LERNEN VON DEN BESTEN - der Welt vermarkten Spitzenmanager ihre Erfahrung als Mentoren für die nächsten Chefs. Was bringt das? - GLOBAL LEADERS IN ...

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TRENDS

                                                   LERNEN
                                                   VON DEN
                                                   BESTEN
                                                       Im wohl höchstrangigen Ratgeberzirkel
                                                    KARRIERE
                                           der Welt vermarkten Spitzenmanager ihre Erfahrung als
                                              Mentoren für die nächsten Chefs. Was bringt das?
Foto: Dirk Bruniecki für mm

                              96   manager magazin N O V E M B E R 2 0 2 0
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KÖNIGS-
  MACHER
  Michael
 Diekmann,
Aufsichtsrats-
  chef der
   Allianz,
bereitet seine
   Kunden
   auf den
CEO-Job vor
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TRENDS K ARRIERE

                              Es sind ungewöhnliche Bewerbungs-             trolleur Paul Bulcke (66), ABB-Verwal- der Mythologie erzog ein gewisser Men-
                              unterlagen, die da unter den Namen            tungsratschef Peter Voser (62) oder Ro- tor den Sohn des Odysseus und bereite-
                              einiger der mächtigsten Wirtschafts-          ger Carr (73), einst Cadbury-Chairman te ihn auf die Königsrolle vor.
                              führer Europas in Umlauf sind. Links          und heute Chairman des britischen Rüs-        In der angelsächsischen Geschäfts-
                              prangt jeweils ein sympathisches Foto,        tungskonzerns BAE Systems. Power- welt greifen Unternehmen schon länger
                              daneben finden sich in Stichpunkten die       frauen wie die Multiaufsichtsrätinnen auf solche Königsmacher zurück. Die
                              ausgefallensten Meriten.                      Clara Furse (63) und Rona Fairhead (59) Professionalisierung der Governance und
                                  „Experienced Chairman“, „Dax, Euro        komplettieren das eli-                                     immer ausgefeiltere
                              Stoxx 50, Stoxx Europe 50“, „24 years of      täre Line-up.                                              Prozesse der Nachfol-
                              international senior leadership expe-            Im boomenden Be-
                                                                                                          „MANCHE MEINEN,              geplanung könnten die
                              rience“, „profound networks in Asia           ratungsgeschäft wollen           AUF DER EBENE             Nachfrage nach den
                              Pacific, Americas, Africa and Europe“ –       die Mentoren eine Lü-         BRAUCHT MAN KEINE            Fünf-Sterne-Ratgebern
                              so dient sich etwa Allianz-Grande Mi-         cke füllen. Coaches für           HILFE MEHR –             auch in Deutschland
                              chael Diekmann (65) dem Publikum an.          Life und Schlaf, Ernäh-    ABER DAS STIMMT NICHT.“ anziehen          lassen. Ne-
                                  Mit Erfahrungswissen in „techno-          rung und Leadership                                        ben CMi zielen auch
                                                                                                            Jim Hagemann Snabe
                              logy, digital transformation, insurance,      finden Leistungsträger                                     andere Anbieter wie
                              energy“ hofft Jim Hagemann Snabe (54)          an jeder Ecke. Doch bis zum Spitzenper- die vom verstorbenen Eon-Chef Wulf
                              zu punkten, bis 2014 Co-CEO der SAP           sonal dringen diese Ratgeber selten vor. Bernotat gegründete Boutique Bernotat
                              und aktuell unter anderem Aufsichts-             Wer will den Anführern denn auch & Cie. auf den High-End-Bereich (siehe
                              ratschef bei Siemens und Maersk sowie         profunde Tipps geben, ohne selbst je die Kasten Seite 102). Denn Kungelkarrie-
                              Stellvertreter Diekmanns im Allianz-          Sturmhöhen der Macht erklommen zu ren sind in der Dax-Welt immer seltener
                              Aufsichtsrat.                                 haben? Coach kann sich jeder nennen. möglich und von Dauer.
                                  Über Franz Humer (74), lange Jahre        Das Tätigkeitsfeld des Mentors dagegen        Michael Diekmann kam 2003 noch
                              oberster Gestalter beim Pharmariesen          prägten bereits die alten Griechen. In so ins Amt: Sein Vorgänger Henning 2
                              Roche, lässt sich nachlesen, dass er im
                              Laufe seiner Karriere so ziemlich jede
                              wesentliche Rolle im internationalen                                                                        DOPPELROLLE
                              Konzernwesen zu spielen gelernt hat,                                                                         Als Mentor
                              darunter selbstverständlich auch „COO,                                                                      hilft Siemens-
                                                                                                                                          Oberaufseher
                              CEO und Chairman“.                                                                                            Jim Hage-
                                  Die Steckbriefe verschickt ein Büro                                                                     mann Snabe
                              in London im Auftrag des wohl bestqua-                                                                       dem Nach-
                              lifizierten Führungskräftenetzwerks der                                                                       wuchs; für
                                                                                                                                            seine Vor-
                              Welt: Chairman Mentors International,                                                                       stände bucht
                              kurz CMi. 73 ehemalige Topmanager                                                                              er selbst
                              aus 18 Nationen preisen sich darin als                                                                         gern Rat,
                              Dienstleister an, um dem Nachwuchs in                                                                        wenn nötig.
                              der Praxis auf die Sprünge zu helfen.
                                  Wobei von „Nachwuchs“ nur ein-
                              geschränkt die Rede sein kann: Die
                              Altmeisterinnen und -meister greifen
                              denen unter die Arme, die ebenfalls
                              ganz nach oben wollen. Finanzchefs,
                              angehende Vorstands- oder Aufsichts-
                              ratsvorsitzende und ausgewählte Füh-
                              rungskräfte, die sich „signifikanten
                              Investierens“ in ihre Person würdig er-
                              weisen, wie es bei CMi heißt.
                                  „Manche meinen, auf der Ebene
                              braucht man keine Hilfe mehr – aber das
                              stimmt nicht“, sagt Snabe. „Wir ballern
                              die Mentees nicht mit unseren Helden-
Foto: Katrin Binner für mm

                              taten zu. Wir stellen offene Fragen“,
                              sagt Diekmann. „Wir helfen, die nächste
                              Stufe zu nehmen“, sagt Humer.
                                  Buchbar sind neben den dreien wei-
                              tere Kapazitäten wie Nestlé-Oberkon-
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LERNEN VON DEN BESTEN - der Welt vermarkten Spitzenmanager ihre Erfahrung als Mentoren für die nächsten Chefs. Was bringt das? - GLOBAL LEADERS IN ...
vor den Mitarbeitern und sollte die neue
                                                                                                                              Aufgabe eigentlich schon verinnerlicht
                                                                                                                              haben.“ Seitdem achtet er als Aufsichts-
                                                                                                                              rat auf die Nachfolgeplanung, um den
                                                                                                                              Kandidaten Zeit zur Vorbereitung zu
                                                                                                                              lassen. Hat er für Kaeser-Nachfolger
                                                                                                                              Roland Busch (55) bei Siemens einen
                                                                                                                              Mentor bestellt? Da lächelt der Däne mit
                                                                                                                              routinierter Freundlichkeit – entlocken
                                                                                                                              lässt er sich nichts.
                                                                                                                                 Zu den ehernen CMi-Regeln gehört
                                                                                                                              Diskretion: Die Auftraggeber erhalten
                                                                                                                              kein Feedback über den konkreten In-
                                                                                                                              halt der Zweiergespräche. Die angehen-
                                                                                                                              den Spitzenkräfte wiederum erfahren
                                                                                                                              nicht, was ihre Aufsichtsratschefs über
                                                                                                                              sie denken und in welchen Punkten sie
                                                                                                                              an sich arbeiten sollen – das finden sie
                                                                                                                              idealerweise im Laufe des Mentorings
                                                                                                                              eigenständig heraus.
                                                                                                                                 In den oft sehr persönlichen Ge-
                                                                                                                              sprächen spielen die Mentoren den
                                                                                                                              Moment der Machtübernahme durch.
                                              ALTMEISTER                                                                      Wie umgehen mit der ständigen Beob-
                                                  Roche-
                                              Legende Franz                                                                   achtung durch Mitarbeiter, Investoren,
                                               Humer redet                                                                    Aufsichtsrat und Öffentlichkeit, dem
                                                auch bei der                                                                  immensen Druck auf die Familie? Wie
                                                 Berufung
                                               neuer Mento-                                                                   die diffizile Abgrenzung zum Vorgänger
                                                  ren mit                                                                     gestalten?
                                                                                                                                 Mancher lernt in der Beratung, dass
                                                                                                                              der Topjob gar nicht zu ihm passt, will
                                         Schulte-Noelle (78) förderte ihn als          Als bloße Händchenhalter für ge-       er sich nicht über die Maßen verbiegen.
                                         Kronprinz; Oberkontrolleur Klaus Lie- stresste Toptalente verstehen sich die         In so einem Fall kann der Mentor helfen,
                                         sen winkte die Personalie durch. Heute Mentoren aber nicht. Sie legen nur mit        einen gesichtswahrenden Rückzug anzu-
                                         stehen bei der Auswahl neuer Topleute konkretem Briefing los. Aufsichtsrats-         treten; auch falls einer im Berufungspro-
                                         idealerweise weit vor dem Abtreten des vorsitzende geben beispielsweise die          zess durchfällt. „Wenn der Nachfolge-
                                         aktuellen Vorstandschefs intern wie ex- Order aus, einen Chefaspiranten in Sa-       prozess gut gemanagt wird, produziert
                                         tern diverse potenzielle Nachfolger fest. chen Resilienz zu überprüfen. Überzeu-     er keine Verlierer“, sagt Snabe.
                                            Für eine höhere fünfstellige Summe gungskraft, Widerstands-, ja Leidens-             Und wem die Aufgabe schließlich
                                         (gezahlt wird in Pfund)                                   fähigkeit – für derlei     übertragen wird, der muss, zack, zack,
                                         im Jahr helfen die Men-     „NICHTS IST LEICHTER,         Leadership-Attribute       mit einer Agenda bei der Hand sein.
                                         toren den Kandidaten,         ALS DEN VORGÄNGER           haben die Mentoren         Snabe bläut seinen Mentees einen Drei-
                                         Erfahrungslücken zu                                       einen guten Blick.         klang ein: „Strategie, Struktur, Men-
                                         schließen, und bieten         SCHLECHTZUMACHEN.              Sie standen ja selbst   schen“, in dieser Reihenfolge. Man
                                         unabhängigen Rat an.        DAVOR MUSS MAN JEDEN alle jahrelang im Feuer.            müsse schon wissen, wo man hinwolle,
                                         Man trifft sich alle ANGEHENDEN CEO WARNEN.“ „Man kann sich kaum                      bevor man sich ein paar verträgliche
                                         sechs bis acht Wochen                                     vorstellen, wie groß der   Kollegen suche: „Den Job des Rich-
                                                                             Franz Humer
                                         für zwei Stunden.                                         Unterschied zwischen       tungsweisers kann einem keiner ab-
                                            Die Erkenntnis, für den Spitzenjob Vorstand und CEO ist“, sagt Multi-             nehmen.“ Teamplay, allgemein schwer
                                         infrage zu kommen, motiviere zu aufsichtsrat Snabe.                                  in Mode, ist an der Spitze nicht alles.
Foto: Anne Gabriel-Jürgens / 13 PHOTO

                                         Höchstleistung, belaste aber auch, sagt       Nach einem Anruf von Hasso Platt-         Den Wert guter Ratschläge kennt
                                         Diekmann: „Ab dem Moment der An- ner (76) an einem Samstagmorgen des                 Neumentor Diekmann aus eigener Er-
                                         sprache ist für die Kandidaten nichts Jahres 2010 blieb ihm selbst damals nur        fahrung. Ihn ereilte die erste große
                                         mehr normal.“ Innen wechseln „Eupho- das eine Wochenende, um sich für den            Bewährungsprobe direkt zum Amts-
                                         rie und Sorge“, nach außen heißt es Job im Tandem mit Bill McDermott (59)            antritt als Allianz-Chef 2003. Dotcom-
                                         Ruhe bewahren. Da kann ein geschütz- zu entscheiden. „Am Montagmorgen                Crash und 9/11 hatten den Kurs des
                                         ter Raum zur Aussprache sinnvoll sein. stand ich in einem All-Hands-Meeting          Versicherers um 90 Prozent einbre- 2
                                        100   manager magazin N O V E M B E R 2 0 2 0
TRENDS K ARRIERE

                        chen lassen; das in Aktien angelegte nalitäten- und branchenübergreifender
                        Bilanzvermögen schmolz dahin. Der Austausch gehört zum Prinzip. Sie sind
                        gelernte Vertriebler hatte vom Kapital- Spezialisten für Kernfragen, die sich
                        markt „keine Ahnung“, musste aber die jede Generation an der Spitze wieder
                        damals größte Kapitalerhöhung Euro- neu stellt: Wie geht man mit feindlichen
                        pas stemmen.                                   Kollegen um? Wie bewahrt man ein Pri-
                           In der Zentrale in München drohten vatleben? Wie stellt man es an, von der
                        sie in die mentale Falle zu tappen, er- Arbeitsflut nicht überrollt zu werden?
                        innert sich Diekmann: „Wir dachten,
                        das war doch eigentlich der Markt, Gespräche im Wohnzimmer
                        der da eingebrochen ist. Nicht unsere In der Regel beraten die Mentoren ihre
                        Schuld.“ Alarmiert nahm Henry Paulson Schützlinge persönlich, derzeit läuft
                        (74) den Youngster zur Seite. Als Chef Corona-bedingt vieles über Videocalls.
                        der beauftragten Investmentbank Gold- Ansonsten lädt Diekmann ins Palais
                        man Sachs fürchtete er ein Scheitern Preysing, eine der nobelsten Adressen
                        des Projekts – und nordete Diekmann Münchens; dort teilt er sich ein Büro
                        auf die Begegnung mit enttäuschten mit seinem ehemaligen Vorstands-
                        institutionellen Investoren ein. „Das kollegen Paul Achleitner (64) und des-
                        waren sehr harte 48 Stunden“, so Diek- sen Frau Ann-Kristin (54), Ex-Siemens-
                        mann.                                          CEO Peter Löscher (63) und Joachim
                           Roche-Legende Humer fand einen Faber (70), ehemaliger Oberaufseher
                        wertvollen Ratgeber unter freund- der Deutschen Börse.
                        licheren Vorzeichen.                                             Humer, der Öster-
                        Am Anfang seiner „WIR BALLERN DIE MENTEES reicher mit Schweizer
                        Laufbahn in den 70er             NICHT MIT UNSEREN           Pass und joviale Wel-
                        Jahren begegnete der                                         tenbummler, lädt lie-
                        junge Jurist einem                 HELDENTATEN ZU.           ber zu sich an einen
                        Schwergewicht seiner             WIR STELLEN OFFENE          seiner vier Wohnsitze,
                        Branche. Der Mann bot             FRAGEN, HÖREN ZU.“         meist nach Zürich oder
                        ihm einen Job als Lan-                                       London. Dem Mann
                                                             Michael Diekmann
                        deschef in Serbien an,                                       eilt der Ruf voraus,
                        Humer lehnte ab. Doch aus dem Ge- trotz Hochglanzkarriere auf dem Tep-
                        spräch wurde eine lebenslange Freund- pich geblieben zu sein. In einer Dop-
                        schaft, die ihm über den Tod seines pelrolle als Vorstandschef und Ver-
                        Freundes hinaus Orientierung bietet. waltungsratspräsident ließ er beim
                           Ob die Biochemie stimmt, klären die Schweizer Roche-Konzern keinen Stein
                        CMi-Mentoren und ihre Mentees in auf dem anderen und machte aus dem
                        einem persönlichen Vorgespräch. Dann schwächelnden Familienunternehmen
                        einigen sie sich auf eine Agenda und in 15 Jahren einen hochprofitablen
                        arbeiten sie ab, manchmal in Monaten, Innovationschampion. Von Big Pharma
                        häufiger in mehr als einem Jahr. Oder wechselte er in die Konsumgüterszene,
                        nach einer Pause wieder aufs Neue, nach als Chairman des weltgrößten Spirituo-
                        Unternehmenswechseln etwa, unter senherstellers Diageo. Im Board der
                        dem Druck einer großen Transforma- Citigroup kümmerte er sich um Ethik
                        tion oder dem Eintritt in einen neuen und Unternehmenskultur. Mehr globale
                        Markt, dessen kulturelle Codes man Businesserfahrung geht kaum.
                        sich erst aneignen muss.                          Thomas Schulz (55) schätzt den Rat
                           Vor 18 Jahren hat ein Norweger den des Seniors. Der Deutsche hat über
                        CMi-Zirkel ins Leben gerufen; heute 20 Jahre in skandinavischen Unterneh-
                        sind zwei Ex-Partner von Goldman men Karriere gemacht, seit sieben Jah-
                         Sachs und ein griechischer Reeder in- ren leitet er den dänischen Anlagenbau-
                           vestiert. Bislang agiert die Edeltruppe er FLSmidth in Kopenhagen. Mentoren
                            ausweislich der Kundenliste vor hatte er immer mal wieder, „in Skandi-
                             allem in Nordeuropa, der deutsche navien gehört das dazu“. Seit 2019 ist er
                             Sprachraum gilt als Entwicklungs- nun CMi-Kunde. Nicht um das Aus-
                              land. Die Mentoren beraten selten bügeln von Defiziten gehe es in den
                               vor der eigenen Haustür – natio- Sitzungen, sagt Schulz, es sei eher eine
102   manager magazin
„Auszeichnung für Leistungsträger: Mit
der Wahl von Mentoren signalisieren
Manager Lernbereitschaft.“
    Ein kluger Mentor erweitere den
„Tunnelblick“, der sich nach etlichen
Jahren an der Spitze zwangsläufig ein-
stelle. Mit Humer diskutiert Schulz das
große Ganze: Brexit, geopolitische Kon-
flikte, die Folgen der Corona-Krise. Und
die anspruchsvollen Ziele, die er seinem
Unternehmen gesetzt hat. FLSmidth
soll seine Emissionen bis 2030 auf null
reduzieren. Ein anstrengender Wandel,
den der Chef im Konsens mit allen Sta-
keholdern durchziehen muss. Humer –
„ruhig, erfahren, gradlinig, direkt“ – na-
vigiert mit ihm zusammen durch die
„enorme Komplexität“.
    Für die Ex-Bosse lohnt sich der Job
eher emotional: Sie bleiben nah am
Geschehen und haben spürbar Freude,                                                                               GEISTIGE
gebucht und gebraucht zu werden. Von                                                                              NAHRUNG
einer „enormen Vertrauensbasis“ und                                                                             Nestlés Ver-
„intensiven, tiefen Gesprächen“ mit sei-                                                                       waltungsrats-
                                                                                                                 chef Paul
nen Mentees schwärmt Humer. Was ihn                                                                            Bulcke gibt als
nicht daran hindert, den Jüngeren deut-                                                                         einer von 73
lich die Meinung zu sagen, wenn es nötig                                                                       Chairmen und
erscheint – und in der Folge immer wie-                                                                         Chairwomen
                                                                                                                sein Wissen
der nachzuhaken, ob die Intervention                                                                               weiter
denn auch erfolgreich war.
    Über einen seiner schwereren Fälle,
ebenfalls ein CEO, hatte dessen Auf-         nen Vorstand treiben manchmal Fragen       ren die Chairmen nicht, auch auf syste-
sichtsratschef im Rahmen einer Feed-         um, die er seinem Aufsichtsrat nicht       matische Supervision wird verzichtet –
backrunde herausgefunden, dass der           stellen mag.                               man verlässt sich darauf, dass sie es
Mann das gesamte Team in den Wahn-              Derzeit sind nur rund 15 Prozent der    freestyle hinkriegen. Ein- oder zweimal
sinn zu treiben drohte mit seinen end-       CMi-Mentees Frauen; die Management-        im Jahr kommen alle zu zweitägigen
losen Belehrungen. Humer pirschte sich       senioren wollen daran durch ihre Arbeit    Treffen zusammen und teilen ihre
als Mentor vorsichtig heran. Er riet ihm,    etwas ändern. „In drei, vier Jahren wer-   Erlebnisse in kleinen Arbeitsgruppen,
in Sitzungen vielleicht einmal mitzu-        den wir wahrscheinlich zwischen 40         auch dies läuft – so versichern sie –
schreiben, anderen Kollegen bei Wort-        und 50 Prozent sehen“, prognostiziert      anonymisiert.
meldungen den Vortritt zu lassen oder –      Humer. Selbst sozialisiert in reinen          Diekmann, Humer, Snabe und ABB-
wenn der Druck zum eigenen Vortrag           Männerrunden, wollen die Herren weg        Mann Voser sind in der Runde stets die
unermesslich wurde – wenigstens auf          vom „Old Men’s Network“ (Snabe) und        Einzigen mit Nähe zum deutschen
die Uhr zu schauen: „Länger als zwei         raten das auch ihren Auftraggebern.        Sprachraum. Man verspüre in dieser
Minuten müssen nicht sein.“                  Weibliche Mentees sind „meist ein biss-    Hinsicht keinen Rekrutierungsdruck,
    In solchen Momenten freilich nähert      chen besser vorbereitet“ (Snabe), leider   heißt es bei CMi. Deutsche Manager mit
sich das Mentoring dem Babysitting und       noch immer „doppelbelastet“ (Diek-         ihren oftmals lebenslang ans gleiche
damit einer Aufgabe, die selbst engagier-    mann), aber „sehr interessiert an Rück-    Unternehmen gebundenen Karrieren
te Aufsichtsratschefs nicht übernehmen       meldungen“ (Humer). Damit mehr             gelten im Zirkel der polyglotten Multi-
könnten. In ihrer Rolle als Aufseher su-     Frauen es bis in Spitzenpositionen         funktionsträger als eigene Spezies.
pervisieren auch Diekmann und Snabe          schaffen, müssen sie zuvor Erfahrung in        Ob aus den Begegnungen von Men-
                                                                                                                                         Foto: Simon Dawson / Bloomberg

in erster Linie die sachlichen Entschei-     operativen Ressorts sammeln. Mithilfe      toren und Mentees auch Freundschaf-
dungen der Operativkräfte, nicht deren       von CMi sollen sie sich das zutrauen.      ten entstehen? Eher nein. Schafft es der
Sorgen, Nöte und Charakterschwächen.            Menschenkenntnis ist gefragt in der     Beratene in den Kreis der Unterneh-
Ein Aufsichtsratschef kann den Vor-          Mentorenrolle, auch das Talent zum         menslenker, läuft man sich ja ohnehin
stand nicht täglich an die Hand nehmen,      Zuhören. Eine Ausbildung in psycho-        irgendwann wieder über den Weg.
heißt es im Kreis der Mentoren – und ei-     logischer Gesprächsführung absolvie-       1 Eva Buchhorn
                                                                                         N O V E M B E R 2 0 2 0 manager magazin   103
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