Ludwig Ross und Rhodos - Kodeks

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Ludwig Ross und Rhodos - Kodeks
Ludwig Ross und Rhodos

                                Sebastian Kempgen

Ludwig Ross
Der bedeutende, aber nur in Fachkreisen bekannte Archäologe Ludwig
Ross (1806–1859) besuchte auf seinen „Inselreisen“ auch Rhodos, be-
reiste (konkret: beritt) die Insel mehrfach, führte Ausgrabungen durch,
sammelte und edierte alle ihm erreichbaren Inschriften, und durfte z.B.
– nach eigener Überzeugung – als erster europäischer Forschungsrei-
sender die Akropolis von Lindos besteigen, die damals noch unter türki-
scher Herrschaft stand, lokalisierte dort als erster Tempel, die er ver-
messen ließ etc. Seinem Leben und Wirken wurde vor einigen Jahren
ein gewichtiger Sammelband (Goette & Palagia 2005) gewidmet, und
seine zahlreichen Reiseberichte sind gut digitalisiert im Internet auf ver-
schiedenen Repositorien zu finden.1 Er war einer der letzten “Early
Explorers” der griechischen Antike (vgl. Badoud 2019) – aber man sollte
ihn im Hinblick auf seine Leistungen, darauf, was er jeweils „als erster“
durchführen konnte, vielleicht besser einen der wichtigen Vorläufer und
Wegbereiter der modernen Archäologie nennen.
   “It is difficult to underestimate Ludwig Ross’s contribution to the field
of Greek archaeology, epigraphy and the study of the classical past” – so
leitet Chr. Constantakopoulou (2008) ihre kurze Rezension des ge-
nannten Sammelbandes ein, der eine ganze Reihe von Teilaspekten von
Ross’ Tätigkeit thematisiert.
   Mit dieser Bedeutung von Ross, dessen Berichte sich im übrigen auch
heute noch gut lesen lassen, korrespondiert aber z.B. seine Berücksichti-
gung in einschlägigen Wikipedia-Artikeln nicht ganz. An dieser Stelle
wollen wir einige kleinere Facetten von Ludwig Ross Erforschung spezi-
ell von Rhodos aufgreifen, die die bisherige Literatur ergänzen können.
Unsere kleine Studie richtet sich dabei nicht so sehr an ein archäologi-

1
  Die besten Digitalisate stellt die Universität Heidelberg zur Verfügung. Ross „Inselrei-
sen“ finden sich unter diesem Link: https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/ross1840ga. –
Zu einer Einordnung der Person und seines Wirkens vgl. auch Ludwig Ross, Inselreisender
(https://theo48.wordpress.com/4-hellas-reisen-1800-1965/ludwig-ross-inselreisender/).
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sches Fachpublikum, sondern an eine breitere, aber interessierte Leser-
schaft im Bereich der Kulturgeschichte Griechenlands, seiner Geo-
graphie und der einschlägigen Reiseliteratur, verbunden mit Aspekten
des modernen Tourismus und natürlich der Archäologie. Alle Fotos,
soweit nicht anders angegeben, stammen vom Verfasser 2021.

   Ludwig Ross: Reisen auf den griechischen Inseln des ägäischen Meeres. Dritter Band.
   Enthaltend Melos, Kimolos, Thera, Kasos, Karpathos, Rhodos, Chalke, Syme, Kos,
   Kalymnos, Ios. Mit Lithographien, zwei Karten und mehreren Holzschnitten. Stuttgart
   und Tübingen 1845.
   Ludwig Ross: Reisen nach Kos, Halikarnassos, Rhodos und der Insel Cypern. Auch als
   vierter Band der Reisen auf den griechischen Inseln. Halle 1852.

1. Ludwig Ross und Kameiros
Zu den Örtlichkeiten, die Ross gerne gefunden bzw. aufgesucht hätte,
gehörte auch die antike Stadt Kameiros (Κάµειρος) (heute auch Κάµιρος
Kamiros geschrieben, s. Schild auf Abb. 1), die neben Ialyssos (Vorläufer
der heutigen Stadt Rhodos, aber nicht an der gleichen Stelle gelegen),
und dem berühmten Lindos zu den drei rhodischen Städten der Antike
gehörte.

             Abb. 1: Hinweisschild auf die Ausgrabungsstätte Kámeiros
                           (in neugriech. Schreibung)

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Ludwig Ross und Rhodos

Zweimal, 1843 und 1844, bereiste Ross Rhodos und dabei u.a. auch
seine Westküste, um sich auf Rhodos zu orientieren und Forschungen
zu betreiben. Kameiros fand er jedoch nicht.

In der Tat kann der Ortsname Kameiros verwirren: wer heute Rhodos
besucht, der findet neben der gut ausgeschilderten antiken Ausgra-
bungsstätte Kameiros (bei Kalavarda) ca. 11 km südlich an der Küste
noch ein Kameiros Skala, das keinen echten historischen Bezug zu der
antiken Stadt hat (s.u.); es ist heute eine Häusergruppe um eine mo-
derne Hafenmole und Tavernen. Von Kameiros Skala fahren traditionell
die Boote zur Insel Chalki ab. Historisch wie modern ist die Bezeich-
nung (Kap) Kopriá.
   Der antike Ortsname Kameiros hat hingegen keine moderne Fortset-
zung im Namen eines Ortes, nur für die Strandtavernen gibt es die
Lagebezeichnung Kameiros Beach.
   Tatsächlich gibt es noch einen vierten Ort, dessen Name als Camiro(s)
überliefert ist. Ihn erwähnt der Forschungsreisende William Hamilton
(1842, 57f.) im Bericht über seine Reise von 1837 und positioniert ihn an
der Ostküste, beim heutigen Charaki am Fuß der Ritterburg von Fera-
klos. Dazu genauer vgl. auch Appendix 2. Allerdings kritisiert in diesem
Falle schon Ross selbst die Notiz von Hamilton und attestiert ihm
unzureichende Sprachkenntnisse, obwohl dessen Mitteilung durchaus
eine gewisse Basis hat, wie wir unten zeigen werden. Wir brauchen aber
im Zusammenhang mit Ross’ eigenen Erkundungen im Folgenden
tatsächlich nur drei Lokalisierungen, und zwar sämtlich an der
Westküste, zu berücksichtigen.

   William J. Hamilton: Researches in Asia Minor, Pontus, and Armenia; with some
   Account of their Antiquities and Geology. In Two Volumes. Vol. II. London: John
   Murray 1842.

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      Abb. 2: Der untere Rand von Kameiros. Am Ufer ein Auto auf der Straße:
                  dort ist Ross auf seiner ersten Reise vorbeigeritten

Das antike Kameiros wurde um 1.000 v. Chr. im Zuge der dorischen
Einwanderung gegründet; besiedelt war die Gegend (und nicht nur
diese) aber schon in minoischer Zeit, wie Funde, vor allem zahlreiche
Gräber an mehreren Stellen der Insel, auch beim Nachbarort Kalavarda,
der praktisch die moderne Siedlungsfortsetzung von Kameiros ist, be-
weisen. Die antike Stadt liegt in einer Mulde zwischen zwei Ausläufern
eines Hügels und erstreckt sich deren langen Hang hinauf bis zur Akro-
polis auf dem Gipfel. Vom unteren Rand der Stadt hat man an einer
Stelle durch eine flache Mulde direkte Sicht auf das Ufer (s. Foto)2, und
eine Aussichtsfläche rechterhand der Akropolis bietet durch das süd-
liche Nachbartal einen weiteren Blick auf das Ufer. Hier sind die Abhän-
ge jedoch deutlich steiler. Diverse Nekropolen der Stadt und umgeben-
der Gehöfte und Siedlungen lagen auf den Abhängen der benachbarten

2
 Durch diese Mulde fließt, wie man auf Google Earth erkennen kann, ein kleines Bächlein
von der Stadt hinunter zur Küste. Das Bächlein, im Sommer trocken, scheint seinen
Anfang bei den Bädern der antiken Stadt zu nehmen bzw. die Fortsetzung des Wasserka-
nals der Stadt zu sein. Der Antike Hafen von Kameiros war offenbar bei dem kleinen Kap.
Wo der antike Weg von der Küste zur Stadt verlaufen ist, dazu ist in der hier rezipierten
Literatur kein Hinweis gegeben. – Gleich unterhalb des Ausgrabungsareals übrigens ein
deutscher Soldatenfriedhof, auf Satellitenbildern an seiner Umfassungsmauer erkennbar.
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Hügel.3 Im Jahre 227/6 v. Chr. sowie nochmals 142 n. Chr. (oder, nach
anderen Angaben, 139 n. Chr.) wurde die Stadt durch ein Erdbeben
zerstört. Kameiros war im Gegensatz zu den anderen antiken Städten
der Insel ein Zentrum landwirtschaftlicher Produktion, vor allem von
Feigen, Öl und Wein, aber auch seine Töpfer waren wohl berühmt. Es
war nicht befestigt.
   Kameiros wird bei Homer – für Ross ein unverrückbarer Gewährs-
mann, wie wir unten sehen werden – und in der geographischen Be-
schreibung Strabos erwähnt, und die angebliche Lage der Stadt hatte
Ross auf einer Karte von Thomas Spratt von 1856 gefunden, die er auch
selbst einem seiner Werke beifügt (siehe Ross 1845, nach S. 192).4 Ross
suchte auf seinen beiden Rhodos-Reisen 1843 und 1844 am angegebe-
nen Ort jedoch vergeblich – dazu genauer s. unten. Ironischerweise wur-
de Kameiros schon wenige Jahre nach Ross tatsächlich erstmals iden-
tifiziert und (teilweise) ausgegraben – nämlich ab 1859 bis 1868 durch
Alfred Biliotti und Auguste Salzmann.5 Allerdings wurden zunächst im
wesentlichen die Akropolis und Nekropolen, die eine ungeheure Viel-
zahl an Funden ergaben, ausgegraben, so daß Zweifel an der Richtigkeit
der Lokalisierung der Stadt Kameiros noch 1913 geäußert wurden (so
Patsiada 2019, 160).
   Kurze Ausgrabungsberichte wurden von Salzmann ab 1861 publiziert6
– zu diesem Zeitpunkt lebte Ross bereits nicht mehr. 1928 wurden die

3
  Vgl. dazu insbesondere Salmon (2019b, Figs. 21–30 im Anhang seiner Arbeit, Seiten
ungezählt).
4
  Die Karte ist nicht in allen Digitalisaten vorhanden oder wurde beim Einscannen nicht
ausgeklappt – ein typischer Mangel der Google-Books-Digitalisate. In dem Digitalisat der
Univ. Heidelberg ist sie enthalten; ihm wurde sie auch für unsere Zwecke entnommen.
5
  Die genauen Jahreszahlen variieren in verschiedenen Quellen. Wir haben unsere Daten
der Webseite https://wsimag.com/art/12323-rhodes (geschrieben anläßlich einer Rhodos-
Ausstellung 2014–2015 im Louvre) entnommen. Danach wurde die Lage 1859 durch
Salzmann und Biliotti identifiziert, die zunächst auf eigene Rechnung ausgruben, vor
allem die Nekropolen, dann im Auftrage des Britischen Museum 1863–64 sowie für einen
Sponsor namens Auguste Parent in den Jahren 1867–68. Salmon (2019c) beschäftigt sich
ausführlich mit der Phase der britischen Ausgrabungen, ihrem Zustandekommen und
Resultaten, inkl. sehr ausführlicher Bibliographie.
6
  Vgl. Salmon (2019a; 2019c, 321). Die Aufzeichnungen der beiden Ausgräber liegen auch
heute noch im Archiv bzw. sind gar nicht erhalten. Mit der ganz unzureichenden Doku-
mentation der Ausgrabungen beschäftigt sich ausführlich Salmon (2019b). Vor allem seine
Karten im Anhang sind sehr anschaulich, was die weiteren Fundstätten, insbesondere die
Friedhöfe, auf den Hügeln um Kameiros herum, betrifft.
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Ausgrabungen der Stadt unter den italienischen Besatzern der Insel
erneut aufgegriffen.
   Badoud (2019, 37) erwähnt in seinem historischen Überblick den
Kaufmann und Reisenden Cyriacus von Ankona, der 1429 Rhodos be-
reiste und offenbar Notizen auch über die Ruinen von Kamiros anfer-
tigte. Da aber erst die italienischen Ausgrabungen endgültige Klarheit
schufen, dürfen wir annehmen, daß dieser Cyriacus Antikes am Fuße
des Hügels gesehen hat – also Reste des Hafens, nicht der Stadt.

           Abb. 3: Die Routen von Ross 1843 (rot) und 1844 (braun)
             an der Westküste von Rhodos (Karte bearb. von S.K.)

Auf der vorstehenden Karte von Spratt, herausgegeben von Ross (aus
Ross 1845, nach 192) haben wir die Orte markiert, die Ross erwähnt

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bzw. die auf seinen beiden Reiserouten liegen.7 Die Routen selbst, wie
sie sich aus seinem Bericht ergeben, sind ebenfalls eingezeichnet: 1843
in rot, 1844 in braun. Schließlich sind die drei Orte, die Kameiros sind
bzw. sein sollen bzw. im Namen tragen, mit einem Rechteckt markiert,
wobei diese mit von uns hinzugefügter Erklärung beschriftet sind: von
Nord nach Süd sind dies Antikes Kameiros, Kameiros Skala und falsches
Kameiros.

1. Ross bricht bei seiner Reise von 1843 von Rhodos-Stadt auf und reitet
an der Westküste südwärts, nach Theologos, dann über Soroni nach
Phanaes und Kala Varda (heute zusammengeschrieben Kalavarda). Er
fährt in seinem „Zweiunddreißigsten Brief“ fort:

    «Wieder nach drei Viertelstunden von K a l a V a r d a erreichte ich das kleine
    Vorgebirge des h. M i n a s (Μηνᾶς); auf demselben und unter demselben an
    der Küste, an der Mündung eines Baches, liegen einige Ruinen aus dem
    Alterthum und aus dem Mittelalter. Diesen Punkt, der noch im Gebiet von
    Ialysos liegt, haben einige Neuere irrig für Kameiros gehalten, welches noch
    einen Tagesmarsch südlich entfernt ist. Von hier an hört der flache
    Vorstrand ganz auf…» (1845, 102).

Bemerkenswert ist seine feste Überzeugung, genau zu wissen, wo Ka-
meiros sich befinden soll; er gibt sie als Faktum wieder – tatsächlich
aber ist sie falsch, wie wir sehen werden. Er hat nur insofern recht, als
die antiken Spuren am Ufer tatsächlich nicht zur Stadt Kameiros selbst
gehören, da sie sich weiter oben auf dem Hügel befindet (aber vermut-
lich zu seinem ehemaligen Hafen). – Ross reitet weiter südlich und fin-
det am Ufer von Ankón (Αγκώνι), wie die Ortsbezeichnung der flachen
Bucht vor Kámeiros (Kamiros) Skala auf der englischen Karte lautete,
einige antike Spuren:

    «In dem südwestlichen Winkel der Ebene sind längs dem Strande Trümmer-
    haufen von einer Ortschaft des Mittelalters. An der Felswand, welche hier an

7
  Ross schreibt die Karte Lieutenant Spratt zu, der die Daten tatsächlich aufgenommen und
auch weitere Karten und Reiseberichte publizhiert hat. Badoud (2019, 47) spricht von der
gleichen Karte als derjenigen von Thomas Grave, dem Kommandeur der HMS Beacon. Wir
bleiben bei Ross Bezeichnung.
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   der Küste ausläuft, ist die Hinterwand eines Tempels oder Heroons von an-
   sehnlichen Dimensionen in den Felsen gehauen; ohne Zweifel lehnte sich
   ein tempelähnliches Gebäude daran, von dessen Unterbau sich einige Reste
   erhalten haben. […] Diese geringen Reste bei Ankón sollen von einigen
   Reisenden für Kameiros gehalten worden seyn; aber Kameiros liegt noch
   weit entfernt, südwestlich vom Atabyros, an dem Vorgebirge Monolithos, auf
   dessen weiße Wände das homerische Beiwort ἀργινόεις Κάµειρος deutet.»
   (1845, 103)

Das Heroon und die Gräber an einer Felswand werden heute vor Ort als
‘Lykisches Grab’ (Λυκιακός Τάφος) ausgeschildert. Es handelt sich um
die Felswand in der Kurve des Fahrweges auf den Anleger hinaus, hinter
einer Taverne bzw. dem Parkplatz oberhalb davon. Wie der Screenshot
zeigt, handelt es sich nicht um ein vollständig ausgeführtes Felsengrab,
sondern vielmehr um eine angedeutete Fassade mit kammerartigen
Vertiefungen an beiden Seiten. Die Bezeichnung ‘lykisches’ Grab ist na-
türlich im übertragenen Sinne zu verstehen, vgl. auch die Anmerkung
von Ross zu einem ähnlichen Grab in Lindos (s.u.).

                  Abb. 4: ‘Lykisches Grab’ in Kameiros Skala
                            (Q.: Google Street View)

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Die irrige Identifikation von Kameiros Skala mit dem Antiken Kamiros
geht offenbar schon auf das Mittelalter zurück, denn sie findet sich auf
einer Karte der Insel von Thomaso Porcacchi von 1576 – s. genauer dazu
in Anhang 3. Damit wäre jedenfalls eine Quelle identifiziert, auf die
Ross mit der allgemeinen Bezeichnung ‘andere Reisende’ verweist.
   Auf diese Traditionen jedenfalls geht offenkundig der moderne Name
Kameiros Skala (‘Treppe’) zurück, der sich übrigens auf der Karte von
Spratt nicht findet.
   Mit der Geologie von Rhodos mit seinen prominenten Kalkstein-
schichten sowie anderen Gesteinen beschäftigt sich sehr ausführlich Bu-
kowski in zwei Studien (1889 und 1898, vgl. auch Appendix 1). Er er-
wähnt in seinen umfangreichen Ausführungen sogar auch (das echte)
Kameiros und die vielen Muschelfunde auf der Akropolis (neben einer
„dünnen Thon- und Humuslage“) (1899, 259), in denen er aber mensch-
liches Wirken erkennt. Zwar ist nach diesem Autor die Gegend um
Monolithos durchaus durch Kalksteinschichten gekennzeichnet, und
insofern hatte Ross Recht, aber im Hinblick auf das Fehlen von Kalkstein
die Gegend um (das echte) Kameiros als nicht einschlägig beiseite zu
wischen, war voreilig, wie überhaupt die höchsten Gebirgszüge auf
Rhodos, der Ataviros und der Profitis Ilias, Kalksteinmassive sind – nur
das nördlichste Drittel der Insel weist offenbar keine Kalksteine auf.

2. Ross zweite Reise im Folgejahr, d.h. 1844, sollte die erste ergänzen
und die Suche nach Kameiros fortsetzen. Er schreibt:

   «Da ich das Atabyron und seine Umgegend bereits auf der vorjährigen Reise
   besucht hatte, wollte ich durch das Innere der Insel nach Kameiros und
   seinem Gebiete gehen. Wir brachen … von Theologos auf, und ritten über
   Soroni, Phanäs und Kalawarda. Nirgend waren Ruinen zu erfragen, aber es
   wurde mir wieder bestätigt, daß bei dem H. Minas ziemlich bedeutende
   Trümmer sein sollen. Dann ging es westlich und südwestlich um den Fuß
   der Bergkette des Propheten Elias …» (1852, 59).

Tatsächlich waren die Hinweise auf antike Spuren bei dem Hl. Minas
genau richtig. Ross hätte lieber den Hinweisen auf existierende Ruinen
folgen, ihnen Glauben schenken und in der Gegend weiter suchen

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sollen, als sich auf die falsche Eintragung auf der Karte von Spratt zu
verlassen. Er schlägt also einen Weg ins Inselinnere ein, an Salakkos und
dem Kitala (einem Hügel) vorbei zum Kirchlein von Artamitis, von dort
zur Kirche des Hl. Isidoros und nach Siana (s. Karte, braun markierte
Strecke). Von Siana reitet er aber nicht gleich weiter nach Monolithos,
sondern wendet sich nach Norden, um den Akramytis herum:

   «Nach drei Viertelstunden hatten wir das Ostende des Gebirges umgangen
   und kamen zu den Sommerhütten und Dreschtennen von Siana. Oberhalb
   derselben sind mehrere von polygonischen Mauern gestützte Terrassen;
   auch liegt dort

   ein von der Höhe herabgerollter Felsblock mit zwei ausgehauenen Nischen
   und einer vollständigen Grabkammer mit drei Todtenbetten. Eine
   Viertelstunde weiter westlich ist wieder ein verlassenes Dörfchen, und gleich
   hinter demselben fanden wir, auf dem Rücken des Vorgebirges des H.
   Phokas, eine Menge Ruinen von ansehnlichen Grabmälern aus großen Kalk-
   steinquadern. Diese Reste, gemischt mit den Trümmern mittelalterlicher
   Gebäude, ziehen sich von hier eine Viertelstunde weit durch dichtes Ge-
   büsch, welches die Uebersicht erschwert, bis auf den höchsten Gipfel des
   Vorgebirges, wo ich das Fundament eines kleinen viereckigen hellenischen
   Turmes bemerkte. Der Ort heißt jetzt bei den Bauern das Kastron des H.
   Phokas.» (1852, 61)

Ob der bei Ross abgebildete Felsblock noch an Ort und Stelle existiert,
ist uns gegenwärtig nicht bekannt. Die hier erwähnten Orte lassen sich
jedenfalls auf Google Earth problemlos identifizieren:

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Ludwig Ross und Rhodos

                            Abb. 5: Gegend um Kymisala

Von den Dreschtennen sind in der Satellitenansicht mindestens 20 gut
erkennbar. Der Ort mit den Terrassen und Felsgräbern ist ebenfalls ge-
kennzeichnet, der verlassene Ort weiter westlich heißt Marmarounia.
  Mit dem Kastron beim Hl. Phokas hatte Ross unwissentlich Spuren
der antiken Siedlung von Kymisala (Κυµισάλα) gesehen, das offenbar
nicht explizit auf seiner ‘Such-Liste’ stand; so gibt er ihm auch keinen
antiken Namen bei. Kymissala (auch mit Doppel-s geschrieben) war von
der minoischen Zeit an (Gräber) besiedelt. Die eigentliche Siedlungs-
phase dauerte vom 7. Jh. v. Chr. bis zum 4./6. Jh. n. Chr. (nach anderen
Angaben 550 v. Chr. bis 300 n. Chr.). Eine ganze Reihe von Inschriften,
die man auf Rhodos gefunden hat, nennt den Ortsnamen bzw. davon
abgeleitete Personennamen.8 Eine ganz wesentliche ökonomische Basis
für die Siedlung war offensichtlich die große, auch in der Satellitenan-
sicht auffallende Hochebene, von der man auch lesen kann, sie habe
„die Form eines Tennisschlägers“. 2005–2013 wurden die Reste der
Akropolis und der Siedlung regelmäßig ausgegraben und untersucht.9

8
  Zu den Inschriften vgl. https://epigraphy.packhum.org/search?patt=Κυµισα. Mehr Infor-
mationen zu Kymis(s)ala vgl. auch https://en.wikipedia.org/wiki/Ancient_Kymissala. Der
griechische Wikipedia-Artikel enthält eine umfangreiche Bibliographie.
9
  Einen ausführlichen, gut illustrierten Bericht findet man bei Stefanakis (2017).
Die Webseite http://www.eulimene.eu/kymissala.php enthält auch eine nützliche Über-
sichtskarte.
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Rechts und links des ‘Griffes’ des Tennisschlägers wurden die Nekropo-
len der Siedlung gefunden.

    «Von dort stiegen wir in einer halben Stunde über bewaldete Hügel hin-
   unter nach B a s i l i k o n . Hier liegen unter Bäumen auf einem Felsrücken,
   noch beträchtlich hoch über dem Meere, andere hellenische Ruinen aus gro-
   ßen Quadern. Ich konnte darin ebenfalls nur eine Anhäufung hellenischer
   Gräber erkennen, auf denen sich im Mittelalter ein Dorf niedergelassen zu
   haben scheint. Ein Bauer aus Siana hatte hier vor einigen Jahren in einem
   Grabe zwei sehr große Vasen gefunden, aber er hatte sie nach seiner eigenen
   Angabe sogleich zerschlagen um mit den fingersdicken Scherben seinen
   Backofen auszuwölben.» (1852, 61f.).

Auf Spratts Karte ist der Ort als Vasiliká verzeichnet. Die Siedlung liegt
direkt nördlich einer weiteren Hochebene westlich von Kymisala, zu
dessen Herrschaftsbereich der Ort auch gehörte. Diese Hochebene ist
auf Satellitenaufnahmen ebenfalls sehr einfach zu erkennen, beim
Heranzoomen auch Mauerreste:

                           Abb. 6: Lage von Vasiliko

Weiter schreibt Ross:

   «Wir gingen dann [von Vasilikon] in einer Stunde wieder über bewaldete
   Höhen nach dem vermeinten K a m e i r o s der englischen Karte, ganz unten
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Ludwig Ross und Rhodos

   am Strande, noch auf der Nordseite der Halbinsel des Akramytes. Hier ist
   eine kleine Bucht mit schroffen unzugänglichen Felsen, wo nur die leichten
   Barken von Chalke zu landen pflegen wenn sie Holz holen; an derselben
   steht ein Wachtthurm aus dem Mittelalter und einige Kalköfen, und höher
   oben im Dickicht finden sich mittelalterliche Ruinen mit einigen helleni-
   schen Blöcken, aber nichts deutet hier auf das ehemalige Dasein einer hel-
   lenischen Stadt, für die sich die Örtlichkeit gar nicht eignet. Überhaupt kann
   Kameiros schwerlich irgendwo an dieser schroffen, hafenlosen und wasser-
   armen Nordseite des Akramytes gelegen haben, obgleich es auffallend ist,
   daß sich hier an drei oder vier Puncten so viele und so bedeutende Gräber
   finden.» (1852, 62)

Die Bucht des vermeintlichen Kameiros, zu der zwischen der Straße von
Embonas nach Monolithos ein Fahrweg abzweigt, zeigt nach unserer
Identifikation der nachfolgende Kartenausschnitt.

   Abb. 7: Bucht ‘Kameiros’ bei Spratt; „falsches Kameiros“.Wachtturm markiert
                   Koordinaten: 36°10'09.57" N, 27°44'01.41 O

Der von Ross erwähnte Wachtturm existiert durchaus noch – siehe Mar-
kierung. Es ist die einzige Bucht, bei der ein Wachtturm zu sehen ist, zu
der auch zugleich ein Fahrweg hinführt (der nach einiger Zeit auf eine

                                       13
Sebastian Kempgen

Nebenstraße mündet, die dann nach Monolithos führt), und die dabei
auch noch der Karte entspricht. In der Literatur und im Web findet man
den Turm unter der Bezeichnung Kymisala Tower oder Kymisala Turm.
Er wurde 1476 von den Rittern erbaut.10 In mehreren Quellen ist die
Bucht auch schlicht mit der Bezeichnung Pyrgos verzeichnet (Pyrgos =
‘Turm’).
   Einerseits erkennt Ross also, daß Spratts Lokalisierung und Karte in
diesem Punkte unmöglich richtig sein können, aber da er auf das home-
rische Epitheton des „weißen Kameiros“ vertraut, vermutet er die Stadt
hartnäckig im Süden von Monolithos Richtung Küste und zieht aus der
Beschaffenheit der Gegend eben einen völlig falschen Schluß:

      «Und doch bestehen nur hier auf der Südseite die untern Abfälle gegen das
      Meer hin aus blenden weißem Thon und Sandstein, so daß das homerische
      Beiwort des „w e i ß e n K a m e i r o s “ nur hierher paßt. Es stellt sich also als
      Ergebniß heraus daß Kameiros, obgleich eine der ältesten Dreistädte von
      Rhodos, keinen geschlossenen Ort bildete, sondern daß seine Bürger in die-
      ser zerklüfteten und waldigen Gebirgsgegend in Flecken und Dörfern (κω-
      µηδόν) zerstreut wohnten.» (1852, 63f.)

Ironischerweise ist ja Kameiros gerade umgekehrt die größte, städtisch-
ste, antike Siedlung von Rhodos, wie man sich heute leicht überzeugen
kann, zumal von beiden anderen antiken Städten, Ialysos und Lindos,
vornehmlich die Akropolen erhalten sind, aber nicht die eigentlichen
Städte. – In einer Fußnote fügt Ross (1852, 63) immerhin der Korrekt-
heit halber hinzu:

      «Allerdings könnte es nach Strabon 14, 655 scheinen, als habe Kameiron
      zwischen dem Atabyron und Jalysos gelegen (vgl. Bd. III, S. 103 f.); allein
      dies kann nicht richtig sein. Vgl. Ptolem. 5, 2, 34).»

Strabo hatte in der Tat Recht.

10
     Vgl. z.B. https://www.kastra.eu/castleen.php?kastro=kymisala.
                                             14
Ludwig Ross und Rhodos

2. Ludwig Ross und Lindos
Ein besonderes Ziel von Ross war auf Rhodos natürlich auch Lindos. Er
besuchte es auf seinen beiden Reisen, 1843 und 1844. Interessant ist
schon seine Ankunft in Lindos und seine ersten Eindrücke des Ortes
„mit dreitausendjährigem unverändertem Namen auf den Trümmern
der alten Stadt“ (1845, 72):

   «Leider aber, obgleich wir mit einem Gesundheitspasse von Karpathos den
   vorherigen Quarantänewächter versehen waren, ging seine [des Ortsvor-
   stehers] Vollmacht doch nicht so weit, daß er uns freie Pratica hätte geben
   dürfen, und nur mit Mühe erlangte ich durch Aufbietung meiner ganzen Be-
   redsamkeit, daß er einwilligte, in eigner Person mich zu den noch erhal-
   tenen Resten des Alterthums zu führen. Wir gingen also mit aller Vorsicht,
   um mit keinem Menschen in Berührung zu kommen, durch das Dorf, wel-
   ches freundlich und fast städtisch gebaut ist. Es hat meistens stattliche Häu-
   ser aus behauenen Sandsteinquadern, noch aus den Zeiten des Ordens; go-
   thische Schnörkel und Laubwerk verzieren die Fensteröffnungen und Thü-
   ren, Wölbungen im Spitzbogen verbinden hin und wieder die Häuser über
   die Gasse mit einander, an vielen Stellen prangen noch die Wappen der frän-
   kischen Edeln, die sich vor mehr als dreihundert Jahren diese Landsitze bau-
   ten, in denen jetzt etwa hundert christliche und zwanzig türkische Bauern-
   familien wohnen. Es ist derselbe Baustyl, den ich, nur größer und schöner
   entwickelt, hier in der Stadt wieder finde.» (1845, 72f.)

                     Abb. 8: Haus in der Altstadt von Lindos

                                       15
Sebastian Kempgen

Ross dürfte prächtige Häuser wie das vorstehend abgebildete vor Augen
gehabt haben, als er seine Beschreibung verfaßte. Die Wendung „hier in
der Stadt“ bezieht sich natürlich auf Rhodos-Stadt, wo Ross seinen
Bericht verfaßt. „In die Stadt“ zu reisen bedeutete lokal auf Rhodos
immer, nach Rhodos-Stadt zu reisen. Daß man Lindos als Miniatur-
Ausgabe der Altstadt von Rhodos betrachtet, ist durchaus nicht abwegig,
interessanterweise aber wird dieser Vergleich heute in der touristischen
Werbung für den Ort nicht mehr herangezogen, sondern vielmehr die
dörfliche Eigenständigkeit dieses Highlights der Insel herausgestrichen:
die Touristen sollen ja beide Orte besuchen.
  Zu Ross Zeiten war Lindos übrigens ausgesprochen arm, weil es
ringsum keine Möglichkeiten zur Landwirtschaft gab und die sandige
Bucht zwar hübsch anzuschauen war, aber keinen ökonomischen
Nutzen darstellte:

   «Der Tadel der Alten über die Unfruchtbarkeit der Gegend von Lindos ist
   vollkommen der Wahrheit gemäß. Ueber eine Stunde weit ist das Städtchen
   ringsum mit nackten sterilen Marmorgebirgen umgeben, zwischen denen
   sich kaum hier und dort ein Fleckchen urbaren Landes findet. Diesem
   schreiben auch die Einwohner die Armuth ihres Ortes zu, dessen
   Erzeugnisse kaum für den Lebensunterhalt ausreichen.» (1845, 76)

   «… von dem sandigen Strande zieht sich gegen das höher gelegene Dorf eine
   sanft geneigte Fläche empor, die mit Fruchtbäumen und Gärten hübsch
   angebaut ist.» (1845, 75)

Einigen Baumbestand hat die Bucht ja in der Tat heute noch.

2.1. Ludwig Ross und das Felsengrab von Lindos
Zu den weniger beachteten archäologischen Denkmälern von Lindos
gehören die Felsengräber oberhalb des – von der Akropolis aus gesehen
– jenseitigen Dorfrandes, d.h. am Hang des Krana-Hügels, auch Kampa-
na genannt. Ross berichtet über sein erstes Studienziel nach seiner
Ankunft:

   «Der Protogeros führte mich gleich westlich über dem Dorfe an einer
   Felswand zu einem schönen großen F e l s e n g r a b e n [sic]: einer dorischen

                                       16
Ludwig Ross und Rhodos

   Front mit Halbsäulen in den weichen porösen Sandstein gehauen, deren
   Mitte aber, wo noch Reste von vier freistehenden Säulen gewesen seyn
   sollen, vor zwei Jahren eingestürzt ist und jetzt einen wüsten Trümmer-
   haufen bildet. Es waren in Allem zwölf Säulen, gegen fünfzehn Fuß hoch,
   mit einem vollständigen, aber gedrückten dorischen Gebälk aus makedo-
   nisch-römischer Zeit; über der Hängeplatte setzt noch eine mächtige, gegen
   drei Fuß hohe Hohlkehle als Attika auf, und auf dieser standen, auf großen
   Quaderstufen aus einem harten bläulich schwarzen Marmor, der in den
   nächsten Bergen bricht, vier schwere runde Grabaltäre mit Bukranien und
   Kranzgewinden, aus derselben Marmorart, welchen eben durch ihr Gewicht
   veranlaßt haben, daß die Mitte der Front eingebrochen ist. So geht ein
   Denkmal nach dem anderen zu Grunde. Die noch erhaltenen Halbsäulen
   haben zehn Cannelierungen; die Grabkammer selbst hat sehr geringe Tiefe.
   Nur auf Einem Stücke der herabgestürzten Stufen fand ich noch einen Rest
   einer Inschrift. Die ganze Anlage erinnert durchaus an die Felsgräber der
   gegenüber liegenden lykischen Küste. An derselben Felswand sind noch
   einige andere, aber weit kleinere und sehr verfallene Grabkammern.» (1845,
   73f.)

Abb. 9: Blick von der Akropolis über die Ortsmitte zum Felsengrab am Krana-Hügel

Tatsächlich enthält Ross’ dritter Band seiner Inselreisen nicht nur diese
Beschreibung, sondern auch eine sehr gute Kupfertafel des Felsengrabes

                                      17
Sebastian Kempgen

im Anhang seines Buches, und auf sie lohnt es, an dieser Stelle
nochmals aufmerksam zu machen. „Nach einer Skizze von Spratt gez.
von E. Laurent“ (1845, 193) steht auf dem Blatt selbst vermerkt, im Text
lautet die Fußnote: „Die angelegte Zeichnung, von Lieutenant Spratt,
zeigt dies Grabmal vor seinem Einsturz“, also vor 1841 (1845, 73, Fn. 2).
Das aktuelle Photo zeigt die beiden großen Steinblöcke, die herunter-
gefallen sind, nicht mehr aber einen „wüsten Trümmerhaufen“.

Abb. 10: Felskammergrab des Archokrates, Zustand vor 1841 (Ross 1845, nach 192)

         Abb. 11: Felskammergrab oberhalb von Lindos, heutiger Zustand
                                      18
Ludwig Ross und Rhodos

Spärliche Informationen zu diesem Felsgrab findet man im Netz unter
dem Stichwort Archokrateion (oder Archocrateion) oder Kampana. In der
Europeana.eu-Bibliothek findet man einige wenige Detailaufnahmen
dieses „Grabmals des Archokrates“.11 Die wissenschaftliche Literatur
scheint ebenfalls spärlich, soweit im OpenAccess verfügbar: es gibt es
einen Aufsatz von 2011 von Lucia Nováková12, in dem sie u.a. eine Ab-
bildung der Fassade zeigt, die von Fedak (1990, Abb. 107) übernommen
ist.13

     Abb. 12: Luigi Mayer, “A Grotto Cut in the Rock near Lindo, in Rhodes.” (1803)14

11
   URL: https://www.europeana.eu/en/search?page=1&view=grid&query=Archokrateion.
12
   https://www.researchgate.net/publication/259745692_Funeral_Rites_and_Cultural_Di-
versity_in_Hellenistic_Caria_Based_on_Epigraphic_and_Archaeological_Evidence.
13
   Fedak hat diese Zeichnung allerdings seinerseits von Kähler (1971) übernommen. Fedak
bietet neben der Rekonstruktionszeichnung der Fassade auch eine Photographie (Abb.
106, S. 332) des damaligen Zustandes.
14
   Quelle: https://eng.travelogues.gr/item.php?view=49966.
                                           19
Sebastian Kempgen

Einen kolorierten Stich von Luigi Mayer von 1803, offenbar die erste Ab-
bildung des Grabes überhaupt, gibt Badoud in seinem kenntnisreichen
und detaillierten Aufsatz wieder (2019, 42f.). Eine zweite Quelle bietet
übrigens eine noch bessere Qualität des gleichen Bildes (Abb. 9).
  Merkwürdigerweise wird dieses Bild, das links unten eindeutig mit
dem Namenszug des Urhebers versehen ist, im Online-Auftritt des Har-
vard Museums dem Kupferstecher Thomas Milton zugeschrieben und
in das Jahr 1801 datiert, obwohl auch das Jahr der Veröffentlichung auf
dem Bild notiert.15 Milton war auch für seine Reproduktionen bekannt,
und seine Beteiligung dürfte eher dieser Art gewesen sein.

2.2 Ross und der Peribolos
Nach dem Felsengrab begibt sich Ross mit seinem Führer zu einem
zweiten Ziel im Dorfe. Hier seine Beschreibung:

     «Von hier aus [d.h. dem Felsengrab] begleitete mich der gutwillige Dorf-
     schulze in den untern Theil des Dorfes, an dessen südlichem Rande
     noch ein großer h e l l e n i s c h e r U n t e r b a u aus meistens rechtwink-
     lichten Quadern, doch von sehr ungleicher Größe, aus einem harten
     blauen Kalkstein sich erhalten hat. Die eine Seite dieses ansehnlichen
     Peribolos hat noch etwa vierzig, die andere, so viel noch davon zu sehen
     ist, etwa zwanzig Meter Länge, und die südliche Ecke ist noch gegen drei
     Meter hoch. Die beiden anderen Seiten verlieren sich in der sanft an-
     steigenden Anhöhe. Im Innern dieses Raumes steht noch eine kleine Ca-
     pelle, und scheint früher eine ansehnliche Kirche gestanden zu haben,
     wie sich aus den Ueberresten von großen, aus Sandsteinquadern gemau-
     erten Gräbern aus der Zeit der Ritter vermuthen läßt, die den Rest des
     Raumes ausfüllen. Auf dem Rande des Unterbaus liegt eine große blaue
     Marmorquader, auf deren Rücken an beiden Enden Reste von In-
     schriften zu lesen sind. Leider ist keine derselben vollständig, weil sie
     sich, als das Monument noch ganz war, auf die angrenzenden Quadern
     hinüber zogen; doch erwähnt das eine Fragment einen Opferer der
     Athene (ἀρχιεροθύτας τᾶς Ἀθάνας), wahrscheinlich der Athene Polias, weil
     gleich daneben ein Polieus, ohne Zweifel Zeus Polieus, erwähnt wird,
     und diese stadtbeschützenden Götter auch anderer Orten sich so zusam-
     mengestellt finden, z.B. in Athen und auf Ios. Gleich unterhalb des Peri-

15
   https://www.watercolourworld.org/painting/grotto-cut-rock-near-lindo-rhodes-grotte-
taillée-dans-le-roc-prés-de-linde-dans-lile-de-rhodes-tww016e53.
                                           20
Ludwig Ross und Rhodos

   bolos liegt eine andere große Quader mit der Aufschrift eines Priesters
   des Apollon Pythaeus, des Apollon Ulios oder Olias ΟΛΙΟΣ und der Ar-
   temis ἐν Κεκοίᾳ. Da haben Sie genug der Götter in der gottesfürchtigen
   Lindos! Die große Zahl derselben macht mich wieder zweifeln, ob dieser
   Unterbau, wie mein erster Gedanke war, dem berühmten Heiligthume
   der Athene Lindia angehört; wahrscheinlicher ist es, daß dieses auf der
   Höhe der Burg stand, die ich aber nicht besteigen durfte.» (1845, 74f.)

                   Abb. 13: Peribolos und Theater in Lindos

Der Peribolos von Ross heißt heute in der Literatur Tetrastoon, die
Funktion des Areals wird als „hellenistisches Dionysos-Heiligtum“ be-
zeichnet (Brodersen 1999, 358); die Infotafel vor Ort erwähnt alternativ
ein „Apollo Smintheus“-Heiligtum. Die Höhe der Mauerreste erreicht
übrigens – jedenfalls vom heutigen Straßenniveau ausgehend – keine
drei Meter mehr, ist nicht einmal mannshoch. Als längste Ausdehnung
der sichtbaren Mauerreste erhält man mit dem Meßwerkzeug von
Google Earth etwa 30 m.

                                     21
Sebastian Kempgen

                 Abb 14: Peribolos mit Kapelle (Anf. 20. Jh.?)

Vor Ort informiert heute über Tetrastoon und Theater eine gemeinsame
Infotafel, auf der sich auch die oben wiedergegebene alte Aufnahme
befindet. Die kleine Kapelle, die in der linken hinteren Ecke des Areals
stand, ist nicht mehr vorhanden – sie wurde (laut Infotafel) 1924 abge-
tragen.

             Abb. 15: Mauer des Peribolos unterhalb der Akropolis

                                      22
Ludwig Ross und Rhodos

1904 wurden bei der Untersuchung des Geländes zwei der wichtigsten
Inschriften von Lindos gefunden wurden, die sog. Tempelchronik von
Lindos (oder Lindische Chronik) und die Liste der Priester der Athena Lin-
dia: sie waren in den Fußboden „dicht neben der jetzigen kirche des hei-
ligen Stephanos“ eingelassen, „die schriftfläche nach oben“, wie der
Ausgräber Christian Blinkenberg berichtet (1915, 3)16. Durchaus eine
verpaßte Chance also für Ludwig Ross, der das Areal ja durchaus inspi-
ziert hat, die verschiedenen Fragmente der Stele mit dieser Inschrift
aber nicht entdeckte. Er mußte sich 1843 mit der gemachten „Ausbeute
begnügen“, so seine Worte (1845, 75), als er die Suche nach weiteren In-
schriften in Lindos beendete. Die Fundstelle nach Blinkenberg/Kinch
(1941, 64):

        Abb. 16: Die Lage der Stelen-Teile zwischen Kirche (A) und Haus (C)

16
   Beide Inschriften werden ausführlich dargestellt und behandelt in Blinkenberg/Kinch
(1941, 62–200), Korrekturen, wo nötig, finden sich bei Higbie (2003). Digital ist die Arbeit
der            Ausgräber           verfügbar           unter           https://digi.ub.uni-
heidelberg.de/diglit/blinkenberg1941bd2_1/0013. Da die Ausgrabungen durch Dänen
erfolgten, befinden sich die Inschriften heute im Dänischen Nationalmuseum in Kopen-
hagen.
                                            23
Sebastian Kempgen

Das gleich benachbarte Theater erwähnt Ross übrigens bei der Schilde-
rung dieses ersten Aufenhaltes nicht, aber er besucht es auf einem
Spaziergang im Folgejahr nach einem erfolgreichen ersten Tag auf der
Akropolis (1852, 70).

2.3. Ludwig Ross und die Akropolis von Lindos
Ross hat auf seinen Reisen keine Mühen gescheut, um Inschriften auf-
zuspüren, auch wenn dies teils stundenlange vergebliche Ritte bedeu-
tete, beispielsweise als ihm ein Bauer von einer solchen erzählte, die
sich dann aber nur als Stein mit Verwitterungsspuren entpuppte. Als
Ross zum ersten Male die Akropolis von Lindos betrat – und als erster
europäischer Forschungsreisender überhaupt17 –, war dies freilich ganz
anders: sofort fand man überall Inschriften. Bis es soweit war, galt es
aber auf der Reise von 1843, sich noch in Geduld zu üben:

     «Ebenso fruchtlos blieb mein Wunsch, das Schloß zu sehen: der Türke, hieß
     es, der den Schlüssel dazu habe, sey heute in die Stadt [d.h. nach Rhodos-
     Stadt] gegangen, und hätte ich auch die Nacht hier im Hafen bleiben wollen,
     so würde es mir doch nichts genutzt haben. Im Schlosse soll eine merkwür-
     dige alte Capelle des h. Johannes seyn.» (1845, 75) 18

Exakt das gleiche Schicksal war übrigens William John Hamilton auf
seiner Reise wenige Jahre zuvor, 1837, beschieden:

     «January 29. – This morning we prepared to visit the citadel, where we were
     led to expect some inscriptions; but, after ascending some way, we found the
     gates locked, and learnt that the officer who kept the keys was at Rhodes.»
     (1942, 57)

Andernfalls wäre er wohl der erste Forschungsreisende gewesen, der die
Akropolis von Lindos inspiziert hätte (mit der gleichen Einschränkung

17
   Badoud (2019, 42) erwähnt in seinem Überblick über die frühen Forschungsreisenden
auf Rhodos den Engländer Edward Daniel Clarke, der Anfang des 19. Jh.s Rhodos-Stadt
besuchte und Inschriften wiedergab, die von Angehörigen der britischen Flotte auf der
Akropolis von Lindos angefertigt worden waren. Zur Ehrenrettung von Ross könnte man
einschränken, daß die Betreffenden keine Forschungsreisenden waren.
18
   Der Grund, warum eine Übernachtung nichts genutzt hätte, ist ein ganz pragmatischer:
«Die Entfernung von der Stadt Rhodos, oder wie man hier spricht, dem Kastron, beträgt
über Land zehn Stunden, einen starken Tagemarsch.» (1845, 75)
                                          24
Ludwig Ross und Rhodos

wie bei Ross, s.o.). Als Ross im Folgejahr, 1844, Lindos wieder erreichte,
hatte er jedoch den gewünschten Erfolg:

   «Diese Mal war ich mit der nöthigen schriftlichen Erlaubnis des Paschah
   zum Besuche der verlassenen Akropolis versehen, und der Inhaber des
   Schlüssels, der Türke Husseïn, war auch anwesend. Mit ihm mit dem
   griechischen Proestós (προεστώς) des Ortes und dem jovialen Priester Papa-
   Georgis erstiegen wir daher sogleich das auf einem steilen Tafelfelsen sehr
   malerisch gelegene, vortrefflich gebaute und wohlerhaltene Schloß, das bis
   vor wenigen Jahren, wie alle türkischen Festungen, strenge bewacht wurde
   und von keinem Fremden betreten werden durfte; erst seit Kurzem ist es
   entwaffnet worden, und so war ich der Erste, dem es zu durchforschen ver-
   gönnt war. Der Eingang der Burg mit den breiten Treppen, die an der Nord-
   seite hinaufführen und mit den verzierten Fenstern in der äußeren Mauer
   ist wahrhaft prächtig zu nennen. Aubussons ruhmvolles Wappen schmückt
   auch hier das Thor. […] …ich ließ mir aber keine Zeit mich bei diesen Anti-
   quitäten des Ritterthums aufzuhalten, da der sehr aufgeweckte und gefällige
   türkische Schloßwächter mir sagte, daß die Burg voll hellenischer In-
   schriften sei. […] Der Türke hatte nicht zu viel versprochen; bei jedem Schrit-
   te in den mit Trümmern bedeckten Burgräumen stießen wir auf halb ver-
   grabene Inschriften, und Husseïn wie die beiden griechischen Gastfreunde
   wetteiferten sie mir auszugraben.» (1852, 68ff.)

   Abb 17: Der Eingang zur Akropolis mit Ritterburg, alter Treppe und Wappen

                                       25
Sebastian Kempgen

Ross identifiziert und vermißt als erster den Athene-Tempel auf der
Spitze der Akropolis (1852, 72f.) und einen für Zeus „in der Mitte der
Burg“ (1852, 72), der heute allerdings nicht mehr gezeigt wird; wohl
aber wird von einem entsprechenden Kult gesprochen. Ross beschreibt
den vermeintlichen Tempel ausführlich in einem späteren Aufsatz
(1861, 395), den er mit verschiedenen Detailabbildungen (in separat ge-
bundenen Tafeln) bereichert. Es könnte sich dabei um Teile der dori-
schen Stoa gehandelt haben.
  Über die gefundenen Inschriften berichtet Ross in einer weiteren se-
paraten Publikation (1846):

   «Gleich unter dem Portale fand ich die Inschrift Nr. 1, die den Rittern als
   Stufe zum Besteigen ihrer Pferde gedient zu haben scheint (wie noch heute
   zahlreiche Grabaltäre an Thüren der Türken in Rhodos)» (1846, 162).

   Ludwig Ross: Die Tempel auf der Akropolis von Lindos. In: ders., Archäologische
   Aufsätze. Zweite Sammlung. Leipzig: B.G. Teubner 1861, 393–396.
   Ludwig Ross: Inschriften auf Lindos. In: Rheinisches Museum für Philologie, N.F. IV,
   1846, 161–199. [Inschrift Nr. 1, S. 166]

Die erste Inschrift, die Ross in seiner Publikation wiedergibt, ist auch
die erste, die er gefunden hatte. Sie befindet sich heute immer noch
(etwa) an der gleichen Stelle (genauer: hinter dem Durchgang in einer
Mauernische rechterhand) und kann deshalb leicht identifiziert werden.
An dieser Stelle soll deshalb eine aktuelle Photographie einem Abdruck
der Wiedergabe bei Ross an die Seite gestellt werden. Mit der Inschrift
ehren die Lindier einen Mann namens Moiragénēs, der «mit
öffentlichem Lobe, einem goldenen Kranze, einem ehernen Standbild,
dem Vorsitz in den Festspielen und öffentlicher Speisung im
Opferhause (ἱεροθυτεῖον) beschenkt wird.» (Ross 1846, 166f.) Die beiden
untersten Zeilen nennen Vater und Sohn namens Epícharmos, die das
Bildnis angefertigt haben (dazu vgl. Ross 1846, 168).

                                           26
Ludwig Ross und Rhodos

Abb 18: Inschrift Nr. 1 aus der Akropolis von Lindos (Ross 1846, 166)

                                 27
Sebastian Kempgen

Abb. 19: Inschrift Nr. 1 auf der Akropolis von Lindos heute

                            28
Ludwig Ross und Rhodos

3. Ludwig Ross und Rhodos-Stadt
Ross vermittelt sehr interessante historische Informationen, was die
Neustadt von Rhodos-Stadt (im Gegensatz zu dem Altstadt-Kern inner-
halb der Stadtmauer) betrifft. Das älteste Viertel dieser Neustadt heißt
auch heute noch einfach Niohori, was einfach die Übersetzung dieses
Wortes ist, während die gesamte Neustadt als Bezirk Mandraki heißt
(wie der Hafen).

       Abb. 20: Ausschnitt aus der Karte von Spratt (Ross 1845, nach 192)

Ross beschreibt seine Ankunft so:

   «Nachdem wir freie Pratica erhalten, ging ich um 2 Uhr Nachmittags an
   Land in das Christenviertel (Νεόµαρας oder Neudorf), welches auf der
   schmalen und flachen Landzugen nördlich unter der Festung und unter der
   Anhöhe liegt, an welche diese angelehnt ist. Denn nach einer alten Satzung
   dürfen keine Christen, von welcher Nation auch immer, innerhalb der Fes-
   tung wohnen, wo nur Türken und Juden hausen; die christlichen Kaufleute
   und Handwerker haben freilich ihre Gewölbe dort, aber erst nach Sonnen-
   aufgang wird ihnen das Thor geöffnet und vor Sonnenuntergang wird es
   wieder hinten ihnen geschlossen. Auch am Freitag müssen sie, während der
   Stunden des türkischen Gottesdienstes, die Festung verlassen. Diese christ-
   liche Vorstadt, wo auch die Consuln wohnen, besteht aus drei ziemlich ge-
   rade laufenden parallelen Straßen, die von anderen kleineren durchschnitten
   sind, und erstreckt sich bis an den jenseitigen Strand. Nördlich von dersel-

                                      29
Sebastian Kempgen

ben läuft die Insel in eine ganz flache, sandige, von aller Vegetation
entblößte Landspitze aus, welche K u m b u r n u (das Sandkap) heißt und mit
Windmühlen besetzt ist.
Ich ging mit dem griechischen Consul sogleich zu einem alten Bekannten,
dem schwedischen Naturforscher Professor Hedenborg, der sich seit fünf
Jahren hier niedergelassen hat und ein artiges Haus unter dem nördlichen
Abhange des Stadthügels bewohnt, dessen Zimmer er mit mannigfaltigen
Sammlungen ausschmückt. Bei ihm fand ich einige Inschriften und sah
eine Anzahl von Grablampen und schlechten einfachen Thonvsen, die er
nach und nach in seinem Garten ausgegraben. Auch erhielt ich von seiner
Güte mancherlei Auskunft über das Innere der Insel, die er vor einigen
Jahren als Geolog bereist hat.» (1845, 80)

         Abb. 21: Die Dilberaki-Straße in der Neustadt von Rhodos

                                   30
Ludwig Ross und Rhodos

Das obenstehende Bild zeigt die Grenze zwischen dem alten Christen-
viertel in der ‘Neustadt’ von Rhodos (links ein solches altes Kaufmanns-
haus) und der modernen Bebauung dieses Areals (rechts).

Auf der nachstehenden Karte haben wir das historische Christenviertel
der Neustadt markiert; es ist bei genauer Betrachtung immer noch an
den viel kleineren Grundstücken und Häusern zu erkennen – von
einzelnen Hotelneubauten natürlich abgesehen. Heute sind von den
kleineren Querstraßen etliche Fußgängerzone, so wie das obige Bild der
Dilberaki Str. zeigt.

          Abb. 22: Das alte Christenviertel in der Neustadt von Rhodos
                     (OpenStreetMap-Karte, bearb. S.K.)

Der von Ross überlieferte türkische Name der Landspitze, das Kap
Kumburnù (auch Koubournou geschrieben), ist heute auch noch bekannt,

                                      31
Sebastian Kempgen

häufiger aber findet sich die Bezeichnung Ákra Mýlōn ‘Kap der Mühlen’
– die freilich an dieser Stelle nicht mehr existieren. Sie sind aber auf
einer historischen Aufnahme (s.u.) zu sehen.

          Abb. 23: Das ‘Kap der Mühlen’ an der Nordspitze von Rhodos
                 (hist. Aufnahme, Datum unbekannt: Q: Web)

Badoud würdigt Ross übrigens nur mit einem einzigen Satz (2019, 48),
hingegen umso ausführlicher Johan Hedenborg:

   «Finally, Hedenborg had an important influence on where other travellers to
   Rhodes in the middle of the 19th century conducted their researches. The
   most important were, in chronological order, Ludwig Ross (who published
   the first description of the acropolis of Lindos, by then abandoned by its
   Turkish garrison), Victor Guérin and Charles Newton.»

Bei Ross liest sich dies etwas anders, allerdings muß man wissen, daß
Hedenborgs Geschichte der Insel Rhodos (1854) bis heute Manuskript
geblieben ist. Badoud (2017) hat sich speziell mit einigen Aspekten der
Forschungen Hedenborgs befaßt.

                                     32
Ludwig Ross und Rhodos

                              4. Fazit

Im vorliegenden Beitrag wurde primär der Bericht von Ludwig
Ross über seinen Erkundungen auf Rhodos anhand dreier Bei-
spiele und ausgewählter Details untersucht: Kameiros, Lindos und
Rhodos-Stadt, jeweils begleitet und illustriert mit Bildmaterial des
Verf. Bei Kameiros wurden die Umstände, die dazu führten, daß
Ross die antike Stätte nicht gefunden hat, ausführlich beleuchtet,
wobei erstmals die Bucht, die Ross auf der Grundlage der Karte
von Spratt aufgesucht hat, identifiziert werden konnte. Bei Lindos
wurde die Zeichnung des Felsengrabes, die Ross seinem Buch
beifügt, ins Gedächtnis gerufen, denn sie scheint ein wenig in Ver-
gessenheit geraten, und kleinere Unkorrektheiten in der Attribu-
tion eines Bildes von Luigi Mayer des gleichen Felsengrabes ver-
merkt. Bei dem Peribolos/Tetrastoon neben dem Theater konnte
gezeigt werden, wie „nahe dran“ Ross offenkundig war, die be-
rühmteste Inschrift von Lindos zu entdecken: sie hat ihm – wort-
wörtlich – zu Füßen gelegen. Von der Akropolis wurde die erste
von Ross gefundene Inschrift reproduziert und mit einer Photo-
graphie korreliert. Dabei wurde auch deutlich, daß Ross’ Glaube,
der erste neuzeitliche westliche Forscher auf der Akropolis von
Lindos gewesen zu sein, einer Einschränkung bedarf. Bei Rhodos-
Stadt wurden die interessanten historischen Informationen von
Ross über das ‘Christenviertel’ in der Neustadt durch eine Karte
und Fotos visualisiert. Zugleich wurde deutlich, daß Bedeutung
und Verhältnis von Hedenborg und Ross zueinander von Ross
etwas anders dargestellt wird als von der Sekundärliteratur wie z.B.
von Badoud, der sehr viel stärker die Leistungen von Hedenborg
herausstreicht.
   Im Anhang wurde Ross’ Kritik an seinem Vorgänger Hamilton
an einem Beispiel (Camiros) etwas relativiert, zugleich aber
konnten Hamilton weitere Ungenauigkeiten nachgewiesen werden,
aber auch ein Vorschlag für die Identifikation der von ihm be-
schriebenen Bucht mit den Felsgräbern formuliert werden.
   An der grundsätzlichen Bedeutung von Ludwig Ross ändern
diese kleineren Korrekturen oder Anmerkungen zu seiner Reisebe-
schreibung natürlich nichts – es gilt weiterhin das eingangs Zi-
tierte.

                                33
Sebastian Kempgen

                      Appendix 1: „Weißes Kamiros“

Oben wurde deutlich, wie sehr Ross auf das Epitheton von Homer
vertraute und nach passenden Gegenden suchte, die dieser Charak-
terisierung entsprachen. Vor Ort drängt sich einem dieser Eindruck
eigentlich nicht überall auf, jedenfalls nicht so prominent, wie man den-
ken sollte, u.a. weil die Insel ja gut bewachsen ist. In Kameiros selbst
waren es wohl Akropolis und Häuser, die den Beinamen rechtfertigten,
ansonsten können es Felswände, Klippen, Steilküsten etc. sein, wenn sie
aus Kalkstein und nicht bewachsen sind. Illustrativ ist vielleicht das Bild
unten, das einen hell leuchtenden frischen Sandstein im unteren Teil,
im oberen jedoch einen schon länger der Verwitterung ausgesetzten
zeigt. Kalkstein ist in der Tat für Rhodos charakteristisch, aber nicht
überall und nicht überall gleichmäßig. Vgl. dazu Bukowski (1889, 211f.):

   «Die Mehrzahl der Kalkstöcke, darunter die sowohl an Höhe als auch an
   Ausdehnung bedeutendsten finden sich im mittleren Theile der Insel; das
   nördlichste Gebiet weist minder zahlreiche Vorkommnisse auf, und diese
   stehen auch, as ihre Grösse anlangt, hinter den meisten aus der Mittelregion
   zurück. Im südlichen Drittel fehlen sie gänzlich. Die Linie der grössten
   Breite der Insel zwischen Cap Monolithos und Cap Kina (Cape Lindos or
   Lardos der englischen Seekarte) bezeichnet ungefähr die südliche Grenze
   ihrer Verbreitung.»

Der die südliche Hälfte der Insel dominierende Bergstock des Ataviros
ist „der mächtigste aller Kalkstöcke“ (ebd., 212), und auch der Berg-
rücken des Profitis Ilias besteht aus dem gleichen Material (ebd., 214).
Auch der Felsen der Ritterburg von Feraklos (s. dazu auch unten in
Appendix 2) ist ein Kalkfelsen. Daneben gibt es aber immer wieder auch
Bereiche mit mehr oder weniger großen Sandsteinschichten, denen die
Insel ihre Strände zu verdanken hat. Eine zweite Arbeit enthält auch
eine farbige Karte zur Geologie von Rhodos (Bukowski 1898).

                                      34
Ludwig Ross und Rhodos

Abb. 24: Agia Agathi-Kapelle

            35
Sebastian Kempgen

                    Appendix 2: „Camiro“ bei Hamilton

Wie eingangs erwähnt, berichtet Hamilton (1842, 57f.) von einem Orts-
namen Camiro(s) an der Ostküste der Insel. Auf der Karte, die seinem
Bericht am Ende von Band 2 beigefügt ist, ist der Ort etwa in Höhe des
heutigen Ortes Charaki (unterhalb der Ritterburg Feraklos) eingezeich-
net, vgl. die nachstehende Abbildung.

       Abb. 25: Rhodos bei Hamilton mit Ortsangabe Camiro (bearb. S.K.)

Der Ortsname wird ihm zuerst von seinem griechischen Gastgeber in
Lindos mitgeteilt:

   «He added, that the flat table-land which we had seen north near the sea-side
   was called Camiro, from a convent called Camirili, situated in the hills
   above.» (1842, 57)

Hamilton biegt auf seiner Rückreise von Lindos nach Rhodos-Stadt in
Richtung des Tafelfelsens mit der Ritterburg von Feraklos ab:

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Ludwig Ross und Rhodos

   «The natives call the district in which it is placed Zografi. Before reaching
   the foot of the hill, we passed through the ruins of an old town, either Greek,
   Byzantine, chivalrous, or Turkish. Amongst the ruins were many spoils of
   classic origin, viz. marbles, Corinthian capitals, columns, and inscription,
   built into the more modern walls.» (1842, 57)

Diese Auskünfte sind heute allerdings z.T. etwas rätselhaft, denn von
den Resten einer ‘Stadt’ ist heute vor Ort nichts zu sehen. Möglicher-
weise hat Hamilton die Überreste einer Zuckerproduktionsstätte des 15.
Jh. (nach Losse 2017, 16), also aus der Zeit der Ritter, gesehen (heute
Fundamente). Sie liegen unterhalb des Festungsfelsens in Richtung
Charaki. Das Toponym Zografi lebt interessanterweise im Namen einer
Taverne weiter (Zografos), die an durchaus passender Stelle (etwas au-
ßerhalb Charaki an der Straße in den Ort) mit Blick auf die Festung Fe-
raklos liegt. Hamilton hatte seine Gewährsmänner also richtig verstan-
den.
  Der Forschungsreisende besteigt jedenfalls den Fels, identifiziert die
Festungsreste richtig als eindeutig und ausschließlich der Zeit der Ritter
zugehörig (“all the remains being decidedly of the time of the knights”,
1852, 57), wiederholt dann nochmals seine Einschätzung und ergänzt:

   «The walls below leave no doubt that it was the site of an ancient city; and
   considering the name given to it by the Greeks of the neighbourhood, who
   call it Camiros and Acamiro, although they give a fanciful cause for the
   derivation of that name, it is evident that we have here the ruins and site of
   Camirus, one of the three ancient cities of the island of Rhodes, Lindus,
   Camirus, and Ialysus, according to Homer, who applies the term of white or
   chalky to the cliffs of Camirus. This agrees with the actual appearance of the
   place, for that part of the promontory where we found the Cyclopian walls
   consisted of the purest and whitest scaglia limestone I had ever seen.» (1842,
   58)

Weil er also diese Lokalität für das antike Kameiros hielt, wollte er Stra-
bos Beschreibung nicht glauben:

   «… Strabo, who says that Lindus is the first place met with by those who sail
   from the city of Rhodes, having the island on the right hand. This is certainly
   an error: for, whether these ruins represent Camirus or not, they occur
   before Lindus.» (1842, 58)

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