Mehr Dialog an den Schnittstellen - Bundesverband Deutscher ...

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1/2020

                                                                                                     LESERBEFRAGUNG
                                                                                                     IN DIESER AUSGABE

Chancen und Perspektiven
der Beruflichen Rehabilitation

Mehr Dialog an den Schnittstellen
Medizin & Beruf: Vernetzung fördert schnelle Integration
Deutschland hat viele Spezialisten, wenn es darum geht, die Leistungsfähigkeit von Menschen wiederherzustellen und ihre Erwerbs-
fähigkeit zu erhalten. Dafür bürgt das gegliederte System der sozialen Sicherung. Insgesamt erbringen acht Sozialleistungsträger
Leistungen der Rehabilitation und Teilhabe, die Menschen mit Behinderungen bei der Wiedereingliederung in das berufliche Leben
unterstützen. Erweitert wurden die Leistungen zudem um Angebote zur Prävention gemäß dem Grundsatz „Prävention vor Reha
vor Rente“. Idealerweise arbeiten die verschiedenen Leistungsträger Hand in Hand, damit die Übergänge an den Schnittstellen so
reibungslos wie möglich gestaltet werden. REHAVISION gibt Einblicke in Entwicklungen und alltägliche Praxis. Seite 3

                                Betriebe im Fokus                                                    Bekenntnis zu
                                                                                                     „Stay at work“
                                Dass Unternehmen beim
                                Erhalt von Beschäfti-                                                Wie können Leistungen für
                                gungsfähigkeit wichtige                                              einen dauerhaften Verbleib
                                Partner sind, spiegelt                                               im Arbeitsleben aussehen?
                                sich beim 29. Rehabilita-                                            Interview mit Jan Miede,
                                tionswissenschaftlichen                                              Geschäftsführer der DRV
                                Kolloquium wider.                                                    Braunschweig-Hannover.
                                Seite 9                                                              Seite 8

                                                            Die REHAVISION wird herausgegeben vom
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VORWORT

                  Liebe Leserin, lieber Leser,,
                  eine gute, effiziente Zusammenarbeit von medizi-                            setzen, wie die Verzahnung von medizinscher und
                  nischer und beruflicher Rehabilitation bewegt alle                          beruflicher Rehabilitation aktuell aussieht. Gleichzei-
                  Akteure der Rehabilitation seit vielen Jahren. Insbe-                       tig möchten wir unseren Beitrag dazu leisten, dass
                  sondere für Menschen mit komplexen Problemlagen,                            durch mehr Dialog und Verständnis voneinander
                  die für ihre Teilhabe medizinische und berufliche                           eine bessere Zusammenarbeit gelingt.
                  Rehabilitationsleistungen benötigen, sind die Brüche
                  und Wartezeiten an den Schnittstellen teilweise                             Ihnen ist sicher aufgefallen, dass die REHAVISION
                  gravierend. Dies ist nicht nur individuell frustrierend,                    diesmal mehr Inhalt bietet. Wir haben uns dafür
                  sondern auch volkswirtschaftlich nicht sinnvoll. Der                        entschieden, zwei statt bisher drei Ausgaben heraus-
                  Gesetzgeber hat dies erkannt und mit dem Bundes-                            zubringen – dafür mit deutlich erweitertem Um-
                  teilhabegesetz (BTHG) und dem Modellvorhaben                                fang. Ihre Meinung zur Rehavision können Sie uns
                  „rehapro“ alle Akteure aufgefordert, die Zusammen-                          übrigens jetzt auch über den neuen Feedbackbogen
                  arbeit weiter zu verbessern und gleichzeitig neue                           mitteilen. Wir freuen uns über Ihre Rückmeldungen!
                  Wege der Kooperation auszuprobieren. Auch wenn
                  noch lange nicht alles perfekt ist, hat das BTHG                            Ihre
                  schon jetzt einiges in Bewegung gebracht. Alle Ak-
                  teure der Rehabilitation tauschen sich deutlich mehr
                  als früher darüber aus, wie die Zusammenarbeit                              Dr. Susanne Gebauer
                  verbessert werden kann. In der neuen Ausgabe der                            Vorstandsvorsitzende des Bundesverbandes
                  REHAVISION möchten wir uns damit auseinander-                               Deutscher Berufsförderungswerke

                  Inhaltsverzeichnis

                  Schwerpunkt Thema. . . . . . . .           .   .   .   .   .   .   .    3   Schwerpunkt Forschungsprojekt . . . . . . . . . 16
                  Mehr Dialog an den Schnittstellen .        .   .   .   .   .   .   .    3   Berufliche Teilhabe sehbeeinträchtigter
                  Bekenntnis zu „Stay at work“ . . .         .   .   .   .   .   .   .    8   Menschen verbessern . . . . . . . . . . . . . . 16
                  Betriebe im Fokus . . . . . . . . .        .   .   .   .   .   .   .    9
                  „Es geht uns um das Miteinander“ .         .   .   .   .   .   .   .   11   Leserbefragung      . . . . . . . . . . . . . . . . 17
                  Unternehmen als Partner . . . . .          .   .   .   .   .   .   .   12
                                                                                              Namen und Nachrichten        .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   . 18
                  Aus den BFW . . . . . . . . . . . . . . .                  .   .   . 14     Kurz notiert . . . . . . .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   . 18
                  Vorteil Telemedizin. . . . . . . . . . . . .               .   .   . 14     Personalia . . . . . . . .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   . 19
                  Dank Case Management zurück in Arbeit .                    .   .   . 15     Veranstaltungen . . . . .    .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   . 19
                  Verzahnung ermöglicht schnelle Integration                 .   .   . 15

                        Impressum

                        Redaktion:                                                            Gestaltung:
                        Dr. Susanne Gebauer, Frank Gottwald,                                  zeichensetzen kommunikation GmbH
                        Hans-Dieter Herter, Kerstin Kölzner,                                  GDA Kommunikation − Gesellschaft für Marketing
                        Ellen Krüger, Frank Memmler, Niels Reith,                             und Service der Deutschen Arbeitgeber mbH
                        Dr. Jessica Stock, Astrid Hadem (V. i. S. d. P.)
                                                                                              Leserservice:
                                                                                              Kontakt: Ellen Krüger
                        Fotonachweise (Seite):
                                                                                              Knobelsdorffstraße 92, 14059 Berlin
                        iStockphoto.com (1, 3, 14); DRV Braunschweig-
                                                                                              Tel.: 030 3002-1253, Fax: 030 3002-1256
                        Hannover (1, 8); BV BFW/Kruppa (2, 11, 16,
                                                                                              E-Mail: rehavision@bv-bfw.de
                        19); SPD/Susie Knoll (4); Zentrum für seelische
                        Gesundheit (5); CeP Höhenried (7); DRV Bund                           Herausgeber:
                        (10, 13, 19); DEGEMED/Lawall (11); SBK/Eric                           Bundesverband Deutscher Berufsförderungswerke e. V.
                        Thevenet (15); zeichensetzen/M.Pletz (18),
                        BFW Hamburg (18); DEGEMED,                                            Druck:
                        INN-tegrativ (19)                                                     Königsdruck – Printmedien und digitale Dienste GmbH

2   REHAVISION 1/2020
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SCHWERPUNKT MEDIZIN & BERUF

Mehr Dialog an den Schnittstellen
Medizin & Beruf: Vernetzung fördert schnelle Integration

Deutschland hat viele Spezialisten, wenn es darum geht, die Leistungsfähigkeit von Menschen wiederherzustellen und ihre
Erwerbsfähigkeit zu erhalten. Dafür bürgt das gegliederte System der sozialen Sicherung aus gesetzlicher Kranken-, Renten-,
Unfall- und Arbeitslosenversicherung. Insgesamt erbringen acht Sozialleistungsträger Leistungen der Rehabilitation und Teilhabe,
die Menschen mit Behinderungen bei der Wiedereingliederung in das berufliche Leben unterstützen. Idealerweise arbeiten die
verschiedenen Leistungsträger Hand in Hand, damit die Übergänge an den Schnittstellen so reibungslos wie möglich gestaltet
werden. In der Praxis gestaltet sich die Zusammenarbeit an den Schnittstellen jedoch oft alles andere als nahtlos.

E   s gibt in Deutschland ein breites Spektrum an
    Zuständigkeiten und damit an vielfältiger Exper-
tise, die zur Entwicklung von hochqualifizierten
                                                         zungen müssen zügig bearbeitet und Möglichkeiten
                                                         einer schnellen, dem Gesundheitszustand angepass-
                                                         ten Arbeitsaufnahme gefördert werden. Last but not
Leistungen mit großer Wirksamkeit geführt haben.         least muss der Arbeitgeber eine Wiederaufnahme
Das ist einer der großen Vorteile des gegliederten       der Tätigkeit unterstützen, selbst wenn diese zu-
Systems. Alle Leistungen sind angelegt auf einen         nächst modifiziert ist oder in reduziertem Umfang
zielgerichteten, gestuften Einsatz. Zur teilhabeorien-   erfolgt. Das sind nicht eben wenige Akteure.
tierten Versorgung des Menschen sollen sie ineinan-
dergreifen und sich gegenseitig ergänzen. Das ist             Hinzu kommt: Je komplexer die Bedarfslagen,
der Kerngedanke des Systems. Denn eine nahtlose          umso anfälliger ist der reibungslose Ablauf in der
Unterstützung von Menschen mit chronischen Krank-        Versorgungskette. Die Gründe dafür sind ganz
heiten oder Behinderungen ist eine der zentralen         unterschiedlich. Nicht immer ist klar, welcher Reha-
Aufgaben der Sozialleistungsträger im gegliederten       bilitationsträger am Ende für eine Anschlussleistung
System. Auch deshalb genießt das deutsche Vorge-         zuständig ist – und vor allem nicht, ob eine Anschluss-
hen international hohes Ansehen.                         leistung dann auch bewilligt wird. Mehrfachbegut-
                                                         achtungen und lange Bearbeitungszeiten verzögern
Schnittstellen als Hürden                                nicht selten den reibungslosen Reha-Verlauf. Zudem
                                                         zeigen sich in der Praxis die Sozialgesetzbücher
Was in der Theorie allerdings gut funktioniert, ha-      als ungenügend aufeinander abgestimmt, so das
pert in der Praxis. „Damit berufliche Wiederein-         Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS).
gliederung gelingen kann, müssen viele Akteure           Kurz: Die Erfahrung lehrt, dass die trägerüber-
zusammenwirken“, erklärt Prof. Dr. Matthias Bethge,      greifende Zusammenarbeit nicht überall gut funk-
Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für         tioniert. So stagnieren die Zugänge zu Rehabilita-
Rehabilitationswissenschaften (DGRW): Die betrof-        tionsleistungen von Leistungsberechtigten im SGB II
fene Person muss aktiv an der Wiedereingliederung        seit Jahren, so die Bundesagentur für Arbeit.
arbeiten, die ärztlichen und therapeutischen Akteu-      Gerade bei SGB II-Leistungsberechtigten stei-
re müssen die berufliche Wiedereingliederung als         gen aufgrund eines langen Zeitverlaufs die
ein prioritäres Behandlungsziel anerkennen. An-          Hindernisse für die Arbeitsmarktintegration
träge auf notwendige Anpassungen und Unterstüt-          bis hin zur Erwerbsunfähigkeit.          ➝ Fortsetzung

                                                                                                            REHAVISION 1/2020   3
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SCHWERPUNKT MEDIZIN & BERUF

                      Die Forderung nach verbesserten Zugangsmög-            worden. „Die Mühe der Bürgerinnen und Bürger bei
                  lichkeiten zu Reha-Leistungen, besserer Information        der Suche nach den zuständigen Behörden haben wir
                  und Beratung sowie optimierter Zusammenarbeit              damit dorthin verschoben, wo sie hingehört: zu den
                  der Leistungserbringer und Leistungsträger ist da-         Rehabilitationsträgern“, sagt Griese weiter.
                  her ein Dauerthema. Denn fest steht: Kommt es zu
                  Brüchen in der Versorgung und zu ungewollten La- Auf Wunsch können die betroffenen Menschen
                  tenzzeiten, hat das Auswirkungen auf die spätere
                                                               auch selbst an der Teilhabeplankonferenz teilneh-
                  Teilhabe am Arbeitsleben. Ohne eine frühzeitige
                                                               men. So erhalten sie nicht nur alle Informationen
                  Verknüpfung von medizinischer und beruflicherrund um den Bescheid, sondern auch mehr Selbstbe-
                  Rehabilitation gerade bei schwerwiegenden ge-stimmung im Reha-Prozess. Im Mittelpunkt steht also
                  sundheitlichen Beeinträchtigungen geht wertvolle
                                                               nur noch der einzelne Mensch und die Frage, welche
                  Lebensarbeitszeit verloren. Das ist mehr als ein indi-
                                                               Unterstützung er benötigt – wie es die Träger unter-
                  viduelles Problem des Einzelnen. Es ist auch gesamt-
                                                               einander organisieren, darum muss sich der Mensch
                  gesellschaftlich eine Herausforderung.       mit Behinderungen nicht mehr kümmern. „Nach mei-
                                                                            ner Einschätzung ist viel in Bewegung
                                                                            gekommen und Bürgerinnen und Bür-
                                                                            ger sowie Verwaltung können besser
                                                                            zusammenwirken im Sinne guter Reha-
                                                                            Leistungen“, zeigt sich Kerstin Griese
                                       „Nach meiner Einschätzung ist
                                                                            zufrieden. „Das ist eine der großen Er-
                                       viel in Bewegung gekommen            rungenschaften des BTHG.“
                                       und Bürgerinnen und Bürger
                                                                                               Das sieht auch Dr. Susanne Ge-
                                       sowie Verwaltung können                            bauer,      Vorstandsvorsitzende   des
                                       besser zusammenwirken im                           Bundesverbandes Deutscher Berufs-
                                       Sinne guter Reha-Leistungen“                       förderungswerke (BV BFW) so: „Wir
                                                                                          begrüßen die Deutlichkeit, mit der der
                                                                                          Gesetzgeber mit dem BTHG nach-
                                       Kerstin Griese, Parlamentarische
                                                                                          drücklich die trägerübergreifende Zu-
                                       Staatssekretärin beim Bundesminister
                                                                                          sammenarbeit verpflichtend gemacht
                                       für Arbeit und Soziales
                                                                                          hat. Die Zukunft wird zeigen, ob das
                                                                                          Gesetz die Hürden der Realität meis-
                                                                                          tern wird.“ Die BFW seien mehr als be-
                                                                                          reit, ihren Part dazu beizutragen.

                  BTHG: Herausforderungen erkannt                            rehapro: Fokus Schnittstellenmanagement

                  Mit dem Bundesteilhabegesetz und dem Programm              Wenn es Erfolgsfaktoren für eine Vermeidung von
                  „rehapro“ hat das BMAS die Weichen für eine in-            Ausgliederung gibt, ist ein wesentlicher die mög-
                  novative und erfolgreiche Vernetzung gestellt und          lichst frühe Intervention. Das BTHG verpflichtet die
                  dabei auch den Faktor Frühzeitigkeit in den Blick          Träger von Reha-Maßnahmen daher, drohende Be-
                  genommen. Probleme wie unterschiedliche Bedarfs-           hinderungen frühzeitig zu erkennen und gezieltes
                  feststellungs- und Planungsverfahren oder Zuständig-       Handeln noch vor Eintritt der Rehabilitation zu er-
                  keitsstreitigkeiten zwischen den Trägern sollen damit      möglichen. Dafür braucht es geeignete präventive
                  der Vergangenheit angehören. Das BTHG setzt ganz           Maßnahmen. Auch aus diesem Grund hat der Bund
                  bewusst an den bisherigen Schwachstellen des ge-           das Förderprogramm „rehapro“ entwickelt.
                  gliederten Systems an, um die Schnittstellen zu redu-
                  zieren. Und das sind einige.                                    Aktuell beschäftigen sich im Förderprogramm
                                                                             rehapro 19 Modellprojekte – rund ein Drittel aller
                      Vor allem das neue Teilhabeplanverfahren soll da-      Vorhaben – mit dem Übergang von medizinischer zu
                  bei helfen. Neu ist, dass nur noch ein Träger als „leis-   beruflicher Rehabilitation. „Der Fokus liegt hier ent-
                  tender Träger" bei trägerübergreifenden Teilhabeleis-      weder direkt beim Schnittstellenmanagement oder
                  tungen zuständig ist – auch wenn Rentenversicherung,       es werden innovative Bestandteile aus beiden Ver-
                  Bundesagentur für Arbeit, Unfall-, Kranken- und            sorgungssegmenten miteinander verknüpft bzw. neu
                  Pflegekasse für unterschiedliche Leistungen zuständig      konzipiert“, berichtet die Parlamentarische Staatsse-
                  bleiben. Dieser eine Träger ist auch verantwortlich für    kretärin Kerstin Griese und stellt das Modellprojekt
                  die Teilhabeplankonferenzen. So werden „Hilfen wie         „AktiFAME“ der DRV Nord vor: „Eine neu entwickelte
                  aus einer Hand ermöglicht“, erklärt die Parlamenta-        Intervention für psychisch erkrankte Menschen ver-
                  rische Staatssekretärin Kerstin Griese im Gespräch         bunden mit einem individuellen, bedarfsorientierten
                  mit REHAVISION. Damit wird nun ein Antrag auf ver-         Fallmanagement. Letzteres ermöglicht u. a. einen
                  schiedene Reha-Leistungen so behandelt, als wäre           nahtlosen Übergang zwischen medizinischen und be-
                  er zugleich bei allen Rehabilitationsträgern gestellt      ruflichen Rehabilitationsleistungen.“

4   REHAVISION 1/2020
Mehr Dialog an den Schnittstellen - Bundesverband Deutscher ...
SCHWERPUNKT MEDIZIN & BERUF

     Mit dem neuen Gesetz und dem Förderprogramm            Sprache des Mediziners, die berufliche Rehabilitation
ist also an den Schnittstellen tatsächlich etwas ins Rol-   die des Pädagogen. Der Mediziner sieht immer zuerst
len gekommen. Das ist gut so. Aber es reicht nicht.         die Diagnose, während der Pädagoge das Entwick-
Dass die Umsetzung in der Praxis Zeit braucht, ist an-      lungspotenzial sieht.“ Damit es an den Übergängen gut
gesichts der Komplexität der Leistungen und Vielzahl        funktioniert, müssen also beide Gruppen nicht nur eine
der Akteure nicht allzu verwunderlich.                      gemeinsame Terminologie entwickeln, sondern auch
                                                            ein gemeinsames Verständnis dafür, welche Schwer-
Noch immer zu lange Wartezeiten                             punkte die einzelnen Bereiche setzen.

„Der Gesetzgeber hat aus gutem Grund das verbes-                Aber nicht nur die Sprache ist unterschiedlich,
serte Zusammenspiel der Akteure eingefordert“, sagt         sondern auch die jeweiligen Dokumentationssyste-
Dr. Petra Becker. Sie ist geschäftsführende Gesellschaf-    me. „Beim Wechsel der Patienten von einem System
terin der Dr. Becker-Unternehmensgruppe, die bun-           ins andere kann meist nicht auf den Ergebnissen des
desweit acht Reha-Kliniken, drei Therapiezentren und        vorhergehenden Systems aufgebaut werden – etwa
vier Seniorenpflegeeinrichtungen betreibt. „Aus unse-       beim Assessment.“ An den Schnittstellen gibt es daher
rer Sicht ist es extrem wichtig, dass sich die Nachver-     nicht nur einen Systemwechsel, sondern auch einen
sorgung gut anschließt, da in der medizinischen Reha        Medienbruch. „Hier erfolgt sehr viel Doppelarbeit,
Impulse gesetzt und Voraussetzungen geschaffen wer-         statt auf der Vorarbeit aus dem System zuvor aufzu-
den können, damit Patienten ihren Lebensstil oder ihr       bauen“, kritisiert sie. Systeme kompatibel zu machen
berufliches Umfeld langfristig erfolgreich verändern        und mehr Einheitlichkeit zu schaffen, sei ein sinnvoller
können.“ Die Erfahrung zeige aber, dass es immer wie-       Schritt zu fließenden Übergängen.
der zu lange Wartezeiten zwischen abgeschlossener
medizinischer Rehabilitation und Beginn der berufli-
chen Rehabilitation gebe. Die Ursachen dafür sind aus
ihrer Sicht zu lange Bearbeitungszeiten und Friktionen
im Bewilligungsprozess. Doch schon während der me-
dizinischen gelte es, die berufliche Rehabilitation „auf
den Weg zu bringen“. Dazu gehöre es, frühzeitig den
Bedarf für eine Leistung zur beruflichen Rehabilitation
zu erkennen und noch während der medizinischen Re-
habilitation die nächsten Schritte einzuleiten.

     Woran hapert es also in der Praxis genau? „In
der medizinischen Rehabilitation können derzeit nur
Empfehlungen ausgesprochen werden. Die Entschei-
dungen darüber, ob diese Empfehlungen umgesetzt
werden, wie z. B. die Bewilligung von Leistungen zur
Teilhabe am Arbeitsleben (LTA) oder eine stufenwei-
se Wiedereingliederung, finden in der Regel erst
anschließend statt.“ Hier könnten Absprachen und
Fallkonferenzen, wie sie das BTHG insbesondere für
komplexe Fälle vorsieht, Abhilfe schaffen. Auch ge-         Best Practice für nahtlose Übergänge                       Vernetzung im
meinsam definierte Standardfälle könnten dazu bei-                                                                     Zentrum für seelische
tragen, die Übergänge an den Schnittstellen zu ver-         Dass es besser laufen kann, hat die Dr. Becker-Unter-      Gesundheit Bremen
bessern. „Aktuell werden beim Übergang in LTA die           nehmensgruppe zusammen mit dem BFW Weser-Ems               verbessert Versor-
                                                                                                                       gung von Menschen
Empfehlungen aus der medizinischen Reha zu 80 %             der INN-tegrativ gGmbH vorgemacht. Seit ein paar
                                                                                                                       mit psychischen
bewilligt, 20 % werden zunächst abgelehnt“, erklärt         Jahren arbeitet ein Gemeinschaftsunternehmen, das
                                                                                                                       Erkrankungen.
die Reha-Expertin. Im Idealfall sollten die Empfehlun-      Zentrum für seelische Gesundheit in Bremen, nach
gen der Klinik regelhaft ausreichend sein und kein          einem einmaligen Konzept, das sich den nahtlosen
weiteres Bewilligungsverfahren nach sich ziehen. Al-        Übergang zwischen medizinischer und beruflicher
ternativen könnten beschleunigte Prüfverfahren für          Reha zum Ziel gemacht hat. Eine beispielhafte Zusam-
bestimmte Patientengruppen sein oder eine gemein-           menarbeit, die zeigt, wie sich Hürden abbauen und
same Abstimmung am Ende der medizinischen Re-               Versorgungsketten besser gestalten lassen. Das BFW
habilitation. Video-Reha-Beratungen könnten solche          Weser-Ems hält als nahtlose Ergänzung zum thera-
Abstimmungsgespräche effizient ermöglichen und              peutischen und beratenden Angebot des Rehabilita-
dabei unterstützen, frühzeitig Weichen zu stellen.          tionszentrums eine Vielzahl von Angeboten zur beruf-
                                                            lichen Rehabilitation bereit. „Bereits in der Konzeption
Unterschiedliche Sprachen                                   haben wir überlegt, welches Assessment und welche
                                                            Datenerhebungen sowohl in der medizinischen als
Ein weiteres Problem an den Schnittstellen sei, dass dort   auch in der nachfolgenden beruflichen Rehabilita-
unterschiedliche Sprachen gesprochen werden. Dr. Pet-       tion sinnvoll und notwendig sind“, skizziert Dr. Petra
ra Becker: „Die medizinische Rehabilitation spricht die     Becker das gemeinsame Vorgehen. ➝ Fortsetzung

                                                                                                                REHAVISION 1/2020         5
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SCHWERPUNKT MEDIZIN & BERUF

                     Und natürlich waren auch die zuständigen Reha-Trä-          Anbietern der beruflichen Rehabilitation wie den Be-
                     ger mit an Bord. Zusammen wurde ein Prozess entwi-          rufsförderungswerken erarbeitet. Sie umfassen spezi-
                     ckelt, in dem Patienten-Diagnosen und -Erkenntnisse         fische Leistungen wie die Belastungserprobung und
                     für die nachfolgende Integrationsmaßnahme nutzbar           eignen sich für Patienten, bei denen nicht absehbar ist,
                     gemacht werden und der Patient gezielt auf die nach-        ob sie ihren alten oder einen entsprechenden Arbeits-
                     folgende berufliche Rehabilitation vorbereitet wird.        platz wieder erfolgreich einnehmen können. Aller-
                     Direkt und gänzlich unbürokratisch, vor allem aber          dings erweist sich die MBOR Stufe C in der Praxis oft
                     ohne zeitliche Verluste. „Für den Patienten ist es sehr     als wenig praktikabel, da der Koordinierungsaufwand
                     wichtig, dass er an einer Schnittstelle nicht in ein Loch   an der Schnittstelle kein Bestandteil der Vergütung ist.
                     und damit in neue Unsicherheit fällt“, unterstreicht Dr.
                     Petra Becker einen weiteren wichtigen Aspekt naht-               „Die Wirksamkeit dieses Ansatzes ist durch ran-
                     loser Rehabilitation. Denn der Gewinn einer sicheren        domisierte kontrollierte Studien klar belegt“, so
                     Perspektive schon in der medizinischen Reha gehöre          DGRW-Vorstand Prof. Dr. Matthias Bethge vom Ins-
                     zu den Erfolgsfaktoren einer erfolgreichen Rehabili-        titut für Sozialmedizin und Epidemiologie der Univer-
                     tation. „Verunsicherung zu vermeiden, bedeutet den          sität zu Lübeck. Allerdings sei die Umsetzung in der
                     Erfolg zu steigern“, so ihr Fazit.                          Versorgungspraxis herausfordernd. „Damit es in der
                                                                                 Realität klappt, muss die Zielgruppe erreicht werden
                     MBOR für möglichst frühzeitige                              und müssen die empfohlenen Module in vollem Um-
                     Zusammenarbeit                                              fang umgesetzt werden. Die berufliche Orientierung
                                                                                 der Rehabilitation muss sich als klar erkennbarer ro-
                     Ganz neu ist die Vernetzung von medizinischer mit           ter Faden durch das Programm ziehen“, sagt Bethge.
                     beruflicher Rehabilitation nicht. Seit 2012 bietet die
                     Deutsche Rentenversicherung als „Medizinisch-be-            Schnittstelle Betrieb wird wichtiger
                     ruflich orientierte Rehabilitation“ (MBOR) gezielt dia-
                                                                     Und noch eine Schnittstelle ist in den letzten Jahren
                     gnostische und therapeutische Konzepte an, um Re-
                                                                     verstärkt in den Fokus gerückt: die Zusammenarbeit
                     habilitanden möglichst frühzeitig bei der Bewältigung
                                                                     mit Betrieben. Hier sind schnellere Zugänge zu er-
                     beruflicher Problemlagen zu unterstützen. Mit der so
                     genannten MBOR Stufe C wurden zudem neue For-   forderlichen Leistungen gefragt, um Unternehmen
                                                                     dabei zu unterstützen, Mitarbeiter nicht frühzeitig
                     men der Zusammenarbeit zwischen Reha-Kliniken und
                                                                              durch Ausgliederung zu verlieren. Einer
                                                                              der Auslöser dafür sind die steigende Kom-
    Herausforderung Schnittstelle – Status Quo                                plexität und Dynamik der Arbeitswelt, die
                                                                              wachsende psychische Belastungen mit sich
                                                                              bringt. Der Anteil der Langzeiterkrankten
                                                                              aufgrund von Stress, Burnout und Depressi-
                                                                              onen steigt unaufhaltbar. Laut BKK Gesund-
                                                                              heitsreport 2018 ist ihr Anteil am Arbeitsun-
                                                                              fähigkeitsgeschehen in den vergangenen 40
                                                                              Jahren von 2 % auf 16,6 % gestiegen. Psy-
    y Die Politik hat mit dem BTHG     y Fehlende Anreize zur                 chische Erkrankungen sind mit 43 % zudem
       den Handlunsgauftrag              Kooperation                          häufigste Ursache für krankheitsbedingte
       angenommen                                                             Frühberentungen, das Durchschnittsalter ist
                                       y Unterschiedliche Sprache in          mit 48,3 Jahren überdurchschnittlich jung.
    y Forschungsergebnisse               den verschiedenen Systemen           Eine beunruhigende Entwicklung.
       bestätigen Wirksamkeit gut
       vernetzter medizinischer und    y Berufliche                               In Summe addieren sich die Gesundheits-
       beruflicher Rehabilitation        Wiedereingliederung                  störungen zu einem gesundheitsökonomi-
                                         noch nicht als prioritäres           schen Problem mit klaren Risiken beim Thema
    y Erfolgreiche Beispiele aus         Behandlungsziel anerkannt            Fachkräftesicherung. Kein Wunder, dass die
       der Praxis belegen Nutzen                                              Gesundheit ihrer Arbeitnehmer für Unter-
       vernetzter Leistungen           y Wenig Erfahrungen mit                nehmen zunehmend an Bedeutung gewinnt.
                                         dem neuen Instrument
    y Programme wie rehapro              Teilhabeplanverfahren                Prävention für
       fördern Innovationen an                                                Arbeitnehmer gefragt
       Schnittstellen                  y Fehlen von generellen
                                         trägerübergreifenden                 Präventionsleistungen für Beschäftigte sind
                                         Standards                            daher gefragt. Es geht darum, Gesundheit
                                                                              zu fördern, Arbeitskraft zu erhalten und ein
                                       y Keine regelhafte Einführung          möglichst langes und gesundes Erwerbsleben
                                          von Erfolgsmodellen                 zu ermöglichen. Auch hier zielt der Gesetz-
    © BV BFW                                                                  geber auf eine Stärkung der Zusammen-
                                                                              arbeit, da Prävention, Akutbehandlung und

6    REHAVISION 1/2020
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medizinische Rehabilitation ineinandergreifen. Dass      im Mittelpunkt. „Energie Vital soll die Resilienz stärken      Centrum für
die gesetzlichen Krankenversicherungen Gesund-           sowie die körperliche und seelische Gesundheit för-            Prävention der
heitsuntersuchungen zur Früherkennung von Krank-         dern“, erklärt Zucker und berichtet: „Das Programm             Klinik Höhenried
heiten anbieten, ist bekannt. Aber auch die Renten-      wurde so gut angenommen, dass wir an die Grenzen
versicherung hat ihre Leistungen zur Sicherung der       unserer Kapazitäten gestoßen sind.“ Deshalb ent-
Erwerbsfähigkeit an Versicherte erweitert. Mit dem       schloss sich die Geschäftsführung, das Angebot zu er-
Flexirentengesetz hat der Gesetzgeber noch einmal        weitern und das CeP zu bauen. „Durch den Rechtsan-
die Präventionsleistungen betont und zur Pflichtleis-    spruch auf den Ü45-Check und Präventionsangebote
tung der DRV erklärt. Ab dem 45. Lebensjahr gibt         sind einfach mehr Kapazitäten erforderlich“, erklärt
es nun den „Ü45-Check“, einen freiwilligen, berufsbe-    der Klinik-Geschäftsführer. Immerhin werden deutsch-
zogenen Gesundheits-Check. Noch mehr Angebote            landweit rund 40 Mio. Versicherte nach und nach von
bieten spezielle Präventionszentren, die die Deutsche    den Rentenversicherungen angeschrieben und auf die
Rentenversicherung derzeit bundesweit aufbaut.           Präventionsleistungen hingewiesen.

Klinik Höhenried:                                        Zugänge aus Betrieben unterschiedlich
Innovatives Präventionszentrum
                                                         Der Zugang von Beschäftigten aus Konzernen ins
Eines davon gehört zur Klinik Höhenried der DRV          Präventionszentrum läuft problemlos. Dort gibt es
Bayern Süd, die Anfang Oktober 2019 ein eigenes          in der Regel gut informierte Betriebsmediziner, die
Centrum für Prävention (CeP) eröffnete – ein wirk-       präventionsrelevante Mitarbeitergruppen im Auge
liches Leuchtturmprojekt. Angebote zur Prävention        haben. Mit vielen großen Konzernen gibt es feste
haben hier Tradition, sagt Geschäftsführer Robert        Kooperationen. Anders sieht es bei den kleinen und
Zucker: „Bereits 2013 wurde für Mitarbeiter großer       mittelständischen Betrieben aus: „Die müssen über
Unternehmen ein präventives Angebot eingeführt:          die DRV erreicht werden“, erklärt Robert Zucker. Um
BETSI.“ Das Präventionsprogramm, das in seiner           Mitarbeiter aus Kleinbetrieben anzusprechen, hat
Langform „Beschäftigungsfähigkeit teilhabeorientiert     man den Zugang bewusst niedrigschwellig konzi-
sichern“ heißt, richtet sich an Menschen im Beruf, die   piert. Eine kurze ärztliche Stellungnahme und eine
bereits gesundheitliche Beschwerden haben, aber          Überweisung reichen aus.
noch nicht chronisch krank sind. Meist sind es Proble-
me mit dem Gewicht, hohe Blutdruckwerte oder Rü-             Schon jetzt zeigt sich, wie gefragt das neue Prä-
ckenschmerzen. Andere fühlen sich vom Job gestresst.     ventionszentrum ist: Mehr als 2.000 Personen haben
BETSI fördert gesundheitsorientierte Verhaltenswei-      bereits die Angebote genutzt. Die meisten stationär,
sen und einen bewussteren Umgang mit körperlichen        einige ambulant. Dazu haben die Präventionsexper-
und psychischen Anforderungen.                           ten extra ein Online-Coaching und eine eigene
                                                         Trainings-App entwickelt. „Mit dem neuen Konzept
    Neben dem Präventions- und Gesundheitsförde-         rennen wir offenen Türen ein“, bestätigt Robert
rungsprogramm BETSI gibt es inzwischen ein weiteres      Zucker den CeP-Erfolg. Profitieren werden davon
Programm, das den Fokus auf die Stärkung des psy-        alle: Die leistungsgestärkten Beschäftigten und ihre
chischen Immunsystems richtet: „Energie Vital“. Hier     Unternehmen, aber auch die Rentenversicherungen
stehen der Schutz vor psychischen Belastungen sowie      – denn Prävention ist volkswirtschaftlich besser als
Techniken zur Entspannung und Konfliktbewältigung        Reha und noch besser als Rente.

                                                                                                              REHAVISION 1/2020      7
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Bekenntnis zu „Stay at work“
Interview mit Jan Miede, Geschäftsführer der DRV Braunschweig-Hannover

Der Auftrag der Deutschen Rentenversicherung (DRV) ist klar: Die Beschäftigungsfähigkeit der Versicherten soll möglichst
optimal sichergestellt werden. Dazu gibt es rehabilitative und präventive Leistungen. Immer wichtiger wird für die DRV die
frühzeitige Zusammenarbeit mit Betrieben. Jan Miede, Geschäftsführer der DRV Braunschweig-Hannover, spricht im Interview
mit REHAVISION über Leistungen und Konzepte, wie die DRV und Betriebe gemeinsam gesundheitsfördernde Rahmenbedin-
gungen für einen dauerhaften Verbleib im Arbeitsleben schaffen können.

                                                                               Konzept entwickelt, das jetzt in aktualisierter Form
                                                                               vorliegt. Noch stärker als zuvor werden jetzt psychi-
                                                                               sche Beeinträchtigungen in den Fokus genommen.
                                                                               Dabei geht es darum, im Rahmen rehabilitativer Leis-
                                                                               tungen die besonderen Anforderungen eines konkre-
                                                                               ten Arbeitsplatzes zu erkennen und die Versicherten
                                                                               bereits während ihrer medizinischen Rehabilitation op-
                                                                               timal dafür zu trainieren. Anders als bei Leistungen zur
                                                                               medizinischen Rehabilitation geht es bei Präventions-
                                                                               leistungen um Versicherte mit lediglich ersten gesund-
                                                                               heitlichen Beeinträchtigungen, gleichwohl wird aber
                                                                               ein Bezug zur ausgeübten Beschäftigung hergestellt.
                                                                               Damit bekennt sich die Rentenversicherung bewusst zu
                                                                               ihrer Verantwortung, durch die Gestaltung ihrer prä-
                                                                               ventiven Angebote ein „Stay-at-Work“ sicherzustellen.
                                                                               So werden etwa die wichtigen Trainingsphasen auch
                                                                               parallel zur beruflichen Tätigkeit weitergeführt. Und
                                                                               über ein „Refreshing“, das Teil jeder Präventionsleis-
                                                                               tung ist, wird der Blick noch einmal darauf geschärft,
                                                                               ob die Leistung erfolgreich ist im Hinblick auf die Wei-
Jan Miede,           REHAVISION: Was brauchen erfolgreiche „Return-to-         terführung der bisherigen beruflichen Tätigkeit.
Geschäftsführer      Work“- oder „Stay-at-Work“-Konzepte?
der Deutschen                                                                        Und für Menschen mit erheblich eingeschränkter
Rentenversicherung   Jan Miede: Der gesetzliche Auftrag der Rentenversi-       Leistungsfähigkeit für ihre beruflichen Aufgaben hat
Braunschweig-        cherung ist es, durch Leistungen zur Teilhabe den Aus-    die DRV Fallmanagementstrukturen entwickelt. Sie
Hannover
                     wirkungen einer Krankheit oder Behinderung auf die        stellen zeitnah sicher, dass erforderliche Unterstüt-
                     Erwerbstätigkeit der Versicherten vorzubeugen oder        zungsleistungen wie etwa Hilfsmittel oder Weiterqua-
                     sie zu überwinden. So sollen Beeinträchtigungen der       lifizierungen umgehend erbracht werden können, und
                     Erwerbsfähigkeit der Versicherten oder ihr vorzeitiges    damit eine Weiterbeschäftigung, ein „Return to work“,
                     Ausscheiden aus dem Erwerbsleben verhindert wer-          möglich wird – häufig bei dem bisherigen Arbeitgeber.
                     den. Unser Ziel ist es, sie möglichst dauerhaft in das
                     Erwerbsleben wiedereinzugliedern. Es geht also nicht      Welche präventiven Leistungen setzen an der
                     darum, allgemein die gesundheitlichen Verhältnisse        Schnittstelle zum Betrieb an?
                     der versicherten Bevölkerung zu verbessern. Vielmehr
                     steht für die Rentenversicherung das Individuum, also     Präventive Leistungen gibt es bei der DRV unter zwei
                     die oder der Versicherte im Mittelpunkt. Deren Be-        Aspekten: Für ihre Versicherten erbringt sie individu-
                     schäftigungsfähigkeit soll optimal sichergestellt wer-    elle verhaltenspräventive Leistungen, wenn erste ge-
                     den, um sie idealerweise bis zur Regelaltersrente im      sundheitliche Beeinträchtigungen aufgetreten sind, die
                     Erwerbsleben zu halten. Damit trägt die DRV – auch        die ausgeübte Beschäftigung gefährden. So ist es im
                     aus eigenem Interesse heraus – dazu bei, dem demo-        SGB VI, § 14 geregelt. Schon hier sehen wir den Be-
                     grafischen Wandel und dem sich entwickelnden Fach-        zug zur konkreten beruflichen Tätigkeit. Darüber hin-
                     kräftemangel entgegenzutreten.                            aus nimmt die Rentenversicherung auch Betriebe unter
                                                                               dem Präventionsgedanken in den Fokus, insbesondere
                     Wie sieht das konkret aus?                                kleine und mittlere. 2015 hat sie einen bundeswei-
                                                                               ten Firmenservice geschaffen mit dem Schwerpunkt
                     Die Rentenversicherung hat ihre Leistungen zur medizi-    „Gesunde Beschäftigte“. Dabei handelt es sich um ein
                     nischen Rehabilitation zu MBOR-Leistungen, also Leis-     umfassendes Dienstleistungsangebot der Rentenversi-
                     tungen zur medizinisch-beruflich-orientierten Rehabili-   cherung an die Unternehmen. Sie berät zu den The-
                     tation, weiterentwickelt und dafür ein viel beachtetes    men medizinische und berufliche Rehabilitation, zur

 8    REHAVISION 1/2020
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Prävention, zum Betrieblichen Eingliederungsmanage-       vorgesehenen versichertenbezogenen individuellen
ment und zum Betrieblichen Gesundheitsmanagement.         verhaltenspräventiven Leistungen sind Teil dieser
Es geht sowohl um das konkrete Leistungsangebot als       Strategie. Zudem soll die DRV darauf hinwirken, dass
auch um den Weg in diese Leistungen für einzelne Be-      die Einführung einer freiwilligen, individuellen und be-
schäftigte. In diesem Kontext übernimmt die Deutsche      rufsbezogenen Gesundheitsvorsorge für Versicherte
Rentenversicherung auch eine Wegweiserfunktion zu         ab Vollendung des 45. Lebensjahres trägerübergrei-
Angeboten anderer Sozialversicherungsträger.              fend in Modellprojekten erprobt wird. Auch hierzu
                                                          laufen regionale Projekte an.
Wie kann man Betriebe gut erreichen?
                                                          Auf welche Partner setzt „Prävention 4.0“?
Gerade wenn es um die Beratung der Arbeitgeber
zum Thema Mitarbeitergesundheit geht, steht der           Der Gesetzgeber hat erkannt, dass es für eine er-
Ausbau der Firmenserviceangebote der Deutschen            folgreiche Prävention im Prinzip einer Kooperation
Rentenversicherung eher noch am Anfang – jeden-           aller Sozialversicherungsträger im regionalen Bereich
falls wenn man es auf die Gesamtzahl der Versi-           bedarf. Deshalb hat er den Auftrag erteilt, Landes-
cherten und der Unternehmen bezieht. Dabei gibt           rahmenvereinbarungen zur Umsetzung der nationa-
es durchaus regionale Unterschiede. Die Rentenver-        len Präventionsstrategie abzuschließen. Ein Auftrag,
sicherung wird sich in Zukunft viel stärker engagie-      der auch in allen Bundesländern umgesetzt wurde.
ren, ihre Leistungsangebote und insbesondere auch         Hier geht es darum, Partner für Prävention und Ge-
die Präventionsangebote sowohl gegenüber den              sundheitsförderung zu finden und die Reichweite und
Arbeitgebern als auch den Versicherten zu vermitteln.     Wirksamkeit der Aktivitäten zu erweitern. Die DRV hat
Denn wir sind der Überzeugung, dass frühzeitige ge-       dabei einen Auftrag für das Setting „Arbeitswelt“. Auf
sundheitliche Interventionen vielfach der Entwicklung     dieser Basis werden regional auch Kooperationen mit
chronischer Erkrankungen vorbeugen können. Dazu           Trägern der Unfallversicherung oder der gesetzlichen
gehören etwa Informationen zum richtigen Lebensstil,      Krankenversicherung gesucht. Ziel ist es, gemeinsame
zum verantwortungsvollen Suchtmittelgebrauch so-          Strategien zu entwickeln, wie Betriebe für ihre Mit-
wie zu Ernährung, Entspannung und Bewegung. Und           arbeiter gesundheitsfördernde Rahmenbedingungen
dies gilt es immer wieder zu betonen. Letztlich wird      schaffen können. Sie sollen ihre gesetzlichen Aufträge
das auch von der Politik unterstützt, indem sie sich im   zur Durchführung des Betrieblichen Eingliederungs-
SGB V für die Beteiligung der Rentenversicherung an       managements erfüllen können, sodass Präventions-
der Entwicklung einer gemeinsamen nationalen Prä-         und Rehabilitationsbedarfe der Mitarbeiter frühzeitig
ventionsstrategie ausgesprochen hat. Die im Gesetz        erkannt werden können.

Betriebe im Fokus
29. Reha-Kolloquium beschäftigt sich mit Prävention, Rehabilitation und „guter Arbeit“

Dass Unternehmen beim Erhalt von Beschäftigungsfähigkeit ein wichtiger Partner sind, spiegelt das 29. Rehabilitationswissen-
schaftliche Kolloquium wider. Zu Recht gilt der von der Deutschen Rentenversicherung (DRV) und Deutschen Gesellschaft für
Rehabilitationswissenschaften (DGRW) veranstaltete Kongress als wichtigstes Forum für praxisrelevante Ergebnisse zur medi-
zinischen und beruflichen Rehabilitation. Schwerpunktthema ist 2020 „Prävention und Rehabilitation – der Betrieb als Partner“.
Einen Einblick in das Programm geben Katrin Parthier, wissenschaftliche Referentin bei der DRV Bund, und Dr. Marco Streibelt,
wissenschaftlicher Leiter des Kongresses.

D    urch die Auswirkungen des demografischen und
     digitalen Wandels befindet sich unsere Arbeits-
welt im Umbruch: Belegschaften altern, Arbeits-
                                                          verstärkt mit der betrieblichen Ebene. Neben Arbeit-
                                                          gebern in Klein-, Mittel- und Großunternehmen sind
                                                          Werks- und Betriebsärzte sowie betriebliche Sozial-
anforderungen werden komplexer, Arbeitsformen             dienste wichtige Kooperationspartner. Der Dialog
flexibler. Wie, was und wie viel bzw. wie lange wir       zwischen betrieblichen Akteuren, Leistungsträgern
künftig arbeiten, könnte sich dadurch grundlegend         und -erbringern ist notwendig, um eine nahtlose
ändern. Unterstützungsangebote zur Förderung,             Versorgung sicherzustellen. Ziel ist ein abgestimmter
zum Erhalt und zur Wiederherstellung von Gesund-          Präventions- bzw. Rehabilitationsprozess.
heit und Teilhabe gewinnen vor diesem Hintergrund
an Bedeutung. Eine nachhaltige berufliche (Re-)Inte-          Damit diese Angebote und Prozesse mit dynami-
gration erfordert dabei zunehmend die Verzahnung          schen Veränderungen Schritt halten können, bedarf
der Unterstützungsangebote mit Leistungen anderer         es wissenschaftlicher Forschung als Grundlage für
Versorgungsbereiche und mit den Betrieben selbst.         eine kontinuierliche Weiterentwicklung. Für eine prä-
Die DRV und Leistungserbringer kooperieren daher          ventive und gesundheitserhaltende ➝ Fortsetzung

                                                                                                              REHAVISION 1/2020   9
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                                                                                         Rehabilitationsstrategien. Die Auswirkun-
                                                                                         gen der Digitalisierung auf die Arbeitsbe-
                                                                                         dingungen im Joballtag beleuchtet der Ar-
                                                                                         beits- und Organisationspsychologe Prof.
                                                                                         Dr. Bertolt Meyer von der TU Chemnitz. Er
                                                                                         zeigt auf, welche Chancen mit der Digita-
                                                                                         lisierung einhergehen, in welche Richtung
                                                                                         sich die „Arbeitswelt 4.0“ entwickeln kann
                                                                                         und welche Herausforderungen es für Be-
                                                                                         triebe und Arbeitnehmende zu meistern gilt.

                                                                                         Einflussfaktor Betriebsgröße

                                                                                           Inwiefern die Betriebsgröße einen Einfluss
                                                                                           auf die Umsetzungs- und Ergebnisqualität
                                                                                           von gesundheitsbezogenen Maßnahmen
                                                                                           hat, ist Gegenstand eines weiteren Diskus-
                                                                                           sionsforums. In der Veranstaltung werden
                       Arbeitsgestaltung sind die kontextuellen Bedingungen    sowohl wissenschaftliche als auch betriebliche Akteu-
                       des Betriebes bzw. des einzelnen Arbeitsplatzes und     re aus dem kürzlich abgeschlossenen Forschungsver-
                       das individuelle Gesundheitsverhalten der Arbeit-       bund „Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit bei gesund-
                       nehmenden in den Blick zu nehmen. Letztlich kommt       heitlicher Beeinträchtigung“ der Hans-Böckler-Stiftung
                       es darauf an, Gestaltungspotenziale für Prävention,     zu Wort kommen. Über die Erfahrungen aus der Per-
                       Rehabilitation und „gute Arbeit“ auf der Grundlage      spektive eines Großunternehmens wird Bernd Oster-
                       wissenschaftlicher Erkenntnisse partnerschaftlich mit   loh, Vorsitzender des Gesamt- und Konzernbetriebs-
                       Betrieben wahrzunehmen. Wie das am besten gelin-        rats sowie Mitglied des Präsidiums des Aufsichtsrates
                       gen kann, darum geht es beim Rehabilitationswissen-     der Volkswagen AG, im Rahmen einer Keynote be-
                       schaftlichen Kolloquium in über 250 Vorträgen und       richten. Volkswagen praktiziert seit langem ein ganz-
                       Diskussionsforen.                                       heitliches Gesundheitsmanagement, das auch Aspekte
                                                                               der Arbeitsorganisation, der Ergonomie und der Pers-
                       Studien zu Prävention und Rehabilitation                pektive für jeden Einzelnen umfasst.

                       Eine der größten Herausforderungen dürfte zukünf-       Kooperation und Vernetzung
                       tig darin liegen, Personen frühzeitig mit Angeboten
                       der Prävention und Rehabilitation zu erreichen. Die     Auch Kooperation und Vernetzung sind Thema: Un-
                       DRV fördert daher gezielt Forschungsprojekte zur        ter dem Titel „Starke Partner für gesundes Leben und
                       Erschließung neuer Zugangswege. Beim Kongress           Arbeiten“ koordinieren die DRV Bund und die Deut-
                       werden Ergebnisse zu Studien vorgestellt, die hierfür   sche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV) ihre Zu-
                       die Nutzung von Routinedaten, Möglichkeiten der Di-     sammenarbeit bei der Beratung von Unternehmen
                       gitalisierung sowie eine engere Zusammenarbeit mit      insbesondere zu den Themen BEM und Prävention.
                       betrieblichen und ärztlichen Akteuren, aber auch der    Über das Netzwerk „KMU-Gesundheitskompetenz“
                       Sozialversicherungsträger untereinander analysieren.    der AOKen Niedersachsen und Nordost erhalten
                       Als weitere Erfolgsfaktoren für gelingende berufliche   klein- und mittelständische Unternehmen unter Be-
                       Teilhabe gelten ein verstärkter Arbeitsplatzbezug und   teiligung der DRV und der DGUV Beratung und Un-
                       eine stärkere Ausdifferenzierung der Reha-Leistun-      terstützung zu verschiedenen Themen des betrieb-
                       gen. Verschiedene konzeptuelle Ansätze zu „Medi-        lichen Gesundheitsmanagements.
                       zinisch-beruflich orientierter Rehabilitation“ (MBOR)
                       und Fallmanagement greifen dies auf.                    Evidenzbasierung von Teilhabeleistungen

                                            Für die Entwicklung, Evaluation    Auch für Teilhabeleistungen gilt der Anspruch der
                                       und Umsetzung betriebsnaher An-         wissenschaftlichen Evidenzbasierung. Bislang war
     Das 29. „Reha-Kolloquium“         sätze bietet sich die gemeinsame        es jedoch nicht oder nur schwer möglich, die dafür
     findet vom 2. bis 4. März         Forschung mit Unternehmen an.           notwendigen Studiendesigns durchzuführen. Zwei
     2020 im Hannover                  Mögliche Partizipationsformate sol-     aktuellen Studien zur „absoluten“ Wirksamkeit der
     Congress Centrum statt.           len daher in einem Diskussionsforum     stationären medizinischen Rehabilitation ist dies nun
                                       von wissenschaftlichen und betrieb-     gelungen. Die Ergebnisse sind ermutigend: Sie bele-
     ➝ reha-kolloquium.de              lichen Akteuren gemeinsam erörtert      gen die spezifische Wirksamkeit und den klinisch re-
                                       werden. Die Erkenntnisse werden u. a.   levanten Nutzen der Rehabilitation. Ergänzend wird
                                       relevant sein für die im Spätsommer     sich der Rehabilitationswissenschaftler Prof. Dr. Mat-
                                       geplante rentenversicherungsüber-       thias Bethge von der Universität zu Lübeck mit den
                                       greifende     Förderbekanntmachung      wissenschaftlichen Ergebnissen zur Return-to-Work-
                                       zur Weiterentwicklung beruflicher       Forschung in Deutschland beschäftigen.

10     REHAVISION 1/2020
SCHWERPUNKT MEDIZIN & BERUF

„Es geht uns um das Miteinander“
Vernetzung stärkt die Zusammenarbeit an den Schnittstellen

Gemeinsam netzwerken – ein Interview mit Christof Lawall, Geschäftsführer der Deutschen Gesellschaft für
Medizinische Rehabilitation (DEGEMED) und Niels Reith, Geschäftsführer des Bundesverbandes Deutscher
Berufsförderungswerke (BV BFW) über die Zusammenarbeit von medizinischer und beruflicher Rehabilitation.

                                                                                                                        Christof Lawall (links),
                                                                                                                        Geschäftsführer
                                                                                                                        der DEGEMED und
                                                                                                                        Niels Reith (rechts),
                                                                                                                        Geschäftsführer
                                                                                                                        des BV BFW

REHAVISION: Neben einer Satellitenveranstaltung              Hier dürfen Antragsverfahren oder bürokratische
haben DEGEMED und BV BFW anlässlich des                      Planungs- und Auswahlprozesse nicht im Weg stehen.
Reha-Kolloquiums erstmals einen gemeinsamen                  Alle sind zur maximalen Beschleunigung verpflichtet –
Netzwerkabend ins Leben gerufen. Was waren Ihre              Leistungsträger und Leistungserbringer.
Beweggründe?
                                                             Welche Möglichkeiten bietet aus Ihrer Sicht das
Niels Reith: Das Bundesteilhabegesetz (BTHG) for-            Bundesprogamm rehapro bei der Entwicklung neuer
dert alle Akteure der Rehabilitation dazu auf, die           Lösungsansätze?
Zusammenarbeit an den Schnittstellen zu verbes-
sern. Neben den Rehabilitationsträgern sind hier             Niels Reith: Mit rehapro sollen die Grundsätze „Prä-
auch die Leistungserbringer gefragt. Als Verbände            vention vor Rehabilitation“ und „Rehabilitation vor
wollen wir unsere Mitglieder und das Anliegen des            Rente“ gestärkt werden. Damit dies gelingt, brauchen
BTHG unterstützen, indem wir Raum für Austausch              wir eine bessere Verzahnung von medizinischer und
und neue Ideen schaffen. Wir wollen medizinischen            beruflicher Rehabilitation. Gerade bei komplexen ge-
und beruflichen Leistungserbringern Gelegenheit              sundheitlichen Beeinträchtigungen und besonderen
bieten, sich besser kennenzulernen und zu vernet-            beruflichen Problemlagen sind reibungslose Übergän-
zen. Nach unserer Erfahrung kann Vernetzung ein              ge von der medizinischen in die berufliche Rehabilita-
erster Schritt für Projektideen und konkrete Koope-          tion wichtig, um die Arbeitsfähigkeit zu erhalten oder
rationen sein.                                               wiederherzustellen und Verrentun-
                                                             gen zu vermeiden. Auch die Schnitt-
Christof Lawall: Es geht uns um das Miteinander.             stelle zum Betrieb muss im gesamten             Die DEGEMED ist der Spit-
Medizinische und berufliche Reha sind Teil einer Bran-       Prozess immer im Blick behalten wer-            zenverband der medizini-
che. Wir arbeiten für dieselben Rehabilitanden und           den. Eine übergreifende Fallsteue-              schen Rehabilitation. Sie
haben eine hohe Übereinstimmung bei den gesetz-              rung, wie sie stellenweise implemen-            setzt sich für die Interessen
lichen Leistungsträgern. Daher sind wir sehr froh, dass      tiert wurde, bietet hier erhebliche             der stationären und ambu-
das Bundesministerium für Arbeit und Soziales und            Vorteile. In manchen Fällen können              lanten Rehabilitationsein-
die Deutsche Rentenversicherung diesen Netzwerk-             auch kombinierte oder parallele Leis-           richtungen ein und ist offen
gedanken unterstützen und mit hochrangigen Vertre-           tungen sinnvoll sein. rehapro bietet            für alle Betreibermodelle
terinnen und Vertretern persönlich präsent sind.             den Raum, neue Ansätze der Zusam-               und Rechtsformen. Ihre An-
                                                             menarbeit zu erproben. Mit Blick auf            liegen und Themen vertritt
Wo müssen die Rahmenbedingungen angepasst                    die kommenden Förderwellen gibt es              die DEGEMED gegenüber
werden, damit die Zusammenarbeit an den Schnitt-             sicherlich noch Potenzial, innovative           Politik, Leistungsträgern
stellen noch besser gelingt?                                 Vorhaben mit medizinischen und be-              und Öffentlichkeit.
                                                             ruflichen Rehabilitationserbringern zu          ➝ degemed.de
Christof Lawall: Menschen mit einer chronischen Er-          entwickeln, die neue Kooperations-
krankung, einer Behinderung oder nach einem Unfall           formen beinhalten. Unter Umständen
haben keine Zeit zu verlieren, wenn es um ihre Reinte-       sollten auch neue Anreize geschaffen
gration geht. Die Unternehmen übrigens auch nicht –          werden, um die Kooperation an den
jeder Arbeitsausfall ist sofort ein Produktivitätsverlust.   Schnittstellen weiter zu befördern.

                                                                                                                 REHAVISION 1/2020            11
SCHWERPUNKT MEDIZIN & BERUF

Unternehmen als Partner
Erfolgsmodelle für Prävention und Gesundheitsförderung

Prävention hat Konjunktur – in allen Lebenswelten. Betriebe sind gefragt, die wertvolle Arbeitskraft ihrer Beschäftigten zu erhalten
oder wiederherzustellen. Gleichzeitig sind alle Sozialversicherungsträger angehalten, miteinander zu kooperieren, um ihren gesetz-
lichen Präventionsauftrag zu erfüllen. Es geht darum, Betriebe beim Aufbau gesundheitsfördernder und präventiver Rahmenbedin-
gungen zu unterstützen. Modellvorhaben und gute Beispiele zeigen, wie die Umsetzung in der Praxis gelingen kann

                      I m Vergleich zur Rehabilitation ist die Zusammen-
                        arbeit der Sozialversicherungsträger im Bereich
                       Prävention relativ neu. Mit dem Präventionsgesetz
                                                                                Hand“ erbracht werden. Durch das vernetzte Zu-
                                                                                sammenwirken vor Ort sollen Zuständigkeitsgrenzen
                                                                                überwunden werden, so dass der Zugang zu Leis-
                       (2015), dem Flexirentengesetz (2016) und zuletzt dem     tungen für Betroffene und Betriebe erleichtert wird.
                       Bundesteilhabegesetz (ab 2017) hat der Gesetzgeber
                       die Eckpfeiler für diese Entwicklung gesteckt. Das Zu-   Kooperation von DRV Bund und DGUV
                       sammenspiel der Akteure koordiniert eine Nationale
                       Präventionsstrategie; sie beschreibt gemeinsame Ziele    Wie die Zusammenarbeit über Trägergrenzen hin-
                       zur Gesundheitsförderung und Prävention, benennt         weg in der Praxis funktionieren kann, zeigen die
                       vorrangige Handlungsfelder und Zielgruppen.              Deutsche Rentenversicherung Bund (DRV Bund)
                                                                                und die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung
                       Lotsen im gegliederten System                            (DGUV). Mit der gemeinsamen Erklärung „Starke
                                                                                Partner für gesundes Leben und Arbeiten“ legten sie
                       Damit kommt den gesetzlichen Sozialversicherungs-        im Jahr 2016 den Grundstein ihrer Kooperation bei
                       trägern im gegliederten Versicherungssystem eine         der Beratung von Unternehmen zum Betrieblichen
                       Lotsenfunktion für Beschäftigte und Arbeitgeber          Eingliederungsmanagement (BEM). Auch die Themen
                       zu. Leistungen sollen koordiniert und „wie aus einer     Prävention und Gesundheitsförderung sollen dabei
                                                                                Berücksichtigung finden. „Betriebe und Unternehmen
                                                                                haben ein Interesse daran, von den Trägern der So-
     Gesetzliche Grundlagen für Prävention im SGB                               zialversicherung eine Beratung ‚wie aus einer Hand‘
                                                                                zu erhalten.“ heißt es in der gemeinsamen Erklärung.
                                                                                Ziel des Vorhabens ist es, die Belegschaft gesund zu
     SGB I      Verpflichtung aller Sozialleistungsträger zu                    halten und ihre Beschäftigungsfähigkeit zu sichern.
     § 14, 15   Auskunft und Beratung
                                                                                Trägerübergreifendes Know-how

     SGB V      Nationale Präventionsstrategie                                  Eine wichtige Voraussetzung für das Gelingen ist die
     § 20 d                                                                     Kenntnis der Leistungsangebote der Kooperations-
                Abs. 1 Entwicklung einer nationalen Präventionsstrategie –
                       Krankenkassen gemeinsam mit den Trägern der              partner sowie der jeweiligen Ansprechpersonen vor
                       gesetzlichen Renten- und Unfallversicherung und          Ort. Gemeinsame Beratungen, Qualifizierungen und
                       den Pflegekassen                                         Workshops versetzen die Berater und Beraterinnen
                Abs. 2 Inhalte der Nationalen Präventionsstrategie:             der Renten- und Unfallversicherung in die Lage, Ar-
                       bundeseinheitliche, trägerübergreifende                  beitgeber je nach Bedarf auf ergänzende Leistungen
                       Rahmenempfehlungen und Präventionsbericht                des anderen Trägers hinzuweisen. Damit können die
                Abs. 3 Vereinbarung einer Bundesrahmenempfehlung der            beteiligten Akteure die Lotsen- und Wegweiserfunk-
                       Träger durch Festlegung gemeinsamer Ziele,               tion bei der Beratung von Betrieben ausfüllen.
                       Handlungsfelder und Zielgruppen.
                Abs. 4 Erstellung eines Präventionsberichts alle vier Jahre     Modellregion Berlin-Brandenburg
                       durch die Nationale Präventionskonferenz
                                                                                Konkretisiert wurde die Kooperation in regionalen
     SGB V      Gesetzliche Krankenversicherung: Primäre                        Modellprojekten. In der Modellregion Berlin-Branden-
     § 20       Prävention und Gesundheitsförderung                             burg konnte als ein Partnerunternehmen ein Finanz-
                                                                                dienstleister mit etwa 200 Beschäftigten gewonnen
                                                                                werden. In dem mittelständischen Unternehmen be-
     SGB VI     Leistungen der Rentenversicherung
                zur Prävention                                                  stand Handlungsbedarf aufgrund des hohen Durch-
     § 14
                                                                                schnittsalters der Beschäftigten und eines zunehmen-
                                                                                den Veränderungsdrucks in der Belegschaft infolge
     SGB VII    Gesetzliche Unfallversicherung: Grundsatz                       des digitalen Umbruchs im Finanzsektor. Im Projekt
     § 14                                                                       setzten die Partner – der Finanzdienstleister, die zu-
                                                                                ständige Verwaltungs-Berufsgenossenschaft (VBG)

12     REHAVISION 1/2020
SCHWERPUNKT MEDIZIN & BERUF

                                                                                                                 Die Kooperation
                                                                                                                 zwischen DGUV und
                                                                                                                 DRV wurde bei der
                                                                                                                 Führungskräftever-
                                                                                                                 anstaltung im Januar
                                                                                                                 2020 weiterentwickelt.
                                                                                                                 Im Bild: Andreas
                                                                                                                 Konrad, Leiter der
                                                                                                                 Abteilung Rehabilitation
                                                                                                                 der DRV Bund

und die DRV – auf eine Kombination aus individual-       ben Vorbildwirkung. Perspektivisch soll die Zusammen-
und verhältnispräventiven Maßnahmen. Seit Herbst         arbeit auch für andere Leistungsträger geöffnet wer-
2017 befindet sich das Projekt in der Umsetzung. Das     den. In einigen Modellregionen wurde dieser Schritt
Spektrum der Dienstleistungen reicht von Präventions-    bereits gegangen. Dass die Kooperation zwischen
leistungen der Rentenversicherung über psychische        Renten- und Unfallversicherung ein Erfolg ist, unter-
Gefährdungsbeurteilung und regelmäßige Angebote          strichen die Partner Anfang 2020 mit einer Führungs-
zur Individualprävention und Gesundheitsvorsorge         kräfteveranstaltung und ebneten damit den Weg zum
der VBG bis zur BEM-Einzelfallberatung.                  bundesweiten Rollout.

„Gesunde Arbeit Hamburg“                                 Berliner Stadtreinigung: BEM zählt

In Hamburg arbeiten Berufsgenossenschaften und Un-       Auf Vernetzung setzten auch die Berliner Stadt-
fallkassen, die Rentenversicherung sowie Krankenkas-     reinigungsbetriebe (BSR). Der größte kommunale
sen im Modellvorhaben „Gesunde Arbeit Hamburg“           Entsorger Deutschlands arbeitet in Sachen Präven-
zusammen. Zum Thema Rückengesundheit erproben            tion und Wiedereingliederung seit Jahren mit dem
die Träger mit ausgewählten Pflegeeinrichtungen und      Firmenservice der DRV Berlin-Brandenburg zusam-
dem Hamburg Airport, wie sie Leistungen in Präventi-     men. Weitere Partner sind dabei das BFW Berlin-
on und Rehabilitation stärker aufeinander abstimmen      Brandenburg, die Betriebskrankenkasse (BKK) VBU
und miteinander verzahnen können. Profitieren sollen     sowie die Unfallkasse (UKB) Berlin. Seine Beschäf-
davon sowohl die Unternehmen als auch deren Be-          tigten informiert der Berliner Entsorger systematisch
schäftigte. Ihren neuen Weg der vernetzten Koopera-      über die Präventionsleistungen der Rentenversiche-
tion stellten die Hamburger Sozialversicherungen An-     rung. Diese bietet wiederum ihre fachliche Expertise
fang Februar 2020 bei einem Infotag Führungskräften      bei Fragen der Antragstellung und Ablauforgani-
aus Unternehmen, Fachkräften aus dem Arbeitsschutz       sation an. Mit dem BEM hat die BSR ein wichtiges
und Experten aus Politik und der Trägerlandschaft vor.   Instrument zum Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit
                                                         etabliert. „BEM ist eine Gemeinschaftsaufgabe“,
    Um die Kooperation von DRV und DGUV bei den          stellt BSR-Personalvorstand Martin Urban fest und
relevanten Akteuren bekannt zu machen, werden            unterstreicht damit das vernetzte interdisziplinäre
alle Maßnahmen von einer intensiven Öffentlichkeits-     Engagement bei dem Thema.
arbeit begleitet. Neben den Unternehmen sind Be-
triebsärzte und Interessenvertretungen hierbei wich-         2017 schuf der Dienstleister
tige Zielgruppen.                                        mit dem BEM-Symposium eine Aus-              4. BEM-Symposium der
                                                         tauschplattform für Führungskräfte,          BSR zum Thema „Individua-
Angebote ergänzen sich ideal                             Beschäftigte aus Personalabteilun-           lität der Eingliederungs-
                                                         gen und Interessenvertretungen               maßnahme“.
In den Modellprojekten hat sich gezeigt, dass sich die   sowie BGM- und BEM-Beauftragte
                                                                                                      ➝ 26. / 27. August 2020
Angebote der Renten- und Unfallversicherung ideal        von Unternehmen aus Berlin und
                                                                                                        bei der DRV Bund
ergänzen und Unternehmen dadurch besonders von           dem Bundesgebiet. 2020 geht die
der Kooperation profitieren können. Die Erfahrungen      BSR mit ihrem Symposium in die 4.
der Regionen sollen in ein strukturiertes Vorgehen für   Runde. Unterstützt wird sie dabei
die bundesweite Beratung von Betrieben einfließen.       wieder von der BKK VBU, die UKB
Sie zeigen das Spektrum der Möglichkeiten und ha-        und der DRV Berlin-Brandenburg.

                                                                                                          REHAVISION 1/2020          13
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