Management von Dissektionen zervikaler hirnzuführender Arterien
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Journal für Neurologie, Neurochirurgie und Psychiatrie www.kup.at/ JNeurolNeurochirPsychiatr Zeitschrift für Erkrankungen des Nervensystems Management von Dissektionen Homepage: zervikaler hirnzuführender Arterien www.kup.at/ Wolff S, Mono ML, Nedeltchev K JNeurolNeurochirPsychiatr Journal für Neurologie Online-Datenbank mit Autoren- Neurochirurgie und Psychiatrie und Stichwortsuche 2011; 12 (3), 222-226 Indexed in EMBASE/Excerpta Medica/BIOBASE/SCOPUS Krause & Pachernegg GmbH • Verlag für Medizin und Wirtschaft • A-3003 Gablitz P.b.b. 02Z031117M, Verlagsor t : 3003 Gablitz, Linzerstraße 177A /21 Preis : EUR 10,–
Change.Pain: PAIN compact FOR EXPERTS Virtuelle Fortbildung Themenschwerpunkte: Schmerzmedizin | Palliativtherapie Migräne | Neuropathische Schmerzen Fr., Wissenschaftliche Leitung: 29. 10. Prim. Univ.-Prof. Dr. Rudolf Likar, MSc Do., 17:00 – 19:15 28. 10. Uhr M-N/A-AT-08-21-0006 Jetzt anmelden! 17:00 – 20:00 Uhr
Dissektionen zervikaler Arterien Management von Dissektionen zervikaler hirnzuführender Arterien S. Wolff¹, M.-L. Mono², K. Nedeltchev¹ Kurzfassung: Dissektionen zervikaler hirnzu- chen sowie Behandlung und Outcome von zervi- The management of CAD is therefore an impor- führender Arterien (DZHA) sind eine häufige kalen Gefäßdissektionen. tant task with regard to primary or secondary Schlaganfallursache bei jungen Erwachsenen. stroke prevention. This article reviews possible Das Management von DZHA stellt daher eine Schlüsselwörter: Dissektion, Schlaganfall, predisposing factors, clinical and radiological wichtige Aufgabe des klinisch tätigen Neuro- Management features, treatment, and outcome of patients logen in Bezug auf die Primär- und Sekundär- with CAD. J Neurol Neurochir Psychiatr prävention des Schlaganfalls dar. Wir geben Abstract: Management of Cervical Artery 2011; 12 (3): 222–6. einen Überblick über mögliche prädisponierende Dissections. Cervical artery dissection (CAD) is Faktoren, klinische und radiologische Kennzei- a major cause of ischemic stroke in young adults. Key words: dissection, stroke, management Einleitung Die arterielle Hypertonie ist ein unabhängiger Risikofaktor für Aortendissektionen, sodass ein Zusammenhang auch mit Dissektionen zervikaler hirnzuführender Arterien (DZHA) zervikalen Dissektionen vermutet werden kann. Mehrere Fall- sind eine häufige Schlaganfallursache und eine unterschätzte Kontroll-Studien haben die Prävalenz einer arteriellen Hyper- Ursache ungewöhnlicher Kopf- und Nackenschmerzen bei tonie bei Patienten mit DHZA mit jener bei gesunden Perso- jungen Erwachsenen. Das Management von DZHA hat daher nen verglichen und konnten keine signifikanten Unterschiede eine wichtige Bedeutung in der Primär- und Sekundärpräven- zeigen [2, 3]. Eine erhöhte Prävalenz der arteriellen Hyper- tion des Schlaganfalls. Aufgrund der derzeit verfügbaren Da- tonie wurde allerdings bei Patienten mit zervikalen Dissek- tenlage können keine evidenzbasierten Behandlungsempfeh- tionen mit nachfolgenden Hirninfarkten [3] und bei Männern lungen gegeben werden. So bleibt es aktuell unklar, wann eine [4] nachgewiesen. Antikoagulation der Therapie mit Thrombozytenfunktions- hemmern vorgezogen werden sollte. Wir geben einen Über- Milde Hyperhomocysteinämien finden sich gehäuft bei Dis- blick über mögliche prädisponierende Faktoren, klinische und sektionspatienten. Es ist allerdings unklar, ob diese geringe radiologische Kennzeichen sowie Behandlung und Outcome Erhöhung der Homocysteinwerte einen Risikofaktor für die von zervikalen Gefäßdissektionen. Dissektion darstellt oder lediglich ein Zufallsbefund ist [5]. Prädisponierende Faktoren Andere vaskuläre Risikofaktoren, wie Rauchen, Diabetes mellitus und Hypercholesterinämie, unterscheiden sich in der Traumen Häufigkeit ihres Auftretens nicht bei Dissektionspatienten Traumen sind bedeutende prädisponierende Faktoren für zer- und gesunden Personen [2]. vikale Dissektionen. Bei großen offenen, aber auch geschlos- senen Traumen an Kopf und Hals ist das Risiko einer Gefäß- Diese Befunde suggerieren insgesamt aber doch, dass das verletzung offensichtlich. Daneben spielen kleinere, häufig vaskuläre Risikoprofil bei Patienten mit Dissektionen nicht unbedeutende oder unbemerkte Traumen, wie bei chiroprakti- vernachlässigt werden sollte. schen Manövern, Beschleunigungstraumen, sportlichen Akti- vitäten oder trivialen Bewegungen (z. B. Niesen, Kopfwen- Kürzlich durchgemachte Infektionen dung) ebenfalls eine wichtige Rolle [1]. Diese kleinen Trau- Eine Assoziation von Dissektionen mit kürzlich durchgemach- men führen jedoch nur in wenigen Fällen wirklich zu einer ten Infektionen wurde beschrieben. Prädisponierend könnten Dissektion. durch Infektionen verursachte Endotheleinrisse oder prothrom- botische Mechanismen sein [6, 7]. Allerdings ist die Aussage- Vaskuläre Risikofaktoren kraft dieser Studien infolge von Selektionsbias und fehlender Ein Zusammenhang zwischen zervikalen Dissektionen und Verblindung beschränkt. vaskulären Risikofaktoren, wie z. B. arterieller Hypertonie, Diabetes mellitus, Rauchen und Hypercholesterinämie, konn- Genetische Faktoren te bislang nicht eindeutig nachgewiesen werden. Selten stehen zervikale Dissektionen mit einer bekannten monogenetischen Bindegewebserkrankung, vor allem dem vaskulären Ehlers-Danlos-Syndrom, in Zusammenhang [8]. Genetische Faktoren könnten jedoch eine Rolle bei „sporadi- Eingelangt am 26. April 2011; angenommen am 28. April 2011; Pre-Publishing schen“ Dissektionen als Teil einer multifaktoriellen Veranla- Online am 30. Mai 2011 gung spielen. So wurden Familien mit einer erhöhten Präva- Aus der ¹Abteilung für Neurologie, Stadtspital Triemli, Zürich, und der ²Neurologi- lenz an Dissektionen beschrieben. Außerdem fanden sich bei schen Universitätsklinik, Inselspital, Bern, Schweiz Korrespondenzadresse: Prof. Dr. med. Krassen Nedeltchev, Abteilung für Neuro- bis zu 68 % der Patienten Bindegewebsanomalien [9]. In meh- logie, Stadtspital Triemli, CH-8063 Zürich, Birmensdorferstrasse 497; reren genetischen Assoziations- und Mutationsstudien fanden E-Mail: krassen.nedeltchev@triemli.stzh.ch sich Hinweise auf verschiedene Kandidatengene [1]. Aller- 222 J NEUROL NEUROCHIR PSYCHIATR 2011; 12 (3) For personal use only. Not to be reproduced without permission of Krause & Pachernegg GmbH.
Dissektionen zervikaler Arterien dings weisen diese Studien ebenfalls nicht unerhebliche Studie mit 46 Dissektionspatienten traten am häufigsten Ste- methodische Mängel auf. nosen (48 %), gefolgt von Verschlüssen (35 %) und Aneurys- men (17 %) auf. Die häufigste Lokalisation einer Dissektion Körpergröße und -gewicht, Body-Mass-Index der Arteria carotis ist der einige Zentimeter distal der Bifurka- Eine Fall-Kontroll-Studie fand einen Zusammenhang mit der tion gelegene Abschnitt. Dissektionen der A. vertebralis sind Körpergröße (größere Patienten erlitten häufiger Dissektio- am häufigsten im V3-Segment zwischen Foramina transversa nen), einem niedrigeren durchschnittlichen Körpergewicht und Foramen magnum lokalisiert [12]. Der fehlende Nach- und einem geringeren mittleren Body-Mass-Index bei Dissek- weis einer Dissektion durch die unten genannten bildgeben- tionspatienten im Vergleich zu gesunden Kontrollen [4]. Die den Untersuchungsmethoden schließt diese jedoch nicht voll- Ursache hierfür könnte z. B. in einem größeren Bewegungs- ständig aus, z. B. bei früher Rekanalisation oder zu frühem radius der Halswirbelsäule oder einer vermehrten Anzahl von oder zu spätem Untersuchungszeitpunkt. Eine radiologische Bindegewebserkrankungen (z. B. Marfan-Syndrom) in dieser Darstellung des supraaortalen Gefäßsystems ist für die Diag- Gruppe zu finden sein. Allerdings fehlen bislang Daten, die nose einer Gefäßdissektion essenziell. diese Hypothesen bestätigen oder widerlegen würden. Konventionelle Katheterangiographie Klinische und radiologische Kennzeichen Vor dem MRT-Zeitalter war die konventionelle Katheter- angiographie zum Nachweis von Dissektionen die Methode Klinik der Wahl. Heute wird diese Methode sowohl wegen des inva- Die klinischen Symptome zerebraler Ischämien aufgrund von siven Untersuchungscharakters als auch wegen der fehlenden Gefäßdissektionen unterscheiden sich nicht grundsätzlich von Visualisierung eines Gefäßwandhämatoms nicht mehr emp- denen bei Ischämien anderer Ätiologie. Bestimmte Sympto- fohlen. me können jedoch auf eine Dissektion hinweisen: Magnetresonanztomographie Nacken- oder Kopfschmerzen Als Goldstandard für die Diagnose von Dissektionen gilt heu- Charakteristisch sind neuartige Nacken- oder Kopfschmer- te die Magnetresonanztomographie (MRT). Das typische zen, die meist einige Minuten oder auch mehrere Tage vor intramurale Hämatom lässt sich mittels MR-Angiographie einem Schlaganfall auftreten. Selten können Kopfschmerzen und vor allem in axialen Sequenzen des Halses darstellen. auch bei anderen ischämischen Schlaganfällen vorkommen, Dabei zeigt sich in den fettgesättigten axialen T1-Sequenzen wie z. B. bei einer Sinusvenenthrombose, einer zerebralen ein erweitertes Gefäß mit einem randständigen hyperintensen Vaskulitis oder einem häufig medikamentös ausgelösten Signal, das ein häufig stenosiertes Gefäßlumen umschließt. In Vasokonstriktionssyndrom. Der Schmerzcharakter bei Dis- den ersten Tagen kann dieses Wandhämatom jedoch noch sektionen ist unspezifisch und kann manchmal dem einer isointens sein und damit dem Nachweis entgehen. Andere Migräne oder einem Clusterkopfschmerz ähneln. Die Kopf- spezifische MRT-Zeichen einer Dissektion sind eine Vor- schmerzen werden eher als stark und pochend beschrieben, wölbung der Tunica intima in das Gefäßlumen (so genannter wohingegen Nackenschmerzen eher einschnürend und von „Intimaflap“) oder die Darstellung eines falschen Lumens. moderater Intensität sind [10]. Auch langstreckige Stenosen oder dissektionsbedingte Aneu- rysmen können mittels MRT nachgewiesen werden. Bei Horner-Syndrom okkludierten Gefäßen ohne sichtbares Wandhämatom ist die Ein neu aufgetretenes Horner-Syndrom, welches mit Kopf- Diagnose einer DZHA zunächst nicht möglich. Erst nach voll- oder Nackenschmerzen assoziiert ist, sollte immer als Warn- ständiger oder partieller Rekanalisation deuten Zeichen, wie symptom für eine ipsilaterale Karotisdissektion gelten. Eine z. B. residuelle Stenosen oder Aneurysmen, auf eine ätiolo- zeitnahe bildgebende Untersuchung der hirnversorgenden gisch zugrunde liegende Dissektion hin. Möglicherweise Gefäße ist in solchen Fällen dringend indiziert. kann in Zukunft durch hochauflösende MRT-Geräte mit höheren Feldstärken besser zwischen Wandhämatom und Hirnnervenparesen intraluminalem Thrombus unterschieden werden [13]. Weniger häufig kommen Hirnnervenparesen vor. In abstei- gender Reihenfolge sind der Nervus hypoglossus, der N. glos- CT-Angiographie sopharyngeus und der N. vagus betroffen [11]. Schädigungs- Auch die CT-Angiographie kann zum Nachweis einer DZHA mechanismus ist hier häufig eine Nervenkompression durch angewendet werden (Abb. 1). Gewöhnlich wird sie bei Kon- eine vergrößerte Arteria carotis. Sehr selten sind auch Hirn- traindikationen für ein MRT oder fehlender Verfügbarkeit nervenischämien beschrieben, die jedoch häufiger die weiter eines Magnetresonanztomographs eingesetzt. Mittlerweile kranial gelegenen Hirnnerven betreffen. gilt die CT-Angiographie sogar als nahezu gleichwertige Untersuchungsmethode im Vergleich zum MRT. Nachteilig Zervikale Myelon- oder Nervenwurzelischämien wirkt sich jedoch die Strahlenexposition aus [12, 14]. Ein weiteres, sehr seltenes Symptom sind zervikale Myelon- oder Nervenwurzelischämien bei Dissektion der A. vertebralis. Doppler- und Duplexsonographie Die Doppler- und Duplexsonographie ist eine weitere Option Radiologie in der Diagnostik einer Dissektion. Vorteile sind die weite Dissektionen können sich als irregulär konfigurierte, lang- Verbreitung und die einfache Anwendung, wobei der Unter- streckige Stenose, als spitz zulaufender Gefäßverschluss oder sucher eine ausreichende Erfahrung vorweisen sollte. Nach- als dissektionsbedingtes Aneurysma präsentieren. In einer teilig ist die eingeschränkte Beurteilbarkeit von schädelbasis- J NEUROL NEUROCHIR PSYCHIATR 2011; 12 (3) 223
Dissektionen zervikaler Arterien a b c Abbildung 1: Fallbeispiel eines 40-jährigen Patienten mit langstreckiger Dissektion der Arteria carotis interna (ICA) rechts. CT des Schädels mit CT-Angiographie am Tag der zerebralen Ischämie (3 Tage nach dem Beginn der lokalen Symptome): (a) beidseits noch regelrechtes Lumen der ICA rechts kurz nach der Bifurkation; (b) deutliche Lumen- reduktion im weiteren Verlauf der ICA rechts; (c) langstreckige Stenose der ICA rechts. nahen Prozessen und der Foramina transversa. Insgesamt achtungszeitraum von 3 Monaten generell selten (ASS 2,1 %, wird die diagnostische Sensitivität der Duplexsonographie Antikoagulation 5,9 %). Auch hämorrhagische Ereignisse bei Dissektionen mit zerebralen Ischämien eher als hoch traten gleich häufig auf (ASS 1 %, Antikoagulation 2 %) [19]. bewertet [15], bei Dissektionen mit nur lokalen Symptomen Insgesamt konnte in einer aktuellen Metaanalyse von 36 Be- jedoch eher als schlecht [16]. Dissektionen mit Ischämien obachtungsstudien mit 1285 Patienten keine Überlegenheit liegen wahrscheinlich mehr hämodynamisch kompromittie- einer der beiden Therapieoptionen nachgewiesen werden [20]. rende Prozesse zugrunde, die mittels Duplexsonographie nachgewiesen werden können. Aktuell gibt es nur empirische Entscheidungshilfen, wann eine Antikoagulation der Behandlung mit Thrombozyten- Behandlung aggregationshemmern vorgezogen werden sollte [21]. Eine Antikoagulation wird demnach eher (1) bei Gefäßverschlüs- Thrombozytenaggregationshemmer oder Anti- sen oder hochgradigen Stenosen, (2) bei intraluminalen koagulation? Thromben, (3) bei multiplen ischämischen Läsionen in ab- MRT-Studien zeigen, dass zerebrale Ischämien bei Dissektio- hängigen Stromgebieten oder (4) bei detektierbaren Mikro- nen hirnzuführender Arterien vor allem durch thrombemboli- embolien in der transkraniellen Dopplersonographie empfoh- sche Ereignisse verursacht werden [15]. Unterstützend fanden len. Dagegen wird einer Therapie mit Thrombozytenaggrega- sich in duplexsonographischen Untersuchungen an Patienten tionshemmern der Vorzug gegeben bei: (1) Kontraindikatio- mit Dissektionen der A. carotis interna Hinweise auf Mikro- nen gegen eine Antikoagulation, (2) Dissektionen mit aus- embolien in nachgeschalteten Hirnarterien [17]. Insgesamt schließlich lokalen Symptomen, (3) großen zerebralen Ischä- scheint daher einer antithrombotischen Therapie eine beson- mien mit dem Risiko einer hämorrhagischen Transformation dere Bedeutung in der Sekundärprophylaxe zuzukommen. oder (4) intrakraniell gelegenen Dissektionen aufgrund der Gefahr einer Subarachnoidalblutung. In einer retrospektiven Bisher gibt es keine randomisierte Vergleichsstudie, die die monozentrischen Studie trat allerdings unter Antikoagulation Wirksamkeit und Sicherheit von Thrombozytenaggregations- bei intrakraniellen nicht-aneurysmatischen Dissektionen kei- hemmern versus Vitamin-K-Antagonisten untersucht hat. ne Subarachnoidalblutung auf [22]. Eine klare Evidenz für Eine prospektive Studie über die medikamentöse Behandlung die Überlegenheit einer Antikoagulation gegenüber Acetyl- von Dissektionspatienten mit diesen beiden Substanzen wird salicalsäure bei intrakraniellen Dissektionen gibt es jedoch allerdings gerade durchgeführt (CADISS) [18]. Der Ein- nicht. schluss von Studienpatienten läuft noch bis mindestens Ende 2011. Bisherige Standardbehandlung war eine zunächst intra- Die Dauer einer gerinnungsaktiven Behandlung ist letztend- venöse Heparinisierung, gefolgt von einer oralen Weiter- lich unklar und wird in den meisten Fällen nicht mehr als behandlung mit Marcoumar. Eine antithrombotische Therapie 6 Monate durchgeführt. Eine längere oder sogar dauerhafte mit Acetylsalicylsäure wurde sowohl in der Praxis als auch Behandlung wird häufig bei residuellen Stenosen, Verschlüs- in Studien häufig angewendet, z. B. bei Kontraindikationen sen oder dissektionsbedingten Aneurysmen empfohlen. gegen eine Antikoagulation oder bei Karotisdissektionen ohne zerebrale Ischämien. In einer nicht-randomisierten Stu- Akutbehandlung von dissektionsbedingten die an 298 Dissektionspatienten unterschied sich das Out- Ischämien come der beiden medikamentösen Therapieoptionen nicht Die Wirksamkeit und Sicherheit von intravenösen, intra- signifikant. Ischämische Ereignisse waren über einen Beob- arteriellen oder mechanischen Thrombolyseverfahren bei dis- 224 J NEUROL NEUROCHIR PSYCHIATR 2011; 12 (3)
Dissektionen zervikaler Arterien sektionsbedingten zerebralen Ischämien wurden bisher nicht eignis ischämische Schlaganfälle in 0,3 %, transitorisch in randomisierten Studien untersucht. ischämische Attacken in 3,4 % und retinale Ischämien in 1 % der Fälle [19]. Die Wahrscheinlichkeit von Rezidivischämien Bemerkenswert ist, dass Dissektionspatienten nicht aus den nach > 3 Monaten wird auf 0,3–1,4 % geschätzt [31, 32]. intravenösen Thrombolysestudien ausgeschlossen worden sind. Generell gilt die intravenöse Thrombolyse auch bei die- Rezidiv-Dissektionen ser Patientengruppe als sicher. Bei > 50 Patienten mit Dis- Rezidiv-Dissektionen sind ebenfalls selten. Sie treten vorwie- sektionen, die mit intravenöser Thrombolyse behandelt wur- gend in den ersten 2 Monaten auf, möglicherweise als Folge den, traten weder neue lokale Symptome auf, noch kam es zu anderer akuter Erkrankungen [33]. Spätere Rezidive werden einer Gefäßruptur mit nachfolgender Subarachnoidalblutung mit einer Häufigkeit von 0,9–8 % angegeben, wobei diese [23]. Demgegenüber wurden Patienten mit Dissektionen von Daten aus spitalsbasierten Patientenregistern stammen [32, den intraarteriellen Thrombolysestudien ausgeschlossen, da 34]. In einer bevölkerungsbasierten Studie traten über einen katheterbasierte iatrogene Komplikationen befürchtet wurden Beobachtungszeitraum von 7,8 Jahren dagegen keine Rezi- (z. B. Gefäßrupturen, Katheterisierung des falschen Lumens, div-Dissektionen auf [35]. Risikofaktoren für Rezidive sind iatrogene Embolien). In mehreren kleinen Fallserien wurde ein junges Alter, familiär gehäufte Dissektionen, das vaskulä- jedoch keine dieser Komplikationen beobachtet [24]. Grund- re Ehlers-Danlos-Syndrom und eine fibromuskuläre Dyspla- sätzlich kann vermutlich auch eine intraarterielle Thrombo- sie [34]. lyse bei Patienten mit Gefäßdissektionen sicher und erfolg- reich durchgeführt werden. Mortalität Die Mortalität in der akuten Phase einer Dissektion liegt bei Die elektive chirurgische oder endovaskuläre Behandlung < 5 % [32, 35]. Möglicherweise wird diese Zahl jedoch unter- von dissektionsbedingten Stenosen wird in der Regel nicht schätzt, da bei schweren, noch nicht diagnostizierten Dis- empfohlen. Das Risiko von rezidivierenden ischämischen Er- sektionen auch frühe Todesfälle vorkommen können. So wur- eignissen nach Dissektionen ist generell gering und korreliert den in einer Studie Karotisdissektionen als Hauptursache von kaum mit der Existenz residueller Stenosen oder dissektions- malignen Mediainfarkten angesehen [36]. Das funktionelle bedingter Aneurysmen. Nur bei rezidivierenden Ischämien Outcome ist bei ca. 75 % der Dissektionspatienten gut [37]. trotz optimaler medikamentöser Behandlung kann die Indika- Risikofaktoren für ein schlechtes funktionelles Outcome sind tion einer endovaskulären Behandlung erwogen werden [25]. zerebrale Ischämien, ein Gefäßverschluss [38], eine Dissek- tion der Arteria carotis interna [39], das Alter und ein initial Behandlung von dissektionsbedingten Aneurys- hoher NIHSS-Score [40]. men In 3 Beobachtungsstudien wurde der Langzeitverlauf von dis- Relevanz für die Praxis sektionsbedingten Aneurysmen über 3–6,5 Jahre verfolgt. Die insgesamt 82 Patienten mit 91 Aneurysmen erhielten zur 1. Ein Zusammenhang zwischen zervikalen Dissektionen Sekundärprophylaxe vorwiegend Acetylsalicylsäure. 64– und vaskulären Risikofaktoren konnte bisher nicht ein- 100 % der Aneurysmen persistierten im Verlauf, davon waren deutig nachgewiesen werden. 15–30 % sogar größenregredient. Der Verlauf war generell 2. Die Magnetresonanztomographie gilt heute als Gold- gutartig. Es traten weder Rupturen noch zerebrale Ischämien standard für die Diagnose von Dissektionen. oder neue fokale Defizite auf. Ein konservatives Vorgehen bei 3. Aktuell liegen keine randomisierten Vergleichsstudien dissektionsbedingten Aneurysmen scheint daher insgesamt vor, die die Wirksamkeit und Sicherheit der Thrombo- gerechtfertigt [26–28]. zytenaggregationshemmer versus Vitamin-K-Antago- nisten bei zervikalen Dissektionen untersucht haben. Outcome 4. Eine gerinnungsaktive Behandlung wird in der Regel nicht > 6 Monate durchgeführt. Rekanalisation 5. Eine intravenöse Thrombolyse sollte Dissektions- Nach dissektionsbedingten Stenosen oder Verschlüssen patienten nicht vorenthalten werden. kommt es in 60 % der Fälle innerhalb der ersten 6 Monate zu einer Rekanalisation des betroffenen Gefäßes. Dissektionen Interessenkonflikt mit ausschließlich lokalen Symptomen wiesen eine höhere Wahrscheinlichkeit für eine Rekanalisation auf, wohingegen Die Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht. ein Verschluss eine niedrigere Wahrscheinlichkeit für eine Rekanalisation bedeutete [29]. In einer anderen Studie betrug die Rate kompletter oder hämodynamisch relevanter (mit Literatur: ous cervical artery dissection. A case-control study. J Neurol Neurosurg Psychiatry 2006; < 50 % Reststenose) Rekanalisationen knapp 72 %. Fast alle 1. Rubinstein SM, Peerdeman SM, van Tulder 77: 95–7. MW, et al. A systematic review of the risk kompletten Rekanalisationen traten in den ersten 9 Monaten factors for cervical artery dissection. Stroke 4. Arnold M, Kappeler L, Georgiadis D, et al. nach Ereignis auf [30]. 2005; 36: 1575–80. Gender differences in spontaneous cervical 2. Arnold M, Pannier B, Chabriat H, et al. artery dissection. Neurology 2006; 67: 1050– Vascular risk factors and morphometric data 2. Risiko für erneute zerebrale Ischämien in cervical artery dissection: a case-control 5. Benninger DH, Herrmann FR, Georgiadis D, Das Risiko erneuter zerebraler Ischämien nach Dissektionen study. J Neurol Neurosurg Psychiatry 2009; et al. Increased prevalence of hyperhomo- 80: 232–4. cysteinemia in cervical artery dissection ist gering. In einer retrospektiven Analyse von 298 Dissek- 3. Pezzini A, Caso V, Zanferrari C, et al. Arte- causing stroke: a case-control study. Cerebro- tionspatienten zeigten sich in den ersten 3 Monaten nach Er- rial hypertension as risk factor for spontane- vasc Dis 2009; 27: 241–6. J NEUROL NEUROCHIR PSYCHIATR 2011; 12 (3) 225
Dissektionen zervikaler Arterien 6. Grau AJ, Buggle F, Ziegler C, et al. Asso- 17. Srinivasan J, Newell DW, Sturzenegger sociated factors and outcome. Stroke 2001; 35. Lee VH, Brown RDJ, Mandrekar JN, et al. ciation between acute cerebrovascular is- M, et al. Transcranial Doppler in the evalua- 32: 418–23. Incidence and outcome of cervical artery dis- chemia and chronic and recurrent infection. tion of internal carotid artery dissection. 29. Nedeltchev K, Bickel S, Arnold M, et al. section: a population-based study. Neurology Stroke 1997; 28: 1724–9. Stroke 1996; 27: 1226–30. R2-recanalization of spontaneous carotid ar- 2006; 67: 1809–12. 7. Guillon B, Berthet K, Benslamia L, et al. In- 18. Antiplatelet therapy vs. anticoagulation tery dissection. Stroke 2009; 40: 499–504. 36. Schwab S, Steiner T, Aschoff A, et al. fection and the risk of spontaneous cervical in cervical artery dissection: rationale and 30. Baracchini C, Tonello S, Meneghetti G, Early hemicraniectomy in patients with com- artery dissection: a case-control study. Stroke design of the Cervical Artery Dissection in et al. Neurosonographic monitoring of 105 plete middle cerebral artery infarction. Stroke 2003; 34: e79–e81. Stroke Study (CADISS). Int J Stroke 2007; 2: spontaneous cervical artery dissections: a 1998; 29: 1888–93. 8. Schievink WI, Michels VV, Piepgras DG. 292–6. prospective study. Neurology 2010; 75: 1864– Neurovascular manifestations of heritable 70. 37. Schievink WI. Spontaneous dissection of 19. Georgiadis D, Arnold M, von Buedingen connective tissue disorders. A review. Stroke 31. Kremer C, Mosso M, Georgiadis D, et al. the carotid and vertebral arteries. N Engl J HC, et al. Aspirin vs anticoagulation in ca- 1994; 25: 889–903. Carotid dissection with permanent and tran- Med 2001; 344: 898–906. rotid artery dissection: a study of 298 pa- 9. Brandt T, Hausser I, Orberk E, et al. Ultra- tients. Neurology 2009; 72: 1810–5. sient occlusion or severe stenosis: Long-term 38. Dziewas R, Konrad C, Drager B, et al. Cer- structural connective tissue abnormalities in outcome. Neurology 2003; 60: 271–5. vical artery dissection – clinical features, risk 20. Lyrer P, Engelter S. Antithrombotic drugs patients with spontaneous cervicocerebral for carotid artery dissection. Cochrane Data- 32. Touze E, Gauvrit JY, Moulin T, et al. Risk factors, therapy and outcome in 126 patients. artery dissections. Ann Neurol 1998; 44: base Syst Rev 2010; CD000255. of stroke and recurrent dissection after a cer- J Neurol 2003; 250: 1179–84. 281–5. vical artery dissection: a multicenter study. 21. Engelter ST, Brandt T, Debette S, et al. Neurology 2003; 61: 1347–51. 39. Arauz A, Hoyos L, Espinoza C, et al. Dis- 10. Arnold M, Cumurciuc R, Stapf C, et al. Antiplatelets versus anticoagulation in cervi- section of cervical arteries: Long-term follow- Pain as the only symptom of cervical artery 33. Dittrich R, Nassenstein I, Bachmann R, et cal artery dissection. Stroke 2007; 38: 2605– al. Polyarterial clustered recurrence of cervi- up study of 130 consecutive cases. Cerebro- dissection. J Neurol Neurosurg Psychiatry 11. vasc Dis 2006; 22: 150–4. 2006; 77: 1021–4. cal artery dissection seems to be the rule. 22. Metso TM, Metso AJ, Helenius J, et al. Neurology 2007; 69: 180–6. 40. Arnold M, Bousser MG, Fahrni G, et al. 11. Sturzenegger M, Huber P. Cranial nerve Prognosis and safety of anticoagulation in in- palsies in spontaneous carotid artery dissec- 34. Schievink WI, Mokri B, O’Fallon WM. Re- Vertebral artery dissection: presenting find- tracranial artery dissections in adults. Stroke current spontaneous cervical-artery dissec- ings and predictors of outcome. Stroke 2006; tion. J Neurol Neurosurg Psychiatry 1993; 56: 2007; 38: 1837–42. 1191–9. tion. N Engl J Med 1994; 330: 393–7. 37: 2499–503. 23. Georgiadis D, Baumgartner RW. Throm- 12. Provenzale JM. MRI and MRA for evalua- bolysis in cervical artery dissection. Front tion of dissection of craniocerebral arteries: Neurol Neurosci 2005; 20: 140–6. lessons from the medical literature. Emerg Radiol 2009; 16: 185–93. 24. Arnold M, Nedeltchev K, Sturzenegger M, et al. Thrombolysis in patients with acute 13. Naggara O, Oppenheim C, Toussaint JF, stroke caused by cervical artery dissection: et al. Asymptomatic spontaneous acute ver- analysis of 9 patients and review of the lit- tebral artery dissection: diagnosis by high- erature. Arch Neurol 2002; 59: 549–53. resolution magnetic resonance images with a dedicated surface coil. Eur Radiol 2007; 17: 25. Georgiadis D, Caso V, Baumgartner RW. Dr. med. Stefan Wolff 2434–5. Acute therapy and prevention of stroke in spontaneous carotid dissection. Clin Exp Facharzt für Neurologie. Ausbildung zum 14. Leclerc X, Godefroy O, Salhi A, et al. Heli- Neurologen im Alfried-Krupp-Krankenhaus, Hypertens 2006; 28: 365–70. cal CT for the diagnosis of extracranial inter- nal carotid artery dissection. Stroke 1996; 27: 26. Benninger DH, Gandjour J, Georgiadis D, Essen, und in der Neurologischen Universi- 461–6. et al. Benign long-term outcome of conserva- tätsklinik Bern, wo er zuletzt im Stroke- 15. Benninger DH, Georgiadis D, Kremer C, et tively treated cervical aneurysms due to ca- Team und neurosonologischen Labor tätig rotid dissection. Neurology 2007; 69: 486–7. al. Mechanism of ischemic infarct in sponta- war. Zurzeit Oberarzt in der Neurologischen neous carotid dissection. Stroke 2004; 35: 27. Guillon B, Brunereau L, Biousse V, et al. Klinik des Stadtspitals Triemli in Zürich. 482–5. Long-term follow-up of aneurysms developed 16. Arnold M, Baumgartner RW, Stapf C, during extracranial internal carotid artery dis- Schwerpunkte: Diagnostik und Therapie von et al. Ultrasound diagnosis of spontaneous section. Neurology 1999; 53: 117–22. Schlaganfällen, Spezialsprechstunde für carotid dissection with isolated Horner syn- 28. Touze E, Randoux B, Meary E, et al. Aneu- Patienten mit Multipler Sklerose. drome. Stroke 2008; 39: 82–6. rysmal forms of cervical artery dissection: as- 226 J NEUROL NEUROCHIR PSYCHIATR 2011; 12 (3)
Mitteilungen aus der Redaktion Besuchen Sie unsere zeitschriftenübergreifende Datenbank Bilddatenbank Artikeldatenbank Fallberichte e-Journal-Abo Beziehen Sie die elektronischen Ausgaben dieser Zeitschrift hier. Die Lieferung umfasst 4–5 Ausgaben pro Jahr zzgl. allfälliger Sonderhefte. Unsere e-Journale stehen als PDF-Datei zur Verfügung und sind auf den meisten der markt üblichen e-Book-Readern, Tablets sowie auf iPad funktionsfähig. Bestellung e-Journal-Abo Haftungsausschluss Die in unseren Webseiten publizierten Informationen richten sich ausschließlich an geprüfte und autorisierte medizinische Berufsgruppen und entbinden nicht von der ärztlichen Sorg- faltspflicht sowie von einer ausführlichen Patientenaufklärung über therapeutische Optionen und deren Wirkungen bzw. Nebenwirkungen. Die entsprechenden Angaben werden von den Autoren mit der größten Sorgfalt recherchiert und zusammengestellt. Die angegebenen Do- sierungen sind im Einzelfall anhand der Fachinformationen zu überprüfen. Weder die Autoren, noch die tragenden Gesellschaften noch der Verlag übernehmen irgendwelche Haftungsan- sprüche. Bitte beachten Sie auch diese Seiten: Impressum Disclaimers & Copyright Datenschutzerklärung
Sie können auch lesen