Was bringen Änderungen moderner Lifestylefaktoren in der Primär-prävention des Mammakarzinoms? - mgo Fachverlage
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UPDATE: PRIMÄRPRÄVENTION MAMMAKARZINOM 49 Was bringen Änderungen moderner In Kooperation mit: Lifestylefaktoren in der Primär- prävention des Mammakarzinoms? J. Stubert, B. Gerber, M. Dieterich Verschiedene epidemiologische Beobachtungen lassen bereits einen Zusammenhang zwischen Um- weltfaktoren und der Häufigkeit von Brustkrebs vermuten. So weist die Brustkrebsinzidenz zwischen Ländern mit westlichem Lebensstil im Vergleich zu afrikanischen oder asiatischen Ländern auffällige Unterschiede auf [1]. Töchter von in die USA ausgewanderten Asiaten zeigen nach Übernahme eines westlichen Lebensstils ein Brustkrebsrisiko, welches sich dem der US-amerikanischen Bevölkerung an- gleicht [2]. Auch wenn die Liste vermutlicher Risikofaktoren inzwischen unüberschaubar groß ist, ge- lingt der Nachweis einer Assoziation zwischen Risikofaktor und Brustkrebsinzidenz nur selten eindeu- tig [3]. Für die Mehrzahl der postulierten Faktoren ist die Evidenz hingegen schwach. Der vorliegende Beitrag fokussiert sich auf Lebensstilfaktoren, die eine vergleichsweise gesicherte Assoziation mit dem Brustkrebsrisiko aufweisen. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass auch im Fall eines signifikant assoziierten Risikofaktors dessen kausale Verbindung mit der Brustkrebsentstehung in den meisten Fällen hypothetisch bleibt. Bedeutung modifizierbarer Bei einem durchschnittlichen Lebens- samtheit der vermeidbaren Mam- und nicht-modifizierbarer zeitrisiko von 11,3 % zeigten 5 % makarzinome entfielen nur 4,4 % Risikofaktoren in Abhängigkeit der Bevölkerung ein Risiko I 4,5 %, auf die niedrigste Risikodezile, wäh- des genetischen Risikos während es bei 5 % der Bevölkerung rend es in der höchsten bereits 18,5 % Das individuelle Brustkrebsrisiko ist bei . 22,0 % lag. Dieses Risiko wird waren. Eine Optimierung modifi- genetisch determiniert, wird aber wiederum durch modifizierbare Risi- zierbarer Risikofaktoren hätte dem- durch zahlreiche Risikofaktoren mo- kofaktoren moduliert, wobei die Be- nach zur Folge, dass eine Frau der duliert. Neben Einzelgendefekten, einflussung umso ausgeprägter ist, höchsten Risikodezile ihr Brustkrebs- die ein hohes individuelles Erkran- je höher das nicht modifizierbare risiko durch Lifestylefaktoren soweit kungsrisiko zur Folge haben und de- Grundrisiko ist. In dieser Studie wur- reduzieren könnte, dass dieses dem ren Häufigkeit in der Population ver- den die modifizierbaren Lebensstil- Bevölkerungsdurchschnitt entspricht gleichsweise selten ist, gibt es eine faktoren Alkoholkonsum, Einnah- [4]. Vielzahl genetischer Varianten, die me einer menopausalen Hormothe- Folge eines Basenpaaraustausches rapie, der Body-Mass-Index (BMI) und Ein ähnliches Ergebnis zeigte sich in (sog. single nucleotide polymor- das Rauchen berücksichtigt. In der einer niederländischen populations- phism, SNP) sind und in einer Fre- niedrigsten Risiko-Dezile bewegte basierten Studie [5]. Auch hier er- quenz von bis zu 50 % auftreten. Be- sich das modifizierte Lebenszeitrisi- folgte unter Berücksichtigung relati- stimmte SNP-Muster sind nachweis- ko zwischen 2,9 und 5,0 % (Differenz ver Risiken eine Schätzung des An- lich mit einem veränderten Brust- 2,1 %), in der 10. Dezile hingegen teils an vermeidbaren Brustkrebsfäl- krebsrisiko assoziiert. zwischen 15,5 und 25,0 % (Differenz len bei postmenopausalen Frauen, 9,5 %, jeweils Angabe der 5. bis 95. wenn der risikosteigernde Einfluss Eine Reihe individueller Risikofakto- Perzentile). Demzufolge ist der Ein- der Lebensstilfaktoren Übergewicht, ren sind eben-so wie das genetisch fluss von Lifestylefaktoren auf das Alkoholkonsum, körperliche Inakti- determinierte Risiko nicht modifi- Brustkrebsrisiko bei hohem Grund- vität, Rauchen und ballaststoffarme zierbar und können daher im Rah- risiko relativ bedeutsamer als bei Ernährung minimiert würde. In der men einer Risikoanalyse kombiniert Frauen mit niedrigem Risiko. In der Summe wären dadurch geschätzt betrachtet werden. Eine auf dieser Gesamtheit kalkulierten die Auto- 25,7 % (95%-KI: 24,2–27,2) aller Mam- Basis erfolgte Risikostratifikation an ren einen Anteil vermeidbarer Karzi- makarzinome vermeidbar [5]. weißen US-Amerikanerinnen hat nome durch Optimierung des Risiko- gezeigt, dass das hieraus resultieren- profils von 28,90 % aller Mamma- Eine aktuelle Auswertung deutscher de Grundrisiko erheblich variiert [4]. karzinome. Bezogen auf die Ge- Daten resultierte in vergleichbaren 2/2020 ONKOLOGIE heute
50 UPDATE: PRIMÄRPRÄVENTION MAMMAKARZINOM Annahmen, denen zufolge 9 % der Konsum eine Reduktion der Gesamt- lungsmuster für die Risikoassozia- Brustkrebsfälle auf Übergewicht (nur mortalität um 17 % und der kardio- tion relevant zu sein. Eine Auswer- postmenopausale Karzinome), 7,1% vaskulären Mortalität um 20 % zu tung der WHI-Studiendaten mit al- auf körperliche Inaktivität und 8,8% beobachten war [10, 11]. Praktisch leiniger Berücksichtigung der nor- auf unzureichende Zufuhr von Bal- entspricht diese Menge ungefähr malgewichtigen postmenopausalen laststoffen zurückzuführen sind [6]. 0,3l Bier oder 0,1l Wein bzw. Sekt. Frauen (BMI 18,5–24,9kg/m2) bestä- Diese Empfehlungen sind allerdings tigt diese Vermutung [15]. Dem- Tabelle 1 zeigt eine Zusammen- nicht unumstritten. zufolge haben normalgewichtige fassung der erwähnten Studien- Frauen mit hohem Körperfettanteil ergebnisse. Rauchen ein höheres Brustkrebsrisiko als Rauchen ist ebenfalls mit einer Risi- Frauen mit niedrigem Körperfett- koerhöhung für Brustkrebs assozi- anteil. Der Unterschied liegt im Ver- iert. In einer US-amerikanischen Ko- gleich der höchsten mit der nied- hortenstudie (n = 73.388) lag die Ri- rigsten Quintile bei einer adjustier- sikoerhöhung bei aktiven Rauchern ten HR von 1,89 (95%-KI: 1,21–2,95). bei HR 1,24 (95%-KI: 1,07–1,42) [12]. Eine weitere Studie aus Kanada Interessanterweise kehrt sich der (n = 89.835) konnte eine Erhöhung Zusammenhang in Bezug auf das Ri- des Brustkrebsrisikos in Abhängig- siko prämenopausaler und postme- keit der Dauer des Rauchens (40 Jah- nopausaler Mammakarzinome um, re vs. Nichtraucher: HR 1,57 [95%- wenn der BMI im Alter zwischen 18 KI: 1,29–1,92]), der Intensität (40 und 30 Jahren zugrunde gelegt Zigaretten/Tag vs. Nichtraucher: HR wird. Hier liegt nunmehr eine Risi- 1,21 [95%-KI: 1,04–1,40]) sowie der koreduktion um 18 % je BMI-An- kumulativen Exposition (40 Packungs- stieg um 5 kg/m2 vor [14]. Überge- Tab. 1: Geschätzter prozentualer Anteil jahre vs. Nichtraucher: HR 1,19 [95%- wicht im Jugend- und jungen Er- der Fälle in der Population, die durch KI: 1,06–1,13]) nachweisen [13]. wachsenenalter zeigt demzufolge Optimierung eines Lebensstilfaktors einen gegenteiligen Effekt im Ver- verhindert werden könnten [4, 5]. Körpergewicht und Ernährung gleich zu einer Gewichtszunahme Sowohl quantitative als auch quali- im Alter. Während bei letzterem als tative Aspekte der Ernährung sind mögliche Ursache die erhöhte adi- Bedeutung einzelner für das Brustkrebsrisiko von Bedeu- pogene Synthese von Östrogenen, Lifestylefaktoren tung. Ein Zusammenhang zwischen Wachstumsfaktoren und inflamma- Alkohol Körpergewicht und Mammakarzi- torischen Zytokinen angenommen Zwischen Alkoholkonsum und Brust- nomrisiko ist auf breiter Studienba- wird, ist der protektive Effekt früher krebsrisiko besteht eine nahezu li- sis belegt [14]. Die Ergebnisse der Übergewichtigkeit wohl in erster Li- neare Korrelation [7, 8]. Die relative umfassenden, kontinuierlich aktua- nie in einer Beeinflussung der Brust- Risikoerhöhung pro 10 g Alkohol pro lisierten (Meta-)Analysen des World drüsenentwicklung bzw. -differen- Tag liegt zwischen 2 und 12 %. In Cancer Research Fund zeigen, dass zierung zu suchen. einer Metaanalyse unter Einschluss eine Erhöhung des BMI um 5 kg/m2 von 98 Studien betrug die durch- mit einem Risikoanstieg für post- Weniger eindeutig sind die Studien- schnittliche relative Risikoerhöhung menopausale Mammakarzinome um ergebnisse hinsichtlich der qualitati- 22 % (95%-KI: 9–37 %) [9]. Ursäch- 12 % verbunden ist [14]. Subgrup- ven Nahrungszusammensetzung. Die lich sind vermutlich die karzinogen penanalysen belegen, dass dieser ri- Aufnahme von rotem Fleisch weist wirkenden Metabolite (Acetaldehyd) sikosteigernde Effekt auf endokrin keinen oder einen allenfalls gerin- des Alkohols, womöglich auch ein sensitive Mammakarzinome be- gen Zusammenhang mit dem Brust- prämenopausal zu beobachtender grenzt ist. Ein vergleichbarer Zu- krebsrisiko auf [16]. Die Verarbei- Anstieg der Östrogenspiegel. Eine sammenhang besteht hinsichtlich tung durch Salzen, Pökeln oder Räu- Schwellendosis scheint nicht vorzu- des Taillenumfangs, wobei ein ge- chern erhöhte das Risiko geringfü- liegen. Trotzdem gilt eine tägliche ringer, aber signifikanter Effekt gig (RR 1,06 [95%-KI: 1,01–1,11]) [17]. Dosis bis zu 10 g als akzeptabel, da auch nach Adjustierung mit Berück- Dieser Zusammenhang war wiede- vermutlich infolge gefäßprotektiver sichtigung des BMI verbleibt. Dem- rum nur für das Risiko postmeno- Effekte des Alkohols bei geringem zufolge scheint auch das Fettvertei- pausaler Mammakarzinome nach- ONKOLOGIE heute 2/2020
UPDATE: PRIMÄRPRÄVENTION MAMMAKARZINOM 51 weisbar [17]. Alternative Protein- hang zwischen mediterraner Ernäh- die Ergebnisse noch deutlicher [27]. quellen wie Soja, Magermilch oder rung und Brustkrebsrisiko konnte Größere Langzeitstudien müssen Joghurt waren hingegen mit einer schließlich durch die prospektiv ran- zukünftig zeigen, ob sich diese viel- geringen Risikoreduktion verbun- domisierte PREDIMED-Studie erst- versprechenden Ergebnisse bestäti- den [18]. Ein diskreter risikoreduzie- mals auf interventioneller Ebene gen lassen. render Zusammenhang zwischen bestätigt werden [27]. Per Zufall (v. a. fettarmen) Milchprodukten und wurden 4.282 Frauen zwischen 60 Sport und körperliche Aktivität Brustkrebs zeigte sich auch in einer und 80 Jahren mit hohem kardio- Ein körperlich aktiver Lebensstil ist weiteren Metaanalyse (RR 0,90 [95%- vaskulärem Risiko einer von drei mit einer Reduktion des Brustkrebs- KI: 0,83–0,98]) [19]. Die European möglichen diätetischen Interventio- risikos assoziiert (RR 0,88 [95%-KI: Prospective Investigation into Can- nen zugeteilt. In einem Interven- 0,85–0,90]) [28]. Diese negative Kor- cer and Nutrition (EPIC)-Potsdam- tionsarm erhielten die Probandin- relation ist sowohl hinsichtlich der Studie (n = 319.826) konnte hin- nen wöchentlich einen Liter kalt ge- Intensität als auch der Dauer der kör- gegen keinen eindeutigen Zusam- pressten Olivenöls (extra vergine), perlichen Aktivität nachweisbar und menhang zwischen der Ernährung in einem weiteren täglich 30 g ei- zeigt einen annähernd linearen Zu- mit Fleisch, Eiern und Milchproduk- ner Nussmischung. In diesen beiden sammenhang [28, 29]. Der Effekt ist ten und dem Mammakarzinomrisiko Gruppen erfolgte zusätzlich eine bei Frauen mit Normal- bis leichtem feststellen [20]. Im Rahmen dieser individualisierte Diätberatung mit Übergewicht deutlicher nachweis- Studie war jedoch ein fettreiches dem Ziel, die Studienteilnehmer zu bar als bei stark übergewichtigen Ernährungsmuster mit einer signifi- einer traditionellen mediterranen und adipösen Frauen (BMI .28 kg/m2) kanten Risikoerhöhung assoziiert Ernährung zu animieren (reich an [30]. Darüber hinaus wirkt sich der (HR 2,0 [95%-KI: 1,30–3,09]) [21]. Al- Gemüse, Fisch und Olivenöl, dafür risikoreduzierende Effekt vorwie- lerdings konnte ein Zusammenhang wenig rotes Fleisch und tierische gend auf postmenopausale Mam- zwischen fettreicher Ernährung und Fette). Die Teilnehmer der Kontroll- makarzinome aus. Folgende Ursa- Brustkrebsrisiko in einer nachfolgen- gruppe wurden allein hinsichtlich chen werden diskutiert: Reduktion den Metaanalyse nicht bestätigt einer fettreduzierten Ernährung be- von Fettgewebe mit nachfolgend werden [22]. Zuckerhaltige Geträn- raten. Die Studie wurde aufgrund verminderter adipogener Östrogen- ke waren in der NutriNet-Santé-Stu- des vorzeitigen Erreichens der pri- synthese (Reduktion der Östrogen- die mit einem erhöhten Brustkrebs- mären Endpunkte (Reduktion der spiegel um 5–10 %), antiinflamma- risiko (HR 1,22 [95%-KI: 1,07–1,39]) kardio- und zerebrovaskulären Mor- torische Effekte, Verbesserung einer verbunden, wobei der Effekt auch bidität um 30 %) in den Interven- Insulinresistenz mit Reduktion von bei natürlich süßen Fruchtsäften tionsarmen nach 4,7 Jahren vorzei- Wachstumsfaktoren bzw. Zytokinen nachzuweisen war und somit nicht tig beendet. Die Rate an Mamma- [31–33]. Zumindest ein Teil dieser allein auf Getränke mit Zuckerzu- karzinomen im Studienzeitraum Effekte dürfte über eine Normalisie- satz zu begrenzen ist [23]. (n = 35) war lediglich ein sekundärer rung bzw. Aufrechterhaltung eines Endpunkt. Trotz der insgesamt ge- normalen Körpergewichts vermit- Als risikoreduzierend erwies sich ringen Fallzahl war sie in der Grup- telt werden [34, 35]. wiederum eine ballaststoffreiche pe mit mediterraner Diät plus Oli- Ernährung (pro 10 g Ballaststoffe venöl (n = 8) gegenüber der Kon- Psychischer Stress, Arbeits- täglich RR 0,95 [95%-KI: 0,91–0,98]) trollgruppe mit fettreduzierter Er- belastung und Nachtschichtarbeit [24]. Nicht nur einzelne Nahrungs- nährung (n = 17) signifikant niedri- Der Zusammenhang zwischen Stress bestandteile, sondern auch die Be- ger (HR 0,38 [95%-KI: 0,16–0,87]). durch hohe Arbeitsbelastung, Schicht- rücksichtigung von Ernährungsmus- Zwischen der Gruppe mit Nuss-Sup- arbeit oder auch schwerwiegende tern sind hinsichtlich des Karzinom- plementierung (n = 10) und den Lebensereignisse wie Verlust der risikos von Bedeutung. So reduziert Kontrollen zeigte sich ein nicht si- Arbeit oder Verlust des Partners mit eine traditionelle mediterrane Er- gnifikanter Trend zugunsten einer dem Brustkrebsrisiko ist unsicher nährung das Brustkrebsrisiko um mediterranen Ernährung. Nach Ad- [36–39]. Die Interpretation dieser 8 % (RR 0,92 [95%-KI: 0,87–0,96]) justierung hinsichtlich möglicher Studien wird durch koinzidente risi- [25]. Beachtenswert ist, dass der ri- Einflussfaktoren (Alter, BMI, waist- komodifizierende Einflussfaktoren sikoreduzierende Effekt auf Estro- hip-ratio, Hormontherapie, Alkohol- wie ungesunde Ernährungsweise, genrezeptor-negative Mammakar- konsum, Kalorienzufuhr, Alter bei Alkohol- oder Nikotinkonsum, aber zinome begrenzt ist (HR 0,73 [95%- der Menopause, Adhärenz bzgl. der auch kosmische Strahlung (Unter- KI: 0,57–0,93) [26]. Der Zusammen- Ernährungsempfehlungen) waren suchungen zur Schichtarbeit an 2/2020 ONKOLOGIE heute
52 UPDATE: PRIMÄRPRÄVENTION MAMMAKARZINOM Stewardessen) und Kinderlosigkeit koreduktion für Brustkrebs um 1,21 [95%-KI: 1,11–1,33]) [46]. Diese erschwert. Das Risiko einer fehler- rund 7 % zu beobachten war [43]. Ergebnisse bestätigen die Daten haften Interpretation ist entspre- Stillen resultierte in einer zusätzli- einer finnischen Studie [47], wäh- chend hoch. So war in einer Meta- chen Reduktion um relativ 4,3 % rend in einer weiteren, allerdings analyse der Tod des Ehepartners mit pro Jahr. Der protektive Effekt des kleineren prospektiven Kohorten- einer signifikanten Risikoerhöhung Stillens erreichte allerdings erst ab studie aus Norwegen hierzu kein für Brustkrebs verbunden (OR 1,37 einem Jahr Lebensstillzeit das Signi- Zusammenhang nachgewiesen wer- [95%-KI: 1,10–1,71]) [36]. Ein kausa- fikanzniveau. Die Autoren berech- den konnte (RR 1,03 [95%-KI: 0,91– ler Zusammenhang ist allerdings un- neten, dass die kumulative Brust- 1,17]) [48]. wahrscheinlich. Eher ist davon aus- krebsinzidenz von US-Amerikane- zugehen, dass die beobachtete Asso- rinnen nur halb so hoch wäre, wenn Bei der Risikobewertung hormo- ziation Folge einer Verschiebung der sie statt durchschnittlich 2,5 Gebur- naler Kontrazeptiva sind die dem Diagnosestellung ist: die Betroffe- ten eine in Entwicklungsländern ty- Brustkrebsrisiko gegenüber zu stel- nen stellen körperliche Symptome pische Geburtenzahl von 6,5 auf- lenden positiven Effekte zu berück- oder Vorsorgeuntersuchungen zu- weisen würden und sich die Still- sichtigen. Karzinome des Endome- gunsten eines pflegebedürftigen dauer pro Kind von durchschnittlich triums (ca. -50 %), der Ovarien (-20 % Partners zurück. Erst mit dem Ver- 8,7 Monaten auf 2 Jahre erhöhen nach 5-jähriger und -40 % nach 10- sterben des Partners werden diese würde [43]. Bemerkenswert ist, dass jähriger Einnahme) und auch des wieder wahrgenommen und führen die Risikoreduktion anscheinend Kolons (-18 %) treten signifikant in der Folge zu einer Häufung von auf Hormonrezeptor-negative Kar- seltener auf und bedingen einen Diagnosestellungen. Eine aktuelle zinome beschränkt ist [43]. positiven Nettoeffekt [45, 49]. Ver- prospektive Studie konnte jeden- gleichbare Vorteile finden sich auch falls keinen gesicherten Zusammen- Hormonale Kontrazeption und bei den Gestagen-freisetzenden in- hang zwischen psychischen Belas- menopausale Hormontherapie trauterinen Systemen: die Anwen- tungssituationen und Brustkrebs- Von allen hormonalen Kontrazep- dung über einen mittleren Zeit- inzidenz feststellen [40]. Am ehesten tionsmethoden ist die Risikoerhö- raum von vier Jahren war mit einer wahrscheinlich dürfte noch der in hung durch kombinierte orale Kon- Reduktion der Häufigkeit von Ova- zahlreichen Studien beobachtete trazeptiva am besten belegt [44, 45]. rialkarzinomen um 47 % und von Zusammenhang zwischen Nacht- Für die Gesamtheit der hormonalen Endometriumkarzinomen sogar um schichtarbeit und Mammakarzinom- Kontrazeptiva liegt eine aktuelle dä- 78 % verbunden [48]. Zusammen- risiko (RR 1,21 [95%-KI: 1,0–1,47]) nische Populationsstudie vor, die fassend kann von einem Überwie- sein, zumal aufgrund nachweislich eine Risikoerhöhung für Mamma- gen der Vorteile einer hormonellen erniedrigter Melatoninspiegel bei karzinome von RR 1,20 [95%-KI: Kontrazeption hinsichtlich des Kar- den Betroffenen auch ein möglicher 1,14–1,26]) angibt [46]. Dies ent- zinomrisikos ausgegangen werden kausaler Einflussfaktor vorliegt [38, spricht absolut 13 zusätzlichen Fäl- [45]. 41]. Dennoch konnte eine aktuelle len bezogen auf 100.000 Personen- Metaanalyse, in welcher nur Daten jahre [46]. Das Risiko war abhängig Auch die Risiken einer menopausa- prospektiver Studien berücksichtigt von der Einnahmedauer und in die- len Hormontherapie wurden jüngst wurden, keine Assoziation zwischen ser Studie nach Absetzen auch noch relativiert [50, 51]. Die Einnahme Brustkrebsrisiko und Nachtschicht- nach über 5 Jahren erhöht. Subgrup- eines reinen Östrogenpräparates bei arbeit (RR 0,99 [95%-KI: 0,95–1,03]) penanalysen zu den reinen Gesta- hysterektomierten Frauen war in der nachweisen [42]. genpräparaten sowie den vaginalen Gruppe der 50- bis 59-Jährigen sogar Kombinationspräparaten zeigten z. T. mit einer Risikoreduktion für Mam- Parität und Laktation keine Unterschiede im Vergleich zur makarzinome assoziiert (RR 0,71 Wenngleich es sich nur um bedingt unbehandelten Kontrollgruppe, wa- [95%-KI: 0,62–0,95]). Dies traf je- modifizierbare Lebensstilfaktoren ren aber vom Umfang her deutlich doch nicht auf die Gabe kombinier- handelt, so nehmen Schwanger- kleiner als die Gruppe der kombi- ter Östrogen-Gestagen-Präparate zu schaft und Stillzeit einen nicht un- nierten oralen Kontrazeptiva und (RR 1,25 [95%-KI: 1,07–1,46]). Ge- erheblichen Einfluss auf das Brust- somit weniger aussagekräftig. Levo- mäß einer individuellen Patienten- krebsrisiko. Eine umfassende Re- norgestrel-freisetzende intrauterine daten-Metaanalyse ist die Einnahme Analyse von 47 internationalen epi- Systeme weisen wiederum eine den einer kombinierten menopausalen demiologischen Studien zeigte, dass oralen Kombinationspräparaten ver- Hormontherapie über einen Zeit- mit jeder Geburt eine relative Risi- gleichbare Risikoerhöhung auf (RR raum von 5 Jahren mit dem Auftre- ONKOLOGIE heute 2/2020
UPDATE: PRIMÄRPRÄVENTION MAMMAKARZINOM 53 ten eines zusätzlichen Mammakarzi- Fazit für die Praxis − Vermeidung zuckerhaltiger Ge- noms bezogen auf 50 Nutzerinnen Die Bedeutung von Lebensstilfakto- tränke assoziiert [52]. Damit bleibt die Indi- ren für das Brustkrebsrisiko ist er- − Begrenzung des Alkoholkonsums kationsstellung zu einer menopau- heblich. Schätzungsweise ein Vier- − Verzicht auf Nahrungsergänzungs- salen Hormontherapie umstritten, tel aller postmenopausalen Mam- mittel unter dem Ziel einer Karzi- sollte aber im Fall der Anwendung makarzinome ließen sich durch die nomreduktion immer aufgrund klimakterischer Be- Optimierung einer überschaubaren − Mütter sollten möglichst Stillen schwerden und nicht aus anderwei- Zahl von gut validerten Lifestyle- tiger Indikation gegeben werden faktoren vermeiden. Deren Bedeu- Durch die Optimierung von Lebens- [53]. tung wird nicht zuletzt auch durch stilfaktoren lässt sich das Brust- die Aufnahme eines eigenen Ka- krebsrisiko nachweislich reduzie- Lifestylefaktoren pitels in der aktuellen S3-Leitlinie ren. Mittels einer gepoolten Analy- in Abhängigkeit des Alters sichtbar [56]. Die Empfehlungen zur se von 10 Kohortenstudien mit Ein- Die gegenteilige Auswirkung des Krebsprävention gemäß des World schluss von über 180.000 Frauen Körpergewichts auf das Brustkrebs- Cancer Research Fund lassen sich in konnte gezeigt werden, dass eine risiko in Abhängigkeit des Alters Kurzform folgendermaßen zusam- nachhaltige Gewichtsreduktion be- verdeutlicht die Komplexität der menfassen [14]: reits ab zwei Kilogramm in einer Interaktion zwischen Risikofaktor signifikanten Reduktion des Brust- und Ereignis. Der Zeitraum zwi- − Einhalten eines gesunden Körper- krebsrisikos resultierte [57]. Hierbei schen Menarche und erster Schwan- gewichts und Vermeiden einer lag ein linearer Zusammenhang gerschaft ist vermutlich ein beson- Gewichtszunahme im Erwachse- zwischen Risikoreduktion und Aus- ders sensibles Fenster für die De- nenalter maß der Gewichtsabnahme vor. Der terminierung des Brustkrebsrisikos − Körperliche Aktivität, z. B. täg- Einfluss multipler Lebensstilfaktoren [54]. Mit dem Auftreten einer lich mindestens 30 Minuten Lau- auf das Brustkrebsrisiko wurde in Schwangerschaft kommt es zu fen, Fahrradfahren, Schwimmen einer US-amerikanischen prospekti- einer terminalen Differenzierung etc. ven Kohortenstudie an mehr als des Drüsengewebes, was langfris- − Reichhaltiger Konsum von Voll- 100.000 Frauen über einen durch- tig zu einer Risikoreduktion führt. kornprodukten, Gemüse, Obst und schnittlichen Zeitraum von 12,5 Jah- Die mit zunehmendem Lebens- Hülsenfrüchten ren untersucht [58]. Die Adhärenz standard zu beobachtende Zunah- − Begrenzung von „Fastfood“ und zu den oben genannten empfohle- me der Körpergröße als auch die anderen verarbeiteten Lebens- nen Lebensstilmaßnahmen wurde früher einsetzende Menarche sind mitteln, die reich an Fett und kurz- in Form eines Punkteschemas zu- wiederum risikoerhöhende Fakto- kettigen Kohlenhydraten sind sammengefasst. Eine konsequente ren. So erhöht jedes Jahr einer frü- − Begrenzung des Konsums von Umsetzung – hier definiert als die her einsetzenden Menarche das stark verarbeiteten (konservier- 20 % der Teilnehmerinnen mit der Brustkrebsrisiko um relativ 5 % ten) Fleischprodukten höchsten Punktzahl – resultierte in [55]. Der kausale Zusammenhang zwischen Adipositas im Jugend- Zusammenfassung und frühen Erwachsenenalter und reduziertem Brustkrebsrisiko ist Das genetisch determinierte, individuell unterschiedliche Brustkrebs- weitestgehend hypothetisch, aller- risiko wird durch eine Reihe von Risikofaktoren modifiziert. Hierzu ge- dings scheinen niedrigere Konzen- hören auch Lebensstilfaktoren, durch deren Optimierung eine Risiko- trationen von Wachstumsfaktoren reduktion im Sinne einer Primärprävention möglich ist. Schätzungs- von Bedeutung zu sein. Adipositas weise ein Viertel bis ein Drittel aller Mammakarzinome ließen sich hier- im Kindesalter bedingt zwar eine durch vermeiden, wobei der präventive Effekt umso größer ist, je hö- früher einsetzende Menarche, al- her das genetische Grundrisiko ist. Hinsichtlich des postmenopausalen lerdings kommt es durch die endo- Mammakarzinomrisikos sind Alkoholkonsum und Übergewicht risiko- krinen Veränderungen auch zu erhöhende, Sport und körperliche Aktivität risikoreduzierende Le- einer Reduktion der Wachstums- bensstilfaktoren von besonders hoher Evidenz. geschwindigkeit sowie zu einer ge- ringeren Endgröße, was sich wie- Schlüsselwörter: derum risikoreduzierend auswirkt Mammakarzinom – Prävention – Lebensstil [54]. 2/2020 ONKOLOGIE heute
54 UPDATE: PRIMÄRPRÄVENTION MAMMAKARZINOM einem um 24 % niedrigerem Brust- 8. Smith-Warner SA et al. Alcohol and 22. Alexander DD et al. Summary and breast cancer in women: A pooled meta-analysis of prospective studies krebsrisiko im Vergleich zum Quin- analysis of cohort studies. JAMA of animal fat intake and breast canc- til der Teilnehmerinnen mit dem 1998; 279: 535–540 er. Nutr Res Rev 2010; 23: 169–179 niedrigsten Ergebnis. Darüber hin- 9. Key J et al. Meta-analysis of studies of 23. Chazelas Eet al. Sugary drink con- alcohol and breast cancer with consi- sumption and risk of cancer: Results aus war eine Reduktion der Gesamt- deration of the methodological issu- from nutrinet-sante prospective co- mortalität um 37 % zu beobachten. es. Cancer Causes Control 2006; 17: hort. BMJ 2019; 366: 2408 Die Ergebnisse bestätigen die Daten 759–770 24. Aune D et al. Dietary fiber and breast 10. Di Castelnuovo A et al. 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