Mystik und Christentum - Evangelisch-reformierte ...

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Mystik und Christentum - Evangelisch-reformierte ...
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                                                                                  Post CH AG
Kirchenblatt für die Evangelisch-reformierten Kirchgemeinden beider Appenzell    AZB 9100 Herisau

                                                                         Januar 2022 Nr.1 109. Jahrgang

                                sung
       e u e K irc henverfas                e
     N
                   a n d e r H erbstsynod
     Behandelt
                                                          Mystik und Christentum
                                           ite 10
                            m   ehr auf Se
      
Mystik und Christentum - Evangelisch-reformierte ...
Biblische Betrachtung

Es brennt und verbrennt doch nicht
                Der unverbrennbare Dornbusch, Exodus 3: «Mose                       müssen vor Gott das Loslassen unserer Vorurteile ler-
                erschien der Engel des Herrn in einer Flamme, die                   nen. Er ist und bleibt transzendent, für unser Greifen
                aus einem Dornbusch emporschlug. Er schaute hin:                    unerreichbar.
                Da brannte der Dornbusch und verbrannte doch                           Der Königsweg zu Gott ist der Weg der Liebe. Ein
                nicht.»                                                             liebendes offenes Herz kann tiefste geistige Erfahrun-
                                                                                    gen geschenkt bekommen, wie Mose vor dem Dorn-
               In dieser tiefen Erfahrung einer geistigen Präsenz – er              busch. Die Liebe kann ohne Angst loslassen, weil sie
               erfährt die göttliche Energie, welche in der Bibel Engel             sich getragen weiss, weil sie weiss: Ich bin. Und ich
               genannt wird – fragt Mose nach dem Namen Gottes.                     bin darum, weil der «Ich bin da» alles erfüllt. In ihm
               Und die Antwort heisst in einigen Bibelübersetzungen:                finde ich die höchste Freiheit. Sobald ich dabei aber die
               «Ich bin, der ich bin.» Martin Buber übersetzt: «Ich-                Liebe vergessen sollte, pervertiert die Freiheit zum
               bin-da». Mose soll dem Pharao sagen, «Ich bin da» hat                Machtmissbrauch.
               mich gesandt. Damit ist Gottes unsichtbare Gegenwart                    Nicht von ungefähr muss Mose seine Schuhe vor
               gemeint. Und in diesem Paradox des unverbrennbaren                   dieser heiligen Gegenwart ausziehen. Er darf nicht mit
               Dornbusches, der brennt, wird diese kraftvolle aber                  seinen vertrauten Vorstellungen in Gottes Vorgarten
               unsichtbare Gegenwart sehr schön zum Ausdruck ge-                    hineintrampeln. Wenn er die Stimme Gottes hören
               bracht. Mose wird in diese kraftvolle wache Gegenwart                können will, muss er sich von allem freimachen, was
               hineingenommen. Es entsteht ein Dialog. Der Ichbinda                 ihn davon trennt: Von seinem Sicherheitsbedürfnis,
               ist jetzt auch in seinem Herzen erwacht.                             das gute Schuhsohlen ihm geben, von seinem unsen-
                                                                                    siblen Auftreten in Schuhen. Barfuss wird man be-
                                                                                    scheidener und zarter im Auftreten. Er muss lernen,
                                                                                    dass er als begrenzter Mensch nie einen Grund zu ar-
                                                                                    rogantem Auftreten hat. So entwickelt er ein demüti-
                                                                                    ges aber doch aufrechtes Selbstbewusstsein. Er weiss
                                                                                    sich angesprochen, geliebt. Darum wagt er jetzt die
                                                                                    nächsten mutigen Schritte.
                                                                                       Wenn ich diese Geschichte vom Dornbusch lese,
                                                                                    habe ich immer mehr den Eindruck, dass es sich zur
                                                                                    Hauptsache um eine innere Erfahrung im Herzen von
                                                                                    Mose handelt. Gott ist bildlos. Und doch im liebenden
                                                                                    Herzen vernehmbar, weil der Mensch zur Liebe be-
                                                                                    fähigt ist.
                                                                                       Die Altersgenossin von Meister Eckhart: Margarète
                                                                                    Porête wurde in Paris 1310 auf dem Scheiterhaufen
                                                                                    verbrannt, weil sie ein Buch geschrieben hat über ihre
                                                                                    innigste Herzenserfahrung mit der göttlichen Liebe,
                                                                                    die sie radikal verändert hat. Sie sagt, wenn ein Herz
                                                                                    in Liebe mit Gott verbunden ist, weiss es alles, was
                                                                                    wesentlich ist. Da braucht es keine Dogmen mehr. Sie
                                                                                    hat die Schuhe ausgezogen und den Gott der Liebe er-
                                                                                    lebt, der weder fassbar noch berechenbar ist und oft
                                                                                    paradox erscheint.
Es brennt und verbrennt doch nicht. Das Heilige ungegenständlich sinnenhaft.           Was einzig zählt ist die Liebe, die uns mit dem Leben
Paradoxie als Ausdrucksmittel für nicht Darstellbares. Quelle: Markus Grieder       und der Auferstehung verbindet. Alles Greifbare wie
                                                                                    gute Schuhe, schöne Kleider, Bildung usw. verblassen
                Das Besondere am jüdischen und christlichen Glau-                   vor diesem ICH BIN DA. Mose musste all seine Sicher-
                ben ist der persönliche Gott. Jesus nennt ihn Papa, so              heitsbedürfnisse aufgeben und einzig dieser geistigen
                vertraulich wie ein Kind seinen Vater ruft. Und trotz-              Gegenwart Gottes vertrauen.
                dem gilt für Juden und Christen das Bilderverbot, weil
                jede Vorstellung zu wenig ist und darum falsch. Wir                                         Markus Grieder, Pfarrer in Urnäsch

MAGNET Nr.1/2022                                                                2
Mystik und Christentum - Evangelisch-reformierte ...
Editorial

          Impressum                 Liebe Leserin,
 Kirchenblatt für die Evan-
 gelisch-reformierten Kirch-        lieber Leser
 gemeinden beider Appenzell
 (erscheint monatlich)              Wie glauben Sie?
 Herausgegeben im Auftrag
 der Synode der Evangelisch-
                                    Eine einfache Frage, die jedoch etwas in sich trägt, das nicht
 reformierten Landeskirche          stimmig erscheint. Die gewohnte Frage lautet: Was glauben Sie?
 beider Appenzell
                                    Der Unterschied zwischen den beiden Fragen ist fundamental.
 Redaktionskommission
 Judith Husi­stein, Stein (jh);
 Isabelle Kür­steiner, Walzen-      Ich behaupte nun einfach mal ganz keck, dass es diesem Jesus     Heinz Mauch-Züger, Mitglied
 hausen (iks); Heinz Mauch-                                                                          der Redaktionskommission
 Züger, Stein (hmz); Jonathan       wichtiger war, mit den Menschen, denen er begegnete, über das
 Németh, St.Gallen (jn); Annette    «Wie» zu sprechen und nicht über das «Was». Die Geschichten,
 Spitzenberg, Reute-Oberegg (as);
 Lars Syring, Präs., Bühler (sy)    die er erzählte, waren «Wie-Geschichten »und keine «Was-
 Redaktion                          Geschichten».
 Karin Steffen (ks)
 Oberer Rickenbach 3
 9411 Schachen b. Reute             «Wie» stellt das konkrete Handeln ins Zentrum. Rechtgläubig-
 Tel. 071 891 64 14                 keit zeigt sich im «Wie» ganz alltäglich in dem, was sich als
 magnet@ref-arai.ch
 Magnet-Download                    gelungen oder verfehlt erweist. «Wie-Lernen» ist Erfahrungs-
 www.ref-arai.ch                    lernen. Auf der «Was-Seite» stehen bei diesem Jesus die Pha-
 Produktion                         risäer. «Was» bezieht sich auf Vorgaben, die man wissen sollte
 Appenzeller Druckerei AG,
 9100 Herisau                       oder gar wissen und einhalten muss. Rechtgläubigkeit auf der
 Adressänderungen melden            Basis von «Was» tendiert zur Ideologie und zum Fundamenta-
 Sie bitte direkt der örtlichen
 Kirchgemeinde
                                    lismus.
 WEMF
 Beglaubigte Auflage 3300           Wie glauben Sie? Natürlich, so ganz trennen lässt sich das
 Magnet online
 www.magnet.jetzt
                                    «Wie» vom «Was» nicht. Das ist eines dieser Spannungsfelder,
 www.ref-arai.ch                    in die das menschliche Leben eingebunden ist. In einer Wis-
                                    sensgesellschaft besteht jedoch die Gefahr, dass das «Was»
                                    unverhältnismässig dominiert. Wissen generiert Handlungen
                                    und Verhalten, das erscheint zentral. Es geht jedoch auch um-
                                    gekehrt. Verhalten und handeln generieren Wissen. Jahrtau-
                                    sendelang lebte der Mensch so – unser Hirn ist so gebaut.

                                    Wie glauben Sie? Die Reaktionskommission lädt Sie ein, in
                                    diesem Jahr ihren Glaubensstil neu zu entdecken und zu akti-
                                    vieren. Mit unseren Beiträgen laden wir Sie ein zur Auseinan-
                                    dersetzung jenseits dogmatisch verordneter Wahrheiten von
                                    welcher Seite auch immer. Im Sinne der Geschichten, die Jesus
                                    erzählt hat. Am Ende heisst, wie glauben Sie, ganz «einfach»:
                                    Wie leben Sie?

                                    Ein gutes Leben 2022 Ihnen und Ihren Mitmenschen!
                                    … das wünscht Ihnen die Redaktionskommission

Titelbild: Mystik is Magic
Bild: Jonathan Németh

                                                             3                                                  MAGNET Nr.1/2022
Mystik und Christentum - Evangelisch-reformierte ...
Thema

                        «Ich bin ein Weib –
                     und obendrein kein gutes»
                So lautet der provokative Titel eines Buches über               chen Widerstand ebenfalls in Ávila das Klausurkloster
                Teresa von Ávila, spanische Mystikerin (1515–1582).             San José. Viele weitere Klostergründungen von ihr folg-
                                                                                ten, auch Männerklöster. Wenn eine Nonne eintrat,
                Der Titel ist eine Selbstaussage. Doch war es vielleicht        achtete sie immer auf ihre Berufung, nicht auf ihre alt-
                auch ein wenig Schlauheit angesichts der spanischen             katholische oder gar adelige Herkunft und auch nicht
                Inquisition? Denn an anderer Stelle sagt sie: «Es sind          auf den Reichtum, den sie mitbrachte. Sie schrieb theo-
                nämlich viel häufiger die Frauen als die Männer, denen          logische Werke, die sie klugerweise sofort an die Inqui-
                der Herr seine Gnade mitteilt. Ich habe das selbst be-          sition sandte (eines über das Hohelied der Liebe wurde
                obachtet und hörte es auch den Heiligen Fray Pedro de           denn auch nicht freigegeben), sie stand im Kontakt mit
                Alcántara sagen.» Ihr ist es zu verdanken, dass Frauen          den grössten Theologen ihrer Zeit, gehörte zu den gros-
                Zugang hatten zur Kontemplation. Es gab damals in               sen Reformerinnen der Kirche und wurde als erste Frau
                Spanien Bestrebungen, den Frauen, auch den Nonnen,              überhaupt 1970 zur katholischen Kirchenlehrerin er-
                nur das Chorgebet zu erlauben. Für das innere Gebet
                seien sie zu schwach.

                Beschwerlicher Weg                                                  Die Seele gleicht einem Kristall,
                Teresa belehrte sie eines Besseren. Doch es war ein                 der in grosser Reinheit und
                Weg voller Hindernisse und Dornen. Heiraten war für
                die junge Halbwaise keine Option, also trat sie ins Kar-            Klarheit leuchtet.
                melitinnenkloster ein. Ihr Vater stammte aus einer so-
                                         genannten Conversofamilie,
                                         seine Vorfahren waren zwangs-          nannt. Bei uns hat sie Eingang gefunden im Reformier-
                                         bekehrte Juden. 1492 wurde             ten Gesangbuch RG mit dem Taizélied 706, ihrem be-
                                         ganz Spanien zurückerobert             rühmtesten Gedicht: «Nada te turbe».
                                         und alle, die nicht katholisch
                                         waren, Juden und Mauren                Gottes Liebe in der Tiefe der Seele erfahren
                                         (Muslime) mussten sich ent-            Bereits als Studentin hat mich diese mutige Frau beein-
                                         weder taufen lassen oder aus-          druckt, sie war wegweisend dafür, dass auch ich meine
                                         wandern unter Zurücklassung            Heimat in der Mystik fand, einen Weg, Gottes Liebe in
                                         allen Hab und Guts. Den Ge-            der Tiefe der Seele zu erfahren. Diese Erfahrung nannte
                                         tauften hing jedoch das Stigma         Teresa die Unio Mystica, die mystische Vereinigung der
                                         an, keine richtigen, altkatholi-       Seele mit Gott, gleich einer inneren Hochzeit. Sie er-
                                         schen Christen zu sein. Sie            lebte, dass zuinnerst in der Seele ein Ort ist, wo Gott
                                         standen unter misstrauischer           respektive Christus und die Seele eins sind. Sie ver-
                                         Beobachtung der Inquisition            glich die Seele mit einem Kristall, der in grosser Rein-
                                         und Teresas Grossvater musste          heit und Klarheit leuchtet. Doch dieser Kristall ist ge-
                                         im Büsserhemd durch Toledo             mäss Teresa verdunkelt, da gibt es viel an Schmutz und
                                         laufen. Man kaufte sich ge-            Unrat, bis wir schliesslich wieder Zugang finden zur
Teresa von      fälschte Adelspapiere, um solche Mängel zu überde-              ursprünglichen Klarheit der Seele, dem Ort reiner
Ávila wurde     cken und Teresa pflegte in ihrem Kloster deswegen re-           Liebe und Unversehrtheit. Ihre Erkenntnisse haben
als erste       gen gesellschaftlichen Umgang. Doch das befriedigte             zeitlose Gültigkeit. Wenn ich Menschen begleite, die
Frau zur
                sie nicht. Sie rang und betete und eines Tages kam der          ganz schwierige Erlebnisse gemacht haben, ist es sehr
katholischen
Kirchenlehre-   Durchbruch. Weinend brach sie zusammen und spürte               heilsam, um diesen unverletzlichen, heilen Kern zu
rin ernannt.    ihre Berufung zum kontemplativen Gebet.                         wissen, mag er auch noch so tief verschüttet sein. Ak-
Quelle: as                                                                      tuell ist eine weitere Erkenntnis von ihr: «Wenn die
                Reformerin der Kirche                                           Gier nach Geld und Macht nicht wären, sähe die Welt
                Doch ihr Kloster glich einem Taubenschlag. Und daher            erlöster aus».
                kehrte sie zurück zu den ursprünglichen Regeln des
                Karmel, gründete mit Gleichgesinnten gegen erhebli-                                                 Annette Spitzenberg

MAGNET Nr.1/2022                                                            4
Mystik und Christentum - Evangelisch-reformierte ...
Thema

         Mystik macht den Alltag
               wundervoll
Mystik begleitet uns durch den Alltag, davon bin ich            dies: Inmitten eines Gesprächs werde ich plötzlich et-
fest überzeugt. Es gilt einzig, sie wahrzunehmen. Na-           was gefragt und antworte ohne nachzudenken. Es
türlich kann die Sensibilität gegenüber mystischen              spricht sozusagen. Die Antwort ist im Nachhinein ge-
Momenten auch trainiert werden.                                 sehen wertvoll und richtig. Nie aber hätte ich so geant-
                                                                wortet, wenn ich zuerst darüber nachgedacht hätte.
Das Telefon läutet, ich weiss wer dran ist noch bevor
ich abnehme. Plötzlich denke ich intensiv an jeman-             Macht das Leben wertvoller
den. Da sollte ich anrufen. Mein Kopf lässt es aber             Alltagsmystik ist überall. Wer mit geschärften Sinnen
nicht zu. Später erfahre ich, dass mein Anruf wichtig           durchs Leben geht und seinem Bauchgefühl vertraut,
gewesen wäre. Kennen Sie das auch? Ist Ihnen solches            erhält damit eine wunderbare Hilfe. Absolut faszinie-
schon passiert?                                                 rend finde ich Krähen, die den Weg weisen. Einst las
                                                                ich von Menschen in Tibet, denen Krähenvögel den
Intuition zulassen                                              Weg zeigen. Das probierte ich sofort aus und es funkti-
«Lass dir deine Intuition von niemandem ausreden, das           oniert seit Jahren. Ich denke intensiv an mein Ziel,
ist eine deiner Stärken», so verabschiedete sich einer          frage die Krähen in Gedanken um Hilfe und sie sitzen
meiner Chefs, ein Arzt. Das tönte so ganz anders als in         dann jeweils am Wegesrand. Folge ich ihnen, finde ich
meiner Kindheit. «Si hät halt e grossi Fantasii», hiess         auch Punkte, die ich zuvor nicht gekannt habe.
es da oft. Einzig Mama unterstützte diese Aussage nie.
Als ich ungefähr dreissig Jahre alt war, erzählte sie von       Entspannt funktioniert es
ihren häufigen mystischen Alltagserlebnissen. In der            Wie schon beim Lesen von Steinen – ich habe im Ma-
Kindheit hatte wohl ihr Hausarzt nicht von ihrer gros-          gnet schon darüber geschrieben – funktioniert meine
sen Fantasie gesprochen, sondern von einem Kind, das            Intuition im Alltag nur bei guter Entspanntheit. Ge-
über kurz oder lang therapiert werden müsse. Das                stresst passiert gar nichts. Wichtig für mich ist, dass ich   Krähen – hier
hatte sie in Angst und Schrecken versetzt, sodass sie           immer auf mein Bauchgefühl achte. Das geht einmal             eine Dohle –
mehr als vierzig Jahre nicht mehr über ihr Erlebtes             besser und dann wieder weniger gut. Somit ist einer           zeigen den
                                                                                                                              Weg bis zum
sprach.                                                         meiner Lernstoffe, dass ich meiner Intuition immer
                                                                                                                              Ziel immer
                                                                vertraue. Voll und ganz, dann wird der Tag im wahrsten        zuverlässig
Ihr Wissen hätte mir gut getan                                  Sinne wundervoll.                                             an.
Eins hatte Mama dabei nicht bedacht, nämlich, dass es                                                   Isabelle Kürsteiner Quelle: iks
mir sehr gut getan hätte, wenn ich gewusst hätte, dass
es anderen auch so geht wie mir. Wenn ich zum Bei-
spiel ins Haus lief, weil ich wusste, dass gerade jetzt

Lass dir deine Intuition von
niemandem ausreden, das ist
eine deiner Stärken.

das Telefon läuten würde und meine Gotte dran war.
Oder dass ich immer wieder das Gefühl habe, ich
müsste jetzt unbedingt diese oder jenen anrufen. Mein
Bauchgefühl verursacht in seiner Dringlichkeit ein
kribbeliges Gefühl. Ich bin überzeugt, dass Mystik zum
Leben gehört wie atmen oder essen. Die Frage ist nur,
lassen wir sie zu? Am weitaus Spannendsten finde ich

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Mystik und Christentum - Evangelisch-reformierte ...
Thema

                                Das Bilderverbot
                             der reformierten Kirche
                  Die reformierte Kirche versteht sich als Kirche des            Die Überwindung des Bildverbotes wurde möglich,
                  Wortes. Ihre sakralen Bauten zeichnen sich durch               weil die Christen der ersten Jahrhunderte zur Überzeu-
                  «Bilderlosigkeit» aus, durch Predigträume, die von             gung gelangten, dass durch Gottes neuen Bund mit den
                  Kanzel und Taufstein dominiert werden und in der               Christen, der an die Stelle des alten Bundes mit den
                  Regel auf Bilder und figürliche Darstellungen ver-             Juden trat, auch das Bilderverbot von Ex 20 seine Ver-
                  zichten. In letzter Zeit jedoch ist eine zaghafte Rück-        bindlichkeit verlor. Zugleich wurde das Argument
                  kehr der Bilder in die Kirchen zu verzeichnen – zum            überwunden, dass Hervorbringungen des menschli-
                  Beispiel im Zusammenhang mit Neugestaltungen der               chen Schaffens nicht Träger religiöser Aussage sein
                  Gottesdiensträume oder im Rahmen temporärer
                  Ausstellungen. Diese Entwicklung bietet Anlass, sich
                  selbst Rechenschaft abzulegen, ob und inwiefern
                  sich Bilder und reformierter Glaube vertragen.
                                                                                     Das Verbot richtet sich gegen
                                                                                     kultische Bilder, denen religiöse
                  Um zu einer differenzierten Antwort bezüglich der Bil-
                  derfrage zu gelangen, wird es sich als hilfreich erwei-            Mächtigkeit zukommt.
                  sen, einen kurzen Streifzug durch die Geschichte des
                  christlichen Umgangs mit Bildern und Bildverboten zu
                  unternehmen.                                                   können. Im Osten wie im Westen gelangte man auf-
                                                                                 grund einer «Urbild-Abbild-Theorie» zur Einsicht, dass
                                                                                 Materie Träger göttlicher Wahrheit und Wirklichkeit
                                                                                 sein kann.
                                                                                    Die christliche Hinwendung zu den Bildern blieb
                                                                                 jedoch nie unumstritten. Zahlreiche Konzile, Dekrete
                                                                                 und theologische Streitschriften zeugen von einer
                                                                                 durch alle Jahrhunderte lebhaft geführten Diskussion.
                                                                                 Dennoch hatte der grosse Bilderstreit im 8. Jahrhun-
                                                                                 dert eine dogmatische Sanktionierung der Bilder zu-
                                                                                 folge und führte zu einem gewaltigen Aufschwung der
                                                                                 Bildkunst. So kam es, dass sich am Vorabend der Refor-
                                                                                 mation auch in der Eidgenossenschaft ein regelrechter
                                                                                 «Markt» der Bilderkunst etabliert hatte, der kaum mehr
                                                                                 zu überschauen war. In Kirchen und Privathäusern, an
Prediger-         Die Geschichte des christlichen Bildes                         Weggabelungen oder Wallfahrtsorten standen Statuen,
kirche in         und Bildverbotes                                               Kruzifixe, Gemälde und Schreine. Mit diesen Bildern
Zürich, 2007.
                  Das christliche Bilderverbot ist ein Erbe des Judentums        verbunden waren Gesten und kultische Handlungen:
Quelle:
Architekturbüro   und bezieht sich in erster Linie auf den Dekalog in Ex         sich Bekreuzigen, Küssen der Gegenstände, Bespren-
Fässler +         20: «Du sollst dir kein Gottesbild machen.» Die ersten         gen mit Weihwasser, Räuchern und Beten. Die An-
Partner AG
                  christlichen Gemeinden betrachteten die Verwendung             schaffung und der Unterhalt dieses Zeremonienappara-
                  von «Götterbildern» als heidnisches Brauchtum und              tes waren mit erheblichen Kosten verbunden. Die Mit-
                  waren überzeugt, dass Gottes Geistigkeit und Unfass-           tel dazu stammten aus freiwilligen Spenden, aus Zin-
                  barkeit keine bildliche Darstellung zulasse. Doch schon        sen- und Zehntenabgaben der Landbevölkerung.
                  für das 3. Jahrhundert ist christliche Bildkunst konsta-
                  tierbar und im Laufe des 4. Jahrhunderts entwickelt            Reformatorische Neubewertung
                  sich diese zu einer weithin anerkannten Kirchenkunst.          Im Zuge der Reformation entfachte sich die Diskussion
                  Im Osten wurde das christliche Bild so schliesslich zur        um die Bilder erneut. Aufgrund intensiver Bibellektüre
                  «Ikone», während der Westen den Bildern zunächst               und den daraus errungenen reformatorischen Grund-
                  eher pädagogische Bedeutung zumass. Im Spätmittelal-           prinzipien sola scriptura, sola fide, solus Christus, sola
                  ter jedoch erfuhr die Bildverehrung auch im Westen             gratia (allein die Schrift, allein durch Glauben, allein
                  starken Aufschwung und eine ganz eigene Ausprägung.            wegen Christus, allein aus Gnade) wurde die überkom-

MAGNET Nr.1/2022                                                             6
Thema

mene Tradition in Frage gestellt. Der durch evangeli-
sche Predigten hervorgerufene innere Gesinnungs-
wandel der Bevölkerung rief das Verlangen nach äusse-
rer Veränderung der Praxis hervor. In Deutschland und
der Eidgenossenschaft kam es zu ersten Bilderstürmen:
tumultartige Ausräumung von Kirchen, Zerstörung von
Statuen, Bildern und liturgischen Geräten. Die Refor-
matoren Luther, Zwingli und Calvin wandten sich alle-
samt gegen die ungeordnete Zerstörung der religiösen
Bilder, waren sich in deren grundsätzlicher Ablehnung
jedoch einig.
   Während Luther vor allem die damit verbundene
Werkgerechtigkeit anprangerte, dachte Calvin eher
von der Ehre und Majestät Gottes her und verurteilte
deren Verletzung durch eine bildliche Darstellung. Für
Zwingli war die Unterscheidung von Fleisch und Geist
                                                                                   Mona Velinsky (37) ist Doktorandin und Assisten-
von zentraler Bedeutung: «Gott ist Geist, und alle, die                            tin am Lehrstuhl für Theologie- und Kirchenge-
ihn anbeten, müssen im Geist und in der Wahrheit an-                               schichte von der Reformation bis zur Neuzeit
beten.» Für den Zürcher Reformator waren, anders als                               am Institut für Schweizerische Reformations-
für Luther, die Bilder keine adiaphora (nicht verbotene                            geschichte Universität Zürich.
«Mitteldinge»), dennoch sprach er sich nicht für ein
generelles Bilderverbot aus. Für ihn galten aufgrund
der Schrift nur diejenigen Bilder als Gräuel, die Ob-                            der die folgenden Gebote, auch das Bilderverbot, ver-
jekte der Anbetung waren. Zwingli warnte davor, dass                             standen werden sollen: «Ich bin Jahwe, dein Gott, der
ein harmloses Bild schnell zum Idol werden könne und                             dich herausgeführt hat aus dem Land Ägypten, aus ei-
beharrte darauf, dass wahrer Glaube aus der Predigt                              nem Sklavenhaus.» Hier wird deutlich, dass sich die
und nicht aus der Kontemplation von materiellen Bil-                             Gebote an ein freies Volk richten, das seine Freiheit
dern komme. In Zürich kam es nach der ersten Phase                               Gottes Handeln verdankt. Für Zwingli war Freiheit ein
von spontanen Bildschändungen zu einer geordneten                                tragender Begriff seiner ganzen Theologie. Durch das
Bildentfernung hinter verschlossenen Türen. Rechtmäs-                            Verbot der Bilder wollte er die Freiheit des unverfügba-
sige Eigentümer durften ihren Besitz nach Hause ho-                              ren Gottes wahren – ein Gott, der sich in souveräner
len; der Rest wurde entfernt, übermalt, zerstört oder                            Freiheit den Menschen durch sein Wort offenbart, zum
veräussert.                                                                      Menschen in Beziehung setzt. Im Hören auf sein Wort
                                                                                 wird der Mensch seinerseits zu einer Freiheit berufen,
                                                                                 die ihn unabhängig von allen äusserlichen, menschli-
                                                                                 chen Dingen macht. In Ex 20 wird deutlich, welche
                                                                                 spezifische Art von Unfreiheit durch das Bilderverbot
                                                                                 verhindert werden soll: «Du sollst dir kein Gottesbild
                                                                                 machen noch irgendein Abbild von etwas, was oben im
                                                                                 Himmel, was unten auf der Erde oder was im Wasser
                                                                                 unter der Erde ist. Du sollst dich nicht niederwerfen vor
                                                                                 ihnen und ihnen nicht dienen.» Das Verbot der Bilder
                                                                                 richtet sich damit nicht gegen jegliches Bild, sondern
                                                                                 gegen kultische Bilder, denen religiöse Mächtigkeit zu-
                                                                                 kommt und die den Menschen gefangen nehmen, in-
Illustrierte Reformationschronik Bullingers von 1605/06: Klaus                   dem zwischen ihm und Gott ein Drittes errichtet wird.
Hottinger und seine Gehilfen stürzen das Kruzifix in Stadelhofen.                   So darf sich die reformierte Kirche auch heute noch
Quelle: Kopienband zur zürcherischen Kirchen- und Reformationsgeschichte
                                                                                 im Anschluss an die Reformatoren und im Lichte von
                                                                                 Ex 20 als zur Freiheit in der Gestaltung aller äusserli-
Der Kerngehalt des Bilderverbotes                                                chen Dingen berufen verstehen – aber auch zur kriti-
Um nun zur Ausgangsfrage zurückzukehren und noch                                 schen Wachsamkeit gegenüber menschlichem Bestre-
einmal festzuhalten: Den Reformatoren ging es nicht                              ben über Gott verfügen zu wollen, gegenüber einer
um ein generelles Bilderverbot. Zwingli selbst bekun-                            Verwischung der Grenze zwischen Bild und Gott, ge-
dete einst sogar seine Freude an schönen Gemälden                                genüber der Gefahr, als Kirche des Wortes in einem
und Statuen. Das Anliegen der Reformatoren war kein                              Kult um die Bilder Gottes Wort nicht mehr zu hören
ästhetisches, sondern ein religiöses. In der Präambel                            und so ihre Freiheit wieder zu verlieren.
des Dekalogs wird die Voraussetzung formuliert, unter                                                                         Mona Velinsky

                                                                             7                                                          MAGNET Nr.1/2022
Thema

                                        Gott los werden
                                          Selbstgespräch eines Landpfarrers. Teil 734

             Guten Tag Herr Syring, wie geht’s, wie steht’s?               das: «Ich muss jetzt die Kinder unterstützen, weil sie
                                                                           in Zukunft mal meine Pension zahlen und mich viel-
             Och. Wir wollen zufrieden sein.                               leicht pflegen, wenn ich Hilfe brauche.» Das ist nicht
                                                                           fair. Damit stelle ich jetzt schon Bedingungen. Ich
             Wollen Sie das wirklich?                                      möchte ja grundsätzlich, dass sich jeder Mensch frei
                                                                           entscheiden kann. Und ich lebe jetzt. Genauso wie die
             Klar! Warum denn nicht?                                       Kinder. Und Sie auch! Jetzt ist der Moment, in dem wir
                                                                           miteinander unterwegs sind. Und das gilt es zu gestal-
             Ist das eine Willensentscheidung? Geht das? Kann ich          ten, ohne Zweck. Ich habe da viel von Meister Eckhart
             mich entscheiden, zufrieden zu sein?                          gelernt?

             Ja, sicher. Ich entscheide doch jeden Tag auf’s neue,         Erzählen Sie mehr!
             wie ich leben will. Und wenn ich den Tag mit der Vor-
             Entscheidung «Ich bin zufrieden» beginne, ist vieles
             einfacher. Denn das gibt mir ja auch eine Perspektive.
             Wenn ich merke, dass ich trotzdem unzufrieden bin,
             kann ich etwas ändern. An mir. An der Situation. Was
             auch immer. Da gibt es immer Möglichkeiten. Nichts
             ist alternativlos. Ausser der Tod, vielleicht. Und so
             muss ich mich auch nicht in ständigen Kämpfen verlie-
             ren. Ich bin dann raus aus dem Überlebenskampf-
             modus. Das Reptiliengehirn kann Pause machen.

             Das klingt so einfach, wenn Sie das sagen. Ist das
             nicht eine ziemliche Überforderung? Ich habe manch-
             mal den Eindruck, wir Menschen haben eine Ten-
             denz, uns in unseren Problemen ganz gut einzurich-
             ten. Und ich kenne viele Menschen, die gar nicht wol-
             len, dass ihre Probleme gelöst werden.
                                                                           Meister Eckhart war ein schlauer Fuchs. In der Wende       Predigerkir-
             Das ist ihr gutes Recht. Und, bedenke, es ist ihre Ent-       vom 13. zum 14. Jahrhundert war der Dominikaner-           che in Erfurt.
                                                                                                                                      Wirkungs-
             scheidung! Ich hoffe, Sie haben die Entscheidung be-          mönch unterwegs in Europa und hat an berühmten
                                                                                                                                      stätte von
             wusst getroffen.                                              Universitäten gelehrt und in Kirchen und Klöstern ge-      Meister
                                                                           predigt. Und das nicht nur auf Latein, so wie das damals   Eckhart.
             Sind Sie denn nie unzufrieden?                                üblich war, sondern auch auf Deutsch. Und so hat er        Quelle: sy
                                                                           den wunderbaren mittelhochdeutschen Begriff «sunder
             Naja. Manchmal bin ich schlecht zufrieden. [Er grinst]        warumbe» geprägt. Das war seine Lebenseinstellung.
             Neulich zum Beispiel. Ich war in der Heimat unter-            Er meint damit ein Leben «ohne warum», wie wir das
             wegs zu einem Gottesdienst. Und da lief gerade die            heute sagen würden. Also ein Leben, ohne den Ertrag,
             Radioandacht. Und der Mann im Radio sagte: «Die Kin-          Aufwand und Erfolg zu berechnen. Es muss nicht alles
             der sind unsere Zukunft!» Das betonte und wieder-             irgendeinem Zweck dienen. Eckhart meint übrigens
             holte er mehrmals.                                            auch, dass unsere Beziehung zu Gott «ohne warum»
                                                                           sein solle.
             Und das hat sie geärgert? Er hat doch Recht.
                                                                           Was heisst das konkret? Hat er ein Beispiel gebracht?
             Naja. Ich finde, Kinder sind unsere Gegenwart. Hier
             und heute leben wir mit Kindern. Hier und heute sind          Jaha. [Er lacht.] Er hat Gott mit einer Kuh verglichen.
             wir dafür verantwortlich, ihnen ein lebenswertes Le-          Er schreibt: «Aber manche Leute wollen Gott mit den
             ben zu ermöglichen. Wenn ich sage, sie sind «unsere           Augen ansehen, mit denen sie eine Kuh ansehen, und
             Zukunft», dann verzwecke ich die Kinder. Dann heisst          wollen Gott lieben, wie sie eine Kuh lieben. Die liebst

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Thema

du wegen der Milch, des Käses und deines eigenen                von mir in meinem Denken über Gott steckt, desto
Nutzens. So halten’s alle jene Leute, die Gott um äusse-        mehr kann ich mit Gott leben. Eckhart weist da einen
ren Reichtums oder inneren Trostes willen lieben; die           ziemlich praktischen Weg. Es geht bei ihm immer um
aber lieben Gott nicht recht, sondern sie lieben ihren          das konkrete Leben. Dieses «Geh aus dir selbst raus»
Eigennutz.»                                                     hat etwas sehr Dynamisches. Auf dem Weg werde ich
                                                                immer durchlässiger, wenn Sie so wollen. Und je
Und wie sollen wir Gott dann stattdessen lieben?                durchlässiger ich werde, desto klarer weiss ich, was ich
[Er macht grosse Augen.]                                        zu tun habe. Ich nehme wahr, was ist. Ohne zu bewer-
                                                                ten. [Er macht eine kurze Pause.] Und dann kann ich
Naja. Wie lieben Sie denn ihre Frau? [Er schaut ihn er-         anders handeln. Dann bemerken Sie, was Dorothee
wartungsvoll an.] Die lieben Sie ja hoffentlich auch            Sölle in ihrem letzten Vortrag gesagt hat: «Glück ist
nicht aus Eigennutz. Wenn ich sie liebe, macht sie mir          mein Grundgefühl». Das ist sehr schön.
die Wäsche und kocht köstliches Essen.
                                                                In Ihrer Sprache reden Sie doch gerne von der Quelle,
Ne. Ich koche bei uns. Wir haben die Aufgaben auf-              mit der Sie in Kontakt sind.
geteilt.
                                                                Genau. Das ist ein anderes Bild um dasselbe zu be-
Sehen Sie? Das geht doch! Sie lieben ihre Frau, ohne            schreiben. Wenn ich in Kontakt mit der Quelle bin,
eine Gegenleistung zu erwarten. Einfach, weil Sie sie           lebe ich nicht mehr aus mir selbst heraus, sondern aus
lieben. Das ist lieben ohne warum, sunder warumbe.              dem Quellgrund. Aus Gott, in Gott. Bei Eckhart ist das
                                                                die Gottesgeburt im Seelengrund eines jeden Men-
Nochmal: Und wie liebe ich Gott?                                schen. Er schreibt: «Der Vater gebiert seinen Sohn
                                                                ohne Unterlass […] Er gebiert mich als seinen Sohn
[«Er ist hartnäckig», denkt er.] In dem Sie Gelassenheit        und als denselben Sohn». Er sagt, Gott sei nicht nur
einüben.                                                        «dort» Mensch geworden, als Jesus von Nazareth, son-
                                                                dern «hier wie dort», «und er ist aus dem Grunde
Was heisst das nun wieder?                                      Mensch geworden, dass er auch dich als seinen einge-
                                                                borenen Sohn gebäre und als nicht geringer.»
Naja. Das hat auch viel mit Ihrem Willen zu tun. Es
geht darum, alles, was Sie wollen, was Sie wissen oder          Hebt er da den Unterschied zwischen mir und Gott
haben oder sein wollen, erst einmal los zu lassen. Ma-          auf?
chen Sie sich frei davon. Legen Sie alles beiseite. Das
ist nun wirklich nicht so ganz einfach. «Lass dich!», das       Im Seelengrund ist die Trennung von Gott aufgehoben.
wiederholt Eckhart gerne und oft. Mach dich von dir             Er sagt: «Alles, was die Heilige Schrift über Christus
selbst frei. Und dann, in einem zweiten Schritt, gilt das       sagt, das bewahrheitet sich völlig an jedem guten und
auch für alles, was wir uns von Gott vorstellen.                göttlichen Menschen.» Nochmal. Das sollten wir uns
                                                                auf der Zunge zergehen lassen: Gott ist nicht nur «dort»
Da ist er schon fast reformiert. Wir sollen uns von             Mensch geworden – in Jesus von Nazareth – sondern
Gott kein Bild / Bildnis machen. Das Bilderverbot,              «hier wie dort». Das heisst «dort, in dem einen» Men-
das in der reformierten Tradition so wichtig ist,               schen Jesus von Nazareth, und «allerorten», in den
nimmt Eckhart mit in die Mystik?                                ungezählten weiteren Menschen. Eckhart versteht die
                                                                «Menschwerdung Gottes» in der Tiefe der «Seele» als
Ganz richtig. Er sagt: «Wirf sie hinaus, alle Heiligen          «nicht geringeres» Geschehen. Für Eckhart ist die Got-
und unsere Frau [d.h. Maria] aus deiner Seele, denn sie         tesgeburt im Menschen das zentrale Motiv seines Den-
alle sind Kreaturen und hindern dich an deinem gros-            kens und zugleich Ziel jeder, wirklich jeder menschli-
sen Gott. Ja, selbst deines gedachten Gottes sollst du          chen Existenz.
quitt werden, aller deiner noch so unzulänglichen Ge-
danken und Vorstellungen über ihn … Alles, was du               Nicht nur Kinder, auch Gott ist unsere Gegenwart.
über deinen Gott denkst und sagst, das bist du mehr als         Jetzt schliesst sich der Kreis. Puh. Das war ein ziem-
er. [!]»                                                        licher Brocken heute. Da habe ich noch einiges zu
                                                                Kauen. Vielen Dank, dass Sie mir das zugemutet
Je weniger Vorstellungen ich von Gott habe, desto               haben!
näher bin ich Gott?
                                                                Immer gerne.
Das ist der Weg. So wie der Diättipp von Johannes, dem
Täufer: «Ich muss abnehmen, er aber muss zuneh-                                     Lars Syring führte das Gespräch mit sich
men.» (Joh 3, 30) Das ist ein guter Anfang! Je weniger                                           selbst im Dezember 2021

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Weitblick

      Neue Kirchenverfassung gab zu diskutieren
                                         Synode verabschiedet Kirchenratspräsident Koni Bruderer

             Die erste Lesung zur neuen Kirchen-        Synode, in der auf die Fortschrittlich-    Finanzielle Beziehung zu Appenzell
             verfassung der evangelisch-reformier-      keit dieses Artikels hingewiesen wurde,    Innerrhoden
             ten Landeskirche beider Appenzell          hielt die Synode grossmehrheitlich an      Eine Herausforderung stellt die finan-
             beanspruchte drei Sitzungstermine.         der freien Kirchgemeindewahl fest.         zielle Beziehung zur Kirchgemeinde Ap-
             Am letzten verabschiedeten die kirch-      Hingegen war die Streichung der ein-       penzell dar. Die Steuergesetze der bei-
             lichen Parlamentarier zudem den Kir-       zelnen Kirchgemeinden in der Verfas-       den Appenzell seien völlig verschieden,
             chenratspräsidenten Koni Bruderer.         sung völlig unbestritten.                  betonte Thomas Gugger, Kirchenrat,
                                                                                                   Ressort Finanzen. Aus diesem Grund
             Die vergangenen sieben Jahre als Vor-      Zusammensetzung der Synode
                                                                                                   solle diese Beziehung im Reglement Fi-
             sitzender des Kirchenrats bezeichnete      Die Zusammensetzung des landeskirch-       nanzen behandelt werden. In der Ver-
             Koni Bruderer an seiner Abschiedsrede      lichen Parlaments soll neu geregelt wer-   fassung soll die Grundlage dazu stehen.
             an der Herbstsynode am 8. Dezember         den. Heute hat jede Kirchgemeinde An-
             im Kirchgemeindehaus in Heiden als         recht auf zwei Sitze. Kirchgemeinden
             «oft beglückend und hin und wieder         mit mehr als 1 000 Mitgliedern wählen
             schwierig». Die Synodalpräsidentin Si-     für jedes angebrochene Tausend ein
             bylle Blumer blickte anhand Zeitungs-      weiteres Synodenmitglied. Aufgrund
             überschriften dann auch auf eine inten-    der steten Abnahme der Kirchenmit-
             sive Amtszeit zurück. Der 68-jährige       glieder wird auch die Anzahl Mitglieder
             Bruderer wird im nächsten Jahr eine        in der Synode abnehmen. Die landes-
             Teilzeitstelle als Pfarrer in Bellinzona   kirchliche Regierung schlägt deshalb
             antreten.                                  vor, die Anzahl Mitglieder in der Syno-
                                                        de auf 51 zu fixieren und jeder Kirchge-
             Rückweisung scheiterte                     meinde noch mindestens einen Sitz zu-
             Der Rückweisungsantrag der gesamten        zugestehen. Die restlichen Sitze wür-
             Verfassung von Pfarrer Markus Grieder,     den nach Massgabe ihrer Mitglieder auf     Zusammenarbeit unter                      Nach sieben
             Urnäsch, scheiterte an der ersten Sit-     die Kirchgemeinden verteilt. Die neue      Kirchgemeinden                            Jahren an der
                                                                                                                                             Spitze des
             zung vom 13. November an der Abstim-       Bestimmung gewähre die Wahlgleich-         Im Verfassungsentwurf sieht der Kir-
                                                                                                                                             Kirchenrats
             mung mit deutlichem Mehr. Grieder          heit und verhindere, dass kleine Kirch-    chenrat vor, Kirchgemeinden, die über
                                                                                                                                             verabschiedet
             bemängelte den stark verschlankten         gemeinden überproportional in der          mehrere Jahre nicht mehr in der Lage
                                                                                                                                             Synodalpräsi-
             Entwurf der Verfassung. Er sah darin       Synode vertreten seien, begründet der      sind, ihre Geschäfte zu besorgen, zur     dentin Sibylle
             ein demokratisches Defizit. Die Syno-      Kirchenrat. In seinen Erläuterungen,       Zusammenarbeit mit anderen zu ver-        Blumer Koni
             dalen, der Kirchenrat wie auch die vor-    wies die Regierung ebenfalls darauf hin,   pflichten. Sollte eine Kirchgemeinde      Bruderer.
             beratende Kommission teilten diese         dass die Synodalen allen Mitgliedern       wesentliche Aufgaben über mehrere         Martina
             Meinung nicht. Viel Sympathie und Zu-      der Landeskirche verpflichtet seien und    Jahre nicht mehr erfüllen können, kön-    Tapernoux,
             stimmung erhielt hingegen die Ergän-       nicht ausschliesslich den Mitgliedern      ne die Synode im Weiteren Kirchge-        Trogen, tritt
             zung von Irina Boss, Pfarrerin in Stein.   ihrer eigenen Kirchgemeinden. Diesen       meinden zusammenlegen. Der Pfarr-         2022 seine
             Sie stellte den Antrag, den juristisch     Argumentationen folgte die Synode          konvent bemängelte darin, dass sich       Nachfolge an.
             «knochentrockenen» Verfassungsent-         schlussendlich einstimmig.                 dieser Artikel zu sehr mit den Autono-    Quelle: ks

             wurf mit einem Hinweis auf die Wur-                                                   mierechten der Gemeinden beisse. Die
             zeln der Landeskirche zu ergänzen. Der     Kein Antragsrecht für den                  vorberatende Kommission unterstützt
             Text «Sie ist hervorgegangen aus der       Pfarrkonvent                               den Vorschlag des Kirchenrats jedoch
             Reformation und folgt deren Selbstver-     Mehrere Anträge, welche das Antrags-       ausdrücklich. Sie sieht darin ein Auf-
             pflichtung als sich stets zu erneuernde    recht des Pfarrkonvents, anderer lan-      fangnetz für Kirchgemeinden und be-
             Kirche auf der Grundlage des Evangeli-     deskirchlicher Konvente, Berufsgrup-       tonte, dass mit diesem Artikel keine
             ums», fand mit überwältigendem Mehr        pen oder Interessengemeinschaften in       Drohkulisse aufgebaut werden soll.
             Einzug in den ersten Artikel.              der Verfassung erwähnen wollten, wur-      Nach redaktionellen Anpassungen folg-
                                                        den von der Synode klar abgelehnt. Von     te auch das Parlament mehrheitlich der
             Freie Kirchgemeindewahl ja,                Seiten des Kirchenrats und einzelner       Argumentation von Kirchenrat und vor-
             Erwähnung der Kirchgemeinden nein          Synodalen wurde darauf hingewiesen,        beratender Kommission.
             Heute steht es jedem Kirchenbürger         dass jedes Mitglied der Synode die Mög-        Die zweite Lesung der neuen Kir-
             frei zu wählen, welcher Kirchgemeinde      lichkeit habe, mit den demokratischen      chenverfassung findet am 28. März
             er angehören möchte. Der Verfassungs-      Werkzeugen Motion oder Interpellation      2022 statt. Den Entwurf des Kirchen-
             entwurf sah die Abschaffung der freien     Anliegen vorzubringen. Im Weiteren         rats wird dann die neue Kirchenratsprä-
             Kirchgemeindewahl vor. Dies führte be-     könne im Geschäftsreglement definiert      sidentin Martina Tapernoux-Tanner
             reits in der Vernehmlassung auf Kritik.    werden, welche Gruppen Antragsrecht        vertreten.
             Nach eingehender Diskussion in der         erhalten sollen.                                                    Karin Steffen

MAGNET Nr.1/2022                                                          10
Weitblick

Freiwilliges Engagement für einen guten Zweck
                                                  Gut – Günstig – Guter Zweck

   Dafür stehen die drei Brockenstuben        leisten immer wieder einen Beitrag. Sie
   in St. Gallen, Berneck und Gais des        interessieren sich für ein Engagement            Porträt Blaues Kreuz St. Gallen-
   Blauen Kreuzes St. Gallen-Appenzell.       für das Gemeinwohl und für ökologi-              Appenzell
   Die modernen Secondhand-Läden              sche Themen wie Nachhaltigkeit sowie             Das Blaue Kreuz ist eine Fachorga-
   bieten ein grosses Angebot an Alltags-     schonender Umgang mit den endlichen              nisation für Alkohol- und Suchtfra-
   artikeln und Raritäten zu fairen Prei-     Ressourcen. Durch ihre Mitarbeit ha-             gen. Seit mehr als einem Jahrhun-
   sen sowie eine breite Palette an           ben die Freiwilligen in den Blaukreuz-           dert setzt es sich für Prävention
   Dienstleistungen. Möglich ist dieses       Brockenstuben die Möglichkeit, gesell-           ein und für Menschen, die von
   Angebot nicht zuletzt auch dank der        schaftlich relevante Dinge direkt und            Sucht betroffen sind – Konsumie-
   vielfältigen Mitarbeit von Freiwilligen.   positiv zu beeinflussen. Das und die             rende und deren Umfeld. Schwer-
                                              abwechslungsreichen Tätigkeiten ma-              punkte der Arbeit im Verband
   Die Unterstützung durch freiwillige        chen die Freiwilligeneinsätze beson-             St. Gallen-Appenzell sind Sucht-
   Mitarbeitende hat beim Blauen Kreuz        ders interessant.                                prävention und Gesundheitsförde-
   eine lange Tradition. Das hohe Quali-                                                       rung, Kinder- und Jugendarbeit so-
   tätsniveau in den Brockenstuben ist zu     Einsatz für die Freiwilligen                     wie Beratung von Menschen mit
   einem grossen Teil den freiwilligen Hel-   Wer ein freiwilliges Engagement leistet,         Alkoholproblemen und von Ange-
   ferinnen und Helfern zu verdanken.         bringt oft auch Erwartungen mit. Man             hörigen. Finanziert wird die Ar-
   Ohne ihre Mitarbeit könnte das Ange-       möchte Wertschätzung und Sinnhaftig-             beit durch Leistungsvereinbarun-
   bot nicht in diesem Masse aufrechter-      keit erfahren, erwartet einen freund-            gen mit den Kantonen SG und AI,
   halten werden. Aktuell engagieren sich     lichen, zuvorkommenden Umgang un-                Beiträge von Kantonalkirchen und
   über 60 Personen in unterschiedlichen      tereinander. Um dem gebührend Rech-              von Kirchgemeinden, Brocken-
   Aufgaben für die Brockenstuben. Der        nung zu tragen, setzen sich die Be-              stuben, Finanzaktionen, Spen-
   Gewinn aus dem Verkauf und den             triebsleitenden der Brockenstuben sehr           den und Legate.
   Dienstleistungen der Brockenstuben         dafür ein, «ihren» Freiwilligen eine an-
   kommt der Kinder- und Jugendarbeit,        genehme Umgebung zu schaffen. Eine               www.blaueskreuz-sg-app.ch
   der Suchtprävention und der Alkohol-       anspruchsvolle Aufgabe, die sich für
   beratung zugute.                           alle Beteiligten auszahlt. Die Dankbar-
                                              keit seitens der Brockenstuben für den
   Vielseitig und sinnstiftend                Einsatz der Freiwilligen ist sehr gross –
   Die klassischen freiwilligen Mitarbei-     und das Wissen um ihre Unentbehrlich-
   tenden sind oft pensionierte Frauen        keit auch.
   und Männer, die ihre neu gewonnene
   freie Zeit für eine gute Sache einsetzen          Blaues Kreuz St. Gallen-Appenzell
   möchten. Aber auch jüngere Menschen                              Daniel Lieberherr

                    Appenzeller Kirchentag braucht einen Neustart
                                                  OK Kirchentag löst sich auf

   Eigentlich hätte der Kirchentag unter      chenpark Hinterland kirchlich bereits        Der geplante Appenzeller Kirchentag
   dem Motto himmelwiit am Samstag,           reich befrachtet. Da eine Mehrheit des       2020 wurde von der reformierten und
   16. Mai 2020, in Herisau stattfinden       Organistationskomitees im Jahr 2023          den katholischen Kirchen beider Ap-
   sollen. Doch Corona machte den Or-         durch Ruhestand oder berufliche Verän-       penzell zusammen mit den lokalen Frei-
   ganisatoren einen Strich durch die         derungen zurücktritt, beschloss das OK       kirchen, der Evangelisch-methodisti-
   Rechnung.                                  schweren Herzens, sich aufzulösen. So        schen Kirche und der Vineyard getra-
                                              soll der Weg frei werden für neue Kräfte     gen. Mit dem Kirchentag wollen die
   So wurde der Kirchentag vorerst um ein     in den Appenzeller Kirchen, die mit          beteiligten Kirchen ein Zeichen setzen
   Jahr und dann um ein zweites Jahr ver-     dem Kirchentag später einen Neustart         und einladen, den Glauben zu teilen
   schoben. Die kommende Zeit ist nun         wagen wollen. Das OK dankt allen Frei-       und miteinander zu feiern.
   mit dem 175-Jahr-Jubiläum des Bistums      willigen für das grosse Engagement bei                     OK Appenzeller Kirchentag
   St. Gallen, den Feierlichkeiten zur Wie-   den Vorbereitungen und den regiona-
   dereröffnung der renovierten Kirche        len Stiftungen für die finanziell vorgese-
   Herisau und dem Fusionsprojekt Kir-        hene Unterstützung.

                                                                 11                                                              MAGNET Nr.1/2022
Weitblick

       Die Waldenserkirche in Italien wirkt weiter
                                                   Präsidentin Trotta besucht Waldenserkomitee

             Soeben entstand ein neuer «Korri-             1 200 Personen aus Afghanistan – vor
             dor» Afghanistan, eine Jugendakade-           allem Frauen, Kinder und Kranke – ein
             mie soll ins Leben gerufen werden             Visum beantragen können, um so nach
             und in Rom trat an der theologischen          Italien auszureisen. Die Waldenserkir-
             Fakultät eine frisch gewählte Profes-         che stellt dann Wohnungen bereit und
             sorin ihre Stelle an: Die Waldenser-          Bezugspersonen kümmern sich um die
             kirche in Italien wirkt weiter, wie ein       Eingereisten.
             Besuch der Moderatora (Präsidentin)
             Alessandra Trotta in Zürich zeigte. Es        Modulartige Ausbildung lancieren
             kam auch zu einem Treffen mit Rita            Anlässlich des Besuches in Zürich im
             Famos, der Präsidentin der Evange-            November erzählte Alessandra Trotta
             lisch-reformierten Kirche Schweiz             auch von fehlenden jungen Menschen,
             EKS.                                          die in der Waldenserkirche Verantwor-
                                                           tung übernehmen und Zeit zur Verfü-
             Während der Coronazeit hatte es die           gung stellen wollten. Deshalb sei eine
             Minderheitenkirche in Italien nicht           nationale Jugendakademie geplant, bei
             leicht. Nun scheint sich die Lage wie-        der eine zweijährige, modulartige Aus-      Gipfeltreffen zweier Kirchenpräsidentinnen: Links
                                                                                                       Alessandra Trotta, Moderatora der Chiesa Valdese und
             der normalisiert zu haben. Laut Trotta        bildung durchlaufen werden könne.
                                                                                                       Rita Famos von der evang.-ref. Kirche Schweiz EKS.
             finden seit Herbst wieder Gottesdienste       Wichtig sei, dass die Ausbildung vor al-
                                                                                                       Quelle: Hans Rapp
             und Veranstaltungen statt, auch dank          lem auch von Immigrantinnen und Im-
             des «Green Pass». Er ermöglicht es,           migranten absolviert werde, um so Brü-
             Projekte wieder voranzutreiben.               cken zu bauen. Die Ausbildung widmet        im Zentrum. Famos lud in der Folge
                                                           sich Themen wie Kirche und Gesell-          ihre Kollegin an die Synode 2022 der
             Humanitäre Hilfe                              schaft. Trotta würde darüber hinaus         EKS ein.
             Namentlich im Flüchtlingswesen ver-           gerne diese Ausbildung mit einem Mo-
             sucht die Waldenserkirche mit humani-         dul in der Schweizer Kirche verbinden.      Minderheitskirche
             tären Korridoren zu helfen. Diese er-                                                     Die Waldenserkirche ist eine Minder-
             möglichen besonders gefährdeten               Grosses Interesse an Theologie              heitskirche in Italien. Sie geht auf den
             Flüchtlingen aus Krisen- und Kriegsge-        bei Laien                                   Gründer Valdes aus Lyon zurück, der im
             bieten, legal und begleitet in Italien ein-    Bei ihrem Besuch berichtete die Präsi-     12. Jh. eine Reformbewegung auslöste.
             zureisen. Zusammen mit weiteren Or-            dentin der Chiesa Valdese zudem, dass      Die Waldenser fühlen sich als freie
             ganisationen konnte laut Alessandra            an der theologischen Fakultät in Rom       Christen mit eigener, auf der Bibel be-
             Trotta nun für das neue Projekt Afgha-         mit Annegret Reitz-Dinse eine neue         ruhender Überzeugung. Im Jahr 1532
             nistan ein Vertrag mit dem Innenminis-         Professorin für praktische Theologie ge-   schlossen sie sich der Reformation in
             terium abgeschlossen werden. Ziel ist          wählt wurde. «Die vielen online-Veran-     Europa an. Über sechs Jahrhunderte
             es, dass via italienische Botschaften          staltungen», erklärte Trotta, «haben ein   wurden sie unterdrückt. Insgesamt
                                                            grosses Interesse von Laien an der         zählt die Waldenserkirche zirka 25 000
                                                            Theologie geweckt.» Doch leider sei die    Mitglieder, wovon 22 000 in über 150
  Das Waldenserkomitee                                      Zahl der Theologiestudentinnen und         Kirchgemeinden über Italien verteilt
  der deutschen Schweiz                                    -studenten selbst immer noch sehr klein,    sind, weitere 3 000 leben in Lateiname-
  Das Waldenserkomitee wurde im Jahr 1978 mit               es gebe pro Jahr nur Einzelne, die sich    rika. Ein wichtiger Schwerpunkt der
  Unterstützung der Kantonalkirchen der deut-               für ein Studium entschieden.               Waldenser ist der Dienst am Nächsten,
  schen Schweiz gegründet und als Verein gem.                                                          die Diakonie.
                                                           Gipfeltreffen zweier
  Art. 60ff ZGB eingerichtet. Er besteht aus den
                                                           Kirchenpräsidentinnen                       www.waldenser.ch
  Delegierten der Kirchen- bzw. Synodalräte und
  einem fünfköpfigen Vorstand. Oberstes Organ              Während Trotta am Vormittag einen            Katharina Meier / pd, Kirchenbote SG

  ist die Delegiertenversammlung. Die Beziehun-            grossen Kreis von Delegierten sowie
  gen der reformierten Schweiz zu den Walden-              Freundinnen und Freunde der Wal-
  sern gehen zurück auf die Zeit der Reformation           denserkirche empfing, kam es am
  und sind seither nie mehr abgebrochen. Es ent-           Nachmittag zum Treffen mit Rita Famos,
  standen bereits 1945 schweizerische Freundes-            Präsidentin der EKS. Beim Austausch
  kreise und Hilfsgruppen. Um die Unterstüt-               zwischen den beiden Kirchenpräsiden-
  zungsaktivitäten zu bündeln, galt es, zusammen           tinnen wurden Fragen der Ökumene,
  mit den Kantonalkirchen ein gemeinsames Ko-              des Kirchenverständnisses und vor al-
  mitee zu schaffen. (pd)                                  lem die Bedeutung eine Minderheits-
                                                           kirche zu sein oder allenfalls zu werden,

MAGNET Nr.1/2022                                                             12
Weitblick

                      Möglichkeiten entdecken
                                          Seminar soziales Engagement

Das Seminar für soziales Engagement      tionsanlass und machen Sie sich eine       s.hermann@kompetenzwerkstattgmbh.ch
vermittelt Fähigkeiten zum hilfrei-      direkte Vorstellung von den Möglich-       oder via caritas-stgallen.ch/sse und
chen Umgang mit Personen in ver-         keiten, die sie hier finden können!        ref-sg.ch/veranstaltungen
schiedenen sozialen Situationen und
steht allen Menschen offen.              Informationsanlass                         Anmeldeschluss: Donnerstag,
                                         Dienstag, 29. März 2022, 9.00 bis          14. April 2022
Wenn Sie …                               11.00 Uhr, Evang. Kirchgemeindehaus,
… Ihre Fähigkeiten und Ihre Persön-     Altstätten                                 Kosten: CHF 900.00 Erkundigen Sie
   lichkeit weiter entwickeln wollen                                                sich bei Ihrer Kirchgemeinde für eine
… Ihr Wissen im Umgang mit              Seminardurchführung 2022                   Kostengutsprache!
   Menschen in einer sozialen Heraus-    Ort: Evang. Kirchgemeindehaus Altstät-
   forderung erweitern wollen            ten, Heidenerstrasse 7, 9450 Altstätten    Veranstalterin: Evangelisch-reformier-
… soziale Gesellschaftsthemen, Insti-                                              te Kirche des Kantons St. Gallen,
   tutionen und Einrichtungen näher      Kursdaten: 26. April bis 4. Oktober,       Arbeitsstelle Diakonie und Caritas
   kennen lernen wollen                  jeweils dienstags 8.15 bis 11.35 Uhr       St. Gallen-Appenzell
… in einer Gruppe Neues wagen und       21 Halbtage, davon 2 ganze Tage
   ausprobieren wollen                                                              Abschlusszertifikat
… dann ist dieses Seminar genau das     Anmeldung, Leitung und Auskunft:           Der Besuch des Seminars entspricht
   Richtige für Sie!                     Silvia Hermann-Segmüller                   den Weiterbildungsrichtlinien des Ver-
                                         KompetenzWerkstatt GmbH,                   bandes für Erwachsenenbildung (SVEB).
Noch unsicher?                           Mühlackerweg 17a, 9450 Altstätten          Nach erfolgreich besuchtem Seminar
Besuchen Sie vorgängig den Informa-      Tel. 071 755 61 20 / 079 678 97 63         erhalten Sie ein Zertifikat.

              «Keep Swinging»                                                       Seniorenferien 2022
                  Neujahrs-Apéro mit den Lutz-Brothers                                        Vorankündigung

Von Kindsbeinen an haben Rudolf          national berühmter Organist, ist be-       Für die Kirchgemeinden Herisau,
(*1951) und Matthias (*1953) Lutz zu-    kannt für seine Bach-Interpretationen /    Schönengrund, Schwellbrunn und
sammen musiziert. Rudolf Lutz, inter-    Improvisationen. Matthias Lutz, ein be-    Waldstatt und für alle anderen, die
                                         gnadeter Saxophonist, war Musiklehrer      auch gerne mitkommen möchten füh-
                                         an der Kantonsschule St. Gallen. Sie       ren die Seniorenferien 2022 nach Biel.
                                         spielen Klassik, Jazz, Pop, Rock, Latin-
                                         groove.                                    Seniorenferien in Biel
                                                                                    25. bis 29. April 2022
                                         Was sie prägt:                             Die alljährlich geplante Carreise mit der
                                                                                    Fa. Ramsauer wird wieder im Frühjahr
                                         Spontanität, Spiellust, Emotion. Ihre
                                                                                    angeboten. Begleitung Pfrn. Spittler
                                         Devise: «Keep Swinging».
                                                                                    (Herisau) und Team.

                                         18.18 Uhr Türöffnung, Bar offen
                                                                                    Genaue Informationen folgen im Februar-
                                         19.19 Uhr Veranstaltungsbeginn
                                                                                    Magnet und sind in Kürze in den Ge-
                                                                                    meinden zu erfragen.
                                         Das Montags-Plaza im Plaza-Bistro bie-
                                         tet jeden ersten Montag im Monta Be-
                                         gegnungen mit Persönlichkeiten, Insti-
                                         tutionen und Vereinen, aus Heiden und
                                         Region.

                                         Gastgeber: Andreas Ennulat
                                         Eintritt frei. Zertifikatspflicht.

                                                             13                                                         MAGNET Nr.1/2022
Weitblick

                    Eine reformierte Erfolgsgeschichte
                                                        HEKS und «Brot für alle» fusionieren

             Das Hilfswerk der evangelischen Kir-        leistet es nach wie vor, aktuell in Ban-
             chen Schweiz HEKS hilft seit 75 Jah-        gladesch, Haiti, im Libanon und in Sy-
             ren Benachteiligten und Notleiden-          rien. Bereits 1949 engagiert sich HEKS
             den im In- und Ausland. Die Fusion          für Flüchtlinge in der Schweiz und in
             mit «Brot für alle» soll die Wirkung        Europa. Nach dem gescheiterten Volks-      rund 60 Millionen Franken Programm-
             des kirchlichen Engagements stärken.        aufstand flüchten Tausende Ungarn          geldern gehen je 50 Prozent in die
                                                         1956 aus ihrer Heimat. HEKS organi-        Schweiz und ins Ausland.» Zudem er-
             1946, der Zweite Weltkrieg ist zu Ende.     siert die Aufnahme von 2 000 protes-       bringt HEKS Dienstleistungen für Bund
             Europa liegt in Trümmern. Millionen         tantischen Flüchtlingen. Anfang der        und Kantone, etwa die Rechtsberatung
             von Menschen hungern, frieren, sind         Achtzigerjahre folgen die Boat-People      für Asylsuchende sowie Dolmetscher
             krank, haben ihr Hab und Gut verloren,      aus Vietnam, später die Tamilen und        oder Sprachkurse für Migrantinnen und
             suchen nach ihren Familien oder sind        mit dem Balkankrieg die Schutzsu-          Migranten.
             auf der Flucht. Es ist die Geburtsstunde    chenden aus den Ländern Ex-Jugosla-
             des Hilfswerks der evangelischen Kir-       wiens. Heute flüchten die Menschen         Diakonischer Arm der Kirche
             chen Schweiz HEKS. Betroffen vom            aus afrikanischen Ländern, Syrien oder     Die christlichen Wurzeln und die kirch-
             Leid, gründet der Schweizerische Kir-       Afghanistan.                               liche Einbindung zeichnen HEKS als
             chenbund das reformierte Hilfswerk.             Daneben baut HEKS die internatio-      Hilfswerk aus. «Wir sind das Werk der
             Die Schweizer Kirchgemeinden sam-           nale Entwicklungszusammenarbeit auf        reformierten Kirchen und einer der dia-
             meln Kleider, Decken, Schuhe, Seifen,       und aus. 1958 entsteht ein erstes Pro-     konischen Arme der Evangelischen Kir-
             Konserven und Kartoffeln – rund 4 000       jekt in Indien, eine Lehrwerkstätte für    che Schweiz. ‹Dem Glauben Hand und
             Tonnen. Hinzu kommen noch über              Werkzeugmacher. Es folgen weitere in       Fuss geben› heisst der Auftrag, den wir
             zwei Millionen Franken.                     Asien, Afrika und Lateinamerika. Ak-       umsetzen», erklärt Peter Merz. «Wir
                Daneben gibt es etwa den «Liebes-        tuell betreut HEKS rund 250 Projekte in    handeln jedoch im Sinne des Evangeli-
             gaben-Paketdienst»: Private unterstüt-      über 30 Ländern, in vielen davon ist das   ums und der Nächstenliebe, dies ist Teil
             zen notleidende Familien im zerstörten      Hilfswerk mit eigenen Büros präsent.       unserer Vision.»
             Deutschland und schicken über Jahre
             Päckli. Die brieflichen Kontakte zwi-       Sechs Regionalstellen in der Schweiz       Zusätzlich zu den kirchlichen Geldern
             schen den Schweizer Spenderinnen            Im Inland ist HEKS ebenfalls aktiv. Sei-   und den Spenden von Privaten, Stiftun-
             und Spendern und ihren «Patenfami-          ne sechs Regionalstellen in der Deutsch-   gen und weiteren Institutionen von
             lien» sind mitunter sehr berührend.         und der Westschweiz bieten Program-        Bund und Kantonen erhält HEKS Bei-
                                                         me und Beratungen zur sozialen Integ-      träge von der Direktion für Entwick-
             Zwischenkirchliche Hilfe                    ration von benachteiligten Bevölke-        lung und Zusammenarbeit des Bundes
             Auch die Kirchen brauchen Unterstüt-        rungsgruppen an. Dies unterscheidet        DEZA und der Glückskette. «So ermög-
             zung. «Der Krieg hatte ihre Strukturen      HEKS von Hilfswerken wie Helvetas          licht uns jeder private oder kirchliche
             in den umliegenden europäischen Län-        oder Swissaid. «Viele kennen unsere        Spendenfranken, beispielsweise von
             dern wie Deutschland oder Holland zer-      Auslandarbeit besser als unsere Inland-    der Glückskette bis zu vier weitere
             stört. HEKS half mit Nahrungsmitteln        arbeit», so Peter Merz, «doch von den      Franken über Projekteingaben zu erhal-
             und lieferte Barackenkirchen. Seither
             ist die zwischenkirchliche Hilfe ein
             Standbein von uns», sagt HEKS-Direk-
             tor Peter Merz. «HEKS und etliche
             Kirchgemeinden pflegen Beziehungen
             mit Partnergemeinden in Osteuropa –
             heute nach Ungarn und Rumänien –
             und seit geraumer Zeit auch im Nahen
             Osten, etwa in Syrien und im Libanon.»                                                                                            Turnen für
             Während des Kalten Krieges bildet der                                                                                             menschliche
             HEKS-Bücherdienst mit seiner theologi-                                                                                            Asylpolitik.
             schen Literatur eine wichtige Brücke in                                                                                           Donghua Li
             die atheistischen Staaten hinter dem                                                                                              zeigt 2018
             Eisernen Vorhang.                                                                                                                 im Zürcher
                                                                                                                                               Hauptbahnhof
             Weltweite Zusammenarbeit                                                                                                          Höhepunkte
                                                                                                                                               aus seiner
             Heute gehört HEKS zu den bekanntes-
                                                                                                                                               Goldmedail-
             ten und grössten Hilfswerken der                                                                                                  lenübung.
             Schweiz. Not- und Wiederaufbauhilfe                                                                                               Quelle: HEKS

MAGNET Nr.1/2022                                                           14
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