MULTIFAKTORPRODUKTIVITÄT IN DEN VOLKSWIRTSCHAFTLICHEN GESAMTRECHNUNGEN - Statistisches Bundesamt

Die Seite wird erstellt Saskia Hinrichs
 
WEITER LESEN
MULTIFAKTORPRODUKTIVITÄT IN
                                       DEN VOLKSWIRTSCHAFTLICHEN
                     Peter Kuntze
 ist Diplom-Volkswirt und leitet das
                                       GESAMTRECHNUNGEN
   Referat „Entstehung des Inlands­
        produkts“ des Statistischen
Bundesamtes. Die Tätigkeitsschwer-     Peter Kuntze, Benedikt Kuckelkorn
 punkte des Referats liegen bei der
  Berechnung der Bruttowertschöp-
    fung nach Wirtschaftsbereichen
       sowie der Nettogütersteuern.
                                          Schlüsselwörter: Arbeitsproduktivität — Multifaktorproduktivität —
                                           Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen — Kapitaldienstleistungen —
                                           Wirtschaftswachstum

                                       ZUSAMMENFASSUNG
                                       Die Produktivität einer Volkswirtschaft ist ein Kennzeichen ihrer Wettbewerbsfähig-
                                       keit und zugleich ein entscheidender Faktor für den künftigen materiellen Wohlstand.
                                       Dabei steht meist die Arbeitsproduktivität im Fokus. Dieser Artikel beleuchtet ein
                                       alternatives Produktivitätsmaß, die Multifaktorproduktivität. Diese ist bislang kein
            Benedikt Kuckelkorn        Bestandteil des Veröffentlichungsprogramms der amtlichen Statistik in Deutschland,
  ist Ökonom und war bis Ende Juni     kann jedoch mit den Daten der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen berechnet
      2021 wissenschaftlicher Mitar-
  beiter im Referat „Entstehung des
                                       werden. Ausgehend von der theoretischen Herleitung werden zwei verschiedene In-
Inlandsprodukts“ des Statistischen     dikatoren für die Multifaktorproduktivität vorgestellt und deren Ergebnisse analysiert,
  Bundesamtes. Seit Juli 2021 ist er
                                       sowohl für die Gesamtwirtschaft als auch für wichtige Teilbereiche.
   wissenschaftlicher Mitarbeiter im
       Referat „Vermögensrechnung,
      Internationale VGR Methodik“.       Keywords: labour productivity — multifactor productivity — national accounts —
                                           capital services — economic growth

                                       ABSTRACT
                                       The productivity of an economy is an indicator of its performance and at the same time
                                       a decisive factor for future material prosperity. Usually, the focus is on labour produc-
                                       tivity. This article looks at an alternative productivity measure, multifactor productivity.
                                       It is not yet part of the publication programme of official statistics in Germany but can
                                       be calculated with national accounts data. Starting from the theoretical derivation, we
                                       present two different indicators for multifactor productivity and analyse their results
                                       both for the economy as a whole and for important sub-sectors.

64                                                                                            Statistisches Bundesamt | WISTA | 4 | 2021
Multifaktorproduktivität in den Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen

1                                                                           genannten partiellen Produktivitätsmaßen. Kapitel 3
                                                                            stellt die Berechnung und die verwendeten Daten vor.
                                                                            Dabei liegt besonderes Augenmerk auf der Messung des
Einleitung                                                                  Faktors Kapital, für die es konzeptionell stark voneinan-
                                                                            der abweichende Optionen gibt. In Kapitel 4 werden die
Die Produktivitätsentwicklung ist ein wichtiger Indikator                   Ergebnisse analysiert und durch den Vergleich mit vor-
für die Veränderung der Leistungs- und Wettbewerbs-                         handenen Berechnungen anderer Institutionen in einen
fähigkeit. Dies gilt sowohl für im Wettbewerb stehende                      größeren Kontext gestellt. Der Beitrag schließt mit einer
Unternehmen als auch für die Wirtschaft als Ganzes.                         Zusammenfassung der wichtigsten Erkenntnisse und
Die Entwicklung der Produktivität hat darüber hinaus                        einem Ausblick auf die weiteren Arbeiten.
Einfluss auf den lohnpolitischen Verteilungsspielraum
und damit letztlich auf den materiellen Wohlstand einer
Gesellschaft.                                                               2
Für die makroökonomische Beurteilung der Produktivi-
tätsentwicklung stellen die Volkswirtschaftlichen Gesamt-                   Grundlagen der Produktivitätsmessung
rechnungen (VGR) derzeit zwei Indikatoren zur Verfügung:
die Arbeitsproduktivität sowie die Kapitalproduktivität.                    Produktivität wird im Allgemeinen definiert als das Ver-
Veröffentlicht werden diese für zehn zusammengefasste                       hältnis des Outputs zu einem oder mehreren Inputs. Sie
Wirtschaftsbereiche sowie die Gesamtwirtschaft. | 1 Die                     ist ein Maß für die Effizienz der Produktion, das auf der
Arbeitsproduktivität wird zudem vierteljährlich sowie auf                   Ebene einzelner Unternehmen, aber auch gesamtwirt-
Stunden- und Personenbasis publiziert.                                      schaftlich von großer Bedeutung ist. Maßgeblich für den
                                                                            vorliegenden Beitrag ist die gesamtwirtschaftliche Pers-
Die veröffentlichten Indikatoren für die Arbeits- und die                   pektive.
Kapitalproduktivität haben den Vorteil, dass sie ohne
besondere Annahmen zu berechnen und intuitiv ver-                           Aus der Kombination von Maßen für den Output und für
ständlich sind. Die Multifaktorproduktivität dagegen                        den Input resultiert eine Vielzahl möglicher Produktivi-
misst die Effizienz des kombinierten Einsatzes der Pro-                     tätsindikatoren. Grundsätzlich wird zwischen der (par-
duktionsfaktoren und stellt in beiderlei Hinsicht höhere                    tiellen) Einzelfaktor- und der Multifaktorproduktivität
Anforderungen. Das Statistische Bundesamt arbeitet                          (auch Totale Faktorproduktivität genannt) unterschie-
derzeit an einem von der Europäischen Kommission                            den. Im ersten Fall wird die Ausbringungsmenge auf
kofinanzierten Projekt, das die Weiterentwicklung der                       einen einzelnen Produktionsfaktor – wie Arbeit, Kapital
Produktivitätsmessung in den VGR zum Ziel hat. Hierzu                       oder Energie – bezogen. Das bekannteste Einzelfaktor-
zählt die erstmalige Berechnung der Multifaktorpro-                         Produktivitätsmaß ist die Arbeitsproduktivität. Sie ist
duktivität durch die amtliche Statistik. Indikatoren                        definiert als Output (in der Regel gemessen durch das
sollen möglichst vollständig auf Basis veröffentlichter                     Bruttoinlandsprodukt für die Gesamtwirtschaft oder die
VGR-Daten und mit wenigen zusätzlichen Annahmen                             Bruttowertschöpfung für einzelne Wirtschaftsbereiche)
zu berechnen sein, damit die Ergebnisse bei einer mög-                      geteilt durch den Arbeitseinsatz:
lichen Veröffentlichung für die Nutzerinnen und Nutzer
                                                                                                                   ܱ‫ݐݑ݌ݐݑ‬
leicht nachvollziehbar sind. Im vorliegenden Beitrag                        (1)      ‫ ݐ¡ݐ݅ݒ݅ݐ݇ݑ݀݋ݎ݌ݏݐܾ݅݁ݎܣ‬ൌ 
                                                                                                                ‫ݖݐܽݏ݊݅݁ݏݐܾ݅݁ݎܣ‬
werden diese Indikatoren vorgestellt.
                                                                            Der Arbeitseinsatz kann über die Anzahl der Erwerbs-
Kapitel 2 erläutert zunächst das theoretische Fundament                     tätigen oder die Anzahl der geleisteten Arbeitsstunden
der Produktivitätsmessung sowie die Unterschiede                            der Erwerbstätigen gemessen werden. Die letztgenannte
zwischen der Multifaktorproduktivität und den zuvor                         Größe ist zielgenauer, vor allem aufgrund der ange-
                                                                            stiegenen Bedeutung der Teilzeitarbeit in Deutschland
 1 Die Ausgangsdaten zur Berechnung der Produktivität werden auf            (Chalupa/Mai, 2018) oder der aktuell stark erhöhten
   deutlich tieferer Ebene (64 Wirtschaftsbereiche der Klassifikation der
   Wirtschaftszweige, Ausgabe 2008 [WZ 2008]) veröffentlicht. Daher
                                                                            Kurzarbeit aufgrund der Corona-Pandemie.
   können Nutzerinnen und Nutzer Produktivitätsentwicklungen für eine
   Vielzahl weiterer Wirtschaftszweige selbst berechnen.

Statistisches Bundesamt | WISTA | 4 | 2021                                                                                        65
Peter Kuntze, Benedikt Kuckelkorn

Eine Vielzahl an Faktoren beeinflusst die Arbeitsproduk-                rende Gewerbe und ausgewählte Dienstleistungsberei-
tivität. Dazu zählen der technologische Fortschritt, die                che begrenzt. | 3 Werden die genannten Annahmen als
Ausbildung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer,                      erfüllt angesehen, erfolgt die Entlohnung der Produk-
die Kapazitätsauslastung, organisatorische Aspekte                      tionsfaktoren Kapital und Arbeit mit ihrem jeweiligen
und im Besonderen der Einsatz der anderen Produk-                       Grenzprodukt | 4. Als Folge dessen lässt sich die Produk-
tionsfaktoren Kapital und Vorleistungen. Indikatoren                    tionselastizität des Faktors Arbeit als Anteil des Arbeit-
der Multifaktorproduktivität setzen den Output nicht                    nehmerentgelts an der Bruttowertschöpfung messen.
in Relation zu einem einzelnen Produktionsfaktor, son-
dern zum kombinierten Einsatz der Produktionsfaktoren                   Anders als die Arbeitsproduktivität, deren absolute
Arbeit und Kapital. | 2 Der resultierende Indikator reflek-             Größe eine recht verständliche Maßeinheit hat, eignet
tiert – abseits von Kapital, Arbeitseinsatz und Vorleis-                sich das Niveau der Multifaktorproduktivität nicht für
tungen – den kombinierten Einfluss der übrigen zuvor                    eine Interpretation. Relevant ist vielmehr deren Verän-
genannten Faktoren auf den Output. Seine langfristige                   derung. Daher wird die Wachstumsrate der Multifaktor-
Entwicklung wird häufig als Maß für den technologi-                     produktivität direkt berechnet als:
schen Fortschritt interpretiert.                                                                ο‫ ܣ‬ȟܻ    ȟ‫ܮ‬           ȟ‫ܭ‬
                                                                        (3)        ܹܴெி௉ ൌ        ൌ   െߙ    െ ሺͳ െ ߙሻ
Um den kombinierten Faktoreinsatz zu bestimmen, sind                                            ‫ܣ‬   ܻ    ‫ܮ‬             ‫ܭ‬
jedoch zusätzliche Annahmen zu treffen. Zentral ist das                 Die Wachstumsrate der Multifaktorproduktivität ergibt
Konzept einer Produktionsfunktion, die den Zusammen-                    sich als Residuum, also den Teil des Output-Wachstums,
hang zwischen dem Output und den Produktionsfakto-                      der nicht durch das Wachstum des Arbeitseinsatzes
ren beschreibt. Im Folgenden wird eine Cobb-Douglas-                    und das des Kapitaleinsatzes erklärt werden kann. Zwi-
Produktionsfunktion betrachtet. Der Output Y ergibt sich                schen Multifaktorproduktivität und Arbeitsproduktivität
als multiplikative Funktion des Arbeitseinsatzes L, des                 besteht ein direkter Zusammenhang. Durch Umformen
Kapitaleinsatzes K sowie der Multifaktorproduktivität A.                der Produktionsfunktion ergibt sich folgende Gleichung
                                                                        für die Arbeitsproduktivität:
(2)       ܻ ൌ ‫ ܣ‬ή ‫ܮ‬ఈ ή ‫ ܭ‬ሺଵିఈሻ
                                                                                  ܻ        ‫ ܭ‬ଵିఈ
Die Koeffizienten α und 1–α bezeichnen die Produk-                      (4)         ൌ ‫ ܣ‬ή൬ ൰
                                                                                  ‫ܮ‬        ‫ܮ‬
tionselastizitäten der Faktoren Arbeit und Kapital. Das
bedeutet, dass der Output um α % ansteigt, wenn der                     Die Entwicklung der Arbeitsproduktivität ist abhängig
Arbeitseinsatz um 1 % erhöht wird, während der Kapi-                    vom Wachstum der Multifaktorproduktivität und dem
taleinsatz konstant bleibt. Die Annahme, dass die Pro-                  der Kapitalintensität. Diese Vorgehensweise, die soge-
duktionselastizitäten von Arbeit und Kapital sich zu                    nannte Wachstumszerlegung (englisch: growth account-
eins addieren, impliziert konstante Skalenerträge. Dies                 ing), geht zurück auf Arbeiten von Jan Tinbergen (1942)
bedeutet, dass sich der Output verdoppelt, wenn alle                    und Robert Solow (1957).
Inputs verdoppelt werden. Weiterhin wird angenommen,
dass die Unternehmen kostenminimierend und profit-
maximierend auf kompetitiven Güter- und Arbeitsmärk-
ten agieren.

Obwohl diese Bedingungen in der Praxis nicht zwangs-
läufig erfüllt sind, bieten sie eine vernünftige Annähe-
rung für viele Märkte. Kritisch sind die Annahmen in
Wirtschaftsbereichen, in denen der Anteil der Sektoren                   3 Die Analyse des Dienstleistungssektors beschränkt sich auf die
Staat und Private Organisationen ohne Erwerbszweck                         Abschnitte G bis N der WZ 2008. Diese umfassen Handel, Verkehr,
                                                                           Gastgewerbe, Information und Kommunikation, Finanz- und Versi-
an der Produktion besonders hoch ist. Die disaggre-                        cherungsdienstleister, das Grundstücks- und Wohnungswesen sowie
gierte Analyse in Kapitel 4 ist daher auf das Produzie-                    Unternehmensdienstleister. Das Produzierende Gewerbe umfasst die
                                                                           Abschnitte B bis F (Bergbau, Verarbeitendes Gewerbe, Energie- und
                                                                           Wasserversorgung sowie das Baugewerbe).
 2 Vorleistungen müssen als weiterer Produktionsfaktor berücksichtigt    4 Grenzprodukt bezeichnet den Zuwachs der Produktion, der durch den
   werden, falls der Output durch den Produktionswert gemessen wird.       Einsatz einer weiteren Einheit des Produktionsfaktors erzielt wird.

66                                                                                                Statistisches Bundesamt | WISTA | 4 | 2021
Multifaktorproduktivität in den Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen

3                                                                       das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB)
                                                                        im Rahmen der Arbeitszeitrechnung berechnet. Hierbei
                                                                        wird implizit die Annahme getroffen, dass jede Stunde
Berechnung der                                                          Arbeit den gleichen Beitrag zur Produktion liefert, unab-
­Multifaktorproduktivität                                               hängig vom Qualifikationsniveau. Um dieses berück-
                                                                        sichtigen zu können, müsste der Arbeitseinsatz um die
Das folgende Kapitel erläutert die gewählte Vorgehens-                  Qualität der Arbeitsstunden korrigiert werden. Hierfür
weise zur Berechnung der Multifaktorproduktivität und                   wäre die Verlinkung von Mikrodaten der Arbeitskräfte-
beschreibt die verwendeten Daten. Ziel des Projekts ist                 erhebung mit VGR-Daten erforderlich. Eurostat veröffent-
es, Indikatoren für die Multifaktorproduktivität zu entwi-              licht einen Indikator für diesen qualitätsangepassten
ckeln, die so weit wie möglich auf veröffentlichten Daten               Arbeitseinsatz (englisch: Quality Adjusted Labour Input
der VGR basieren. | 5                                                   oder QALI) als experimentelle Statistik. | 6 Unter der Maß-
                                                                        gabe, dass möglichst nur veröffentlichte VGR-Angaben
Der Output Y wird gemessen durch das Bruttoinlands-
                                                                        Verwendung finden sollen, wird vorerst auf diese Anpas-
produkt für die Gesamtwirtschaft und die Bruttowert-
                                                                        sung verzichtet.
schöpfung, also dem Saldo aus Produktionswert und
Vorleistungen, für einzelne Wirtschaftsbereiche. Die Pro-               Der Kapitaleinsatz K kann mit zwei sehr unterschied-
duktionselastizität des Faktors Arbeit α wird gemessen                  lichen Methoden gemessen werden. Der erste Ansatz
als Anteil des Arbeitseinkommens an der Bruttowert-                     nutzt das Nettoanlagevermögen. Dies hat den Vor-
schöpfung abzüglich sonstiger Nettoproduktionsabga-                     teil, dass veröffentlichte Zahlen der VGR ohne weitere
ben. Da allerdings auch Selbstständige Arbeitseinkom-                   Berechnungen verwendet werden können. Konzeptionell
men beziehen, muss das in den VGR ausgewiesene                          ist das Nettoanlagevermögen allerdings nicht uneinge-
Arbeitnehmerentgelt angepasst werden. Wir treffen dazu                  schränkt zur Produktivitätsmessung geeignet. Das Netto-
die – in der Literatur übliche – Annahme, dass Selbst-                  anlagevermögen wird berechnet, indem verschiedene
ständige die gleiche durchschnittliche Entlohnung wie                   Vermögensgüter mit ihren Wiederbeschaffungspreisen
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im selben Wirt-                      aggregiert werden und ist daher ein Maß für den Markt-
schaftsbereich erhalten (OECD, 2001). Der Einkom-                       wert des vorhandenen Kapitals eines Wirtschaftsberei-
mensanteil des Faktors Arbeit ergibt sich dann wie folgt:               ches oder einer Volkswirtschaft. Der Marktwert eines
                                                                        Vermögensguts hängt ab von allen künftigen Beiträgen
(5)
                                  ‫݁݃݅ݐ¡ݐݏܾݎ݁ݓݎܧ݈݄ܽݖ݊ܣ‬                  zur Produktion. Für die Produktivitätsmessung ist aller-
            ‫ ݐ݈݁݃ݐ݊݁ݎ݄݁݉݁݊ݐܾ݅݁ݎܣ‬ή 
ߙൌ                                ‫ݎ݄݁݉݁݊ݐܾ݅݁ݎܣ݈݄ܽݖ݊ܣ‬                   dings der Beitrag des Kapitals innerhalb einer Beobach-
      ‫݄ܿݏݐݎ݁ݓ݋ݐݐݑݎܤ‬Ú‫ ݃݊ݑ݂݌‬െ ܵ‫ܾܾ݊݁ܽ݃ܽݏ݊݋݅ݐ݇ݑ݀݋ݎ݌݋ݐݐ݁ܰ݁݃݅ݐݏ݊݋‬
                                                                        tungsperiode besser geeignet. Relativ kurzlebige Vermö-
                                                                        gensgüter, wie Computerhardware, können im Vergleich
Die gewählte Methode liefert einen relativ stabilen
                                                                        zu langlebigen Anlagen, wie Gebäuden, nur für einen
Einkommensanteil für den Faktor Arbeit. Im Beobach-
tungszeitraum von 1993 bis 2018 liegt dieser gesamt-                    geringeren Zeitraum genutzt werden. Daher müssen die
wirtschaftlich zwischen 60 und 65 %. Alternative Berech-                jährlichen Beiträge zur Produktion relativ zum Marktwert
nungen haben gezeigt, dass der Einkommensanteil α                       größer sein.
zwar auf die getroffenen Annahmen reagiert, die Auswir-                 Der zweite Ansatz folgt diesem Gedanken. Er misst den
kungen auf die Entwicklung der Multifaktorproduktivität                 Produktionsbeitrag des Kapitals als die von Unterneh-
aber vernachlässigbar sind.                                             men bezogenen Kapitaldienstleistungen (englisch: capi-
Der Arbeitseinsatz L wird gemessen durch die tatsäch-                   tal services). Deren Wert und Volumen können jedoch
lich geleisteten Arbeitsstunden der Erwerbstätigen, die                 in der Regel nicht direkt beobachtet werden, da Nutzer
                                                                        und Besitzer der Assets häufig identisch sind. Es gibt
 5 Mit Ausnahme des Nettoanlagevermögens ist dies, gegliedert nach      also keine Zahlungsströme, die erfasst werden könnten.
   Wirtschaftsbereichen und Vermögensarten, auch möglich. Dieses        Daher müssen die Kapitaldienstleistungen geschätzt
   wird zur Berechnung des Kapitaleinsatzes benötigt. Das Nettoanla-
   gevermögen ist bei Interesse ebenfalls für Nutzerinnen und Nutzer    werden. Dies erfolgt über den Ansatz der Nutzungs-
   verfügbar, da es Teil des Lieferprogramms des Europäischen Systems
   Volkswirtschaftlicher Gesamtrechnungen ist und vom Statistischen
   Amt der Europäischen Union (Eurostat) veröffentlicht wird.            6 Mehr Informationen und Daten zu QALI unter ec.europa.eu

Statistisches Bundesamt | WISTA | 4 | 2021                                                                                           67
Peter Kuntze, Benedikt Kuckelkorn

kosten des Kapitals (Jorgenson, 1963). Verschiedene             Die Nutzungskosten werden berechnet für die sieben
Vermögensarten werden aggregiert zum gesamten Kapi-             Vermögensarten Wohnbauten, Nichtwohnbauten, Aus-
taleinsatz, indem sie mit dem jeweiligen Anteil ihrer Nut-      rüstungen und militärische Waffensysteme, Fahrzeuge,
zungskosten an den Gesamtnutzungskosten gewichtet               Nutztiere und Nutzpflanzungen, Forschung und Entwick-
werden (siehe den Exkurs). Dazu werden für jede Vermö-          lung sowie Software und Datenbanken.
gensart in jedem Wirtschaftsbereich die Nutzungskos-
ten u wie folgt geschätzt:                                      Die Abschreibungsrate ergibt sich aus den VGR-Veröf-
                                                                fentlichungen der Abschreibungen und des Nettoanlage-
           ௜ǡ௝    ௜ǡ௝         ௝       ௜ǡ௝    ௜ǡ௝                vermögens. Da die Abschreibungen für die genannten
(6)      ‫ݑ‬௧ ൌ  ‫ݍ‬௧ ή ൫‫ݎ‬௧௜ ൅ ݀௧ ൯ െ ሺ‫ݍ‬௧ െ ‫ݍ‬௧ିଵ ሻ
                                                                Vermögensarten nur für die Gesamtwirtschaft veröf-
Hierbei sind die Nutzungskosten uti, j die Kosten, die für      fentlicht werden, wird vereinfachend angenommen,
die Nutzung der Vermögensart j im Wirtschaftsbereich i je       dass die Abschreibungsraten der verschiedenen Vermö-
Periode t anfallen. qti, j ist der Marktwert des Nettoanlage-   gensarten über die Wirtschaftsbereiche identisch sind.
vermögens der Vermögensart j im Wirtschaftsbereich i,           Kapitalgewinne und -verluste ergeben sich aus Preisän-
dtj ist die Abschreibungsrate der Vermögensart j und r ti       derungen der jeweiligen Klasse und dem Volumen des
ist ein Maß für die Finanzierungskosten im Wirtschafts-         Nettoanlagevermögens.
bereich i.
                                                                Für die Bestimmung der Zinsrate gibt es zwei grund-
 Exkurs                                                        sätzlich unterschiedliche Ansätze. Erstens kann eine
                                                                exogene Zinsrate angenommen werden. Diese Methode
Den Unterschied zwischen beiden Ansätzen soll ein ein-          wird beispielsweise vom Sachverständigenrat zur Begut-
faches Beispiel verdeutlichen, das zwei unterschiedliche        achtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (2017)
Investitionsgüter betrachtet: zum einen einen Laptop im         angewandt. Die Zinsrate wird in diesem Fall gemessen
Wert von 3 000 Euro und einer Nutzungsdauer von 3 Jah-          durch die Umlaufsrendite von Inhaberschuldverschrei-
ren, zum anderen eine Produktionsanlage im Wert von             bungen abzüglich der von Consensus Economics | 7 erho-
20 000 Euro und einer Nutzungsdauer von 20 Jahren.              benen Inflationserwartungen (Deutsche Bundesbank,
Finanzierungs- und Opportunitätskosten sowie Preis-             2012). Der Zins ist in diesem Fall für alle Vermögens-
änderungen seien hier vernachlässigt. Bei Nutzung des           arten und Wirtschaftsbereiche identisch.
Nettoanlagevermögens – hier vereinfacht angesehen als
Summe der Marktwerte in Höhe von 23 000 Euro – spielt           Die zweite Methode nimmt eine endogene Zinsrate
der Laptop eine vergleichsweise geringe Rolle. Beim             an, die sich aus VGR-Daten berechnen lässt. Dazu wird
Konzept der Kapitaldienstleistungen dagegen stehen              angenommen, dass sich die gesamte Bruttowertschöp-
die Nutzungskosten im Vordergrund. Bei der unterstell-          fung aufteilt in Arbeits- und Kapitaleinkommen. Das
ten Nutzungsdauer und linearer Abschreibung betragen            Kapitaleinkommen entspricht dem gesamten Wert der
diese für beide Güter 1 000 Euro. Die relative Bedeutung        Kapitaldienstleistungen und lässt sich bestimmen aus
des Investitionsgutes Laptop ist also um ein Vielfaches         der Differenz der Bruttowertschöpfung (abzüglich sons-
höher, wenn Güter nicht mit dem Wert, sondern dem               tiger Nettoproduktionsabgaben) und dem angepassten
Anteil an den Nutzungskosten gewichtet werden.                  Arbeitseinkommen (siehe oben). Mithilfe der Abschrei-
                                                                bungsrate d, den Kapitalgewinnen oder -verlusten π, und
Die Nutzungskosten setzen sich also zusammen aus                dem Nettoanlagevermögen KN lässt sich die Zinsrate r im
                                                                Wirtschaftsbereich i dann residual bestimmen als:
> den Finanzierungskosten (falls die Assets fremdfinan-
  ziert sind) oder den Opportunitätskosten (die entste-                                                   �      ���
                                                                            ������������������� � ∑� �� � ��� � ∑� �� �
                                                                                                                            ���

  hen, weil Kapital nicht anderweitig eingesetzt werden         (7) ��� �
                                                                                              ∑� �����
  kann),                                                                                              �

> dem durch Abschreibungen gemessenen Wertverlust
  und
> Kapitalgewinnen oder -verlusten (die sich durch Preis-
  änderungen der Assets ergeben).

68                                                                                     Statistisches Bundesamt | WISTA | 4 | 2021
Multifaktorproduktivität in den Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen

Die Zinsrate ist identisch für die verschiedenen Vermö-       Die betrachteten Abschnitte B bis N erzeugen zusam-
gensarten, unterscheidet sich aber zwischen den Wirt-         men durchschnittlich 77,4 % der gesamten Bruttowert-
schaftsbereichen. Aus diesem Grund und weil diese             schöpfung | 8.
Vorgehensweise keine externen Finanzmarktdaten
benötigt, wird diese Methode bevorzugt. Vergleichsrech-
nungen zeigen außerdem nur minimale Unterschiede im           4.1 Kapitaleinsatz
resultierenden Wachstum der Multifaktorproduktivität.
                                                               Grafik 1 auf Seite 70 zeigt die Entwicklung des
Nachdem Zinsrate, Abschreibungsrate sowie Kapi-               Kapitaleinsatzes für die Gesamtwirtschaft, gemessen
talgewinne und -verluste bestimmt sind, können die            als Veränderungsrate des Nettoanlagevermögens bezie-
Kapitalnutzungskosten der einzelnen Vermögensarten            hungsweise der Kapitaldienstleistungen. Zu Beginn
berechnet werden. Die Wachstumsrate der gesamten              des Beobachtungszeitraums sind die Kapitaldienstleis-
bezogenen Kapitaldienstleistungen KD im Wirtschafts-          tungen mit einer etwas niedrigeren Rate als das Netto-
bereich i ergibt sich als Törnqvist-Index der mit ihrem       anlagevermögen gewachsen. Ab dem Jahr 1998 stiegen
Anteil an den gesamten Kapitalnutzungskosten gewich-          die Kapitaldienstleistungen deutlich stärker an als das
teten realen Wachstumsraten des Nettoanlagevermö-             Nettoanlagevermögen. Dies lässt sich auf die steigende
gens der Vermögensarten:                                      Bedeutung von relativ kurzlebigen immateriellen Ver-
                                 ���         ���
                                                              mögensgütern und Ausrüstungen der Informations- und
                   1   �     �                                Kommunikationstechnik zurückführen. Aufgrund der
(8)       ����� � � � � ���
                         �
                            � �� � � �������
              �    2   ���� ��           �                    höheren Abschreibungsrate werden sie bei der Aggre-
                           �
                                                              gation mit Nutzungskosten stärker gewichtet als bei
Berechnet werden die Kapitaldienstleistungen für 21           der Gewichtung mit dem Wiederbeschaffungspreis, um
Wirtschaftsbereiche.                                          den relativ höheren jährlichen Beitrag zur Produktion zu
                                                              reflektieren.

4                                                             In beiden Fällen ist ein Einbruch der Wachstumsrate zu
                                                              Beginn des 21. Jahrhunderts zu beobachten, der sich
                                                              im Fall der Kapitaldienstleistungen gegen Ende des
Ergebnisse                                                    Betrachtungszeitraums wieder erholt. Dies geht auf die
                                                              stark steigenden Investitionen in Forschung und Ent-
Im Folgenden werden die Ergebnisse für die Berechnung
                                                              wicklung, Software und Datenbanken und das ebenfalls
des Kapitaleinsatzes und der Multifaktorproduktivität in
                                                              wieder höhere Wachstum der Ausrüstungsinvestitionen
beiden Varianten präsentiert und mit bereits veröffent-
                                                              zurück.
lichten Indikatoren verglichen.
                                                               Grafik 2 auf Seite 71 zeigt die Entwicklung des
Über die gesamtwirtschaftlichen Ergebnisse hinaus
                                                              Kapitaleinsatzes im Produzierenden Gewerbe und in
werden das Produzierende Gewerbe (Abschnitte B bis F
                                                              den Dienstleistungsbereichen. Die Trends, die für die
der Wirtschaftszweigklassifikation) und ausgewählte
                                                              Gesamtwirtschaft beobachtet werden können, gelten
Dienstleistungsbereiche (Abschnitte G bis N) für den Zeit-
                                                              für beide zusammengefasste Wirtschaftsbereiche in
raum 1993 bis 2018 separat analysiert. Die Abschnitte
                                                              vergleichbarer Weise. Nettoanlagevermögen und Kapi-
O bis T werden nicht näher betrachtet, da aufgrund des
                                                              taldienstleistungen sind im Produzierenden Gewerbe
relativ hohen Anteils der Sektoren Staat und Private
                                                              zunächst mit ähnlichen Raten gewachsen. Mit steigender
Organisationen ohne Erwerbszweck die Annahmen von
                                                              Bedeutung neuer Technologien ist allerdings ein deut-
kompetitiven Märkten und kostenminimierender bezie-
                                                              lich stärkeres Wachstum der Kapitaldienstleistungen zu
hungsweise profitmaximierender Unternehmen nicht
erfüllt sind (siehe Kapitel 2). Der Abschnitt A – Land- und
Forstwirtschaft, Fischerei – wird in dieser Analyse unter     8 Der durchschnittliche Anteil an der gesamten Bruttowertschöpfung
anderem deshalb nicht betrachtet, weil Output und in            der Marktproduktion beträgt im Beobachtungszeitraum 87 %. Der
                                                                Anteil des Produzierenden Gewerbes an der gesamten Bruttowert-
der Folge die Produktivitätsentwicklung zu einem gro-           schöpfung beträgt 30,5 %, der der gewählten Dienstleistungsberei-
ßen Teil durch Umweltbedingungen bestimmt werden.               che 47 %.

Statistisches Bundesamt | WISTA | 4 | 2021                                                                                      69
Peter Kuntze, Benedikt Kuckelkorn

Grafik 1
Kapitaleinsatz der Gesamtwirtschaft
Veränderungsrate in %

                                                                                                                                                    3,0

                                                                                                                                                    2,5

                                                                                                                                                    2,0

                                                                                                                                                    1,5

                                                                                                                                                    1,0

                                                                                                                                                    0,5

                                                                                                                                                      0
1993 94        95     96      97   98   99 2000 01      02    03   04   05   06   07   08   09   10   11     12    13   14   15    16   17 2018

     Kapitaldienstleistungen            Nettoanlagevermögen

Quelle: Eigene Berechnungen                                                                                                                  2021 - 0274

beobachten. Deren durchschnittliche jährliche Wachs-
tumsrate ist mit 0,93 % deutlich höher als die des Netto-
anlagevermögens (0,15 %). Ebenfalls ist ein Einbruch der
Wachstumsrate beider Indikatoren um die Jahrtausend-
wende mit anschließender Erholung speziell der Kapital-
dienstleistungen festzustellen.

Im Dienstleistungsbereich zeigen sich ebenfalls Unter-
schiede zwischen der Wachstumsrate des Nettoanlage-
vermögens und der Kapitaldienstleistungen. Die Kapi-
taldienstleistungen haben jahresdurchschnittlich um
2 % zugenommen, das Nettoanlagevermögen dagegen
lediglich um 1,6 %. Beide Indikatoren für den Kapitalein-
satz sind seit der Jahrtausendwende nicht mehr so stark
gestiegen, im Gegensatz zum Produzierenden Gewerbe
und der Gesamtwirtschaft ist allerdings kein nennens-
werter Aufholprozess zu beobachten.

Zusammenfassend lassen sich deutlich sichtbare Unter-
schiede zwischen den Entwicklungen des Nettoanlage-
vermögens und den Kapitaldienstleistungen erkennen.
Da das Nettoanlagevermögen den Marktwert des Kapi-
tals und nicht den jährlichen Beitrag zur Produktion
misst, unterschätzt es mit steigender Bedeutung kurz­
lebiger neuer Technologien die Zunahme des Kapitalein-
satzes in der Produktion systematisch. Weiterhin sind
deutliche Unterschiede in der Dynamik zwischen sekun-
därem und tertiärem Sektor zu sehen.

70                                                                                                         Statistisches Bundesamt | WISTA | 4 | 2021
Multifaktorproduktivität in den Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen

Grafik 2
Kapitaleinsatz des Produzierenden Gewerbes und der Dienstleistungsbereiche
Veränderungsrate in %

Produzierendes Gewerbe (B–F)
                                                                                                                                                              4

                                                                                                                                                              3

                                                                                                                                                              2

                                                                                                                                                              1

                                                                                                                                                               0

                                                                                                                                                              -1

                                                                                                                                                              -2
1993 94         95     96     97     98     99 2000 01            02     03     04     05   06   07   08   09   10   11   12   13   14   15   16   17 2018

Dienstleistungsbereiche (G–N)
                                                                                                                                                               4

                                                                                                                                                               3

                                                                                                                                                               2

                                                                                                                                                               1

                                                                                                                                                               0
1993 94         95     96     97     98     99 2000 01            02     03     04     05   06   07   08   09   10   11   12   13   14   15   16   17 2018

    Nettoanlagevermögen                    Kapitaldienstleistungen

Wirtschaftsabteilungen der Klassifikation der Wirtschaftszweige, Ausgabe 2008 (WZ 2008).
Quelle: Eigene Berechnungen                                                                                                                           2021 - 0275

4.2 Multifaktorproduktivität                                                                 mit einer durchschnittlichen Rate von 0,9 %, die Arbeits-
                                                                                             produktivität wächst durchschnittlich um 1,2 %. Im
 Grafik 3 auf Seite 72 zeigt die jährlichen Verände-                                        Produzierenden Gewerbe verhält sich die Produktivität
rungsraten der „Basis“-Multifaktorproduktivität, deren                                       dynamischer, die Wachstumsraten sind deutlich grö-
Berechnung das Nettoanlagevermögen als Maß für den                                           ßer. Der Zuwachs der Multifaktorproduktivität beträgt
Kapitaleinsatz zugrunde liegt, und der Multifaktorpro-                                       durchschnittlich 1,5 % (Basis-Indikator: 1,7 %), das
duktivität mit Kapitaldienstleistungen. Zudem wird die                                       Wachstum der Arbeitsproduktivität 2,0 %. In den Dienst-
Entwicklung der Arbeitsproduktivität gegenübergestellt.                                      leistungsbereichen ist das Wachstum geringer, die
Gezeigt werden wiederum Ergebnisse für die Gesamt-                                           jährliche Wachstumsrate der Multifaktorproduktivität
wirtschaft sowie für das Produzierende Gewerbe und                                           beträgt 0,6 % (Basis-Indikator: 0,8 %), die der Arbeits-
ausgewählte Dienstleistungsbereiche.                                                         produktivität 1,2 %. Der Basis-Indikator überschätzt das
                                                                                             Wachstum der Multifaktorproduktivität, da das Netto­
Im Beobachtungszeitraum beträgt das jahresdurch-                                             anlagevermögen, wie oben ausgeführt, den Kapitalein-
schnittliche Wachstum der Multifaktorproduktivität                                           satz unterschätzt.
basierend auf Kapitaldienstleistungen 0,7 % für die ge-
samte Wirtschaft. Der Basis-Indikator wächst hingegen

Statistisches Bundesamt | WISTA | 4 | 2021                                                                                                                  71
Peter Kuntze, Benedikt Kuckelkorn

Grafik 3
Arbeits- und Multifaktorproduktivität
Veränderungsrate in %

Gesamtwirtschaft
                                                                                                                                                                               4

                                                                                                                                                                               2

                                                                                                                                                                               0

                                                                                                                                                                              -2

                                                                                                                                                                              -4

                                                                                                                                                                              -6
1993 94         95     96     97     98     99 2000 01           02      03     04     05    06     07    08       09   10   11      12    13    14    15    16    17 2018

Produzierendes Gewerbe (B–F)
                                                                                                                                                                             16

                                                                                                                                                                             14

                                                                                                                                                                             12

                                                                                                                                                                             10

                                                                                                                                                                              8

                                                                                                                                                                              6

                                                                                                                                                                              4

                                                                                                                                                                              2

                                                                                                                                                                              0

                                                                                                                                                                              -2

                                                                                                                                                                              -4

                                                                                                                                                                              -6

                                                                                                                                                                              -8

                                                                                                                                                                            -10
1993 94         95     96     97     98     99 2000 01           02     03     04     05    06    07     08    09       10   11     12    13    14    15    16    17 2018

Dienstleistungsbereiche (G–N)
                                                                                                                                                                               6

                                                                                                                                                                               4

                                                                                                                                                                               2

                                                                                                                                                                               0

                                                                                                                                                                              -2

                                                                                                                                                                              -4
1993 94         95     96     97     98     99 2000 01           02      03     04     05    06     07    08       09   10   11      12    13    14    15    16    17 2018

     Multifaktorproduktivität              Basis-Multifaktorproduktivität                   Arbeitsproduktivität

Wirtschaftsabteilungen der Klassifikation der Wirtschaftszweige, Ausgabe 2008 (WZ 2008).
Quelle: IAB, eigene Berechnungen                                                                                                                                      2021 - 0276

72                                                                                                                                Statistisches Bundesamt | WISTA | 4 | 2021
Multifaktorproduktivität in den Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen

Im Gegensatz zur Arbeitsproduktivität, deren Wachstum                                              torproduktivität erklären, sondern wird durch Rückgänge
sich zunehmend abschwächt, ist dies bei der Multifak-                                              des Wachstums der Kapitalintensität verursacht.
torproduktivität weder für die Gesamtwirtschaft noch
für das Produzierende Gewerbe der Fall. Im Gegensatz
dazu sinkt das Wachstum der Multifaktorproduktivität                                               4.3 Vergleich mit anderen Ergebnissen
im Dienstleistungsbereich im Beobachtungszeitraum
leicht. Der Rückgang ist allerdings nicht so stark ausge-                                          Um die Qualität der vorliegenden Ergebnisse zu über-
prägt wie bei der Arbeitsproduktivität. Die Entwicklung                                            prüfen, werden diese mit zwei anderen Berechnungen
der beiden Indikatoren ist auf allen drei Aggregations-                                            zur Multifaktorproduktivität verglichen.
ebenen dennoch sehr ähnlich, dies zeigt sich auch in                                               Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamt-
einer sehr starken Korrelation zwischen den Maßen. Aus                                             wirtschaftlichen Entwicklung berechnet im Rahmen der
diesem Grund eignet sich der Basis-Indikator trotz der                                             Mittelfristprojektion als Teil seines Jahresgutachtens
konzeptionellen Schwächen zur Analyse der Entwick-                                                 Indikatoren der Multifaktorproduktivität für die deutsche
lung der Multifaktorproduktivität.                                                                 Volkswirtschaft. In der Regel wird lediglich deren Trend-
Da sich die Arbeitsproduktivität direkt aus Multifaktorpro-                                        wachstum veröffentlicht, was einen direkten Vergleich
duktivität und Kapitalintensität ableiten lässt, erlauben                                          mit den hier vorliegenden Ergebnissen ausschließt.
diese Ergebnisse zwei Schlussfolgerungen: Zum einen ist                                            Die letzte Veröffentlichung unbereinigter Schätzungen
die Multifaktorproduktivität der Haupttreiber des Wachs-                                           des jährlichen Wachstums der Multifaktorproduktivität
tums der Arbeitsproduktivität. Gesamtwirtschaftlich liegt                                          stammt aus dem Jahresgutachten 2015/16 (SVR, 2015).
ihr Beitrag zu deren Wachstum bei durchschnittlich 60 %,                                           Der Kapitaleinsatz wurde mit dem Bruttoanlagevermö-
im Produzierenden Gewerbe sogar bei 68 %. Zum ande-                                                gen gemessen. Diese Ergebnisse werden hier zum Ver-
ren lässt sich das nachlassende Wachstum der Arbeits-                                              gleich genutzt.
produktivität nicht durch die Entwicklung der Multifak-

Grafik 4
Multifaktorproduktivität der Gesamtwirtschaft
Veränderungsrate in %

                                                                                                                                                                             4

                                                                                                                                                                             3

                                                                                                                                                                             2

                                                                                                                                                                             1

                                                                                                                                                                             0

                                                                                                                                                                            -1

                                                                                                                                                                            -2

                                                                                                                                                                            -3

                                                                                                                                                                            -4

                                                                                                                                                                            -5

                                                                                                                                                                            -6
1993 94          95     96     97     98      99 2000 01           02     03      04     05        06   07     08     09     10     11       12   13   14   15   16 2017

    Basis-Multifaktorproduktivität               Multifaktorproduktivität                 Sachverständigenrat                  EU KLEMS|1

1 EU KLEMS ist ein Forschungsprojekt zur Produktivitätsmessung innerhalb der Europäischen Union.
Quelle: Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (2015), Stehrer und andere (2019), eigene Berechnungen                          2021 - 0277

Statistisches Bundesamt | WISTA | 4 | 2021                                                                                                                                 73
Peter Kuntze, Benedikt Kuckelkorn

Finanziert durch die Generaldirektion Wirtschaft und                           Effizienzsteigerungen und technologischen Fortschritt in
Finanzen der Europäischen Kommission, veröffentlicht                           der Produktion.
das Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsverglei-
che (wiiw) im Rahmen des EU KLEMS-Projekts Schät-                              Ausgehend von den zwei vorgestellten Optionen zur
zungen zur Multifaktorproduktivität für die 27 EU-Mit-                         Messung des Kapitaleinsatzes (Nettoanlagevermögen
gliedstaaten, das Vereinigte Königreich, die Vereinigten                       und Kapitaldienstleistungen) wurden zwei Maße für die
Staaten und Japan (wiiw, 2019). | 9 Methodische Unter-                         Multifaktorproduktivität präsentiert und deren Ergeb-
schiede finden sich bei der Schätzung des Kapitaleinsat-                       nisse analysiert. Beide Varianten zeigen, dass das
zes sowie bei der Wahl des Maßes für den Arbeitsein-                           Wachstum der Multifaktorproduktivität – im Gegensatz
satz. Die aktuelle Veröffentlichung deckt den Zeitraum                         zu dem der Arbeitsproduktivität – nicht spürbar zurück-
1996 bis 2017 ab.                                                              geht. Produzierendes Gewerbe und Dienstleister unter-
                                                                               scheiden sich in der Entwicklung nicht wesentlich,
 Grafik 4 stellt die Ergebnisse des Sachverständigen-                         jedoch liegen die Veränderungsraten im Produzierenden
rats und von EU KLEMS den hier vorgelegten gegenüber.                          Gewerbe höher. Die Nutzung der Kapitaldienstleistun-
                                                                               gen in der Berechnung führt zu systematisch niedrigeren
Trotz der methodischen Differenzen liefern die betrach-                        Veränderungsraten der Multifaktorproduktivität.
teten Ansätze sehr ähnliche Ergebnisse. Die durch-
schnittliche Differenz unserer Ergebnisse zu denen des                         Die vorgestellten Berechnungen basieren ausschließlich
Sachverständigenrats beträgt 0,3 Prozentpunkte und                             auf veröffentlichten VGR-Daten. Sie folgen einer aner-
die Differenz zu EU KLEMS 0,4 Prozentpunkte. Der Korre-                        kannten Methodik und erfordern relativ wenige Annah-
lationskoeffizient liegt bei 0,93 und 0,96.                                    men. Der Abgleich mit bisherigen Veröffentlichungen
                                                                               bestätigt die Ergebnisse. Damit sind die Grundlagen für
Wachstumsraten der Kapitaldienstleistungen sind eben-                          eine Erweiterung des Veröffentlichungsprogramms des
falls Teil der EU KLEMS-Veröffentlichung. Die durch-                           Statistischen Bundesamtes um diesen wichtigen Pro-
schnittliche Differenz zu unserer Schätzung beträgt 0,3                        duktivitätsindikator gelegt.
Prozentpunkte. Die Indikatoren sind mit einem Korrela­
tionskoeffizienten von 0,96 ebenfalls in der Aussage                           Bei der Entscheidung für eine der beiden Varianten muss
sehr vergleichbar.                                                             eine Abwägung erfolgen: Die Basisvariante unter Ver-
                                                                               wendung des Nettoanlagevermögens ist einfacher kon-
                                                                               struiert und damit für Nutzerinnen und Nutzer leichter
5                                                                              nachvollziehbar. Die Variante mit den Kapitaldienstleis-
                                                                               tungen ist anspruchsvoller und enthält mehr Annahmen,
                                                                               hat aber gewisse konzeptionelle Vorteile. Die Darstel-
Fazit und Ausblick
                                                                               lung der Multifaktorproduktivität auf Grundlage der
Der Beitrag untersucht die Multifaktorproduktivität als                        VGR-Daten wird auch auf europäischer Ebene forciert:
mögliche Erweiterung des statistischen Datenangebots                           So plant Eurostat die Veröffentlichung der Basisvariante
der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen. Den im                             für die 27 Mitgliedstaaten der Europäischen Union als
Vergleich zu den Einzelfaktor-Produktivitätsmaßen grö-                         experimentelle Statistik zum Jahresende 2021. Vor die-
ßeren Anforderungen in Bezug auf Berechnung und                                sem Hintergrund bietet sich als Ergänzung eine weiter-
Interpretation steht ein erheblicher zusätzlicher Erkennt-                     gehende nationale Veröffentlichung auf Basis der Kapi-
nisgewinn gegenüber. Die Multifaktorproduktivität misst                        taldienstleistungen an.
jenen Teil des Wirtschaftswachstums, der nicht durch
Änderungen der Produktionsfaktoren erklärt werden
kann. Sie ist dadurch ein wichtiges Maß für langfristige

 9 EU KLEMS ist ein Forschungsprojekt zur Produktivitätsmessung inner-
   halb der Europäischen Union. KLEMS steht für die Produktionsfakto-
   ren Kapital (K), Arbeit (L), Energie (E), Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe
   (M) und Dienstleistungen (S). Daten und zusätzliche Informationen
   unter euklems.eu

74                                                                                                  Statistisches Bundesamt | WISTA | 4 | 2021
Multifaktorproduktivität in den Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen

                                    LITERATURVERZEICHNIS

                                    Chalupa, Johannes/Mai, Christoph-Martin. Entwicklungen am Arbeitsmarkt in
                                    Österreich und Deutschland — zwischen Jobwunder und Produktivitätsparadoxon.
                                    In: WISTA Wirtschaft und Statistik. Ausgabe 6/2018, Seite 48 ff.

                                    Deutsche Bundesbank. Potenzialwachstum der deutschen Wirtschaft – Mittelfristige
                                    Perspektiven vor dem Hintergrund demographischer Belastungen. In: Monatsbericht.
                                    Ausgabe April 2012, Seite 13 ff.

                                    Jorgenson, Dale W. Capital Theory and Investment Behaviour. In: American Economic
                                    Association. 1963. Jahrgang 53, Seite 247 ff.

                                    OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung). Measure-
                                    ment of aggregate and industry-level productivity growth. 2001. OECD Manual.

                                    Solow, Robert M. Technical Change and the Aggregate Production Function. In: Review
                                    of Economics and Statistics. Jahrgang 39. Ausgabe 3/1957, Seite 312 ff.

                                    SVR (Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung).
                                    Zukunftsfähigkeit in den Mittelpunkt. Jahresgutachten 2015/16. Wiesbaden 2015.

                                    SVR (Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung).
                                    Für eine zukunftsorientierte Wirtschaftspolitik. Jahresgutachten 2017/18. Wiesbaden
                                    2017.

                                    Tinbergen, Jan. Zur Theorie der langfristigen Wirtschaftsentwicklung. In: Zeitschrift
                                    des Instituts für Weltwirtschaft an der Universität Kiel. Jahrgang 55. Ausgabe 1942,
                                    Seite 511 f.

                                    wiiw (Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche). Growth and Productivity
                                    Accounts. Release 2019. 2019. [Zugriff am 12. Juli 2021]. Verfügbar unter: euklems.eu

Statistisches Bundesamt | WISTA | 4 | 2021                                                                                  75
ABKÜRZUNGEN
       D    Durchschnitt (bei nicht addierfähigen Größen)
      Vj    Vierteljahr
      Hj    Halbjahr
 a. n. g.   anderweitig nicht genannt
 o. a. S.   ohne ausgeprägten Schwerpunkt
   Mill.    Million
   Mrd.     Milliarde

            ZEICHENERKLÄRUNG                                                                             Herausgeber
       –    nichts vorhanden                                                                             Statistisches Bundesamt (Destatis), Wiesbaden

       0    weniger als die Hälfte von 1 in der letzten besetzten Stelle, jedoch mehr als nichts         Schriftleitung
                                                                                                         Dr. Daniel Vorgrimler
        .   Zahlenwert unbekannt oder geheim zu halten
                                                                                                         Redaktion: Ellen Römer
     ...    Angabe fällt später an
                                                                                                         Ihr Kontakt zu uns
       X    Tabellenfach gesperrt, weil Aussage nicht sinnvoll                                           www.destatis.de/kontakt
I oder —    grundsätzliche Änderung innerhalb einer Reihe, die den zeitlichen Vergleich beeinträchtigt   Erscheinungsfolge
       /    keine Angaben, da Zahlenwert nicht sicher genug                                              zweimonatlich, erschienen im August 2021
                                                                                                         Ältere Ausgaben finden Sie unter www.destatis.de sowie in der Statistischen Bibliothek.
      ()    Aussagewert eingeschränkt, da der Zahlenwert statistisch relativ unsicher ist
                                                                                                         Artikelnummer: 1010200-21004-4, ISSN 1619-2907
            Abweichungen in den Summen ergeben sich durch Runden der Zahlen.
                                                                                                         © Statistisches Bundesamt (Destatis), 2021
            Tiefer gehende Internet-Verlinkungen sind in der Online-Ausgabe hinterlegt.                  Vervielfältigung und Verbreitung, auch auszugsweise, mit Quellenangabe gestattet.
Sie können auch lesen