Metastasen - wenn Krebs-zellen durch den Körper wandern - Deutsches Krebsforschungszentrum in der Helmholtz-Gemeinschaft

 
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Metastasen - wenn Krebs-zellen durch den Körper wandern - Deutsches Krebsforschungszentrum in der Helmholtz-Gemeinschaft
Deutsches Krebsforschungszentrum in der Helmholtz-Gemeinschaft

                                                                 Ausgabe 3/2011

 Metastasen – wenn Krebs-
 zellen durch den Körper wandern
Metastasen - wenn Krebs-zellen durch den Körper wandern - Deutsches Krebsforschungszentrum in der Helmholtz-Gemeinschaft
Liebe Leserinnen und Leser,

                        „Ihr Tumor hat gestreut.“ Kaum eine        zu verhindern. Doch auch dieses Ziel
                        andere Mitteilung des Arztes macht         erreicht man nur mit vielen kleinen
                        mehr Angst als dieser Satz. Und das        Schritten. Forschung erfordert Zeit, Ge-
                        mit Recht: Hat der Krebs erst einmal       duld und nicht zuletzt auch die nöti-
                        seinen ursprünglichen Ort verlassen        gen finanziellen Mittel. Wie gut, dass
                        und sich an anderer Stelle erneut an-      dem DKFZ da großzügige Freunde und
                        gesiedelt, ist eine vollständige Heilung   Förderer zur Seite stehen. Einen möch-
                        meist nicht mehr möglich. Zwar kön-        ten wir Ihnen in dieser Ausgabe vor-
                        nen Chemotherapien auch in diesem          stellen: Manfred Lautenschläger, der
                        Stadium das Wachstum der Zellen an-        Gründer von MLP und wohlbekannter
Dr. Stefanie Seltmann
                        fangs meist noch zurückdrängen; doch       Mäzen aus der Metropolregion. „For-
                        oft genug erreichen die Medikamente        schung fasziniert mich“, begründet er
                        nicht alle versteckten Krebszellen. So     sein Engagement für das DKFZ, was
                        flammt der Tumor nach einiger Zeit          uns natürlich freut. Denn uns faszi-
                        wieder auf – nun sogar oft resistent       niert sie auch.
                        gegen die Therapie.
                        Nicht nur für Patienten und Ärzte sind     Ich wünsche Ihnen gute Unterhaltung
                        die Metastasen eine Herausforderung,       mit der neuen Ausgabe,
                        sondern auch für Krebsforscher. Denn       Ihre
                        die unheimliche Zellwanderung er-
                        folgt in vielen einzelnen Schritten, die
                        bislang noch nicht vollständig ver-
                        standen sind. Viele verschiedene Grup-
                        pen am Deutschen Krebsforschungs-
                        zentrum sind derzeit damit beschäf-
                        tigt, die noch offenen Fragen zu klären:
                        So untersucht die Abteilung von Pro-
                        fessor Heike Allgayer die Moleküle, die
                        den Tumorzellen den Weg „freischnei-
                        den“, damit sie das Gewebe überhaupt
                        verlassen können. Im Blut angelangt,
                        verraten die „zirkulierenden Tumor-
                        zellen“, kurz CTCs, den Ärzten und
                        Forschern, ob die Wahrscheinlichkeit
                        von Metastasen groß ist. Das Team
                        um Professor Andreas Trumpp hat
                        herausgefunden, dass manche dieser
                        CTCs ähnliche Eigenschaften besitzen
                        wie Stammzellen. Und wahrscheinlich
                        sind es auch diese CTCs, die im letzten
                        Schritt irgendwann die Blutgefäße
                        wieder verlassen, um die gefürchte-
                        ten Metastasen zu bilden. Wo genau
                        sie sich ansiedeln, dafür interessieren
                        sich die Wissenschaftler um Professor
                        Hellmut Augustin: Sie haben entdeckt,
                        dass die Blutgefäße nur in manchen
                        Organen den Krebszellen die „Türen
                        öffnen“ und dass die Krebszellen da-
                        für die richtigen Schlüssel selbst mit-    Titelbild:
                        bringen.                                   Blick in ein sich aufzweigendes
                        Viele kleine Schritte sind es also, die    Blutgefäß. Neben roten und
                        die Wissenschaftler untersuchen müs-       weißen Blutkörperchen finden
                        sen, um die Metastasenbildung zu ver-      sich im Blut von Tumorpatienten
                        stehen – und hoffentlich eines Tages       häufig auch Krebszellen (schwarz).
Metastasen - wenn Krebs-zellen durch den Körper wandern - Deutsches Krebsforschungszentrum in der Helmholtz-Gemeinschaft
Inhalt       Schwerpunkt: Metastasen – wenn Krebszellen durch den Körper wandern

      Nachrichten    Neues aus der Krebsmedizin
                                                                                       4

      Forschung im   Tumorzellen auf Wanderschaft
  Deutschen Krebs-   Professor Heike Allgayer und ihr Team erforschen die              6
forschungszentrum    Besonderheiten von metastasierenden Krebszellen

                     Der Hautkebs bahnt sich seinen Weg
                     Von einer unfreiwilligen Nachbarschaftshilfe bei der             10
                                                                                       8
                     Tumorausbreitung

                     Der Schlüssel zum Zielorgan
                     Warum streuen manche Krebserkrankungen
                                                                                      12
                     häufiger in bestimmte Organe?

                     Die Müllhalden der Zelle
                     Proteinschrott kann schaden, aber auch nützlich sein             15

                     Die Drahtzieher
                     Für Tumorabsiedlungen ist nur eine kleine Gruppe                 18
                     von Krebszellen verantwortlich

                     Krebsfrüherkennung
                     Krebserkrankungen werden immer eher entdeckt                     21

                     „Stolz, Freude und ein bisschen Wehmut“
                     Roche übernimmt die DKFZ-Ausgründung „mtm                        23
                     laboratories“ – ein Interview

        Zur Person   Der „Weltmeister im Überleben“
                     Manfred Lautenschläger im Porträt                                25

      Behandlung     Mehr als nur Schmerztherapie
                     Ein Tag auf der Palliativstation                                28

                     Molekulare Spürhunde
                     Endoradiotherapie: Krebszellen aufspüren und                     31
                     vernichten

                     Stichwort: CUP-Syndrom
    Magazin          Rezension                                              ab Seite 34
                     Serie: Helmholtz-Zentren im Porträt
                     Preise und Auszeichnungen

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                                                                                  einblick 3/2011
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KID                                         0800-420 30 40
    Neues aus der Krebsmedizin
       Diese und weitere Informationen finden Sie auch auf der Website des Krebs-
               informationsdienstes (KID) des Deutschen Krebsforschungszentrums:
       www.krebsinformationsdienst.de . Wenn Sie mehr über einzelne Krebsarten,
            Behandlungen oder Studienergebnisse wissen möchten, können Sie sich
            direkt an den KID wenden: über die kostenlose Hotline (0800-42030 40,
     täglich 8.00 bis 20.00 Uhr) oder per E-Mail (krebsinformationsdienst@dkfz.de).

    Rauchen fördert auch Leberkrebs

                 Ein weiterer Grund, mit dem Rauchen aufzuhören: Neben Lungenkrebs fördert Tabakkonsum auch die Entstehung
                                                                                                        von Lebertumoren.

    E
          ine internationale Forscher-       Die Forschergruppe wertete für ihre     titis-C- bzw. -B-Viren fand sich bei 20
          gruppe hat aktuell einen Zu-       Untersuchung die Daten von 115          bzw. 13 Prozent. Massives Übergewicht
          sammenhang zwischen Tabak-         Leberkrebspatienten aus, die bereits    gaben 16 Prozent und regelmäßigen
    konsum und der Entstehung von Le-        vor ihrer Erkrankung an der EPIC-       massiven Alkoholkonsum zehn Pro-
    berkrebs in Europa nachgewiesen.         Studie teilgenommen hatten. Diese       zent der Patienten an. Die Forscher
    Die größte Zunahme des Leberkrebs-       untersucht seit Anfang der 1990er-      schließen aus den Ergebnissen, dass
    Risikos beobachteten die Forscher        Jahre, wie sich der Lebensstil und      ein Großteil der Leberkrebserkrankun-
    zwar infolge einer Infektion mit         andere Faktoren auf die Krebsentste-    gen in Europa auf vermeidbare Risiken
    Hepatitis-C- bzw. B-Viren. In Europa     hung auswirken. Das Ergebnis: Fast      zurückzuführen ist.
    gibt es jedoch mehr Leberkrebspatien-    jeder zweite Leberkrebspatient hat in
    ten, die rauchen, als solche mit einer   seinem Leben geraucht (48 Prozent).
    chronischen Virus-Hepatitis.             Eine chronische Infektion mit Hepa-

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           einblick 3/2011
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Autoimmunerkrankungen
       beeinflussen Krebsrisiko
S
     chon seit Langem vermuten             terschiedlichen Auswirkungen auf das    33 verschiedenen Autoimmunerkran-
     Forscher einen Zusammenhang           Krebsrisiko könnten die verabreichten   kungen und elf unterschiedliche Krebs-
     zwischen Autoimmunerkrankun-          Medikamente sein. Da viele dieser       erkrankungen des Verdauungstrakts.
gen, bei denen das Immunsystem kör-        Medikamente das Immunsystem un-         Ihnen standen die Daten des schwe-
pereigene Strukturen bekämpft, und         terdrücken, bekämpft es auch Tumor-     dischen Krebsregisters zur Verfügung,
Krebs. Wissenschaftler des Deutschen       zellen weniger effizient. Das bedingt    das mit zwölf Millionen Personen die
Krebsforschungszentrums haben nun          ein erhöhtes Krebsrisiko. Entzün-       gesamte schwedisch Bevölkerung um-
gemeinsam mit schwedischen For-            dungshemmende Medikamente da-           fasst. Für Kari Hemminki ist die
schern herausgefunden, dass viele          gegen können dieses Risiko mindern.     wichtigste Schlussfolgerung aus den
Autoimmunerkrankungen, darunter            So kann der Aspirin-Wirkstoff ASS,      Studienergebnissen: „Ärzte sollten
beispielsweise Morbus Crohn oder           der in vielen Rheumamedikamenten        ihren Patienten mit Autoimmun-
systemischer Lupus, das Krebsrisiko        enthalten ist, Krebserkrankungen vor-   erkrankungen empfehlen, regelmä-
erhöhen. Andere jedoch, wie die            beugen.                                 ßig an Krebsfrüherkennungsprogram-
Rheumatoide Arthritis, gehen mit              Für ihre Studie untersuchten Pro-    men teilzunehmen.“
einem deutlich geringeren Darm-            fessor Dr. Kari Hemminki und Kolle-
krebsrisiko einher. Grund für die un-      gen die Wechselbeziehung zwischen

Mehr Krebs in Mund und Rachen
  durch Humane Papillomviren
H
        umane Papillomviren (HPV)          moren zu-, die Anzahl HPV-negativer     ten ist. Ob somit eine Impfung auch
        sind vielen durch die Imp-         Tumoren im Untersuchungszeitraum        für Männer sinnvoll ist, muss in weite-
        fung gegen Gebärmutterhals-        dagegen abnahm. Dies könnte daran       ren Untersuchungen geklärt werden,
krebs ein Begriff. Dass sie auch bei der   liegen, dass immer weniger Menschen     fordern die Wissenschaftler.
Entstehung von Tumoren in Mund             rauchen und so der Tabakkonsum als
und Rachen beteiligt sind, haben           Risikofaktor zurückgeht. Nach Schät-
jetzt Wissenschaftler des US-ameri-        zungen der Wissenschaftler werden in
kanischen Krebsforschungszentrums          den USA im Jahr 2020 mehr Menschen
nachgewiesen. Bisher galten Tabak-         HPV-positive Tumoren des Mund- und
konsum und Alkohol als Hauptrisiko-        Rachenraums aufweisen, als es Patien-
faktoren.                                  tinnen mit Gebärmutterhalskrebs gibt.
   Die Forscher untersuchten 271 Ge-       Am häufigsten trat bei den HPV-positi-
webeproben von Karzinomen des              ven Tumorgeweben HPV 16 auf, ein
Mund- und Rachenraums aus den              auch bei Gebärmutterhalskrebs als be-
Jahren 1984 bis 2004. Dabei konnten        sonders aggressiv bekannter Untertyp    Papillomviren unter dem Elektronen-
sie nicht nur in vielen Fällen HPV         der Humanen Papillomviren, der in       mikroskop. Bei immer mehr Betroffenen
nachweisen; sie stellten auch fest, dass   den bereits verfügbaren Impfstoffen     scheinen sie der Auslöser für Krebs in
die Häufigkeit von HPV-positiven Tu-        gegen Gebärmutterhalskrebs enthal-      Mund und Rachen zu sein.

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                                                                                                       einblick 3/2011
Metastasen - wenn Krebs-zellen durch den Körper wandern - Deutsches Krebsforschungszentrum in der Helmholtz-Gemeinschaft
Heike Allgayer leitet die Klinische Kooperationseinheit „Molekulare Onkologie solider Tumoren“. Das Team erforscht die
Mechanismen, die zur Bildung von Metastasen führen – und das auf hohem Niveau, wie den Wissenschaftlern kürzlich von ei-
nem unabhängigen Gremium bescheinigt wurde: Die Forschung der Abteilung sei „exzellent bis hervorragend“, so die Gutachter.

       • Tumorzellen auf Wanderschaft
            Die Mitarbeiter der Klinischen Kooperationseinheit „Molekulare Onko-
           logie solider Tumoren“ fahnden nach den Ursachen für Metastasen. Sie
         suchen nach Molekülen, die verraten, ob ein Tumor wahrscheinlich streut,
               aber auch nach Wegen, die Entstehung der gefährlichen Tochterge-
                                                         schwülste zu verhindern.

       W
                  er die Wissenschaftler der    mehreren Wirkstätten gleichzeitig zu     Musik zu studieren und Pianistin zu
                  Klinischen   Kooperations-    arbeiten. So entschied sie sich schon    werden“, verrät sie. Musik ist für sie
                  einheit „Molekulare Onko-     als Medizinstudentin für den Spagat      auch heute noch Quell der Inspiration.
       logie solider Tumoren“ bei der Arbeit    zwischen Klinik und Forschung. Sie er-   „Beim Klavierspiel entsteht ein Flie-
       besuchen möchte, muss schon einen        warb einen medizinischen Doktortitel,    ßen, bei dem ich oft die besten Ideen
       genauen Treffpunkt vereinbaren: Die      später – in den USA – zusätzlich einen   habe.“
       Labore der Abteilung sind sowohl im      naturwissenschaftlichen und feilte          Als 2002 im Universitätsklinikum
       Universitätsklinikum in Mannheim         dann an Forscherlaufbahn inklusive       in Mannheim eine Professur für expe-
       als auch in Heidelberg im Deutschen      Habilitation und parallel an der Fach-   rimentelle Chirurgie besetzt werden
       Krebsforschungszentrum angesiedelt.      arztausbildung zur Chirurgin.            sollte, hatte man die Idee, dies mit ei-
       Forschen an zwei Orten – das passt          Heute ist Heike Allgayer Abtei-       ner Kooperationseinheit im DKFZ zu
       zum Lebenslauf der Abteilungsleiterin,   lungsleiterin, aber auch alleinerzie-    verknüpfen. Heike Allgayer war diese
       Professor Heike Allgayer. Wenn die at-   hende Mutter, die sich abends Zeit       Stelle wie auf den Leib geschneidert:
       traktive Ärztin und Molekularbiologin    nimmt, sich mit ihrer 17 Monate alten    nicht nur wegen ihrer enormen Viel-
       von ihrem Werdegang berichtet, be-       Tochter ans Klavier zu setzen. „Bevor    seitigkeit und dem Ehrgeiz, immer
       kommt man den Eindruck, dass sie die     ich mich für Medizin und Wissen-         mehrere Dinge unter einen Hut zu
       Herausforderung regelrecht sucht, an     schaft entschied, habe ich überlegt,     bringen, sondern auch inhaltlich. „Da

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              einblick 3/2011
Metastasen - wenn Krebs-zellen durch den Körper wandern - Deutsches Krebsforschungszentrum in der Helmholtz-Gemeinschaft
habe ich perfekt hineingepasst,                Ein Molekülpaar schneidet den           hang für verschiedene Krebsarten
schließlich drehten sich bereits meine                              Weg frei           beschrieben.
Doktorarbeiten um die molekularen                                                         Allgayers Team in Heidelberg und
Mechanismen der Metastasierung               Bereits als Doktorandin beschäftigte      Mannheim interessiert sich nach wie
und gleichzeitig um translationale           sich Heike Allgayer mit einem Mole-       vor für uPAR – nicht zuletzt dafür, wie
Forschung, also um die Übertragung           külduo, das bei der Metastasierung        sich ihr Wissen über das Molekül für
der Ergebnisse in die Klinik“, sagt die      eine zentrale Rolle spielt: Ein Protein   Therapien nutzen lässt. Erst im letzten
Forscherin, die diesen Themen seither        namens u-PA (Urokinase-Plasmi-            Jahr haben die Forscher festgestellt,
treu geblieben ist.                          nogen-Aktivator) und sein Rezeptor        dass ein Anti-Malaria-Medikament
   Wie und warum sich manche Krebs-          u-PAR. Zusammen agieren sie wie eine      namens Artesunate die Metastasie-
zellen aus der Primärgeschwulst lösen,       Art molekularbiologische Schere. Mit      rung bei Lungenkrebs blockieren kann.
in andere Körpergewebe wandern,              ihrer Hilfe schneiden sich Krebszellen    Der Wirkstoff hemmt unter anderem
sich dort niederlassen und vermehren,        aus dem Gewebeverband heraus, da-         u-PA. „Wenn sich dies in weiteren
darüber weiß man noch immer viel zu          mit sie auf Wanderschaft gehen kön-       Untersuchungen bestätigt, haben wir
wenig, sagt Heike Allgayer. „Dabei           nen. Auch wenn sich die abgesiedelten     ein Mittel gegen Metastasen in der
sterben rund 90 Prozent aller Krebsop-       Krebszellen in einem anderen Organ        Hand, das schnell bei Patienten ein-
fer nicht am Primärtumor, sondern an         niederlassen, bahnt das Molekülpaar       gesetzt werden kann – die Substanz
den Metastasen.“                             den Weg.                                  ist ja bereits für den Einsatz beim
   Zu wissen, ob ein Tumor zum Streu-           Die Wissenschaftlerin erkannte         Menschen zugelassen“, betont die
en neigt, ist wichtig, um Aussagen über      schon vor Jahren: Tragen Tumoren          Abteilungsleiterin.
die Überlebenschancen eines Patienten        des Magen-Darm-Trakts vermehrt
zu treffen. Und es hilft, die richtige Be-   Moleküle des u-PA-Systems auf                           Hühnereier im Labor
handlung auszuwählen. Denn oft sind          ihrer Zelloberfläche, so ist die Gefahr
metastasierende Tumoren resistent            für Metastasen erhöht. Mittlerweile       Natürlich sind uPA und uPAR nicht
gegenüber bestimmten Therapien.              haben Forscher diesen Zusammen-           die einzigen Mitspieler bei der Metas-

Krebsforschung mit Hühnereiern: Mohammed Abba (links) und Nitin Patil (rechts) suchen eine geeignete Stelle, um Zellen in
ein Hühnerei zu verpflanzen. Die Forscher wollen herausfinden, welche Proteine bei der Bildung von Metastasen eine Rolle spielen.

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Metastasen - wenn Krebs-zellen durch den Körper wandern - Deutsches Krebsforschungszentrum in der Helmholtz-Gemeinschaft
Die Biologin Anna Shavinskaya vergleicht an ihrem Computer die DNA-Daten von Primärtumoren und Metastasen. Sie hofft,
    in deren Erbinformation die Veränderungen zu finden, die zur Streuung eines Tumors führen.

    tasenbildung. Nitin Patil aus Indien       haben, also eine Art Tumor gewachsen      sierung besser zu verstehen“, sagt sie.
    und Mohammed Abba aus Nigeria              ist. Dann untersuchen sie den Hühner-     Das habe einen sehr konkreten Bezug
    untersuchen weitere interessante           embryo. Finden sie in ihm mensch-         zur Klinik, so wie sie es sich für ihre Ar-
    Kandidaten, die möglicherweise mit-        liche Zellen, so wissen sie, dass diese   beit wünscht.
    mischen, wenn sich Tumorzellen ab-         eingewandert sind – ähnlich einem            Die Biologin sitzt vor ihrem Compu-
    siedeln. Dazu benötigen die beiden         streuenden Tumor. Und je nachdem,         ter. Über den Bildschirm flimmern
    Forscher eine ruhige Hand – und be-        ob sich die Zellen beispielsweise im      Kolonnen aus Zahlen und Buchstaben.
    fruchtete Hühnereier.                      Blut oder bereits in einem Organ befin-    Sie stehen jeweils für einen einzelnen
    „Wenn wir wissen wollen, ob ein Pro-       den, können Abba und Patil beurteilen,    untersuchten Genabschnitt, wie sie
    tein an der Metastasierung beteiligt       an welchem Schritt der Metastasie-        erläutert. In Zusammenarbeit mit
    ist, prüfen wir das zunächst in Kultur-    rung das untersuchte Protein wahr-        verschiedenen Kooperationspartnern
    zellen“, erklärt Abba. „Anschließend       scheinlich beteiligt ist.                 arbeitet Anna Shavinskaya Gewebe-
    muss man testen, ob der Effekt auch            Einzelne Faktoren zu prüfen reicht    proben von Patienten mit metastasie-
    im lebenden Organismus auftritt.“          aber nicht, so die Abteilungsleiterin:    rendem Darmkrebs auf und vergleicht
    Dafür verfrachten die Wissenschaftler      „Wir kennen mittlerweile einige inter-    die Proben untereinander. Wie unter-
    menschliche Kulturzellen, die das          essante Mechanismen, die an der Ent-      scheidet sich die Erbinformation des
    fragliche Protein enthalten, in ein be-    stehung von Metastasen beteiligt          Tumors von der des gesunden Gewe-
    fruchtetes Hühnerei. Keine einfache        sind“, sagt sie. „Was uns aber noch       bes? Welche genetischen Veränderun-
    Aufgabe, denn der Hühnerembryo darf        fehlt, ist ein Gesamtüberblick.“ Das      gen laufen ab, bevor sich eine Krebs-
    dabei nicht zu Schaden kommen. Zu-         will sie in einem neuen Projekt ganz      zelle löst? Haben Metastasen, die sich
    nächst ziehen die Forscher mit einer       systematisch angehen, mit Hilfe eines     in der Leber ansiedeln, einen anderen
    Spritze vorsichtig die Luftblase ab, die   vollständigen genetischen Profils von      DNA-Text als solche in der Lunge? „Um
    jedes Ei birgt. Dadurch entsteht an ei-    gesundem Gewebe, Krebszellen und          diese Fragen zu beantworten, arbeiten
    ner anderen Stelle eine „Delle“. Dort      Metastasen.                               wir eng mit Professor Roland Eils
    öffnen sie das Ei vorsichtig, geben ihre       Diese ehrgeizige Aufgabe kommt        und seinen Bioinformatikern am
    Zellen hinein und verschließen es mit      unter anderem Dr. Anna Shavinskaya        DKFZ zusammen“, berichtet die junge
    einem Klebestreifen.                       zu. Die gebürtige Russin hat ihre Hei-    Forscherin.
        Nach sieben Tagen im Brutkasten        matstadt St. Petersburg schon vor vie-       Bei ihrer Analyse berücksichtigt
    beginnt der eigentliche Test. Die Wis-     len Jahren verlassen, um in Heidelberg    Anna Shavinskaya nicht nur DNA-Ab-
    senschaftler lösen zunächst die Schale     Biologie zu studieren. „Das Projekt ist   schnitte, die Bauanleitungen für Pro-
    weiter ab. So können sie sehen, ob sich    sehr umfassend, aber auch extrem          teine bergen. Auch Veränderungen im
    die Zellen an der Impfstelle vermehrt      spannend, weil es hilft, die Metasta-     Erbtext zwischen den eigentlichen Ge-

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           einblick 3/2011
Metastasen - wenn Krebs-zellen durch den Körper wandern - Deutsches Krebsforschungszentrum in der Helmholtz-Gemeinschaft
nen sind interessant. Seit einigen Jah-   erhöhtes Risiko für bestimmte Tumo-                 Teamgeist zahlt sich aus
ren weiß man, dass hier verschiedene      ren und für Metastasen nach sich
regulierende Elemente verschlüsselt       zieht.                                    „Dass sich junge Forscher wie Jasmin
sind. Sie steuern, ob bestimmte Gene      „Es ist inzwischen klar, dass verschie-   gezielt bei uns bewerben, zeigt, dass
übersetzt und Eiweißmoleküle gebil-       dene Micro-RNAs für die Metastasie-       wir mit unserer Arbeit in der Forscher-
det werden, und wie viele davon.          rung mehrerer Krebsarten wichtig          welt wahrgenommen werden“, sagt
   Zu diesen Regulatoren zählen so        sind“, erklärt die Teamleiterin. Einige   Allgayer. Stolz ist die Wissenschaftle-
genannte Micro-RNAs. Das sind sehr        davon hat ihre Gruppe bereits be-         rin auch darauf, dass nach der Geburt
kurze RNA-Moleküle mit nur 21 bis 23      schrieben. Zur Verstärkung in diesem      ihrer Tochter 2010 und trotz ihrer Si-
Bausteinen. Heike Allgayer und ihr        Gebiet ergänzt seit Kurzem eine neue      tuation als alleinerziehende Mutter
Team haben festgestellt, dass einige      Mitarbeiterin aus der Schweiz die         die Forschungsarbeit in ihrer Abtei-
der winzigen RNA-Schnipsel auch eine      Abteilung: Jasmin Batliner hatte in       lung genauso erfolgreich ist wie vor-
Rolle bei der Metastasierung spielen:     Fachzeitschriften von der Rolle der       her. „Das ist ein hartes Stück Arbeit“,
Eine Micro-RNA mit der Bezeichnung        Micro-RNAs bei der Metastasenbil-         gibt sie zu. „Wie alle jungen Mütter lei-
miR-21 verhindert beispielsweise,         dung gelesen und war so fasziniert,       de ich permanent unter Schlafmangel
dass der sogenannte Tumorsuppres-         dass sie selbst in diesem Bereich for-    und möchte aber auch meiner Tochter
sor Pdcd4 entsteht. Dieser sorgt im       schen wollte. Die junge Biologin be-      gerecht werden.“ Gleichzeitig muss sie
Normalfall dafür, dass Zellen nicht       kam ein Stipendium des Schweizer          als Wissenschaftlerin präsent bleiben.
entarten und schützt so vor Krebs.        Nationalfonds und erwirbt jetzt in        Erziehungsurlaub sei da nicht drin.
Mehr noch: Pdcd4 hemmt auch den           Heidelberg das notwendige Know-           Dass sie zudem derzeit um den Krip-
Beginn der Metastasierung. Kein           how, um selbst verschiedene interes-      penplatz ihrer Tochter bangen muss,
Wunder also, dass sein Verlust ein        sante Micro-RNAs zu untersuchen.          darüber kann sie nur den Kopf schüt-
                                                                                    teln: „Politiker fordern Frauen in Füh-
                                                                                    rungspositionen, aber ehrliche Unter-
                                                                                    stützung gibt es nur wenig.“
                                                                                       Trotzdem hat das Team im „Baby-
                                                                                    jahr“ der Chefin sogar mehr Fachpubli-
                                                                                    kationen veröffentlicht als in den Jah-
                                                                                    ren zuvor. „Das verdanken wir auch
                                                                                    dem guten Zusammenhalt in der
                                                                                    Gruppe“, sagt die Professorin. Heike
                                                                                    Allgayer beschreibt sich zwar selbst als
                                                                                    eine Chefin, die viel von ihren Mitar-
                                                                                    beitern erwartet, aber sie legt auch
                                                                                    Wert aufs Zwischenmenschliche. Kein
                                                                                    Wunder, dass sie einige ihrer Mitarbei-
                                                                                    ter schon lange kennt: ihren Mitkoor-
                                                                                    dinator der Mannheimer Abteilung
                                                                                    etwa noch aus Münchner Zeiten, eben-
                                                                                    so den Nigerianer Mohammed Abba.
                                                                                    „Er war als medizinischer Gaststudent
                                                                                    bei uns und hat mich viele Jahre
                                                                                    später kontaktiert, die ärztliche Routi-
                                                                                    ne reiche ihm nicht aus, und er hätte
                                                                                    gerne mehr wissenschaftliche Heraus-
                                                                                    forderung in seinem Leben.“ Und ein
                                                                                    Arzt, der forschen will, ist natürlich
                                                                                    herzlich willkommen im Team. „Denn
                                                                                    unsere wichtigste Aufgabe ist doch,
                                                                                    eine Brücke zu schlagen zwischen
                                                                                    Klinik und Wissenschaft.“

                                                                                       Stefanie Reinberger

Die Schweizerin Jasmin Batliner untersucht, wie sogenannte micro-RNAs an der
Entstehung von Metastasen beteiligt sind.

                                                                                                                                9
                                                                                                         einblick 3/2011
Metastasen - wenn Krebs-zellen durch den Körper wandern - Deutsches Krebsforschungszentrum in der Helmholtz-Gemeinschaft
•Der Hautkrebs bahnt sich seinen Weg
          Schwarzer Hautkrebs ist der gefährlichste aller Hauttumoren: Bereits in sehr
                frühen Stadien verstreut dieser Krebs seine Zellen und bildet Tochter-
         geschwülste. Wissenschaftler am Deutschen Krebsforschungszentrum haben
             einen Mechanismus entdeckt, der dieses besonders aggressive Verhalten
                                                                     erklären könnte.

     Schwarzer Hautkrebs breitet sich oft schnell im Gewebe aus. Wissenschaftler am DKFZ haben jetzt herausgefunden: Der Krebs
     verändert seine Umgebung so, dass sie ihm beim Einwachsen hilft.

     W
                eltweit verzeichnen Epi-       Biologe leitet am Krebsforschungszen-
                demiologen     eine   stark    trum die Juniorgruppe „Molekulare
                steigende Anzahl an Neu-       Mechanismen von Kopf-Hals-Tumo-
     erkrankungen am schwarzen Haut-           ren“, die in die Abteilung „Signaltrans-
     krebs, dem malignen Melanom: Allein       duktion und Wachstumskontrolle“
     in Deutschland erkranken jedes Jahr       von Professor Peter Angel integriert
     etwa 15 000 Menschen. Während bei         ist. Zusammen mit seinen Mitarbei-
     anderen Tumoren der Haut oft die          tern erforscht Jochen Heß Signalwege,
     operative Entfernung ausreicht, um        die bei der Tumorentstehung und
     den Krebs zu besiegen, ist das maligne    -weiterentwicklung eine Rolle spielen.
     Melanom die am häufigsten tödlich          Seit eineinhalb Jahren leitet er zu-
     verlaufende Hautkrankheit. Melano-        sätzlich die Arbeitsgruppe „Experi-
     me verteilen ihre Krebszellen schon in    mentelle Kopf-Hals-Onkologie“ am
     einem sehr frühen Stadium. So entste-     Universitätsklinikum Heidelberg. Mit
     hen die gefürchteten Metastasen, be-      dieser Doppelfunktion hofft er, dazu
     vorzugt in der Lunge, dem Gehirn oder     beitragen zu können, dass seine
     wieder in der Haut.                       Forschungsergebnisse schneller dem
        „Melanome treten zwar eher selten      Patienten zugutekommen. „Wir zielen
     auf, wachsen aber dafür umso ag-          mit unseren Arbeiten darauf ab, mög-
     gressiver“, erläutert Privatdozent Dr.    lichst frühzeitig das Streuen des Tu-
     Jochen Heß vom DKFZ. „Achtzig Pro-        mors zu unterbinden”, fasst der Wis-
     zent aller Krebspatienten sterben an      senschaftler zusammen. „Dabei sind
     den Folgen der Metastasierung, nicht      wir auf ein Molekül namens KLK6
     aufgrund des Ursprungstumors.“ Der        gestoßen; unsere Forschungsergeb-

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            einblick 3/2011
nisse lassen vermuten, dass dieser Ei-     in den benachbarten gesunden Haut-         verbessern: Eine erhöhte Konzentra-
weißstoff beim Melanom nicht nur an        zellen gebildet wird”, erklärt der Mole-   tion wäre ein Anhaltspunkt, sehr ge-
allen Stufen der Entartung beteiligt       kularbiologe. Gleichzeitig beobachtete     nau nach Metastasen zu suchen.” KLK6
ist, sondern auch an der frühen Me-        er eine stark gesteigerte Beweglichkeit    wäre nicht das erste Mitglied seiner
tastasierung.”                             der Melanomzellen. Eine mögliche Er-       Familie, das Ärzten als Hinweis auf
    KLK6 gehört zu einer großen Fami-      klärung dafür liefert der Wissenschaft-    Krebserkrankungen dienen könnte.
lie von Proteinen, den Kallikreinen, die   ler gleich mit: KLK6 aktiviert auf den     Ein anderes Kallikrein, das KLK3, ist
im Körper weit verbreitet sind. Als        Melanomzellen einen Rezeptor na-           besser bekannt als das prostataspezi-
„molekulare Scheren” sorgen sie bei        mens PAR1. Diese Aktivierung setzt in      fische Antigen PSA, das bei Patienten
der Wundheilung etwa dafür, dass           der Zelle Kalziumionen frei – und ge-      mit Prostatatumoren vermehrt im
sich Gewebezellen aus ihrem Verband        nügend Kalzium in einer Zelle ist eine     Blut zu finden ist. Studien geben au-
lösen, sich zur Wunde bewegen und          Grundvoraussetzung für deren Beweg-        ßerdem Hinweise, dass KLK6 vielleicht
diese verschließen. Denselben Mecha-       lichkeit. KLK6 erhöht also die Beweg-      auch als diagnostischer Marker beim
nismus nutzen bestimmte Hautkrebs-         lichkeit der Krebszellen und schafft       Eierstockkrebs verwendet werden
zellen: Sie produzieren vermehrt das       gleichzeitig den nötigen Platz in der      könnte.
Enzym KLK6, das dann die Verbindung        Umgebung. „Wenn man die KLK6-Wir-             Der allerbeste Schutz vor Haut-
zwischen Gewebszellen kappt. Ist erst      kung blockiert, könnte das die Fähig-      krebs bleiben aber die Früherkennung
einmal der Zell-Zell-Kontakt gelöst,       keit der Tumorzellen, in das umgeben-      und der vorsichtige Umgang mit
hat die Krebszelle Platz genug, sich un-   de Gewebe einzudringen und Metas-          natürlichen wie künstlichen Sonnen-
gehindert zu vermehren und in das          tasen an weiter entfernten Organen zu      strahlen. Experten wissen heute, dass
Gewebe einzudringen.                       bilden, erheblich einschränken“, hofft     Sonne, Solarien und andere UV-Quel-
                                           Heß. Dafür sei der Rezeptor der beste      len das Risiko deutlich erhöhen, an
           Unfreiwillige Nachbar-          Angriffspunkt, denn: „Melanomzellen        einem malignen Melanom zu erkran-
                      schaftshilfe         versklaven gewissermaßen ihre Nach-        ken. Seit dem 1. Juli 2008 haben daher
                                           barzellen. So steht ihnen auf ihrem        alle gesetzlich Krankenversicherten
Krebszellen des malignen Melanoms          Weg durchs Gewebe ihr benötigtes           ab 35 Jahren Anspruch auf eine Haut-
hingegen produzieren KLK6 nicht            Enzym immer zur Verfügung.“ Da-            krebs-Früherkennungsuntersuchung,
selbst: Sie lassen es herstellen, wie      neben verspricht sich der Forscher         die alle zwei Jahre wiederholt wer-
Jochen Heß und seine Mitarbeiter           von seiner Entdeckung auch einen           den kann.
jetzt herausfanden. „In Gewebeschnitten    Nutzen für die Diagnostik: „Die Mes-
von Melanompatienten konnten wir           sung der Konzentration von KLK6 im            Ulrike Nell
erstmals nachweisen, dass KLK6 nicht       Blut könnte irgendwann die Diagnose
in den Tumorzellen selbst, sondern         und Therapie von Melanompatienten

                                                                                      Querschnitt durch einen Haut-
                                                                                      krebs. Die rote Färbung zeigt
                                                                                      an, dass Zellen in unmittelbarer
                                                                                      Nähe des Tumors vermehrt das
                                                                                      Protein KLK-6 herstellen (Pfeil).
                                                                                      Dieses Protein hilft dem Krebs
                                                                                      dabei, sich auszubreiten.

                                                                                                                               11
                                                                                                            einblick 3/2011
•Der Schlüssel zum Zielorgan
                  Wenn Tumoren in fremden Organen Tochtergeschwülste bilden, passiert
                 das offensichtlich nicht zufällig: Viele Krebsarten streuen überwiegend in
                bestimmte Organe – zum Beispiel Prostatakrebs ins Knochengewebe oder
                  Hautkrebs in Lunge und Gehirn. Warum, das fragen sich Wissenschaftler
                  rund um den Globus – auch im Deutschen Krebsforschungszentrum. Sie

 The                                                     liefern nun eine mögliche Erklärung.

   Distribution o
                       f
             g r  o w  t h s    in   Cancer
 secondary
         of the breast.                                                   I
                                                                              n der Krebsforschung sind noch
                                                                              einige Rätsel ungelöst, aber ei-

                  P   a g  e t ,  F    .r .c .s.,                             nes führt zu besonders häufigem

  By Stephe  n                                                            Achselzucken unter Wissenschaftlern
                                                                          – der Vorgang der Metastasierung.

               S    u r g e o  n    t  o   the                            Was dabei geschieht, ist zwar weitest-

   Assistant
                                                                          gehend verstanden: Einzelne Krebszel-
                                                                          len lösen sich vom Tumor ab, gelangen

                   H    o s  p  it a l   a n  d the                       über das Blut- oder Lymphsystem zu

West London
                                                                          anderen Organen und siedeln sich dort
                                                                          wieder an. Dennoch sind noch viele

           p o li t a n  H       o s p  ital                              Fragen offen. Fragen, auf die Professor

    Metro
                                                                          Hellmut Augustin Antworten finden
                                                                          will – er leitet am DKFZ die Abteilung
                                                                          „Vaskuläre Onkologie und Metastasie-
                                                                          rung“. Bei einem der Rätsel um die Me-
                                           to consider
     AN attempt is made in this paper
                                                                          tastasierung ist er jetzt der Lösung ein
                                                                          Stück näher gekommen: dem Rätsel,
                                                                          warum sich umherwandernde Krebs-
                                       se, and
     „metastasis“ in malignant disea                                      zellen immer in bestimmten Organen
                                                                          niederlassen und Tumorabsiedelun-
                                       the secondary
     to show that the distribution of                                     gen bilden. In einer aktuellen Studie
                                                                          untersuchten Augustin und seine Mit-

      growths is not a matter of chance.
                                                                          arbeiter, warum streuende Krebszel-
                                                                          len von Melanomen, dem schwarzen
                                         gans shall
      What is it that decides what or
                                                                          Hautkrebs, nur in bestimmten Orga-
                                                                          nen Metastasen bilden. Sein Ergebnis:
                                           ncer?
       suffer in a case of disseminated ca
                                                                          Die Oberflächenstruktur der Blut-
                                                                          gefäße vor Ort ist mitverantwortlich
                                              cancer
        As Langenbeck says, every single
                                                                          dafür, ob in einem Organ Metastasen
                                                                          entstehen können oder nicht.
                                               nism,
           cell must be regarded as an orga                                               Kein einfacher Weg

         alive and capable of development.                                Bis Krebszellen überhaupt in ein neues
                                                                          Organ gelangen, müssen sie mehrere
                                                                          Hindernisse überwinden. Und nur we-
                                                                          nigen gelingt es: Wissenschaftler neh-
     Zitate aus einer wissenschaftlichen Publikation von Stephen Paget:   men an, dass sich von einem Tumor je
     Der englische Arzt und Forscher hatte bereits 1889 beobachtet,       nach Größe täglich mehrere Millionen
     dass manche Organe häufiger Ziele von Tumorabsiedlungen sind,         Krebszellen lösen. Aber nur ein winzi-
     als andere.                                                          ger Bruchteil davon bildet Metastasen.

12
            einblick 3/2011
Weiße sowie rote Blutkörperchen und Krebszellen (schwarz) in der Blutbahn. Die Krebszellen tragen auf ihrer Oberfläche
bestimmte Strukturen. Finden sich an der Wand eines Blutgefäßes die passenden Gegenstücke, kann die Krebszelle
das Gefäß dort leichter verlassen. Das könnte erklären, warum Metastasen nicht überall entstehen, sondern bevorzugt in
bestimmten Organen.

Die Gründe dafür sind vielfältig: Es ist   winden: die Gefäßwand. Hier kom-          det. Diese Verbindung ermöglicht es
beispielsweise nicht allen Krebszellen     men Hellmut Augustin und seine Ver-       den mit dem Blutstrom schwimmen-
möglich, in die Blut- oder Lymphbahn       suche mit Melanomzellen ins Spiel.        den Krebszellen nicht nur, sich an
zu gelangen. Und selbst wenn es ein-       Gemeinsam mit seinem Team konnte          der Gefäßwand festzuhalten, sondern
zelne geschafft haben, sterben sie oft     der Wissenschaftler zeigen, dass wan-     auch, das Gefäß zu verlassen und sich
ab, da ihr Zellaufbau nicht für einen      dernde Melanomzellen an die Innen-        in dem dahinter liegenden Organ ein-
solchen Transport ausgelegt ist. Über-     seite der Gefäßwand, das Endothel,        zunisten. Das passiert jedoch nicht
stehen sie diesen Weg, sind sie den-       binden können. Ein Molekül auf der        überall. In den Versuchen zeigte sich,
noch nicht am Ziel. Um in ein fremdes      Oberfläche der Krebszelle, das so ge-      dass größtenteils in Lunge, Leber
Organ zu gelangen und dort zu einer        nannte EphB4, interagiert dabei mit       und Niere der untersuchten Tiere
Metastase auszuwachsen, müssen             dem Rezeptor ephrinB2, der sich auf       neue Metastasen entstanden. „In die-
Krebszellen eine letzte Barriere über-     der Innenseite der Blutgefäße befin-       sen Organen besitzen die Blutgefäße

                                                                                                                              13
                                                                                                          einblick 3/2011
den Rezeptor ephrinB2“, erklärt Hell-     schwülsten in der Lunge führen konn-     ern, bis der Prozess der Metastasierung
     mut Augustin. Metastasen bildeten         ten“, erklärt Augustin seine Theorie.    auch beim Menschen so gut verstan-
     sich demnach in genau den Organen,           Heißt das, eines der großen Rätsel    den ist, dass man therapeutisch ein-
     in denen die Blutgefäße den Krebszel-     der Krebsforschung ist gelöst? „Der      greifen kann.“ Verschiedene Firmen
     len eine Art Tür öffnen, die es ihnen     Prozess der Metastasierung ist der       haben jedoch bereits begonnen, die
     erlaubt, durch die Gefäßwand hin-         bisher am schlechtesten verstandene      Verbindung der beiden Oberflächen-
     durchzutreten. Den passenden Schlüs-      Schritt des Tumorwachstums. Damit        moleküle EphB4 und ephrinB2 hin-
     sel zum Türschloss haben die Krebszel-    bilden unsere Versuche einen wichti-     sichtlich neuer Therapien für Tumor-
     len auf ihrer Oberfläche.                  gen Beitrag, um zu verstehen, warum      patienten zu erforschen. Bis die er-
         Dass Tumoren nicht wahllos Metas-     Tumoren nicht wahllos in andere Or-      sten Ergebnisse da sind, wird es noch
     tasen streuen, ist schon sehr lange be-   gane streuen“, bekräftigt Augustin.      eine ganze Weile dauern. „Aber ich
     kannt. Bereits Ende des 19. Jahrhun-      „Allerdings ist das bisher Grundlagen-   denke“, so Augustin, „dass wir da ei-
     derts hatte der britische Forscher        forschung, also Versuche in Zell- und    nen vielversprechenden Weg einge-
     Stephen Paget festgestellt, dass be-      Tiermodellen. Es wird noch lange dau-    schlagen haben.“
     stimmte Krebsarten nur in bestimm-
     ten Organen zu Metastasen führen.                                                     Laura Brockschmidt
     Paget erklärte diese Beobachtung mit
     seiner „seed-and-soil-Hypothese“ – zu
     Deutsch „Samen und Boden“: Dem-
     nach kann eine Krebszelle (der „Sa-
     men“) nur auf einem bestimmten
     fruchtbaren Boden (einem gewissen
     Organ) anwachsen und zu einem
     Streutumor führen. Mit seiner ak-
     tuellen Studie hat Augustin eine
     molekularbiologische Erklärung für
     diese Hypothese gefunden. „Natürlich
     ist es niemals allein der Aufbau
     der Blutgefäße, der entscheidet, in
     welchem Organ neue Metastasen ent-
     stehen“, so der Forscher. Zum Bei-
     spiel spielten anatomische Bedingun-
     gen eine große Rolle. Darmtumoren
     streuen schon deshalb häufig in die
     Leber, weil die Leber das nächste Or-
     gan „stromabwärts“ in der Blutbahn
     ist. „Aber wir haben gezeigt, dass die
     Gefäße eine wichtige Rolle dabei
     spielen können, wo im Körper sich
     eine Metastase bildet und wo nicht.“

            Metastasierung verhindert

     Die praktische Anwendung dieser Er-
     kenntnisse folgte auf dem Fuße: In
     nachfolgenden Versuchen fand Au-
     gustins Team eine Möglichkeit, die
     Metastasierung zu stoppen. Den Wis-
     senschaftlern gelang es, die Melanom-
     zellen daran zu hindern, an die Gefäß-
     wand anzudocken, indem sie die
     Interaktion zwischen den Oberflä-
     chenmolekülen EphB4 und ephrinB2
     blockierten. Daraufhin entstanden
     keine Metastasen mehr in der Lunge.
     „Wir gehen davon aus, dass die Krebs-              Beim Brustkrebs finden sich Metastasen besonders häufig in Knochen,
     zellen durch die fehlende Bindung die              Lunge, Leber, Haut und Gehirn. Forscher am DKFZ haben eine mögliche
     Blutgefäße nicht mehr verlassen und                Erklärung dafür gefunden, warum Krebserkrankungen nicht zufällig in
     deshalb auch nicht zu Tochterge-                   andere Organe streuen.

14
            einblick 3/2011
Die Müllhalden der Zelle

                 Proteine sind wichtige Werkzeuge des Lebens. Doch manchmal neigen
                    sie dazu, miteinander zu verklumpen und eine funktionslose Masse
                   zu bilden. Häufen sich diese Eiweißklumpen in der Zelle an, wird der
                programmierte Zelltod eingeleitet. Bei Erkrankungen wie Alzheimer ist
               genau das das Fatale; bei Krebs dagegen sehen Forscher darin eine Mög-
                                                   lichkeit, die Krankheit zu bekämpfen.

P
      rofessor Bernd Bukau ist Di-        produzieren die meisten Zellen sie          selbst wenn Proteine bereits richtig
      rektor am Zentrum für Mole-         ohne Unterlass, in tausenden zellei-        gefaltet sind, können sie auch nach-
      kulare Biologie der Universität     genen „Proteinfabriken“, den Riboso-        träglich wieder eine falsche Form an-
Heidelberg. Gleichzeitig leitet er am     men. Zunächst setzen die Ribosomen          nehmen, beispielsweise wenn sie zu
Deutschen Krebsforschungszentrum          aus einem Satz von 22 verschiedenen         hohen Temperaturen ausgesetzt sind.
die Abteilung „Chaperone und Pro-         Bausteinen (den Aminosäuren) eine           Egal, ob der Fehler bei der Herstellung
teasen“. Er erforscht bereits seit den    Kette zusammen. Diese Kette verdreht        oder erst später auftritt, oft neigen
1980er Jahren den Prozess der Faltung     sich, bildet Schleifen und faltet sich so   fehlgefaltete Proteine dazu, sich zu-
und Verklumpung von Proteinen. Pro-       zu einem komplizierten Gebilde, dem         sammenzulagern. Ein Beispiel hier-
teine transportieren Sauerstoff, regu-    fertigen Protein. Nur in seinem rich-       für ist das Hühnerei im Kochtopf: Bei
lieren den Stoffwechsel, wachen über      tigen Faltungszustand, der „nativen“        hohen Temperaturen verklumpen die
Leben und Tod unserer Zellen. Ohne        Form, wie Fachleute sagen, kann das         Proteine im Ei und bilden eine feste
sie würde die Abwehr von Krankheits-      Protein seine Funktion im Körper aus-       Masse. Fachleute nennen diesen Vor-
erregern zusammenbrechen, Muskeln         üben. Schon ein kleiner Fehler bei der      gang „Proteinaggregation“. Er steht
könnten sich nicht zusammenziehen,        Herstellung – etwa eine geringfügig         im Verdacht, bei vielen Krankheiten
Blut nicht gerinnen. Eiweiße (Proteine)   abweichende Reihenfolge der Ami-            eine maßgebliche Rolle zu spielen. Ei-
sind für Organismen lebenswichtig.        nosäuren – kann dazu führen, dass           weißklumpen sind an neurodegenera-
Damit immer genügend bereit stehen,       sich die Kette nicht richtig faltet. Und    tiven Krankheiten wie Alzheimer oder

                                                                                                                                15
                                                                                                          einblick 3/2011
Ribosom                        Parkinson beteiligt – Erkrankungen,       „Anstandsdame“ – weil die Chaperone
                                       die mit einer fortschreitenden Zerstö-    gewissermaßen für das richtige „Be-
                                       rung von Nervengewebe einhergehen.        nehmen“ der anderen Proteine in der
                                       Auch bei der Alterung und der Krebs-      Zelle sorgen (siehe auch einblick
                                       entstehung vermuten die Forscher          3/2007, Seite 33). Diese Aufgabe macht
                                       einen wichtigen Einfluss von Protein-      die Anstandsdamen auch für Krebs-
                                       aggregaten.                               forscher interessant – denn gerade
                                                                                 Krebszellen produzieren jede Menge
                                            Molekulare Anstandsdamen             „Protein-Müll“. Dass sie daran nicht zu
                                                                                 Grunde gehen, liegt möglicherweise
                                       In der Zelle wacht ein Arsenal von be-    auch an den Chaperonen.
                                       sonderen Proteinen, die so genannten         Seither haben Forscher vieles her-
                                       Chaperone, darüber, dass sich die neu     ausgefunden: Zum Beispiel, dass ältere
                                       gebildeten Aminosäureketten richtig       Zellen weniger Chaperone produzie-
                                       falten und die korrekte Form anneh-       ren als junge, weshalb die Proteine in
                                       men. Zudem können die Chaperone           ihnen häufiger verklumpen. Gestei-
                                       falsch gefaltete und sogar verklumpte     gert wird die Chaperon-Produktion
                                       Proteine wieder in ihre native Form       dagegen in bestimmten Stresssituatio-
                                       überführen. Schließlich kontrollieren     nen, zum Beispiel unter großer Hitze.
                                       sie sogar die Aktivität vieler korrekt    Dann aktivieren Zellen den so genann-
                                       gefalteter zellulärer Proteine, was un-   ten Hitzeschock-Transkriptionsfaktor
                                       ter anderem auch dem Zelltod, der         1 (HSF1). Er bringt die Zelle dazu, ver-
                                       Apoptose, entgegenwirkt. „Als damals      mehrt Chaperone zu bilden. Gleich-
                                       die Chaperone entdeckt wurden, war        zeitig drosselt die Zelle die Produk-
                                       das wie eine Lawine, die losgetreten      tion der anderen Proteine, so dass
                                       wurde“, erinnert sich Bernd Bukau.        auch weniger neuer Protein-Müll
                                       „Chaperon“ ist englisch und bedeutet      entstehen kann.

                                                                                      Krebszellen überleben durch
        Proteine                                                                                       Chaperone

                                                                                 Dieser Mechanismus stellt einen mög-
                                                                                 lichen Angriffspunkt für Krebsmedi-
                                                                                 kamente dar. Denn „auch viele Tumor-
                                                                                 zellen bilden auf diesem Weg vermehrt
                                                                                 Chaperone“, erklärt Bukau, „dadurch
                                                                                 wirken sie sowohl der Verklumpung
                                                                                 von fehlgefalteten Proteinen als auch
                                                                                 dem eigenen Zelltod entgegen.“ Denn
                                                                                 wenn sich zu viel Proteinmüll in einer
                                                                                 Zelle ansammelt, wird das program-
                                                                                 mierte Selbstmordprogramm ange-
                                                                                 schaltet. Aufgrund der Mutationen in
                                                                                 ihrem Erbgut stellen gerade Krebszel-
                                                                                 len oft viele fehlerhafte Proteine her.
                          z.B. Hitze   Ribosomen sind die Geburtsstätten
                                                                                 Die Chaperon-Müllabfuhr rettet sie
                                       der Proteine. Damit ein Protein
                                       richtig funktioniert, muss es auf         jedoch vor dem Zelltod. Indem man
                                       die richtige Weise gefaltet werden.       bestimmte Chaperone hemme, etwa
                                       Diese korrekte Form können Pro-           die Hitzeschock-Proteine Hsp70 und
     Proteinaggregat                   teine jedoch wieder verlieren, z.B.       Hsp90, könne man Tumoren mög-
                                       wenn sie großer Hitze ausgesetzt          licherweise wirksam bekämpfen, so
                                       sind. Dann lagern sie sich häufig zu       Bukau. Diese beiden „Anstandsdamen“
                                       funktionslosen Proteinklumpen, so-        halten nämlich auch zahlreiche Pro-
                                       genannten Aggregaten, zusammen.           teine, die für die Krebsentstehung wich-
                                                                                 tig sind, in einem funktionstüchtigen
                                                                                 Zustand. Bernd Bukau zufolge laufen
                                                                                 international bereits erste klinische
                                                                                 Versuche mit Wirkstoffen, die Hsp90
                                                                                 blockieren. In Zellkulturen hatten diese
                                                                                 Wirkstoffe das Krebswachstum gehemmt.

16
        einblick 3/2011
Aktuell erforscht der Wissenschaft-        von verstorbenen Patienten, die den           Proteinaggregat
ler mit seiner Arbeitsgruppe zudem,        Impfstoff verabreicht bekommen hat-
wie das Hitzeschockprotein Hsp70           ten, waren die Plaques verschwunden.
es schafft, die Eiweiß-Klumpen in          Dennoch war die Demenz nicht zu-
menschlichen Zellen aufzulösen. „Wir       rückgegangen, im Gegenteil, der Zu-
stellen uns die Aggregate wie einen        stand der Patienten hatte sich trotz
Teller Spaghetti vor“, erläutert Bukau.    der Behandlung weiter verschlechtert.
Das Chaperon habe eine Tasche, die         Für Haass steht dennoch fest: „Das
sich öffne und schließe und mit der        Amyloid-beta-Peptid ist die Hauptur-
es sich ein Stück „Spaghetti“ wie mit      sache der Erkrankung, da gibt es nichts
einer Faust greife. „Unsere Vermutung      zu rütteln!“ Das Problem sei gewesen,
ist, dass zwei Chaperone gemeinsam         dass die Behandlung zu spät statt-
eine Kraft auf den „Spaghettiberg“         gefunden habe. „Der Tod der Nerven-
ausüben und ihn so auseinanderzie-         zellen war schon ausgelöst – wir
hen und entwirren“, erklärt der Mo-        kamen einfach zu spät“, sagt der Alz-
lekularbiologe.                            heimer-Forscher. Er hofft nun auf eine
                                           Studie mit Patienten, die an einer ver-
 Eiweißklumpen als Ursache von             erbbaren Form von Alzheimer leiden,
                    Alzheimer              denn diese kann man schon in einem
                                           frühen Stadium diagnostizieren. Da-
Warum überhaupt Protein-Aggregate          mit könnten die Wissenschaftler ein-                               Chaperon
entstehen, ist bisher noch nicht end-      deutig klären, ob Medikamente, die
gültig geklärt. Möglicherweise wird        der Klumpenbildung entgegenwirken,
die Protein-Aggregation in der Zelle       die Krankheit aufhalten können, ist
sogar organisiert durchgeführt, um         Haass überzeugt.
sich vor giftigen Aminosäureketten
zu schützen – also eine Art Müllhalde,        Dorothee Schulte
auf der die Zelle fehlgefaltete Proteine
entsorgt. Vielleicht ist aber genau die-
se Müllhalde das Toxische, weil sich
aus ihr giftige Substanzen permanent
herauslösen können. Letzteres trifft
wahrscheinlich beim Morbus Alzhei-                                                    Protein
mer zu. Im Gehirn verstorbener Alz-
heimer-Patienten finden sich zahlrei-
che Klumpen (Plaques) aus Amyloid-
beta-Peptiden, kleinen Eiweißstücken.
„In der Nähe der Plaques fehlen die
Verbindungen zwischen den Nerven-
zellen“, sagt Professor Christian Haass,
Leiter der Abteilung „Stoffwechselbio-
chemie“ am Adolf-Butenandt Institut
der Ludwig-Maximilians-Universität
München. Mit den Nervenzell-Verbin-
dungen geht auch die geistige Leis-                             Haben sich in der
tungsfähigkeit der Patienten verloren.                         Zelle Proteinaggre-
Die Erkrankten vergessen nach und                              gate gebildet, eilen
nach alles, was sie in ihrem Leben ge-                           die sogenannten
lernt haben: Wo sie wohnen, wie sie                                Chaperone her-
sich die Schuhe binden und wie ihre                             bei. Sie helfen den
Kinder heißen. In Deutschland leiden                         Proteinen dabei, sich
schätzungsweise mehr als eine Million                            wieder in ihre ur-
Menschen an Alzheimer. Experten                              sprüngliche, korrekte
rechnen damit, dass in den kommen-                                 Form zu falten.
den Jahrzehnten die Zahl noch dras-
tisch steigen wird.
   Es gab bereits klinische Studien, in
denen die Patienten eine Art Impfstoff
gegen das Amyloid-beta-Peptid erhiel-
ten. Und tatsächlich: In den Gehirnen

                                                                                                                   17
                                                                                                einblick 3/2011
Viele Krebszellen lösen sich von ihrem Tumor ab und finden den Weg in die Blutbahn. Doch nur wenige, besonders aggressive
     Krebszellen sind in der Lage, auch Metastasen zu bilden.

     •Die Drahtzieher
       Krebsstammzellen werden nicht nur für eine Vielzahl von Krebsarten verantwort-
     lich gemacht. Sie stehen auch unter dem dringenden Tatverdacht, die gefürchteten
                                           Tochtergeschwülste eines Tumors zu bilden.

     I
         m Grunde ist Professor Andreas       vom Haupttumor lösen, durch Blut              Terror-Zellen in der Blutbahn
         Trumpp so etwas wie ein FBI-Agent.   und Lymphflüssigkeit schleichen und
         So wie die amerikanische Bundes-     dann irgendwo im Körper neue Krebs-       Dass Krebsstammzellen überhaupt
     polizei unter unzähligen Unschuldi-      herde, sogenannte Metastasen, bilden.     existieren, hat der Krebsforscher John
     gen die wenigen Mörder oder poten-       Hauptverdächtig sind für Trumpp           Dick vom Ontario Institute for Cancer
     ziellen Terroristen erkennen muss,       dabei die sogenannten Krebsstamm-         Research in Toronto schon 1997 bewie-
     fahndet der Krebsforscher in Millionen   zellen. Doch wie lassen sich diese von    sen. Seitdem ist Gewissheit, dass viele
     Blutzellen von Krebspatienten nach       den übrigen Krebszellen unterschei-       Krebserkrankungen mit einer Reihe
     jenen wenigen „Terror-Zellen“, die       den? Nach jahrelangen Ermittlungen        von Gendefekten in einer Stammzelle
     Keime für die gefürchteten Tochterge-    kann Trumpps Forschergruppe am            beginnen. Diese Krebsstammzellen
     schwülste eines Tumors sind. Trumpp      Deutschen Krebsforschungszentrum          produzieren die ersten Tumorzellen,
     leitet die Abteilung „Stammzellen und    in Heidelberg die Krebsstammzellen        die sich wiederum ungehemmt ver-
     Krebs“ am DKFZ. Seit einigen Jahren      nun nicht nur von Millionen anderen       mehren und die Masse des Tumors bil-
     schon sind er und andere Krebsfor-       Zellen im Blut unterscheiden, sondern     den. Chemotherapien gehen nur gegen
     scher weltweit ganz speziellen Zellen    auch beweisen, dass sie die Tochterge-    diese sich schnell teilenden Tumorzel-
     auf der Spur: jenen Zellen, die sich     schwülste bilden.                         len vor, das Fußvolk des „Terrornetz-

18
            einblick 3/2011
werks Krebs“. Die Krebsstammzellen,        Metastasen im Knochen aus. „Das ist
sozusagen die Anführer der Organisa-       nicht nur der erste Beweis, dass sich
tion, teilen sich jedoch nur langsam       unter den CTCs tatsächlich Zellen be-
und überleben. So kann sich der Tumor      finden, die Metastasen auslösen kön-
nach der Chemotherapie aus den ver-        nen“, erläutert Trumpp. „Mit diesem
bliebenen Krebsstammzellen wieder          Testsystem können wir jetzt vor allem
neu bilden. Aber die Krebsstammzel-        herausfinden, welche CTCs es sind,
len spielen vermutlich auch bei der        die Metastasen bilden können, und
Metastasenbildung eine Rolle. „Wenn        wie sie sich von allen anderen unter-
nur bestimmte Zellen die nötigen Ei-       scheiden.“
genschaften haben, den Tumor nach             Derzeit erstellt Trumpp den ersten
einer Therapie wieder zu erneuern“,        Steckbrief einer Krebsstammzelle, die
erläutert Trumpp, „dann sollten auch       Brustkrebsmetastasen bilden kann.
nur diese Zellen in der Lage sein, Meta-   Diese Täterprofile sind den erken-
stasen zu bilden – also gewissermaßen      nungsdienstlichen Methoden des
den Tumor andernorts zu erneuern.“         FBI durchaus ähnlich. Trumpp und
Beweise hierfür hofft der Forscher im      Kollegen suchen nach besonderen
Blut von Krebspatienten zu finden.          Strukturen auf der Oberfläche der
Denn sobald ein Tumor Anschluss an         Krebsstammzellen, gewissermaßen die
das Gefäßsystem gefunden hat, ge-          charakteristischen Narben oder Mut-
langen Krebszellen auch ins Blut –         termale, mit denen die Täter identifi-
Forscher sprechen von zirkulierenden       ziert werden können. In der Welt der
Tumorzellen, CTCs (circulating tumor       Krebsforscher sind es keine Mutter-
cells). Diese CTCs nehmen Trumpp und       male, sondern Proteine, die aus der
seine Kollegen genauer unter die Lupe.     Hülle der Krebszellen herausragen.
Mit speziellen Geräten fischen sie die      „Wir kennen noch viel zu wenige von
Krebszellen aus den Millionen ande-        diesen Oberflächenproteinen, anhand
ren Zellen im Blut. Die Geräte erken-      derer wir Krebsstammzellen erkennen
nen dabei bestimmte Oberflächen-            könnten“, sagt Trumpp. Es seien nur
strukturen, die charakteristisch für die   „zwei Hände voll“ – zu wenig, denn
mobilen Tumorzellen sind. Doch dieses      nicht bei jedem Krebstyp kommen die
Verfahren ist so ungenau, wie es ein       gleichen Marker vor.
Generalverdacht gegen Reisende aus
islamischen Ländern an der US-Grenze              Krebszellen mit Peilsender
wäre. Denn so wenig alle Afghanen
Terroristen sind, so sind auch nicht       Während Trumpp die Krebsstammzel-
alle CTCs in der Lage, Tochterge-          len anhand ihres äußeren Profils cha-
schwülste zu bilden. Das können nur        rakterisiert, geht sein Kollege Professor
mobile Krebszellen, die auch Stamm-        Hanno Glimm vom NCT in Heidelberg
zell-Fähigkeiten haben. Doch bislang       einen anderen Weg. Der Forscher ent-
wussten Forscher nicht, was diese          nimmt Tumorzellen aus dem Dick-
metastasierenden Krebsstammzellen          darm von Krebspatienten und implan-
auszeichnet und wie sie zu erkennen        tiert diesen Zellen gewissermaßen
sind. „Da sich die CTCs nicht in Kultur    eine Erkennungsmarke: Die Zellen
halten oder in Mäuse transplantieren       werden mit einem Virus infiziert, des-
ließen, konnte man bisher nicht zei-       sen Erbgut zufällig irgendwo im Ge-
gen, dass sie tatsächlich tumorbilden-     nom der Krebszelle eingebaut wird.
de Fähigkeiten haben“, sagt Trumpp.        Jede einzelne Krebszelle wird dadurch
„Aber uns ist das jetzt gelungen.“         individuell gekennzeichnet, so dass
Trumpps Mitarbeiterin Dr. Irène Bac-       Glimm auch deren Tochterzellen je-
celli und Professor Andreas Schnee-        derzeit identifizieren kann. Wenn aus
weiss vom Nationalen Centrum für           den Reihen dieser Zellen eine Metasta-
Tumorerkrankungen (NCT) konnten            se wächst, kann der verantwortliche
gemeinsam den Nachweis erbringen.          Täter sofort ermittelt werden. Mit
Aus dem Blut von 600 Brustkrebs-           einem solchen Peilsender versehen,
patientinnen isolierten sie CTCs und       verpflanzte Glimm die Krebszellen in
spritzten sie in Mäuse, deren Immun-       Mäuse – und stellte Erstaunliches fest:
system menschliche Zellen nicht ab-        Nicht nur, dass nicht jede Krebszelle in
stößt. Und tatsächlich lösten die          der Lage ist, erneut einen Tumor aus-
menschlichen CTCs in den Mäusen            zubilden. Auch unter den Krebszellen,

                                                                                                         19
                                                                                       einblick 3/2011
die dazu befähigt sind, gibt es noch                   Neue Waffenschmiede
                                           gewaltige Unterschiede: Eine Gruppe
                                           von Krebsstammzellen kann nur ein          Zwar haben Forscher inzwischen
                                           einziges Mal einen neuen Tumor bil-        ein klares Fahndungsbild der metasta-
                                           den – wenn sie vom Menschen in eine        sierenden Krebsstammzellen vor Au-
                                           Versuchsmaus übertragen werden.            gen und genug Beweise gegen die
                                           Werden die Nachkommen dieser Tu-           Terror-Zellen in der Hand. Doch noch
                                           morzellen jedoch in eine zweite Maus       fehlen die nötigen Mittel, ihnen
                                           übertragen, bilden sie keinen neuen        das Handwerk zu legen. Wissenschaft-
                                           Tumor aus. Das kann nur eine Gruppe        ler weltweit forschen mittlerweile
                                           von Krebsstammzellen mit Langzeit-         an Wirkstoffen speziell gegen die
                                           wirkung. Selbst nach drei Transplan-       Krebsstammzellen. Die kalifornische
                                           tationsrunden sind diese besonders         Biotech-Firma Oncomed hat sogar
                                           aggressiven Zellen noch immer in der       schon einen solchen Wirkstoff an
                                           Lage, einen neuen Tumor zu bilden.         Patienten getestet: Die Firma nutzt die
                                           Eine dritte Gruppe von Krebsstamm-         Tatsache aus, dass Krebsstammzellen
                                           zellen hingegen scheint wie ein terro-     zwei Proteine brauchen, um ihren
                                           ristischer „Schläfer“ lange Zeit harm-     Stammzellcharakter zu behalten. Ein
                                           los zu bleiben, um erst nach mehreren      speziell entwickelter Antikörper blo-
                                           Transplantationen Krebs auszulösen.        ckiert die Interaktion der beiden Pro-
                                           „Unsere Daten zeigen, dass nicht alle      teine und lässt die Krebsstammzellen
                                           Krebsstammzellen gleich sind, son-         somit zu gewöhnlichen Krebszellen
                                           dern, dass nur ein kleiner Teil der Zel-   degenerieren, die sich mit üblichen
                                           len sich selbst erneuern und somit         Chemotherapien beseitigen lassen.
                                           über lange Zeit das Tumorwachstum          Bei acht von zwölf Patienten habe das
 Maus 1
                                           unterhalten und Metastasen bilden          zumindest zu einer „Stabilisierung“
                                           kann“, sagt Glimm. Das Terrornetz-         geführt, so Forschungschef Tim Hoey.
                                           werk Krebs scheint also noch kom-          Ob es so möglich sein wird, die
                                           plexer organisiert zu sein, als zu-        Bosse des Krebs-Terrors zu besiegen,
                                           nächst angenommen. Glimms Trick            ist offen. Es werden noch einige
                                           mit der Virus-Markierung macht es          Jahre vergehen, bis die neuen Wirk-
                                           nun möglich, diese Strukturen aufzu-       stoffe für die Klinik zugelassen sind.
                                           klären und die Rolle der Krebsstamm-       Trumpp und seine Ermittler-Kol-
                                           zellen bei der Metastasierung besser       legen werden in jedem Fall weiter
                                           zu untersuchen.                            nach Möglichkeiten fahnden, den
                                                                                      Verbrechern das Handwerk zu legen.

                                                                                         Sascha Karberg

                   Maus 2

                                                                                      Maus 3

 Manche Krebszellen können Absiedelungen bilden, andere nicht. Doch es gibt noch weitere Abstufungen, wie dieses Experiment
 zeigt: Wissenschaftler aus dem NCT in Heidelberg implantierten markierte menschliche Tumorzellen in Mäuse. Nur aus wenigen
 Zellen wuchsen daraufhin neue Tumoren heran (grün, gelb und rot). Die große Masse der Zellen starb dagegen (grau).
 Wurden die Zellen von Maus zu Maus übertragen, änderte sich das Bild erneut: Manche Krebszellen können offensichtlich nur
 ein einziges Mal Tumoren bilden (grün). Andere Zellen hatten zunächst kein Tumorwachstum ausgelöst, taten dies aber nach
 einer dritten Übertragung (blau; genauere Erläuterung: s. Text).

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          einblick 3/2011
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