Medienentwicklungen 2019 - ZDF Medienforschung Report zu aktuellen Trends und Entwicklungen der elektronischen Medien in Deutschland
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Medienentwicklungen 2019 ZDF Medienforschung Report zu aktuellen Trends und Entwicklungen der elektronischen Medien in Deutschland
Medienentwicklungen 2019 Nicht alles, was zählt, kann gemessen werden, und nicht alles, was gemessen werden kann, zählt 3 Das Bewegtbild-Universum dehnt sich aus 5 Fiction: Erfolg in Serie 9 Hauptsache, ihr habt Spaß: Bewegtbild von den Vorschülern bis zu den Twens 13 Im Zweifel: Politisch interessiert 17 Wer sieht mich und wenn ja, wie viele? Kennzahlen unter der Lupe 23 Zuschauer besser verstehen: Mit der MedienNutzerTypologie (MNT) 27 Stream me up: Die mediale Internetnutzung steigt weiter an 31 Onlinevideo steigt - und teilt das Publikum 35 Größer als der Rest? Oder: Was macht eigentlich VoD? 41 Hinreichend? Notwendig. Predictive Analytics in der Medienforschung 43 Social Media verlagert sein Gewicht 45 Eine starke Familie: ZDF, Digital- und Partnerkanäle 49 Quellenangaben 55 | Medienforschung
Um Medienangebote für Zuschauer bzw. Nutzer überblicken und anbieterseitig gezielt einsetzen zu können, braucht man Informa- tionen: z.B. welche Zuschauer was, wann, wie oft und wie lange nutzen. Man weiß nicht, ob man erfolgreich ist oder nicht - solange „Erfolg“ nicht definiert oder nachvoll- zogen wird. Oder mit den bekannten Worten Peter Druckers gesagt: „You can’t manage what you can’t measure.” In der alten Welt der Bewegtbildnutzung war das – rückblickend – tatsächlich fast schon einfach. Die einzige anerkannte Datenquelle Nicht alles, was zählt, zur Auswertung von Bewegtbildnutzung war das AGF-Panel. Und das ist es weiterhin für den TV-Markt. kann gemessen werden, Die Medien- und Mediennutzungsrealität ist und wird zunehmend heterogener, differen- und nicht alles, zierter, vielfältiger – schlichtweg schwieriger zu überblicken. was gemessen Gerade vor diesem Hintergrund gilt, dass nicht alles Relevante gemes- werden kann, zählt sen wird; oder alles Gemessene auch das wirklich und einzig Rele- vante ist. Eine anerkannte Quelle, eine harte Währung: Verlässliche Da- ten von der Erhebung bis zur Aufbereitung und Präsentation. Qualitative Forschung, Kausalität und Das ist Vergangenheit. Heute differenzieren sich Medienange- Kontext, verstehen, was Nutzer im Alltags- bote und Mediennutzungen, Daten, Kennzahlen und Analysen handeln motiviert: Die Bedeutung dieses werden heterogener. Alles messen, was zählt – wie kann das Verstehens nimmt ebenfalls mit steigender gelingen? Komplexität zu. MEDIENENTWICKLUNGEN 2019 ZDF Medienforschung Report
In God we trust, Daten sind nicht gleich Daten titative Datenanalysen – weil TV-Sender all others must bring data. durchaus mit Streamingunternehmen kon- Wie sind Erfolgszahlen von Unternehmen kurrieren, die auf eine KI-gestützte Optimie- Die „neuen” Ausspielwege von Bewegtbild- einzuschätzen, die einen kommerziellen rung von Inhalten und deren „Ausspielung“ inhalten (YouTube, Facebook, Media- Zweck verfolgen und ihre Erfolge selbst setzen. theken, HbbTV, (S)VOD-Plattformen wie messen? Wie sind Daten zu beurteilen, Netflix, Amazon Prime Video, Sky Ticket, die nicht unabhängig erhoben, berechnet, Die Medienforschung im ZDF beschäftigt Google Play etc.) heißen gleichzeitig: neue geprüft worden sind? Eine solide Medien- sich mit machine learning, beispielsweise Datenquellen, die zur Bewertung von Erfolg forschung steht hier vor großen Herausfor- im Zusammenhang mit der Erleichterung herangezogen werden müssen. Im alltägli- derungen. der Einplanung größerer Programmmen- chen Gebrauch bedeutet das, dass für die gen. Dabei spielen sogenannte „predictive unterschiedlichen Datenquellen verschie- Von de- zu pre-skriptiv: Erfolg analytics“ eine Rolle: Wie kann die Wahr- dene Tools eingesetzt werden müssen, um durch Empfehlungssysteme scheinlichkeit berechnet werden, dass plattformübergreifende Fragestellungen „wer die Dokumentation A schaut, auch beantworten zu können. In der crossmedialen Welt haben sich mit die Dokumentation B schaut“? An welchen Big Data die Ansprüche von Programmma- Tagen, zu welchen Uhrzeiten stießen in der Marktanteil, Sehbeteiligung – die chern an Datenanalysen verändert. Google, Vergangenheit bei welchen Zielgruppen harten Währungen sind in der ak- Netflix, Amazon oder Spotify sind auch welche Inhalte auf besonderes Interesse? tuellen Bewegtbild-Welt nicht zu deshalb so erfolgreich, weil sie mit speziel- finden. len Algorithmen den Nutzern auf sie zuge- Das sind Fragen, denen sich angesichts schnittene, spezifische Inhalte einspielen. der größer werdenden Programmvielfalt, Durch die neuen Ausspielwege ist eine Dadurch werden einerseits mit diesen von mehr und verschiedenen Ausspielwe- Vielzahl von Kennzahlen hinzugekommen. Angeboten sehr nützliche Erfahrungen gen und einer zunehmenden Zielgruppen- Dazu erfordert deren plattformübergreifen- gemacht und die Bindung verstärkt – ande- fragmentierung eine Medienforschung der de Auswertung deutlich mehr „Eigendefini- rerseits werden Erwartungen geweckt, die Zukunft stellen muss. tionen“, als es im klassischen TV nötig war. zunehmend auch an andere Plattformen und Anbieter gestellt werden.1 So sind beispielsweise Social-Media-Daten durchgängig eine „black box“ und können nicht auf Verlässlichkeit geprüft werden. Konsequenzen für Damit können eine Menge KPIs als „freie die Medienforschung Radikale“ herumschwirren. Auch die Daten von Streaminganbietern wie Netflix oder In der crossmedialen Welt ändern sich Amazon liegen nicht öffentlich und transpa- damit auch auf Seiten der Redaktionen und rent vor. Programmplanung die Ansprüche an quan- | Medienforschung Nicht alles, was zählt, kann gemessen werden, und nicht alles, was gemessen werden kann, zählt — 4
Das Bewegtbild-Universum dehnt sich aus Nicht nur die Zukunft, auch die Gegenwart kann einen Schritt voraus sein: Crossmedia-Nutzung von Bewegt- bild ist Realität, die Crossmedia-Quote ist es noch nicht. Erste Zahlen liegen vor, doch es gibt noch Baustellen. Dafür musste sich die AGF Kritik gefallen lassen, ist die audiovisuelle Gesamtreichweite doch eine selbst gestell- te Aufgabe. Um die Kritik bewerten zu können, lohnt sich ein Blick auf Komplexität und Größenverhältnisse, um die Fortschritte der Messung sehen und wertschätzen zu können. MEDIENENTWICKLUNGEN 2019 ZDF Medienforschung Report
Wir schreiben das Jahr 2035. audiovisueller Internetnutzung weiterhin: von Fernseh- und Streaminganbietern der bei den 14-29-Jährigen, aber auch bei den Erfassung von Leistungswerten im deut- 14-49-Jährige sehen im linearen Fernsehen 30-49-Jährigen.2 schen Bewegtbildmarkt widmet, arbeitet Breaking-News, Live-Sport und Show- seit 2011 an einer Crossmedia-Quote Events. Die restlichen Angebote zur Unter- für klassisches Fernsehen und Onlinevi- haltung und Information werden nur noch Die Lösung: nur alles Mögliche deo.4 Seit 2014 werden Daten zur Video- über Streaming rezipiert. Flexibel, genauso messen, nicht das Unmögliche Streaming-Nutzung und seit Mitte 2016 zu wie es der berufliche und private Alltag erfor- audiovisuellen Gesamtreichweiten aus- dert. Es sind die selbstlernenden Home-KI- Natürlich möchten Programmmacher und gewiesen. Mit der Fusion der Streaming- Systeme, die u.a. das tägliche Fernseh- bzw. Werbetreibende wissen, wie viele einzelne daten in das TV-Panel gibt es bereits seit Video-Programm für ihre Haushalte erstel- Zuschauer Inhalte über alle Plattformen se- März 2017 eine konvergente Reichweite.5 len – und die fester Bestandteil des AGF hen, wie die Überschneidungen zwischen TV Damit kann analysiert werden, in welchem Bewegtbild-Panels sind. und Online sind oder auch wie viele Personen Ausmaß Online-Angebote zu einer zusätz- ausschließlich online erreicht werden.3 lichen Nutzung von Inhalten der TV-Sender Science-Fiction, jedoch mit realistischen Die Umsetzung dieses Universalanspruchs ist führen. Das gilt für alle Sender bzw. Sen- gegenwärtigen Bezügen. TV ist nach wie vor allerdings nicht realistisch. derfamilien, also für das ZDF, die ARD, RTL das Medium Nummer Eins, gleichzeitig gibt oder ProSiebenSat.1. Erstmals lassen sich es seit Jahren einen rückläufigen Fernseh- Die fragmentierte Vielfalt der digi- auf der Ebene von Sendern, Genres oder konsum bei den (ganz) jungen Altersgrup- talen Verbreitung und Nutzung wäre Formaten Aussagen zu Gesamtreichweiten pen.1 nur mit unvertretbarem Aufwand und Überschneidungen treffen – basierend und nach Lösung zahlreicher Daten- auf einer einheitlichen Metrik.6 Bewegtbild online und auf Abruf zu schutzprobleme sowie unter Betei- nutzen ist kein Nischenphänomen ligung aller relevanten Anbieter bis Das Mess-Universum hat also noch blinde mehr, ins letzte Detail abzubilden. Flecken, dennoch ist es schon enorm ge- sondern flexibilisiert sich zunehmend be- wachsen. Dabei macht es Größenverhält- zogen auf Ort, Zeit, Verbreitungsweg und Der Anspruch an eine robuste Messung kann nisse sichtbar, die vorher noch im Dunkeln Endgerät. Die Messung hängt der Realität daher nur pragmatisch mit den Partnern lagen. allerdings nach: Es gibt noch keine alle eingelöst werden, die sich verbindlich und Plattformen übergreifende, audiovisuelle Ge- transparent beteiligen. samtreichweite. Die Aufnahme der Google- Größenverhältnisse Tochter YouTube, des größten Bewegtbild- Die Messung folgt im neuen AGF-Universum anbieters, ist noch in Arbeit. Netflix, Amazon den Zuschauern bereits Prime Video und Co. sind ebenfalls außen Im Jahr 2018 haben pro Monat 74 Mio. vor – und zeigen bisher auch keine Absicht, Die Messung ist den Zuschauern bereits Menschen Kontakt zu Fernsehinhalten. Das Teil eines gemeinsamen „Quoten-Univer- ins Netz gefolgt. Die Arbeitsgemeinschaft sind rund 96% aller Deutschen, also fast sums“ zu werden. Dabei steigt die Nutzung Videoforschung (AGF), die sich im Auftrag alle. Während über das Fernsehen etwa 73 | Medienforschung Das Bewegtbild-Universum dehnt sich aus — 6
Audiovisuelle Gesamtreichweite pro Monat im Jahr 2018 ZDF: 65,90 Mio. TV/AGF-Gesamt: 73,69 Mio. TV- & Streaming-Nutzer: 4,11 Mio. Nur-Streaming-Nutzer: Nur-Streaming-Nutzer: 0,98 Mio. 0,93 Mio. Nur-TV-Nutzer: Nur-TV-Nutzer: 60,86 Mio. 62,65 Mio. TV- & Streaming-Nutzer: 10,06 Mio. Streaming-Monatsreichweite der Sender im Jahr 2018 9 8,12 8,06 8 Kumulierte Nettoreichweite 7 6,69 pro Monat in Mio. 6 5,26 5 Ø 5,04 4 Ø 4,29 3,05 3 Ø 1,40 2 Ø 1,10 1 Ø 0,91 Ø 0 Jan Feb Mrz Apr Mai Jun Jul Aug Sep Okt Nov Dez ZDF ARD RTL SAT.1 PRO7 MEDIENENTWICKLUNGEN 2019 ZDF Medienforschung Report Quelle: ZDF-Medienforschung, AGF Videoforschung. In Zusammenarbeit mit GfK, DAP, Nielsen, ANKORDATA; videoSCOPE
Mio. Menschen erreicht werden, sind es ming nutzen. Wird die Nutzungsdauer hier Es sollte nicht vergessen werden, über Streaming rund 11 Mio. Interessant zusätzlich berücksichtigt, akzentuieren sich dass bisher kein alternatives Mess- wird auch der Blick auf die Überschnei- die Unterschiede zwischen TV und Strea- verfahren entwickelt wurde, das es dungen: 63 Mio. Zuschauer werden nur ming nochmals. Während im TV rund ein mit dem bestehenden aufnehmen via Fernsehen erreicht. 10 Mio. Zuschau- Drittel der Nutzung von unter 50-Jährigen kann. er nutzen Fernsehprogramme sowohl im generiert wird, ist es bei der Bewegtbild- Fernsehen als auch über die Mediatheken, nutzung über Sendermediatheken rund die Netflix, Amazon und Co. haben den Be- ausschließlich über die Mediatheken sind Hälfte.8 wegtbildmarkt bereichert und beginnen, es rund eine Mio. Zuschauer.7 Nutzungsgewohnheiten zu verändern. Hin- Fluch und Segen sichtlich transparenter Nutzungsmessung Auch im Hinblick auf die Nutzungsdauer zugleich: Komplexität genau besteht jedoch Fehlanzeige, die gelegentli- zeigt sich, dass der Löwenanteil der Fern- und transparent abbilden che Veröffentlichung einzelner Erfolgsquo- sehnutzung weiterhin über das klassische ten hilft da nicht weiter.11 TV generiert wird. Man kann dem Ruf nach Weiterentwicklung der audiovisuellen Gesamtreichweite nur Die Weiterentwicklung des qualitativen Für alle gemessenen Sendergrup- zustimmen – jeder möchte das messen, Grundprinzips der aktuellen Messung pen gilt, dass ein Großteil der Zu- was auch genutzt wird. Gleichzeitig muss nimmt Zeit in Anspruch. Und sie ist grund- schauer übers TV erreicht wird. transparent sein, welche Mammutaufgabe sätzlich wichtig, um konvergente Reich- es ist, die technischen Bedingungen für weiten anbieten zu können, die eine hohe Das ZDF erreicht 2018 über seine Media- ein Messinstrumentarium zu schaffen, das Verlässlichkeit garantieren: für eine harte thek 5,3 Mio. unterschiedliche Personen valide Nutzungswerte sämtlicher relevanter Währung mit vergleichbaren Leistungswer- pro Monat. Die ARD mit der größeren Zahl Verbreitungswege erzeugt.9 ten. an Zugangswegen wie die ARD-Mediathek, die Mediatheken der Dritten Programme, Die „Crossmedia-Quote“ hebt die Mes- aber auch daserste.de liegen vorn. sung auf eine neue Komplexitätsstufe, weil große Datenmengen aus unterschiedlichen Die privaten Senderfamilien erreichen etwas Quellen zusammengefügt werden müssen. weniger, was auch daran liegt, dass dort Der Prozess der Datenverarbeitung ist so viele attraktive Angebote im Netz nur gegen aufwendig, dass Nutzungsdaten erst mit Bezahlung verfügbar sind. Die Nutzung ist acht Tagen Verzug zur Verfügung stehen.10 aufgrund der Kostenpflicht einfach geringer. Die AGF arbeitet hier auf allen Ebenen an Die Betrachtung der Altersstruktur be- einer deutlichen Beschleunigung und Er- stätigt, was man erwarten konnte: Die weiterung: Abbildung von mobiler Nutzung, Nutzungsstruktur über Streaming ist we- Connected TVs, die Integration weiterer sentlich jünger als via TV. Am jüngsten ist Partner sind hier nur einige Beispiele. die Gruppe derer, die ausschließlich Strea- | Medienforschung Das Bewegtbild-Universum dehnt sich aus — 8
Fiction: Erfolg in Serie Die TV-Welt befindet sich im Serienboom: Horizontal er- zählte Serien haben an Qualität und Publika gewonnen – und genießen bei der anvisierten Zuschauerschaft zunehmend Ansehen. Geschichten, Besetzung wie auch die Aufmachung haben Kinoqualität. Gleichzeitig sorgt die Vielzahl von Absendern für einen florierenden, breit gefächerten Markt und bespielt eine ständig wachsen- de Anzahl an Subgenres und Hybriden. MEDIENENTWICKLUNGEN 2019 ZDF Medienforschung Report
Geschichten: Ausgezeichnet: „Bad Banks“ Somit von Mediennutzertypen, die eine mo- faszinierend und nah derne, weniger traditionelle Wertorientierung Wie so etwas funktionieren kann, hat die Se- aufweisen und das klassische Fernsehen Die Faszination horizontal erzählter Seri- rie „Bad Banks“ eindrucksvoll gezeigt: 2018 verhältnismäßig wenig nutzen. Das ist ein en liegt für deren Liebhaber darin, auf eine Premiere auf der Berlinale, im Frühjahr 2018 zusätzlicher Erfolg für „Bad Banks“. Entwicklungsreise mitgenommen zu werden erst in den Mediatheken, dann frei emp- und in fremde Welten eintauchen zu kön- fangbar bei ARTE und im ZDF – und beim Von den 3,52 Mio. Zuschauern, die die nen. Gerade serielle Erzählungen bieten die deutschen Fernsehpreis als beste Dramase- sechs Folgen im Schnitt über alle linearen Möglichkeit, liebevoll und intelligent konstru- rie ausgezeichnet.2 Die zweite Staffel „Bad und nonlinearen Übertragungswege ange- ierte Charaktere in aller Tiefe kennenzulernen Banks“ soll im Februar 2020 fertig sein. sehen haben, entfallen 0,55 Mio. auf die und Veränderungen über die Zeit hinweg zu ZDFmediathek – das entspricht einem Anteil verfolgen, oder mehr noch: ganz nah mitzu- Innerhalb einer qualitativen Studie der ZDF- von 16%. Im Vergleich zu anderen fiktiona- erleben. Aufwändig ausgearbeitete, stimmig Medienforschung, in der Menschen über das len Formaten ist dies ein sehr hoher Anteil. inszenierte Spielorte sowie eine intensive Ge- TV Programm diskutieren konnten, wurde Auch die Koproduktionen und Dramaserien staltung der Handlungsräume können eine auch „Bad Banks“ untersucht. Die Zuschau- auf ZDFneo bieten ein neuartiges fiktionales anschauliche Welt erschaffen – und fördern er bewerten das Format sowohl inhaltlich als Angebot: beispielweise die neoriginal Serien somit das Involvement. Große Erzählbögen auch bezüglich Machart, Cast und Look als „Blaumacher“, „Countdown Copenhagen“ und komplexe Storys überraschen immer moderne und hochwertige Serie. Für so eine & Co. erreichen ebenfalls ein jüngeres Publi- wieder mit ungeahnten Wendungen. Studie durchaus ungewöhnlich: Viele Be- kum. fragte hatten schon im Vorfeld von der Serie Geschichten verweisen auf den Alltag des gehört. Das Zusammenspiel von Marketing Der Wettbewerb um Zuschauer Publikums, indem sie Modelle von Wirklich- und Produkt hatte somit funktioniert. Vor keit aufbauen. Manche dieser Modellwelten allem jüngere Zuschauer, die auf fiktionale Der Markt ist weiterhin im Umbruch, können der Alltagswirklichkeit der Zuschauer Angebote von Streaminganbietern zugreifen, Streamingdienste sind gerade bei jüngeren sehr ähnlich sein. Andere wiederum können fanden „Bad Banks“ besonders gelungen. Zuschauern beliebt. Zunehmend wird in eine ganz „unreale Realität“ aufbauen – im Das ZDF kann mit „Bad Banks“ bei Zielgrup- eigene Inhalte investiert, sei es Netflix, Ama- Weltraum, in der Zukunft oder in der Vergan- pen punkten, die vom Sender weniger stark zon, Sky oder die Deutsche Telekom.3 genheit. Natürlich müssen die Zuschauer angesprochen werden. Das zeigt auch das diese Erzählungen verstehen, auch wenn sie Nutzungsverhalten der Zuschauer im linearen VoD-affine Zuschauer räumen einer mit der eigenen Alltagsrealität nichts zu tun TV. Serie nicht viel Zeit ein, um sie oder haben. Denn Geschichten nutzen die Fähig- ihn zu überzeugen. keit des Zuschauers, sich einen möglichen Die Zuschauerstruktur der Serie ist- Alltag auszumalen.1 deutlich jünger als gewöhnlich und Die bereits erwähnte qualitative Studie überdurchschnittlich von Modernen zeigte, dass sich das ZDF als Absender Etablierten und Familienorientierten horizontal erzählter High-End-Serien in der geprägt. Zielgruppe der fiction-affinen 25-49-Jährigen | Medienforschung Fiction: Erfolg in Serie — 10
Zuschauer von Bad Banks über alle Übertragungswege insgesamt 3,52 Mio. 0,55 Mio. davon über die ZDFmediathek (16%) Zuschauerübergabe Sehbeteiligung in Mio. 14-49 Jahre 4,00 01.03.2018 02.03.2018 03.03.2018 04.03.2018 05.03.2018 3,00 Ø Zuschauerbindung: 53% Ø Zuschauerbindung: 45% 2,00 1,00 65% 61% 63% 5% 68% 73% 18% 48% 29% 54% 0,14 0,14 0,13 0,09 0,10 0,10 0,70 0,65 0,40 0,30 0,44 0,32 0,00 Bad Bad Bad Bad Bad Bad Bad Bad Bad Bad Bad Bad Banks Banks Banks Banks Banks Banks Banks Banks Banks Banks Banks Banks Folge 1 Folge 2 Folge 3 Folge 4 Folge 5 Folge 6 Folge 1 Folge 2 Folge 3 Folge 4 Folge 5 Folge 6 MEDIENENTWICKLUNGEN 2019 ZDF Medienforschung Report
noch keinen großen Namen gemacht hat. die Regelungen zur Verweildauer öffentlich- zwar genau die, die aufeinanderfolgend auf Entsprechendes Engagement beispielsweise rechtlicher Inhalte in Mediatheken nicht dem jeweiligen Sender ausgestrahlt wur- bei „Bad Banks“ wird durchaus wahrge- bekannt, insofern gehen sie generell von den. Die Zuschauerbindung von einer Folge nommen und geschätzt. einer langfristigen Verfügbarkeit der Inhalte zur nächsten ist also solange gut, bis es aus. Insbesondere „Binge Watchern“ sind in der Ausstrahlung durch einen Wechsel Ein weiteres Ergebnis war, dass entschei- auch Empfehlungen für weitere Serien des Sendetages zu einer Unterbrechung dend für die Onlinerezeption einer Serie die willkommen – kommt (siehe Abbildung auf Seite 13). Kombination aus aussagekräftigem Vor- wenn die Vorschläge zu eigenen Hier greift das zeitunabhängige Angebot in schaubild und Titel sowie einem anschau- Sehgewohnheiten passen der ZDFmediathek. lichen Abriss der zentralen Storyline in we- bzw. eine hohe Ähnlichkeit zu den gese- nigen Sätzen sind. Viele Zuschauer nutzen henen Serien haben. Kann dies nicht ge- Die Nutzung in der ZDFmediathek fand zu Trailer oder die ersten Minuten einer Serie, währleistet werden, gilt das Motto „weniger einem Drittel nach der ZDF-TV-Ausstrah- um sich für oder gegen diese zu entschei- (empfohlene Inhalte) ist mehr“. lung (inkl. sieben Tage danach) statt. 26% den. Bei komplexen Stoffen haben sie nicht der Nutzung kamen bereits vor der ZDF- den Anspruch, auf Anhieb alle Storylines und Erfolgskriterien Erstsendung zustande. Die restlichen 42% Charaktere durchdringen zu können – beide in der Fernsehwelt verteilten sich auf den sogenannten „long Komponenten sollten aber idealerweise nach tail“, also den Zeitraum danach.6 der zweiten Folge so sehr in ihren Bann zie- Soll eine horizontal erzählte Serie das (jun- hen, dass die Zuschauer bereit sind und sich ge) Publikum bestmöglich binden, so muss Fragmentierung, Streaming, Videoportale… darauf freuen, Zeit zu investieren und sich auf eine Serie möglichst nicht nur von Anfang So viele Möglichkeiten – kann das klassi- die Serie einzulassen. an überzeugen, sondern sche, lineare Fernsehen eigentlich noch die Programmierung der Serie richtige Erfolge liefern? Es kann. muss es leicht machen, auch alle Full-Service-Erwartungen weiteren Folgen zu rezipieren. an die ZDFmediathek Am Beispiel von „Bad Banks“ wird das Bei der Nutzung der ZDFmediathek haben deutlich: die Zuschauer vergleichbare Erwartungen Unter den 3,30 Mio. Zuschauern unter wie bei der Nutzung von Bezahl-VoD-Por- 50 Jahren, die entweder im ZDF oder bei talen. Dies betrifft beispielsweise techni- ARTE mit der Serie in Kontakt gekommen sche Zusatzfunktionen, die Netflix, Amazon sind, lassen sich zwei Gruppen erkennen.5 Prime Video & Co. bieten: das Merken Die eine Gruppe hat mit einer Folge der des Abspielstandes, seamless viewing auf Serie Kontakt und mit keiner weiteren. mehreren Geräten sowie die langfristige Diese Zuschauer fühlten sich offenbar nicht Verfügbarkeit aller Folgen, besser noch aller angesprochen. Die zweite Zuschauergrup- Staffeln einer Serie.4 Den Zuschauern sind pe sieht aber auch weitere Folgen. Und | Medienforschung Fiction: Erfolg in Serie — 12
Hauptsache, ihr habt Spaß: Bewegtbild von den Vorschülern bis zu den Twens Fernsehen ist für Kinder nach wie vor die meistgenutzte Bewegtbildplattform. Dennoch wird auch die Medienwelt der Kinder fragmentierter. Die nonlineare Bewegtbildnut- zung erreicht immer mehr immer Jüngere: YouTube ist bereits für Kinder ab 8 Jahren relevant. Und was ist mit den nachfolgenden Zielgruppen, den jungen Erwachse- nen? Genau diese – linear schwer zu erreichende – Ziel- gruppe sprechen ARD und ZDF mit dem Jugendangebot „funk“ an. Dabei wird stärker auf Einzelmarken als auf die Dachmarke gesetzt. Kann das funktionieren? MEDIENENTWICKLUNGEN 2019 ZDF Medienforschung Report
Auch die Medienwelt Kinder ≠ Kinder: Akzeptanz sehen. Während das Fernsehen jedoch der Kinder wird fragmentierter der TV-Sender im Vergleich stärker täglich genutzt wird, werden non- lineare Angebote eher wöchentlich, also Die Anzahl täglich mit linearem Fernsehen Betrachtet man das lineare Fernsehen, seltener genutzt. erreichter Kinder ist in den letzten Jahren ge- zeigt sich, dass bei allen 3-13-Jährigen die YouTube steht dabei für kurze, lustige sunken. Im Jahr 2018 sahen im Schnitt 3,29 großen Kindersender SUPER RTL (exkl. Clips, Musikvideos sowie Best-Of-Stellen Mio. Kinder täglich fern. Das sind 44% aller Toggo plus) und ARD/ZDF-Kinderkanal aus TV-Sendungen oder Filmen. potenziellen 3-13-jährigen Zuschauer und nach wie vor führend sind. Mit Abstand damit ein Fünftel weniger als 2008. Hinzu folgen Disney Channel und Nick. Kostenpflichtige Streamingdienste wie kommen sinkende Sehdauern. Dabei gilt: je älter die Kinder, desto wich- Netflix und Amazon Prime Video werden tiger werden Vollprogramme und kleinere von 17% der 6-13-Jährigen mindestens Kinder schauen aktuell täglich deut- (Sparten-)Sender. einmal im Monat genutzt. Hier sind es vor lich weniger lineares Fernsehen als Die Altersspanne „3 bis 13“ umfasst nur 10 allem Serien und Filme, die geschaut wer- noch vor zehn Jahren: Jahre, aber grundlegend unterschiedliche den. Im Schnitt sind es 2018 64 Minuten täglich, Lebenswelten und Nutzungsvorlieben: Auf Es zeigt sich, dass Bewegtbild insgesamt während es 2008 noch 86 Minuten waren.1 die Kindersender entfällt bei den Pre-Teens eine starke und vielfältige Nutzungsmotiva- 2018 nur noch ein Drittel des Fernsehkon- tion bietet: Die rückläufigen Zahlen finden sich in allen sums, während es bei 3-5-Jährigen knapp • Vorschüler suchen und finden Spaß, Altersgruppen der 3-13-jährigen Kinder – von 60% sind.3 Unterhaltung und auch emotionale den Vorschulkindern über die Grundschüler Familienmomente; bis zu den Pre-Teens. Sie betreffen aber die Klassisches Fernsehen • Grundschüler finden Material zu 10-13-Jährigen in besonderem Maße, von vorn – aber die Vielfalt Peergroup-Talk – und zum denen 2018 täglich noch 1,19 Mio. pro Tag auf Abruf holt auf Abschalten; erreicht werden. Das sind 43% aller poten- • Pre-Teens nutzen darüber hinaus ziellen 10-13-jährigen Fernsehzuschauer Studien von ZDF, KiKA und MDR zeigen, Bewegtbildinhalte zum Mood- und gegenüber 2008 ein Rückgang um gut dass lineares Fernsehen weiterhin die Management und als Quelle für ein Viertel. Diese Pre-Teens sehen 2018 im führende Bewegtbildplattform bei 6-13-jäh- Vorbilder.4 Schnitt 65 Minuten am Tag fern. Zehn Jahre rigen Kindern ist mit Filmen, Serien, Shows, davor waren es noch 100 Minuten.2 Beson- Sport und Nachrichten. Vom Hölzchen aufs Stöckchen? ders in dieser Altersgruppe machen sich die Gleichzeitig holen die anderen Plattformen Bewegtbildinhalte on Demand digitalen Medien und die damit verbundenen wie YouTube, kostenpflichtige Streaming- Möglichkeiten der Mediennutzung bemerk- dienste sowie Sender-Mediatheken auf. Deutlich vor den Bezahl-Angeboten bar, die Mediennutzung wird zunehmend rangieren derzeit die Mediatheken der fragmentierter. YouTube und andere kostenlose Video- Fernsehsender. Diese bieten ähnliche plattformen folgen laut den Befragungen Nutzungsanreize wie die kostenpflichti- auf Rang zwei hinter dem klassischen Fern- gen Videoplattformen und punkten neben | Medienforschung Hauptsache, ihr habt Spaß: Bewegtbild von den Vorschülern bis zu den Twens — 14
Marktanteile der TV-Sender im Vergleich 2018 3-13-Jährige 10-13-Jährige Super RTL 15,8% RTL 9,7% (exkl. Toggo+) Super RTL KiKA 13,9% (exkl. Toggo+) 8,9% Disney Channel 9,9% Nick 8,6 % Nick 6,9% Disney Channel 8,6% SAT.1 8,3% PRO7 6,8% ARD 6,3% KiKA 6,2% ZDF 5,3% Bekanntheit von funk und seiner Formate 2018 Bekanntheit des jungen An- 66% gebots und seiner Formate um +12% gegenüber dem Vorjahr gesteigert MEDIENENTWICKLUNGEN 2019 ZDF Medienforschung Report
Filmen und Serien auch mit Best-Of-Stellen mationssendungen sind interessant.7 2 Jahre funk: und? und Comedy.5 Auf die Entwicklung bei 10-13-Jährigen hat das ZDF früh reagiert und auf YouTube funk als Content-Netzwerk mit ausschließ- Das ZDF stellt seine Kinderinhalte auch einen eigenen Kanal (ZDFtivi) etabliert, bei lich online verbreiteten Inhalten ohne online und damit zeitsouverän abrufbar dem insbesondere mit kurzen Einspielern eigenen klassischen Fernsehsender – kann zur Verfügung. Die Kinderinhalte (ZDFtivi auf das Kinderprogramm im klassischen das gelingen in einer markenorientierten / KIKA) erreichen 2018 monatlich Ø 4,27 Fernsehen aufmerksam gemacht werden (Medien-)Welt? Mio. Sichtungen. Fast die Hälfte davon soll. (45%) wird dabei mobil genutzt. Zwei Jahre seit Bestehen des jun- Innerhalb der Gruppe der 6-13-jährigen Der ZDFtivi YouTube-Kanal ist mit gen Angebots kann funk bereits Kinder werden mit zunehmendem Alter alle Ø 2,95 Mio. Sichtungen pro Monat beachtliche Bekanntheitswerte Möglichkeiten in Anspruch genommen, eines der erfolgreichsten YouTube vorlegen. neben der Nutzung von Videos auf kosten- Angebote des ZDF. Eine repräsentative Onlinebefragung von losen Videoplattformen wie YouTube auch Zu den am meisten aufgerufenen Formaten 14-29-Jährigen ergab: die von Videos über soziale Netzwerke. zählen die Daily Doku-Formate „Die Jungs- 66% der 14-29-Jährigen kennen funk oder WG“ und „Die Mädchen-WG“. mindestens ein Format von funk. Damit hat Ohne YouTube läuft bei den Pre- sich die Bekanntheit des jungen Angebots Teens nichts mehr. YouTube ist fes- funk: und seiner Formate um +12% gegenüber ter Teil der Pre-Teen-Medienkultur. Von den Kindern zu den Teens dem Vorjahr gesteigert. Der Großteil der Nutzungsorte und Nutzungsmomente zu den jungen Erwachsenen Bekanntheit wird über die Formate erreicht: sind variabel – mit YouTube immer on und 59% geben an, mindestens eines der 30 überall dabei. TV-Content spielt bei der Das Content-Netzwerk funk konzentriert abgefragten funk-Formate zu kennen. YouTube-Nutzung der 10-13-Jährigen nur sich auf die Zielgruppe der 14-29-Jährigen. Auch die Nutzung hat im Vergleich zum eine untergeordnete Rolle, vielmehr geht Bestehende Erfolgsformate wie „Die Jungs- Vorjahr zugelegt: 49% der 14-29-Jährigen es um YouTube-exklusive Inhalte. Über WG“ und „Die Mädchen-WG“ werden dafür nutzen das Angebot von funk mindestens diese wird nicht nur mit den Freunden und weiterentwickelt. So können die mittlerweile selten oder geben an, mindestens eines Freundinnen geredet, sie werden als Rat- in die 20er gekommenen „WG-Bewohner“ der abgefragten funk-Formate schon ein- geber für Schule, Freizeit und Lebensfragen in eine gemeinsame WG ziehen. Zunächst mal genutzt zu haben. Damit steigert sich genutzt. YouTuber sind den jugendlichen wurden die jeweils letzten Staffeln des der weiteste Nutzerkreis um 15% gegen- Nutzern nah, sind zugleich Role Models Kinder-Erfolgsformats zur Verfügung ge- über der Vorjahresbefragung. und Trendsetter.6 stellt (650 Tsd. Sichtungen im Mai 2018). Mit dem Start des YouTube Kanals „die Und wie sind die meisten Zuschauer auf Lineares Fernsehen wird von den Pre- wohngemeinschaft“ konnte diese Zahl funk aufmerksam geworden? Der Erstkon- Teens selektiver – und das heißt auch: deutlich gesteigert werden, auf 3,09 Mio. takt findet meist über YouTube oder Face- kritischer – genutzt. Hauptsächlich Events Sichtungen pro Monat.8 book statt. Die Strategie geht also auf.9 und Live-Inhalte sowie ausgewählte Infor- | Medienforschung Hauptsache, ihr habt Spaß: Bewegtbild von den Vorschülern bis zu den Twens — 16
Im Zweifel: Politisch interessiert Aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen wirken sich auf das politische Interesse und damit auch auf das Interesse an Nachrichten aus. Das politische Interesse ist hoch wie lange nicht – und auch die öffentlich-rechtlichen Nachrichten wer- den viel genutzt. Gleichzeitig gibt es seit 2014 auf diesem sehr hohen Niveau einen leichten Rückgang in der Bedeutung von Nachrichten insgesamt. Wie passt das zusammen? Ein gezielter Blick auf Gruppen, die sich vom politischen Gesche- hen und von (öffentlich-rechtlichen) Nachrichten entfremdet haben, kann hier Aufschluss geben. MEDIENENTWICKLUNGEN 2019 ZDF Medienforschung Report
Im Aufwind: politisches Engagement eine verbindlichere Form. Bei der Bewertung von Medien ist das zu Interesse und Beteiligung 2018 gibt es in Deutschland fast 15 Mio. ab berücksichtigen. Will man sich ein Bild davon 14-Jährige, die ehrenamtlich tätig sind. Im machen, wie Zuschauer, Hörer, Leser, Inter- Ende Dezember 2018 sind zwei Drittel der Vergleich zu 2014 bedeutet das ein Plus von net- und Social-Media-Nutzer die Glaubwür- deutschen Wahlberechtigten nicht zufrieden fast 2 Mio.7 digkeit verschiedener Medien bewerten, muss mit der Arbeit der Bundesregierung.1 Die man entsprechend differenziert fragen. Dies beste Sympathie- und Leistungs-Note für Während ehrenamtliches Engagement oder leistet die halbjährliche Glaubwürdigkeitsum- deutsche Spitzenpolitiker wäre eine +5 („hal- Parteiarbeit eine gewisse Verbindlichkeit frage der Forschungsgruppe Wahlen (FGW) te sehr viel von…“): Ende 2018 kommen vier voraussetzen, gibt es heutzutage aber auch für das ZDF. Ähnlich wie bei der Bewertung Politiker auf Platz 1 mit einem Durchschnitts- zunehmend situativere und niedrigschwel- von Politikern im Politbarometer können die wert von lediglich +1,3.2 ligere Partizipationsmöglichkeiten. Ob man Befragten auf einer 11er Skala von +5 bis -5 nun Online-Petitionen startet, sich an De- mit einem Nullpunkt ihre Antworten bei der Allerdings: Unzufriedenheit in unterschied- monstrationen beteiligt, eine Bürgerinitiative Einschätzung der Glaubwürdigkeit abstufen licher Ausprägung ist kein Desinteresse. unterstützt, sein Facebook-Profilbild einfärbt, („Thermometer“). Vielmehr ist es ein Hinweis auf Interesse und bestimmte Marken boykottiert oder unter den Wunsch sich einzumischen und reiht einem Hashtag twittert. Die Möglichkeiten Bei diesen Umfragen nach der Glaubwür- sich nahtlos in eine aktuelle Entwicklung ein: seiner Meinung Ausdruck zu verleihen sind digkeit von verschiedenen Medien sprechen vielfältig, aber mitunter auch relativ unver- die Befragten den seriösen Qualitätsmedien Das politische Interesse ist so hoch bindlich. die höchste Glaubwürdigkeit zu, allen voran wie schon seit über 20 Jahren nicht den Nachrichten von ARD und ZDF. Dahinter mehr.3 folgen die regionalen und überregionalen Ta- Fernsehnachrichten geszeitungen. Am schlechtesten werden die Dabei hat das starke und sehr starke Interes- bleiben hochrelevant sozialen Medien und die Bildzeitung bewer- se an Politik in allen Altersklassen zugenom- tet.10 men.4 Die „etablierten“ Medien sehen sich spätes- tens seit 2015, dem Jahr der Flüchtlingskri- Nun schließt sich die Frage an, ob und welche Das wirkt sich aus. Und zwar unter anderem se, teilweise heftiger Kritik ausgesetzt – be- Auswirkungen all das auf die Medien- bzw. in einer Wahlbeteiligung, die bei der Bundes- sonders im Internet und in sozialen Medien. Nachrichtennutzung hat. Die Nutzungsdaten tagswahl 2017 um knapp 5 Prozentpunkte Kern der Kritik ist nach wie vor die Diskussi- sprechen eine eindeutige Sprache: Die Zu- gegenüber 2013 gestiegen ist.5 Bei den on um die Glaub- und Vertrauenswürdigkeit schauerzahlen der „heute“ 19 Uhr Sendung, Landtagswahlen der vergangenen drei Jahre der Berichterstattung.8 Wem kann vertraut des „heute-journals“ und auch der „Tages- lagen die Zuwächse teils deutlich höher.6 werden? Was sind verlässliche Quellen? schau“ gehen zuletzt wie auch das politische Wahlbeteiligung ist eine Form politischen Gleichzeitig ist die Lügenpresse-Debatte der Interesse nach oben. Alle drei Formate er- Engagements – eine unverbindliche aller- Jahre 2015 und 2016 in ihrer Hysterie abge- reichten zuletzt immer wieder Spitzenwerte, dings. Dagegen zeigt neben dem Eintritt in ebbt.9 Ohnehin lohnt hier ein differenzierter die sie lange nicht erreicht haben. eine Partei besonders auch ehrenamtliches Blick: Medien sind höchst unterschiedlich. | Medienforschung Im Zweifel: Politisch interessiert — 18
Entwicklung des politischen Interesses Angaben in % Politisches Interesse stark, Politisches Interesse sehr stark kaum, gar nicht 2011 44% 2011 15% 2012 44% 2012 15% 2013 52% 2013 11% 2014 45% 2014 14% 2015 48% 2015 14% 2016 53% 2016 11% Zuschauerzahlen 2017 56% 2017 10% der Nachrichten Sehbeteiligung in Mio. 2018 55% 2018 10% Tagesschau 5,31 5,29 5,22 4,93 4,94 4,99 5,05 4,84 3,60 3,69 3,71 3,83 heute 3,52 3,44 3,54 3,31 RTL aktuell 3,91 3,54 3,46 3,25 3,15 3,07 3,06 3,01 heute-journal 3,63 3,65 3,72 3,72 3,88 3,84 3,54 3,77 Tagesthemen 2,35 2,51 2,53 2,46 2,44 2,62 2,41 2,19 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 MEDIENENTWICKLUNGEN 2019 ZDF Medienforschung Report
Das „heute-journal“ erreicht 2018 Für Teile der Bevölkerung scheinen ausgiebig über das aktuelle Geschehen den höchsten Marktanteil seit 1995 Nachrichten heute jedoch weniger informieren, bei einigen Quellen wie privates und die „heute“ 19 Uhr Sendung ist als zuvor das Bedürfnis nach Sicher- Fernsehen, privates Radio oder Social Media so stark wie zuletzt 2005. heit und Kontrolle zu bedienen: sogar häufiger als der Durchschnitt, informie- ren sich die Entfremdeten merklich weniger Dazu passend bescheinigt auch die letzte Globale Themen wie Terror oder die Flücht- und nutzen fast alle Quellen, also auch das qualitative Untersuchung, die die ZDF-Medi- lingssituation sind bedrohlich nah gekom- öffentlich-rechtliche Fernsehen, deutlich enforschung im Juni 2018 durchgeführt hat, men.14 Ein wichtiger Faktor in dem zwiespäl- unter Schnitt.16 der „heute“ 19 Uhr Sendung und dem „heute- tigen Verhältnis zu Politik und Nachrichten. Im Gegensatz zu den Entfremdeten beteili- journal“ eine hohe Zufriedenheit der Stamm- gen sich die politischen Zweifler noch recht zuschauer.11 Und während in Teilen der Bevölkerung Inte- rege am Nachrichtengeschehen und nutzen resse und Vertrauen zunehmen, zeigt sich in auch die Angebote des ZDF. Aus diesem anderen Teilen ein (wachsendes) Misstrau- Grund hat die ZDF-Medienforschung diese Es bröckelt: das hohe Nachrich- en.15 Gruppe nochmal in einer tiefergehenden teninteresse nimmt leicht ab Befragung in den Blick genommen: Woher kommen die Zweifel, wie wirken sich diese Dennoch gehört zum ganzen Bild noch eine Tendenzen aus und wie stehen sie den öffentlich-recht- andere Entwicklung: Im jährlichen ZDF-Image- politischer Entfremdung lichen Medien gegenüber? trend zeigt sich zwar, dass über 90% der Befragten sagen, dass Fernsehnachrichten Weiteren Aufschluss kann die Studie „Medi- Die Studie hat sich vor allem mit denjeni- ihnen wichtig bzw. besonders wichtig sind.12 en als Träger politischer Information“ geben. gen befasst, die skeptisch sind, aber noch Fernsehnachrichten sind also aus Zuschau- Diese Studie, die gemeinsam von der ZDF- grundsätzlich offen für öffentlich-rechtliche ersicht weiterhin das mit Abstand wichtigste und der ARD-Medienforschung im Sommer Angebote.17 Genre im Fernsehen. Gleichzeitig zeigt sich 2017 durchgeführt wurde, greift auf eine gegenüber 2014 ein Rückgang um 5 Pro- Typologie zurück, bei der politische Zweifler Zunächst handelt es sich um eine relativ zentpunkte; wenn auch weiterhin auf hohem und politisch Entfremdete beschrieben wer- heterogene Gruppe: Zweifler kommen aus Niveau.13 den. Politische Zweifler machen rund 14% unterschiedlichen Milieus und beklagen der Bevölkerung aus, die politisch Entfrem- verschiedenste Missstände in Politik und Deutschland interessiert sich wieder mehr für deten 9%. Während die politischen Zweifler Medien. Dabei sind sie teilweise gut über das Politik, Nachrichtensendungen werden noch noch zu 43% politisch interessiert sind, ist Nachrichtengeschehen informiert. Die Grün- mehr genutzt, das Interesse an Nachrichten das politische Interesse unter den Entfrem- de für ihre Zweifel sind dabei vielfältig und geht aber zurück? deten mit nur noch 10% äußerst gering. äußern sich in Beschreibungen von Nach- richten als „unverständlich“, „beängstigend“ Sich zu informieren, gehört für die meisten Das zeigt sich auch in der Mediennutzung. über „zu weit weg“, „schöngefärbt“ bis hin zu zum Alltag. Während politische Zweifler sich noch „Lückenpresse“ (nicht „Lügenpresse“). | Medienforschung Im Zweifel: Politisch interessiert — 20
Glaubwürdigkeit der Berichterstattung von ARD und ZDF Angaben in % 80 70 68 67 67 67 Vertrauen sehr groß/ 65 64 65 66 65 64 66 66 63 62 64 groß 58 60 60 50 41 40 38 35 36 33 34 33 33 33 31 31 31 32 31 32 Vertrauen nicht so groß/ 29 30 30 gar kein Vertrauen 20 10 0 Nov Jan Apr Jul Okt Jan Apr Jul Okt Jan Apr Jul Okt Jan Apr Aug Okt 2015 2016 2016 2016 2016 2017 2017 2017 2017 2018 2018 2018 2018 2019 2019 2019 2019 MEDIENENTWICKLUNGEN 2019 ZDF Medienforschung Report
Dabei zeigt sich auch, dass die Me- Welche Möglichkeiten gibt es, dien als Überbringer der Nachricht die Zweifler stärker mitunter in Mithaftung genommen anzusprechen? werden.18 In der Studie wurden drei Stellschrauben Gemeinsam ist der Gruppe der Zweifler die herausgearbeitet.20 Suche nach Identität, teils auch nach einer spezifischen, greifbaren deutschen Identität. 1. Perspektivenvielfalt: z.B. Akteure mit ver- Die gesellschaftlichen, ökonomischen und schiedenen Meinungen zeigen. politischen Zusammenhänge sind global und national inzwischen für einige zu komplex 2. Augenhöhe: z.B. klare Sprache, klarer geworden. Dabei ist die Zuwanderungspo- Bezug auf Deutschland, den eigenen Alltag. litik nur ein Aspekt, wenn auch ein zentraler. Zweifler beschreiben schwer auszuhaltende 3. Orientierung: z.B. Nachrichten in alltags- teils diffuse Gefühlszustände wie Wut, Ohn- nahe Kontexte einzubetten, auf Zusammen- macht, Unsicherheit, Orientierungslosigkeit, hänge und die Entwicklung von Themen Verlustängste – und besonders die Sorge, hinzuweisen. damit alleingelassen zu werden. Dieses fehlende Resonanzerleben führt dazu, dass sie sich mit ihrer eigenen Lebenswelt nicht ausreichend medial repräsentiert und damit zu einem gewissen Grad unerwünscht fühlen. Bedenklich daran ist, dass alternati- ve – auch populistische – Angebote eine Art Zuwendungsersatz darstellen können.19 | Medienforschung Im Zweifel: Politisch interessiert — 22
Wer sieht mich und wenn ja, wie viele? Kennzahlen unter der Lupe Bei der Betrachtung des TV-Marktes allgemein und der ZDF-Familie insbesondere ist alles einfach: Die Sehdauer ist hoch, das ZDF ist 2018 im siebten Jahr in Folge mit dem stärksten Marktanteil seit 1996 Marktführer und die ZDF-Familie wächst. Ein Blick auf einzel- ne Zielgruppen und auf die Entwicklung der Kennzahlen „Seher“ und „Verweildauer“ zeigt, welche Komplexität sich dahinter verbirgt, welche Entwicklungen bei Fernsehzuschauern stattfinden und kann Hinweise darauf geben, was das für Marken und Markt bedeutet. MEDIENENTWICKLUNGEN 2019 ZDF Medienforschung Report
Erfolge für die ZDF-Familie 14-49-Jährigen sind es im Schnitt 57%, die drei Jahre gedauert, von 2014 bis 2016 jeden Tag fernsehen. waren es nur noch zwei Jahre. Von 2016 Das ZDF bleibt auch 2018 trotz zunehmen- auf 2017 fand dieser Rückgang nun inner- der Fragmentierung mit 13,9% Marktanteil halb eines Jahres statt. Auch 2018 ging die zum siebten Mal in Folge der meistgesehene Anstieg der Verweildauer Sehdauer bei den Jüngeren um 7 Minuten Fernsehsender – mit dem höchsten Wert seit zurück und liegt bei noch 153 Minuten. Das über 20 Jahren.1 Das ist umso wichtiger, da Es schalten also weniger Menschen ein, ist zwar mehr als in den Zeiten ohne Inter- vor über 20 Jahren die Fernsehlandschaft gleichzeitig sehen diese aber länger fern. net, also Anfang der 90er Jahre. Gleichzeitig noch eine ganz andere war, ohne die vielen Das zeigt die durchschnittliche Verweildau- durchaus bemerkenswert.6 unterschiedlichen Spartensender, die als er der Zuschauer insgesamt: Die 68% der stetes Wasser den Stein der großen Sender Zuschauer, die pro Tag einschalten, sehen im Stück für Stück weiter aushöhlen konnten. Durchschnitt 320 Minuten fern.4 Mehr Sender – weniger Zapping Dazu kommt, dass ZDFneo (3,2%) und ZD- Finfo (1,4%) 2018 die höchsten Marktanteile Neben der Verweildauer gibt es auch noch Eine fragmentierte TV-Landschaft, eine seit Bestehen aufweisen.2 die Sehdauer, bei der ein Durchschnitt über größere Anzahl Sender: Der Schluss liegt alle Personen berechnet wird, also auch die nahe, dass die Zuschauer durch die größe- einbezogen werden, die nicht ferngesehen re Auswahl an TV-Sendern mehr durch die Der Rückgang der haben. Somit konnte in den letzten Jahren Kanäle zappen. täglichen Nettoreichweite der Rückgang der Nettoreichweite durch den Anstieg der Verweildauer kompensiert und Dennoch ist das Gegenteil der Fall. Die An- Gleichzeitig verändert sich das Publikum des damit eine stabil hohe Sehdauer ausgewie- zahl der gesehenen Sender, also die Größe klassischen Fernsehens. sen werden.5 des Senderportfolios, die ein Nutzer bzw. Im Jahr 2018 sind es rund 68% der Deut- ein Seher im Rahmen seiner Verweildauer schen, die täglich den Fernseher einschalten. Beim Blick auf die Jüngeren (14-49 J.) wird nutzt, ist zurückgegangen. Das entspricht rund 51 Mio. Menschen. deutlich, dass die Entwicklung an Dynamik Über die letzten 10 Jahre lässt sich ein leich- gewinnt. Seit 2013 geht die Verweildauer erst Pro Tag werden 2018 durchschnittlich 5,4 ter, aber stetiger Rückgang beobachten, so langsam, zuletzt etwas stärker zurück und Sender gesehen. Vor 10 Jahren wurden im dass die Zahl der Tagesseher im Vergleich liegt 2018 aktuell bei im Schnitt 265 Minuten. Schnitt noch 6,2 Sender pro Tag genutzt.7 zum Jahr 2004 um rund 7 Prozentpunkte Auch hier ist der Blick auf die Jüngeren zurückgeht: In absoluten Zahlen sind das Wenn nun Nettoreichweite und interessant. Vor gut 10 Jahren nutzten etwa 2 Mio. Zuschauer weniger.3 Verweildauer sinken, wirkt sich das jüngere Zuschauer noch mehr Sender als auch direkt auf die durchschnittli- das Gesamtpublikum. Das kehrte sich Diese Entwicklung ist bei Jüngeren, den che Sehdauer aus. 2011 um: Seitdem ist die Zahl der gesehe- 14-49-Jährigen, stärker ausgeprägt. Ver- nen Sender bei Jüngeren geringer als beim glichen mit 2004 ist ein Rückgang um rund Ein Rückgang der Sehdauer von rund 10 Gesamtpublikum. Die jüngeren Zuschauer 12 Prozentpunkte festzustellen. Unter den Minuten hat zwischen 2011 und 2014 noch nutzen im Schnitt noch 4,7 Sender, also | Medienforschung Wer sieht mich und wenn ja, wie viele? Kennzahlen unter der Lupe — 24
Entwicklungen von 350 Sehdauer in Minuten TV-Kennzahlen 300 250 Zuschauer gesamt 225 222 221 221 223 223 221 217 Erwachsene 14-49 Jahre 200 192 187 182 181 176 171 160 150 153 // 0 Jahr Jahr Jahr Jahr Jahr Jahr Jahr Jahr 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 350 Verweildauer in Minuten 322 323 323 320 316 317 314 316 300 293 294 294 291 288 283 272 250 // 265 0 Jahr Jahr Jahr Jahr Jahr Jahr Jahr Jahr 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 80 Nettoreichweite in Mio. 60 51,73 51,19 51,41 50,36 50,22 49,98 51,15 49,69 40 22,66 21,74 20,94 20,89 20 20,86 20,25 20,02 19,68 0 Jahr Jahr Jahr Jahr Jahr Jahr Jahr Jahr 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 MEDIENENTWICKLUNGEN 2019 ZDF Medienforschung Report
knapp 2 Sender weniger als 2006. neue Zuschauer zu gewinnen.9 Das bedeutet, dass es den einzelnen Spezielle Inhalte für spezielle Zielgruppen Sendern offenbar besser gelingt, die Zu- auf spezifischen Plattformen werden so- schauer an sich zu binden (was sich auch mit vermutlich einen höheren Stellenwert bei der gestiegenen Verweildauer bei den bekommen.10 jeweiligen Sendern zeigt). Es lässt aber auch den Schluss zu, dass sich Publika einzelner Sender – auch durch die spitzere Zielgruppenansprache – vermehrt vonein- ander abgrenzen. Ein Phänomen, das im Netz bereits weit fortgeschritten ist und als „Filterblase“ diskutiert wird. Ambivalente Entwicklungen für Markt und Marken Nettoreichweiten werden geringer, was bei Durchschnittswerten wie Sehdauer, Seh- beteiligung oder Marktanteil durch einen Anstieg der Verweildauer zumindest teil- kompensiert wird. In 2018 geht nun auch die Verweildauer erstmals um drei Minuten zurück,8 wenn auch auf hohem Niveau. Dies führt dazu, dass auch die Sehdauer erstmals seit län- gerem um 4 Minuten auf im Schnitt 217 Minuten zurückgeht. Wenn nun Publika kleinteiliger werden und sich vermehrt voneinander abgrenzen, es weniger Überschneidungen und Bewegun- gen im Markt gibt – dann dürfte es zuneh- mend schwerer für Medienmarken werden | Medienforschung Wer sieht mich und wenn ja, wie viele? Kennzahlen unter der Lupe — 26
Zuschauer besser verstehen: mit der MedienNutzerTypologie (MNT) Manchmal wird einfach ein Altersbereich definiert – und fertig ist die Zielgruppe. Zum Beispiel die der 14-49-Jährigen. Das ist sehr praktikabel und auch aussagekräftig, wie Untersuchungen zeigen; jedoch ist es nicht alles. Wünsche, Einstellungen, Ge- schmack und vieles mehr bleiben unsichtbar. Die MedienNutzer- Typologie geht darüber hinaus, indem sie eine wissenschaftliche und gleichzeitig anschauliche Zielgruppenbeschreibung liefert. Um diese Nutzertypen noch eingehender zu verstehen, wurde die Typologie um eine tieferliegende Ebene von Emotionen und Mo- tivationen ergänzt. MEDIENENTWICKLUNGEN 2019 ZDF Medienforschung Report
Es lohnt sich immer, bei Leistungswerten der chen Werten, Einstellungen, Interessen und zuvor erwähnten „Zielstrebigen“ zuweisen Mediennutzung nicht nur auf die Gesamtnut- Freizeitverhalten zu homogenen Gruppen kann, dass sie auf der Suche nach neu- zer, sondern auf Untergruppen zu schauen: zusammen. en Erfahrungen und Abenteuern sind und Oft werden erst so unterschiedliche Trends dass ihnen „Neues auszuprobieren“ gene- innerhalb der „Gesamtmasse“ deutlich, z.B. Im ZDF ist die MNT seit 2012 etabliert. rell leicht fällt.4 dass 14-29-Jährige in einem ganz anderen Sie ist eine wissenschaftlich Medienalltag leben als 30-49-Jährige.1 fundierte, in ihren Grundlagen Wie kommt man nun an die Motive und transparente und nachvollziehbare Erwartungshaltungen von Zuschauern, um Gleichzeitig ist klar: Das Lebensalter ist mit Untersuchung.2 sich — über die prägenden Lebensphasen die wichtigste Variable der Mediennutzung. Die Möglichkeit, die MNT täglich in Over- und Alterseffekte hinaus — dem „Unter- Sie reicht aber allein nicht immer aus, um night bzw. ZDFscope auszuwerten, ermög- bewusstsein“ eines MedienNutzerTypen Unterschiede in der Nutzung und Gründe licht einen schnellen Zugang. anzunähern? Erfolgversprechend scheint dafür zu erklären. es zu sein – so rühmt sich Netflix beispiels- Segmentierungen und Typologien – helfen Die Grafiken3 visualisieren die Erkenntnisse weise ja, seine Nutzer besser zu kennen, hier weiter. aus den repräsentativen Studien. Teilweise als diese sich selbst. basieren die Erkenntnisse auch auf soge- Im Kopf meines Zuschauers nannten ethnografischen Methoden. So Die ARD-/ZDF-Forschungskom- wurden im Rahmen einer aufwändigen mission hat testweise eine Studie Die MedienNutzerTypologie (kurz MNT) qualitativen Studie 2006 je zehn Probanden mit dem Ziel durchgeführt, die bietet eine anschauliche Beschreibung von eines MedienNutzerTyps rekrutiert und in bestehenden Typbeschreibungen Nutzergruppen der Bevölkerung. Sie liefert einer Lebensweltstudie in ihrem Alltag be- um psychografische Dimensionen Programmmachern einen tieferen Einblick gleitet. Dies half, sich von vorhandenen Kli- anzureichern.5 in die Lebenswelt der Zuschauer: z.B. in schees und Vorurteilen zu befreien. So fiel Im Ergebnis zeigte sich, dass die der Me- die der optimistischen „Zielstrebigen“, die die Entscheidung, für die MNT keine Fotos dienNutzerTypologie zugrunde liegenden als Digital Natives nur noch kurz ihre Mails heranzuziehen, sondern Grafiken anzufer- Dimensionen den sieben voneinander un- checken müssen, natürlich jung und dy- tigen, um hier die einzelnen Nutzertypen in abhängigen Emotionssystemen: Dominanz, namisch sind, die unterwegs auf Partys, ihrer Vielfältigkeit nicht einzuschränken und Suche, Spiel/Freude, Lust/Erotik, Balance, Konzerten, und gerne im Urlaub sind. Dies auf einen „Stereotyp“ zu reduzieren. Fürsorge und Skepsis/Sorge sehr ähnlich ist nur ein Beispiel, wie solche Typologisie- sind.6 Bei einem „Modernen Etablierten“ rungen helfen können, sich die Zuschauer Die ARD/ZDF-Forschungskommission ist – eine liberale, kritische und aktive Persön- besser vorzustellen. Fast so, als könne nun noch einen Schritt weitergegangen lichkeit – ist z.B. das System „Suche“ im man sehen, wer da in den Bildschirm oder und hat sich mit sogenannten impliziten Sinne von Neugier und Fortschrittsglaube auf das Tablet schaut oder mit der Fernbe- Verfahren auseinandergesetzt. Dies mit überdurchschnittlich ausgeprägt, aber auch dienung auf dem Sofa liegt. dem Ziel, die einzelnen MedienNutzerTypen „Spiel/Freude“ und „Lust/Erotik“ spielen noch greifbarer und plastischer erscheinen eine wichtige Rolle. Dazu passt, dass die- Die MNT fasst dazu Menschen mit ähnli- zu lassen, indem man beispielsweise den sem Typus auch Aggression und Rebellion, | Medienforschung Zuschauer besser verstehen: Mit der MedienNutzerTypologie (MNT) — 28
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aber weniger Harmonie und Ordnung eigen weit in den Eigenschaften und seiner Me- sind – und sich als kritische Haltung sowie diennutzung beschränken, dass die Ziel- eine gewisse Nonkonformität zeigt.7 gruppenansprache unnötig eingeschränkt wird. Eine weitere Schwäche dieser starken Die in der MNT-Basisstudie erforschten Zuspitzung ist, dass die Dynamik der ge- Werthaltungen und Lebensziele finden sich sellschaftlichen Entwicklung einen regelmä- somit bei den MedienNutzerTypen auch ßigeren Abgleich mit der Realität erfordert. unterbewusst wieder. Für Programmma- Schließlich sind Personas – im Unterschied cher kann diese Zuordnung einen Mehrwert zu den MNT – nicht mit den Akzeptanzzah- bedeuten. len verknüpft, so dass der Zielgruppener- folg insofern nicht messbar ist. Eskapistin oder Hilfreich sind Personas sicher zum Gaby, 53, Friseurin Verständnis des Kontextes, in dem sich ein Zuschauer befindet. Eine weitere Möglichkeit, seine Zuschau- So kann beispielsweise anhand eines fik- erinnen und Zuschauer besser zu verste- tiven Tagesablaufes besser nachvollzogen hen, sind Personas. Grundsätzlich versteht werden, wo z.B. Kontakt mit den verschie- man unter Personas fiktive Personen, die denen Medien stattfindet. typische Vertreter oder Vertreterinnen einer Zielgruppe darstellen. Die kreative Liebe zum Detail Personas werden nicht auf Basis von „In- dividualempirie“ mit Eigenschaften aufgela- Wenn Big Data das Gold der Zukunft ist, den, sondern basieren idealerweise auf so- um über möglichst viele Datenquellen liden Forschungserkenntnissen und werden mehr über Mediennutzungsgewohnheiten dann verfeinert bzw. deskriptiv zugespitzt. herauszufinden, dann sind die MNT oder auch Personas „Small Data“: Die klein- Aus einer „Eskapistin“ (MNT) kann also teiligen, persönlichen Erkenntnisse, mit Gaby, die 53-jährige Friseurin werden, die denen die Lebenswelt von Nutzertypen im eine Vorliebe für Katzen und Liebesfilme besten Sinne der Hermeneutik verstanden hat. Oder eben auch Gabriel, der 46-jähri- werden kann – Small oder Personal Data ge KFZ-Mechaniker, der nach Feierabend eben.8 gerne bei einer Komödie entspannt. Dabei ist immer darauf zu achten, dass Personas den Mediennutzertypen nicht so- | Medienforschung Zuschauer besser verstehen: Mit der MedienNutzerTypologie (MNT) — 30
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