Multimorbidität und Niere - Prof. Thomas Fehr Chefarzt Innere Medizin Kantonsspital Graubünden

Die Seite wird erstellt Stefan-Nikolas Rose
 
WEITER LESEN
Multimorbidität und Niere - Prof. Thomas Fehr Chefarzt Innere Medizin Kantonsspital Graubünden
Multimorbidität und Niere

                  Prof. Thomas Fehr
                 Chefarzt Innere Medizin
               Kantonsspital Graubünden
Multimorbidität und Niere - Prof. Thomas Fehr Chefarzt Innere Medizin Kantonsspital Graubünden
Was ist Multimorbidität?

• Definition
   Unter Multimorbidität versteht man das gleichzeitige Vorhandensein von
     zwei oder mehreren chronischen Erkrankungen in einer Person.
                                          Wallace, BMJ 2015 ; http://www.multimorbidity.uzh.ch/
Multimorbidität und Niere - Prof. Thomas Fehr Chefarzt Innere Medizin Kantonsspital Graubünden
Wo liegt das Problem?
• Limitationen der etablierten klinischen Lehre
   – Fokus auf Einzelerkrankungen à keine multimorbiditätsorientierten
     Diagnose- und Behandlungsgrundsätze
   – Interaktionen zwischen Krankheiten und Therapien ungenügend
     berücksichtigt
   – Multimorbidität beinhaltet Polypharmazie à ebenfalls wenig erforscht
   – Oft geriatrische Patienten betroffen, die üblicherweise von Studien
     ausgeschlossen werden.

• Typen von Interaktionen (Netzwerk Approach)
   – Medication-Medication-Interactions
   – Disease-Medication-Interactions
   – Disease-Disease-Interactions

                                                        http://www.multimorbidity.uzh.ch/
Multimorbidität und Niere - Prof. Thomas Fehr Chefarzt Innere Medizin Kantonsspital Graubünden
Ein Beispiel
• Multimorbidity Interaction Severity Index (MISI)

                                                Gassmann / Battegay, Medicine 2017
Multimorbidität und Niere - Prof. Thomas Fehr Chefarzt Innere Medizin Kantonsspital Graubünden
… und übertragen auf die Niere

                                                Krankheitsbedingte
• Disease-Disease                                 Nierenschäden
    Interactions
  • Disease-Drug           Multimorbidität
    Interactions
    • Drug-Drug
    Interactions
                                                                     Einfluss der NI
                                                                      auf Therapie
                                                                     und Prognose
          Medikamentös bedingte Nierenschäden
                                                     Chronische
  Polypharmazie
                                                  Niereninsuffizienz
                                       Veränderte Pharmakokinetik
Multimorbidität und Niere - Prof. Thomas Fehr Chefarzt Innere Medizin Kantonsspital Graubünden
Pain multimorbidity cluster
• Wichtigste Ursachen chronischer Schmerzen

                                              Siebenhüner, PLOSone 2017
Multimorbidität und Niere - Prof. Thomas Fehr Chefarzt Innere Medizin Kantonsspital Graubünden
Pain multimorbidity cluster
• Chronische Niereninsuffizienz ist Teil des häufigsten Schmerz-
  Clusters

                                                   Siebenhüner, PLOSone 2017
Multimorbidität und Niere - Prof. Thomas Fehr Chefarzt Innere Medizin Kantonsspital Graubünden
Patient complexity by speciality
• Population-based study, Alberta/Canada, 2.1 Mio patients

                                                      Tonelli, JAMA open 2018
Multimorbidität und Niere - Prof. Thomas Fehr Chefarzt Innere Medizin Kantonsspital Graubünden
Topics
ü Eingrenzung des Themas

• Was ist eigentlich eine normale Nierenfunktion?
   – Definition der Niereninsuffizienz
   – Niereninsuffizienz und Überleben

• Schmerzmedikamente und Niere

• Take home messages
Multimorbidität und Niere - Prof. Thomas Fehr Chefarzt Innere Medizin Kantonsspital Graubünden
Was ist eine normale Nierenfunktion?
• The Nijmegen Biomedical Study: Referenzwerte für die GFR
   – Je ca 3000 kaukasische Männer und Frauen
   – Altersverteilung 18-90
   – Ausschluss Diabetes, Hypertonie, Niereninsuffizienz und CVD

                                                                   Wetzels, KI 2007
Definition chronische Niereninsuffizienz
• Glomeruläre Filtrationsrate < 60 ml/min/1.73m2 für > 3 Monate

ODER

• Hinweise für einen Nierenschaden für > 3 Monate
   – Albuminurie (Mikro oder Makro) oder Proteinurie
   – Persistierende Mikrohämaturie (nach Ausschluss urologischer
     Ursachen)
   – Abnorme pathologische Befunde (Nierenbiopsie)
   – Abnorme radiologische Befunde (Ultraschall, CT)

à Diagnose: Kreatinin + Urin (Sediment, Albumin) + Sonographie
Chronische Niereninsuffizienz: Stadien

 Stadium                  Nieren-
              GFR
  (CKD)                 insuffizienz
                         Normale
    G1         > 90
                      Nierenfunktion

    G2        60-89        Leicht

              a: 45-59
    G3                 Mittelschwer
              b: 30-44

    G4        15-29       Schwer

                       Endstadium-
    G5         < 15
                      nierenversagen

CKD = chronic kidney disease
GFR = glomeruläre Filtrationsrate (ml/min)
ACHTUNG: Gefahr der CKD „overdiagnosis“!
• Nijmegen Study:
   – Altersabhängige Häufigkeitsverteilung einer GFR < 60 ml/min

                                                                   Wetzels, KI 2007
GFR und Mortalität

                     Raymond, NDT 2007
Albuminurie und Mortalität

Chronische Niereninsuffizienz und Albuminurie sind unabhängige
  Risikomarker für Tod und terminale Niereninsuffizienz

                              CKD Prognosis Consortium, Lancet 2010; Astor, Kidney International 2011
Zweidimensionale Risikoabschätzung

                                                              CKD G3b A2

KDIGO 2012 Clinical Practice Guideline for the Evaluation and Management of Chronic Kidney Disease, Kid Int 2013
Topics
ü Eingrenzung des Themas

ü Was ist eigentlich eine normale Nierenfunktion?

• Medikamente und Niere – am Beispiel der Schmerztherapie
   – Medikamentöse Nierenschäden
   – Veränderte Pharmakokinetik

• Take home messages
WHO Stufenschema der Schmerztherapie

                                     Starke Opiate:
                                     Akkumulation bei NI

             , Tilidin, Tapentadol   Schwache Opiate:
                                     Kaum renale Probleme
                                     NSAR, (Phenacetin):
                                     Nephrotoxizität
Pathophysiologie medikamentöser Nierenschäden
                     1. Dysregulation der
                        glomerulären Hämodynamik
                     2. Nephrotoxizität im engeren
                        Sinne (Tubuluszellschaden)
                     3. Entzündlicher Nierenschaden
                          •   Tubulointerstitielle Nephritis
                          •   Glomerulonephritis (seltener)

                     4.   Vaskulopathie
                     5.   Thrombotische Mikroangiopathie
                     6.   Osmotische Nephrose
                     7.   Intratubuläre Kristallbildung

                                          Cippà & Fehr, Hausarzt Praxis 2010
WHO Klasse 1: NSAR
• Hämodynamische Auswirkungen auf die Niere
   – Konstriktion des Vas afferens à Reduktion der glomerulären Perfusion
     à klinisch: akutes prärenales Nierenversagen
   – Salz- und Wasserretention, Hyperkaliämie

• Akute tubuläre Schädigung
   – Akute Tubulusnekrose (ischämisch oder toxisch)
     à klinisch: akutes Nierenversagen

• Entzündliche Erkrankung der Niere
   – Häufiger: tubulointerstitielle Nephritis
     à klinisch: subakutes Nierenversagen
   – Seltener: Glomerulopathie in Form der Minimal-change Nephropathie
     à klinisch: nephrotisches Syndrom
                                                      Brater, Sem Arthritis Rheum 2002
Dysregulation der glomerulären Hämodynamik

            • Prostaglandine:                • Im Zustand der relativen
              Dilatation Vas afferens        Hypoperfusion führt die Gabe von
            • Angiotensin:                   Prostaglandinhemmern (NSAR)
              Konstriktion Vas efferens      und RAS-Blockern zu einem
            • Resultat: Stabilisierung der   akuten GFR-Abfall
            GFR über einen Blutdruck-        • Resultat: Akutes Nieren-
            bereich von 75-200 mm Hg         versagen (funktionellàstrukturell)
                                               Cippà & Fehr, Hausarzt Praxis 2010
Hinweise für die Praxis
• Welche PatientInnen sind gefährdet für ein akutes
  Nierenversagen durch Prostaglandinhemmer und ACE-
  Hemmer/ARB?
   – Patienten mit Hypoperfusion der Nieren
        • Hypovolämie (Dehydratation, Diuretika, Durchfall, Sepsis, Schock, ...)
        • Herzinsuffizienz, Leberinsuffizienz, nephrotisches Syndrom
   – Vorbestehende Niereninsuffizienz

• Ein Wort zu ACE-Hemmern/ARBs in der Niereninsuffizienz
   –   Indiziert zur Nephroprotektion (V.a. bei Diabetes / hoher Proteinurie!)
   –   Kreatinin und Kalium 1-2 Wochen nach erster Gabe kontrollieren!
   –   Kreatininanstieg bis 25% tolerierbar
   –   Kombination mit Prostaglandinhemmern (NSAR!) VERMEIDEN!
WHO Klasse 3: starke Opioide
• Prototyp: Morphin
   – Metabolisiert in der Leber zu Morphin-3-Glukuronid, Morphin-6-
     Glukuronid und Normorphin
   – Alle Metaboliten werden renal ausgeschieden und akkumulieren in der
     Niereninsuffizienz
   – Deshalb NICHT empfohlen bei Niereninsuffizienz, bzw nur mit
     substantieller
     Dosisanpassung
     (Table 1)

                                                         Dean, J Pain Sympt Man 2004
Überblick über die wichtigsten starken Opioide
Opiat        Präparat ® Halbwerts- Protein- Clearance         Empfohlen        Empfohlen
                        zeit       bindung                    bei CKD          bei Dialyse
Morphin      Morphin,    2-4h      35%        Renal           Nein             Nein
             MST                                                               (dialysierbar)
Oxycodon     Oxynorm,    4.5h      45%        Renal           Nein             Nein
             Oxycontin
Tapentadol   Palexia     4h        20%        Vorwiegend      Ja, aber nur
                                              renal           bis mittel-
                                                              schwere CKD
Hydro-       Palladon    2.6h      7.5%       Vorwiegend      Ja, Dosis-       Vorsicht
morphon                                       hepatisch       anpassung        (dialysierbar)
                                                              bei GFR
Schmerztherapie bei schwerer Niereninsuffizienz
Empfehlungen aus dem Schmerzkonzept Innere Medizin KSGR

 Stufenschema bei fortgeschrittener chronischer Niereninsuffizienz (GFR < 30 ml/min).

                                                                        Alternativen:
                                                                        Tapentadol, Methadon

                                      Camartin, Merkblatt Schmerzbehandlung Innere Medizin KSGR, 2012
Take home messages
• Die Nierenfunktion wird mit der errechneten GFR abgeschätzt.
• Physiologischer (Alters-bedingter) Abfall der GFR = 0.5 ml/y;
  CAVE: Überdiagnose CKD im Alter
• Die Prognoseabschätzung bei chronischer Niereninsuffizienz
  erfolgt zweidimensional: eGFR und Albuminurie

• Schmerzen / chronische Niereninsuffizienz / Hypertonie ist einer
  der häufigsten Multimorbidity Clusters.

• Niere und Medikamente am Beispiel Schmerztherapie
   – Nephrotoxizität von NSAR gehäuft bei intravasalem Volumenmangel bei
     aller Art vorbestehender Niereninsuffizienz
   – Akkumulation von Opioiden bei Niereninsuffizienz; Opioide der Wahl
     sind deshalb: Fentanyl, Methadon, Hydromorphon (Dosishalbierung)
Danke!
Fragen?   thomas.fehr@ksgr.ch
Sie können auch lesen