Risiken für Klimaschutz und Menschenrechte - EU-Mercosur-Abkommen von Thomas Fritz - Greenpeace Greenwire

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Risiken für Klimaschutz und Menschenrechte - EU-Mercosur-Abkommen von Thomas Fritz - Greenpeace Greenwire
EU-Mercosur-Abkommen

         Risiken für Klimaschutz
         und Menschenrechte
         von Thomas Fritz

STUDIE
Risiken für Klimaschutz und Menschenrechte - EU-Mercosur-Abkommen von Thomas Fritz - Greenpeace Greenwire
EU-Mercosur-Abkommen: Risiken für Klimaschutz und Menschenrechte

Impressum
Veröffentlicht im Auftrag von:

    MISEREOR e. V.                                                  Autor:
    Mozartstr. 9, 52064 Aachen, Deutschland                           Thomas Fritz
    Telefon +49 (0)241 442-0
    www.misereor.de, www.misereor.org                               Redaktion:
                                                                      Antje Rudolph, Armin Paasch, Jürgen Knirsch
    Greenpeace e. V.
    Hongkongstraße 10, 20457 Hamburg, Deutschland                   Fotohinweise:
    Telefon +49 (0)40-30618-0                                          Siehe Fotografenhinweis neben den Fotos
    www.greenpeace.de                                                  Titelseite: Florian Kopp / MISEREOR

    Dreikönigsaktion – Hilfswerk der Katholischen Jungschar (DKA)   Grafik Design:
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V. i. s. d. P.:                                                       Web-Version
    MISEREOR (Armin Paasch),
    Greenpeace (Jürgen Knirsch)                                     Bestell-Nummer (Greenpeace):
                                                                       B01331
    Veröffentlicht im Juni 2020

                                                                                                                    Foto: Florian Kopp / MISEREOR

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Risiken für Klimaschutz und Menschenrechte - EU-Mercosur-Abkommen von Thomas Fritz - Greenpeace Greenwire
Inhalt
Impressum		                                                                                       2

Vorwort			                                                                                       4

Zusammenfassung                                                                                   5

1. Einführung		                                                                                  9

2. EU-Mercosur-Beziehungen: Verfestigter Extraktivismus                                          10

3. Agrarhandel: Zugriff auf Land und Wald                                                        12
     3.1.   Eine schwere Hypothek: Die hohe Bedeutung der Futtermittel                           12
     3.2.   Agrarquoten: Verstärkung des Drucks auf Mensch und Natur                             14
     3.3.   Rindfleisch: Treiber von Waldverlust und Klimawandel                                 16
     3.4.   Lebensmittelsicherheit: Mangelhafte Verankerung des Vorsorgeprinzips                 18
     3.5.   Pestizide und gentechnisch veränderte Agrarprodukte: Freier Handel für Risikogüter   18
     3.6.   Pestizid-Rückstandswerte: Spielball von Handelsinteressen                            22
     3.7.   Hürden für Umwelt- und Verbraucherschutz                                             23

4. Rohstoffhandel: Zugriff auf Bergbau und Energie                                               24
     4.1.   Mercosur: Lieferant wichtiger Mineralien                                             24
     4.2.   Eisenerzkatastrophen: Sorgfaltspflichten bleiben zahnlos                             25
     4.3.   Restriktionen für Exportsteuern: Rohstoffe sollen billig bleiben                     27

5. Mangelhaft: Schutzinstrumente für Mensch und Natur                                            28
     5.1.   Keine Instrumente zum Schutz von Landrechten                                         28
     5.2.   Sorgfaltspflichten in der Lieferkette: Fehlanzeige                                   29
     5.3.   Menschenrechtsklausel: Bleibt sie schwach?                                           30
     5.4.   Offizielle Folgenabschätzung: zu spät, zu defizitär                                  31

6. Das EU-Mercosur-Abkommen in der Diskussion                                                    32

7.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen                                                         33

Anhang			                                                                                        34

Endnoten			                                                                                      35

                                                                                                  3
Risiken für Klimaschutz und Menschenrechte - EU-Mercosur-Abkommen von Thomas Fritz - Greenpeace Greenwire
EU-Mercosur-Abkommen: Risiken für Klimaschutz und Menschenrechte

Vorwort

A
       ls am 28. Juni 2019 der politische Abschluss des            Ausmaßes. Die Pandemie ist mehr als eine Krise der
       Handelsabkommens zwischen der EU und den                    öffentlichen Gesundheit. Sie ist eine Systemkrise.
        vier Mercosur-Staaten Argentinien, Brasilien,              Wie die Klimakrise und die vielen anderen Krisen,
Paraguay und Uruguay verkündet wurde, twitterte der                mit denen wir konfrontiert sind, betrifft sie alle,
damalige Präsident der EU-Kommission Jean-Claude                   trifft jedoch einige stärker als andere. Die Pandemie
Juncker: „Ein historischer Moment. Inmitten interna-               trifft auf eine Welt, in der weiterhin Hunger herrscht.
tionaler Handelsspannungen senden wir ein starkes                  Gleichberechtigung, ein sicherer Arbeitsplatz und
Signal, dass wir für regelbasierten Handel stehen.                 eine gerechte Entlohnung sind für den Großteil der
Das größte Handelsabkommen, das die EU jemals                      Menschen weiterhin unerreichbar, und die nächste
geschlossen hat. Positives Ergebnis für Umwelt und                 Schuldenkrise zeichnet sich bereits ab. Die Pandemie
Verbraucher.“ Ganz anders lautete die Bewertung des                zeigt überdeutlich, dass das menschliche Leid in un-
UN-Menschenrechtsexperten und Völkerrechtsprofes-                  gleichen Gesellschaften, fragilen Volkswirtschaften
sors Oliver de Schutter: „Beim EU-Mercosur-Deal geht               und heiklen Demokratien noch größer wird.
es um Autos, die gegen Rindfleisch eingetauscht wer-                  Aus diesem Grund gibt es etwas, von dem wir in den
den. Er ist eine Beleidigung für alle Jugendlichen, die            kommenden Monaten gar nicht genug aufbringen kön-
für das Klima marschiert sind, und für die Verteidiger             nen: Solidarität. Ein Wort, in dem viel Verantwortung
von [Menschen-]Rechten und Umwelt in Brasilien.                    mitschwingt. Wir werden diese Krise nur überwinden,
Das Europa-Parlament muss ein Veto einlegen. Was                   wenn wir uns solidarisch zu unseren Mitmenschen
wir brauchen, ist die Kohärenz zwischen Handel und                 verhalten. Solidarität muss das Fundament der Re-
den Werten, die die EU verteidigen will.“ Es sei ein               aktion Europas auf diese Krise sein: Bekämpfung der
Abkommen gegen den Klimaschutz, die Umwelt und                     Pandemie und Schutz aller Menschen, zur Bewälti-
die Menschenrechte, noch dazu abgeschlossen an                     gung der sozialen und wirtschaftlichen Folgen und
einem Freitag, an dem weltweit hunderttausende Ju-                 zur Verteidigung der Demokratie. Solidarität bedeutet
gendliche für den Klimaschutz auf die Straße gingen.               auch, dass wir die Umwelt und die Lebensgrundlagen
   Ein Jahr später stehen wir vor dem Beginn der                   für künftige Generationen sichern müssen. Das alles
deutschen EU-Ratspräsidentschaft. Offenbar will                    erfordert einen grundsätzlichen Politikwechsel in
die Bundesregierung die nächste Hürde – die Ab-                    vielen Bereichen, auch in der Handelspolitik.
stimmung über das Abkommen im EU-Rat – in der                         Für einen solchen grundsätzlichen Politikwechsel
zweiten Jahreshälfte angehen. Schließlich würden                   sollte die deutsche Bundesregierung während ihrer EU-
insbesondere die deutsche Automobil-, Maschinen-                   Ratspräsidentschaft eintreten, statt durch Handels-
bau- und Chemiekonzerne vom Zollabbau profitie-                    abkommen die Strukturen der Umweltzerstörung
ren. Im Gegenzug könnten die Mercosur-Staaten                      und Ausbeutung fortzuschreiben. Deutschland sollte
mehr Agrarprodukte wie Rind- und Geflügelfleisch,                  den Beispielen der Regierungen und Parlamente
Zucker und daraus gewonnenes Bio-Ethanol in die                    von Belgien, Frankreich, Irland, den Niederlanden
EU ausführen. Dabei handelt es sich ausgerechnet                   und Österreich folgen und dem Abkommen mit dem
um die Haupttreiber für die Abholzung des Amazo-                   Mercosur seine Zustimmung verweigern. Gemeinsam
nasregenwaldes, Treibhausgasemissionen, Land-                      sollten sie zudem einen Prozess zu einer sozial,
vertreibungen und Menschenrechtsverletzungen.                      ökologisch und menschenrechtlich kohärenten Neu-
Verbindliche Menschenrechts- und Umweltstandards                   ausrichtung der EU-Handelspolitik anstoßen, die
sowie effektive Durchsetzungsmechanismen sucht                     den Herausforderungen unserer Zeit gerecht wird.
man in dem Abkommen vergebens. Hinzu kommt:
Die postkoloniale Rollenteilung zwischen lateiname-                  Aachen, Hamburg, Wien im Juni 2020
rikanischen Rohstoffexporteuren und europäischen
                                                                     Pirmin Spiegel
Produzenten von Industrieproduzenten würde einmal
                                                                     Hauptgeschäftsführer von MISEREOR
mehr zementiert.
                                                                     Martin Kaiser
                                                                     Geschäftsführender Vorstand Greenpeace e.V.
Solidarität in Zeiten von Corona
                                                                     Jakob Maierhofer-Wieser
Was den Juni 2019 von dem des Jahres 2020 unter-                     Geschäftsführer der Dreikönigsaktion der Katholischen
scheidet, ist eine globale Pandemie ungeahnten                       Jungschar (DKA)

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Risiken für Klimaschutz und Menschenrechte - EU-Mercosur-Abkommen von Thomas Fritz - Greenpeace Greenwire
Zusammenfassung

E
       nde Juni 2019 verkündete die EU-Kommis-           anbaus oder eine Reduktion des Handels mit Soja.
       sion, sie habe eine Grundsatz-Einigung über       Stattdessen finden sich Klauseln, die den Absatz des
       ein Handelsabkommen mit dem Mercosur er-          Futtermittels in der EU noch verbilligen würden,
zielt. Dem südamerikanischen Staatenbund gehö-           etwa eine Absenkung der argentinischen Export-
ren Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay         steuern auf Soja. Mit dieser Verpflichtung riskiert
an. Das geplante Abkommen – Teil eines umfas-            Argentinien zudem empfindliche Verluste für sei-
senderen Assoziationsabkommens – ist sowohl in           ne Staatseinnahmen, die für die Finanzierung
der Zivilgesellschaft als auch unter Regierungen         dringend erforderlicher Sozialprogramme fehlen
überaus umstritten.                                      würden.
   Die vorliegende Publikation von MISEREOR, Green-
peace und der Dreikönigsaktion-Hilfswerk der
Katholischen Jungschar (DKA) schildert zentrale
menschenrechtliche und ökologische Risiken des
EU-Mercosur-Abkommens anhand der bisher ver-
öffentlichten Vertragstexte. Ferner analysiert sie,
inwieweit der angestrebte Vertrag die erforderliche
Regulierung schädlicher Warenströme behindern
könnte.

Starker Zugriff auf natürliche

                                                                                                                         Foto: Martin Katz/Greenpeace
Ressourcen
Die Untersuchung der Handelsbeziehungen zwi-
schen EU und Mercosur zeigt, dass die Importe
der EU zu zwei Dritteln aus agrarischen und mine-
ralischen Rohstoffen bestehen. Aufgrund dieses
                                                         Abholzung in der Region Chaco in Argentinien: „So beginnt
überproportionalen Zugriffs auf die natürlichen
                                                         der Klimawandel“.
Ressourcen des Mercosur trägt die EU eine große
Mitverantwortung für Umweltzerstörungen und
Menschenrechtsverletzungen in der südamerika-            Treiber der Agrarexpansion:
nischen Region. Die in dem Handelsabkommen               Quoten für Rindfleisch und
geplanten Zollsenkungen würden die Mengen der
gehandelten Rohstoffe dabei noch vergrößern.
                                                         Bio-Ethanol
                                                         Auch die dem Mercosur angebotenen zusätzlichen
EU-Sojaeinfuhr:                                          zollbegünstigten Quoten für den Export von Fleisch
Eine sozial-ökologische Hypothek                         und Bio-Ethanol drohen, existierende sozial-öko-
                                                         logische Konflikte zu verschärfen. So bedeutet die
Die schwerste Hypothek im Bereich des Agrarhan-          Bio-Ethanolquote von insgesamt 650.000 Tonnen
dels stellen die EU-Sojaimporte dar. Die Sojaanbau-      eine Versechsfachung gegenüber bisherigen Im-
fläche im Mercosur, die für Exporte in die EU belegt     portmengen aus dem Mercosur. Das begünstigt eine
wird, beläuft sich auf circa 13 Millionen Hektar – ein   weitere Expansion des Anbaus von Zuckerrohr, dem
Drittel der Fläche Deutschlands. Da aber nur 13 Pro-     hauptsächlichen Rohstoff für die südamerikanische
zent der EU-Sojaimporte als entwaldungsfrei gelten,      Bio-Ethanolerzeugung.
ist die europäische Nachfrage ein wichtiger Treiber         Die angebotenen Quoten für Rind- und Hühner-
für Rodungen, Treibhausgas-Emissionen und Land-          fleisch wiederum stellen eine Vergrößerung um
und Menschrechtskonflikte in Südamerika.                 die Hälfte gegenüber bisherigen Importmengen
   Dennoch enthält der Handelsvertrag keine Ver-         dar. Als besonders problematisch erscheint hier
einbarungen über eine Ökologisierung des Soja-           die Rindfleischquote über 99.000 Tonnen, da die

                                                                                                                     5
Risiken für Klimaschutz und Menschenrechte - EU-Mercosur-Abkommen von Thomas Fritz - Greenpeace Greenwire
EU-Mercosur-Abkommen: Risiken für Klimaschutz und Menschenrechte

                                Erschließung von Weideland ein wesentlicher Trei-                  betreffen, die im Verdacht stehen, Rückstände ver-
                                ber von Rodungen der brasilianischen Amazonas-                     botener Pestizide zu enthalten oder Grenzwerte für
                                wälder und der Trockenwälder des Gran Chaco in                     Pestizidrückstände zu überschreiten.
                                Argentinien und Paraguay ist.
                                                                                                   Hohe Zahl von Pestizidvergiftungen
                                Lebensräume der Indigenen
                                                                                                   Diese Lücke ist umso problematischer, weil in den
                                schrumpfen
                                                                                                   Mercosur-Ländern zahlreiche hochgiftige Pestizid-
                                Zu den besonders Betroffenen der Expansion von                     wirkstoffe in der Landwirtschaft verwendet wer-
                                Rinderherden oder Zuckerrohrfeldern gehören in-                    den, von denen ein Teil in der EU verboten oder
                                digene Gruppen wie die Ayoreo in Paraguay oder                     nicht zugelassen ist. Diese Pestizide sind vor allem
                                die Guarani-Kaiowá in Brasilien. Für sie kommt                     für die Menschen eine Gefahr, die sie auf den Feldern
                                erschwerend hinzu, dass die Demarkierung von                       ausbringen oder die am Rande von Plantagen leben.
                                Indigenengebieten häufig mangelhaft und stark                        Allein in Brasilien starben nach einer Auswertung
                                umkämpft ist.                                                      dortiger Regierungsstatistiken zwischen 2008 und
                                                                                                   2017 mehr als 7.200 Menschen an Pestizidvergiftun-
                                                                                                   gen. Allerdings könnte die Zahl der Todesfälle noch
                                                                                                   weit höher liegen, weil es aufgrund mangelhafter
                                                                                                   Registrierung eine hohe Dunkelziffer gibt.
                                                                                                     Der Einsatz von Pestiziden beunruhigt mittler-
                                                                                                   weile auch UN-Institutionen. Sie warnen unter
                                                                                                   anderem davor, dass in Brasilien Sprüheinsätze
                                                                                                   mitunter gezielt zur Vertreibung Indigener ein-
                                                                                                   gesetzt werden. Der UN-Menschenrechtsausschuss
                                                                                                   verabschiedete 2019 einen Beschluss, der Paraguay
                                                                                                   für schwere Vergiftungen mit verbotenen Pestiziden
                                                                                                   verantwortlich macht, weil die dortigen Behörden
                                                                                                   nicht gegen illegale Sprüheinsätze auf Sojafeldern
                                                                                                   vorgegangen sind.

                                                                                                   Beseitigung von Pestizidzöllen und
                                                                                                   Hürden für Regulierung
                                Die Lebensräume von Indigenen werden immer weiter
Foto: Florian Kopp / MISEREOR

                                eingeschränkt.                                                     Die Regulierungsunterschiede zwischen EU- und
                                                                                                   Mercosur-Staaten machen sich auch deutsche Unter-
                                Besonders besorgniserregend ist die Situation in                   nehmen zunutze. So verkaufen nach einer jüngsten
                                Brasilien, wo unter Präsident Jair Bolsonaro die                   Untersuchung BASF und Bayer in Brasilien jeweils
                                Demarkierung nicht nur vollständig zum Erliegen ge-                mindestens zwölf Pestizidwirkstoffe, die in der EU
                                kommen ist, sondern existierende Demarkierungen                    nicht zugelassen sind.
                                einer Revision unterzogen werden. Diese rechtliche                    Indes könnte das EU-Mercosur-Abkommen den
                                Unsicherheit ermutigt wiederum Bergbau-, Vieh-                     Verbrauch der Pestizide im Mercosur weiter ankur-
                                und Holzbetriebe zur oftmals gewaltsamen Invasion                  beln, denn es sieht vor, die Zölle auf Pestizide und
                                in indigenen Territorien.                                          andere Chemikalien zu senken oder gänzlich zu
                                                                                                   beseitigen. Die Chemiezölle im Mercosur betragen
                                Risiken für Lebensmittelsicherheit                                 bisher bis zu 18 Prozent.
                                                                                                      Strengeren Pestizidregulierungen wiederum legt
                                Das Abkommen birgt daneben spezifische Risiken                     das Abkommen zusätzliche Hürden in den Weg, vor
                                für die Lebensmittelsicherheit, da das EU-Vorsorge-                allem aufgrund der mangelnden Verankerung des
                                prinzip nicht in dem Kapitel über gesundheitspoli-                 Vorsorgeprinzips. So könnten etwa die Mercosur-
                                zeiliche und pflanzenschutzrechtliche Maßnahmen                    Staaten den Streitschlichtungsmechanismus des
                                (SPS) verankert ist. Aufgrund dieses Defizits können               Vertrags aktivieren, wenn die EU zulässige Grenzwerte
                                EU und Mercosur sich nicht auf das Vorsorgeprin-                   von Pestiziden absenkt oder ein Ende der Zulassung
                                zip stützen, um die Einfuhr bedenklicher Waren                     hochgiftiger Produkte erwägt, etwa des im Mercosur
                                präventiv zu verhindern. Das kann u.a. Agrargüter                  überaus häufig verwendeten Pestizids Glyphosat.

                                6
Risiken für Klimaschutz und Menschenrechte - EU-Mercosur-Abkommen von Thomas Fritz - Greenpeace Greenwire
Zusammenfassung

Sicherung billiger Rohstoffe: Grund-                       Landkonflikten zu ahnden. Ein Artikel des Nach-
sätzliches Verbot von Exportsteuern                        haltigkeitskapitels enthält diesbezüglich nur eine
                                                           Verpflichtung der Vertragsparteien, die Einbindung
Daneben sind die Mercosur-Staaten wichtige Liefe-          Indigener in die Lieferketten von Forstprodukten
ranten von mineralischen und energetischen Roh-            zu fördern, wozu diese ihre „vorherige informierte
stoffen. Manche davon sind für die EU-Industrie            Zustimmung“ geben sollen.
unverzichtbar, darunter Eisenerz und Kaolin aus              Das aber ist nur eine sehr verstümmelte Variante
Brasilien oder Silber und Kupfer aus Argentinien.          des anspruchsvolleren UN-Konzepts der freien, vor-
   Damit die Versorgung der EU mit diesen Rohstoffen       herigen und informierten Zustimmung. Denn dieses
billig bleibt, enthält das Abkommen ein grundsätz-         verlangt die Zustimmung Indigener bei jeglicher
liches Verbot von Steuern und Abgaben auf Exporte.         Nutzung ihrer Territorien, und nicht einfach ihre
Drei Jahre nach seinem Inkrafttreten soll keine der Ver-   Beteiligung an der Ressourcenausbeutung.
tragsparteien Exportabgaben einführen oder aufrecht-
erhalten – es sei denn, sie behält sich Ausnahmen vor.     Leerstelle Menschenrechtsklausel
   Von dieser Möglichkeit haben bisher aber nur Ar-
gentinien und Uruguay für eine begrenzte Zahl von          Zudem ist in den bisher veröffentlichten Vertrags-
Produkten Gebrauch gemacht. Insofern wäre die der-         teilen die in vergleichbaren EU-Abkommen übliche
zeit in Brasilien diskutierte Wiedereinführung von         Menschenrechtsklausel noch nicht enthalten. Daher
Exportsteuern auf Bergbauprodukte wie das Eisenerz         lässt sich nicht analysieren, ob sie die bekannten
ein Verstoß gegen das EU-Mercosur-Abkommen.                Schwächen dieses Instruments beseitigen würde.
                                                              Zwar erlaubt diese Klausel grundsätzlich die Aus-
Eisenerzkatastrophe:                                       setzung von Handelspräferenzen bei Menschen-
Verletzung von Sorgfaltspflichten                          rechtsverstößen, doch sind die Hürden für ihre
                                                           Aktivierung derart hoch, dass sie bisher nur selten
Zugleich gehen die europäischen Eisenerzimporte            angewandt wurde, meist bei schweren Verstößen
mit einigen der schwersten Menschenrechtsverlet-           wie Staatsstreichen. Zudem fehlen ihr Monitoring-
zungen einher, für die EU-Konzerne entlang ihrer           und Beschwerdeinstanzen. Auch erlaubt die Klausel
Lieferketten mitverantwortlich sind, etwa die Ka-          keine Schutzmaßnahmen, wenn diese gegen Bestim-
tastrophe von Brumadinho im Bundesstaat Minas              mungen der Handelsverträge verstoßen. Verschärfen
Gerais. Dort betreibt der brasilianische Bergbaukon-       etwa die im EU-Mercosur-Abkommen verabredeten
zern Vale eine Eisenerzmine. Doch im Januar 2019
brach der Damm eines Rückhaltebeckens und eine
riesige Abraumwelle zerstörte ein Dorf und tötete

                                                                                                                                 Foto: Florian Kopp / MISEREOR
272 Menschen. Kurz zuvor aber hatte das deutsche
Prüfunternehmen TÜV SÜD die Stabilität des Damms
trotz erheblicher Mängel zertifiziert.
   Obgleich Konzerne bei der Brumadinho-Katastro-
phe und in anderen Fällen ihre Sorgfaltspflicht ver-
letzten, enthält das EU-Mercosur-Abkommen keine
verbindlichen Regelungen zur Unternehmensver-
antwortung. Zwar gibt es im Nachhaltigkeitskapitel
des Vertrags einen Artikel über das „verantwor-
tungsvolle Management von Lieferketten“. Doch
ist dieses Kapitel nicht durchsetzbar, weil es vom
zwischenstaatlichen Streitschlichtungsverfahren
des Abkommens ausgeklammert ist.

Mangelhaft: Instrumente zur Verhin-
derung von Landkonflikten
Grundsätzlich sind die in dem Vertrag vorgese-
henen Schutzinstrumente für Mensch und Natur
überaus defizitär. So gibt es bisher keine effektiven
Maßnahmen, um Menschenrechtsverletzungen bei               Häufig prekär: die Menschenrechtssituation in den Mercosur-Staaten.

                                                                                                                           7
Risiken für Klimaschutz und Menschenrechte - EU-Mercosur-Abkommen von Thomas Fritz - Greenpeace Greenwire
EU-Mercosur-Abkommen: Risiken für Klimaschutz und Menschenrechte

Agrarquoten die Landkonflikte, dürften diese Präfe-                Insofern verdeutlicht der Vertragsentwurf einmal
renzen dennoch nicht ausgesetzt werden.                            mehr die große Dringlichkeit einer grundlegenden
                                                                   Reform der EU-Handelspolitik. Die folgenden Ele-
Ratifizierung unsicher:                                            mente könnten Teil einer solchen Reform sein.
                                                                   • Die EU-Handelsbeziehungen gehören auf den
Vorbehalte mehrerer Regierungen
                                                                      Prüfstand: In welchen Ländern gefährden sie
Seit der Verkündung der Grundsatzeinigung zwi-                        Mensch und Natur sowie eine sozial-ökologische
schen EU und Mercosur reißt die Kritik an dem                         Transformation? Eine solche Analyse müsste in
geplanten Abkommen nicht ab. Ob es tatsächlich                        einem partizipativen Prozess unter Einbeziehung
in Kraft treten wird, ist daher unklar. Derzeit wer-                  der Zivilgesellschaft und der Parlamente der EU
den die Verhandlungsergebnisse einer juristischen                     und der jeweiligen Partnerländer erfolgen.
Prüfung unterzogen und müssen anschließend in
                                                                   • Anschließend bräuchte es eine ebenso inklusive
alle EU-Sprachen übersetzt werden. Erst darauf
                                                                     Diskussion der geeignetsten Instrumente für eine
folgen die Unterzeichnung und der Beginn des
                                                                     solche Transformation der Handelsbeziehungen.
Ratifizierungsverfahrens.
                                                                     Hierzu müssten auch rechtliche Voraussetzungen
   Bleibt es dabei, dass das Handelsabkommen Teil
                                                                     gehören wie z.B. Nachhaltigkeitskriterien für
eines umfassenderen Assoziationsabkommens wer-
                                                                     Güter, die den Walderhalt beeinträchtigen (sog.
den soll, müssten auf EU-Seite neben dem Rat der EU
                                                                     „Forest Risk Commodities“ wie Soja, Rindfleisch
und dem Europaparlament auch die 27 EU-Mitglied-
                                                                     oder Eisenerz).
staaten ihre Zustimmung erteilen. Doch äußerten
bereits mehrere Länder Vorbehalte.                                 • Entscheidungen über die Aufnahme von Handels-
   Nach den letztjährigen Amazonasbränden und                        verhandlungen dürften erst nach partizipativ
wegen der hochproblematischen Rolle der brasi-                       durchgeführten Folgenabschätzungen ihrer so-
lianischen Regierung kündigte die französische                       zialen, ökologischen und menschenrechtlichen
Regierung an, sie könne das Abkommen unter                           Risiken getroffen werden.
diesen Bedingungen nicht unterzeichnen. Irlands
                                                                   • Voraussetzung für die Aufnahme von Handelsgesprä-
Parlament forderte die Regierung auf, gegen das
                                                                     chen müsste die Ratifizierung und nachweisbare
Abkommen zu stimmen. Auch die österreichische
                                                                     Umsetzung multilateraler Umweltabkommen und
Regierung lehnt es in der bisherigen Form ab. Das
                                                                     internationaler Menschenrechtsabkommen sein.
Parlament der Wallonie fasste ebenfalls einen ab-
lehnenden Beschluss, der auch eine Zustimmung der                  • Die Handelsverträge bräuchten effektive Men-
belgischen Zentralregierung verhindert. Anfang Juni                  schenrechtsklauseln, die Monitoring- und Be-
2020 stimmte auch die zweite Kammer des nieder-                      schwerdeinstanzen umfassen, bei Verstößen eine
ländischen Parlaments gegen das EU-Mercosur-Ab-                      Aussetzung von Präferenzen ermöglichen und
kommen – u.a. weil es keine durchsetzbaren Regeln                    eine Revision der Abkommen nach ihrem Inkraft-
zum Schutz des Amazonas oder zur Verhinderung der                    treten erlauben.
illegalen Entwaldung enthält. Diese Entscheidung ist
                                                                   • Nachhaltigkeitskapitel müssten mit den übri-
zwar nicht bindend für die holländische Regierung,
                                                                     gen Teilen der Handelsabkommen gleichstellt
diese kann sie aber nicht ignorieren, ohne einen
                                                                     und mit Sanktionsoptionen versehen werden.
Misstrauensantrag zu riskieren. Zudem trugen
                                                                     Ferner sollten sie um verbindliche Regeln zur
auch Parlamentarier*innen der Regierungsparteien
                                                                     Unternehmensverantwortung und effektivere
den Beschluss mit. Die deutsche Bundesregierung
                                                                     zivilgesellschaftliche Monitoring- und Beschwer-
wiederum hält an ihrer Zustimmung fest.
                                                                     demechanismen ergänzt werden.

Elemente einer handelspolitischen                                  • Ergänzend sollten Deutschland, Österreich und die
                                                                     anderen EU-Mitgliedstaaten Lieferkettengesetze
Reform
                                                                     verabschieden. Auch die EU sollte eine Regulierung
Die Analyse der bisher vorliegenden Vertragstexte                    menschenrechtlicher und ökologischer Sorgfalts-
zeigt, dass das EU-Mercosur-Abkommen nicht den                       pflichten für Unternehmen beschließen. Zu den
Anforderungen an ein zeitgemäßes Handelsabkom-                       Regelungsgegenständen sollte u.a. ein Verbot der
men genügt. Es hilft weder dabei, Produktion und                     Produktion und des Exports derjenigen Pestizide
Handel umweltverträglicher zu gestalten, noch Men-                   gehören, die in der EU und den Mitgliedstaaten aus
schenrechtsverletzungen entlang der Wertschöp-                       Gründen des Schutzes der Gesundheit von Mensch
fungsketten zu vermeiden.                                            und Tier oder der Umwelt nicht zugelassen sind.

8
Risiken für Klimaschutz und Menschenrechte - EU-Mercosur-Abkommen von Thomas Fritz - Greenpeace Greenwire
1 – Kapitelname

1. Einführung

I
    n vielen Teilen der Welt verschärfen sich soziale   werden hier die offensiven Interessen europäischer
    und ökologische Krisen. Ein „Weiter so“ der         und deutscher Unternehmen, deren Exporte in den
    bisherigen Liberalisierungspolitik der Euro-        Mercosur durch das Abkommen zunehmen könnten,
päischen Union (EU) ist damit nicht mehr tragbar.       seien dies Autos- und Autoteile, Maschinen, Medika-
Allein der hohe Anteil des Welthandels an den           mente oder Chemikalien (etwa Pestizide).3
Treibhausgasen verdeutlicht dies: So stiegen die im        Allerdings weicht die Publikation in einem Punkt
Welthandel enthaltenen Kohlendioxid-Emissionen          von üblichen Folgenabschätzungen der Handels-
in den vergangenen 15 Jahren von einem Viertel          abkommen ab. Denn diese konzentrieren sich in
auf ein Drittel der globalen Gesamtemissionen.1         der Regel darauf, ob und inwieweit ein Abkommen
   Vor diesem Hintergrund war es umso irritierender,    den Status quo des Handelsaustauschs verändert
dass die EU-Kommission Ende Juni 2019 verkündete,       und welche Implikation dies haben könnte. Eine
sie habe eine Grundsatz-Einigung über ein Handels-      solche Betrachtung ist jedoch unzureichend. Denn
abkommen mit dem Mercosur erzielt.2 Dem süd-            heutzutage stellt sich immer drängender die Frage,
amerikanischen Staatenbund gehören Argentinien,         ob ein solcher Vertrag eine Abkehr von historisch
Brasilien, Paraguay und Uruguay an. Bezogen auf         gewachsenen Handelsbeziehungen ermöglicht, die
die Bevölkerungszahl wäre es der größte Handels-        die sozial-ökologische Krise verschärfen. Denn diese
vertrag der EU mit rund 710 Millionen Menschen.         Krise hat mittlerweile für die Menschheit existen-
   Kurz nach dieser Mitteilung machte Brasilien         zielle Ausmaße angenommen.
wegen der erheblichen Zunahme der Amazonas-                Mit einem breiteren Bewertungsmaßstab be-
Brände und gewaltsamer Landkonflikte, die von der       schränkt sich die Studie daher nicht auf Abschät-
aktuellen Regierung auch noch geschürt wurden,          zungen veränderter Handelsströme und ihrer
weltweit Schlagzeilen. Da die brasilianische Regie-     Auswirkung auf Umwelt und Menschenrechte. Sie
rung die umwelt- und menschenrechtlichen Ziele          analysiert zusätzlich, inwieweit der angestrebte Ver-
der EU offen missachtet, gerät die EU-Handelspolitik    trag die Handlungsmöglichkeiten der Vertragsstaa-
seither immer stärker unter Rechtfertigungsdruck.       ten für eine Reduktion und Regulierung schädlicher
   Die Handelsgespräche dauerten über 20 Jahre          Warenströme einschränken oder ausweiten würde.
und erfolgten in 38 Verhandlungsrunden, die durch
                                                        Die Kernfrage lautet: Leistet das Handelsabkommen
teils mehrjährige Pausen unterbrochen wurden.
                                                        einen ausreichenden Beitrag zur erforderlichen
Allerdings ist das Handelsabkommen – es soll Teil
                                                        sozial-ökologischen Transformation und zur De-
eines umfassenderen Assoziationsabkommens wer-
                                                        karbonisierung des Wirtschaftens?
den – längst nicht abgeschlossen. Denn bisher
wurde es weder unterzeichnet noch ratifiziert. Das      Grundlage der Bewertung sind dabei die Texte des
bedeutet auch: Es kann durchaus noch scheitern.         Handelsteils des EU-Mercosur-Abkommens, die die
Diese Möglichkeit steht momentan im Raum, denn          EU-Kommission im Juli 2019 auf ihrer Webseite ver-
in mehreren EU-Mitgliedstaaten gibt es erhebliche       öffentlicht hat.4 Das geplante übergeordnete Assozia-
Vorbehalte der Regierungen und der Parlamente           tionsabkommen soll drei Säulen umfassen: neben
gegen den Vertrag, etwa in Frankreich, Österreich,      Handel auch politischer Dialog und Kooperation. Bis-
Irland, Belgien und den Niederlanden.                   her hat die EU-Kommission jedoch nur Teile der han-
   Worin besteht die Kritik an dem Vertrag seitens      delspolitischen Säule des Assoziationsabkommens
der Zivilgesellschaft in der EU und dem Mercosur?       veröffentlicht; den vollständigen Text des Assozia-
Was sind die menschenrechtlichen und ökologischen       tionsabkommens hält sie noch unter Verschluss.
Risiken? Auf diese Fragen antwortet die vorliegende     Insofern fehlen zum Zeitpunkt der Veröffentlichung
Publikation. Sie konzentriert sich dabei zum einen      dieses Textes einige relevante Vertragsteile für eine
auf die wichtigsten Produkte, die die EU aus den        Gesamtbewertung des Abkommens, darunter die
Mercosur-Staaten importiert: Agrargüter und Roh-        üblicherweise enthaltene Menschenrechtsklausel
stoffe. Zum anderen analysiert sie die Instrumente,     oder die konkreten Verpflichtungslisten zu den
mit denen das Abkommen die Risiken für Mensch           Kapiteln über den Güterhandel, die Investitionen
und Natur abfedern soll. Nicht näher behandelt          und die öffentlichen Ausschreibungen.

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Risiken für Klimaschutz und Menschenrechte - EU-Mercosur-Abkommen von Thomas Fritz - Greenpeace Greenwire
EU-Mercosur-Abkommen: Risiken für Klimaschutz und Menschenrechte

                                        2. EU-Mercosur-Beziehungen:
                                           Verfestigter Extraktivismus

                                        D
                                               ie Handelsbeziehungen der EU zum Mercosur                                                palette beider Regionen wider. Die EU-Exporte in
                                               sind geprägt durch einen starken Zugriff auf                                             den Mercosur setzen sich zu rund 84 Prozent aus
                                               die natürlichen Ressourcen der vier süd-                                                 verarbeiteten Gütern zusammen (siehe Grafik 3).
                                        amerikanischen Länder. Schon seit Jahrzehnten                                                      Ganz anders hingegen die Mercosur-Exporte in
                                        importiert die EU große Mengen von Agrarprodukten                                               die EU: Sie bestehen zu rund drei Vierteln aus agra-
                                        und Rohstoffen aus den Mercosur-Staaten, die dort                                               rischen und mineralischen Rohstoffen, wobei auf
                                        für zahlreiche Landkonflikte sowie eine erhebliche                                              Agrarprodukte der Löwenanteil entfällt (siehe Gra-
                                        Zunahme der Treibhausgasemissionen und des                                                      fik 4). Aufgrund dieses überproportionalen Zugriffs
                                        Verlusts der Artenvielfalt verantwortlich zeichnen.                                             auf die natürlichen Ressourcen des Mercosur trägt
                                           Die EU kann sich dabei auch nicht hinter der                                                 die EU eine große Mitverantwortung für Umwelt-
                                        gestiegenen Nachfrage aus Asien verstecken. Denn                                                zerstörungen und Menschenrechtsverletzungen in
                                        trotz der gewachsenen Bedeutung Chinas, das vor                                                 der südamerikanischen Region. Die in dem Han-
                                        wenigen Jahren der größte Abnehmer der Merco-                                                   delsabkommen geplanten Zollsenkungen würden
                                        sur-Waren wurde, bleibt die EU der zweitwichtigste                                              die Mengen der gehandelten Rohstoffe dabei noch
                                        Absatzmarkt für die Güterexporte des südamerika-                                                vergrößern.
                                        nischen Verbunds (siehe Grafik 1).

                                        GRAFIK 1
                                        Mercosur-Exporte: Wichtigste Abnehmer
                                        (in Mrd. US-Dollar)
                                        Quelle: Aladi 2020

                 70

                 60
Mrd. US-Dollar

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                                                                                                                    Jahr
                                                EU
                                                China
                                                USA

                                        Im bilateralen Handel mit dem Mercosur erzielte
                                                                                                                                                                                                         Foto: Florian Kopp / MISEREOR

                                        die EU seit 2012 ununterbrochen einen Handels-
                                        überschuss, der sich 2018 auf rund zweieinhalb
                                        Milliarden Euro belief (siehe Grafik 2).
                                          Der extraktivistische, das heißt stark auf die
                                        Ressourcenausbeutung fokussierte Charakter des
                                        EU-Verhältnisses zum Mercosur spiegelt sich in der                                              Soja, soweit das Auge reicht. Die ursprüngliche Vegetation des
                                        extrem ungleichen Zusammensetzung der Export-                                                   argentinischen Chaco wird verdrängt.

                                        10
2. EU-Mercosur-Beziehungen: Verfestigter Extraktivismus

           GRAFIK 2
           EU: Handelsbilanz mit dem Mercosur (Warenhandel in Mrd. Euro)
           Quelle: Europäische Kommission 2019

                                  60

                                  50

                                  40
                                                                                                                                                                   Importe
       Warenhandel in Mrd. Euro

                                  30                                                                                                                               Exporte
                                                                                                                                                                   Saldo
                                  20

                                  10

                                   0

                                  -10

                                  -20
                                        2008   2009       2010        2011   2012   2013     2014         2015         2016          2017     2018

                                                                                                                              Jahr

           Während auf Mercosur-Seite Brasilien das han-                                   Da der Mercosur mit dem geplanten Handelsabkom-
           delspolitische Schwergewicht darstellt, spielt auf                              men die Importzölle auf 91 Prozent der EU-Waren
           EU-Seite Deutschland diese Rolle. Die Bundesre-                                 sukzessive beseitigt, verheißt die EU-Kommission
           publik ist zugleich der entscheidende Urheber für                               deutschen Exporteuren hohe Zusatzgewinne im
           das Handelsdefizit des Mercosur gegenüber der EU.                               Mercosur. Die wichtigsten Produkte, die Deutsch-
           Mit 15,4 Milliarden Euro entfiel rund ein Drittel der                           land dorthin verkauft, sind Maschinen, Autos und
           EU-Exporte im Jahr 2018 auf Deutschland. Da die                                 Chemikalien. Für die Autoindustrie würden die
           Bundesrepublik zugleich nur Waren im Wert von                                   Zollsenkungen dabei besonders stark ausfallen.
           6,3 Milliarden Euro importierte, erzielte sie einen                             Die Zölle auf Autos (derzeit 35 Prozent) und auf
           großen Überschuss von 9,1 Milliarden Euro im Han-                               Autoteile (14 bis 18 Prozent) sollen weitgehend
           del mit dem Mercosur.5                                                          beseitigt werden.6

           GRAFIK 3                                                                        GRAFIK 4
           EU-28: Exporte in den Mercosur 2018                                             EU-28: Importe aus dem Mercosur 2018
           Quelle: Europäische Kommission 2019                                             Quelle: Europäische Kommission 2019

                                                                                                Bergbau/
                                                                                               Treibstoffe
                                                                                            7,9 Mrd. Euro
                                               Verarbeitete Güter
                                               37,9 Mrd. Euro

                                                                                                                                                                           Agrarprodukte
                                                                                                                                                                           22,5 Mrd. Euro

      Andere
1,6 Mrd. Euro                                                                                 Verarbeitete
                                                                                                    Güter
     Agrarprodukte                                                                          11,0 Mrd. Euro
      2,5 Mrd. Euro
                                                      Bergbau/
                                                      Treibstoffe                                                                     Andere
                                                      3,1 Mrd. Euro                                                                   1,2 Mrd. Euro

                                                                                                                                                                     11
EU-Mercosur-Abkommen: Risiken für Klimaschutz und Menschenrechte

                  3. Agrarhandel:
                     Zugriff auf Land und Wald

                  U
                         m den Beitrag des EU-Mercosur-Abkommens                            geringerem Maße beim Rinderfutter beigemischt
                         zur erforderlichen sozialen-ökologischen                           wird. Da die EU auf das proteinreiche Futtermittel
                         Transformation abschätzen zu können, sind                          angewiesen ist, genießt Soja hier schon seit Jahr-
                  sowohl die bereits existierenden Handelsströme als                        zehnten Zollfreiheit.
                  auch gegebenenfalls hinzukommende Mengen zu be-                              Die Sojaanbaufläche im Mercosur, die für Exporte
                  rücksichtigen. Beide Facetten werden im Folgenden                         in die EU belegt wird, ist immens. Agrarforscher*in-
                  für den Agrarhandel untersucht.                                           nen schätzten sie auf circa 13 Millionen Hektar.7 Das
                                                                                            entspricht über einem Drittel der Fläche Deutsch-
                  3.1.                                                                      lands von 35,7 Millionen Hektar. Da nur 13 Prozent
                                                                                            der EU-Sojaimporte als entwaldungsfrei gelten, trägt
                  Eine schwere Hypothek:
                                                                                            die europäische Nachfrage große Verantwortung
                  Die hohe Bedeutung der Futtermittel                                       für Rodungen und Treibhausgas-Emissionen in
                  Die Agrarimporte machen über die Hälfte der EU-                           Südamerika.8
                  Einfuhren aus dem Mercosur aus. Welches dabei die                            Die gesamte Sojaanbaufläche in den Mercosur-
                  bedeutendsten Güter sind, zeigen die Statistiken der                      Staaten summiert sich derzeit auf rund 58 Millionen
                  Europäischen Kommission (siehe Grafik 5).                                 Hektar, davon entfallen auf Brasilien 35,8 Millionen,
                                                                                            Argentinien 17,5 Millionen, Paraguay 3,5 Millionen
                  GRAFIK 5                                                                  und Uruguay 1,1 Millionen Hektar. Allein die Sojafel-
                  EU-Agrarimporte aus dem Mercosur 2018                                     der Brasiliens entsprechen somit der Größe Deutsch-
                  Quelle: Europäische Kommission 2019                                       lands. Das brasilianische Agrarministerium schätzt,
                                                                                            dass sich diese Fläche bis zur Ernte 2028/29 um fast
                                                                                            10 Millionen auf 45,3 Millionen Hektar vergrößert.
         Sojaschrot                                                       Andere            Bei dieser Abschätzung ist ein möglicher Nachfra-
    5.504 Mio. Euro                                                       5.439 Mio. Euro   geimpuls durch das EU-Mercosur-Abkommen noch
                                                                                            nicht einmal enthalten.9
                                                                                               Die projektierte Ausweitung der brasilianischen
                                                                                            Sojafelder alarmierte das Gemeinsame Forschungs-
                                                                                            zentrum der EU, das jüngst eine Folgenabschätzung
                                                                                            der europäischen Nachfrage auf die Umwelt in Bra-
                                                                                            silien vorlegte.10 Danach führt der brasilianische
   Sojabohnen                                                                               Sojaanbau nicht nur zu einer direkten Entwaldung
2.027 Mio. Euro
                                                                                            in der Trockensavanne des Cerrado und den Regen-
                                                                                            wäldern Amazoniens, sondern auch zu indirekten
           Kaffee/Tee                                              Getreide                 Landnutzungsänderungen. Da Weideland in Süd-
       1.958 Mio. Euro                                             847 Mio. Euro            und Zentralbrasilien in Sojafelder umgewandelt
                                  Fruchtsäfte           Rindfleisch                         werde, komme es zu einer Verdrängung der Vieh-
                              1.237 Mio. Euro           1.189 Mio. Euro                     wirtschaft in die nördlichen Bundesstaaten, vor
                                                                                            allem nach Amazonien.
                                                                                               Setzen sich die erhöhten Entwaldungsraten der
                  Deutlich wird: Sojabohnen und -schrot sind gemes-                         letzten Jahre fort, werde Brasilien sein Reduktions-
                  sen am Einfuhrwert die wichtigsten Agrarprodukte,                         ziel für die Treibhausgase, zu dem es sich unter dem
                  die die EU aus dem Mercosur importiert. Soja dient                        Pariser Abkommen verpflichtete, weit verfehlen, so
                  als proteinreicher Bestandteil des Kraftfutters in                        das Forschungszentrum. Bei fortgesetzten Rodungen
                  der industriellen Viehwirtschaft, das vor allem beim                      für neue Sojafelder komme es nicht zu einer Sen-
                  Futter von Geflügel und Schweinen sowie in etwas                          kung der CO2-Emissionen um 22 Millionen Tonnen

                  12
3. Agrarhandel: Zugriff auf Land und Wald

bis 2030, wie im Nationalen Klimaschutzbeitrag
Brasiliens angegeben, sondern zu einer zusätzlichen                      Argentinien:
kumulierten Emission von 900 Millionen Tonnen
                                                                         Exportsteuern auf Soja
CO2. Um weitere Entwaldung zu verhindern, emp-
fiehlt das Forschungszentrum daher, das geplante
Handelsabkommen von der Einhaltung „strikter
Umweltauflagen für Agrargüter“ abhängig zu ma-
                                                                         D   ie Exportsteuern auf Soja und andere Pro-
                                                                             dukte sind für Argentinien völlig unverzicht-
                                                                         bar, gerade in der aktuellen Situation einer
chen.11 Genau das ist jedoch nicht der Fall.                             Verschärfung der Haushaltslage durch einen
   Das Nachhaltigkeitskapitel des EU-Mercosur-Ab-                        erheblichen Kapitalabzug und konfliktiver Ver-
kommens enthält zwar Verpflichtungen zur „ef-                            handlungen über eine Erleichterung der argen-
fektiven Umsetzung“12 multilateraler Umweltab-                           tinischen Auslandsschulden.13 Derzeit liegen die
kommen, darunter die Biodiversitätskonvention                            Soja-Exportsteuern bei 33 Prozent.14
und das Pariser Klimaschutzabkommen. Doch sind                              2019 brachten die Exportsteuern auf Soja –
diese Bestimmungen nicht wirksam durchsetzbar,                           sie betrugen damals 26 Prozent – dem argenti-
weil das gesamte Nachhaltigkeitskapitel vom Streit-                      nischen Staat Einnahmen von ca 4,7 Milliarden
schlichtungsmechanismus des Handelsabkommens                             US-Dollar.15 Ein Teil der Einnahmen aus den
ausgenommen ist.                                                         Exportsteuern wurde bis 2018 direkt für die Finan-
   Diese Schwäche hat praktische Folgen. Denn ob-                        zierung sozialer Infrastrukturen wie Kranken-
gleich es wissenschaftlich als unabweisbar gilt,                         häuser, Schulen oder Wohnungen verwendet.
dass der Anbau von Soja im Mercosur und deren                            Im Jahr 2009 richtete die damalige Regierung
Import durch die EU die Artenvielfalt und das Kli-                       dafür einen Solidarfonds für die argentinischen
ma gefährdet, können im Rahmen des Abkommens                             Provinzen und Kommunen ein (Fondo Federal
weder gegen die EU noch den Mercosur handels-                            Solidario), in den 30 Prozent der Exportsteuer-
beschränkende Maßnahmen ergriffen werden. In                             Einnahmen flossen. Im Zuge von Sparmaßnah-
seiner derzeitigen Fassung enthält das Abkommen                          men löste die Regierung von Mauricio Macri
nicht einmal einen Ausstiegspfad aus den bestehen-                       diesen Fonds 2018 jedoch wieder auf.16
den umweltschädlichen Handelsbeziehungen.
   Ein modernes Handelsabkommen dagegen müsste
einen klar definierten Beitrag zur notwendigen De-                    die eine progressive Ökologisierung des Anbaus von
karbonisierung der Wirtschaft leisten. Dazu könnte                    Soja und anderen Kulturen oder eine Reduktion des
es beispielsweise verbindliche Zeitpläne enthalten,                   Handels mit diesen Gütern vorsehen. Doch nichts

                                                                                                                                           Foto: Bruno Kelly / Greenpeace

Die Ausweitung der brasilianischen Sojafelder bedeutet großflächige Zerstörung im Amazonas.

                                                                                                                                    13
EU-Mercosur-Abkommen: Risiken für Klimaschutz und Menschenrechte

 GRAFIK 6
 Mercosur-Exporte in die EU (2018) und zusätzliche Quoten
 Quelle: Europäische Kommission 2019 / GRAIN 2019

         700.000
                                                                                                           650.000

         600.000

         500.000                                                         469.000

                                                     392.000
         400.000
Tonnen

         300.000
                           200.000
         200.000                                               180.000

                                      99.000                                                     102.000                100.000
         100.000                                                                                                                  60.000
                                                                                   10.000
                0
                          Rindfleisch               Hühnerfleisch        Rohrzucker             Bio-Ethanol                  Reis
                       (frisch/gefroren)

                                                                         Exporte Mercosur → EU                       Zusätzliche Quoten

 dergleichen findet sich in den bisher vorliegen-                          Sommer 2019 einigten, stehen dabei im Mittelpunkt
 den Vertragstexten. Ganz im Gegenteil enthalten                           der öffentlichen Auseinandersetzung.19
 sie Klauseln, die den Sojaabsatz in der EU noch                             Nach dieser Einigung gewährt die EU dem Merco-
 stimulieren.                                                              sur zusätzliche zollbegünstigte Quoten für Fleisch,
    So gibt es in einem Anhang über Exportabgaben                          Zucker, Reis und Bio-Ethanol. Eine Übersicht zeigt,
 eine längere Liste von Produkten, bei denen sich                          dass die Rind20- und Hühnerfleischquoten, gemessen
 Argentinien zu einer Absenkung der Exportsteuern                          an den bereits existierenden Mercosur-Exporten,
 verpflichtet. Fünf Jahre nach Inkrafttreten des Ab-                       eine Vergrößerung um die Hälfte darstellen könnten,
 kommens sollen dabei die Exportsteuern auf Soja                           bei den Bio-Ethanolquoten sogar um mehr als das
 von derzeit 30 auf 18 Prozent des Warenwerts sinken,                      Sechsfache (siehe Grafik 6).
 nach zehn Jahren auf 14 Prozent.17 Dadurch aber
 verbilligt sich die Sojaeinfuhr in die EU, so dass die

                                                                                                                                           Foto: Marizilda Cruppe EVE / Greenpeace
 europäischen Tierfabriken das proteinreiche Futter-
 mittel günstiger einkaufen können. Die europäische
 Überschussproduktion von Fleisch und Milch würde
 dadurch weiter unterstützt.18 Zudem wäre dies auch
 ein erheblicher Aderlass für den argentinischen
 Staatshaushalt (siehe Box auf Seite 13).
    Das EU-Mercosur-Abkommen kann den Soja-Ver-
 brauch auch indirekt weiter ankurbeln. Wenn Fleisch-
 erzeuger im Mercosur die erweiterten EU-Importquo-
 ten für Rind- und Hühnerfleisch ausschöpfen (siehe
 unten), steigt der Futtermittelbedarf im Mercosur,
 was wiederum den Sojaanbau stimuliert.

 3.2.
 Agrarquoten: Verstärkung des Drucks
 auf Mensch und Natur
 Das geplante Abkommen vergrößert die transat-
 lantischen Warenströme durch Zollsenkungen und
 die Ausweitung zollbegünstigter Einfuhrquoten.
 Die Agrarquoten, auf die sich EU und Mercosur im                          Rinderfarmen sind Treiber von Waldverlust.

 14
3. Agrarhandel: Zugriff auf Land und Wald

                                                      GRAFIK 7
  Wie beeinflussen die Quoten                         EU-Exporte in den Mercosur (2018) und zusätzliche Quoten
  die Mercosur-Exporte?
                                                      Quelle: Europäische Kommission 2019 / GRAIN 2019

  E
                                                              35.000
      ine Abschätzung der Folgen der neuen Im-
                                                                                       30.000
      portquoten auf die Produktion der begüns-               30.000
  tigten Agrargüter und ihren transatlantischen
                                                              25.000
  Handel ist mit einigen Unsicherheiten behaftet.
  So erfolgt ein Teil der Mercosur-Exporte bereits            20.000

                                                     Tonnen
  heute unter Zollquoten, die in der Vergan-
  genheit nicht immer vollständig ausgeschöpft                15.000
  wurden, etwa die Quote für hochwertiges Rind-                                                                 10.000
                                                              10.000
  fleisch (die sogenannte Hilton-Quote).21 Eine
                                                                                                                                        5.000
  solche gelegentliche Unterausschöpfung in                    5.000          3.700
                                                                                                                              2.700
  einzelnen Jahren kann auch nach der Einfüh-                                                             771
                                                                    0
  rung der neu angebotenen Quoten nicht aus-
                                                                                  Käse                   Milchpulver        Babynahrung
  geschlossen werden. Ebenso ist es möglich,
  dass Exporteure verstärkt auf die neuen Quoten
  ausweichen und die bereits existierenden häu-                                    Exporte EU → Mercosur
  figer untergenutzt bleiben.
                                                                                   Zusätzliche Quoten
     Doch auch eine Ausweitung ist möglich, bei
  der nicht nur die Quoten ausgeschöpft, sondern
  auch Exporte zu den höheren Zollsätzen jenseits     Besondere Profiteure auf EU-Seite wären insofern
  der Quoten zunehmen. Bereits heute führen die       die exportorientierten Milcherzeuger, die einen
  Mercosur-Staaten beispielsweise fast die Hälfte     größeren Anteil ihrer Überschüsse im Mercosur
  des Rindfleischs zu den höheren Zollsätzen          absetzen könnten. Diese Aussicht führte bereits zu
  außerhalb der existierenden Quoten ein.22 Das       Protesten der südamerikanischen Milchbetriebe,
  heißt: Rindfleisch aus dem Mercosur ist derart      die um ihre Absatzmärkte in der Region fürchten.
  wettbewerbsfähig, dass es auch zu höheren           So forderten etwa argentinische Milcherzeuger eine
  Zollsätzen in der EU verkauft werden kann.          Ausklammerung ihrer Branche von dem geplanten
     Ein solches Szenario – Ausschöpfung der          Abkommen.24
  „Intra-Quoten“-Mengen und Wachstum der                 Größere Auswirkungen sind daneben von den
  „Extra-Quoten“-Mengen – wird durch die hohen        Agrarquoten für Bio-Ethanol und Rindfleisch zu er-
  Zolleinsparungen des Abkommens begüns-              warten. Die Vergünstigungen für das in Südamerika
  tigt. Der Brüsseler Think Tank Bruegel schätzt,     hauptsächlich aus Zuckerrohr gewonnene Ethanol
  dass die Exporteure allein durch die neuen          bestehen aus einer zollfreien Quote über 450.000
  Rindfleischquoten Zollzahlungen von rund            Tonnen für die Verwendung in der chemischen
  430 Millionen Euro einsparen. Für sämtliche         Industrie und einer zollbegünstigten Quote über
  neuen Quoten könne die Einsparung fast 920          200.000 Tonnen für die Nutzung als Biotreibstoff.
  Millionen Euro betragen.23 Diese Extraprofite          Diese Quoten dürften eine weitere Expansion des
  erhöhen die Gewinnmargen der Rinderzucht,           Zuckerrohranbaus im Mercosur stimulieren, vor
  was deren Expansion in den Mercosur-Ländern         allem in Brasilien, dem weltweit zweitgrößten Pro-
  begünstigt. Durch die Zusatzgewinne können          duzenten und Exporteur von Bio-Ethanol nach den
  auch Exporte in die EU außerhalb der Quoten         USA. Das brasilianische Agrarministerium schätzt,
  profitabler werden.                                 die Anbaufläche für Zuckerrohr könne in den kom-
                                                      menden zehn Jahren von 9 auf 10 Millionen Hekt-
                                                      ar steigen.25 Die zusätzliche Nachfrage durch das
Umgekehrt kann aber auch die EU-Exportwirtschaft      EU-Mercosur-Abkommen ist bei dieser Schätzung
unter dem Abkommen von zollfreien Quoten für          noch nicht einmal berücksichtigt. Bezogen auf den
Käse, Milchpulver und Babynahrung profitieren. Im     Flächenbedarf ist das Zuckerrohr neben Soja und
Vergleich zu den existierenden EU-Exporten stellen    Mais die wichtigste Ackerkultur in Brasilien.26
diese sogar eine erhebliche Vergrößerung dar: bei        Zwar liegt das Zentrum des Zuckerrohranbaus
Käse um das Achtfache, bei Milchpulver um das         im Süden des Landes, die stärkste Expansion fin-
Dreizehnfache (siehe Grafik 7).                       det jedoch im zentralen Westen und Nordosten des

                                                                                                                                 15
EU-Mercosur-Abkommen: Risiken für Klimaschutz und Menschenrechte

                                                                                              Landes statt, vor allem im artenreichen Cerrado.
                                Guarani-Kaiowá: Wachsender Druck                              Dieser Expansion ebnete Präsident Jair Bolsonaro
                                                                                              weiter den Weg, als er im November 2019 ein Dekret
                                auf indigene Territorien
                                                                                              aufhob, das den Zuckerrohranbau in Amazonien,

                                B   esonderes Opfer der Zuckerrohrexpansion
                                    sind die Indigenen Brasiliens, etwa die
                                Guarani-Kaiowá im Bundesstaat Mato Grosso
                                                                                              im Cerrado, im Feuchtgebiet des Pantanal sowie in
                                                                                              indigenen Territorien beschränkte. Das Dekret zur
                                                                                              agrarökologischen Zonierung des Zuckerrohrs hatte
                                do Sul, deren traditionelle Territorien immer                 2009 der damalige Präsident Lula da Silva erlassen.27
                                stärker dem Zuckerrohranbau und anderen                       Besonderes Opfer der Aufhebung des Dekrets durch
                                Plantagen zum Opfer fallen. So bezog etwa der                 Bolsonaro sind die Indigenen Brasiliens (siehe Box
                                Bio-Ethanolhersteller Raízen – ein Joint Venture              auf dieser Seite).
                                von Shell und Cosan – Zuckerrohr, das illegal
                                auf indigenen Territorien angebaut worden war.                3.3.
                                Zudem erleiden die Guarani-Kaiowá zahlreiche                  Rindfleisch: Treiber von Waldverlust
                                gewalttätige Übergriffe von Sicherheitskräften
                                und Plantagenbetreibern sowie Vergiftungen
                                                                                              und Klimawandel
                                durch die Pestizideinsätze auf den vorrücken-                 Nicht minder problematisch sind die zollbegüns-
                                den Feldern.28                                                tigten Quoten von insgesamt 99.000 Tonnen Rind-
                                   Die mangelnde Demarkierung von Indige-                     fleisch (55.000 Tonnen frisches, 44.000 Tonnen
                                nengebieten erhöht dabei die Rechtsunsicher-                  gefrorenes Fleisch), die die EU dem Mercosur ge-
                                heit für deren Bewohner*innen. Nachdem die                    währt. Während in der EU die verschärfte Preis-
                                Demarkierung bereits in den letzten Jahren                    konkurrenz besonders jene Viehbetriebe bedroht,
                                stark sank, ist sie unter Präsident Bolsonaro                 die tiergerechte Weidehaltung betreiben, gehören
                                vollständig zum Erliegen kommen.29 Wiederholt                 im Mercosur die Rinderherden zu den gefährlichen
                                bekräftigte Bolsonaro, künftig keine einzige                  Treibern der Entwaldung.
                                Demarkierung zugunsten der Indigenen zu                          JBS, Marfrig und Minerva, die größten Rindfleisch-
                                autorisieren. Stattdessen plant er eine Umkeh-                produzenten Brasiliens, die auch den EU-Markt
                                rung des Prozesses, in dem er bereits erfolgte                beliefern, haben kein Kontrollsystem ihrer Liefer-
                                Demarkierungen einer Revision unterziehen                     ketten, das die entwaldungsfreie Herkunft ihres
                                lässt. Um seine Politik durchzusetzen, besetzte               Schlachtviehs garantieren könnte. Viele ihrer Lie-
                                er die Führung der Indigenenbehörde FUNAI                     feranten beziehen Rinder, die auf gerodeten Amazo-
                                (Fundação Nacional do Índio) mit einem ehe-                   nasflächen gemästet werden.31 Satellitenaufnahmen
                                maligen Kommissar der Bundespolizei und                       zeigen, dass sich 70 Prozent der jüngst stark zuge-
                                Gefolgsmann der Agrarlobby.30                                 nommen Amazonasbrände in den mutmaßlichen
                                                                                              Herkunftsregionen des Schlachtviehs dieser drei
                                                                                              Firmen ereigneten.32 Im Dezember 2019 veröffent-
                                                                                              lichten Nichtregierungsorganisationen, darunter
                                                                                              Greenpeace Brasilien, daher einen offenen Brief, in
                                                                                              dem sie Investoren vor dem Kauf von Anteilen an
                                                                                              JBS und Marfrig warnten.33 Doch die Brandrodung
                                                                                              zur Erschließung von Weideflächen hat nicht nur
                                                                                              in Amazonien zugenommen, sondern auch in den
                                                                                              Trockenwäldern der Gran-Chaco-Region, die sich
                                                                                              über Brasilien, Bolivien, Argentinien und Paraguay
Foto: Reinart / MISEREOR

                                                                                              erstreckt (siehe Box auf Seite 17).
                                                                                                 Die Nichtregierungsorganisation GRAIN schätzte
                                                                                              die Klimaeffekte der Agrarquoten ab, auf die sich EU
                                                                                              und Mercosur im Sommer 2019 verständigt haben.
                                                                                              Demnach erzeugen Produktion und Handel der acht
                                Indigene Kinder des Volkes der Guaraní-Kaiowá im              Agrarprodukte, für die Importquoten vereinbart
                                Bundesstaat Mato Grosso do Sul mit einem Protestplakat:       wurden, schon jetzt Emissionen von 25,5 Millionen
                                „Wir kämpfen für unser Recht bis zum Tod. Territorium der     Tonnen CO2-Äquivalenten pro Jahr.38
                                Gerechtigkeit und Freiheit“.                                     Bleibt es bei den bisherigen Exportmengen und
                                                                                              werden zusätzlich die neuen Agrarquoten ausge-

                           16
3. Agrarhandel: Zugriff auf Land und Wald

                                   Paraguay: Rinderherden zerstören Lebensräume der Indigenen im Gran Chaco

                                   I  n der Region des Gran Chaco expandieren zahl-
                                      reiche Rinderfarmen in vormaligen Trocken-
                                   waldregionen. Auch hier haben die Waldbrände
                                                                                       Diese Region ist auch das bevorzugte Ausbrei-
                                                                                       tungsgebiet der Rinderfarmen. Der Löwenanteil
                                                                                       der paraguayischen Rindfleischproduktion ist für
                                   im vergangenen Jahr deutlich zugenommen, wobei      den Export bestimmt, der fast vollständig durch
                                   viele Feuer zur Landgewinnung für die Agrarindus-   transnationale Konzerne kontrolliert und durch-
                                   trie gelegt wurden. Allein in Paraguays Nordosten   geführt wird.35 Die in Paraguay niedergelassenen
                                   fielen mehr als 300.000 Hektar der Chaco-Wälder     Fleischverarbeiter*innen hoffen, auf sie werde
                                   den Flammen zum Opfer.34                            ein Viertel der neuen Quote von 99.000 Tonnen
                                                                                       Rindfleisch entfallen, die die EU dem Mercosur
                                                                                       gewährt hat.36
                                                                                          Von den Brandrodungen sind die Indigenen der
                                                                                       Chaco-Region in besonderem Maße betroffen. Im
                                                                                       Nordosten Paraguays werden viele der Brände
                                                                                       in den Gebieten der Ayoreo gelegt, die vielfach
                                                                                       noch in Subsistenz leben. Die Menschenrechts-
                                                                                       koordination Paraguays warnt in ihrem jüngsten
                                                                                       Bericht, dass die Dezimierung der Wälder für die
                                                                                       Ayoreo eine unmittelbare Bedrohung ihrer Lebens-
                                                                                       grundlagen bedeutet.37
Foto: Martin Katz / Greenpeace

                                                                                       Durch Brandrodung werden große Teile der Chaco-
                                                                                       Wälder vernichtet.

                                 schöpft, kämen jährlich weitere 8,7 Millionen Ton-    GRAFIK 8
                                 nen CO2-Äquivalente hinzu. Der Löwenanteil der vom    EU-Mercosur: Zusätzliche Emissionen durch Agrarquoten
                                 EU-Mercosur-Abkommen verursachten zusätzlichen        (in Tausend Tonnen CO2-Äquivalente pro Jahr)
                                 Emissionen entfällt laut GRAIN auf die erhöhte        Quelle: GRAIN 2019

                                 Rindfleischeinfuhr mit 7,1 Millionen Tonnen CO2-
                                 Äquivalenten pro Jahr (siehe Grafik 8).
                                    Allerdings: Da sich die GRAIN-Untersuchung auf
                                                                                                                                                     Andere: 198
                                 jene Waren beschränkt, die durch die Quoten-Ver-
                                 einbarungen erfasst sind, fallen bedeutsame Agrar-                                                                     Käse: 365
                                 produkte aus der Berechnung der Klimaeffekte
                                 heraus. So bleiben etwa bei den beiden neuen Rind-                                                                       Bio-Ethanol: 435
                                 fleischquoten, die frisches und gefrorenes Fleisch
                                 erfassen, verarbeitete Produkte wie Dosenfleisch
                                                                                                                                                        Hühnerfleisch: 561
                                 unberücksichtigt.39 Auch die riesigen Sojaimporte
                                 aus dem Mercosur bleiben bei der GRAIN-Berech-
                                 nung außen vor. Diese Lücke sollte berücksichtigt
                                 werden, weil das EU-Mercosur-Abkommen auch
                                 den Soja-Verbrauch weiter ankurbeln kann – sei es
                                 durch eine Verbilligung nach einer Absenkung der                           Rindfleisch:
                                 argentinischen Exportsteuern, oder sei es durch                                   7.146
                                 den erhöhten Futtermittelbedarf im Mercosur, wenn
                                 dortige Fleischerzeuger die neuen Quoten in der EU
                                 ausschöpfen.

                                                                                                                                                                 17
EU-Mercosur-Abkommen: Risiken für Klimaschutz und Menschenrechte

3.4.                                                               kann beispielsweise Agrargüter betreffen, die im
Lebensmittelsicherheit:                                            Verdacht stehen, mit Krankheitserregern befallen
                                                                   zu sein, Rückstände verbotener Pestizide zu ent-
Mangelhafte Verankerung
                                                                   halten oder Grenzwerte für Pestizidrückstände zu
des Vorsorgeprinzips                                               überschreiten.
Auch für die Lebensmittelsicherheit birgt das EU-
Mercosur-Abkommen erhebliche Risiken. So ent-                      3.5.
hält das Kapitel zu gesundheitspolizeilichen und                   Pestizide und gentechnisch
pflanzenschutzrechtlichen Maßnahmen – Sanitary                     veränderte Agrarprodukte:
and PhytosanitaryMeasures (SPS) – keinen Verweis
auf das im EU-Recht verankerte Vorsorgeprinzip,
                                                                   Freier Handel für Risikogüter
auf das sich handelsbeschränkende Maßnahmen                        All diese Risiken sind überaus real. So werden
im Risikofall stützen könnten.40                                   in den Mercosur-Ländern zahlreiche hochgiftige
   Einen expliziten Verweis auf das Vorsorgeprin-                  Pestizide in der Landwirtschaft verwendet; ein Teil
zip gibt es bisher nur im Kapitel über Handel und                  davon ist in der EU verboten oder nicht zugelassen
nachhaltige Entwicklung, das jedoch weitgehend                     (siehe Box). Diese Pestizide stellen eine erhebliche
wirkungslos ist, weil es vom Streitschlichtungsme-                 Gesundheitsgefahr dar, vor allem für die Menschen,
chanismus des Abkommens ausgeklammert ist.41                       die sie ausbringen und auf den Feldern arbeiten,
Hinzu kommt: Im Nachhaltigkeitskapitel ist die                     sowie für die ländlichen Gemeinden. Dörfer und
Anwendung des Vorsorgeprinzips auf Umweltrisiken                   Siedlungen am Rande von Plantagen und Feldern
und Gefährdungen der Arbeitssicherheit beschränkt.                 leiden häufig unter der Abdrift von Pestiziden, die
Dagegen fallen die typischen Risiken für die mensch-               per Flugzeug über den Felder versprüht werden.
liche, tierische und pflanzliche Gesundheit, die das               Allein in Brasilien, einem der weltweit größten
SPS-Kapitel adressiert, nicht in den Regelungsbe-                  Absatzmärkte für Agrarchemikalien, vergiften sich
reich des Nachhaltigkeitskapitels.                                 alljährlich Tausende Landbewohner*innen durch
   Die Folge ist: EU und Mercosur können sich nicht                den direkten Kontakt mit Pestiziden.
auf das Vorsorgeprinzip stützen, um die Einfuhr                       So registrierte das brasilianische Gesundheits-
bedenklicher Waren präventiv zu blockieren. Das                    ministeriums zwischen 2005 und 2015 insgesamt

     UN-Menschenrechtsausschuss:
     Paraguay für Vergiftung durch verbotene Pestizide verantwortlich

     W     eit über die Hälfte der Exporte Paraguays
           in die EU entfallen auf Sojabohnen und
     das daraus gewonnene Sojaschrot.46 Doch die
                                                                   nächst vor dem Verfassungsgericht Paraguays.
                                                                   Das Gericht urteilte, der Staat sei seiner Ver-
                                                                   pflichtung zum Schutz der Gesundheit, der Unver-
     in Paraguay gepflanzten Sorten sind zumeist                   sehrtheit und der Umwelt nicht nachgekommen.47
     genmanipuliert und werden mit großen Mengen                      Nachdem die staatlichen Behörden weiter untä-
     an Pestiziden besprüht, die ins Grundwasser                   tig blieben, reichten die Angehörigen von Portillo
     eindringen und die Anwohner*innen der Soja-                   2013 Beschwerde beim UN-Menschenrechtsaus-
     plantagen vergiften.                                          schuss ein. Repräsentiert wurden sie dabei durch
        Der UN-Menschenrechtsausschuss verabschie-                 die Menschenrechtskoordination CODEHUPY
     dete im August 2019 einen Beschluss, der Para-                und die Nichtregierungsorganisation BASE IS.
     guay für die schwere Vergiftung mit verbotenen                In seinem Beschluss vom August 2019 befand der
     Pestiziden verantwortlich macht, die kleinbäuer-              Menschenrechtsausschuss, aufgrund mangelnden
     liche Familien im Department Canindeyú durch                  Vorgehens gegen die illegalen Sprüheinsätze habe
     die Besprühungen eines Sojafelds erlitten ha-                 Paraguay gegen das Recht auf Leben der Betrof-
     ben. Einer der Betroffenen, Rubén Portillo, war               fenen verstoßen. Der Staat sei verpflichtet, die
     2011 durch eine Vergiftung gestorben. Da die                  Opfer zu entschädigen, die Schuldigen juristisch
     Regierungsbehörden nicht gegen die illegalen                  zur Rechenschaft zu ziehen und präventive Maß-
     Besprühungen vorgingen, klagten die ebenfalls                 nahmen zur Verhinderung ähnlicher Verstöße zu
     betroffenen Angehörigen des Verstorbenen zu-                  ergreifen.48

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