MANZE Widmann Martin Helmchen Klavier Yeree Suh Sopran

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MANZE Widmann Martin Helmchen Klavier Yeree Suh Sopran
2.
                                                      So 02.0ilharmonie
                                                               | Ph
                                                      20 Uhr

       D R E W
    AN ZE
     M A N
                          vier
           e l m chen Kla
         H
Martin        Sopran kchors Berli
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     e S u h            n
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Widma           io‹
›Con br
         ven
Beetkhoonzert Nr. 3
Klavier                                         s
              n W i l l iam
Vau       gha
     p h o n ie Nr. 7ca‹
Sym ia antarti
›Sinfon
Ensembles der             In Zusammenarbeit mit dem
MANZE Widmann Martin Helmchen Klavier Yeree Suh Sopran
Programm                                      2                                                                                                                                                     3                   Introduktion

  So 02 02 | 20 Uhr —–

Uraufführung am 25. September 2008 in
München durch das Symphonieorchester
                                              Jörg Widmann (*1973)
                                              ›Con brio‹
                                                                                                                                         BEETHOVENS MASS
   des Bayerischen Rundfunks unter der
                                              Konzertouvertüre für Orchester (2008, rev. 2013)
           Leitung von Mariss Jansons.
                                                                                                                                         Ludwig van Beethoven war nicht nur der große Symphoniker, an dem
  Uraufführung 5. April 1803 im Theater       Ludwig van Beethoven (1770–1827)                                                           Generationen von Komponisten Maß nahmen, wenn sie sich der zentralen
     an der Wien; Solist: der Komponist.      Konzert für Klavier und Orchester Nr. 3 c-Moll op. 37 (1800–1803)
                                                                                                                                         Gattung mitteleuropäischer Instrumentalmusik zuwandten. Seine Zeitge-
                                                I. Allegro con brio                                                                      nossen rühmten ihn als großartigen Pianisten lange, bevor er sich in seiner
                                               II. Largo
                                                                                                                                         Wahlheimat Wien auch als Komponist durchsetzte. In den Klavierkonzerten,
                                              III. Rondo. Allegro – Presto
                                                                                                                                         die er für den eigenen Vortrag schrieb, stellte er sich von beiden Seiten seines
                                              PAUSE                                                                                      Künstlertums vor. Von Beethoven nahm aber auch die Geschichte der Kon-
                                                                                                                                         zertouvertüren ihren Ausgang, die später von Mendelssohn, Schumann
       Uraufführung am 14. Januar 1953        Ralph Vaughan Williams (1872–1958)                                                         Brahms und anderen fortgeschrieben wurde. Auf diese Gattung griff Jörg
 in der Free Trade Hall Manchester durch      ›Sinfonia Antartica‹ (Symphonie Nr. 7)
    das Hallé Orchestra unter der Leitung                                                                                                Widmann zurück, als er um ein Werk gebeten wurde, das einen Beethoven-
                                              für Sopran solo, Frauenchor und Orchester (1949–51)
                   von Sir John Barbirolli.
                                                                                                                                         abend eröffnen könnte. Als Thema wählte er nicht Gestalten und Schicksale
                                                I. Prelude. Andante maestoso – Largamente – Lento – Poco più mosso
                                                                                                                                         aus der Literatur, wie Beethoven es mit seinen Ouvertüren zu ›Egmont‹ und
                                                   – Tempo I – Poco animato – Più mosso – Meno mosso – Tranquillo
                                                   – Andante moderato con moto – Largamente                                              ›Coriolan‹ getan hatte; er wählte Beethovens Musik selbst. Mit ihr setzte er
                                               II. Scherzo. Moderato – Poco animando – Moderato – Poco animato                           sich von seiner ästhetischen Warte und mit seinen kompositorischen Mitteln
                                                   – Moderato scherzando – L’istesso tempo – Meno mosso                                  auseinander. Man spürt ihre Gegenwart fortwährend – gerade auch dort, wo
                                              III. ›Landscape‹. Lento – Andante sostenuto – Lento – Poco meno lento                      die Modernität der Partitur ihre größten Risiken eingeht.
                                                   – Tempo I – Poco meno lento – Moderato – Lento – Poco meno mosso –
                                              IV. Intermezzo. Andante sostenuto – Allegretto – Pesante – Poco più
                                                   lento – Tempo I tranquillo                                                            Von den neun Symphonien, die Beethoven vollendete, versah er nur eine mit
                                               V. Epilogue. Alla marcia, moderato (non troppo allegro) – Lento –                         einem programmatischen Titel: die Sechste, die ›Pastorale‹. Aber trägt nicht
                                                   Allegro moderato – Andante maestoso                                                   auch die Entwicklung der Neunten hin zur Freudenode, tragen nicht auch die
                                                                                                                                         Dramaturgien der Dritten und Fünften Züge eines Programms, das mehr will
                                              ANDREW MANZE                                                                               als reine »tönend bewegte Formen« (Eduard Hanslick)? Die Grenzen zwischen
                                              Martin Helmchen Klavier                                                                    programmloser und programmgebundener Musik verfließen, auch bei Ralph
                                              Yeree Suh Sopran                                                                           Vaughan Williams, dem Zeitgenossen Ravels, Schönbergs und Regers. Er
                                              Damen des Rundfunkchors Berlin                                                             schrieb, wie Beethoven, neun Symphonien; vieren davon gab er programma-
                                              Gijs Leenaars Choreinstudierung
                                                                                                                                         tische Titel: der ›Sea‹-, der ›London‹-, der ›Pastoral‹-Symphony und der
                                                                                                                                         ›Sinfonia Antartica‹. Letztere komponierte er aus seiner Musik zu dem Film
                                                                                                                                         ›Scott of the Antarctic‹, auch aus Teilen, die schließlich im Film keine Ver-
                        Dauer der Werke       Widmann ca. 12 min | Beethoven ca. 35 min | Vaughan Williams ca. 45 min                    wendung fanden. Sir Roger Norrington sparte die ›Antartica‹ seinerzeit bei
                                                                                                                                         seinem Vaughan-Williams-Zyklus mit dem DSO aus. Andrew Manze vervoll-
                                              Konzert im Rahmen des Jubiläumsjahres BTHVN2020 mit freundlicher Unterstützung durch die
                                              Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien                                      ständigt nun das Bild des britischen Symphonikers. Das DSO spielt dessen
                                                                                                                                         Siebte heute zum ersten Mal in seiner Geschichte.
                                              Das Konzert wird von rbbKultur aufgezeichnet und am 23. Februar ab 20.04 Uhr gesendet.
                                              UKW 92,4 | Kabel 95,35
MANZE Widmann Martin Helmchen Klavier Yeree Suh Sopran
Zu den Werken                                4                                                                                                                                              5                          Zu den Werken

                                                                                                                     gramm aber wollte er mit einem aktuellen, auf Beethoven bezogenen           Auch in rhythmischer Hinsicht gehe ich
                                                                                                                     Vorspruch beginnen. Jörg Widmanns Werk eröffnete einen Abend mit            auf die Musiksprache Beethovens ein. So
                                                                                                                                                                                                 verwende ich zum Beispiel dessen Prinzip,
                                                                                                                     der Siebten, der stürmischen, und der Achten, der kompakten Sympho-
                                                                                                                                                                                                 die betonte erste Zählzeit durch schroffe

                                             FEUER UND EIS                                                           nie. Auf beide nahm Widmann Bezug.                                          Akzente auf unbetonten Zählzeiten aus-
                                                                                                                                                                                                 zuhebeln. In puncto Harmonik ist die Be-
                                                                                                                     »Con brio« (mit Lebhaftigkeit) ist eine typisch Beethoven’sche Tempo-       zugnahme auf die Symphonien Nr. 7 und
                                                     von Habakuk Traber                                              und Ausdrucksbezeichnung, das Sinnbild für den Elan, für das innere         8 ebenfalls gegeben. Ich nehme ihre Ton-
                                                                                                                                                                                                 arten (A und F), um mit der Terzverwandt-
                                                                                                                     Feuer seiner Musik; auch das Finale der Siebten und der Kopfsatz der
                                                                                                                                                                                                 schaft ›f-a‹ zu spielen. Es kommen durch-
                                                                                                                     Achten sind so überschrieben. Motivische und gestische Reminiszenzen,       aus Dur- und Molldreiklänge vor, aber
                                                                                                                     charakteristische Instrumentalfarben aus Beethovens Werken klingen          nicht als sentimentale Reverenzen an die
                                                                                                                     in Widmanns Komposition hinein und formen Ansatzpunkte für deren            Tonalität. […] Und schließlich beziehe ich
                                                                                                                                                                                                 mich auf seine – wir würden aus heutiger
                                                                                                                     musikalischen Lauf durch die Zeit, aber nichts ist wörtlich zitiert. Es
                                                                                                                                                                                                 Sichtweise das Adjektiv »postmoderne«
                                                                                                                     bleibt bei Andeutungen und Anspielungen, auch beim elektrisierenden         voranstellen – Dekonstruktionsarbeit.
                                                                                                                     Rhythmus aus dem ersten Satz der Siebten oder den Hornmotiven.
                                                                                                                                                                                                 Jörg Widmann, 2008
                                                                                                                     Beethovens Musik erscheint nicht leibhaftig, sondern im Bilde. Ihr
                                                                                                                     Schwung wirkt nicht ununterbrochen in einem fort, er wird immer wie-
                                                                                                                     der aufgehalten, ruhige Reflexionszonen blenden sich dazwischen wie
                                                                                                                     kurze Wechsel in der Kameraeinstellung beim Film. Das Repertoire des-
                                                                                                                     sen, was man tradierten Instrumenten auf der Konzertbühne an Tönen
                                                                                                                     und Geräuschen entlockt, hat sich seit Beethovens Zeit deutlich erwei-
                                                                                                                     tert. Jörg Widmann, immer auf neue Erfahrung bedacht, macht davon
                                                                                                                     regen Gebrauch. Im heutigen Programm geht seine Konzertouvertüre
                                                                                                                     Beethovens Drittem Klavierkonzert voran. Dessen erster Satz trägt die
                                                                                                                     Tempobezeichnung »Allegro con brio«.

                                                                                                                     Beethovens c-Moll-Konzert                                                   —––
                                                                                                                     »Allegro con brio« ist der Kopfsatz des c-Moll-Konzerts überschrieben.      Ludwig van Beethoven
                                                                                                                     Doch er gibt seine Energien nicht sofort preis. Leise beginnt er, wie aus   Klavierkonzert Nr. 3
                                                                                                                     der Ferne. Das Thema ist ein Prototyp: Dreiklang auf-, Tonleiter ab-        Besetzung
                                       —––   In seiner Konzertouvertüre ›Con brio‹ übt sich Jörg Widmann in der      wärts. Beethoven erweitert die in sich geschlossene Figur um einen An-      Klavier solo
                        Jörg Widmann         Kunst, ein Maximum der künstlerischen Idee mit reduzierten Mitteln      hang, ein typisches Paukenmotiv. Doch die Pauken spielen es zunächst        2 Flöten, 2 Oboen, 2 Klarinetten,
                             ›Con brio‹                                                                                                                                                          2 Fagotte, 2 Hörner, 2 Trompeten,
                                             zu verwirklichen. Er verlangt keinen instrumentalen Riesenapparat,      nicht selbst. Sie übernehmen es erst als Verstärkung des gesamten Or-
                                                                                                                                                                                                 Pauken, Streicher
                        Besetzung            sondern ein Orchester der kleineren Beethoven-Besetzung. Energie und    chesters vor dem Einsatz des Klaviers und dann nach dessen Kadenz als
      2 Flöten (beide auch Piccolo),         Elan des Werkes greifen Beethovens Vorbild auf: rhythmische Figuren     konzertante Partner des Solisten. Dieser motivische Rest eines Marsches
 2 Oboen, 2 Klarinetten, 2 Fagotte           wie den treibenden Reitermarschrhythmus, Hornfanfaren, die ins Offe-    – Klavierkonzerte wurden in der klassischen Ära oft mit einem »Marsch-
  (2. auch Kontrafagott), 2 Hörner,
                                             ne rufen, Tempostau vor Klangexplosionen, Risikobereitschaft in punc-   Allegro« eröffnet – spielt im ganzen ersten Satz eine teils markante,
    2 Trompeten, Pauken, Streicher
                                             to Geschwindigkeit, Mut zu Abbrüchen und jähem Umschalten. Aber         teils untergründige Rolle; er wirkt als dramatischer Protagonist. Seine
                                             das Stück ist durch und durch Jörg Widmann, und Widmann heißt: mit      Kontrahenten sind der imaginäre Gesang und die Farbe als Klangqua-
                                             den Möglichkeiten des Orchesters zu spielen wie auf einem Instrument;   lität. Gesanglich fasst Beethoven das zweite Thema in deutlichem Kon-
                                             bedeutet Klangsinn im Großen wie im Kleinsten, Raumsuggestion als       trast zum ersten; die Dur-Moll-Schattierungen und die Tonartwande-
                                             unmittelbare Wirkung und als Öffnung zur Geschichte, Formbewusst-       rungen, die es auszeichnen, erheben die Färbung der musikalischen
                                             sein eines geborenen Musiktheatermenschen. Alles ist genauestens        Gestalt zu thematischer Bedeutung. Die Instrumentierung bleibt dem
                                             durchgehört. ›Con brio‹ schrieb der gebürtige Münchener für das Sym-    musikalischen Gedanken gegenüber nicht äußerlich, beide sind eins.
                                             phonieorchester des Bayerischen Rundfunks. Mariss Jansons, der Chef-
Bild oben: Die ›Terra Nova‹ im Packeis vor
der Antarktis. Filmstill aus ›Scott of the   dirigent, plante für 2007 und 2008 einen Beethovenzyklus, innerhalb     Angelegt war dies schon im Dialog zwischen Streichern und Bläsern zu
Antarctic‹.                                  dessen alle neun Symphonien aufgeführt werden sollten; jedes Pro-       Anfang; weiter ausgeführt wird es mit dem langsamen Satz. In der Ton-
MANZE Widmann Martin Helmchen Klavier Yeree Suh Sopran
Zu den Werken                                 6                                                                                                                                                   7                           Zu den Werken

                                              art entrückt ihn Beethoven gegenüber den Rahmenstücken. Die struk-
                                              turelle Nähe der Grundakkorde trotz farblicher Verschiedenheit nutzt
                                              er für den Übergang vom mittleren in den letzten Satz. Dessen Beginn
Beethovens Drittes Klavierkonzert ist sein    könnte noch der Tonart des Largo angehören, in Wirklichkeit eröffnet
einziges in Moll. Umso erstaunlicher er-      und definiert er jedoch diejenige des Finales. Das schließt, ganz nach
scheint seine Nähe zu Mozart. Tatsächlich
                                              damaligem Brauch, mit einem sehr schnellen Teil, der nach C-Dur auf-
wissen wir, dass er außer der ›Zauberflöte‹
nichts so hoch geschätzt hat wie dessen       gehellt wird. Der Charakter dieses Presto-Abschnitts kommt jedoch un-
beide Moll-Konzerte. Das d-Moll-Konzert       ter veränderten Vorzeichen auf den Anfang des Werkes zurück. Beet-
hat er wiederholt gespielt und zum ersten     hoven wählt die Gangart eines Marsches, des Geschwindmarsches. Er
und letzten Satz sogar eigene Kadenzen        erreicht damit zweierlei: durch den Typus eine Anknüpfung an den
komponiert. Das eigene c-Moll-Konzert ist
                                              Beginn des Klavierkonzerts und damit eine geschlossene Form, durch
gleichsam als die Summe dieser Beziehun-
gen zu betrachten.                            die Wandlung in die schnellste Ausprägung des Genres aber einen Hin-
                                              weis darauf, dass inzwischen musikalisch viel geschehen ist. Er rundet
Harry Goldschmidt, 1975
                                              ein Werk und krönt eine Entwicklung, »Freiheit, Weitergehen, ist«, so
                                              Beethoven, »in der Kunstwelt, wie in der ganzen großen Schöpfung                                                                                         Robert Scott und seine Frau Kathleen vor
                                              Zweck.«                                                                                                                                                  der Büste, die sie von ihm schuf. Filmstill
                                                                                                                                                                                                       aus ›Scott of the Antarctic‹.
                                              Dass Beethoven dem Orchester weit höhere Ereignisanteile überant-
                                              wortet als im Durchschnitt damaliger Klavierkonzerte, schmälert die         ten. Vielleicht wird eines Tages ein Film geschaffen, der auf der Musik      —––
                                              Rolle des Solisten nicht, sondern fordert sie entsprechend dem Ideal des    aufbaut. Die Musik wird zuerst geschrieben, und der Film wird dann           Ralph Vaughan Williams
                                              bürgerlichen Individuums heraus, dessen Freiheit sich in der Verant-        gestaltet, um sie zu begleiten.« Eine schöne Utopie. Sie wurde nur in        ›Sinfonia Antartica‹
                                              wortung für das Ganze realisiert. Der Virtuosität gewinnt Beethoven in      Ansätzen verwirklicht – in den abstrakten Filmen Walter Ruttmanns            Besetzung
                                              den drei Sätzen unterschiedliche Aspekte ab. Im Kopfsatz bezieht sie        (ab 1921), mit dem Anfang von Fjodor Ozeps ›Der Mörder Dimitri               Piccolo (auch 3. Flöte),
                                              ihre Energien aus dem Anlauf zum Thema, der nichts anderes als die          Karamasow‹ (1931), der auf die Musik von Karol Rathaus geschnitten           2 Flöten, 2 Oboen, Englischhorn,
                                                                                                                                                                                                       2 Klarinetten, Bassklarinette,
                                              Übersetzung eines Paukenwirbels in die Sprache des Klaviers darstellt.      wurde, – und ein wenig mit dem siebten Film, für den Vaughan Williams
                                                                                                                                                                                                       2 Fagotte, Kontrafagott, 4 Hörner,
                                              Die Figurationen des langsamen Satzes wären als Umspielungen miss-          die Musik schrieb.                                                           3 Trompeten, 3 Posaunen, Tuba,
                                              verstanden; sie aktivieren die Ästhetik des Belcanto für das Klavier, sie                                                                                Pauken, Schlagwerk (Triangel,
                                              dienen der Intensivierung des Ausdrucks. Im Finale verbindet sich die       ›Scott of the Antarctic‹ hat ein britisches Idol zum Thema: Captain          Becken, Hängendes Becken, Kleine
Ludwig van Beethoven, Gemälde von
                                              pianistische Brillanz mit der Elementarkraft des Rhythmischen; auch         Robert Falcon Scott und die Antarktis-Expedition, mit der er 1910 bis        Trommel, Mittlere Trommel, Große
Christian Hornemann, 1803
                                              dadurch erscheint der Geschwindmarsch als Abschluss logisch moti-           1912 als erster Mensch zum Südpol vordringen wollte. Es war nicht            Trommel, Gong, 2 tiefe Glocken,
                                                                                                                                                                                                       Glockenspiel, Xylophon, Vibraphon,
                                              viert. Kompositorisch bewegt sich das c-Moll-Konzert auf der Bedeu-         seine erste Abenteuerreise zum eisigen Kontinent; bereits 1901 bis           Windmaschine), Celesta, Harfe,
                                              tungshöhe der Symphonien. Dafür spricht die Tatsache, dass Beethoven        1904 war er dort und wurde überwältigt von dessen »mysteriöser Aura          Klavier, Orgel
                                              das Anfangsthema, nach Dur gewendet, als Finalgedanken der Fünften          trotz aller Unwirtlichkeit« (Arne Stollberg). Sein einstiger Begleiter Er-   Sopran solo
                                              wählte. Der musikalischen Form nach wahrte er Grenzen und Unter-            nest Shackleton hatte sich 1908|1909 dem Pol bis auf 180 km genä-            Kleiner Frauenchor
                                              schiede zwischen den Gattungen. Mit seinen musikalischen Botschaften        hert; Scott wollte jetzt den ganzen Erfolg. Er erreichte mit seinen Leu-     Streicher
                                              überschritt er sie.                                                         ten tatsächlich den Achsenpunkt der Erde, aber der Norweger Roald            Tobias Berndt Orgel
                                                                                                                          Amundsen war ihm um fünf Wochen zuvorgekommen. Auf dem Rück-                 Holger Groschopp Klavier
                                              Die Antarktische: Vaughan Williams’ Siebte Symphonie                        weg zu ihrem Schiff ›Terra Nova‹ starben die letzten drei Mitglieder der     Majella Stockhausen-Riegelbauer
                                                                                                                                                                                                       Celesta
                                              Der britische Komponist Ralph Vaughan Williams äußerte sich im Laufe        Crew, Scott eingeschlossen, Ende März 1912 ungefähr elf Meilen vor
                                              seines langen kreativen Lebens in allen musikalischen Gattungen, auch       dem rettenden Lager. Scott hatte den Wettlauf gegen seinen norwegi-
                                              im neuen Genre des Tonfilms. Als dieser aufkam, ging der Komponist          schen Konkurrenten zwar verloren, aber er hatte sein Ziel unbeirrt ver-
                                              auf die 60 zu. Er setzte große Hoffnungen in das neue Medium; nach          folgt; er hatte gekämpft und alles gegeben, sogar sein Leben. Das machte
                                              seiner Überzeugung bot es »Potenziale für die Zusammenführung aller         ihn in den Augen seiner Landsleute zum Helden. Die Expedition fand
                                              Künste, wie Wagner sich das erträumte. Die Künste müssen von der            immerhin in einer Zeit statt, in welcher der Nationalismus florierte.
                                              ersten Idee an zusammengebracht werden. Drehbuchautor, Regisseur,           Scott wurde nach dem Ersten Weltkrieg verehrt und verklärt wie ein
                                              Kameramann und Komponist sollten von Anfang an zusammenarbei-               General, der fürs Vaterland starb.
MANZE Widmann Martin Helmchen Klavier Yeree Suh Sopran
Zu den Werken                                8                                                                                                                                                 9                          Zu den Werken

                                             Diesem Tenor folgte auch der Film, den die Ealing Studios 1946 projek-
                                             tierten. Ernest Irving, ihr Musikdirektor, benötigte nach eigenen Wor-
                                             ten »weniger als 50 Sekunden, um zu entscheiden, wen er für die Musik
                                             vorschlagen sollte: Ralph Vaughan Williams.« Der nahm an, aber unter
                                             klaren Voraussetzungen: »Ich habe sehr bestimmte Vorstellungen, und
                                             wenn sie mit denjenigen des Regisseurs in puncto Musik nicht überein-
                                             stimmen, kann es schwierig werden.« Er begann mit Entwürfen noch
Als Ralph die Anfrage von Ernest Irving      vor dem Start der Dreharbeiten und ehe ihm das Skript vorlag. Am Ende
erhielt, Musik zu einem Film über Scotts     wurde nur knapp die Hälfte der Musik verwendet, die er geschrieben
Expedition zum Südpol zu schreiben,
                                             hatte, aber der Schnitt der Anfangssequenz mit statischen Antarktis-
zögerte er zunächst. Doch die Idee der
fremden Welt von Eis und Stürmen
                                             bildern wurde seiner Komposition angepasst. – »Bereits während seiner
begann ihn zu faszinieren. Die Studios       Arbeit an der Filmmusik erkannte Vaughan Williams, dass er etwas
versorgten ihn mit Büchern, durch die er     Dauerhafteres aus ihr machen wollte, etwas Gewichtigeres als nur eine
sich einlesen konnte. Bilder der Scott-      Suite, wie er sie aus den Kompositionen zu ›Costal Command‹ oder ›The
Expedition lagen im Haus herum, und die
                                             Story of a Flemish Farm‹ zusammengestellt hatte.« (Jonathan Pearson)
Arbeit konnte beginnen. Ralph erregte
sich mehr und mehr über Kompetenz-
                                             Im Juni 1949, ein gutes halbes Jahr nach der Premiere von ›Scott of the
mängel bei der Organisation; er verachtete   Antarctic‹, bat er Irving um Rückgabe von Partitur und Skizzen, weil er
einen Heroismus, der unnötig Leben aufs      eine ›Sinfonia Antarctica‹ plane (so schrieb er den Titel zunächst; erst
Spiel setzte. […] Er wetterte gegen die      später ließ er sich von Freunden zur konsequent italienischen Schreib-
dilettantische Organisation der letzten
                                             weise bewegen und strich das »c« in der Mitte von »Antarctica«). Die
Stadien der Expedition.
                                             Arbeit ging ihm zunächst nicht leicht von der Hand; er wollte nicht        Der Film zeigt in einem relativ frühen Stadium Scott und seine Frau         Scott und seine Mannschaft auf dem
Ursula Vaughan Williams, 1964                                                                                                                                                                       Weg zum Südpol. Filmstill aus ›Scott of
                                             einfach Teile der Filmmusik aneinander montieren, sondern das Mate-        Kathleen, eine Bildhauerin, die eine Büste von ihm anfertigt. Sie sagt zu
                                                                                                                                                                                                    the Antarctic‹.
                                             rial einem symphonischen Prozess aussetzen. Die Siebte ist keine Kurz-     ihm: »Du kennst die Antarktis länger als mich. Ich wusste, dass du zu
                                             fassung des Films ohne Bilder: Was sich unter dem großen Bogen vom         ihr zurückkehren würdest. Und ich bin nicht wenig eifersüchtig.« Die
                                             musikalischen Anfang bis zu dessen Wiederkehr am Ende zuträgt, unter-      libidinöse Faszination und der Reiz, den die Natur und ihre stummen         Die Literaturzitate, die Vaughan
                                                                                                                                                                                                    Williams den fünf Sätzen der
                                             scheidet sich im Film und in der Symphonie deutlich.                       Sphinxe, die Gebirgs- und Eismassive, ausübten, bilden im Film eine
                                                                                                                                                                                                    Symphonie voranstellte:
                                                                                                                        Kraft zusätzlich zum patriotischen Heroismus, unter dem Scott und sei-
                                             Vaughan Williams gliederte seine Siebte in fünf Sätze; das entspricht      ne Expedition allgemein rezipiert wurde.                                    I. Prelude
                                                                                                                                                                                                    Zu tragen Leid, das ihr unendlich meint,
                                             nicht gängiger Norm, fällt aber auch nicht gänzlich aus der Tradition
                                                                                                                                                                                                    Der Macht zu trotzen, die allmächtig
                                             insbesondere von Pastoralsymphonien. Den ersten und letzten Satz be-       Mehr als die Hälfte des ersten Symphoniesatzes nehmen zwei Themen-          scheint,
                                             zeichnete er als Prelude und Epilogue, als Vorspiel und Nachwort, ob-      komplexe ein, die durch eine deutliche Zäsur voneinander getrennt           Unrecht verzeih'n, das schwarz wie Tod
                                             wohl sie nach Länge und Gewicht zusammen mit dem mittleren, langsa-        sind. Der erste eröffnet das Werk in ruhigem Tempo; leise beginnt er        und Nacht,
                                             men die Säulen des Werkes bilden. Zwischen ihnen stehen zwei kürzere       und erhebt sich nach und nach zu beeindruckender Majestät. Sein             Nicht straucheln, schwanken, nicht der
                                                                                                                                                                                                    Reue Macht
                                             Scherzi wie Seitenblicke oder Passagen; das zweite nannte er ein Inter-    Hauptmotiv, das in verschiedenen Stimmen immer wieder neu ansetzt,
                                                                                                                                                                                                    In müß’ger Tränenflut den Nacken
                                             mezzo. Jedem der fünf Sätze stellte Vaughan Williams ein Motto in          zeigt einen unwiderstehlichen Drang nach oben; die Akkordfolgen, die        biegen, –
                                             Worten voran; die ersten vier entstammen englischer Dichtkunst aus         es stützen, sind aus zwei Tonarten ineinander montiert und entziehen        Dies heißt allein
                                             mehreren Epochen, das fünfte (zum Epilogue) zitiert aus der ›Message       sich dadurch einer eindeutigen tonalen Schwerkraft: »Heroismus« steht       Gut, groß und frei und schön und freudig
                                                                                                                                                                                                    sein,
                                             to the Public‹, die mit Scotts letztem Tagebuch gefunden wurde. Die li-    in Vaughan Williams’ Skizzen. Im zweiten Thema wird in eine schim-
                                                                                                                                                                                                    Ja dies allein heißt leben, herrschen,
                                             terarischen Extrakte ziehen die Musik ein Stück weit von der konkre-       mernde Klangfläche eine fallende Melodie eingezeichnet, die beständig       siegen!
                                             ten Scott-Geschichte weg, stellen sie unter einen historisch und ideell    neu in der Höhe ansetzt; erst wird sie von Streichern und Holzbläsern
                                                                                                                                                                                                    Percy Shelley, ›Prometheus Unbound‹
                                             weiteren Horizont; sie steuern eine allgemeine Ebene an, vergegenwär-      eingeführt, dann vom Solosopran in einem betörenden Gesang ohne
                                             tigen und hinterfragen Elementares: menschliche Größe, Liebe, über-        Worte, unterlegt von einer Pendelbewegung des Frauenchors, über-            II. Scherzo
                                             wältigende Natur, die sich spielerisch und verlockend, aber auch ge-       nommen. Es ist die Stimme der mythischen Sirenen, deren Verlockungen        Daselbst gehen die Schiffe;
                                             fährlich, mächtig, verschlingend zeigt; das Verhältnis von Leben und       Odysseus der Sage zufolge nur dadurch entkam, dass er sich selbst am        da sind Walfische, die du gemacht hast,
                                                                                                                                                                                                    dass sie darin spielen.
Ralph Vaughan Williams                       Starre – die Skulpturen von Eismassen und Bergen, ihre Majestät, ihre      Schiffsmast festbinden ließ und seinen Seeleuten die Ohren mit Wachs
                                             Abgründe; aber auch Skulpturen, in die Menschen einander bannen.           verstopfte. Ihre kantable Verführung hatte Claude Debussy einst in seinen   Psalm 104, 26
MANZE Widmann Martin Helmchen Klavier Yeree Suh Sopran
Zu den Werken                                  10                                                                                                                                               11                          Zu den Werken

III. ›Landscape‹                               ›Nocturnes‹ ebenfalls durch textlosen Gesang als Erweiterung des Or-
Ihr Eisfälle! Die ihr von des Berges Braue     chesters ausgedrückt. Vaughan Williams sprach vom »Natur«- und vom
In abgründige Schluchten euch ergießt,
                                               »Sirenenthema«. Es mündet in den heulenden Sound der Windmaschine.
Tosende Wasser, die eine mächtige Stimme
Urplötzlich erstarren ließ im wildesten
Sturz.                                         So führen die ersten sechs Minuten der Symphonie beides vor: das Im-
Reglose Donnerbäche! Stumme Katarakte!         posante, das sich allmählich zu ganzer Macht aufbaut wie beim Blick
Samuel Taylor Coleridge,                       auf ein Gebirgsmassiv oder wie im Heroismus, der aus der Herausforde-
›Sonnenaufgang bei Chamonix‹                   rung erst erwächst; und der Zauber der Verlockung, der zwar changiert,
                                               aber ein Zustand bleibt. Heroismus und Erotik, Kampf und Verführung,
IV. Intermezzo
                                               Liebe und Tod treffen als Elixiere eines Lebens aufeinander, das im Un-
Liebe kennt keine Jahreszeit: sie bleibt – ,
Noch Mond, Tag, Stunden – bloße Fetzen
                                               erfüllten seine Größe gewinnt. Beide Sphären durchdringen sich musi-
Zeit.                                          kalisch, ohne ihre Kenntlichkeit zu verlieren. Signale tragen als Zeichen
                                               des Aufbruchs – zum Kampf, zum Abenteuer, ins Unbekannte, zum Tri-
John Donne, ›Der Sonnenaufgang‹
                                               umph- oder zum Gedenkzug? – ein Moment von Realismus herein. Eine
                                                                                                                                                                                                      Oates, von Erfrierungen gezeichnet,
V. Epilogue                                    Passage, in der gemeißelte Akkorde und tiefe Glockenschläge die Erin-
                                                                                                                                                                                                      entschließt sich, das Zelt zu verlassen
Ich bedaure diese Reise nicht; wir gingen      nerung an das erste Thema vertreiben und den Sirenengesang wie aus                                                                                     und in den Schneesturm hinauszugehen.
Risiken ein, wir wussten, dass wir sie ein-
                                               der Ferne herübertönen lassen, »im Film für das Bedrohliche vorge-                                                                                     Filmstill aus ›Scott of the Antarctic‹.
gingen, die Dinge haben sich gegen uns
gewandt, deshalb haben wir keinen Grund
                                               sehen« (Vaughan Williams), findet sich im vierten und fünften Satz
zur Klage.                                     wieder. So sind verschiedene Symphoniestadien wie in einem Erzählzu-        Im Film sollte er die Sequenz begleiten, in der Oriana Wilson nach der
                                               sammenhang miteinander verklammert.                                         Zusage ihres Mannes, an der Expedition teilzunehmen, Scott »mit einer
Robert Falcon Scott, ›Message to the
Public‹                                                                                                                    Mischung aus Melancholie und Hass« (Arne Stollberg) anblickt. Das Inter-
                                               Für den zweiten Satz, das Scherzo, zog Vaughan Williams Entwürfe            mezzo enthält außerdem die Musik, mit der Oates, schon schwer ange-
                                               heran, die er im Film für das Spiel der Wale und den Tanz der Pinguine      schlagen, aus dem Zelt in den Schneesturm hinausgeht und den Tod
                                               vorgesehen hatte. Diese beschreibende Musik – die einzige ihrer Art in      sucht – vordergründig um den anderen nicht zur Last zu fallen. Liebe,      Die ›Sinfonia Antartica‹ ist eine Pro-
                                               der Scott-Partitur – steht gleichrangig neben scherzosen Meeres- und        Tod und ihre Verschränkung sind das emotionale Thema dieses Satzes:        grammsymphonie in der Linie von Liszts
                                                                                                                                                                                                      ›Dante‹-, Tschaikowskys ›Manfred‹- und
                                               Wassermusiken eines Max Reger, Ottorino Respighi oder Alexander             die Liebe der Frauen und zu den Frauen, die zurückgelassen wurden, die
                                                                                                                                                                                                      Rimsky-Korsakows ›Antar‹-Symphonie;
                                               Zemlinsky. – Der dritte Satz, eine »Rhapsody in Iceblue« (Michael Ken-      Nächstenliebe, die andere schont – und jene Verlockung, die von den        aber sie bezieht ein unverwechselbares
                                               nedy) trägt als einziger einen programmatischen Titel: ›Landscape‹          Sirenen ausgeht und in den tödlichen Sturm umschlagen kann. – Der          Merkmal des 20. Jahrhunderts mit ein,
                                               meint die gewaltige Eislandschaft der Antarktis. Der Anfang ist moti-       Epilog beginnt marschmäßig mit Fanfaren, als sollte es zur Heldenfeier     indem sie die im 19. Jahrhundert übliche
                                               visch aus Ingredienzien des Heroismus- und des Naturthemas gemischt.        gehen. Aber der Heroismus zeigt Risse in Melos, Harmonik und Ent-          Verbindung zur Literatur durch eine Bezie-
                                                                                                                                                                                                      hung zum Film ersetzt. […] Das Satz-
                                               Zweimal erhebt sich ruhig-mächtig eine Passage, deren Klangcharakte-        wicklung. Der Ansatz zum triumphalen Finale scheitert nach und nach.
                                                                                                                                                                                                      schema der ›Sinfonia‹ wird durch zwei
                                               ristik vom Intervall des Tritonus, dem »Diabolus in musica«, ausgeht. Im    Der Anfang der Symphonie wird heraufbeschworen. Sie endet mit der          Mittel ausbalanciert: Das Werk als Ganzes
                                               Film begleitet diese Musik den Aufstieg auf den Beardmore-Gletscher,        Stimme der Sirenen, grundiert von Streichern, einem dunklen Pauken-        wird von der »Heroismusmusik« gerahmt,
                                               über den Scott und seine Leute die antarktische Hochfläche erreichten.      wirbel und der Windmaschine.                                               wohl die offenkundigste Bindung an den
                                               Das Motto, das Vaughan Williams seinem mittleren Symphoniesatz vor-                                                                                    Film; und eine Anzahl von Schlüssel-
                                                                                                                                                                                                      motiven erscheint an bedeutsamen Stellen
                                               anstellte, stammt aus einem Gedicht von Samuel Taylor Coleridge, das        Die symphonische Qualität der Siebten wurde kontrovers diskutiert.
                                                                                                                                                                                                      wieder und schafft so, wenn nicht einen
                                               seinerseits auf Verse von Friederike Bruns zurückgeht und seine Quelle      Man sollte bei ihrer Beurteilung jedoch eines nicht vergessen: Als Pro-    weitreichenden Zusammenhang, dann
                                               im biblischen Buch Hiob hat (Kap. 38, V. 29 und 30); es bezieht sich auf    grammsymphonie, die sich mit dem Verhältnis von Mensch, Natur und          wenigstens eine erzählerische Kontinuität.
                                               das Mont-Blanc-Massiv in den Alpen. Die Orgel gibt dieser imposanten        Landschaft befasst, steht sie in der Tradition der Pastoralsymphonien,     Julian Horton, 2013
                                               Episode mit der klanglichen auch einen Abglanz göttlicher Majestät –        die im Vergleich zu Symphonien ohne ausdrückliches Programm immer
                                               ganz im Sinne Hiobs; zu William Blakes Illustrationen dieses Bibelbuchs     – auch bei Beethoven – relativ lose gefügt waren. Vaughan Williams
›Scott of the Antarctic‹, Filmplakat           hatte Vaughan Williams 1927 bis 1930 eine Ballettmusik komponiert.          schrieb zwei Pastoralen. Seine Dritte nannte er so; in ihr beschäftigte
                                                                                                                           ihn die Landschaft, die vom Krieg gezeichnet ist; er arbeitete sie nach
                                               Den vierten Satz bestimmt die Atmosphäre des Erinnerns. Der Kompo-          dem Ersten Weltkrieg aus. Die zweite, die ›Antartica‹ wurde nach dem
                                               nist lässt den pastoralen Stil früherer Werke anklingen. Der Oboen-         Zweiten Weltkrieg komponiert. Auch in ihr wird das Naturverhältnis
                                               gesang am Anfang gemahnt an das Eröffnungsthema der Symphonie.              aus dem Blickwinkel der menschlichen Tragödie thematisiert.
MANZE Widmann Martin Helmchen Klavier Yeree Suh Sopran
Die Künstler   12                                                                                                                                             13    Die Künstler

               —––
               Die Künstler

               ANDREW MANZE                                                               Der RUNDFUNKCHOR BERLIN
               wandte sich nach dem Studium der Altphilologie und einer Karriere als      zählt mit rund 60 Konzerten jährlich, CD-Einspielungen und Gastauf-
               Geiger in den 1990er-Jahren dem Dirigieren zu, wurde 1996 stellver-        tritten bei internationalen Festivals zu den herausragenden Chören der
               tretender Direktor der Academy of Ancient Music, von 2003 bis 2007         Welt. Drei Grammy Awards stehen für die Qualität seiner Aufnahmen.
               leitete er das English Concert. Engagements bei klassischen Symphonie-     Er ist Partner bedeutender Orchester und Dirigenten. In Berlin besteht
               orchestern führten zu seinen Positionen als Erster Gastdirigent des Nor-   eine intensive Zusammenarbeit mit den Berliner Philharmonikern, mit
               wegischen Radio-Symphonieorchesters (2008 bis 2011) und als Asso-          dem Deutschen Symphonie-Orchester Berlin und dem Rundfunk-Sinfo-
               ciate Guest Conductor des BBC Scottish Symphony Orchestra (2010 bis        nieorchester Berlin und ihren Chefdirigenten. Internationales Aufsehen
               2014). Seit 2014 ist er Chefdirigent der NDR Radiophilharmonie, seit       erregt das Ensemble auch mit seinen interdisziplinären Projekten, wie
               2018 Erster Gastdirigent beim Royal Liverpool Symphony Orchestra.          der szenischen Umsetzung des Brahms-Requiems und der Konzert-
               Regelmäßig arbeitet er mit führenden Orchestern Europas und der USA.       performance ›LUTHER dancing with the gods‹ in der Regie von Robert
               2011 wurde ihm in Stockholm der Rolf-Schock-Preis verliehen. Im            Wilson. Mit seinen Mitsingformaten und der Bildungsinitiative SING!
               April 2016 wurde er für seine Verdienste mit dem Titel des UNESCO-         möchte der Chor möglichst viele Menschen zum Singen bewegen. Seit
               Botschafters geehrt. Das DSO dirigiert er seit 1999 regelmäßig.            seiner Gründung 1925 wurde der Rundfunkchor Berlin von Dirigenten
                                                                                          wie Helmut Koch, Dietrich Knothe, Robin Gritton und Simon Halsey
               MARTIN HELMCHEN                                                            geprägt. – Gijs Leenaars ist seit der Saison 2015|2016 Chefdirigent des
               konzertierte zuletzt im Mai 2019 beim DSO mit Beethovens Viertem           Spitzenklangkörpers. Der Niederländer wirkte zuvor in gleicher Funk-
               Klavierkonzert. Er studierte in seiner Heimatstadt Berlin und in Hanno-    tion beim Niederländischen Rundfunkchor. Leenars ist regelmäßiger
               ver, zu seinen Mentoren gehört Alfred Brendel. 2001 gewann er den          Gastdirigent führender Vokalensembles und arbeitete mit Orchestern
               Haskil-Wettbewerb, 2006 ermöglichte ihm der Credit Suisse Young Ar-        wie dem Rotterdams Philharmonisch Orkest, dem Residentie Orkest
               tist Award das Debüt mit den Wiener Philharmonikern in Luzern. Seit-       Den Haag und dem Orchestra Filarmonica di Torino.
               her trat er mit namhaften Orchestern in Europa, den USA und Japan
               unter renommierten Dirigenten wie Herbert Blomstedt, Sir Roger Nor-        Das DEUTSCHE SYMPHONIE-ORCHESTER BERLIN
               rington, Andris Nelsons und David Zinman auf und gastiert regelmäßig       hat sich in den über 70 Jahren seines Bestehens durch seine Stilsicher-
               bei den großen Festivals weltweit. Eine enge Verbindung pflegt er zur      heit, sein Engagement für Gegenwartsmusik sowie seine CD- und Rund-
               Schubertiade. Seit 2010 ist er Associate Professor für Kammermusik an      funkproduktionen einen exzellenten Ruf erworben. Gegründet 1946
               der Kronberg Academy. Seine Diskografie umfasst Klavierkonzerte von        als RIAS-Symphonie-Orchester, wurde es 1956 in Radio-Symphonie-
               Mozart, Schumann, Dvořák, Mendelssohn und Schostakowitsch, zudem           Orchester Berlin umbenannt. Seinen heutigen Namen trägt es seit 1993.
               Solowerke und Kammermusik von Schubert, Schumann und Brahms.               Ferenc Fricsay definierte als erster Chefdirigent Maßstäbe im Reper-
                                                                                          toire, im Klangideal und in der Medienpräsenz. 1964 übernahm der junge
               YEREE SUH                                                                  Lorin Maazel die künstlerische Verantwortung. 1982 folgte Riccardo
               ist auf der Opern- und Konzertbühne gleichermaßen zuhause. Sie ar-         Chailly, 1989 Vladimir Ashkenazy und 2000 Kent Nagano, der dem
               beitet regelmäßig mit Dirigenten und Ensembles historisch informierter     Orchester seit seinem Abschied 2006 als Ehrendirigent verbunden ist.
               Aufführungspraxis, ebenso mit Ensembles für neue Musik und mit re-         Von 2007 bis 2010 setzte Ingo Metzmacher mit konsequentem Einsatz
               nommierten Konzertorchestern in Europa, den USA und Asien zusam-           für die Musik des 20. und 21. Jahrhunderts Akzente im hauptstäd-
               men. Ihr entschiedenes Engagement für die Musik der Gegenwart do-          tischen Konzertleben; von 2012 bis 2016 legte Tugan Sokhiev einen
               kumentieren zahlreiche Uraufführungen, darunter Matthias Pintschers        Schwerpunkt auf französisches und russisches Repertoire. Seit Sep-
               ›with lilies white‹ durch das DSO unter Kent Nagano und Beat Furrers       tember 2017 ist Robin Ticciati Chefdirigent und Künstlerischer Leiter.
               ›Spazio immergente III‹ im Mai 2019 in der Hamburger Elbphilharmonie       Neben seinen Konzerten in Berlin ist das Orchester mit zahlreichen
               mit dem Ensemble Resonanz unter Peter Rundel. Beim DSO gastierte           Gastspielen und vielfach ausgezeichneten CD-Einspielungen im inter-
               die Sopranistin zuletzt 2015 in Schönbergs ›Jakobsleiter‹ unter Ingo       nationalen Musikleben präsent. Das Deutsche Symphonie-Orchester
               Metzmacher. Yeree Suh studierte in Seoul, Berlin (Universität der          Berlin ist wie der Rundfunkchor Berlin ein Ensemble der Rundfunk
               Künste), Leipzig und an der Schola Cantorum Basiliensis.                   Orchester und Chöre GmbH.
MANZE Widmann Martin Helmchen Klavier Yeree Suh Sopran
DSO intern                        14

                             Aktuelles vom DSO
                                                        nächstes Programm. In der Münchner Philharmonie
                                                        am 28. Februar und in Berlin am 1. März kann sich
                                                        das Publikum auf zwei Werke des Kernrepertoires
                                                        freuen: Schumanns Dritte und Brahms’ Erste Sym-
                                                        phonie. Während Brahms viele Jahre an seinem
                                                        meisterhaften Gattungsdebüt arbeitete, entwarf
                                                        Schumann seine Dritte Symphonie wie gewohnt in
                                                        kürzester Zeit. Seinen Beinamen ›Die Rheinische‹s
                                                        verdankt das Werk Düsseldorf, dem damaligen
                                                        Wohnort der Schumanns, sowie den fließenden und
                                                        natur-idyllischen Passagen der Komposition.

                                                        Antoine Tamestit konzertiert am 04.03.
                                                        mit dem DSO und Robin Ticciati
                                                        Dvořáks Musik und der »Horizont Amerika« bilden
                                                        Schwerpunkte in der aktuellen DSO-Spielzeit. Beide
Köln – Amsterdam – Berlin: Konzerte
                                                        stehen miteinander in Verbindung, weil Dvořák als
mit Robin Ticciati und Jan Lisiecki
                                                        erster bedeutender europäischer Komponist für ei-
DSO-Chefdirigent Robin Ticciati ist in zwei Konzer-     nige Jahre seinen Hauptwohnsitz in der neuen Welt
ten, am 20. und 21. Februar, mit einem spannungs-       aufschlug. Im 20. Jahrhundert sollten ihm eine gan-
reichen Programm in der Philharmonie zu erleben:        ze Reihe von Kollegen folgen; unter ganz anderen
Sergei Rachmaninoffs elegischer Tondichtung ›Die        Vorzeichen wurden sie doch von Faschismus und
Toteninsel‹ steht Igor Strawinskys farbenprächtige      Nationalsozialismus aus ihrer Heimat vertrieben. In
Ballettmusik des ›Feuervogels‹ gegenüber. Im Zent-      den USA entstandene Werke europäischer Exil-
rum des Abends erklingt Chopins Zweites Klavier-        komponisten präsentieren Robin Ticciati und das
konzert, für dessen hochvirtuosen Solopart der          DSO am 4. März dieses Jahres und stellen ihnen
junge Pianist Jan Lisiecki zum Orchester zurück-        Dvořáks Achte Symphonie gegenüber. Béla Bartóks
kehrt. 2015 hatte der Kanadier hier sein begeistert     Bratschenkonzert gehört zu den unbezweifelten
aufgenommenes Debüt gefeiert. Noch vor den bei-         Meisterwerken der Gattung. Der französische Aus-
den Berliner Auftritten gastieren Robin Ticciati, Jan   nahmebratschist Antoine Tamestit wird nicht nur in
Lisiecki und das DSO mit demselben Programm am          diesem so virtuosen wie lyrischen Stück, sondern
12. Februar in der Kölner Philharmonie. Am fol-         auch in Bohuslav Martinůs Rhapsodie-Konzert den
genden Tag ist dann im Concertgebouw Amsterdam          Solopart übernehmen. Zum Auftakt des Programms
anstelle von Strawinskys ›Feuervogel‹ die Neunte        ist eine Suite aus Kurt Weills Musical und Broad-
Symphonie von Dvořák zu hören.                          way-Triumph ›Lady in the Dark‹ zu erleben. Nach
                                                        wie vor ist die im Exil entstandene Musik des Kom-
Kent Nagano mit Schumann und                            ponisten in Deutschland kaum bekannt; dabei ist
Brahms in München und Berlin                            Kurt Weill wie kaum einem zweiten Künstler die
                                                        Synthese aus europäischen und amerikanischen
Ebenfalls bei einem Gastspiel und in der Berliner
                                                        Traditionen gelungen.
Philharmonie absolviert Kent Nagano, ehemaliger
Chef- und aktueller Ehrendirigent des DSO, sein         Weitere Informationen unter dso-berlin.de
MANZE Widmann Martin Helmchen Klavier Yeree Suh Sopran
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Konzertvorschau                                           KONZERTEINFÜHRUNGEN
                                                          Zu allen Symphoniekonzerten in der Philhar-
                                                          monie – mit Ausnahme der Casual Concerts –
Do 20. + Fr 21. Feb | 20 Uhr | Philharmonie               findet jeweils 50 Minuten vor Konzertbeginn
Rachmaninoff ›Die Toteninsel‹                             eine Einführung mit Habakuk Traber statt.
Chopin Klavierkonzert Nr. 2
Strawinsky ›Der Feuervogel‹ (vollständige Ballettmusik)   KAMMERKONZERTE
ROBIN TICCIATI                                            Ausführliche Programme und Besetzungen
Jan Lisiecki Klavier                                      unter dso-berlin.de/kammermusik

So 1. März | 20 Uhr | Philharmonie                        KARTEN, ABOS UND BERATUNG
Schumann Symphonie Nr. 3 ›Rheinische‹                     Besucherservice des DSO
Brahms Symphonie Nr. 1                                    Charlottenstraße 56 | 2. OG
KENT NAGANO                                               10117 Berlin | am Gendarmenmarkt
                                                          Öffnungszeiten Mo bis Fr 9 – 18 Uhr
Mi 4. März | 20 Uhr | Philharmonie                        Tel 030. 20 29 87 11 | Fax 030. 20 29 87 29
Weill Suite aus ›Lady in the Dark‹                        tickets@dso-berlin.de
Bartók Violakonzert
Martinů Rhapsodie-Konzert für Viola und Orchester
Dvořák Symphonie Nr. 8
                                                          IMPRESSUM
ROBIN TICCIATI
                                                          Deutsches Symphonie-Orchester Berlin
Antoine Tamestit Viola
                                                          in der Rundfunk Orchester und Chöre GmbH Berlin
                                                          im rbb-Fernsehzentrum
Fr 6. März | 22 Uhr | Pergamonmuseum.                     Masurenallee 16 – 20 | 14057 Berlin
Das Panorama                                              Tel 030. 20 29 87 530 | Fax 030. 20 29 87 539
20.45 Uhr Einlass | 21 Uhr Kurzführungen                  info@dso-berlin.de | dso-berlin.de
Kammerkonzert ›Notturno‹
Werke von Biber, Britten, Zelenka                         Chefdirigent Robin Ticciati
                                                          Orchesterdirektor Alexander Steinbeis
ENSEMBLE DES DSO
                                                          Orchestermanager Sebastian König
                                                          Künstlerisches Betriebsbüro
Fr 13. März | 20.30 Uhr | Villa Elisabeth
                                                          Moritz Brüggemeier, Annegret Eberl
Kammerkonzert
                                                          Orchesterbüro Konstanze Klopsch, Marion Herrscher
Werke von Byström, Martinů
                                                          Marketing Tim Bartholomäus
ENSEMBLE DES DSO                                          Presse- und Öffentlichkeitsarbeit Benjamin Dries
                                                          Musikvermittlung Lea Heinrich
So 15. März | 12 Uhr | Haus des Rundfunks                 Programmhefte | Einführungen Habakuk Traber
Kulturradio-Kinderkonzert – Open House ab 10.30 Uhr       Notenarchiv Renate Hellwig-Unruh
Bernstein Ouvertüre zu ›Candide‹                          Orchesterwarte Burkher Techel M. A.,
Brahms Allegro con brio aus der Symphonie Nr. 3           Shinnosuke Higashida, Kai Steindreischer
Tschaikowsky Scherzo. Pizzicato ostinato – Allegro
                                                          Texte | Redaktion Habakuk Traber
aus der Symphonie Nr. 4
                                                          Redaktion Benedikt von Bernstorff | Redaktionelle Mitarbeit
ANNA SKRYLEVA
                                                          Daniel Knaack | Artdirektion Preuss und Preuss GmbH
Christian Schruff Moderation
                                                          Satz Susanne Nöllgen | Fotos Alexander Gnädinger (Titel),
                                                          Frank Eidel (DSO), Benjamin Ealovega (Manze), Giorgia Bertazzi
Fr 20. März | 20 Uhr | Philharmonie                       (Helmchen), Marco Borggreve (Suh), Jonas Holthaus (Rundfunk-
Janáček ›Taras Bulba‹                                     chor Berlin), Camille Blake (Ticciati), DSO-Archiv (sonstige)
Prokofjew Violinkonzert Nr. 2                             © Deutsches Symphonie-Orchester Berlin 2020
Rachmaninoff ›Symphonische Tänze‹
                                                          Das Deutsche Symphonie-Orchester Berlin ist ein Ensemble
EDWARD GARDNER
                                                          der Rundfunk Orchester und Chöre GmbH Berlin.
James Ehnes Violine
                                                          Geschäftsführer Anselm Rose
                                                          Gesellschafter Deutschlandradio, Bundesrepublik
                                                                                                                           Preis: 2,50 ¤

                                                          Deutschland, Land Berlin, Rundfunk Berlin-Brandenburg
MANZE Widmann Martin Helmchen Klavier Yeree Suh Sopran
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