Metastasen - wenn Krebs-zellen durch den Körper wandern - Deutsches Krebsforschungszentrum in der Helmholtz-Gemeinschaft
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Deutsches Krebsforschungszentrum in der Helmholtz-Gemeinschaft Ausgabe 3/2011 Metastasen – wenn Krebs- zellen durch den Körper wandern
Liebe Leserinnen und Leser, „Ihr Tumor hat gestreut.“ Kaum eine zu verhindern. Doch auch dieses Ziel andere Mitteilung des Arztes macht erreicht man nur mit vielen kleinen mehr Angst als dieser Satz. Und das Schritten. Forschung erfordert Zeit, Ge- mit Recht: Hat der Krebs erst einmal duld und nicht zuletzt auch die nöti- seinen ursprünglichen Ort verlassen gen finanziellen Mittel. Wie gut, dass und sich an anderer Stelle erneut an- dem DKFZ da großzügige Freunde und gesiedelt, ist eine vollständige Heilung Förderer zur Seite stehen. Einen möch- meist nicht mehr möglich. Zwar kön- ten wir Ihnen in dieser Ausgabe vor- nen Chemotherapien auch in diesem stellen: Manfred Lautenschläger, der Stadium das Wachstum der Zellen an- Gründer von MLP und wohlbekannter Dr. Stefanie Seltmann fangs meist noch zurückdrängen; doch Mäzen aus der Metropolregion. „For- oft genug erreichen die Medikamente schung fasziniert mich“, begründet er nicht alle versteckten Krebszellen. So sein Engagement für das DKFZ, was flammt der Tumor nach einiger Zeit uns natürlich freut. Denn uns faszi- wieder auf – nun sogar oft resistent niert sie auch. gegen die Therapie. Nicht nur für Patienten und Ärzte sind Ich wünsche Ihnen gute Unterhaltung die Metastasen eine Herausforderung, mit der neuen Ausgabe, sondern auch für Krebsforscher. Denn Ihre die unheimliche Zellwanderung er- folgt in vielen einzelnen Schritten, die bislang noch nicht vollständig ver- standen sind. Viele verschiedene Grup- pen am Deutschen Krebsforschungs- zentrum sind derzeit damit beschäf- tigt, die noch offenen Fragen zu klären: So untersucht die Abteilung von Pro- fessor Heike Allgayer die Moleküle, die den Tumorzellen den Weg „freischnei- den“, damit sie das Gewebe überhaupt verlassen können. Im Blut angelangt, verraten die „zirkulierenden Tumor- zellen“, kurz CTCs, den Ärzten und Forschern, ob die Wahrscheinlichkeit von Metastasen groß ist. Das Team um Professor Andreas Trumpp hat herausgefunden, dass manche dieser CTCs ähnliche Eigenschaften besitzen wie Stammzellen. Und wahrscheinlich sind es auch diese CTCs, die im letzten Schritt irgendwann die Blutgefäße wieder verlassen, um die gefürchte- ten Metastasen zu bilden. Wo genau sie sich ansiedeln, dafür interessieren sich die Wissenschaftler um Professor Hellmut Augustin: Sie haben entdeckt, dass die Blutgefäße nur in manchen Organen den Krebszellen die „Türen öffnen“ und dass die Krebszellen da- für die richtigen Schlüssel selbst mit- Titelbild: bringen. Blick in ein sich aufzweigendes Viele kleine Schritte sind es also, die Blutgefäß. Neben roten und die Wissenschaftler untersuchen müs- weißen Blutkörperchen finden sen, um die Metastasenbildung zu ver- sich im Blut von Tumorpatienten stehen – und hoffentlich eines Tages häufig auch Krebszellen (schwarz).
Inhalt Schwerpunkt: Metastasen – wenn Krebszellen durch den Körper wandern Nachrichten Neues aus der Krebsmedizin 4 Forschung im Tumorzellen auf Wanderschaft Deutschen Krebs- Professor Heike Allgayer und ihr Team erforschen die 6 forschungszentrum Besonderheiten von metastasierenden Krebszellen Der Hautkebs bahnt sich seinen Weg Von einer unfreiwilligen Nachbarschaftshilfe bei der 10 8 Tumorausbreitung Der Schlüssel zum Zielorgan Warum streuen manche Krebserkrankungen 12 häufiger in bestimmte Organe? Die Müllhalden der Zelle Proteinschrott kann schaden, aber auch nützlich sein 15 Die Drahtzieher Für Tumorabsiedlungen ist nur eine kleine Gruppe 18 von Krebszellen verantwortlich Krebsfrüherkennung Krebserkrankungen werden immer eher entdeckt 21 „Stolz, Freude und ein bisschen Wehmut“ Roche übernimmt die DKFZ-Ausgründung „mtm 23 laboratories“ – ein Interview Zur Person Der „Weltmeister im Überleben“ Manfred Lautenschläger im Porträt 25 Behandlung Mehr als nur Schmerztherapie Ein Tag auf der Palliativstation 28 Molekulare Spürhunde Endoradiotherapie: Krebszellen aufspüren und 31 vernichten Stichwort: CUP-Syndrom Magazin Rezension ab Seite 34 Serie: Helmholtz-Zentren im Porträt Preise und Auszeichnungen 3 einblick 3/2011
KID 0800-420 30 40 Neues aus der Krebsmedizin Diese und weitere Informationen finden Sie auch auf der Website des Krebs- informationsdienstes (KID) des Deutschen Krebsforschungszentrums: www.krebsinformationsdienst.de . Wenn Sie mehr über einzelne Krebsarten, Behandlungen oder Studienergebnisse wissen möchten, können Sie sich direkt an den KID wenden: über die kostenlose Hotline (0800-42030 40, täglich 8.00 bis 20.00 Uhr) oder per E-Mail (krebsinformationsdienst@dkfz.de). Rauchen fördert auch Leberkrebs Ein weiterer Grund, mit dem Rauchen aufzuhören: Neben Lungenkrebs fördert Tabakkonsum auch die Entstehung von Lebertumoren. E ine internationale Forscher- Die Forschergruppe wertete für ihre titis-C- bzw. -B-Viren fand sich bei 20 gruppe hat aktuell einen Zu- Untersuchung die Daten von 115 bzw. 13 Prozent. Massives Übergewicht sammenhang zwischen Tabak- Leberkrebspatienten aus, die bereits gaben 16 Prozent und regelmäßigen konsum und der Entstehung von Le- vor ihrer Erkrankung an der EPIC- massiven Alkoholkonsum zehn Pro- berkrebs in Europa nachgewiesen. Studie teilgenommen hatten. Diese zent der Patienten an. Die Forscher Die größte Zunahme des Leberkrebs- untersucht seit Anfang der 1990er- schließen aus den Ergebnissen, dass Risikos beobachteten die Forscher Jahre, wie sich der Lebensstil und ein Großteil der Leberkrebserkrankun- zwar infolge einer Infektion mit andere Faktoren auf die Krebsentste- gen in Europa auf vermeidbare Risiken Hepatitis-C- bzw. B-Viren. In Europa hung auswirken. Das Ergebnis: Fast zurückzuführen ist. gibt es jedoch mehr Leberkrebspatien- jeder zweite Leberkrebspatient hat in ten, die rauchen, als solche mit einer seinem Leben geraucht (48 Prozent). chronischen Virus-Hepatitis. Eine chronische Infektion mit Hepa- 4 einblick 3/2011
Autoimmunerkrankungen beeinflussen Krebsrisiko S chon seit Langem vermuten terschiedlichen Auswirkungen auf das 33 verschiedenen Autoimmunerkran- Forscher einen Zusammenhang Krebsrisiko könnten die verabreichten kungen und elf unterschiedliche Krebs- zwischen Autoimmunerkrankun- Medikamente sein. Da viele dieser erkrankungen des Verdauungstrakts. gen, bei denen das Immunsystem kör- Medikamente das Immunsystem un- Ihnen standen die Daten des schwe- pereigene Strukturen bekämpft, und terdrücken, bekämpft es auch Tumor- dischen Krebsregisters zur Verfügung, Krebs. Wissenschaftler des Deutschen zellen weniger effizient. Das bedingt das mit zwölf Millionen Personen die Krebsforschungszentrums haben nun ein erhöhtes Krebsrisiko. Entzün- gesamte schwedisch Bevölkerung um- gemeinsam mit schwedischen For- dungshemmende Medikamente da- fasst. Für Kari Hemminki ist die schern herausgefunden, dass viele gegen können dieses Risiko mindern. wichtigste Schlussfolgerung aus den Autoimmunerkrankungen, darunter So kann der Aspirin-Wirkstoff ASS, Studienergebnissen: „Ärzte sollten beispielsweise Morbus Crohn oder der in vielen Rheumamedikamenten ihren Patienten mit Autoimmun- systemischer Lupus, das Krebsrisiko enthalten ist, Krebserkrankungen vor- erkrankungen empfehlen, regelmä- erhöhen. Andere jedoch, wie die beugen. ßig an Krebsfrüherkennungsprogram- Rheumatoide Arthritis, gehen mit Für ihre Studie untersuchten Pro- men teilzunehmen.“ einem deutlich geringeren Darm- fessor Dr. Kari Hemminki und Kolle- krebsrisiko einher. Grund für die un- gen die Wechselbeziehung zwischen Mehr Krebs in Mund und Rachen durch Humane Papillomviren H umane Papillomviren (HPV) moren zu-, die Anzahl HPV-negativer ten ist. Ob somit eine Impfung auch sind vielen durch die Imp- Tumoren im Untersuchungszeitraum für Männer sinnvoll ist, muss in weite- fung gegen Gebärmutterhals- dagegen abnahm. Dies könnte daran ren Untersuchungen geklärt werden, krebs ein Begriff. Dass sie auch bei der liegen, dass immer weniger Menschen fordern die Wissenschaftler. Entstehung von Tumoren in Mund rauchen und so der Tabakkonsum als und Rachen beteiligt sind, haben Risikofaktor zurückgeht. Nach Schät- jetzt Wissenschaftler des US-ameri- zungen der Wissenschaftler werden in kanischen Krebsforschungszentrums den USA im Jahr 2020 mehr Menschen nachgewiesen. Bisher galten Tabak- HPV-positive Tumoren des Mund- und konsum und Alkohol als Hauptrisiko- Rachenraums aufweisen, als es Patien- faktoren. tinnen mit Gebärmutterhalskrebs gibt. Die Forscher untersuchten 271 Ge- Am häufigsten trat bei den HPV-positi- webeproben von Karzinomen des ven Tumorgeweben HPV 16 auf, ein Mund- und Rachenraums aus den auch bei Gebärmutterhalskrebs als be- Jahren 1984 bis 2004. Dabei konnten sonders aggressiv bekannter Untertyp Papillomviren unter dem Elektronen- sie nicht nur in vielen Fällen HPV der Humanen Papillomviren, der in mikroskop. Bei immer mehr Betroffenen nachweisen; sie stellten auch fest, dass den bereits verfügbaren Impfstoffen scheinen sie der Auslöser für Krebs in die Häufigkeit von HPV-positiven Tu- gegen Gebärmutterhalskrebs enthal- Mund und Rachen zu sein. 5 einblick 3/2011
Heike Allgayer leitet die Klinische Kooperationseinheit „Molekulare Onkologie solider Tumoren“. Das Team erforscht die Mechanismen, die zur Bildung von Metastasen führen – und das auf hohem Niveau, wie den Wissenschaftlern kürzlich von ei- nem unabhängigen Gremium bescheinigt wurde: Die Forschung der Abteilung sei „exzellent bis hervorragend“, so die Gutachter. • Tumorzellen auf Wanderschaft Die Mitarbeiter der Klinischen Kooperationseinheit „Molekulare Onko- logie solider Tumoren“ fahnden nach den Ursachen für Metastasen. Sie suchen nach Molekülen, die verraten, ob ein Tumor wahrscheinlich streut, aber auch nach Wegen, die Entstehung der gefährlichen Tochterge- schwülste zu verhindern. W er die Wissenschaftler der mehreren Wirkstätten gleichzeitig zu Musik zu studieren und Pianistin zu Klinischen Kooperations- arbeiten. So entschied sie sich schon werden“, verrät sie. Musik ist für sie einheit „Molekulare Onko- als Medizinstudentin für den Spagat auch heute noch Quell der Inspiration. logie solider Tumoren“ bei der Arbeit zwischen Klinik und Forschung. Sie er- „Beim Klavierspiel entsteht ein Flie- besuchen möchte, muss schon einen warb einen medizinischen Doktortitel, ßen, bei dem ich oft die besten Ideen genauen Treffpunkt vereinbaren: Die später – in den USA – zusätzlich einen habe.“ Labore der Abteilung sind sowohl im naturwissenschaftlichen und feilte Als 2002 im Universitätsklinikum Universitätsklinikum in Mannheim dann an Forscherlaufbahn inklusive in Mannheim eine Professur für expe- als auch in Heidelberg im Deutschen Habilitation und parallel an der Fach- rimentelle Chirurgie besetzt werden Krebsforschungszentrum angesiedelt. arztausbildung zur Chirurgin. sollte, hatte man die Idee, dies mit ei- Forschen an zwei Orten – das passt Heute ist Heike Allgayer Abtei- ner Kooperationseinheit im DKFZ zu zum Lebenslauf der Abteilungsleiterin, lungsleiterin, aber auch alleinerzie- verknüpfen. Heike Allgayer war diese Professor Heike Allgayer. Wenn die at- hende Mutter, die sich abends Zeit Stelle wie auf den Leib geschneidert: traktive Ärztin und Molekularbiologin nimmt, sich mit ihrer 17 Monate alten nicht nur wegen ihrer enormen Viel- von ihrem Werdegang berichtet, be- Tochter ans Klavier zu setzen. „Bevor seitigkeit und dem Ehrgeiz, immer kommt man den Eindruck, dass sie die ich mich für Medizin und Wissen- mehrere Dinge unter einen Hut zu Herausforderung regelrecht sucht, an schaft entschied, habe ich überlegt, bringen, sondern auch inhaltlich. „Da 6 einblick 3/2011
habe ich perfekt hineingepasst, Ein Molekülpaar schneidet den hang für verschiedene Krebsarten schließlich drehten sich bereits meine Weg frei beschrieben. Doktorarbeiten um die molekularen Allgayers Team in Heidelberg und Mechanismen der Metastasierung Bereits als Doktorandin beschäftigte Mannheim interessiert sich nach wie und gleichzeitig um translationale sich Heike Allgayer mit einem Mole- vor für uPAR – nicht zuletzt dafür, wie Forschung, also um die Übertragung külduo, das bei der Metastasierung sich ihr Wissen über das Molekül für der Ergebnisse in die Klinik“, sagt die eine zentrale Rolle spielt: Ein Protein Therapien nutzen lässt. Erst im letzten Forscherin, die diesen Themen seither namens u-PA (Urokinase-Plasmi- Jahr haben die Forscher festgestellt, treu geblieben ist. nogen-Aktivator) und sein Rezeptor dass ein Anti-Malaria-Medikament Wie und warum sich manche Krebs- u-PAR. Zusammen agieren sie wie eine namens Artesunate die Metastasie- zellen aus der Primärgeschwulst lösen, Art molekularbiologische Schere. Mit rung bei Lungenkrebs blockieren kann. in andere Körpergewebe wandern, ihrer Hilfe schneiden sich Krebszellen Der Wirkstoff hemmt unter anderem sich dort niederlassen und vermehren, aus dem Gewebeverband heraus, da- u-PA. „Wenn sich dies in weiteren darüber weiß man noch immer viel zu mit sie auf Wanderschaft gehen kön- Untersuchungen bestätigt, haben wir wenig, sagt Heike Allgayer. „Dabei nen. Auch wenn sich die abgesiedelten ein Mittel gegen Metastasen in der sterben rund 90 Prozent aller Krebsop- Krebszellen in einem anderen Organ Hand, das schnell bei Patienten ein- fer nicht am Primärtumor, sondern an niederlassen, bahnt das Molekülpaar gesetzt werden kann – die Substanz den Metastasen.“ den Weg. ist ja bereits für den Einsatz beim Zu wissen, ob ein Tumor zum Streu- Die Wissenschaftlerin erkannte Menschen zugelassen“, betont die en neigt, ist wichtig, um Aussagen über schon vor Jahren: Tragen Tumoren Abteilungsleiterin. die Überlebenschancen eines Patienten des Magen-Darm-Trakts vermehrt zu treffen. Und es hilft, die richtige Be- Moleküle des u-PA-Systems auf Hühnereier im Labor handlung auszuwählen. Denn oft sind ihrer Zelloberfläche, so ist die Gefahr metastasierende Tumoren resistent für Metastasen erhöht. Mittlerweile Natürlich sind uPA und uPAR nicht gegenüber bestimmten Therapien. haben Forscher diesen Zusammen- die einzigen Mitspieler bei der Metas- Krebsforschung mit Hühnereiern: Mohammed Abba (links) und Nitin Patil (rechts) suchen eine geeignete Stelle, um Zellen in ein Hühnerei zu verpflanzen. Die Forscher wollen herausfinden, welche Proteine bei der Bildung von Metastasen eine Rolle spielen. 7 einblick 3/2011
Die Biologin Anna Shavinskaya vergleicht an ihrem Computer die DNA-Daten von Primärtumoren und Metastasen. Sie hofft, in deren Erbinformation die Veränderungen zu finden, die zur Streuung eines Tumors führen. tasenbildung. Nitin Patil aus Indien haben, also eine Art Tumor gewachsen sierung besser zu verstehen“, sagt sie. und Mohammed Abba aus Nigeria ist. Dann untersuchen sie den Hühner- Das habe einen sehr konkreten Bezug untersuchen weitere interessante embryo. Finden sie in ihm mensch- zur Klinik, so wie sie es sich für ihre Ar- Kandidaten, die möglicherweise mit- liche Zellen, so wissen sie, dass diese beit wünscht. mischen, wenn sich Tumorzellen ab- eingewandert sind – ähnlich einem Die Biologin sitzt vor ihrem Compu- siedeln. Dazu benötigen die beiden streuenden Tumor. Und je nachdem, ter. Über den Bildschirm flimmern Forscher eine ruhige Hand – und be- ob sich die Zellen beispielsweise im Kolonnen aus Zahlen und Buchstaben. fruchtete Hühnereier. Blut oder bereits in einem Organ befin- Sie stehen jeweils für einen einzelnen „Wenn wir wissen wollen, ob ein Pro- den, können Abba und Patil beurteilen, untersuchten Genabschnitt, wie sie tein an der Metastasierung beteiligt an welchem Schritt der Metastasie- erläutert. In Zusammenarbeit mit ist, prüfen wir das zunächst in Kultur- rung das untersuchte Protein wahr- verschiedenen Kooperationspartnern zellen“, erklärt Abba. „Anschließend scheinlich beteiligt ist. arbeitet Anna Shavinskaya Gewebe- muss man testen, ob der Effekt auch Einzelne Faktoren zu prüfen reicht proben von Patienten mit metastasie- im lebenden Organismus auftritt.“ aber nicht, so die Abteilungsleiterin: rendem Darmkrebs auf und vergleicht Dafür verfrachten die Wissenschaftler „Wir kennen mittlerweile einige inter- die Proben untereinander. Wie unter- menschliche Kulturzellen, die das essante Mechanismen, die an der Ent- scheidet sich die Erbinformation des fragliche Protein enthalten, in ein be- stehung von Metastasen beteiligt Tumors von der des gesunden Gewe- fruchtetes Hühnerei. Keine einfache sind“, sagt sie. „Was uns aber noch bes? Welche genetischen Veränderun- Aufgabe, denn der Hühnerembryo darf fehlt, ist ein Gesamtüberblick.“ Das gen laufen ab, bevor sich eine Krebs- dabei nicht zu Schaden kommen. Zu- will sie in einem neuen Projekt ganz zelle löst? Haben Metastasen, die sich nächst ziehen die Forscher mit einer systematisch angehen, mit Hilfe eines in der Leber ansiedeln, einen anderen Spritze vorsichtig die Luftblase ab, die vollständigen genetischen Profils von DNA-Text als solche in der Lunge? „Um jedes Ei birgt. Dadurch entsteht an ei- gesundem Gewebe, Krebszellen und diese Fragen zu beantworten, arbeiten ner anderen Stelle eine „Delle“. Dort Metastasen. wir eng mit Professor Roland Eils öffnen sie das Ei vorsichtig, geben ihre Diese ehrgeizige Aufgabe kommt und seinen Bioinformatikern am Zellen hinein und verschließen es mit unter anderem Dr. Anna Shavinskaya DKFZ zusammen“, berichtet die junge einem Klebestreifen. zu. Die gebürtige Russin hat ihre Hei- Forscherin. Nach sieben Tagen im Brutkasten matstadt St. Petersburg schon vor vie- Bei ihrer Analyse berücksichtigt beginnt der eigentliche Test. Die Wis- len Jahren verlassen, um in Heidelberg Anna Shavinskaya nicht nur DNA-Ab- senschaftler lösen zunächst die Schale Biologie zu studieren. „Das Projekt ist schnitte, die Bauanleitungen für Pro- weiter ab. So können sie sehen, ob sich sehr umfassend, aber auch extrem teine bergen. Auch Veränderungen im die Zellen an der Impfstelle vermehrt spannend, weil es hilft, die Metasta- Erbtext zwischen den eigentlichen Ge- 8 einblick 3/2011
nen sind interessant. Seit einigen Jah- erhöhtes Risiko für bestimmte Tumo- Teamgeist zahlt sich aus ren weiß man, dass hier verschiedene ren und für Metastasen nach sich regulierende Elemente verschlüsselt zieht. „Dass sich junge Forscher wie Jasmin sind. Sie steuern, ob bestimmte Gene „Es ist inzwischen klar, dass verschie- gezielt bei uns bewerben, zeigt, dass übersetzt und Eiweißmoleküle gebil- dene Micro-RNAs für die Metastasie- wir mit unserer Arbeit in der Forscher- det werden, und wie viele davon. rung mehrerer Krebsarten wichtig welt wahrgenommen werden“, sagt Zu diesen Regulatoren zählen so sind“, erklärt die Teamleiterin. Einige Allgayer. Stolz ist die Wissenschaftle- genannte Micro-RNAs. Das sind sehr davon hat ihre Gruppe bereits be- rin auch darauf, dass nach der Geburt kurze RNA-Moleküle mit nur 21 bis 23 schrieben. Zur Verstärkung in diesem ihrer Tochter 2010 und trotz ihrer Si- Bausteinen. Heike Allgayer und ihr Gebiet ergänzt seit Kurzem eine neue tuation als alleinerziehende Mutter Team haben festgestellt, dass einige Mitarbeiterin aus der Schweiz die die Forschungsarbeit in ihrer Abtei- der winzigen RNA-Schnipsel auch eine Abteilung: Jasmin Batliner hatte in lung genauso erfolgreich ist wie vor- Rolle bei der Metastasierung spielen: Fachzeitschriften von der Rolle der her. „Das ist ein hartes Stück Arbeit“, Eine Micro-RNA mit der Bezeichnung Micro-RNAs bei der Metastasenbil- gibt sie zu. „Wie alle jungen Mütter lei- miR-21 verhindert beispielsweise, dung gelesen und war so fasziniert, de ich permanent unter Schlafmangel dass der sogenannte Tumorsuppres- dass sie selbst in diesem Bereich for- und möchte aber auch meiner Tochter sor Pdcd4 entsteht. Dieser sorgt im schen wollte. Die junge Biologin be- gerecht werden.“ Gleichzeitig muss sie Normalfall dafür, dass Zellen nicht kam ein Stipendium des Schweizer als Wissenschaftlerin präsent bleiben. entarten und schützt so vor Krebs. Nationalfonds und erwirbt jetzt in Erziehungsurlaub sei da nicht drin. Mehr noch: Pdcd4 hemmt auch den Heidelberg das notwendige Know- Dass sie zudem derzeit um den Krip- Beginn der Metastasierung. Kein how, um selbst verschiedene interes- penplatz ihrer Tochter bangen muss, Wunder also, dass sein Verlust ein sante Micro-RNAs zu untersuchen. darüber kann sie nur den Kopf schüt- teln: „Politiker fordern Frauen in Füh- rungspositionen, aber ehrliche Unter- stützung gibt es nur wenig.“ Trotzdem hat das Team im „Baby- jahr“ der Chefin sogar mehr Fachpubli- kationen veröffentlicht als in den Jah- ren zuvor. „Das verdanken wir auch dem guten Zusammenhalt in der Gruppe“, sagt die Professorin. Heike Allgayer beschreibt sich zwar selbst als eine Chefin, die viel von ihren Mitar- beitern erwartet, aber sie legt auch Wert aufs Zwischenmenschliche. Kein Wunder, dass sie einige ihrer Mitarbei- ter schon lange kennt: ihren Mitkoor- dinator der Mannheimer Abteilung etwa noch aus Münchner Zeiten, eben- so den Nigerianer Mohammed Abba. „Er war als medizinischer Gaststudent bei uns und hat mich viele Jahre später kontaktiert, die ärztliche Routi- ne reiche ihm nicht aus, und er hätte gerne mehr wissenschaftliche Heraus- forderung in seinem Leben.“ Und ein Arzt, der forschen will, ist natürlich herzlich willkommen im Team. „Denn unsere wichtigste Aufgabe ist doch, eine Brücke zu schlagen zwischen Klinik und Wissenschaft.“ Stefanie Reinberger Die Schweizerin Jasmin Batliner untersucht, wie sogenannte micro-RNAs an der Entstehung von Metastasen beteiligt sind. 9 einblick 3/2011
•Der Hautkrebs bahnt sich seinen Weg Schwarzer Hautkrebs ist der gefährlichste aller Hauttumoren: Bereits in sehr frühen Stadien verstreut dieser Krebs seine Zellen und bildet Tochter- geschwülste. Wissenschaftler am Deutschen Krebsforschungszentrum haben einen Mechanismus entdeckt, der dieses besonders aggressive Verhalten erklären könnte. Schwarzer Hautkrebs breitet sich oft schnell im Gewebe aus. Wissenschaftler am DKFZ haben jetzt herausgefunden: Der Krebs verändert seine Umgebung so, dass sie ihm beim Einwachsen hilft. W eltweit verzeichnen Epi- Biologe leitet am Krebsforschungszen- demiologen eine stark trum die Juniorgruppe „Molekulare steigende Anzahl an Neu- Mechanismen von Kopf-Hals-Tumo- erkrankungen am schwarzen Haut- ren“, die in die Abteilung „Signaltrans- krebs, dem malignen Melanom: Allein duktion und Wachstumskontrolle“ in Deutschland erkranken jedes Jahr von Professor Peter Angel integriert etwa 15 000 Menschen. Während bei ist. Zusammen mit seinen Mitarbei- anderen Tumoren der Haut oft die tern erforscht Jochen Heß Signalwege, operative Entfernung ausreicht, um die bei der Tumorentstehung und den Krebs zu besiegen, ist das maligne -weiterentwicklung eine Rolle spielen. Melanom die am häufigsten tödlich Seit eineinhalb Jahren leitet er zu- verlaufende Hautkrankheit. Melano- sätzlich die Arbeitsgruppe „Experi- me verteilen ihre Krebszellen schon in mentelle Kopf-Hals-Onkologie“ am einem sehr frühen Stadium. So entste- Universitätsklinikum Heidelberg. Mit hen die gefürchteten Metastasen, be- dieser Doppelfunktion hofft er, dazu vorzugt in der Lunge, dem Gehirn oder beitragen zu können, dass seine wieder in der Haut. Forschungsergebnisse schneller dem „Melanome treten zwar eher selten Patienten zugutekommen. „Wir zielen auf, wachsen aber dafür umso ag- mit unseren Arbeiten darauf ab, mög- gressiver“, erläutert Privatdozent Dr. lichst frühzeitig das Streuen des Tu- Jochen Heß vom DKFZ. „Achtzig Pro- mors zu unterbinden”, fasst der Wis- zent aller Krebspatienten sterben an senschaftler zusammen. „Dabei sind den Folgen der Metastasierung, nicht wir auf ein Molekül namens KLK6 aufgrund des Ursprungstumors.“ Der gestoßen; unsere Forschungsergeb- 10 einblick 3/2011
nisse lassen vermuten, dass dieser Ei- in den benachbarten gesunden Haut- verbessern: Eine erhöhte Konzentra- weißstoff beim Melanom nicht nur an zellen gebildet wird”, erklärt der Mole- tion wäre ein Anhaltspunkt, sehr ge- allen Stufen der Entartung beteiligt kularbiologe. Gleichzeitig beobachtete nau nach Metastasen zu suchen.” KLK6 ist, sondern auch an der frühen Me- er eine stark gesteigerte Beweglichkeit wäre nicht das erste Mitglied seiner tastasierung.” der Melanomzellen. Eine mögliche Er- Familie, das Ärzten als Hinweis auf KLK6 gehört zu einer großen Fami- klärung dafür liefert der Wissenschaft- Krebserkrankungen dienen könnte. lie von Proteinen, den Kallikreinen, die ler gleich mit: KLK6 aktiviert auf den Ein anderes Kallikrein, das KLK3, ist im Körper weit verbreitet sind. Als Melanomzellen einen Rezeptor na- besser bekannt als das prostataspezi- „molekulare Scheren” sorgen sie bei mens PAR1. Diese Aktivierung setzt in fische Antigen PSA, das bei Patienten der Wundheilung etwa dafür, dass der Zelle Kalziumionen frei – und ge- mit Prostatatumoren vermehrt im sich Gewebezellen aus ihrem Verband nügend Kalzium in einer Zelle ist eine Blut zu finden ist. Studien geben au- lösen, sich zur Wunde bewegen und Grundvoraussetzung für deren Beweg- ßerdem Hinweise, dass KLK6 vielleicht diese verschließen. Denselben Mecha- lichkeit. KLK6 erhöht also die Beweg- auch als diagnostischer Marker beim nismus nutzen bestimmte Hautkrebs- lichkeit der Krebszellen und schafft Eierstockkrebs verwendet werden zellen: Sie produzieren vermehrt das gleichzeitig den nötigen Platz in der könnte. Enzym KLK6, das dann die Verbindung Umgebung. „Wenn man die KLK6-Wir- Der allerbeste Schutz vor Haut- zwischen Gewebszellen kappt. Ist erst kung blockiert, könnte das die Fähig- krebs bleiben aber die Früherkennung einmal der Zell-Zell-Kontakt gelöst, keit der Tumorzellen, in das umgeben- und der vorsichtige Umgang mit hat die Krebszelle Platz genug, sich un- de Gewebe einzudringen und Metas- natürlichen wie künstlichen Sonnen- gehindert zu vermehren und in das tasen an weiter entfernten Organen zu strahlen. Experten wissen heute, dass Gewebe einzudringen. bilden, erheblich einschränken“, hofft Sonne, Solarien und andere UV-Quel- Heß. Dafür sei der Rezeptor der beste len das Risiko deutlich erhöhen, an Unfreiwillige Nachbar- Angriffspunkt, denn: „Melanomzellen einem malignen Melanom zu erkran- schaftshilfe versklaven gewissermaßen ihre Nach- ken. Seit dem 1. Juli 2008 haben daher barzellen. So steht ihnen auf ihrem alle gesetzlich Krankenversicherten Krebszellen des malignen Melanoms Weg durchs Gewebe ihr benötigtes ab 35 Jahren Anspruch auf eine Haut- hingegen produzieren KLK6 nicht Enzym immer zur Verfügung.“ Da- krebs-Früherkennungsuntersuchung, selbst: Sie lassen es herstellen, wie neben verspricht sich der Forscher die alle zwei Jahre wiederholt wer- Jochen Heß und seine Mitarbeiter von seiner Entdeckung auch einen den kann. jetzt herausfanden. „In Gewebeschnitten Nutzen für die Diagnostik: „Die Mes- von Melanompatienten konnten wir sung der Konzentration von KLK6 im Ulrike Nell erstmals nachweisen, dass KLK6 nicht Blut könnte irgendwann die Diagnose in den Tumorzellen selbst, sondern und Therapie von Melanompatienten Querschnitt durch einen Haut- krebs. Die rote Färbung zeigt an, dass Zellen in unmittelbarer Nähe des Tumors vermehrt das Protein KLK-6 herstellen (Pfeil). Dieses Protein hilft dem Krebs dabei, sich auszubreiten. 11 einblick 3/2011
•Der Schlüssel zum Zielorgan Wenn Tumoren in fremden Organen Tochtergeschwülste bilden, passiert das offensichtlich nicht zufällig: Viele Krebsarten streuen überwiegend in bestimmte Organe – zum Beispiel Prostatakrebs ins Knochengewebe oder Hautkrebs in Lunge und Gehirn. Warum, das fragen sich Wissenschaftler rund um den Globus – auch im Deutschen Krebsforschungszentrum. Sie The liefern nun eine mögliche Erklärung. Distribution o f g r o w t h s in Cancer secondary of the breast. I n der Krebsforschung sind noch einige Rätsel ungelöst, aber ei- P a g e t , F .r .c .s., nes führt zu besonders häufigem By Stephe n Achselzucken unter Wissenschaftlern – der Vorgang der Metastasierung. S u r g e o n t o the Was dabei geschieht, ist zwar weitest- Assistant gehend verstanden: Einzelne Krebszel- len lösen sich vom Tumor ab, gelangen H o s p it a l a n d the über das Blut- oder Lymphsystem zu West London anderen Organen und siedeln sich dort wieder an. Dennoch sind noch viele p o li t a n H o s p ital Fragen offen. Fragen, auf die Professor Metro Hellmut Augustin Antworten finden will – er leitet am DKFZ die Abteilung „Vaskuläre Onkologie und Metastasie- rung“. Bei einem der Rätsel um die Me- to consider AN attempt is made in this paper tastasierung ist er jetzt der Lösung ein Stück näher gekommen: dem Rätsel, warum sich umherwandernde Krebs- se, and „metastasis“ in malignant disea zellen immer in bestimmten Organen niederlassen und Tumorabsiedelun- the secondary to show that the distribution of gen bilden. In einer aktuellen Studie untersuchten Augustin und seine Mit- growths is not a matter of chance. arbeiter, warum streuende Krebszel- len von Melanomen, dem schwarzen gans shall What is it that decides what or Hautkrebs, nur in bestimmten Orga- nen Metastasen bilden. Sein Ergebnis: ncer? suffer in a case of disseminated ca Die Oberflächenstruktur der Blut- gefäße vor Ort ist mitverantwortlich cancer As Langenbeck says, every single dafür, ob in einem Organ Metastasen entstehen können oder nicht. nism, cell must be regarded as an orga Kein einfacher Weg alive and capable of development. Bis Krebszellen überhaupt in ein neues Organ gelangen, müssen sie mehrere Hindernisse überwinden. Und nur we- nigen gelingt es: Wissenschaftler neh- Zitate aus einer wissenschaftlichen Publikation von Stephen Paget: men an, dass sich von einem Tumor je Der englische Arzt und Forscher hatte bereits 1889 beobachtet, nach Größe täglich mehrere Millionen dass manche Organe häufiger Ziele von Tumorabsiedlungen sind, Krebszellen lösen. Aber nur ein winzi- als andere. ger Bruchteil davon bildet Metastasen. 12 einblick 3/2011
Weiße sowie rote Blutkörperchen und Krebszellen (schwarz) in der Blutbahn. Die Krebszellen tragen auf ihrer Oberfläche bestimmte Strukturen. Finden sich an der Wand eines Blutgefäßes die passenden Gegenstücke, kann die Krebszelle das Gefäß dort leichter verlassen. Das könnte erklären, warum Metastasen nicht überall entstehen, sondern bevorzugt in bestimmten Organen. Die Gründe dafür sind vielfältig: Es ist winden: die Gefäßwand. Hier kom- det. Diese Verbindung ermöglicht es beispielsweise nicht allen Krebszellen men Hellmut Augustin und seine Ver- den mit dem Blutstrom schwimmen- möglich, in die Blut- oder Lymphbahn suche mit Melanomzellen ins Spiel. den Krebszellen nicht nur, sich an zu gelangen. Und selbst wenn es ein- Gemeinsam mit seinem Team konnte der Gefäßwand festzuhalten, sondern zelne geschafft haben, sterben sie oft der Wissenschaftler zeigen, dass wan- auch, das Gefäß zu verlassen und sich ab, da ihr Zellaufbau nicht für einen dernde Melanomzellen an die Innen- in dem dahinter liegenden Organ ein- solchen Transport ausgelegt ist. Über- seite der Gefäßwand, das Endothel, zunisten. Das passiert jedoch nicht stehen sie diesen Weg, sind sie den- binden können. Ein Molekül auf der überall. In den Versuchen zeigte sich, noch nicht am Ziel. Um in ein fremdes Oberfläche der Krebszelle, das so ge- dass größtenteils in Lunge, Leber Organ zu gelangen und dort zu einer nannte EphB4, interagiert dabei mit und Niere der untersuchten Tiere Metastase auszuwachsen, müssen dem Rezeptor ephrinB2, der sich auf neue Metastasen entstanden. „In die- Krebszellen eine letzte Barriere über- der Innenseite der Blutgefäße befin- sen Organen besitzen die Blutgefäße 13 einblick 3/2011
den Rezeptor ephrinB2“, erklärt Hell- schwülsten in der Lunge führen konn- ern, bis der Prozess der Metastasierung mut Augustin. Metastasen bildeten ten“, erklärt Augustin seine Theorie. auch beim Menschen so gut verstan- sich demnach in genau den Organen, Heißt das, eines der großen Rätsel den ist, dass man therapeutisch ein- in denen die Blutgefäße den Krebszel- der Krebsforschung ist gelöst? „Der greifen kann.“ Verschiedene Firmen len eine Art Tür öffnen, die es ihnen Prozess der Metastasierung ist der haben jedoch bereits begonnen, die erlaubt, durch die Gefäßwand hin- bisher am schlechtesten verstandene Verbindung der beiden Oberflächen- durchzutreten. Den passenden Schlüs- Schritt des Tumorwachstums. Damit moleküle EphB4 und ephrinB2 hin- sel zum Türschloss haben die Krebszel- bilden unsere Versuche einen wichti- sichtlich neuer Therapien für Tumor- len auf ihrer Oberfläche. gen Beitrag, um zu verstehen, warum patienten zu erforschen. Bis die er- Dass Tumoren nicht wahllos Metas- Tumoren nicht wahllos in andere Or- sten Ergebnisse da sind, wird es noch tasen streuen, ist schon sehr lange be- gane streuen“, bekräftigt Augustin. eine ganze Weile dauern. „Aber ich kannt. Bereits Ende des 19. Jahrhun- „Allerdings ist das bisher Grundlagen- denke“, so Augustin, „dass wir da ei- derts hatte der britische Forscher forschung, also Versuche in Zell- und nen vielversprechenden Weg einge- Stephen Paget festgestellt, dass be- Tiermodellen. Es wird noch lange dau- schlagen haben.“ stimmte Krebsarten nur in bestimm- ten Organen zu Metastasen führen. Laura Brockschmidt Paget erklärte diese Beobachtung mit seiner „seed-and-soil-Hypothese“ – zu Deutsch „Samen und Boden“: Dem- nach kann eine Krebszelle (der „Sa- men“) nur auf einem bestimmten fruchtbaren Boden (einem gewissen Organ) anwachsen und zu einem Streutumor führen. Mit seiner ak- tuellen Studie hat Augustin eine molekularbiologische Erklärung für diese Hypothese gefunden. „Natürlich ist es niemals allein der Aufbau der Blutgefäße, der entscheidet, in welchem Organ neue Metastasen ent- stehen“, so der Forscher. Zum Bei- spiel spielten anatomische Bedingun- gen eine große Rolle. Darmtumoren streuen schon deshalb häufig in die Leber, weil die Leber das nächste Or- gan „stromabwärts“ in der Blutbahn ist. „Aber wir haben gezeigt, dass die Gefäße eine wichtige Rolle dabei spielen können, wo im Körper sich eine Metastase bildet und wo nicht.“ Metastasierung verhindert Die praktische Anwendung dieser Er- kenntnisse folgte auf dem Fuße: In nachfolgenden Versuchen fand Au- gustins Team eine Möglichkeit, die Metastasierung zu stoppen. Den Wis- senschaftlern gelang es, die Melanom- zellen daran zu hindern, an die Gefäß- wand anzudocken, indem sie die Interaktion zwischen den Oberflä- chenmolekülen EphB4 und ephrinB2 blockierten. Daraufhin entstanden keine Metastasen mehr in der Lunge. „Wir gehen davon aus, dass die Krebs- Beim Brustkrebs finden sich Metastasen besonders häufig in Knochen, zellen durch die fehlende Bindung die Lunge, Leber, Haut und Gehirn. Forscher am DKFZ haben eine mögliche Blutgefäße nicht mehr verlassen und Erklärung dafür gefunden, warum Krebserkrankungen nicht zufällig in deshalb auch nicht zu Tochterge- andere Organe streuen. 14 einblick 3/2011
Die Müllhalden der Zelle Proteine sind wichtige Werkzeuge des Lebens. Doch manchmal neigen sie dazu, miteinander zu verklumpen und eine funktionslose Masse zu bilden. Häufen sich diese Eiweißklumpen in der Zelle an, wird der programmierte Zelltod eingeleitet. Bei Erkrankungen wie Alzheimer ist genau das das Fatale; bei Krebs dagegen sehen Forscher darin eine Mög- lichkeit, die Krankheit zu bekämpfen. P rofessor Bernd Bukau ist Di- produzieren die meisten Zellen sie selbst wenn Proteine bereits richtig rektor am Zentrum für Mole- ohne Unterlass, in tausenden zellei- gefaltet sind, können sie auch nach- kulare Biologie der Universität genen „Proteinfabriken“, den Riboso- träglich wieder eine falsche Form an- Heidelberg. Gleichzeitig leitet er am men. Zunächst setzen die Ribosomen nehmen, beispielsweise wenn sie zu Deutschen Krebsforschungszentrum aus einem Satz von 22 verschiedenen hohen Temperaturen ausgesetzt sind. die Abteilung „Chaperone und Pro- Bausteinen (den Aminosäuren) eine Egal, ob der Fehler bei der Herstellung teasen“. Er erforscht bereits seit den Kette zusammen. Diese Kette verdreht oder erst später auftritt, oft neigen 1980er Jahren den Prozess der Faltung sich, bildet Schleifen und faltet sich so fehlgefaltete Proteine dazu, sich zu- und Verklumpung von Proteinen. Pro- zu einem komplizierten Gebilde, dem sammenzulagern. Ein Beispiel hier- teine transportieren Sauerstoff, regu- fertigen Protein. Nur in seinem rich- für ist das Hühnerei im Kochtopf: Bei lieren den Stoffwechsel, wachen über tigen Faltungszustand, der „nativen“ hohen Temperaturen verklumpen die Leben und Tod unserer Zellen. Ohne Form, wie Fachleute sagen, kann das Proteine im Ei und bilden eine feste sie würde die Abwehr von Krankheits- Protein seine Funktion im Körper aus- Masse. Fachleute nennen diesen Vor- erregern zusammenbrechen, Muskeln üben. Schon ein kleiner Fehler bei der gang „Proteinaggregation“. Er steht könnten sich nicht zusammenziehen, Herstellung – etwa eine geringfügig im Verdacht, bei vielen Krankheiten Blut nicht gerinnen. Eiweiße (Proteine) abweichende Reihenfolge der Ami- eine maßgebliche Rolle zu spielen. Ei- sind für Organismen lebenswichtig. nosäuren – kann dazu führen, dass weißklumpen sind an neurodegenera- Damit immer genügend bereit stehen, sich die Kette nicht richtig faltet. Und tiven Krankheiten wie Alzheimer oder 15 einblick 3/2011
Ribosom Parkinson beteiligt – Erkrankungen, „Anstandsdame“ – weil die Chaperone die mit einer fortschreitenden Zerstö- gewissermaßen für das richtige „Be- rung von Nervengewebe einhergehen. nehmen“ der anderen Proteine in der Auch bei der Alterung und der Krebs- Zelle sorgen (siehe auch einblick entstehung vermuten die Forscher 3/2007, Seite 33). Diese Aufgabe macht einen wichtigen Einfluss von Protein- die Anstandsdamen auch für Krebs- aggregaten. forscher interessant – denn gerade Krebszellen produzieren jede Menge Molekulare Anstandsdamen „Protein-Müll“. Dass sie daran nicht zu Grunde gehen, liegt möglicherweise In der Zelle wacht ein Arsenal von be- auch an den Chaperonen. sonderen Proteinen, die so genannten Seither haben Forscher vieles her- Chaperone, darüber, dass sich die neu ausgefunden: Zum Beispiel, dass ältere gebildeten Aminosäureketten richtig Zellen weniger Chaperone produzie- falten und die korrekte Form anneh- ren als junge, weshalb die Proteine in men. Zudem können die Chaperone ihnen häufiger verklumpen. Gestei- falsch gefaltete und sogar verklumpte gert wird die Chaperon-Produktion Proteine wieder in ihre native Form dagegen in bestimmten Stresssituatio- überführen. Schließlich kontrollieren nen, zum Beispiel unter großer Hitze. sie sogar die Aktivität vieler korrekt Dann aktivieren Zellen den so genann- gefalteter zellulärer Proteine, was un- ten Hitzeschock-Transkriptionsfaktor ter anderem auch dem Zelltod, der 1 (HSF1). Er bringt die Zelle dazu, ver- Apoptose, entgegenwirkt. „Als damals mehrt Chaperone zu bilden. Gleich- die Chaperone entdeckt wurden, war zeitig drosselt die Zelle die Produk- das wie eine Lawine, die losgetreten tion der anderen Proteine, so dass wurde“, erinnert sich Bernd Bukau. auch weniger neuer Protein-Müll „Chaperon“ ist englisch und bedeutet entstehen kann. Krebszellen überleben durch Proteine Chaperone Dieser Mechanismus stellt einen mög- lichen Angriffspunkt für Krebsmedi- kamente dar. Denn „auch viele Tumor- zellen bilden auf diesem Weg vermehrt Chaperone“, erklärt Bukau, „dadurch wirken sie sowohl der Verklumpung von fehlgefalteten Proteinen als auch dem eigenen Zelltod entgegen.“ Denn wenn sich zu viel Proteinmüll in einer Zelle ansammelt, wird das program- mierte Selbstmordprogramm ange- schaltet. Aufgrund der Mutationen in ihrem Erbgut stellen gerade Krebszel- len oft viele fehlerhafte Proteine her. z.B. Hitze Ribosomen sind die Geburtsstätten Die Chaperon-Müllabfuhr rettet sie der Proteine. Damit ein Protein richtig funktioniert, muss es auf jedoch vor dem Zelltod. Indem man die richtige Weise gefaltet werden. bestimmte Chaperone hemme, etwa Diese korrekte Form können Pro- die Hitzeschock-Proteine Hsp70 und Proteinaggregat teine jedoch wieder verlieren, z.B. Hsp90, könne man Tumoren mög- wenn sie großer Hitze ausgesetzt licherweise wirksam bekämpfen, so sind. Dann lagern sie sich häufig zu Bukau. Diese beiden „Anstandsdamen“ funktionslosen Proteinklumpen, so- halten nämlich auch zahlreiche Pro- genannten Aggregaten, zusammen. teine, die für die Krebsentstehung wich- tig sind, in einem funktionstüchtigen Zustand. Bernd Bukau zufolge laufen international bereits erste klinische Versuche mit Wirkstoffen, die Hsp90 blockieren. In Zellkulturen hatten diese Wirkstoffe das Krebswachstum gehemmt. 16 einblick 3/2011
Aktuell erforscht der Wissenschaft- von verstorbenen Patienten, die den Proteinaggregat ler mit seiner Arbeitsgruppe zudem, Impfstoff verabreicht bekommen hat- wie das Hitzeschockprotein Hsp70 ten, waren die Plaques verschwunden. es schafft, die Eiweiß-Klumpen in Dennoch war die Demenz nicht zu- menschlichen Zellen aufzulösen. „Wir rückgegangen, im Gegenteil, der Zu- stellen uns die Aggregate wie einen stand der Patienten hatte sich trotz Teller Spaghetti vor“, erläutert Bukau. der Behandlung weiter verschlechtert. Das Chaperon habe eine Tasche, die Für Haass steht dennoch fest: „Das sich öffne und schließe und mit der Amyloid-beta-Peptid ist die Hauptur- es sich ein Stück „Spaghetti“ wie mit sache der Erkrankung, da gibt es nichts einer Faust greife. „Unsere Vermutung zu rütteln!“ Das Problem sei gewesen, ist, dass zwei Chaperone gemeinsam dass die Behandlung zu spät statt- eine Kraft auf den „Spaghettiberg“ gefunden habe. „Der Tod der Nerven- ausüben und ihn so auseinanderzie- zellen war schon ausgelöst – wir hen und entwirren“, erklärt der Mo- kamen einfach zu spät“, sagt der Alz- lekularbiologe. heimer-Forscher. Er hofft nun auf eine Studie mit Patienten, die an einer ver- Eiweißklumpen als Ursache von erbbaren Form von Alzheimer leiden, Alzheimer denn diese kann man schon in einem frühen Stadium diagnostizieren. Da- Warum überhaupt Protein-Aggregate mit könnten die Wissenschaftler ein- Chaperon entstehen, ist bisher noch nicht end- deutig klären, ob Medikamente, die gültig geklärt. Möglicherweise wird der Klumpenbildung entgegenwirken, die Protein-Aggregation in der Zelle die Krankheit aufhalten können, ist sogar organisiert durchgeführt, um Haass überzeugt. sich vor giftigen Aminosäureketten zu schützen – also eine Art Müllhalde, Dorothee Schulte auf der die Zelle fehlgefaltete Proteine entsorgt. Vielleicht ist aber genau die- se Müllhalde das Toxische, weil sich aus ihr giftige Substanzen permanent herauslösen können. Letzteres trifft wahrscheinlich beim Morbus Alzhei- Protein mer zu. Im Gehirn verstorbener Alz- heimer-Patienten finden sich zahlrei- che Klumpen (Plaques) aus Amyloid- beta-Peptiden, kleinen Eiweißstücken. „In der Nähe der Plaques fehlen die Verbindungen zwischen den Nerven- zellen“, sagt Professor Christian Haass, Leiter der Abteilung „Stoffwechselbio- chemie“ am Adolf-Butenandt Institut der Ludwig-Maximilians-Universität München. Mit den Nervenzell-Verbin- dungen geht auch die geistige Leis- Haben sich in der tungsfähigkeit der Patienten verloren. Zelle Proteinaggre- Die Erkrankten vergessen nach und gate gebildet, eilen nach alles, was sie in ihrem Leben ge- die sogenannten lernt haben: Wo sie wohnen, wie sie Chaperone her- sich die Schuhe binden und wie ihre bei. Sie helfen den Kinder heißen. In Deutschland leiden Proteinen dabei, sich schätzungsweise mehr als eine Million wieder in ihre ur- Menschen an Alzheimer. Experten sprüngliche, korrekte rechnen damit, dass in den kommen- Form zu falten. den Jahrzehnten die Zahl noch dras- tisch steigen wird. Es gab bereits klinische Studien, in denen die Patienten eine Art Impfstoff gegen das Amyloid-beta-Peptid erhiel- ten. Und tatsächlich: In den Gehirnen 17 einblick 3/2011
Viele Krebszellen lösen sich von ihrem Tumor ab und finden den Weg in die Blutbahn. Doch nur wenige, besonders aggressive Krebszellen sind in der Lage, auch Metastasen zu bilden. •Die Drahtzieher Krebsstammzellen werden nicht nur für eine Vielzahl von Krebsarten verantwort- lich gemacht. Sie stehen auch unter dem dringenden Tatverdacht, die gefürchteten Tochtergeschwülste eines Tumors zu bilden. I m Grunde ist Professor Andreas vom Haupttumor lösen, durch Blut Terror-Zellen in der Blutbahn Trumpp so etwas wie ein FBI-Agent. und Lymphflüssigkeit schleichen und So wie die amerikanische Bundes- dann irgendwo im Körper neue Krebs- Dass Krebsstammzellen überhaupt polizei unter unzähligen Unschuldi- herde, sogenannte Metastasen, bilden. existieren, hat der Krebsforscher John gen die wenigen Mörder oder poten- Hauptverdächtig sind für Trumpp Dick vom Ontario Institute for Cancer ziellen Terroristen erkennen muss, dabei die sogenannten Krebsstamm- Research in Toronto schon 1997 bewie- fahndet der Krebsforscher in Millionen zellen. Doch wie lassen sich diese von sen. Seitdem ist Gewissheit, dass viele Blutzellen von Krebspatienten nach den übrigen Krebszellen unterschei- Krebserkrankungen mit einer Reihe jenen wenigen „Terror-Zellen“, die den? Nach jahrelangen Ermittlungen von Gendefekten in einer Stammzelle Keime für die gefürchteten Tochterge- kann Trumpps Forschergruppe am beginnen. Diese Krebsstammzellen schwülste eines Tumors sind. Trumpp Deutschen Krebsforschungszentrum produzieren die ersten Tumorzellen, leitet die Abteilung „Stammzellen und in Heidelberg die Krebsstammzellen die sich wiederum ungehemmt ver- Krebs“ am DKFZ. Seit einigen Jahren nun nicht nur von Millionen anderen mehren und die Masse des Tumors bil- schon sind er und andere Krebsfor- Zellen im Blut unterscheiden, sondern den. Chemotherapien gehen nur gegen scher weltweit ganz speziellen Zellen auch beweisen, dass sie die Tochterge- diese sich schnell teilenden Tumorzel- auf der Spur: jenen Zellen, die sich schwülste bilden. len vor, das Fußvolk des „Terrornetz- 18 einblick 3/2011
werks Krebs“. Die Krebsstammzellen, Metastasen im Knochen aus. „Das ist sozusagen die Anführer der Organisa- nicht nur der erste Beweis, dass sich tion, teilen sich jedoch nur langsam unter den CTCs tatsächlich Zellen be- und überleben. So kann sich der Tumor finden, die Metastasen auslösen kön- nach der Chemotherapie aus den ver- nen“, erläutert Trumpp. „Mit diesem bliebenen Krebsstammzellen wieder Testsystem können wir jetzt vor allem neu bilden. Aber die Krebsstammzel- herausfinden, welche CTCs es sind, len spielen vermutlich auch bei der die Metastasen bilden können, und Metastasenbildung eine Rolle. „Wenn wie sie sich von allen anderen unter- nur bestimmte Zellen die nötigen Ei- scheiden.“ genschaften haben, den Tumor nach Derzeit erstellt Trumpp den ersten einer Therapie wieder zu erneuern“, Steckbrief einer Krebsstammzelle, die erläutert Trumpp, „dann sollten auch Brustkrebsmetastasen bilden kann. nur diese Zellen in der Lage sein, Meta- Diese Täterprofile sind den erken- stasen zu bilden – also gewissermaßen nungsdienstlichen Methoden des den Tumor andernorts zu erneuern.“ FBI durchaus ähnlich. Trumpp und Beweise hierfür hofft der Forscher im Kollegen suchen nach besonderen Blut von Krebspatienten zu finden. Strukturen auf der Oberfläche der Denn sobald ein Tumor Anschluss an Krebsstammzellen, gewissermaßen die das Gefäßsystem gefunden hat, ge- charakteristischen Narben oder Mut- langen Krebszellen auch ins Blut – termale, mit denen die Täter identifi- Forscher sprechen von zirkulierenden ziert werden können. In der Welt der Tumorzellen, CTCs (circulating tumor Krebsforscher sind es keine Mutter- cells). Diese CTCs nehmen Trumpp und male, sondern Proteine, die aus der seine Kollegen genauer unter die Lupe. Hülle der Krebszellen herausragen. Mit speziellen Geräten fischen sie die „Wir kennen noch viel zu wenige von Krebszellen aus den Millionen ande- diesen Oberflächenproteinen, anhand ren Zellen im Blut. Die Geräte erken- derer wir Krebsstammzellen erkennen nen dabei bestimmte Oberflächen- könnten“, sagt Trumpp. Es seien nur strukturen, die charakteristisch für die „zwei Hände voll“ – zu wenig, denn mobilen Tumorzellen sind. Doch dieses nicht bei jedem Krebstyp kommen die Verfahren ist so ungenau, wie es ein gleichen Marker vor. Generalverdacht gegen Reisende aus islamischen Ländern an der US-Grenze Krebszellen mit Peilsender wäre. Denn so wenig alle Afghanen Terroristen sind, so sind auch nicht Während Trumpp die Krebsstammzel- alle CTCs in der Lage, Tochterge- len anhand ihres äußeren Profils cha- schwülste zu bilden. Das können nur rakterisiert, geht sein Kollege Professor mobile Krebszellen, die auch Stamm- Hanno Glimm vom NCT in Heidelberg zell-Fähigkeiten haben. Doch bislang einen anderen Weg. Der Forscher ent- wussten Forscher nicht, was diese nimmt Tumorzellen aus dem Dick- metastasierenden Krebsstammzellen darm von Krebspatienten und implan- auszeichnet und wie sie zu erkennen tiert diesen Zellen gewissermaßen sind. „Da sich die CTCs nicht in Kultur eine Erkennungsmarke: Die Zellen halten oder in Mäuse transplantieren werden mit einem Virus infiziert, des- ließen, konnte man bisher nicht zei- sen Erbgut zufällig irgendwo im Ge- gen, dass sie tatsächlich tumorbilden- nom der Krebszelle eingebaut wird. de Fähigkeiten haben“, sagt Trumpp. Jede einzelne Krebszelle wird dadurch „Aber uns ist das jetzt gelungen.“ individuell gekennzeichnet, so dass Trumpps Mitarbeiterin Dr. Irène Bac- Glimm auch deren Tochterzellen je- celli und Professor Andreas Schnee- derzeit identifizieren kann. Wenn aus weiss vom Nationalen Centrum für den Reihen dieser Zellen eine Metasta- Tumorerkrankungen (NCT) konnten se wächst, kann der verantwortliche gemeinsam den Nachweis erbringen. Täter sofort ermittelt werden. Mit Aus dem Blut von 600 Brustkrebs- einem solchen Peilsender versehen, patientinnen isolierten sie CTCs und verpflanzte Glimm die Krebszellen in spritzten sie in Mäuse, deren Immun- Mäuse – und stellte Erstaunliches fest: system menschliche Zellen nicht ab- Nicht nur, dass nicht jede Krebszelle in stößt. Und tatsächlich lösten die der Lage ist, erneut einen Tumor aus- menschlichen CTCs in den Mäusen zubilden. Auch unter den Krebszellen, 19 einblick 3/2011
die dazu befähigt sind, gibt es noch Neue Waffenschmiede gewaltige Unterschiede: Eine Gruppe von Krebsstammzellen kann nur ein Zwar haben Forscher inzwischen einziges Mal einen neuen Tumor bil- ein klares Fahndungsbild der metasta- den – wenn sie vom Menschen in eine sierenden Krebsstammzellen vor Au- Versuchsmaus übertragen werden. gen und genug Beweise gegen die Werden die Nachkommen dieser Tu- Terror-Zellen in der Hand. Doch noch morzellen jedoch in eine zweite Maus fehlen die nötigen Mittel, ihnen übertragen, bilden sie keinen neuen das Handwerk zu legen. Wissenschaft- Tumor aus. Das kann nur eine Gruppe ler weltweit forschen mittlerweile von Krebsstammzellen mit Langzeit- an Wirkstoffen speziell gegen die wirkung. Selbst nach drei Transplan- Krebsstammzellen. Die kalifornische tationsrunden sind diese besonders Biotech-Firma Oncomed hat sogar aggressiven Zellen noch immer in der schon einen solchen Wirkstoff an Lage, einen neuen Tumor zu bilden. Patienten getestet: Die Firma nutzt die Eine dritte Gruppe von Krebsstamm- Tatsache aus, dass Krebsstammzellen zellen hingegen scheint wie ein terro- zwei Proteine brauchen, um ihren ristischer „Schläfer“ lange Zeit harm- Stammzellcharakter zu behalten. Ein los zu bleiben, um erst nach mehreren speziell entwickelter Antikörper blo- Transplantationen Krebs auszulösen. ckiert die Interaktion der beiden Pro- „Unsere Daten zeigen, dass nicht alle teine und lässt die Krebsstammzellen Krebsstammzellen gleich sind, son- somit zu gewöhnlichen Krebszellen dern, dass nur ein kleiner Teil der Zel- degenerieren, die sich mit üblichen len sich selbst erneuern und somit Chemotherapien beseitigen lassen. über lange Zeit das Tumorwachstum Bei acht von zwölf Patienten habe das Maus 1 unterhalten und Metastasen bilden zumindest zu einer „Stabilisierung“ kann“, sagt Glimm. Das Terrornetz- geführt, so Forschungschef Tim Hoey. werk Krebs scheint also noch kom- Ob es so möglich sein wird, die plexer organisiert zu sein, als zu- Bosse des Krebs-Terrors zu besiegen, nächst angenommen. Glimms Trick ist offen. Es werden noch einige mit der Virus-Markierung macht es Jahre vergehen, bis die neuen Wirk- nun möglich, diese Strukturen aufzu- stoffe für die Klinik zugelassen sind. klären und die Rolle der Krebsstamm- Trumpp und seine Ermittler-Kol- zellen bei der Metastasierung besser legen werden in jedem Fall weiter zu untersuchen. nach Möglichkeiten fahnden, den Verbrechern das Handwerk zu legen. Sascha Karberg Maus 2 Maus 3 Manche Krebszellen können Absiedelungen bilden, andere nicht. Doch es gibt noch weitere Abstufungen, wie dieses Experiment zeigt: Wissenschaftler aus dem NCT in Heidelberg implantierten markierte menschliche Tumorzellen in Mäuse. Nur aus wenigen Zellen wuchsen daraufhin neue Tumoren heran (grün, gelb und rot). Die große Masse der Zellen starb dagegen (grau). Wurden die Zellen von Maus zu Maus übertragen, änderte sich das Bild erneut: Manche Krebszellen können offensichtlich nur ein einziges Mal Tumoren bilden (grün). Andere Zellen hatten zunächst kein Tumorwachstum ausgelöst, taten dies aber nach einer dritten Übertragung (blau; genauere Erläuterung: s. Text). 20 einblick 3/2011
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