr als 2000
kaniert, die als Sicherheitskräfte für die 8520      Hektar landwirtschaftliche Nutzfläche, die
Hektar große Kautschuk-Konzession ange-              1100 Familien in über 15 Dörfern in Amliang
stellt wurden. Sie griffen Bäuer*innen und           Dorf, Thpong Distrikt gehören. 49 Ein Bauer
Dorfbewohner*innen an, nahmen sie fest               aus dem Aoral District versinnbildlichte den
und zündeten ihre Häuser an. Ein Repräsen-           Zusammenhang zwischen so genannter
tant der Gemeinde verschwand und kehrte              Entwicklung, Landraub und Hunger folgen-
nach zwei Monaten in Schock und mit Ver-             dermaßen: „Als die Straße kam, kamen auch
letzungen zurück. 14 Dorfbewohner*innen              die Bulldozer, um unseren Wald zu zerstö-
sind im Gefängnis. Bei den gewaltsamen               ren.“ 50

        Geschichten des Widerstands
        2007 hatten sich die Dorfbewohner*innen und Kreisverwaltung in Amliang einer
        ersten Anfrage zur Errichtung einer Zuckerrohr-Plantage verweigert. 2009 kehrten
        Mitarbeiter*innen von PPS und KSS zurück und informierten sie schlicht, dass die
        Wälder gerodet, die Reisfelder aber nicht angetastet würden. 300 Dorfbewoh-
        ner*innen protestierten gegen dieses Vorgehen und zogen vor den Sitz des Unter-
        nehmens und vor den Gemeinderat, um eine formelle Anerkennung ihrer legalen
        Besitzrechte einzufordern. Die Forderung wurde ignoriert, stattdessen begann der
        Konzern 2010 neben den Wäldern auch Reisfelder und Häuser zu zerstören. Die
        Dorfbewohner*innen sammelten 1350 Daumenabdrücke für eine Petition gegen
        dieses Projekt. 51

11
Das Dorf Pis wurde komplett zerstört. Ohne     weg. Die Waldgebiete und die Fischgründe
vorherige Ankündigung und ohne richterli-      sind weg.” (Dorfbewohner aus Trapaing Pro-
che Anordnung erfuhren die Anwoh-              let). 57
ner*innen von den Zuckerkonzessionen in
dem Moment, als die Bulldozer des Unter-       Nach den Nationalwahlen 2018 war unklar,
nehmens und ungefähr 30 mit Gewehren           wie es mit dem Beschwerdeprozess (s.o.)
und Schlagstöcken bewaffnete Soldat*innen      der Menschen in Kampong Speu weiterge-
2010 anrückten. 52 Einige Dorfbewoh-           hen sollte. Es wurde ihnen nur mitgeteilt,
ner*innen wurden auf Grundstücke umge-         dass es ausschließlich Geldleistungen, nicht
siedelt, die zu klein sind, um ausreichend     aber Land geben würde. Unter Zwang wur-
Nahrung zu produzieren (0,2 ha), und auf       den kleine Beträge von 300-500 US-$ ange-
Land, das nicht zum Reisanbau geeignet ist     boten, die nicht dem tatsächlichen Wert der
(steiniger und sandiger Boden). Einige ha-     Landflächen entsprechen. Bei manchen
ben zwischen 20-900 US-$ erhalten. 53 Viele    Gemeinderepräsentant*innen wurde der
Familien haben ihren Zugang zu landwirt-       Versuch gemacht sie zu bestechen. Diese
schaftlicher Nutzfläche gänzlich verloren.     lehnten dieses Angebot strikt ab. Bei den
Insgesamt überlappte die Konzession nach-      wenigen Treffen, die es zwischen Be-
weislich mit mehr als 2000 Hektar Acker-       amt*innen und Betroffenen bis November
land, welches ungefähr 1100 Familien in 15     2018 gab, wurden nicht alle Gemeinden ein-
Dörfern in den Gemeinden Amlaing im Be-        geladen. Den Betroffenen war klar, dass die
zirk Thpong und Trapaing Chor im Bezirk        “take it or leave it”-Taktik der Regierung das
Aoral gehört. 54                               Ziel hatte, die Solidarität zwischen den Dör-
                                               fern zu brechen. Trotz Einschüchterung
Gemeindewälder, die lebensnotwendig für        durch Militär und Polizei, erreichten die Ge-
Aktivitäten wie die Viehzucht (klassisches     meinden durch verschiedenste Aktionen
Weideland), das Sammeln von Früchten,          und Mobilisierung eine Rückgabe von etwa
Kräutern, Medizin oder Holz sind, wurden       1000 Hektar Land. Dies ist jedoch nur ein
ebenso zerstört. In Amliang und Taleo wur-     kleiner Teil dessen, was die lokale Bevölke-
den die Wälder mit einer Fläche von insge-     rung besaß und genutzt hatte, bevor die
samt 1805 Hektar komplett gerodet, wäh-        „Investor*innen“ kamen. 58
rend Dorfbewohner*innen schätzen, dass
weitere 1000 Hektar Wald innerhalb der         Fünf Jahre nachdem Equitable Cambodia
Grenzen der Konzession ebenfalls zerstört      und Inclusive Development International
worden sind. 55 Der Zugang zu Wasser wurde     einen Be-schwerdeprozess über die australi-
erschwert, indem örtliche Wasservorkom-        sche Nationale Kontaktstelle für die OECD-
men blockiert (bspw. durch den Bau von         Richtlinien für multinationale Unternehmen
Dämmen und Rückhaltebecken), ver-              initiierten, stellte die Prüfung der Regie-
schmutzt (durch Pestizid- und Düngemitte-      rungsbehörde 2018 fest, dass das Darlehen
leinsatz) oder von dem Unternehmen für         der ANZ an Phnom Penh Sugar nicht mit den
den Bedarf der Plantagen ausgebeutet wur-      Richtlinien der Bank und den ethischen Ge-
den. Bäche und Brunnen können nicht mehr       schäftsrichtlinien der OECD vereinbar war.
als Trinkwasserquellen und für den tägli-      Im Februar 2020 verpflichtete sich die ANZ
chen Gebrauch genutzt, ohne davon krank        zu finanziellen Entschädigungen an den
zu werden. Die Bewohner*innen von Snoul,       kambodschanischen Familien. Rund 1200
O’Ang Khum, Kork und O’Pralov verloren         Familien werden finanzielle Entschädigun-
ihre Fischgründe und essbaren Wasserpflan-     gen erhalten. Das System der Nationalen
zen, wie Wasserspinat oder Seerosenar-         Kontaktstellen gibt es seit 20 Jahren und
ten,sind nicht mehr zu finden. 56 „Alles ist   dies ist erst das dritte Mal bei 330 Fällen,

12
dass der Beschwerdeprozess zu konkreten
finanziellen Entschädigungen geführt hat. Es
handelt sich um eine entsetzliche Bilanz,
doch die Hoffnung besteht, dass die ANZ als
Beispiel für andere juristische Verfahren
dient. 59
                                                Zerstörungen zur Folge hatten und die dorti-
Oddar Meanchey                                  gen Gemeinden dadurch kollabierten. 63 Be-
                                                reits 2011 wurde im Namen der betroffenen
Der thailändische Zuckerkonzern Mitr Phol,      Gemeinden eine Beschwerde bei Bonsucro
Asiens größter Zucker und Bioenergieher-        eingereicht. Bonsucro ist eine Multi-
steller, betrieb 2008-2015 drei Konzessionen    Stakeholder-Initiative für Nachhaltigkeit im
in Oddar Meanchey mit einer Gesamtfläche        Zuckerrohranbau und Mitr Phol war bis 2011
von 19 700 Hektar für den Zuckerrohranbau       Teil davon, zog sich aber aufgrund der Vor-
und einem Weiterverarbeitungsbetrieb. 60 Sie    würfe zurück. 2013 reichten lokale NGOs im
befanden sich in den Distrikten Samrong         Namen von 602 Familien eine Beschwerde
und Chong Kal und wurden juristisch der         beim NHCR Thailands ein. Im Oktober 2015
Angkor Sugar Company, Tonle Sugar Cane          veröffentlichte dieser einen Untersuchungs-
Company und Cane and Sugar Valley Com-          bericht, der feststellte, dass Mitr Phol
pany für 70 Jahre zugesprochen. Die ELC         schwerwiegend gegen die Achtung der Men-
sind miteinander verbunden. Alle drei Fir-      schenrechte in den an sie vergebenen Land-
men gaben am selben Tag die Bewerbung           konzessionen in Oddar Meanchey verstoß.
ab, erhielten die Zusage und unterschrie-       2015 gab Mitr Phol die ELC an die kambod-
ben. 61 Die drei ELC überlappten deutlich mit   schanische Regierung mit der Erklärung zu-
dem Land, das in Samrong und Chong Kol          rück, niemals Landraub, Zwangsvertreibun-
Distrikt Privat- und Gemeindebesitz ist. 500    gen und Zerstörung des Eigentums unter-
Hektar Land von 31 Dörfern befanden sich        stützen zu wollen. NHRC geht aber davon
auf dem Gebiet dieser Konzessionen. Eine        aus, dass der Konzern von diesen Praktiken
davon (Angkor Sugar) überschnitt sich fast      gewusst haben muss. Außerdem betont die
komplett mit dem Wald der Gemeinde und          Kommission, dass der Konzern weiterhin für
betraf alleine 16 Dörfer. 62                    den verursachten Schaden verantwortlich
                                                ist und Entschädigungen an die betroffenen
Mitr Phol gibt vor auf eine gleichberechtigte   Gemeinden leisten muss. Im Juni 2015 kehr-
Beziehung mit den Bäuer*innen Wert zu le-       te Mitr Pohl stillschweigend zu Bonsucro
gen. Das Subkomitee des thailändischen          zurück. Obwohl der damalige Vorsitzende
NHCR hat jedoch Menschenrechtsverletzun-        des Beschwerdeausschusses 2012 schriftlich
gen aufgrund der an Mitr Phol vergebenen        zugesagt hatte, dass die Teilnahme am Be-
ELC festgestellt. Dorfbewohner*innen in den     schwerdeprozess Bedingung für eine etwai-
Gemeinden O'Bat Moan, Taman, Trapaing           ge Rückkehr sei, beteiligte sich der Konzern
Veng und Ktum sind besonders betroffen.         nicht daran.
Nach einem zweitägigen Besuch der be-
troffenen Gemeinden bestätigte Niran
Phitakwatchara, damaliger thailändischer
Menschenrechtsbeauftragter, die Vorwürfe
gegen Mitr Phol. Er unterstrich, dass die ELC
illegale Enteignungen, Vertreibungen und

13
Angesichts dieser Entwicklung haben Inclu-          Im März 2019 reichten Inclusive Develop-
sive Development International, LICADHO             ment International, LICADHO und Equitable
und Equitable Cambodia im Februar 2016 im           Cambodia eine Beschwerde gegen Bonsucro
Namen der 712 Familien eine neue Be-                bei der Nationalen Kontaktstelle Großbri-
schwerde bei Bonsucro eingereicht. Im April         tanniens für die OECD ein. 64 Die britische
2018 reichten die Familien, frustriert von          Nationale Kontaktstelle hat diese Beschwer-
Bonsucros Untätigkeit, mit Unterstützung            de für zulässig befunden. Das in London an-
von Inclusive Development International vor         sässige Unternehmen Bonsucro ist an die
den thailändischen Gerichten eine Sammel-           OECD-Standards für verantwortungsbe-
klage gegen Mitr Phol ein. Die Beschwerde           wusste Geschäftsführung gebunden und
wurde von thailändischen Anwälten einge-            muss menschenrechtliche Standards einhal-
reicht, die ca. 3000 Personen aus fünf Dör-         ten. Mit dem öffentlichen Gütesiegel von
fern vertreten. Sie ist die erste Sammelklage,      Bonsucro konnten Mitr Phols größte Kunden
die von Klägern aus einem anderen Land              - darunter The Coca-Cola Company, Pepsi-
wegen Missbrauch durch ein thailändisches           Co, Mars Wrigley, Nestlé und Corbion - ihren
Unternehmen außerhalb Thailands vor thai-           Zucker als verantwortungsbewusst bewer-
ländischen Gerichten eingereicht wurde. Im          ben. Dies ist der zweite Fall der OECD-
September 2018 ordnete das thailändische            Richtlinien gegen eine Multi-Stakeholder-
Gericht eine Mediation an. Mitr Phol verwei-        Initiative und stellt einen Präzedenzfall dar. 65
gerte sich diesem Prozess.

            Geschichten des Widerstands

            Als im Februar 2019 verkündet wurde, dass es einen Evaluierungsprozess der
            EBA geben soll, dokumentierte LICADHO zwölf Proteste, Petitionen und Besu-
            che von Politiker*innen und Minister*innen in Kambodscha. An diesen Aktio-
            nen nahmen 850 Personen teil, die tausende von Menschen aus sieben Provin-
            zen repräsentierten. Diese andauernden Proteste sind bemerkenswert, be-
            denkt man, dass April den Khmer Neujahr-Festivitäten gewidmet ist.

14
Menschenrechtliche Einordnung
Die Konzessionen in Koh Kong, Preah Vihear,         sich einer menschenrechtlichen Einordnung
Kampong Speu und Oddar Meanchey haben               durch drei Blickwinkel: dem Menschenrecht
massiven Einfluss auf die Gewährleistung            auf Nahrung, den Maastrichter Prinzipien zu
der Menschenrechte der lokalen Bevölke-             den extraterritorialen Staatenpflichten und
rung. Die „Landfrage“ nimmt bei der Ver-            den UN-Erklärung zu den Rechten von Bäu-
wirklichung bzw. Verletzung eine zentrale           er*innen:
Rolle ein. Der folgende Abschnitt widmet

      Die Maastrichter Prinzipien sind ein Schlüsseldokument um den transnationa-
      len Charakter des Landraubs in Kambodscha menschenrechtlich zu bewerten, da
      Akteur*innen wie thailändische Großkonzerne, Kapital aus Australien und auch
      die Handelspolitik der EU involviert sind. Die Maastrichter Prinzipien sind die um-
      fassendste und detaillierteste Interpretation der extraterritorialen Staatenpflich-
      ten (ETO) („Menschenrechte über Grenzen hinweg“). Sie wurden 2011 von Mit-
      gliedern der Menschenrechts-Vertragsorganen, UN Sonderberichterstatter*innen
      und anderen Menschenrechtsexpert*innen ausgearbeitet und gründen auf be-
      reits existierender Rechtsprechung und Fällen.

      Das Recht auf Nahrung, verankert im WSK-Pakt, ist von elementarer Bedeutung
      für einen menschenrechtlichen Ansatz zum Thema Land 66, da sein Kerngehalt –
      Zugang zu produktiven Ressourcen wie etwa Land – im Zentrum der Ernährungs-
      sicherungsstrategien ländlicher Gemeinden steht. Dies gilt auch für die Provinzen
      Koh Kong, Preah Vihear, Kampong Speu und Oddar Meanchey.

      2018 wurde die UN-Erklärung zu den Rechten von Bauern und Bäuerinnen und
      anderen Personen, die in ländlichen Regionen arbeiten (United Nations Decla-
      ration on the Rights of Peasants and other People working in Rural Areas, kurz
      UNDROP) nach 20 Jahren zivilgesellschaftlichem Engagement von der UN-
      Generalversammlung verabschiedet.

      Darin wird das Recht auf Land von ländlichen und bäuerlichen Gemeinden expli-
      zit anerkannt und gestärkt und als zentrale Grundlage für ein Leben in Würde
      hervorgehoben. Dabei ist Land nicht nur als Ackerland zu verstehen, sondern als
      das gesamte Gebiet, auf dem die Rechtsträger*innen wohnen, ihre Wasserquellen
      haben, arbeiten, Feuerholz finden, sich versammeln und ihre Kultur und Religion
      pflegen. 67

15
Nationale und extraterritoriale Staaten-       trag auf internationaler Ebene zur universel-
pflichten                                      len Verwirklichung der Menschenrechte zu
                                               leisten (Gewährleistungspflicht). 69
Die Allgemeine Bemerkung Nr. 12 zum Recht
auf angemessene Ernährung nimmt die            Während die Staaten die Hauptverantwor-
Menschenrechtspflichten von ausländischen      tung für die Achtung, den Schutz und die
Staaten auf:                                   Erfüllung der Menschenrechte tragen, er-
                                               kennt das Völkerrecht zunehmend an, dass
„Die Vertragsstaaten sollen die wesentliche    auch nichtstaatlichen Akteur*innen, ein-
Rolle der internationalen Zusammenarbeit       schließlich Unternehmen, menschenrechtli-
anerkennen und ihre Verpflichtung einhal-      che Verantwortung zukommt. Dementspre-
ten, gemeinsam und einzeln zu handeln, um      chend hat der UN-Menschenrechtsrat im Juli
die volle Verwirklichung des Rechts auf an-    2011 die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und
gemessene Nahrung zu erreichen. Bei der        Menschenrechte einstimmig gebilligt. Die 31
Erfüllung dieser Verpflichtung sollen die      Grundsätze sollen Staaten und Unterneh-
Vertragsstaaten Schritte unternehmen, um       men bei der Umsetzung des UN-Rahmens
die Wahrnehmung des Rechts auf Nahrung         „Schutz, Respekt und Abhilfe“ unterstüt-
in anderen Ländern zu achten, dieses Recht     zen. 70 Das heißt, Unternehmen, die eine
zu schützen, den Zugang zu Nahrung zu er-      Tochtergesellschaft in einem anderen Land
leichtern und erforderlichenfalls notwendige   haben, sind in Verantwortung zu ziehen. 71
Hilfe zu leisten.”                             Der erfolgreiche Beschwerdeprozess von
                                               Equitable Cambodia und Inclusive Develo-
Auch die Maastrichter Prinzipien bestätigen    pment International, der dazu geführt hat,
dies und führen aus, dass Staaten die Ver-     dass die ANZ sich zu Entschädigungszahlun-
pflichtung haben, wirtschaftliche, soziale     gen an vertriebenen Familien, aufgrund ih-
und kulturelle Rechte innerhalb der nationa-   rer Investitionen in den kambodschanischen
len Grenzen, aber auch extraterritorial zu     Zuckermarkt und den damit verbundenen
achten, zu schützen und zu gewährleisten.      Menschenrechtsverletzungen, verpflichtete,
Alle Mitgliedstaaten der EU haben den Inter-   ist ein positives Beispiel der Durchsetzung
nationalen Pakt über bürgerliche und politi-   dieser Prinzipien. Die EU-Mitgliedsstaaten
sche Rechte und den WSK-Pakt sowie ande-       haben demnach ebenso konkrete men-
re wichtige Menschenrechtskonventionen         schenrechtliche Pflichten. Die extraterritori-
ratifiziert. Der Europäische Gerichtshof hat   alen Verpflichtungen der Heimatländer in-
entschieden, dass die EU auch die von ihren    ternationaler Investor*innen gegenüber den
Mitgliedstaaten ratifizierten Menschen-        Betroffenen in Kambodscha bestehen paral-
rechtsabkommen einhalten muss. 68              lel zu den territorialen Verpflichtungen
                                               Kambodschas und unabhängig davon, ob
Die ETO legen fest, dass Staaten von Hand-     die kambodschanische Regierung diesen
lungen und Unterlassungen Abstand neh-         Verpflichtungen nachgekommen ist oder
men müssen, die ein konkretes Risiko für die   gegen sie verstoßen hat. 72
Verwirklichung der Menschenrechte auch
außerhalb ihres Territoriums darstellen        Zu guter Letzt haben Staaten die Verpflich-
(Achtungspflicht). Sie müssen sicherstellen,   tung zur Schaffung günstiger internationaler
dass nicht-staatliche Akteur*innen, die in-    Rahmenbedingungen, um die Gewährleis-
nerhalb der eigenen nationalen Grenzen         tung des Rechts auf Nahrung anzuleiten.
ansässig sind, keine Menschenrechtsverstö-     Dies schließt explizit Angelegenheiten mit
ße im Ausland begehen (Schutzpflicht) und      ein, die im Zusammenhang mit bilateralem
sind dazu angehalten, einen positiven Bei-     und multilateralem Handel und Investitio-

16
nen stehen. Es ist von zentraler Notwendig-      liche Kapitalmengen investiert hat. Konzer-
keit, dass die Erstellung von Folgenabschät-     ne aus den EU Mitgliedsstaaten importieren
zungen für die Menschenrechte vor und            den Zucker aus Kambodscha. Die Resolution
nach Abschluss von Handels- und Investiti-       des Europäischen Parlaments aus dem Jahr
onsabkommen oder die Verabschiedung              2014 hebt in diesem Zusammenhang mögli-
einseitiger Handels- und Investitionspoliti-     che Schritte zur Regulierung von Konzernen
ken ein wesentliches Element bei der Erfül-      hervor, die mit Zucker aus Kambodscha
lung dieser Verpflichtungen ist. 73              handeln (Importeure wie Exporteure). Dies
                                                 wäre neben der Durchführung einer Unter-
Da eine klare Verbindung zwischen dem            suchung und einem möglichen Aussetzen
Landraub in Kambodscha – insbesondere            der Handelspräferenzen für Zucker ein
jenen für Zuckerrohplantagen – und der           Schritt zur Einhaltung der Menschenrechts-
EBA-Initiative vorliegt, hatte die EU die Auf-   verpflichtungen der EU und der Mitglieds-
lage, hinsichtlich ihrer Pflichten gemäß in-     staaten.
ternationalen Rechts gewissenhaft zu han-
deln und diese Initiative nochmals zu prü-       Zum Recht auf Nahrung und anderen
fen. 74 Diese ETO ist auch im EU-Vertrag, in     Menschenrechten in Kambodscha
den Artikeln 3(5), 21 und 207 festgelegt. Zehn
Jahre lang machte die EU Kommission aber         Das Königreich Kambodscha hat sowohl den
keinen Anschein, den Berichten von den           Internationalen Pakt über bürgerliche und
Menschenrechtsverletzungen in Kambod-            politische Rechte als auch den WSK-Pakt
scha aufgrund der EBA-Handelsinitiative          sowie die Kinderrechtskonvention und die
nachzugehen. Gemäß ihrer Schutzpflicht           Konvention zur Beseitigung jeder Form von
müssen Staaten sicherstellen, dass nicht-        Diskriminierung der Frau ratifiziert und die
staatlichen Akteure, die zu regulieren sie in    Konvention zum Schutz der Rechte aller
der Lage sind – insbesondere die transnati-      Wanderarbeitnehmer*innen und ihrer Fami-
onalen Konzerne – nicht den Genuss der           lien. Zudem hat es das IAO-Übereinkommen
Menschenrechte, namentlich das Recht auf         über das Mindestalter (Nr. 138) und das
Nahrung, beschneiden. Diese Vorgaben der         Übereinkommen über die schlimmsten
Maastrichter Prinzipien fordern demnach          Formen der Kinderarbeit (Nr. 182) ratifiziert.
von der EU und ihren Mitgliedsstaaten die        Als Mitglied des Ausschusses für Welternäh-
Geschäfte von Konzernen im Ausland zu            rungssicherheit billigte Kambodscha die
überwachen und effektive Entschädigungen         freiwilligen Leitlinien für eine verantwor-
sicherzustellen.                                 tungsvolle Verwaltung der Grundstücke,
                                                 Wälder und Fischereien. 76 Im Artikel 31 der
Thailand beheimatet Zuckerkonzerne, die          kambodschanischen Verfassung steht fest-
eine aktive Rolle bei den beschriebenen          geschrieben, dass die Menschenrechte so
Operationen einnehmen. Mitr Phol Sugar           wie in der UN-Charta, der UN-
Corporation, einer der thailändischen Kon-       Menschenrechtserklärung und der Frauen-
zerne, ist an der Oddar Meanchey Konzessi-       rechts- und Kinderrechtskonvention formu-
on beteiligt. Die Nationale Menschenrechts-      liert, anerkannt und respektiert werden sol-
kommission Thailands beispielsweise sieht        len. Dadurch hat Kambodscha eine rechtlich
eine klare Verantwortlichkeit des anderen        bindende Obligation unter internationalem
thailändischen Konzerns, KSL Sugar, im Zu-       Recht und unter ihrer eigenen Verfassung,
sammenhang von Verstößen gegen Men-              die Menschenrechte zu respektieren, zu
schenrechtsprinzipien und -instrumente in        schützen und zu erfüllen. 77
Koh Kong. 75 Australien ist der Heimatstaat
der ANZ Bank, die in Kampong Speu erheb-

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Das Menschenrecht auf Nahrung ist in der         sonen, deren Lebensgrundlage auf diesen
Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte         Ressourcen basieren. 81 Staaten haben die
als Teil des Rechts auf einen angemessenen       Verpflichtung bestehenden Zugang zu an-
Lebensstandard (Art. 25 (1)) und im Interna-     gemessenen Nahrungsmitteln zu respektie-
tionalen Pakt über Wirtschaftliche, Soziale      ren und in keinster Weise Maßnahmen zu
und Kulturelle Rechte (ICESCR, Art. 11) ver-     setzen, die diesen Zugang einschränken o-
ankert. 78 Artikel 11 des ICESCR enthält zwei    der verhindern. Sie haben die Pflicht ent-
untrennbar miteinander verbundene Rech-          sprechende Maßnahmen und Rahmenbe-
te: das Recht auf angemessene Nahrung            dingungen zu setzen, damit Dritte, ein-
(Art. 11 Abs. 1) und das Recht frei von Hunger   schließlich privater Unternehmen und Ein-
zu leben (Art. 11 Abs. 2). Das Recht frei von    zelpersonen, nicht den Zugang zu angemes-
Hunger zu leben ist das einzige Recht, das in    sener Nahrung einschränken. Dies umfasst
diesem Pakt als „fundamental“ bezeichnet         auch die Verpflichtung aktiv den Zugang zu
wird, wodurch sein essentieller Status her-      und die Mittel zur Nutzung von Ressourcen
vorgehoben wird. 79 Das Recht auf Nahrung        zu verbessern, um den Lebensunterhalt der
ist von elementarer Bedeutung für einen          Menschen zu sichern und sie dabei zu unter-
menschenrechtlichen Ansatz zum Thema             stützen, sich selbst zu ernähren. 82
Land: Der Großteil der ländlichen Bevölke-
rung sichert seine Ernährung direkt (Eigen-      Die Verletzungen der Menschenrechte der
konsum) und indirekt (Vermarktung) über          lokalen Bevölkerung sind keine Einzelfälle,
den Zugang zu produktiven Ressourcen wie         sondern strukturell bedingt. 83 Kambodscha
Land und Wasser. Daher muss das Recht auf        hat auf Bundes-, Landes- und lokaler Ebene
Nahrung aus einer ganzheitlichen Perspekti-      gegen seine Menschenrechtspflichten ver-
ve betrachtet werden, die nicht nur den Zu-      stoßen, indem er den Ausbau der Agrar- und
gang zu Nahrungsmitteln gewährleistet,           Zuckerindustrie in der Region gefördert, die
sondern auch einen Prozess beinhaltet, bei       lokale Bevölkerung nicht vor Landraub und
dem Menschen eigenständig entscheiden            den     Aktivitäten    der    Agrarunterneh-
können, wie sie lokale Ressourcen zur Nah-       mer*innen und Investor*innen geschützt,
rungsmittelherstellung nutzen wollen. Dies       sondern diese im Gegenteil unterstützt hat.
steht im Einklang mit dem Konzept der Er-        Die kollektiven Landrechte der lokalen Ge-
nährungssouveränität und agrarökologi-           meinschaften und deren eigenen Verwal-
schen Prinzipien. Darüber hinaus kann eine       tungs- und Nutzungsformen von Land wur-
vollständige Verwirklichung des Rechts auf       den vom kambodschanischen Staat weder
Nahrung nur dann erreicht werden, wenn           respektiert noch geschützt. Darüber hinaus
gleichzeitig Frauen*rechte in vollem Umfang      hat Kambodscha aktiv an Zwangsräumun-
gewährleistet werden.                            gen und Enteignungen, die zu den gewalttä-
                                                 tigsten Menschenrechtsverletzungen gehö-
Die untrennbare Verbindung zwischen dem          ren, durch den Einsatz des Militärs und
Recht auf Land und der Verwirklichung ver-       staatlicher Sicherheitskräften teilgenom-
schiedener Menschenrechte - wie dem Recht        men. 84 Die UN-Menschenrechtskommission
auf Nahrung - hat in den letzten 20 Jahren       hat in zwei Resolutionen (1993/77 und
erheblich an Bedeutung gewonnen und wird         2004/28) bekräftigt, dass die Praxis der
zunehmend von internationalen Institutio-        Zwangsräumung „eine grobe Verletzung
nen anerkannt. 80 Zugang zu, Nutzung von         einer Reihe von Menschenrechten“ darstellt.
und Kontrolle über Land und den damit ver-       Wenn die Aktivitäten von Konzernen und
bundenen natürliche Ressourcen sind not-         privaten Akteur*innen zu Zwangsräumungen
wendige Voraussetzungen für die Verwirkli-       führen, scheitert der Staat darin seine Pflicht
chung der Menschenrechte derjenigen Per-

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zur Gewährleistung und Schutz dieser Rech-              auf Nahrung und einer Reihe weiterer Men-
te zu tun. 85                                           schenrechte angeheizt, sondern damit ver-
                                                        bundene Menschenrechtsstandards und
Aufgrund der hier dargelegten Prämissen                 Normen ignoriert und damit die Diskriminie-
kann festgehalten werden, dass die EU-                  rung vulnerabler und marginalisierter länd-
Kommission durch die unregulierte EBA-                  licher Gruppen in Kauf genommen hat.
Initiative nicht nur Verletzungen des Recht

Geschichten des Widerstands

500 Einwohner*innen der Amliang Gemeinde protestierten am 18. März 2010 außerhalb der Büros der
Phnom Penh Sugar Company gegen die Zerstörung ihres Eigentums, ihrer Ernte und der geringen Ent-
schädigungen. Als der Geschäftsleiter sich weigerte heraus zu kommen, zündeten sie zwei der Firmen-
Gebäude aus Holz und Stroh an. Ein Protestierender erzählte der Cambodia Daily: „Ich weiß, dass es ille-
gal ist diese provisorischen Gebäude in Brand zu setzen und wir riskieren dafür verurteilt zu werden, Ei-
gentum zerstört zu haben, aber die Geduld der Menschen ist begrenzt. Wir halten es nicht mehr aus mit-
anzusehen, wie uns unser Land von reichen Geschäftsmenschen weggenommen wird.“ 86 Als Reaktion
wurden hunderte Soldat*innen geschickt, um den Schutz der Firmenmitarbeiter*innen zu gewährleisten,
die weiterhin das Land der Dorfbewohner*innen räumte. Die eingesetzten Truppen waren vom Battalion
313 – einem ehemaligen Khmer Rouge Battalion mit direkten finanziellen Verbindungen zur Phnom Penh
Sugar Company. 87 Ein*e Dorfbewohner*in erzählte der Phnom Penh Post: „Die Angestellten der Firma
hörten uns nicht zu, weil sie Polizei und Soldat*innen neben den Baggern haben, um sicherzustellen, dass
das Land geräumt werden kann.“ 88 Dorfbewohner*innen berichteten, dass Soldat*innen sie überwachten
und Geld für die Benutzung öffentlicher Straßen und gemeinnütziger Bereiche, wie Wälder, verlangten. 89

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Analyse nach UNDROP                             bodscha wurden, wie oben beschrieben,
                                                Menschenrechtsverletzungen in all diesen
80 % der weltweit Hungernden leben auf          Bereichen festgestellt.
dem Land. Sie sind Kleinbäuer*innen, Land-
arbeiter*innen, Landlose, Fischer*innen,        Bis zu 84% der Kambodschaner*innen leben
Jäger*innen und Hirt*innen. 90 Frauen und       in ländlichen Gebieten. Daher besteht eine
Mädchen sind besonders von Hunger betrof-       Abhängigkeit und Verbundenheit mit dem
fen: 60-70 % der Hungernden weltweit sind       Land, das sie für die landwirtschaftliche
weiblich. Laut UN-Menschenrechtsrats gibt       Produktion nutzen. Kleinbäuer*innen und
es fünf Ursachen für Hunger in ländlichen       am Land arbeitende Personen üben unter-
Regionen 91, die alle auf Kambodscha zutref-    schiedliche landwirtschaftliche Tätigkeiten
fen: 1. Landenteignungen und Vertreibun-        aus, die mit diversifizierten Ernährungsstra-
gen, 2. geschlechtsspezifische Diskriminie-     tegien einhergehen. Die Tatsache, dass sie
rungen, 3. fehlende Politiken für Agrarrefor-   von Landraub betroffen und mittlerweile
men und ländliche Entwicklung (im Falle         von schlecht bezahlter Arbeit auf den Zu-
Kambodschas wird gegen die eigenen nati-        ckerrohrplantagen als einzige Einnahme-
onalen Gesetze 2001 verstoßen), 4. die Kri-     quelle abhängig sind, verstößt gegen ihre
minalisierung von sozialen Bewegungen, die      Rechte, die in UNDROP festgeschrieben sind.
die Rechte der ländlichen Bevölkerung ver-
teidigen und 5. fehlende Mindestlöhne und       UNDROP betont ausdrücklich Kleinbäu-
soziale Absicherung.                            er*innen vor mehrfachen Formen von Dis-
                                                kriminierungen zu schützen (Art. 2). Art. 4
UNDROP ist die erste internationale Erklä-      hebt hervor, dass Frauen und Mädchen be-
rung, die Kleinbäuer*innen und anderen          sonders von Verletzungen ihrer Rechte be-
Personen, die in ländlichen Regionen arbei-     troffen sind (Art. 4). Kleinbäuer*innen und
ten, mit einem umfassenden, universell gül-     Frauen und Mädchen in ländlichen Gebieten
tigen menschenrechtlichen Schutz ausstat-       sollen „frei von allen Formen der Ge-
tet. Kleinbäuer*innen haben grundlegend         walt“ leben können, da sie häufig von Ge-
am Verhandlungsprozess mitgewirkt. Eine         walt am Arbeitsplatz wie auch im Alltag be-
Errungenschaft ist die Kollektivierung von      troffen sind und dies ihr Leben massiv ein-
Rechten, so gibt es erstmals ein gemein-        schränkt. In Kambodscha hat sich die Le-
schaftliches Recht auf Ernährungssouveräni-     benslage von Frauen und Mädchen nach
tät und ein Recht auf Wasser der Landwirt-      Enteignungen und Landraub verschlechtert,
schaften, das auf individueller und kollekti-   wie insbesondere am Fall von Odday Mean-
ver Ebene besteht. Da für die Lebensweise       chey ersichtlich wird.
vieler kleinbäuerlicher Gemeinden die ge-
meinschaftlichen Nutzungsrechte, die im         FIAN Österreich bewertet das Recht auf Zu-
Kap. 2.1. als bedarfsorientierte Landnutzung    gang und Nutzung der Ressourcen (Art. 5),
beschrieben, im Vordergrund stehen, greift      als einen der wichtigsten Artikel, da dieser
das Recht auf Eigentum zu kurz, um deren        die Lebensgrundlage von Kleinbäuer*innen
Recht auf Land zu garantieren. Das Recht auf    verteidigt. Zu den natürlichen Ressourcen
Arbeit (wie die freie Wahl der Arbeit, keine    zählen Wasser und Nahrung ebenso wie
Kinderarbeit und zeitgenössische Sklaverei,     Land. Besonders wichtig ist die ausdrückli-
wie z.B. durch erzwungene Arbeitsmigration;     che Verankerung der Verpflichtung, eine
Art. 13), Wasser (Art. 21), Gesundheit (Art.    ordnungsgemäße Sozial- und Umweltver-
23), Wohnen (Schutz vor Räumung, Recht          träglichkeitsprüfung durchzuführen, wenn
auf Entschädigung; Art. 24) und Bildung (Art.   die natürlichen Ressourcen von Kleinbäu-
25) werden in UNDROP geschützt. In Kam-

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