LESEN LERNEN Broschüre zur Ausstellung im Berner Generationenhaus 14. August - September 2019 - PHBern
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INHALT Vorwort 1 Lesen lernen – wie geht das? 3 Was braucht es zum Lesenlernen? 4 Lesen lehren – aber wie? 11 Wie lehrt man lesen? 12 Lesen lernen früher 15 Lesen lehren heute 20 Anton und Zora 20 ABC-Lernlandschaft 26 Leseschlau 32 Lesen lehren morgen 37 SPRACHWELT 37 Lesen fördern – wer hilft? 42 GraphoLearn - Lesen fördern bei Kindern 43 Verein LundS - Lesen fördern bei Erwachsenen 45 Lesen fördern durch attraktive Erstlesetexte 48 Schluss 51
VORWORT Haben Sie schon einmal vor japanischen Lese- und Schreibkenntnisse nicht herum. Schriftzeichen gestanden und versucht, ih- Im Berufsalltag hat sich das E-Mail zum nen wichtige Informationen zu entlocken? Hauptkommunikationsmittel gemausert. Oder wollten Sie bei einem Finnlandbesuch Informationen sind nur einen Klick auf Goo- die Ihnen eigentlich bekannten, aber doch gle entfernt. Statt über Radio oder Fernse- eher ungewöhnlich zusammengefügten her informieren uns Push-Nachrichten auf Buchstabenfolgen entschlüsseln? Wenn dem Smartphone in Echtzeit über das aktu- Sie weder Japanisch noch Finnisch beherr- elle Geschehen in der Welt. schen, ist der Erfolg in beiden Fällen ver- mutlich bescheiden ausgefallen. Diese ständige Begegnung mit der ge- schriebenen Sprache weckt beim Kind im Ähnlich herausfordernd ist das Lesen für besten Fall die Neugier und Motivation, Leseanfänger/innen. Nur: Von ihnen wird selbst Geschriebenes lesen und verstehen erwartet, dass sie motiviert weiterüben. Sie zu wollen. Dafür muss es bereits über ver- müssen die Buchstaben und ihre Lautwer- schiedene Arten von Sprachwissen verfü- te kennenlernen, sie zu längeren Einheiten gen. Welches Sprachwissen genau, damit verbinden und dann die Bedeutung der so beschäftigt sich die Leseforschung. Sie un- erlesenen Wörter verstehen. Und schnell tersucht die Fragen, wie Lesenlernen funk- sind es nicht nur einzelne Wörter, sondern tioniert und welche Voraussetzungen Men- Sätze und schliesslich immer längere und schen brauchen, um den alphabetischen kompliziertere Texte, die gelesen und ver- Code zu knacken. standen werden sollen. Ein solches Projekt zur Leseforschung bildet Lesen gilt in unserer Gesellschaft als Schlüs- den Ausgangspunkt der Ausstellung Lesen sel für den Schulerfolg und ist zentral für lernen. Das Forschungsprojekt wird vom ein selbstbestimmtes Alltags- und Berufs- Schweizerischen Nationalfonds gefördert leben als Erwachsene. Auch wer am digi- und an der Pädagogischen Hochschule Bern talen Leben teilnehmen will, kommt um unter dem Titel Der Erwerb von Wortschatz 01
und Lesen (kurz: EnWoLe) durchgeführt Lesen lernen – wie geht das? (https://www.phbern.ch/die-entwick- Lesen lehren – aber wie? lung-von-wortschatz-und-lesen-enwole/ Lesen lehren – wer hilft? projekt.html). Zur Klärung dieser drei Fragen sollen die Die Ausstellung Lesen lernen im Berner Ge- Ausstellung Lesen lernen und die dazuge- nerationenhaus vom 14.08. bis 20.09.2019 hörigen «Schulstunden», in denen die Besu- präsentiert verschiedene Ergebnisse dieses chenden verschiedene Lehrmethoden erle- Projektes und bringt sie mit den Lehrmit- ben können, beitragen. teln in Verbindung, die im Schulzimmer zum Einsatz kommen. Die Lehrmittel und Britta Juska-Bacher ihre unterschiedlichen Zugänge zur Schrift- Martina Gsteiger sprache mögen bei Lehrpersonen wie Eltern und Grosseltern gelegentlich die Frage auf- Mit Unterstützung von Pascale Schaller werfen, wie Lesen gestern, heute und mor- und Beiträgen von Simone Preisler, Laura gen eigentlich gelehrt wurde und wird. Trotz Stoller, Sophie Obrist, Nadine Trachsel & aller Bemühungen im Schulzimmer gelingt Walter Hartmann, Christine Tresch, Martina das Lesenlernen nicht immer problemlos. Röthlisberger und Elisabeth Zellweger Die Frage, wer Unterstützung anbietet und wie diese aussieht, beantworten das Pro- jekt GraphoLearn der Universität Zürich, der Verein Lesen und Schreiben für Erwachsene (LundS) sowie das Schweizerische Institut für Kinder- und Jugendmedien (SIKJM), die den Ausstellungsrundgang abschliessen. 02
WAS BRAUCHT ES ZUM LESENLERNEN? Am Schulbeginn kann inzwischen rund ein zwischen den geschriebenen Buchstaben, Drittel der Kinder bereits erste Wörter und den gesprochenen Lauten und der Bedeu- Sätze lesen. Dennoch ist es auch heute tung der gelesenen Wörter entdecken. Wer noch eine der zentralen Aufgaben der Volks- einem beginnenden Leser zuhört, erkennt schule, alle Kinder das Lesen zu lehren. Zum schnell, mit welchen Mühen das Lesen Lesenkönnen zählen nicht nur das vorerst verbunden ist. Die Kinder lautieren zuerst mühsame Entziffern einzelner Buchstaben sehr langsam. Ein Wort wie T-R-O-M-P-E-T-E und das Kombinieren dieser Buchstaben zu zu entschlüsseln, ist mühevoll. Der Erwerb Wörtern, sondern auch das flüssige Lesen dieser Grundlagen der Lesetechnik ist fun- und das Textverstehen. Die Schule vermag damental für die folgenden Erwerbsstufen: es nicht, alle Kinder nach der obligatorischen Erst wenn der Lesende Wortbilder auto- Schulzeit mit gut ausgebauten Lesekompe- matisiert, sie also mühelos auf einen Blick tenzen in das Ausbildungs- und Berufsle- erkennt statt sie Stück für Stück erlesen zu ben zu entlassen: Internationale Vergleichs- müssen, und erst wenn er flüssig liest, hat studien wie die PISA-Studien zeigen, dass in sein Gehirn genügend freie Kapazitäten, der Schweiz 20 Prozent der 15-Jährigen als um sich auf den Inhalt des Gelesenen zu leseschwach eingestuft werden. Das heisst konzentrieren. konkret, dass die Lesekompetenz dieser Ju- gendlichen für eine hürdenlose Teilhabe an Wegen der wichtigen Bedeutung des Le- der Gesellschaft nicht ausreicht. sens für die Schullaufbahn und das spätere Leben ist diese Kompetenz gut erforscht. Lesenlernen scheint also herausfordernd zu Allerdings weiss die Wissenschaft zum Teil sein. Was braucht es dafür genau? Zu Be- noch ungenau, wie das Lesen mit anderen ginn geht es zunächst darum, dass die Kin- Kompetenzen zusammenhängt, zum Bei- der den sogenannten alphabetischen Code spiel mit dem Wortschatz der Kinder. Das knacken, das heisst den Zusammenhang Forschungsprojekt Die Entwicklung von 04
Wortschatz und Lesen. Eine Untersuchung schreiben zu wollen. Zudem machen sie das auf der Unterstufe (EnWoLe, 2017-2021) un- Kind auf die Bedeutung von Schriftsprache tersucht diesen Zusammenhang. Es ist den und auf die Unterschiede zur gesprochenen grundlegenden Lesekompetenzen gewid- Sprache aufmerksam. met, die am Schulanfang erworben werden. Die Forschenden untersuchen mit Hilfe von 2. Lesen braucht allgemeine Sprachkompe- 350 Kindern aus 40 Schulklassen, welche tenzen Faktoren das beginnende Lesen beeinflus- Das Kind beherrscht mit vier bis fünf Jah- sen und wie diese Faktoren zusammen- ren mündlich die Grundlagen der Mutter- hängen. Die Ergebnisse sollen helfen, den sprache: Es kennt die relevanten Laute und Einstieg in das Lesen künftig noch besser zu kann sie aussprechen, es verfügt über einen unterstützen. Wortschatz, mit dem es sich über seinen Alltag austauschen kann, und es kann weit- Drei zentrale Faktoren beeinflussen das gehend korrekte Sätze bilden. Diese Fähig- frühe Lesen keiten in der mündlichen Sprache bilden 1. Schrifterfahrungen im Vorschulalter ist den Grundstein für das Erlernen der Schrift. wichtig Erstklässler beginnen ihre Schullaufbahn 3. Lesespezifische Vorläuferfähigkeiten mit grossen individuellen Unterschieden Neben den mündlichen Kompetenzen bil- im Lesen. Gründe dafür liegen in den un- den verschiedene schriftspezifische Vor- terschiedlichen Bedingungen und Ent- läuferfähigkeiten die Voraussetzung für wicklungen in der frühen Kindheit. Einen das Lesenlernen. Dazu zählen die Kenntnis wichtigen Einfluss hat die Begegnung mit von Buchstaben und die phonologische Be- Schrift: Sieht das Kind, wie Geschwister, an- wusstheit. Die phonologische Bewusstheit dere Kinder, Eltern oder andere Erwachsene beinhaltet, dass Kinder Wörter in einzelne lesen? Hat es zuhause Zugang zur Schrift, Laute zerlegen und diese auch wieder zu- gibt es Bücher oder Zeitschriften im Haus- sammensetzen können. Beim Lesen müs- halt oder schreiben die Eltern Einkaufszet- sen sie die einzelnen Laute und Buchstaben tel? Sprechen Eltern und Geschwister über zu einem Wort verbinden, z.B. R-o-s-e. Dann Buchstaben, über das Lesen und über das erst haben sie Zugriff auf die im Kopf, im so- Schreiben? Lesen sie dem Kind vor? All diese genannten mentalen Lexikon, gespeicherte Erfahrungen können Interesse und Moti- Wortbedeutung. 05 vation der Kinder wecken, selbst lesen und Basierend auf diesen drei Fähigkeiten, die
sich die Kinder in der Regel vor der Schule net. Dann sucht das Kind nach der Wortbe- oder im 1. Schuljahr aneignen, lernen sie le- deutung. Dieser zweite Prozess bezeichnen sen, und zwar in drei Stufen: die Wissenschaftler als Dekodieren. Beim fortgeschrittenen Lesen liest das Kind Auf der Vorstufe erkennen die Kinder erste zunehmend längere Einheiten wie Sätze Symbole und Wortbilder. Erste Wortbilder und Texte. Dafür braucht es neben der Be- sind etwa der eigene Name oder Schriftzü- deutung der Wörter auch grammatisches ge wie MIGROS. Auf dieser Stufe liest das Wissen und muss verschiedene Informatio- Kind also noch keine Buchstaben, es er- nen miteinander verbinden können. kennt aber Wörter als Bilder wieder. Das beginnende Lesen beinhaltet die An- eignung der Lesetechnik. Diese besteht aus zwei Teilschritten: Zunächst benennt und verbindet das Kind einzelne Buchstaben. Dieser Schritt wird als Rekodieren bezeich- Die folgende Abbildung zeigt diese drei Stufen auf: Abb. 1: Entwicklungsstufen des Lesens 06
Neue Forschungsergebnisse Das Forschungsprojekt Die Entwicklung von Wortschatz und Lesen (2017-2021) und sein Vorgängerprojekt Wortschatz und Wortle- sen (2013-2016) haben die Entwicklung des Lesens in der Unterstufe ins Auge gefasst und gehen von den Einflussfaktoren Schrif- terfahrung, allgemeine Sprachkompeten- zen und Vorläuferfertigkeiten aus, die in Ab- bildung 2 zusammengefasst sind. Wie aber Abb. 2: Im Forschungsprojekt EnWoLe und misst man diese Faktoren bei den Kindern? seinem Vorgängerprojekt untersuchte Einflussfaktoren auf das Lesen • Die Schrifterfahrungen wurden unter anderem daran gemessen, ob das Kind Die Ergebnisse der Untersuchung von 350 Gross- und Kleinbuchstaben und Satz- Erstklässler/innen zeigen, dass den auffäl- zeichen wahrnimmt und ihre Bedeu- ligsten Einfluss am Anfang des Lesens die tung kennt. lesespezifischen Vorläuferfähigkeiten ha- • Allgemeine Sprachkompetenzen bein- ben. Intuitiv am besten nachvollziehbar ist halten unter anderem, wie viele Wör- die Bedeutung der Buchstabenkenntnis: ter das Kind kennt und wie gut es sie wer die Buchstaben nicht kennt, kann nicht kennt. lesen. Wie in zahlreichen anderen Spra- • Als Vorläuferfähigkeiten untersuchten chen zeigt sich auch für das Deutsche, wie die Forscherinnen die Buchstaben- wichtig für das Lesen die phonologische Be- kenntnis der Kinder und die phonologi- wusstheit ist, also die Fähigkeit, den Inhalt sche Bewusstheit, indem sie testeten, der Sprache beiseitelassen und sich ganz ob das Kind die ersten beiden Laute auf die Form konzentrieren zu können. Ob von M-o-n-a-t vertauschen kann. Auch also die Kinder den ersten Laut eines Wortes die Zugriffsgeschwindigkeit auf Wör- weglassen können (Hose > Ose) oder gar die ter haben sie untersucht, und zwar an- ersten zwei Laute tauschen können (Tafel > hand eines Tests, der zeigt, wie schnell Atfel) hat am Anfang des Lesens einen gros- ein Kind vorgegebene Farben benen- sen Einfluss darauf, wie gut die Kinder lesen nen kann. können. Und diejenigen Kinder schliesslich, 07
die einen schnellen Zugriff auf die Wortbe- Ein wichtiges Ergebnis der Studie Wort- deutung haben, also nach dem Erlesen von schatz und Wortlesen war es auch, dass das R – o – s – e diesem Wort schnell eine Bedeu- Wissen über Schrift, etwa die Unterschei- tung zuordnen können, haben wiederum ei- dung zwischen Gross- und Kleinbuchsta- nen Vorteil beim Lesen. ben, einen fast genauso engen Zusammen- hang mit dem Lesen hat wie beispielsweise Das Forschungsprojekt zeigt auch, dass die phonologische Bewusstheit. Das spricht Wortschatzkenntnisse am Anfang der dafür, dass sich Schrifterfahrung günstig Schulzeit keinen direkten Einfluss auf das auf das Lesen auswirkt. Lesen haben. Ob Kinder einen grossen Wort- schatz haben oder die Wörter sehr gut be- Im weiteren Verlauf des Projektes Die Ent- schreiben können sowie Gegensätze (hoch wicklung von Wortschatz und Lesen, das – tief) und Oberbegriffe (Früchte zu Apfel, 2021 abgeschlossen sein wird, wird sich Birne, Aprikose und Zwetschge) benennen zeigen, ab wann auch ein direkter Einfluss können, hat keinen direkten Einfluss auf das von Wortschatz auf das Lesen nachweisbar Lesen. Interessanterweise zeigen die For- ist. Da Kinder Wörter mit fortschreitendem schungsresultate aber einen indirekten Ein- Alter zu einem immer grösser werdenden fluss: Ein umfangreicher Wortschatz wirkt Anteil über das Lesen erwerben, entwickelt sich positiv auf die phonologische Bewusst- sich im Laufe der Primarstufe auch die um- heit aus, die wiederum das Lesen positiv be- gekehrte Wirkung: das Lesen fördert den einflusst. Eine Förderung des Wortschatzes Wortschatz. Das Ziel des aktuellen Projektes lohnt sich also auch bereits im Hinblick auf ist es herauszufinden, ab welchem Schul- das frühe Lesen. jahr oder ab welchem Leseniveau dies der Fall ist. Um diesem Prozess auf die Spur zu kom- men, wird im Projekt auch untersucht, was Kinder genau tun, wenn sie beim Lesen unbekannten Wörtern begegnen. Wie er- schliessen sie deren Bedeutung? Damit die Abb. 3: Wortschatz fördert am Schulanfang das Forscherinnen diese Frage klären können, Lesen indirekt über die phonologische Bewusst- legen sie 30 Schüler/innen in der dritten heit Klasse kurze Lesetexte vor, die unbekannte 08
Wörter enthalten. In einem anschliessen- Weitere Informationen zum Forschungs- den Gespräch lassen sie Kinder Wortbe- projekt: deutungen beschreiben und versuchen über diese Beschreibungen herauszufin- https://www.phbern.ch/die-entwick- den, welche Hinweise Kinder nutzen, um lung-von-wortschatz-und-lesen-enwole/ die Bedeutung dieser unbekannten Wörter projekt.html zu erschliessen: Achten sie auf den Kontext im Satz oder im Text? Achten sie bereits auf einzelne Wortteile, zum Beispiel auf den ersten Wortteil un im Wort unschön und erkennen diese als Negation? Oder orientie- ren sie sich an lautlichen Ähnlichkeiten. Die- se Strategien sind insofern interessant, da sie den Schnittpunkt zwischen Wortschatz und Lesen darstellen. Literatur zu den besprochenen Forschungs- projekten Juska-Bacher, Britta, Beckert, Christine, Stal- der, Ursula & Schneider, Hansjakob (2016): Die Bedeutung des Wortschatzes für basale Lesekompetenzen. In: Didaktik Deutsch 40. S. 20–39. Juska-Bacher, Britta, Beckert, Christine, Gy- ger, Mathilde, Jakob, Sabrina & Schneider, Hansjakob (2015): Leserelevante Kompeten- zen an der Schwelle vom Kindergarten zur Schule. In: Ingrid Barkow & Rita Franceschi- ni (Hrsg.): Frühe Literalität – Zugänge zur Schriftlichkeit. Zeitschrift für Literaturwis- senschaft und Linguistik. LiLi 178. S. 28–42. 09
Lesen lehren – aber wie? 11
WIE LEHRT MAN LESEN? Auf keiner anderen Schulstufe gibt es eine vergleichbare Vielfalt methodischer Zugän- ge wie bei der Vermittlung der Schriftspra- che am Schulbeginn. Im Forschungsprojekt Die Entwicklung von Wortschatz und Lesen, kommen in 40 Klassen neun verschiedene Abb. 4: Übersicht über zwei Gruppen von Lehrmittel zum Einsatz. Diese Lehrmittel ar- Leselehr-Methoden beiten mit Methoden, die sich stark vonei- nander unterscheiden und den Kindern auf Die klassischen Methoden gehen entweder unterschiedlichen Wegen die Schriftspra- synthetisch oder analytisch vor: Die synthe- che vermitteln wollen. Für Lehrpersonen ist tische Methode geht von einzelnen Buch- es anspruchsvoll, sich hier zurechtzufinden. staben beziehungsweise Lauten aus und Für Eltern und Grosseltern sind die neuen übt ihr Zusammenziehen, das sogenannte Methoden oft irritierend. In den Medien Synthetisieren. Es geht also in erster Linie schreiben Journalist/innen momentan im- um die Lesetechnik. Das Verstehen des Sin- mer wieder über Erstlese-Lehrmethoden nes des Gelesenen bleibt dabei zunächst und auch Politiker/innen streiten sich über zweitrangig. deren Qualität. Insbesondere die Methode Lesen durch Schreiben des Baslers Jürgen Die analytische Methode geht in umge- Reichen, die in Nidwalden und im Aargau kehrter Richtung vor, sie setzt beim Sinn des verboten wird (ab dem 2. Schuljahr; vgl. Po- Wortes oder des Satzes an und analysiert diumsdiskussion im Rahmen der Ausstel- sie in immer kleinere Einheiten. Um die Fra- lung Lesen lernen am 14.08.19). Politisch ge, welcher Ansatz geeigneter sei, herrsch- sind weitere Vorstösse hängig. te lange Zeit ein Methodenstreit und neue Lehrmittel kamen wiederholt parallel in ver- Prinzipiell gibt es zwei Gruppen von schiedenen Ausführungen – nach syntheti- Leselehr-Methoden (Überblick siehe Abb. 4). scher und analytischer Methode – auf den Markt. Erst in den 1970er Jahren wurden die 12
beiden Methoden zur analytisch-synthe- ressen mit der Schriftsprache auseinander- tischen zusammengeführt. Man betonte setzt. Wichtig ist, dass das Kind nicht allein nun die Einheit von Sinnentnahme und Le- gelassen wird, sondern von Seiten der Lehr- setechnik: Die Kinder lernten zunächst ein- person eine entwicklungsangepasste und fache Wörter, die sie von Anfang an in Lau- systematische Förderung erfolgt. te respektive Buchstaben analysieren und Andererseits entwickelte Jürgen Reichen in wieder zu neuen Wörtern zusammensetzen den 1980er Jahren die Methode Lesen durch oder synthetisieren sollten. Heute kommen Schreiben, in der die Kinder mit Hilfe einer die klassischen Methoden kaum mehr zum Anlauttabelle selbstgesteuert schreiben, Einsatz. indem sie Sprache lautgetreu verschriften. Die Jahrhunderte lang verwendeten soge- Das regelmässige freie Verschriften von ei- nannten Fibeln, mit denen die Kinder am genen Gedanken, Bildern und mündlichen Anfang der Schulzeit bei Null begannen Inputs soll individuelle Leselernprozesse und im gleichen Tempo die Schriftsprache ermöglichen und die Freude am Lesen stär- erwarben, gerieten in die Kritik, weil die un- ken. Das Lesen selbst ergibt sich über das terschiedlichen Entwicklungsstände Schreiben, eine Lesetechnik wird nicht ex- der Kinder nicht berücksichtigt wurden. In plizit vermittelt. den 1980er Jahren erwuchsen aus dieser Kritik zwei neue Ansätze: Einerseits über- Wenn man die aus der Forschung bekann- trug Hans Brügelmann den aus den USA ten wichtigen Einflussfaktoren (siehe Ab- stammenden Spracherfahrungsansatz ins bildung 2) übernimmt, lassen sich die ver- Deutsche. Dieser basiert auf der Annahme, schiedenen Methoden unterschiedlich in dass Kinder den Kontakt zur gesprochenen diesem System verorten. Während die klas- und geschriebenen Sprache von sich aus sische synthetische Methode in erster Linie suchen und dass dieser natürliche Entwick- bei den Vorläuferfähigkeiten ansetzt und lungsprozess von aussen nur unterstützt zu die Lesetechnik übt, geht die analytische werden braucht. Kinder lernen Lesen und Methode von der Bedeutung der einzelnen Schreiben – so die Annahme – im Wesent- Wörter aus. Die analytisch-synthetische lichen über eine schriftreiche Umgebung. Methode aus den 1970er Jahren berücksich- Aufgabe der Lehrperson ist es, eine anre- tigt von Vornherein beide Bereiche. Die aus gende Sprachumgebung zur Verfügung zu den 1980er Jahren stammenden Methoden stellen, in der sich das Kind abhängig von des Spracherfahrungsansatzes und Lesen seinem Entwicklungsstand und seinen Inte- durch Schreiben legen starkes Gewicht auf 13
Schrifterfahrungen, die aber wiederum eng Literatur zum Lesenlehren an die Vorläuferfertigkeiten gebunden sind. Bredel, Ursula, Fuhrhop, Nanna & Noack, Christina (2017): Wie Kinder lesen und schreiben lernen. Tübingen: Francke. Schründer-Lenzen, Agi (2013): Schriftspra- cherwerb. Wiesbaden: Springer VS. Abb. 5: Ansatzpunkte der verschiedenen Leselehr-Methoden Aus Abbildung 5 wird ersichtlich, dass die verschiedenen Methoden ihren Ansatz- punkt an verschiedenen leserelevanten Punkten wählen, letztendlich werden für das erfolgreiche Lesen aber in allen Lehrmit- teln alle diese Punkte vermittelt. Nur eben in unterschiedlicher Fokussierung. Den Er- folg der einzelnen Methode bestimmen 1. ihre Umsetzung im jeweiligen Lehrmittel, 2. das von der Lehrperson inszenierte Unter- richtsgeschehen und 3. die individuelle(n) Bedürfnisse und die Motivation des Kindes. Den einen für alle Situationen, Kinder und Lehrpersonen perfekten Weg gibt es nicht. 14
LESEN LERNEN FRÜHER Für uns ist es heute selbstverständlich, dass lein. Im Zentrum stand das Lesenlernen, Kinder in die Schule gehen und dort Lese- Schreiben wurde allenfalls später vermit- und Schreibunterricht haben. Die Idee eines telt. Schulunterrichts für jedermann stammt aus der Reformationszeit. Vor rund 500 Jah- ren begannen sich die Schulen langsam zu dauerhaften Einrichtungen für das ganze Volk, den sogenannten Volksschulen, zu entwickeln. Hinter dieser Idee steckte der Wunsch der Reformatoren, dass die Bevöl- kerung in der Lage sein sollte, die Bibel und damit Gottes Wort selbst zu lesen. Aus die- sem Grund setzten es sich die protestanti- schen Gebiete zum Ziel, den Kindern grund- Abb. 6: Auszug aus: Namenbüchlin geschri- legende Lesekompetenzen zu vermitteln. ben für die angenden Schuler und einfalti- Die katholischen Kantone zogen bald nach. gen, darauss man leychtlich mag lernen läsen und schreyben. Zürych 1570-80 Das Namenbüchlein als erstes volkssprach- [Zentralbibliothek Zürich]. liches Leselehrmittel Religiöse Erziehung und Schriftspracher- werb gingen lange Hand in Hand. Die dafür Das älteste erhaltene Deutschschweizer verwendeten Lehrmittel beinhalteten ne- Namenbüchlein von ca. 1570 stammt aus ben religiösen Texten in der Regel die Ein- Zürich. Auch in diesem 16-seitigen Namen- führung der Buchstaben in alphabetischer buch ist der erste Teil dem Lesenlernen Reihenfolge, Silben und einzelne Wörter – gewidmet (auf der rechten Seite von Abbil- darunter häufig Namen. Aus diesem Grund dung 6 sieht man unter den Wörtern einige hiessen die Lehrmittel in der Schweiz bis Namen wie Adam und Clara), der zweite Teil Anfang des 19. Jahrhunderts Namenbüch- besteht aus dem Unser Vater, den Zehn Ge- 15
boten und weiteren religiösen Texten. wahrnehmen konnte, wie es im ersten Ber- ner Grundschulgesetz von 1835 steht. Die Lehrpersonen hatten selbst Mühe mit dem Erstlese-Lehrmittel wurden nun häufig als Lesen und Schreiben Lesebuch bezeichnet und waren deutlich Gearbeitet wurde synthetisch nach der al- umfangreicher als die Namenbüchlein. Die phabetischen Methode, die mit den Buch- religiösen Texte verschwanden im Geiste stabennamen arbeitete, also mit A, Be, Ce, der Aufklärung langsam aus den Lehrbü- De, …. Ein Wort wie Gans musste über die chern. An ihrer Stelle lasen die Kinder welt- Buchstabennamen zuerst entschlüsselt lich moralisierende Texte, die mit Bei- werden: Ge – A – En – Es. Die Lehrpersonen spielerzählungen an die Lebenswelt der hatten zu dieser Zeit zudem teilweise selbst Kinder anknüpften. Mühe mit dem Lesen und Schreiben und keinerlei didaktische Ausbildung. Daher Vom Buchstaben zum Laut lernte – verglichen mit den heutigen Erwar- Seit den 1830er Jahren übernahmen Lehr- tungen an die Volksschule – nur ein kleiner mittel eine neue Aufgabe: Sie sollten den Teil der Kinder tatsächlich lesen. Es ist davon Kindern nicht mehr nur grundlegende Lese- auszugehen, dass die Kinder die zu lesen- kompetenzen vermitteln, sondern auch das den religiösen Texte eher auswendig aufsa- verstehende Lesen. Zudem sollten Kinder gen als lesen konnten. nun zusammen mit dem Lesen auch das Schreiben lernen. Vom Namenbuch zum Lesebuch Diese Neuerungen veränderten auch das Die Aufklärung läutete zwischen Ende des methodische Vorgehen. Die Lehrpersonen 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts auch vermittelten nicht mehr die Buchstabenna- beim Lesenlernen eine neue Epoche ein. Das men Be und De, sondern neu die Lautwerte Wachstum der Wirtschaft erforderte ein der Buchstaben, also B und D. Mit dieser so- besser ausgebildetes Volk. Darum wurde genannten Lautiermethode sollten die Kin- die Lehrerbildung weiterentwickelt und im der die Buchstaben früh zu Lautkombinati- 19. Jahrhundert schliesslich die Schulpflicht onen verbinden (ba, be, bi). Das vereinfachte eingeführt. den Kindern den schwierigen Übergang von Ziel der Primarschule war es, die Möglich- Buchstaben zu Wörtern. Zudem führten die keiten und Stärken des Kindes zu entwi- Lehrpersonen die Buchstaben zunehmend ckeln und zu pflegen, damit es seine Pflich- nicht mehr in alphabetischer Reihenfolge, ten „als Mensch, als Christ und als Bürger“ sondern mit steigendem Schwierigkeits- 16
grad ein. Nach den Wörtern folgten Sätze die Lesebücher daher eine Kombination aus und danach Texte, und zwar welche aus der Sprach- und Sachbuch. Lebenswelt der Kinder, die für diese auch Methodisch gingen die Lehrpersonen nach verständlich waren. wie vor über das synthetische Verfahren Ein frühes Berner Beispiel für ein solches von den Einzellauten zu den Silben und den Lesebuch stammt von Johann Georg Heinz- Wörtern. Dieses Verfahren bekam erst Ende mann aus dem Jahr 1797. Es umfasst immer- des 19. Jahrhunderts Konkurrenz durch die hin 134 Seiten und enthält auch bereits di- sogenannte Normalwörtermethode, einem daktische Kommentare für die Lehrperson: analytischen Verfahren. Ein Beispiel für die- ses analytische Vorgehen der Normalwör- termethode ist die Fibel von Hans-Rudolf Rüegg, Direktor des Staatlichen Seminars Münchenbuchsee, der ein überkantonales Erstes Sprachbüchlein für Schweizerische Elementarschulen verfasste. Auf der rech- ten Seite von Abbildung 8 ist die Einführung von Ei und Seil zu sehen. Abb. 7: Auszug aus: Johann Georg Heinz- mann (1797): Neues ABC und Lesebuch für die Schweizerjugend von 5 bis 8 Jahren. Bern. [Universitätsbibliothek Basel] Der Alltag erhält Einzug in die Lesebücher Rund 50 Jahre später, also etwa Mitte des 19. Jahrhunderts, veränderte sich die Welt der Leselehrmittel wiederum beachtlich: Abb. 8: Auszug aus: Hans-Rudolf Rüegg Religion und Moral verschwanden aus den (1881): Fibel. Erstes Sprachbüchlein für Lesebüchern. Stattdessen enthielten diese schweizerische Elementarschulen [Schwei- zunehmend Texte über reale Gegenstände zerische Nationalbibliothek] aus der direkten Lebenswelt des Kindes. 17 Mitte bis Ende des 19. Jahrhunderts waren
Das «Jahrhundert des Kindes» Der Anfang des 20. Jahrhunderts war eine in- tensive Zeit der Reformpädagogik. Man rief das neue Jahrhundert als «Jahrhundert des Kindes» aus, in dem die Hinwendung zum Kind und zu seiner Lebenswelt erstmals das Ideal der Lehrpersonen und der Schule dar- stellte. Das Lehrmittel des Berner Pädago- gen und Lehrmittelautors Otto von Greyerz Abb. 9: Auszug aus: Otto von Greyerz (1907): trug den Titel Kinderbuch und verwies in Kinderbuch. Bern: A. Francke. mehrfacher Hinsicht auf diese reformpä- dagogische Strömung: Der Titel rückte das Die später folgenden Erstlese-Lehrmittel Kind ins Zentrum, die Illustrationen stamm- standen noch lange in der Tradition der Re- ten vom bekannten Berner Künstler Rudolf formpädagogen. In den lebhaften 1920er Münger und die Mundart als Alltagsspra- Jahren erschien etwa die langlebige Berner che des Kindes nahm eine wichtige Stel- Fibel O, mir hei ne schöne Ring! (erste Aufla- lung im Lehrmittel ein. Die geschriebene ge 1920, letzte Auflage 1954, illustriert von Sprache fungierte für von Greyerz lediglich Emil Cardinaux), die eng den Anregungen als Hilfsmittel, auf das die Lehrpersonen im von Otto von Greyerz folgt. ersten Unterricht noch verzichten durften. Lehrpersonen und Kinder sollten sich am Methodenstreit und -integration Anfang vielmehr rein mündlich mit dia- lektalen und standardsprachlichen Texten Neben Neuerscheinungen aus verschiede- beschäftigen. Erst wenn die Kinder mit der nen Kantonen bemühten sich der Schweize- Standardsprache vertraut waren, sollten die rische Lehrerinnenverein und der Schweize- Lehrpersonen mit dem Lese- und Schreib- rische Lehrerverein um ein überkantonales lehrgang beginnen. Sobald die Kinder lesen Lehrmittel und gaben ab den 1920er Jahren konnten, durften sie die vorher mündlich bis in die 1970er Jahre hinein die Schweizer behandelten Verse, Rätsel und Geschichten Fibel in mehreren Heften heraus. Diese Fi- selbst lesen. beln erschienen in unterschiedlichen Aus- gaben, da im Hinblick auf die Methode noch keine Einigkeit bestand: Ausgabe A (wie (wie die spätere Ausgabe C) arbeitete nach 18
der ganzheitlichen analytischen Methode Literatur zur historischen Entwicklung des (vom Wort zum Buchstaben) und Ausgabe Lesenlehrens in der Schweiz B nach der synthetischen Methode (vom Buchstaben zum Wort). In den folgenden Juska-Bacher, Britta (2019): Deutschschwei- Jahrzehnten erschienen viele weitere Erst- zer Fibeln im Spannungsfeld von sprach- lese-Lehrmittel, besonders lebhaft in den licher Regionalität und Internationalität Kantonen Aargau, Bern, Thurgau und Zürich. (1900 bis Gegenwart). Sylvia Schütze & Eva Die Frage, ob die Kinder Lesen synthe- Matthes (Hrsg.): Europa und Bildungsmedi- tisch oder analytisch lernen sollten, wurde en. Bad Heilbrunn: Klinkhardt. schliesslich mit einem Sowohl-als-auch beantwortet: Das neue analytisch-synthe- Juska-Bacher, Britta (2018): Bernese Reading tische Verfahren verband die Analyse des Primers from the 17th to the 19th century. ganzen Wortes in seine Einzellaute und die In: Reading Primers International 15. S. 8–22. Synthese der Buchstaben zu neuen Wör- Online zugänglich unter: https://www.phil- tern. so.uni-augsburg.de/de/lehrstuehle/paeda- In den 1980er Jahren forderten Didaktiker/ gogik/igschub/downloads/RPI_15.pdf innen offenere Zugänge, die den Kindern einen individuellen Weg in die Schrift er- Messerli, Alfred (2000): Lesen und Schreiben möglichten. Diese Ansätze wie Lesen durch 1700 und 1900. Tübingen: Niemeyer. Schreiben von Jürgen Reichen und der Spracherfahrungsansatz liegen in ihren Grundzügen bis heute verschiedenen Lehr- mitteln zugrunde (vgl. Anton & Zora bzw. ABC-Lernlandschaft, S. 20 bzw. 26 in diesem Heft). Nochmals andere Wege haben das Lehrmittel Leseschlau (S. 32) und das gerade entstehende Lehrmittel Sprachwelt (S. 37) eingeschlagen. 19
ANTON UND ZORA – EIN LEHRMITTEL IN WEITERENTWICKLUNG DER METHODE LESEN DURCH SCHREIBEN Simone Preisler (BA-Studentin PHBern) Hintergrund Anton & Zora ist ein Lehrmittel für den Schriftspracherwerb (1./2. Schuljahr), wel- ches 2008 erstmals erschienen ist und durch die Schubi Lernmedien und die Wes- Abb. 10: Anton und Zora termann Verlagsgruppe vertrieben wird. Die verschiedenen Lehrmittelteile wurden Beim Konzept Lesen durch Schreiben kön- vom Primarschullehrer Bernd Jockweg als nen die Kinder über ein offenes Lernkonzept Hauptautor in Zusammenarbeit mit elf ihren individuellen Interessen nachgehen weiteren Lehrpersonen verfasst und von und in ihrem individuellen Lerntempo zu- der Grafikerin und Kunsttherapeutin Anne nächst das Schreiben und über dieses das Wöstheinrich illustriert. Lesen »automatisch» erwerben. Das Lehrmittel basiert auf dem Konzept Auch das aktuelle Lehrmittel Anton und Lesen durch Schreiben des Schweizer Re- Zora baut auf diesem offenen Lernkonzept formpädagogen Jürgen Reichen, welches auf, welches die Kinder in ihren basalen 1981 zum ersten Mal erschien. Ein weiteres Sprach- und Lesekompetenzen fördert. Es Lehrmittel, welches auf diesem Konzept ba- ist durch eine grosse Anzahl an Werkstät- siert ist Lara und ihre Freunde. ten, Lesestoff über die Kleine Sachbiblio- Die ursprüngliche Version von Lesen durch thek, Fördermaterialien für das Schreiben Schreiben (1982) versteht sich als didakti- etc. sowie das Vorläuferwerk Kasimir und scher Neuanfang für die Schule und ent- Flora (für das Vorschulalter) wesentlich er- stand als Alternative zu dem bis zu diesem weitert worden. Zeitpunkt vorherrschenden Fibel-Unter- richt. 20
Didaktische Grundlagen Dem Konzept Lesen durch Schreiben fol- gend geht das Lehrmittel Anton und Zora Das Lehrmittel Anton und Zora basiert auf davon aus, dass es einfacher und sinnvol- der Erfahrung, dass Kinder bei Schuleintritt ler ist, zuerst das Schreiben und erst dann bereits über viele sprachliche Fähigkeiten das Lesen zu lernen. Erstens müssen die verfügen, welche sie sich – meist selbst Kinder weniger kognitive Hürden überwin- durch Versuch und Irrtum und ohne didak- den: Beim Schreiben benötigen die Kinder tische Unterstützung – angeeignet haben. nur eine «Übersetzungshilfe» von Lauten Die Entwickler des Lehrmittels verstehen in Buchstaben, die sie in Form der Buchsta- den Unterricht als Massnahme, über wel- bentabelle erhalten. Beim Lesen müssen che diese Selbstständigkeit weiter geför- sie über die Übersetzung der Buchstaben dert werden soll und die die Kinder in ihrem in Laute hinausgehend die einzelnen Lau- Lernprozess nicht einengt. te zusammenziehen und diesen (manch- Der Fokus auf die Selbstständigkeit der mal fremd klingenden) Kombinationen Kinder zeigt sich u.a. in der Art und Weise, eine Bedeutung zuweisen. Zum Lesen von wie die Schreib- und Lesekompetenz erwor- Texten müssen die Kinder schliesslich die ben werden soll. Zentral für den Erwerb der Bedeutung mehrerer Wörter verknüpfen. Kompetenzen ist, dass jedes Kind von An- Zweitens können Kinder Schriftsprache von fang an Erfolge erleben kann. Anfang an produktiv gebrauchen und ihre Hierbei stehen drei Prinzipien im Vorder- eigenen Gedanken verschriften. grund: Bereits am zweiten Schultag erhalten die Kinder das zentrale Element der Konzep- • das Prinzip des individualisierten Ler- tion der Lehrmittelreihe, das auf Reichens nens: Kinder lernen am besten, wenn Methode Lesen durch Schreiben aufbaut, ihnen möglichst viel Entfaltungsspiel- nämlich die Buchstabentabelle (Abbildung raum gegeben wird 12). Nach einer kurzen Einführung lernen die • das Prinzip des Stärkens der Gemein- Kinder selbstständig und ihrem Niveau ent- schaft: Kinder lernen am besten von sprechend einzelne Wörter, Sätze oder kurze und mit anderen Kindern Texte lautgetreu zu schreiben. Dies gelingt • das Prinzip des Verbindens von Inhal- über den verinnerlichten Klang der Sprache ten: das Lernen ist nachhaltiger, wenn im Abgleich mit den Bildern der Buchsta- in einem Wissensnetz verknüpft wer- bentabelle. Als Schreibanlässe dienen zum den kann einen die Vorlesegeschichten von „Anton 21
und Zora“ mit den jeweiligen Schreibbilder- genen Lesen. Da die Kinder bei Schuleintritt büchern als Medium der Dokumentation. beim Lesen und Schreiben unterschied- Zum anderen entwickeln die Kinder auch in lich weit entwickelt sind, stellen ihnen die der Bearbeitung der Werkstätten sowie im Lehrpersonen von Beginn an differenziertes täglichen Unterricht ihre Schreibkompeten- Lesematerial zur Verfügung (z.B. vier Sach- zen. bibliotheken, die mit den jeweiligen Werk- Den Kindern stehen – im Gegensatz zu stätten verbunden sind). anderen Lehrmitteln – von Anfang an alle Buchstaben zur Verfügung. Die lautgetreu- Strukturierung und Gestaltung en Buchstaben (in der Buchstabentabelle Das Lehrmittel Anton und Zora basiert auf farbig dargestellt) nehmen jedoch eine zen- dem Konzept Lesen durch Schreiben, geht trale Rolle ein. jedoch weit darüber hinaus. Es ist in zwei miteinander verbundene Pfeiler unterteilt, welche kombiniert oder auch separat ver- wendet werden können. Einen Pfeiler bilden die Geschichten der beiden Protagonisten, den anderen Pfeiler diverse sachunterrichtliche Werkstätten. Zudem sind weitere Materialien (z.B. Sach- bibliothek, Graphomotorisches Förderheft) Abb. 11: Verständnis der Entwicklung von Lese- vorhanden, welche die Lernenden beim kompetenz durch das Schreiben (Darstellung S. Schreib- und Leseerwerb in den ersten bei- Preisler) den Schuljahren unterstützen. Ein Begleitbuch gibt einen Gesamtüberblick Über die vertiefte Auseinandersetzung mit über Theorie und Praxis sowie die Geschich- dem Lautieren und Schreiben lernen die ten. Jede Werkstatt beinhaltet einen separa- Kinder, sobald sie einen gewissen Entwick- ten Lehrerkommentar. Zum Schuljahr 2020 lungsstand erreicht haben, das Lesen auto- wird Anton und Zora um ein Rechtschreib- matisch. Die Lehrpersonen fordern es nicht und Grammatik-Hefteprogramm ergänzt. ein und verzichten auch auf Übungen zur Das Lehrmittel ist modular aufgebaut: Es Lesetechnik. Jedoch animieren sie die Kinder spielt keine Rolle, welches Buch in der 1. bzw. durch regelmässiges, ritualisiertes Vorlesen 2. Klasse behandelt wird, da die Aufträge und das Bereitstellen von Lesestoff zum ei- meist so formuliert sind, dass sie auf un- 22
terschiedlichen Niveaus bearbeitet werden Stattdessen setzt das Lehrmittel das sinn- können. Die Lehrperson kann ausserdem entnehmende Lesen ins Zentrum. Wenn die frei entscheiden, welche Werkstatt sie the- Kinder von der Entwicklung her bereit sind, matisieren möchte und auch die Kinder ha- sollen sie das Lesen von kindgerechten Tex- ben innerhalb der Werkstätten viele Wahl- ten mit für sie relevanten Inhalten über eine freiheiten. So können die Lehrpersonen ak- enge Verzahnung mit anderen Lernberei- tuelle Themen und Interessen der Kinder chen als eine Tätigkeit empfinden, die Spass berücksichtigen. macht und bereichernd ist. Wo setzt das Lehrmittel an? Entsprechend der Frage «Was war zuerst da: Ei oder Huhn?» stellt sich das Lehrmittel die Frage «Was ist zuerst entstanden? Und was müssen Kinder zuerst lernen? Das Lesen oder das Schreiben?» Oben wurde bereits angesprochen, dass die Kinder mit dem Lehrmittel Anton und Zora zunächst das lautgetreue Schreiben lernen. Abb.12: Buchstabentabelle nach Bernd Jockweg Hierfür müssen sie vorübergehend die Form (Georg Westermann Verlag) des Wortes fokussieren. Diese Kompetenz wird als phonologische Bewusstheit be- zeichnet. Sie zerlegen das Wort in die einzel- Sprachlernbereiche und übergreifende As- pekte nen Laute und suchen in der Buchstabenta- belle das Bild, das mit diesem Laut beginnt. Die sechs Sprachlernbereiche des Lehrplans 21 für das Fach Deutsch (Hören, Lesen, Spre- Beim Lesen lassen sich zwei grundlegende chen, Schreiben, Sprache(n) im Fokus, Litera- Techniken unterschieden: das Lesen und das tur im Fokus) sind im Lehrmittel abgedeckt. Vorlesen. Das Lehrmittel legt Wert darauf, Während sich die einzelnen Lehrmittelteile, dass die Kinder nicht zu früh laut vorlesen, wie z.B. der Schreiblehrgang in der Deutsch- da dies auch möglich ist, ohne das Gelesene schweizer Basisschrift, hauptsächlich auf zu verstehen. Das Lesen würde als anstren- einen spezifischen Sprachlernbereich fo- gend und gegebenenfalls sinnlos und somit kussieren, bieten die Werkstätten jeweils 23 nicht als lustvolle Betätigung empfunden. eine nahezu vollständige Abdeckung aller
Kompetenzen. Lediglich die Reflexionen ständigen Arbeiten weiterhin unterstützt. werden selten explizit durch das Lehrmittel eingefordert. Individualisierung und Differenzierung Über das Prinzip des individualisierten Ler- Jedes Kind erwirbt über das Konzept Lesen nens sowie des Lernens von- und miteinan- durch Schreiben zunächst das Schreiben, der werden personale und soziale Kompe- dann aber auch das Lesen eigenverantwort- tenzen gefördert. So liegt ein starker Fokus lich. Dadurch ermöglicht das Lehrmittel je- auf der Selbstständigkeit der Kinder, aber dem Kind, ausgehend von seinem individu- auch die Kooperationsfähigkeit nimmt eine ellen Lernstand zu arbeiten. wichtige Rolle ein. Bei den Werkstätten können die Lehrper- sonen über den Einsatz von Helferkindern Lernphasen zum einen das Lernen von und mit anderen Bereits vor der Schule können die Kinder Kindern, zum anderen aber auch das indi- über Vorlesegeschichten von Kasimir und viduelle Lernen fördern, da die Kinder über Flora auf die Arbeit mit Anton und Zora vor- das Erklären auch für sich selbst den Sach- bereitet werden. Die dazugehörigen Mate- verhalt nochmals vertieft erarbeiten. Jedes rialien umfassen Übungen zur Sprachförde- Kind darf, wenn es möchte, die Verantwor- rung (auditive und visuelle Wahrnehmung tung für eine Werkstattaufgabe überneh- wie auch Graphomotorik), welche ebenfalls men und dort andere Kinder unterstützen, als Differenzierung für lernschwächere Kin- welche Hilfe benötigen. der in der 1./2. Klasse verwendet werden Bei den Werkstätten behandeln die Kinder können. ein gemeinsames Thema. Die verschie- Anton und Zora wurde ursprünglich für das denen Schwierigkeitsgrade der Aufgaben altersdurchmischte Lernen entwickelt, kann ermöglichen es ihnen, jeweils an Aufga- aber auch in Jahrgangsklassen eingesetzt ben zu arbeiten, welche sie herausfordern. werden. In beiden Fällen steht eine der bei- Durch die Einteilung in Wahl- und Pflicht- den Hauptfiguren im Zentrum und beglei- aufgaben können die Kinder einen Teil der tet die Klasse über das ganze Schuljahr hin- Aufgaben nach ihren jeweiligen Interessen weg. Im zweiten Jahr wird mit der anderen auswählen. Hauptfigur gearbeitet. Fortführend sind für die 3./4. Klasse eben- Literatur falls Werkstätten vorhanden. Über ein Me- Jockweg, Bernd, Wöstheinrich, Anne (2019). thodenheft werden die Kinder im selbst- Anton und Zora. Schaffhausen: Wester- 24
mann Schulverlag Schweiz AG. Verwendet: Begleitband Jockweg, Bernd (o.J). Anton und Zora. Abge- rufen von http://www.anton-und-zora.de/ index.html [01. Juni 2019] 25
ABC-LERNLANDSCHAFT – EIN LEHRMITTEL NACH DEM SPRACHERFAHRUNGSANSATZ Laura Stoller (BA-Studentin PHBern) Hintergrund te lesen und etwas schreiben, andere haben noch mit ihrem Namen Mühe und bisher Die ABC-Lernlandschaft für das erste Schul- kaum Erfahrungen mit Schrift gesammelt. jahr erschien erstmals 2008 beim Klett Dieser Heterogenität möchte das Lehrmit- Verlag (Neuauflage Sommer 2019). Die tel gerecht werden und jedes Kind dort Herausgeberin, Erika Brinkmann, hat sich abholen und fördern, wo es gerade steht. als ausgebildete Primarschullehrerin und Die ABC-Lernlandschaft ist kein Lehrgang langjährige Professorin für die Didaktik für den Schriftspracherwerb, sondern eine der deutschen Sprache intensiv mit dem Sammlung von Material, die es den Kindern Schriftspracherwerb auseinandergesetzt. ermöglicht, selbstständig und in eigenem Gemeinsam mit dem Erziehungswissen- Tempo an weiteren Kompetenzen wie der schaftler Hans Brügelmann machte Erika gesprochenen Sprache zu arbeiten. Ziel ist Brinkmann den Spracherfahrungsansatz im es somit nicht, dass die Kinder wie mit ei- deutschsprachigen Raum salonfähig. Der ner Fibel (z.B. O, mir hei ne schöne Ring!) zur Ansatz entstand aus der Fibelkritik heraus, gleichen Zeit an den gleichen Aufgaben ar- die bemängelte, dass die herkömmlichen Fi- beiten, sondern jedes für sich an seinen/ih- beln die Kinder unabhängig vom Lernstand ren jeweiligen Aufgaben. Es geht auch nicht im selben Tempo an denselben Inhalten darum, sofort alles zu können, sondern um arbeiten liessen. Grundlage des Spracher- das sich schrittweise Annähern an die Kon- fahrungsansatzes hingegen ist es, dass das ventionen von Lesen und Schreiben. Somit Lehrmittel an den individuellen Entwick- steht hinter diesem Lehrmittel die päda- lungsstand des Kindes anknüpfen sollte. gogische Haltung, dass jedes Kind seinen Didaktische Grundlagen Fähigkeiten und Fertigkeiten entsprechend Wenn Kinder in die Schule kommen, brin- arbeiten soll. gen sie in den Bereichen Lesen und Schrei- ben sehr unterschiedliche Erfahrungen mit. Einige können schon Wörter oder kurze Tex- 26
Erzählen, Schreiben Recht- Lesen Handschrift Sprechen schreiben entwickeln und Zuhören Kompetenzbereiche Sprechen und Zuhören Schreiben Richtig schreiben Lesen – mit Texten und Medien Über Schreibfertigkeiten verfügen • zu anderen sprechen • Texte planen • Wörter üben umgehen • formklare Buchstaben schreiben nach den Standards der • verstehend zuhören • Texte schreiben • über Lesefähigkeiten verfügen • Rechtschreibstrategien und • flüssig schreiben Kultusministerkonferenz • Gespräche führen • Texte überarbeiten -regeln verwenden • über Leseerfahrungen verfügen • eine gut lesbare Handschrift • erzählen • auch: Sprache und Sprach- • Zeichensetzung beachten • Texte erschließen entwickeln zur Arbeit in der Grundschule • szenisch spielen • Texte präsentieren gebrauch untersuchen • auch: Sprache und Sprach- gebrauch untersuchen Abb. 13: ABC-Lernlandschaft. © Ernst Klett Verlag GmbH, Stuttgart 2019. Die ABC-Lernlandschaft basiert auf dem Lautvarianten durch ein und denselben Spracherfahrungsansatz. Das heisst, es ist Buchstaben darstellt (z.B. bei Igel und eine Unterrichtskonzeption, welche an die Insel wird das I einmal lang und einmal oben beschriebenen unterschiedlichen Er- kurz ausgesprochen). fahrungen der Kinder anknüpft und sich an 2. Lesen und Schreiben sind für Kinder folgenden vier Grundsätzen orientiert: mit hohen kognitiven und motori- schen Anstrengungen verbunden. Da- 1. Schrift ist ein Medium mit eigener Lo- mit sie motivierter sind, diese Anstren- gik, hat jedoch im Deutschen einen gungen auf sich zu nehmen, sollten sie engen Bezug zur Lautsprache. Deswe- die Funktion von Lesen und Schreiben gen knüpft man bei der Förderung des verstehen. Deswegen ist es wichtig, Lesens und Schreibens zunächst an dass Lesen und Schreiben in soziale die den Kindern vertraute gesproche- Handlungen eingebunden werden, ne Sprache an. Der Zusammenhang damit jedes Kind eigene bedeutsame zwischen gesprochener und geschrie- Erfahrungen sammeln kann (z.B. Vorle- bener Sprache und deren jeweiligen serunden oder eine Bücherecke). Besonderheiten sollten aber immer 3. Der Schriftspracherwerb ist ein eigen- wieder aufgezeigt werden. Beispiels- ständiger Prozess, bei welchem im- weise, dass die Schrift verschiedene mer wieder über Besonderheiten des 27
Schriftsystems nachgedacht wird und Vier-Säulen-Modell diese Schritt für Schritt besser verstan- Diese Ideen werden in der ABC-Lernland- den werden. Deswegen brauchen die schaft im Rahmen des Vier-Säulen-Modells Kinder Zeit und Raum für individuelle im Unterricht umgesetzt. Es setzt sich aus Zugänge und Zwischenformen bis zur den vier Schwerpunkten: 1) freies Schreiben, Rechtschreibung. 2) Vorlesen und individuelles Lesen, 3) Um- 4. Fortschritte in der Entwicklung zur gangsweisen mit Schrift sowie 4) der Arbeit richtigen Schrift bzw. Rechtschreibung am Wortschatz zusammen. sind aber nur möglich, wenn die Kinder ihre eigenen Produkte immer wieder Lesen durch Lesen mit denen von schriftgewandten Er- wachsenen vergleichen können. Des- Die ABC-Lernlandschaft geht davon aus, wegen sind Erwachsene wichtige Mo- dass man Lesen nur durch Lesen lernt. Es ist delle und sollen auch Rückmeldungen also wichtig, dass den Kindern von Anfang geben. Ebenso wichtig sind das Ver- an ein vielfältiges Angebot an Bilder- und gleichen und der Austausch unter den Kinderbüchern frei zur Verfügung steht. Kindern selbst, da sie unterschiedliche Diese sollten den unterschiedlichen Fähig- Lese- und Schreibaktivitäten anregen keiten und Interessen der Kinder entgegen- und herausfordern können. kommen. Auch sollten die Lehrpersonen re- gelmässig freie Zeit fürs individuelle Lesen 28 Abb. 14: Vier-Säulen-Modell (2019: Darstellung L. Stoller in Anlehnung an Lehrerkommentar)
mit selbstgewählter Lektüre in den Unter- ben können. richt integrieren und so einen selbstver- Strukturierung und Gestaltung ständlichen Umgang mit Büchern fördern. Kinder arbeiten individuell mit der Dafür eignet sich beispielsweise das zum ABC-Lernlandschaft. Dazu stehen ihnen Lehrmittel gehörige Regenbogen-Pro- verschiedene Hefte und ergänzende, auch gramm, eine Sammlung von einfachen digitale Materialien zur Verfügung. Auf der Erstlesebüchern. Dialogisches Vorlesen vorderen Innenseite der Hefte werden die anspruchsvoller Kinderliteratur verschafft jeweils verwendeten Symbole kurz erklärt. gemeinsame Leseerlebnisse und fördert Durch die allgemeine Verwendung von Bil- reiche Gesprächs- und Schreibanlässe. Das dern oder Piktogrammen und Beispielen Vorstellen eigener Lektüre in der Klasse mit sind die jeweiligen Aufgaben selbsterklä- anschliessender Bewertung, welche mit rend, so dass die Kinder selbstständig mit der Zeit immer umfassender wird, dient als den Heften arbeiten können. Sollten die Reflexion und weckt das Interesse anderer Lehrperson und die Kinder etwas gemein- Kinder. Lesepässe oder später auch Lese- sam im Voraus besprechen, wird die Lehr- tagebücher können die eigene Entwicklung person im Kommentarband für Lehrperso- für sich selbst, aber auch für andere sicht- nen darauf hingewiesen. Die meisten Hefte bar machen. Die Lehrpersonen können das enthalten sogenannte „Fuchs-Seiten“. Diese Lesen mit digitalen Medien, v.a. audiovisu- sind wie eine Art Test, welche dokumentie- ellen, sinnvoll unterstützen und ergänzen. ren, ob das Kind über die Zielkompetenzen Parallel zu dieser Lesekultur im Klassen- verfügt. Nach dem Lösen von Fuchsseiten zimmer thematisieren die Lehrpersonen zeigen die Kinder diese der Lehrperson, den Aufbau der Schriftsprache sowie die welche dann entscheidet, ob das Kind im Lesestrategien immer wieder im Unterricht Heft weiterarbeiten kann. Alternativ trifft gemeinsam mit den Kindern. An dieser Stel- die Lehrperson mit dem Kind Vereinbarun- le muss jedoch gesagt werden, dass Kinder gen (z.B. weitere Übungen mit ergänzen- das Gelesene erst verstehen, wenn sie Wör- dem Material), bevor dieses weiterarbeitet. ter lautgetreu aufschreiben können, da sie Als ergänzendes Material empfiehlt die erst dann den Zusammenhang von Buch- ABC-Lernlandschaft: stabe und Laut verstanden haben. Deswe- gen sollten Kinder mit dem selbstständigen • die Regenbogen-Lesekiste, eine Samm- Erlesen unbekannter Texte beginnen, wenn lung von Erstlesebüchern in verschie- sie so weit sind – sie also lautgetreu schrei- denen Schwierigkeitsgraden und zu 29
unterschiedlichen Themen, • die Ideenkiste für die Lehrperson, wel- Es berücksichtigt somit alle Bereiche, wel- che Material und Ideen zu unterschied- che für ein erfolgreiches Lesen- und Schrei- lichen Lernfeldern enthält, benlernen wichtig sind. Für das Lesen- und • die Tiger-Box, welche Übungsmaterial Schreibenlernen ist es zentral, dass die für Kinder anbietet, welche noch nicht Kinder die einzelnen Laute eines Wortes viele Vorerfahrungen sammeln konn- heraushören können. Deswegen gibt es ten, sowie eigens für das Trainieren dieser phonologi- • die fünf Buchstabenelemente (Stem- schen Bewusstheit ein Lauschheft, in dem pel), mit welchen die Kinder Buchsta- die Kinder auf den Klang von Wörtern statt ben herstellen können. auf ihre Bedeutung fokussieren und Silben und Laute heraushören sollen – unterstützt Die ABC-Lernlandschaft konzentriert sich von der Lausch-Werkstatt als Software für auf folgende fünf Kompetenzbereiche: selbstständiges Arbeiten am Computer. Sprechen und Zuhören, Schreiben (inkl. der Beim Schreiben erhalten die Kinder Unter- phonologischen Bewusstheit zu Beginn mit stützung durch eine Anlauttabelle für das dem Lauschheft), Rechtschreiben, Lesen so- lautgetreue Schreiben und die Buchsta- wie Handschrift entwickeln. Diese finden ben-Werkstatt als ergänzendes Computer- sich in ähnlicher Weise auch im Lehrplan 21 programm. Die ABC-Lernlandschaft (inkl. wieder. den ergänzenden Materialien und Vorschlä- gen für die Lehrpersonen) deckt damit die Bereiche des Lehrplans 21 ab. Das Lehrmittel fördert nicht nur den Schriftspracherwerb, sondern auch beispielsweise das Reflektie- ren, das selbstständige Arbeiten und das Anwenden von Lernstrategien, welche in den überfachlichen Kompetenzen im Lehr- plan 21 zu finden sind. Lernphasen Im ersten Schuljahr wird vor allem die pho- nologische Bewusstheit trainiert, also das Abb. 15: 5 Kompetenzbereiche (2019: Darstellung Heraushören und Unterscheiden der ver- 30 L. Stoller in Anlehnung an Lehrerkommentar)
schiedenen Laute in einem Wort. Danach Klett Verlag, vpm. können Kinder mit Hilfe der Anlauttabelle lautgetreu schreiben. Erst dann beginnen Homepage Erika Brinkmann unter: http:// sie mit dem Lesen: einzelne Wörter, dann www.erika-brinkmann.de/index.html kurze Sätze und schliesslich kurze Texte. [Stand. 30.05.2019]. Auch Rechtschreibung wird mithilfe des Hefts Rechtschreiben 1/2 von Anfang an thematisiert, indem zu Beginn beispiels- weise darauf aufmerksam gemacht wird, dass Lücken zwischen einzelnen Wörtern das Lesen vereinfachen. Die ABC-Lernland- schaft besteht aus einem Basisteil für das 1./2. Schuljahr und einem zweiten Teil für die Schuljahre 3 und 4. Individualisierung und Differenzierung Ausgangspunkt des Lehrmittels ist der indi- viduelle Stand des Kindes. Entsprechend ist das Lehrmittel so angelegt, dass die Kinder selbständig und entsprechend ihrem Kön- nen an weiteren Kompetenzen arbeiten können. Dafür stehen den Kindern neben den genannten Heften weitere Materialien zur Vertiefung oder Übung verschiedener Kompetenzen zur Verfügung. Da die Kinder selbstständig arbeiten können, hat die Lehr- person Zeit, einzelne Kinder zu unterstüt- zen, wenn diese ihre Hilfe benötigen. Literatur Brinkmann, Erika, Bode-Kirchhoff, Nina & Reiske, Jennifer (2019): ABC-Lernlandschaft. 31 Didaktischer Kommentar 1/2 . Stuttgart:
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