Risiken für Klimaschutz und Menschenrechte - EU-Mercosur-Abkommen von Thomas Fritz - Greenpeace Greenwire
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EU-Mercosur-Abkommen: Risiken für Klimaschutz und Menschenrechte Impressum Veröffentlicht im Auftrag von: MISEREOR e. V. Autor: Mozartstr. 9, 52064 Aachen, Deutschland Thomas Fritz Telefon +49 (0)241 442-0 www.misereor.de, www.misereor.org Redaktion: Antje Rudolph, Armin Paasch, Jürgen Knirsch Greenpeace e. V. Hongkongstraße 10, 20457 Hamburg, Deutschland Fotohinweise: Telefon +49 (0)40-30618-0 Siehe Fotografenhinweis neben den Fotos www.greenpeace.de Titelseite: Florian Kopp / MISEREOR Dreikönigsaktion – Hilfswerk der Katholischen Jungschar (DKA) Grafik Design: Wilhelminenstraße 91/II fA, 1160 Wien, Österreich VISUELL Büro für visuelle Kommunikation Telefon: +43 1 4810991 Aachen www.dka.at Druck und Auflage: V. i. s. d. P.: Web-Version MISEREOR (Armin Paasch), Greenpeace (Jürgen Knirsch) Bestell-Nummer (Greenpeace): B01331 Veröffentlicht im Juni 2020 Foto: Florian Kopp / MISEREOR 2
Inhalt Impressum 2 Vorwort 4 Zusammenfassung 5 1. Einführung 9 2. EU-Mercosur-Beziehungen: Verfestigter Extraktivismus 10 3. Agrarhandel: Zugriff auf Land und Wald 12 3.1. Eine schwere Hypothek: Die hohe Bedeutung der Futtermittel 12 3.2. Agrarquoten: Verstärkung des Drucks auf Mensch und Natur 14 3.3. Rindfleisch: Treiber von Waldverlust und Klimawandel 16 3.4. Lebensmittelsicherheit: Mangelhafte Verankerung des Vorsorgeprinzips 18 3.5. Pestizide und gentechnisch veränderte Agrarprodukte: Freier Handel für Risikogüter 18 3.6. Pestizid-Rückstandswerte: Spielball von Handelsinteressen 22 3.7. Hürden für Umwelt- und Verbraucherschutz 23 4. Rohstoffhandel: Zugriff auf Bergbau und Energie 24 4.1. Mercosur: Lieferant wichtiger Mineralien 24 4.2. Eisenerzkatastrophen: Sorgfaltspflichten bleiben zahnlos 25 4.3. Restriktionen für Exportsteuern: Rohstoffe sollen billig bleiben 27 5. Mangelhaft: Schutzinstrumente für Mensch und Natur 28 5.1. Keine Instrumente zum Schutz von Landrechten 28 5.2. Sorgfaltspflichten in der Lieferkette: Fehlanzeige 29 5.3. Menschenrechtsklausel: Bleibt sie schwach? 30 5.4. Offizielle Folgenabschätzung: zu spät, zu defizitär 31 6. Das EU-Mercosur-Abkommen in der Diskussion 32 7. Schlussfolgerungen und Empfehlungen 33 Anhang 34 Endnoten 35 3
EU-Mercosur-Abkommen: Risiken für Klimaschutz und Menschenrechte Vorwort A ls am 28. Juni 2019 der politische Abschluss des Ausmaßes. Die Pandemie ist mehr als eine Krise der Handelsabkommens zwischen der EU und den öffentlichen Gesundheit. Sie ist eine Systemkrise. vier Mercosur-Staaten Argentinien, Brasilien, Wie die Klimakrise und die vielen anderen Krisen, Paraguay und Uruguay verkündet wurde, twitterte der mit denen wir konfrontiert sind, betrifft sie alle, damalige Präsident der EU-Kommission Jean-Claude trifft jedoch einige stärker als andere. Die Pandemie Juncker: „Ein historischer Moment. Inmitten interna- trifft auf eine Welt, in der weiterhin Hunger herrscht. tionaler Handelsspannungen senden wir ein starkes Gleichberechtigung, ein sicherer Arbeitsplatz und Signal, dass wir für regelbasierten Handel stehen. eine gerechte Entlohnung sind für den Großteil der Das größte Handelsabkommen, das die EU jemals Menschen weiterhin unerreichbar, und die nächste geschlossen hat. Positives Ergebnis für Umwelt und Schuldenkrise zeichnet sich bereits ab. Die Pandemie Verbraucher.“ Ganz anders lautete die Bewertung des zeigt überdeutlich, dass das menschliche Leid in un- UN-Menschenrechtsexperten und Völkerrechtsprofes- gleichen Gesellschaften, fragilen Volkswirtschaften sors Oliver de Schutter: „Beim EU-Mercosur-Deal geht und heiklen Demokratien noch größer wird. es um Autos, die gegen Rindfleisch eingetauscht wer- Aus diesem Grund gibt es etwas, von dem wir in den den. Er ist eine Beleidigung für alle Jugendlichen, die kommenden Monaten gar nicht genug aufbringen kön- für das Klima marschiert sind, und für die Verteidiger nen: Solidarität. Ein Wort, in dem viel Verantwortung von [Menschen-]Rechten und Umwelt in Brasilien. mitschwingt. Wir werden diese Krise nur überwinden, Das Europa-Parlament muss ein Veto einlegen. Was wenn wir uns solidarisch zu unseren Mitmenschen wir brauchen, ist die Kohärenz zwischen Handel und verhalten. Solidarität muss das Fundament der Re- den Werten, die die EU verteidigen will.“ Es sei ein aktion Europas auf diese Krise sein: Bekämpfung der Abkommen gegen den Klimaschutz, die Umwelt und Pandemie und Schutz aller Menschen, zur Bewälti- die Menschenrechte, noch dazu abgeschlossen an gung der sozialen und wirtschaftlichen Folgen und einem Freitag, an dem weltweit hunderttausende Ju- zur Verteidigung der Demokratie. Solidarität bedeutet gendliche für den Klimaschutz auf die Straße gingen. auch, dass wir die Umwelt und die Lebensgrundlagen Ein Jahr später stehen wir vor dem Beginn der für künftige Generationen sichern müssen. Das alles deutschen EU-Ratspräsidentschaft. Offenbar will erfordert einen grundsätzlichen Politikwechsel in die Bundesregierung die nächste Hürde – die Ab- vielen Bereichen, auch in der Handelspolitik. stimmung über das Abkommen im EU-Rat – in der Für einen solchen grundsätzlichen Politikwechsel zweiten Jahreshälfte angehen. Schließlich würden sollte die deutsche Bundesregierung während ihrer EU- insbesondere die deutsche Automobil-, Maschinen- Ratspräsidentschaft eintreten, statt durch Handels- bau- und Chemiekonzerne vom Zollabbau profitie- abkommen die Strukturen der Umweltzerstörung ren. Im Gegenzug könnten die Mercosur-Staaten und Ausbeutung fortzuschreiben. Deutschland sollte mehr Agrarprodukte wie Rind- und Geflügelfleisch, den Beispielen der Regierungen und Parlamente Zucker und daraus gewonnenes Bio-Ethanol in die von Belgien, Frankreich, Irland, den Niederlanden EU ausführen. Dabei handelt es sich ausgerechnet und Österreich folgen und dem Abkommen mit dem um die Haupttreiber für die Abholzung des Amazo- Mercosur seine Zustimmung verweigern. Gemeinsam nasregenwaldes, Treibhausgasemissionen, Land- sollten sie zudem einen Prozess zu einer sozial, vertreibungen und Menschenrechtsverletzungen. ökologisch und menschenrechtlich kohärenten Neu- Verbindliche Menschenrechts- und Umweltstandards ausrichtung der EU-Handelspolitik anstoßen, die sowie effektive Durchsetzungsmechanismen sucht den Herausforderungen unserer Zeit gerecht wird. man in dem Abkommen vergebens. Hinzu kommt: Die postkoloniale Rollenteilung zwischen lateiname- Aachen, Hamburg, Wien im Juni 2020 rikanischen Rohstoffexporteuren und europäischen Pirmin Spiegel Produzenten von Industrieproduzenten würde einmal Hauptgeschäftsführer von MISEREOR mehr zementiert. Martin Kaiser Geschäftsführender Vorstand Greenpeace e.V. Solidarität in Zeiten von Corona Jakob Maierhofer-Wieser Was den Juni 2019 von dem des Jahres 2020 unter- Geschäftsführer der Dreikönigsaktion der Katholischen scheidet, ist eine globale Pandemie ungeahnten Jungschar (DKA) 4
Zusammenfassung E nde Juni 2019 verkündete die EU-Kommis- anbaus oder eine Reduktion des Handels mit Soja. sion, sie habe eine Grundsatz-Einigung über Stattdessen finden sich Klauseln, die den Absatz des ein Handelsabkommen mit dem Mercosur er- Futtermittels in der EU noch verbilligen würden, zielt. Dem südamerikanischen Staatenbund gehö- etwa eine Absenkung der argentinischen Export- ren Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay steuern auf Soja. Mit dieser Verpflichtung riskiert an. Das geplante Abkommen – Teil eines umfas- Argentinien zudem empfindliche Verluste für sei- senderen Assoziationsabkommens – ist sowohl in ne Staatseinnahmen, die für die Finanzierung der Zivilgesellschaft als auch unter Regierungen dringend erforderlicher Sozialprogramme fehlen überaus umstritten. würden. Die vorliegende Publikation von MISEREOR, Green- peace und der Dreikönigsaktion-Hilfswerk der Katholischen Jungschar (DKA) schildert zentrale menschenrechtliche und ökologische Risiken des EU-Mercosur-Abkommens anhand der bisher ver- öffentlichten Vertragstexte. Ferner analysiert sie, inwieweit der angestrebte Vertrag die erforderliche Regulierung schädlicher Warenströme behindern könnte. Starker Zugriff auf natürliche Foto: Martin Katz/Greenpeace Ressourcen Die Untersuchung der Handelsbeziehungen zwi- schen EU und Mercosur zeigt, dass die Importe der EU zu zwei Dritteln aus agrarischen und mine- ralischen Rohstoffen bestehen. Aufgrund dieses Abholzung in der Region Chaco in Argentinien: „So beginnt überproportionalen Zugriffs auf die natürlichen der Klimawandel“. Ressourcen des Mercosur trägt die EU eine große Mitverantwortung für Umweltzerstörungen und Menschenrechtsverletzungen in der südamerika- Treiber der Agrarexpansion: nischen Region. Die in dem Handelsabkommen Quoten für Rindfleisch und geplanten Zollsenkungen würden die Mengen der gehandelten Rohstoffe dabei noch vergrößern. Bio-Ethanol Auch die dem Mercosur angebotenen zusätzlichen EU-Sojaeinfuhr: zollbegünstigten Quoten für den Export von Fleisch Eine sozial-ökologische Hypothek und Bio-Ethanol drohen, existierende sozial-öko- logische Konflikte zu verschärfen. So bedeutet die Die schwerste Hypothek im Bereich des Agrarhan- Bio-Ethanolquote von insgesamt 650.000 Tonnen dels stellen die EU-Sojaimporte dar. Die Sojaanbau- eine Versechsfachung gegenüber bisherigen Im- fläche im Mercosur, die für Exporte in die EU belegt portmengen aus dem Mercosur. Das begünstigt eine wird, beläuft sich auf circa 13 Millionen Hektar – ein weitere Expansion des Anbaus von Zuckerrohr, dem Drittel der Fläche Deutschlands. Da aber nur 13 Pro- hauptsächlichen Rohstoff für die südamerikanische zent der EU-Sojaimporte als entwaldungsfrei gelten, Bio-Ethanolerzeugung. ist die europäische Nachfrage ein wichtiger Treiber Die angebotenen Quoten für Rind- und Hühner- für Rodungen, Treibhausgas-Emissionen und Land- fleisch wiederum stellen eine Vergrößerung um und Menschrechtskonflikte in Südamerika. die Hälfte gegenüber bisherigen Importmengen Dennoch enthält der Handelsvertrag keine Ver- dar. Als besonders problematisch erscheint hier einbarungen über eine Ökologisierung des Soja- die Rindfleischquote über 99.000 Tonnen, da die 5
EU-Mercosur-Abkommen: Risiken für Klimaschutz und Menschenrechte Erschließung von Weideland ein wesentlicher Trei- betreffen, die im Verdacht stehen, Rückstände ver- ber von Rodungen der brasilianischen Amazonas- botener Pestizide zu enthalten oder Grenzwerte für wälder und der Trockenwälder des Gran Chaco in Pestizidrückstände zu überschreiten. Argentinien und Paraguay ist. Hohe Zahl von Pestizidvergiftungen Lebensräume der Indigenen Diese Lücke ist umso problematischer, weil in den schrumpfen Mercosur-Ländern zahlreiche hochgiftige Pestizid- Zu den besonders Betroffenen der Expansion von wirkstoffe in der Landwirtschaft verwendet wer- Rinderherden oder Zuckerrohrfeldern gehören in- den, von denen ein Teil in der EU verboten oder digene Gruppen wie die Ayoreo in Paraguay oder nicht zugelassen ist. Diese Pestizide sind vor allem die Guarani-Kaiowá in Brasilien. Für sie kommt für die Menschen eine Gefahr, die sie auf den Feldern erschwerend hinzu, dass die Demarkierung von ausbringen oder die am Rande von Plantagen leben. Indigenengebieten häufig mangelhaft und stark Allein in Brasilien starben nach einer Auswertung umkämpft ist. dortiger Regierungsstatistiken zwischen 2008 und 2017 mehr als 7.200 Menschen an Pestizidvergiftun- gen. Allerdings könnte die Zahl der Todesfälle noch weit höher liegen, weil es aufgrund mangelhafter Registrierung eine hohe Dunkelziffer gibt. Der Einsatz von Pestiziden beunruhigt mittler- weile auch UN-Institutionen. Sie warnen unter anderem davor, dass in Brasilien Sprüheinsätze mitunter gezielt zur Vertreibung Indigener ein- gesetzt werden. Der UN-Menschenrechtsausschuss verabschiedete 2019 einen Beschluss, der Paraguay für schwere Vergiftungen mit verbotenen Pestiziden verantwortlich macht, weil die dortigen Behörden nicht gegen illegale Sprüheinsätze auf Sojafeldern vorgegangen sind. Beseitigung von Pestizidzöllen und Hürden für Regulierung Die Lebensräume von Indigenen werden immer weiter Foto: Florian Kopp / MISEREOR eingeschränkt. Die Regulierungsunterschiede zwischen EU- und Mercosur-Staaten machen sich auch deutsche Unter- Besonders besorgniserregend ist die Situation in nehmen zunutze. So verkaufen nach einer jüngsten Brasilien, wo unter Präsident Jair Bolsonaro die Untersuchung BASF und Bayer in Brasilien jeweils Demarkierung nicht nur vollständig zum Erliegen ge- mindestens zwölf Pestizidwirkstoffe, die in der EU kommen ist, sondern existierende Demarkierungen nicht zugelassen sind. einer Revision unterzogen werden. Diese rechtliche Indes könnte das EU-Mercosur-Abkommen den Unsicherheit ermutigt wiederum Bergbau-, Vieh- Verbrauch der Pestizide im Mercosur weiter ankur- und Holzbetriebe zur oftmals gewaltsamen Invasion beln, denn es sieht vor, die Zölle auf Pestizide und in indigenen Territorien. andere Chemikalien zu senken oder gänzlich zu beseitigen. Die Chemiezölle im Mercosur betragen Risiken für Lebensmittelsicherheit bisher bis zu 18 Prozent. Strengeren Pestizidregulierungen wiederum legt Das Abkommen birgt daneben spezifische Risiken das Abkommen zusätzliche Hürden in den Weg, vor für die Lebensmittelsicherheit, da das EU-Vorsorge- allem aufgrund der mangelnden Verankerung des prinzip nicht in dem Kapitel über gesundheitspoli- Vorsorgeprinzips. So könnten etwa die Mercosur- zeiliche und pflanzenschutzrechtliche Maßnahmen Staaten den Streitschlichtungsmechanismus des (SPS) verankert ist. Aufgrund dieses Defizits können Vertrags aktivieren, wenn die EU zulässige Grenzwerte EU und Mercosur sich nicht auf das Vorsorgeprin- von Pestiziden absenkt oder ein Ende der Zulassung zip stützen, um die Einfuhr bedenklicher Waren hochgiftiger Produkte erwägt, etwa des im Mercosur präventiv zu verhindern. Das kann u.a. Agrargüter überaus häufig verwendeten Pestizids Glyphosat. 6
Zusammenfassung Sicherung billiger Rohstoffe: Grund- Landkonflikten zu ahnden. Ein Artikel des Nach- sätzliches Verbot von Exportsteuern haltigkeitskapitels enthält diesbezüglich nur eine Verpflichtung der Vertragsparteien, die Einbindung Daneben sind die Mercosur-Staaten wichtige Liefe- Indigener in die Lieferketten von Forstprodukten ranten von mineralischen und energetischen Roh- zu fördern, wozu diese ihre „vorherige informierte stoffen. Manche davon sind für die EU-Industrie Zustimmung“ geben sollen. unverzichtbar, darunter Eisenerz und Kaolin aus Das aber ist nur eine sehr verstümmelte Variante Brasilien oder Silber und Kupfer aus Argentinien. des anspruchsvolleren UN-Konzepts der freien, vor- Damit die Versorgung der EU mit diesen Rohstoffen herigen und informierten Zustimmung. Denn dieses billig bleibt, enthält das Abkommen ein grundsätz- verlangt die Zustimmung Indigener bei jeglicher liches Verbot von Steuern und Abgaben auf Exporte. Nutzung ihrer Territorien, und nicht einfach ihre Drei Jahre nach seinem Inkrafttreten soll keine der Ver- Beteiligung an der Ressourcenausbeutung. tragsparteien Exportabgaben einführen oder aufrecht- erhalten – es sei denn, sie behält sich Ausnahmen vor. Leerstelle Menschenrechtsklausel Von dieser Möglichkeit haben bisher aber nur Ar- gentinien und Uruguay für eine begrenzte Zahl von Zudem ist in den bisher veröffentlichten Vertrags- Produkten Gebrauch gemacht. Insofern wäre die der- teilen die in vergleichbaren EU-Abkommen übliche zeit in Brasilien diskutierte Wiedereinführung von Menschenrechtsklausel noch nicht enthalten. Daher Exportsteuern auf Bergbauprodukte wie das Eisenerz lässt sich nicht analysieren, ob sie die bekannten ein Verstoß gegen das EU-Mercosur-Abkommen. Schwächen dieses Instruments beseitigen würde. Zwar erlaubt diese Klausel grundsätzlich die Aus- Eisenerzkatastrophe: setzung von Handelspräferenzen bei Menschen- Verletzung von Sorgfaltspflichten rechtsverstößen, doch sind die Hürden für ihre Aktivierung derart hoch, dass sie bisher nur selten Zugleich gehen die europäischen Eisenerzimporte angewandt wurde, meist bei schweren Verstößen mit einigen der schwersten Menschenrechtsverlet- wie Staatsstreichen. Zudem fehlen ihr Monitoring- zungen einher, für die EU-Konzerne entlang ihrer und Beschwerdeinstanzen. Auch erlaubt die Klausel Lieferketten mitverantwortlich sind, etwa die Ka- keine Schutzmaßnahmen, wenn diese gegen Bestim- tastrophe von Brumadinho im Bundesstaat Minas mungen der Handelsverträge verstoßen. Verschärfen Gerais. Dort betreibt der brasilianische Bergbaukon- etwa die im EU-Mercosur-Abkommen verabredeten zern Vale eine Eisenerzmine. Doch im Januar 2019 brach der Damm eines Rückhaltebeckens und eine riesige Abraumwelle zerstörte ein Dorf und tötete Foto: Florian Kopp / MISEREOR 272 Menschen. Kurz zuvor aber hatte das deutsche Prüfunternehmen TÜV SÜD die Stabilität des Damms trotz erheblicher Mängel zertifiziert. Obgleich Konzerne bei der Brumadinho-Katastro- phe und in anderen Fällen ihre Sorgfaltspflicht ver- letzten, enthält das EU-Mercosur-Abkommen keine verbindlichen Regelungen zur Unternehmensver- antwortung. Zwar gibt es im Nachhaltigkeitskapitel des Vertrags einen Artikel über das „verantwor- tungsvolle Management von Lieferketten“. Doch ist dieses Kapitel nicht durchsetzbar, weil es vom zwischenstaatlichen Streitschlichtungsverfahren des Abkommens ausgeklammert ist. Mangelhaft: Instrumente zur Verhin- derung von Landkonflikten Grundsätzlich sind die in dem Vertrag vorgese- henen Schutzinstrumente für Mensch und Natur überaus defizitär. So gibt es bisher keine effektiven Maßnahmen, um Menschenrechtsverletzungen bei Häufig prekär: die Menschenrechtssituation in den Mercosur-Staaten. 7
EU-Mercosur-Abkommen: Risiken für Klimaschutz und Menschenrechte Agrarquoten die Landkonflikte, dürften diese Präfe- Insofern verdeutlicht der Vertragsentwurf einmal renzen dennoch nicht ausgesetzt werden. mehr die große Dringlichkeit einer grundlegenden Reform der EU-Handelspolitik. Die folgenden Ele- Ratifizierung unsicher: mente könnten Teil einer solchen Reform sein. • Die EU-Handelsbeziehungen gehören auf den Vorbehalte mehrerer Regierungen Prüfstand: In welchen Ländern gefährden sie Seit der Verkündung der Grundsatzeinigung zwi- Mensch und Natur sowie eine sozial-ökologische schen EU und Mercosur reißt die Kritik an dem Transformation? Eine solche Analyse müsste in geplanten Abkommen nicht ab. Ob es tatsächlich einem partizipativen Prozess unter Einbeziehung in Kraft treten wird, ist daher unklar. Derzeit wer- der Zivilgesellschaft und der Parlamente der EU den die Verhandlungsergebnisse einer juristischen und der jeweiligen Partnerländer erfolgen. Prüfung unterzogen und müssen anschließend in • Anschließend bräuchte es eine ebenso inklusive alle EU-Sprachen übersetzt werden. Erst darauf Diskussion der geeignetsten Instrumente für eine folgen die Unterzeichnung und der Beginn des solche Transformation der Handelsbeziehungen. Ratifizierungsverfahrens. Hierzu müssten auch rechtliche Voraussetzungen Bleibt es dabei, dass das Handelsabkommen Teil gehören wie z.B. Nachhaltigkeitskriterien für eines umfassenderen Assoziationsabkommens wer- Güter, die den Walderhalt beeinträchtigen (sog. den soll, müssten auf EU-Seite neben dem Rat der EU „Forest Risk Commodities“ wie Soja, Rindfleisch und dem Europaparlament auch die 27 EU-Mitglied- oder Eisenerz). staaten ihre Zustimmung erteilen. Doch äußerten bereits mehrere Länder Vorbehalte. • Entscheidungen über die Aufnahme von Handels- Nach den letztjährigen Amazonasbränden und verhandlungen dürften erst nach partizipativ wegen der hochproblematischen Rolle der brasi- durchgeführten Folgenabschätzungen ihrer so- lianischen Regierung kündigte die französische zialen, ökologischen und menschenrechtlichen Regierung an, sie könne das Abkommen unter Risiken getroffen werden. diesen Bedingungen nicht unterzeichnen. Irlands • Voraussetzung für die Aufnahme von Handelsgesprä- Parlament forderte die Regierung auf, gegen das chen müsste die Ratifizierung und nachweisbare Abkommen zu stimmen. Auch die österreichische Umsetzung multilateraler Umweltabkommen und Regierung lehnt es in der bisherigen Form ab. Das internationaler Menschenrechtsabkommen sein. Parlament der Wallonie fasste ebenfalls einen ab- lehnenden Beschluss, der auch eine Zustimmung der • Die Handelsverträge bräuchten effektive Men- belgischen Zentralregierung verhindert. Anfang Juni schenrechtsklauseln, die Monitoring- und Be- 2020 stimmte auch die zweite Kammer des nieder- schwerdeinstanzen umfassen, bei Verstößen eine ländischen Parlaments gegen das EU-Mercosur-Ab- Aussetzung von Präferenzen ermöglichen und kommen – u.a. weil es keine durchsetzbaren Regeln eine Revision der Abkommen nach ihrem Inkraft- zum Schutz des Amazonas oder zur Verhinderung der treten erlauben. illegalen Entwaldung enthält. Diese Entscheidung ist • Nachhaltigkeitskapitel müssten mit den übri- zwar nicht bindend für die holländische Regierung, gen Teilen der Handelsabkommen gleichstellt diese kann sie aber nicht ignorieren, ohne einen und mit Sanktionsoptionen versehen werden. Misstrauensantrag zu riskieren. Zudem trugen Ferner sollten sie um verbindliche Regeln zur auch Parlamentarier*innen der Regierungsparteien Unternehmensverantwortung und effektivere den Beschluss mit. Die deutsche Bundesregierung zivilgesellschaftliche Monitoring- und Beschwer- wiederum hält an ihrer Zustimmung fest. demechanismen ergänzt werden. Elemente einer handelspolitischen • Ergänzend sollten Deutschland, Österreich und die anderen EU-Mitgliedstaaten Lieferkettengesetze Reform verabschieden. Auch die EU sollte eine Regulierung Die Analyse der bisher vorliegenden Vertragstexte menschenrechtlicher und ökologischer Sorgfalts- zeigt, dass das EU-Mercosur-Abkommen nicht den pflichten für Unternehmen beschließen. Zu den Anforderungen an ein zeitgemäßes Handelsabkom- Regelungsgegenständen sollte u.a. ein Verbot der men genügt. Es hilft weder dabei, Produktion und Produktion und des Exports derjenigen Pestizide Handel umweltverträglicher zu gestalten, noch Men- gehören, die in der EU und den Mitgliedstaaten aus schenrechtsverletzungen entlang der Wertschöp- Gründen des Schutzes der Gesundheit von Mensch fungsketten zu vermeiden. und Tier oder der Umwelt nicht zugelassen sind. 8
1 – Kapitelname 1. Einführung I n vielen Teilen der Welt verschärfen sich soziale werden hier die offensiven Interessen europäischer und ökologische Krisen. Ein „Weiter so“ der und deutscher Unternehmen, deren Exporte in den bisherigen Liberalisierungspolitik der Euro- Mercosur durch das Abkommen zunehmen könnten, päischen Union (EU) ist damit nicht mehr tragbar. seien dies Autos- und Autoteile, Maschinen, Medika- Allein der hohe Anteil des Welthandels an den mente oder Chemikalien (etwa Pestizide).3 Treibhausgasen verdeutlicht dies: So stiegen die im Allerdings weicht die Publikation in einem Punkt Welthandel enthaltenen Kohlendioxid-Emissionen von üblichen Folgenabschätzungen der Handels- in den vergangenen 15 Jahren von einem Viertel abkommen ab. Denn diese konzentrieren sich in auf ein Drittel der globalen Gesamtemissionen.1 der Regel darauf, ob und inwieweit ein Abkommen Vor diesem Hintergrund war es umso irritierender, den Status quo des Handelsaustauschs verändert dass die EU-Kommission Ende Juni 2019 verkündete, und welche Implikation dies haben könnte. Eine sie habe eine Grundsatz-Einigung über ein Handels- solche Betrachtung ist jedoch unzureichend. Denn abkommen mit dem Mercosur erzielt.2 Dem süd- heutzutage stellt sich immer drängender die Frage, amerikanischen Staatenbund gehören Argentinien, ob ein solcher Vertrag eine Abkehr von historisch Brasilien, Paraguay und Uruguay an. Bezogen auf gewachsenen Handelsbeziehungen ermöglicht, die die Bevölkerungszahl wäre es der größte Handels- die sozial-ökologische Krise verschärfen. Denn diese vertrag der EU mit rund 710 Millionen Menschen. Krise hat mittlerweile für die Menschheit existen- Kurz nach dieser Mitteilung machte Brasilien zielle Ausmaße angenommen. wegen der erheblichen Zunahme der Amazonas- Mit einem breiteren Bewertungsmaßstab be- Brände und gewaltsamer Landkonflikte, die von der schränkt sich die Studie daher nicht auf Abschät- aktuellen Regierung auch noch geschürt wurden, zungen veränderter Handelsströme und ihrer weltweit Schlagzeilen. Da die brasilianische Regie- Auswirkung auf Umwelt und Menschenrechte. Sie rung die umwelt- und menschenrechtlichen Ziele analysiert zusätzlich, inwieweit der angestrebte Ver- der EU offen missachtet, gerät die EU-Handelspolitik trag die Handlungsmöglichkeiten der Vertragsstaa- seither immer stärker unter Rechtfertigungsdruck. ten für eine Reduktion und Regulierung schädlicher Die Handelsgespräche dauerten über 20 Jahre Warenströme einschränken oder ausweiten würde. und erfolgten in 38 Verhandlungsrunden, die durch Die Kernfrage lautet: Leistet das Handelsabkommen teils mehrjährige Pausen unterbrochen wurden. einen ausreichenden Beitrag zur erforderlichen Allerdings ist das Handelsabkommen – es soll Teil sozial-ökologischen Transformation und zur De- eines umfassenderen Assoziationsabkommens wer- karbonisierung des Wirtschaftens? den – längst nicht abgeschlossen. Denn bisher wurde es weder unterzeichnet noch ratifiziert. Das Grundlage der Bewertung sind dabei die Texte des bedeutet auch: Es kann durchaus noch scheitern. Handelsteils des EU-Mercosur-Abkommens, die die Diese Möglichkeit steht momentan im Raum, denn EU-Kommission im Juli 2019 auf ihrer Webseite ver- in mehreren EU-Mitgliedstaaten gibt es erhebliche öffentlicht hat.4 Das geplante übergeordnete Assozia- Vorbehalte der Regierungen und der Parlamente tionsabkommen soll drei Säulen umfassen: neben gegen den Vertrag, etwa in Frankreich, Österreich, Handel auch politischer Dialog und Kooperation. Bis- Irland, Belgien und den Niederlanden. her hat die EU-Kommission jedoch nur Teile der han- Worin besteht die Kritik an dem Vertrag seitens delspolitischen Säule des Assoziationsabkommens der Zivilgesellschaft in der EU und dem Mercosur? veröffentlicht; den vollständigen Text des Assozia- Was sind die menschenrechtlichen und ökologischen tionsabkommens hält sie noch unter Verschluss. Risiken? Auf diese Fragen antwortet die vorliegende Insofern fehlen zum Zeitpunkt der Veröffentlichung Publikation. Sie konzentriert sich dabei zum einen dieses Textes einige relevante Vertragsteile für eine auf die wichtigsten Produkte, die die EU aus den Gesamtbewertung des Abkommens, darunter die Mercosur-Staaten importiert: Agrargüter und Roh- üblicherweise enthaltene Menschenrechtsklausel stoffe. Zum anderen analysiert sie die Instrumente, oder die konkreten Verpflichtungslisten zu den mit denen das Abkommen die Risiken für Mensch Kapiteln über den Güterhandel, die Investitionen und Natur abfedern soll. Nicht näher behandelt und die öffentlichen Ausschreibungen. 9
EU-Mercosur-Abkommen: Risiken für Klimaschutz und Menschenrechte 2. EU-Mercosur-Beziehungen: Verfestigter Extraktivismus D ie Handelsbeziehungen der EU zum Mercosur palette beider Regionen wider. Die EU-Exporte in sind geprägt durch einen starken Zugriff auf den Mercosur setzen sich zu rund 84 Prozent aus die natürlichen Ressourcen der vier süd- verarbeiteten Gütern zusammen (siehe Grafik 3). amerikanischen Länder. Schon seit Jahrzehnten Ganz anders hingegen die Mercosur-Exporte in importiert die EU große Mengen von Agrarprodukten die EU: Sie bestehen zu rund drei Vierteln aus agra- und Rohstoffen aus den Mercosur-Staaten, die dort rischen und mineralischen Rohstoffen, wobei auf für zahlreiche Landkonflikte sowie eine erhebliche Agrarprodukte der Löwenanteil entfällt (siehe Gra- Zunahme der Treibhausgasemissionen und des fik 4). Aufgrund dieses überproportionalen Zugriffs Verlusts der Artenvielfalt verantwortlich zeichnen. auf die natürlichen Ressourcen des Mercosur trägt Die EU kann sich dabei auch nicht hinter der die EU eine große Mitverantwortung für Umwelt- gestiegenen Nachfrage aus Asien verstecken. Denn zerstörungen und Menschenrechtsverletzungen in trotz der gewachsenen Bedeutung Chinas, das vor der südamerikanischen Region. Die in dem Han- wenigen Jahren der größte Abnehmer der Merco- delsabkommen geplanten Zollsenkungen würden sur-Waren wurde, bleibt die EU der zweitwichtigste die Mengen der gehandelten Rohstoffe dabei noch Absatzmarkt für die Güterexporte des südamerika- vergrößern. nischen Verbunds (siehe Grafik 1). GRAFIK 1 Mercosur-Exporte: Wichtigste Abnehmer (in Mrd. US-Dollar) Quelle: Aladi 2020 70 60 Mrd. US-Dollar 50 40 30 20 10 0 3 04 05 06 08 09 2 07 0 6 18 14 13 15 12 17 11 0 0 1 1 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 Jahr EU China USA Im bilateralen Handel mit dem Mercosur erzielte Foto: Florian Kopp / MISEREOR die EU seit 2012 ununterbrochen einen Handels- überschuss, der sich 2018 auf rund zweieinhalb Milliarden Euro belief (siehe Grafik 2). Der extraktivistische, das heißt stark auf die Ressourcenausbeutung fokussierte Charakter des EU-Verhältnisses zum Mercosur spiegelt sich in der Soja, soweit das Auge reicht. Die ursprüngliche Vegetation des extrem ungleichen Zusammensetzung der Export- argentinischen Chaco wird verdrängt. 10
2. EU-Mercosur-Beziehungen: Verfestigter Extraktivismus GRAFIK 2 EU: Handelsbilanz mit dem Mercosur (Warenhandel in Mrd. Euro) Quelle: Europäische Kommission 2019 60 50 40 Importe Warenhandel in Mrd. Euro 30 Exporte Saldo 20 10 0 -10 -20 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 Jahr Während auf Mercosur-Seite Brasilien das han- Da der Mercosur mit dem geplanten Handelsabkom- delspolitische Schwergewicht darstellt, spielt auf men die Importzölle auf 91 Prozent der EU-Waren EU-Seite Deutschland diese Rolle. Die Bundesre- sukzessive beseitigt, verheißt die EU-Kommission publik ist zugleich der entscheidende Urheber für deutschen Exporteuren hohe Zusatzgewinne im das Handelsdefizit des Mercosur gegenüber der EU. Mercosur. Die wichtigsten Produkte, die Deutsch- Mit 15,4 Milliarden Euro entfiel rund ein Drittel der land dorthin verkauft, sind Maschinen, Autos und EU-Exporte im Jahr 2018 auf Deutschland. Da die Chemikalien. Für die Autoindustrie würden die Bundesrepublik zugleich nur Waren im Wert von Zollsenkungen dabei besonders stark ausfallen. 6,3 Milliarden Euro importierte, erzielte sie einen Die Zölle auf Autos (derzeit 35 Prozent) und auf großen Überschuss von 9,1 Milliarden Euro im Han- Autoteile (14 bis 18 Prozent) sollen weitgehend del mit dem Mercosur.5 beseitigt werden.6 GRAFIK 3 GRAFIK 4 EU-28: Exporte in den Mercosur 2018 EU-28: Importe aus dem Mercosur 2018 Quelle: Europäische Kommission 2019 Quelle: Europäische Kommission 2019 Bergbau/ Treibstoffe 7,9 Mrd. Euro Verarbeitete Güter 37,9 Mrd. Euro Agrarprodukte 22,5 Mrd. Euro Andere 1,6 Mrd. Euro Verarbeitete Güter Agrarprodukte 11,0 Mrd. Euro 2,5 Mrd. Euro Bergbau/ Treibstoffe Andere 3,1 Mrd. Euro 1,2 Mrd. Euro 11
EU-Mercosur-Abkommen: Risiken für Klimaschutz und Menschenrechte 3. Agrarhandel: Zugriff auf Land und Wald U m den Beitrag des EU-Mercosur-Abkommens geringerem Maße beim Rinderfutter beigemischt zur erforderlichen sozialen-ökologischen wird. Da die EU auf das proteinreiche Futtermittel Transformation abschätzen zu können, sind angewiesen ist, genießt Soja hier schon seit Jahr- sowohl die bereits existierenden Handelsströme als zehnten Zollfreiheit. auch gegebenenfalls hinzukommende Mengen zu be- Die Sojaanbaufläche im Mercosur, die für Exporte rücksichtigen. Beide Facetten werden im Folgenden in die EU belegt wird, ist immens. Agrarforscher*in- für den Agrarhandel untersucht. nen schätzten sie auf circa 13 Millionen Hektar.7 Das entspricht über einem Drittel der Fläche Deutsch- 3.1. lands von 35,7 Millionen Hektar. Da nur 13 Prozent der EU-Sojaimporte als entwaldungsfrei gelten, trägt Eine schwere Hypothek: die europäische Nachfrage große Verantwortung Die hohe Bedeutung der Futtermittel für Rodungen und Treibhausgas-Emissionen in Die Agrarimporte machen über die Hälfte der EU- Südamerika.8 Einfuhren aus dem Mercosur aus. Welches dabei die Die gesamte Sojaanbaufläche in den Mercosur- bedeutendsten Güter sind, zeigen die Statistiken der Staaten summiert sich derzeit auf rund 58 Millionen Europäischen Kommission (siehe Grafik 5). Hektar, davon entfallen auf Brasilien 35,8 Millionen, Argentinien 17,5 Millionen, Paraguay 3,5 Millionen GRAFIK 5 und Uruguay 1,1 Millionen Hektar. Allein die Sojafel- EU-Agrarimporte aus dem Mercosur 2018 der Brasiliens entsprechen somit der Größe Deutsch- Quelle: Europäische Kommission 2019 lands. Das brasilianische Agrarministerium schätzt, dass sich diese Fläche bis zur Ernte 2028/29 um fast 10 Millionen auf 45,3 Millionen Hektar vergrößert. Sojaschrot Andere Bei dieser Abschätzung ist ein möglicher Nachfra- 5.504 Mio. Euro 5.439 Mio. Euro geimpuls durch das EU-Mercosur-Abkommen noch nicht einmal enthalten.9 Die projektierte Ausweitung der brasilianischen Sojafelder alarmierte das Gemeinsame Forschungs- zentrum der EU, das jüngst eine Folgenabschätzung der europäischen Nachfrage auf die Umwelt in Bra- silien vorlegte.10 Danach führt der brasilianische Sojabohnen Sojaanbau nicht nur zu einer direkten Entwaldung 2.027 Mio. Euro in der Trockensavanne des Cerrado und den Regen- wäldern Amazoniens, sondern auch zu indirekten Kaffee/Tee Getreide Landnutzungsänderungen. Da Weideland in Süd- 1.958 Mio. Euro 847 Mio. Euro und Zentralbrasilien in Sojafelder umgewandelt Fruchtsäfte Rindfleisch werde, komme es zu einer Verdrängung der Vieh- 1.237 Mio. Euro 1.189 Mio. Euro wirtschaft in die nördlichen Bundesstaaten, vor allem nach Amazonien. Setzen sich die erhöhten Entwaldungsraten der Deutlich wird: Sojabohnen und -schrot sind gemes- letzten Jahre fort, werde Brasilien sein Reduktions- sen am Einfuhrwert die wichtigsten Agrarprodukte, ziel für die Treibhausgase, zu dem es sich unter dem die die EU aus dem Mercosur importiert. Soja dient Pariser Abkommen verpflichtete, weit verfehlen, so als proteinreicher Bestandteil des Kraftfutters in das Forschungszentrum. Bei fortgesetzten Rodungen der industriellen Viehwirtschaft, das vor allem beim für neue Sojafelder komme es nicht zu einer Sen- Futter von Geflügel und Schweinen sowie in etwas kung der CO2-Emissionen um 22 Millionen Tonnen 12
3. Agrarhandel: Zugriff auf Land und Wald bis 2030, wie im Nationalen Klimaschutzbeitrag Brasiliens angegeben, sondern zu einer zusätzlichen Argentinien: kumulierten Emission von 900 Millionen Tonnen Exportsteuern auf Soja CO2. Um weitere Entwaldung zu verhindern, emp- fiehlt das Forschungszentrum daher, das geplante Handelsabkommen von der Einhaltung „strikter Umweltauflagen für Agrargüter“ abhängig zu ma- D ie Exportsteuern auf Soja und andere Pro- dukte sind für Argentinien völlig unverzicht- bar, gerade in der aktuellen Situation einer chen.11 Genau das ist jedoch nicht der Fall. Verschärfung der Haushaltslage durch einen Das Nachhaltigkeitskapitel des EU-Mercosur-Ab- erheblichen Kapitalabzug und konfliktiver Ver- kommens enthält zwar Verpflichtungen zur „ef- handlungen über eine Erleichterung der argen- fektiven Umsetzung“12 multilateraler Umweltab- tinischen Auslandsschulden.13 Derzeit liegen die kommen, darunter die Biodiversitätskonvention Soja-Exportsteuern bei 33 Prozent.14 und das Pariser Klimaschutzabkommen. Doch sind 2019 brachten die Exportsteuern auf Soja – diese Bestimmungen nicht wirksam durchsetzbar, sie betrugen damals 26 Prozent – dem argenti- weil das gesamte Nachhaltigkeitskapitel vom Streit- nischen Staat Einnahmen von ca 4,7 Milliarden schlichtungsmechanismus des Handelsabkommens US-Dollar.15 Ein Teil der Einnahmen aus den ausgenommen ist. Exportsteuern wurde bis 2018 direkt für die Finan- Diese Schwäche hat praktische Folgen. Denn ob- zierung sozialer Infrastrukturen wie Kranken- gleich es wissenschaftlich als unabweisbar gilt, häuser, Schulen oder Wohnungen verwendet. dass der Anbau von Soja im Mercosur und deren Im Jahr 2009 richtete die damalige Regierung Import durch die EU die Artenvielfalt und das Kli- dafür einen Solidarfonds für die argentinischen ma gefährdet, können im Rahmen des Abkommens Provinzen und Kommunen ein (Fondo Federal weder gegen die EU noch den Mercosur handels- Solidario), in den 30 Prozent der Exportsteuer- beschränkende Maßnahmen ergriffen werden. In Einnahmen flossen. Im Zuge von Sparmaßnah- seiner derzeitigen Fassung enthält das Abkommen men löste die Regierung von Mauricio Macri nicht einmal einen Ausstiegspfad aus den bestehen- diesen Fonds 2018 jedoch wieder auf.16 den umweltschädlichen Handelsbeziehungen. Ein modernes Handelsabkommen dagegen müsste einen klar definierten Beitrag zur notwendigen De- die eine progressive Ökologisierung des Anbaus von karbonisierung der Wirtschaft leisten. Dazu könnte Soja und anderen Kulturen oder eine Reduktion des es beispielsweise verbindliche Zeitpläne enthalten, Handels mit diesen Gütern vorsehen. Doch nichts Foto: Bruno Kelly / Greenpeace Die Ausweitung der brasilianischen Sojafelder bedeutet großflächige Zerstörung im Amazonas. 13
EU-Mercosur-Abkommen: Risiken für Klimaschutz und Menschenrechte GRAFIK 6 Mercosur-Exporte in die EU (2018) und zusätzliche Quoten Quelle: Europäische Kommission 2019 / GRAIN 2019 700.000 650.000 600.000 500.000 469.000 392.000 400.000 Tonnen 300.000 200.000 200.000 180.000 99.000 102.000 100.000 100.000 60.000 10.000 0 Rindfleisch Hühnerfleisch Rohrzucker Bio-Ethanol Reis (frisch/gefroren) Exporte Mercosur → EU Zusätzliche Quoten dergleichen findet sich in den bisher vorliegen- Sommer 2019 einigten, stehen dabei im Mittelpunkt den Vertragstexten. Ganz im Gegenteil enthalten der öffentlichen Auseinandersetzung.19 sie Klauseln, die den Sojaabsatz in der EU noch Nach dieser Einigung gewährt die EU dem Merco- stimulieren. sur zusätzliche zollbegünstigte Quoten für Fleisch, So gibt es in einem Anhang über Exportabgaben Zucker, Reis und Bio-Ethanol. Eine Übersicht zeigt, eine längere Liste von Produkten, bei denen sich dass die Rind20- und Hühnerfleischquoten, gemessen Argentinien zu einer Absenkung der Exportsteuern an den bereits existierenden Mercosur-Exporten, verpflichtet. Fünf Jahre nach Inkrafttreten des Ab- eine Vergrößerung um die Hälfte darstellen könnten, kommens sollen dabei die Exportsteuern auf Soja bei den Bio-Ethanolquoten sogar um mehr als das von derzeit 30 auf 18 Prozent des Warenwerts sinken, Sechsfache (siehe Grafik 6). nach zehn Jahren auf 14 Prozent.17 Dadurch aber verbilligt sich die Sojaeinfuhr in die EU, so dass die Foto: Marizilda Cruppe EVE / Greenpeace europäischen Tierfabriken das proteinreiche Futter- mittel günstiger einkaufen können. Die europäische Überschussproduktion von Fleisch und Milch würde dadurch weiter unterstützt.18 Zudem wäre dies auch ein erheblicher Aderlass für den argentinischen Staatshaushalt (siehe Box auf Seite 13). Das EU-Mercosur-Abkommen kann den Soja-Ver- brauch auch indirekt weiter ankurbeln. Wenn Fleisch- erzeuger im Mercosur die erweiterten EU-Importquo- ten für Rind- und Hühnerfleisch ausschöpfen (siehe unten), steigt der Futtermittelbedarf im Mercosur, was wiederum den Sojaanbau stimuliert. 3.2. Agrarquoten: Verstärkung des Drucks auf Mensch und Natur Das geplante Abkommen vergrößert die transat- lantischen Warenströme durch Zollsenkungen und die Ausweitung zollbegünstigter Einfuhrquoten. Die Agrarquoten, auf die sich EU und Mercosur im Rinderfarmen sind Treiber von Waldverlust. 14
3. Agrarhandel: Zugriff auf Land und Wald GRAFIK 7 Wie beeinflussen die Quoten EU-Exporte in den Mercosur (2018) und zusätzliche Quoten die Mercosur-Exporte? Quelle: Europäische Kommission 2019 / GRAIN 2019 E 35.000 ine Abschätzung der Folgen der neuen Im- 30.000 portquoten auf die Produktion der begüns- 30.000 tigten Agrargüter und ihren transatlantischen 25.000 Handel ist mit einigen Unsicherheiten behaftet. So erfolgt ein Teil der Mercosur-Exporte bereits 20.000 Tonnen heute unter Zollquoten, die in der Vergan- genheit nicht immer vollständig ausgeschöpft 15.000 wurden, etwa die Quote für hochwertiges Rind- 10.000 10.000 fleisch (die sogenannte Hilton-Quote).21 Eine 5.000 solche gelegentliche Unterausschöpfung in 5.000 3.700 2.700 einzelnen Jahren kann auch nach der Einfüh- 771 0 rung der neu angebotenen Quoten nicht aus- Käse Milchpulver Babynahrung geschlossen werden. Ebenso ist es möglich, dass Exporteure verstärkt auf die neuen Quoten ausweichen und die bereits existierenden häu- Exporte EU → Mercosur figer untergenutzt bleiben. Zusätzliche Quoten Doch auch eine Ausweitung ist möglich, bei der nicht nur die Quoten ausgeschöpft, sondern auch Exporte zu den höheren Zollsätzen jenseits Besondere Profiteure auf EU-Seite wären insofern der Quoten zunehmen. Bereits heute führen die die exportorientierten Milcherzeuger, die einen Mercosur-Staaten beispielsweise fast die Hälfte größeren Anteil ihrer Überschüsse im Mercosur des Rindfleischs zu den höheren Zollsätzen absetzen könnten. Diese Aussicht führte bereits zu außerhalb der existierenden Quoten ein.22 Das Protesten der südamerikanischen Milchbetriebe, heißt: Rindfleisch aus dem Mercosur ist derart die um ihre Absatzmärkte in der Region fürchten. wettbewerbsfähig, dass es auch zu höheren So forderten etwa argentinische Milcherzeuger eine Zollsätzen in der EU verkauft werden kann. Ausklammerung ihrer Branche von dem geplanten Ein solches Szenario – Ausschöpfung der Abkommen.24 „Intra-Quoten“-Mengen und Wachstum der Größere Auswirkungen sind daneben von den „Extra-Quoten“-Mengen – wird durch die hohen Agrarquoten für Bio-Ethanol und Rindfleisch zu er- Zolleinsparungen des Abkommens begüns- warten. Die Vergünstigungen für das in Südamerika tigt. Der Brüsseler Think Tank Bruegel schätzt, hauptsächlich aus Zuckerrohr gewonnene Ethanol dass die Exporteure allein durch die neuen bestehen aus einer zollfreien Quote über 450.000 Rindfleischquoten Zollzahlungen von rund Tonnen für die Verwendung in der chemischen 430 Millionen Euro einsparen. Für sämtliche Industrie und einer zollbegünstigten Quote über neuen Quoten könne die Einsparung fast 920 200.000 Tonnen für die Nutzung als Biotreibstoff. Millionen Euro betragen.23 Diese Extraprofite Diese Quoten dürften eine weitere Expansion des erhöhen die Gewinnmargen der Rinderzucht, Zuckerrohranbaus im Mercosur stimulieren, vor was deren Expansion in den Mercosur-Ländern allem in Brasilien, dem weltweit zweitgrößten Pro- begünstigt. Durch die Zusatzgewinne können duzenten und Exporteur von Bio-Ethanol nach den auch Exporte in die EU außerhalb der Quoten USA. Das brasilianische Agrarministerium schätzt, profitabler werden. die Anbaufläche für Zuckerrohr könne in den kom- menden zehn Jahren von 9 auf 10 Millionen Hekt- ar steigen.25 Die zusätzliche Nachfrage durch das Umgekehrt kann aber auch die EU-Exportwirtschaft EU-Mercosur-Abkommen ist bei dieser Schätzung unter dem Abkommen von zollfreien Quoten für noch nicht einmal berücksichtigt. Bezogen auf den Käse, Milchpulver und Babynahrung profitieren. Im Flächenbedarf ist das Zuckerrohr neben Soja und Vergleich zu den existierenden EU-Exporten stellen Mais die wichtigste Ackerkultur in Brasilien.26 diese sogar eine erhebliche Vergrößerung dar: bei Zwar liegt das Zentrum des Zuckerrohranbaus Käse um das Achtfache, bei Milchpulver um das im Süden des Landes, die stärkste Expansion fin- Dreizehnfache (siehe Grafik 7). det jedoch im zentralen Westen und Nordosten des 15
EU-Mercosur-Abkommen: Risiken für Klimaschutz und Menschenrechte Landes statt, vor allem im artenreichen Cerrado. Guarani-Kaiowá: Wachsender Druck Dieser Expansion ebnete Präsident Jair Bolsonaro weiter den Weg, als er im November 2019 ein Dekret auf indigene Territorien aufhob, das den Zuckerrohranbau in Amazonien, B esonderes Opfer der Zuckerrohrexpansion sind die Indigenen Brasiliens, etwa die Guarani-Kaiowá im Bundesstaat Mato Grosso im Cerrado, im Feuchtgebiet des Pantanal sowie in indigenen Territorien beschränkte. Das Dekret zur agrarökologischen Zonierung des Zuckerrohrs hatte do Sul, deren traditionelle Territorien immer 2009 der damalige Präsident Lula da Silva erlassen.27 stärker dem Zuckerrohranbau und anderen Besonderes Opfer der Aufhebung des Dekrets durch Plantagen zum Opfer fallen. So bezog etwa der Bolsonaro sind die Indigenen Brasiliens (siehe Box Bio-Ethanolhersteller Raízen – ein Joint Venture auf dieser Seite). von Shell und Cosan – Zuckerrohr, das illegal auf indigenen Territorien angebaut worden war. 3.3. Zudem erleiden die Guarani-Kaiowá zahlreiche Rindfleisch: Treiber von Waldverlust gewalttätige Übergriffe von Sicherheitskräften und Plantagenbetreibern sowie Vergiftungen und Klimawandel durch die Pestizideinsätze auf den vorrücken- Nicht minder problematisch sind die zollbegüns- den Feldern.28 tigten Quoten von insgesamt 99.000 Tonnen Rind- Die mangelnde Demarkierung von Indige- fleisch (55.000 Tonnen frisches, 44.000 Tonnen nengebieten erhöht dabei die Rechtsunsicher- gefrorenes Fleisch), die die EU dem Mercosur ge- heit für deren Bewohner*innen. Nachdem die währt. Während in der EU die verschärfte Preis- Demarkierung bereits in den letzten Jahren konkurrenz besonders jene Viehbetriebe bedroht, stark sank, ist sie unter Präsident Bolsonaro die tiergerechte Weidehaltung betreiben, gehören vollständig zum Erliegen kommen.29 Wiederholt im Mercosur die Rinderherden zu den gefährlichen bekräftigte Bolsonaro, künftig keine einzige Treibern der Entwaldung. Demarkierung zugunsten der Indigenen zu JBS, Marfrig und Minerva, die größten Rindfleisch- autorisieren. Stattdessen plant er eine Umkeh- produzenten Brasiliens, die auch den EU-Markt rung des Prozesses, in dem er bereits erfolgte beliefern, haben kein Kontrollsystem ihrer Liefer- Demarkierungen einer Revision unterziehen ketten, das die entwaldungsfreie Herkunft ihres lässt. Um seine Politik durchzusetzen, besetzte Schlachtviehs garantieren könnte. Viele ihrer Lie- er die Führung der Indigenenbehörde FUNAI feranten beziehen Rinder, die auf gerodeten Amazo- (Fundação Nacional do Índio) mit einem ehe- nasflächen gemästet werden.31 Satellitenaufnahmen maligen Kommissar der Bundespolizei und zeigen, dass sich 70 Prozent der jüngst stark zuge- Gefolgsmann der Agrarlobby.30 nommen Amazonasbrände in den mutmaßlichen Herkunftsregionen des Schlachtviehs dieser drei Firmen ereigneten.32 Im Dezember 2019 veröffent- lichten Nichtregierungsorganisationen, darunter Greenpeace Brasilien, daher einen offenen Brief, in dem sie Investoren vor dem Kauf von Anteilen an JBS und Marfrig warnten.33 Doch die Brandrodung zur Erschließung von Weideflächen hat nicht nur in Amazonien zugenommen, sondern auch in den Trockenwäldern der Gran-Chaco-Region, die sich über Brasilien, Bolivien, Argentinien und Paraguay Foto: Reinart / MISEREOR erstreckt (siehe Box auf Seite 17). Die Nichtregierungsorganisation GRAIN schätzte die Klimaeffekte der Agrarquoten ab, auf die sich EU und Mercosur im Sommer 2019 verständigt haben. Demnach erzeugen Produktion und Handel der acht Indigene Kinder des Volkes der Guaraní-Kaiowá im Agrarprodukte, für die Importquoten vereinbart Bundesstaat Mato Grosso do Sul mit einem Protestplakat: wurden, schon jetzt Emissionen von 25,5 Millionen „Wir kämpfen für unser Recht bis zum Tod. Territorium der Tonnen CO2-Äquivalenten pro Jahr.38 Gerechtigkeit und Freiheit“. Bleibt es bei den bisherigen Exportmengen und werden zusätzlich die neuen Agrarquoten ausge- 16
3. Agrarhandel: Zugriff auf Land und Wald Paraguay: Rinderherden zerstören Lebensräume der Indigenen im Gran Chaco I n der Region des Gran Chaco expandieren zahl- reiche Rinderfarmen in vormaligen Trocken- waldregionen. Auch hier haben die Waldbrände Diese Region ist auch das bevorzugte Ausbrei- tungsgebiet der Rinderfarmen. Der Löwenanteil der paraguayischen Rindfleischproduktion ist für im vergangenen Jahr deutlich zugenommen, wobei den Export bestimmt, der fast vollständig durch viele Feuer zur Landgewinnung für die Agrarindus- transnationale Konzerne kontrolliert und durch- trie gelegt wurden. Allein in Paraguays Nordosten geführt wird.35 Die in Paraguay niedergelassenen fielen mehr als 300.000 Hektar der Chaco-Wälder Fleischverarbeiter*innen hoffen, auf sie werde den Flammen zum Opfer.34 ein Viertel der neuen Quote von 99.000 Tonnen Rindfleisch entfallen, die die EU dem Mercosur gewährt hat.36 Von den Brandrodungen sind die Indigenen der Chaco-Region in besonderem Maße betroffen. Im Nordosten Paraguays werden viele der Brände in den Gebieten der Ayoreo gelegt, die vielfach noch in Subsistenz leben. Die Menschenrechts- koordination Paraguays warnt in ihrem jüngsten Bericht, dass die Dezimierung der Wälder für die Ayoreo eine unmittelbare Bedrohung ihrer Lebens- grundlagen bedeutet.37 Foto: Martin Katz / Greenpeace Durch Brandrodung werden große Teile der Chaco- Wälder vernichtet. schöpft, kämen jährlich weitere 8,7 Millionen Ton- GRAFIK 8 nen CO2-Äquivalente hinzu. Der Löwenanteil der vom EU-Mercosur: Zusätzliche Emissionen durch Agrarquoten EU-Mercosur-Abkommen verursachten zusätzlichen (in Tausend Tonnen CO2-Äquivalente pro Jahr) Emissionen entfällt laut GRAIN auf die erhöhte Quelle: GRAIN 2019 Rindfleischeinfuhr mit 7,1 Millionen Tonnen CO2- Äquivalenten pro Jahr (siehe Grafik 8). Allerdings: Da sich die GRAIN-Untersuchung auf Andere: 198 jene Waren beschränkt, die durch die Quoten-Ver- einbarungen erfasst sind, fallen bedeutsame Agrar- Käse: 365 produkte aus der Berechnung der Klimaeffekte heraus. So bleiben etwa bei den beiden neuen Rind- Bio-Ethanol: 435 fleischquoten, die frisches und gefrorenes Fleisch erfassen, verarbeitete Produkte wie Dosenfleisch Hühnerfleisch: 561 unberücksichtigt.39 Auch die riesigen Sojaimporte aus dem Mercosur bleiben bei der GRAIN-Berech- nung außen vor. Diese Lücke sollte berücksichtigt werden, weil das EU-Mercosur-Abkommen auch den Soja-Verbrauch weiter ankurbeln kann – sei es durch eine Verbilligung nach einer Absenkung der Rindfleisch: argentinischen Exportsteuern, oder sei es durch 7.146 den erhöhten Futtermittelbedarf im Mercosur, wenn dortige Fleischerzeuger die neuen Quoten in der EU ausschöpfen. 17
EU-Mercosur-Abkommen: Risiken für Klimaschutz und Menschenrechte 3.4. kann beispielsweise Agrargüter betreffen, die im Lebensmittelsicherheit: Verdacht stehen, mit Krankheitserregern befallen zu sein, Rückstände verbotener Pestizide zu ent- Mangelhafte Verankerung halten oder Grenzwerte für Pestizidrückstände zu des Vorsorgeprinzips überschreiten. Auch für die Lebensmittelsicherheit birgt das EU- Mercosur-Abkommen erhebliche Risiken. So ent- 3.5. hält das Kapitel zu gesundheitspolizeilichen und Pestizide und gentechnisch pflanzenschutzrechtlichen Maßnahmen – Sanitary veränderte Agrarprodukte: and PhytosanitaryMeasures (SPS) – keinen Verweis auf das im EU-Recht verankerte Vorsorgeprinzip, Freier Handel für Risikogüter auf das sich handelsbeschränkende Maßnahmen All diese Risiken sind überaus real. So werden im Risikofall stützen könnten.40 in den Mercosur-Ländern zahlreiche hochgiftige Einen expliziten Verweis auf das Vorsorgeprin- Pestizide in der Landwirtschaft verwendet; ein Teil zip gibt es bisher nur im Kapitel über Handel und davon ist in der EU verboten oder nicht zugelassen nachhaltige Entwicklung, das jedoch weitgehend (siehe Box). Diese Pestizide stellen eine erhebliche wirkungslos ist, weil es vom Streitschlichtungsme- Gesundheitsgefahr dar, vor allem für die Menschen, chanismus des Abkommens ausgeklammert ist.41 die sie ausbringen und auf den Feldern arbeiten, Hinzu kommt: Im Nachhaltigkeitskapitel ist die sowie für die ländlichen Gemeinden. Dörfer und Anwendung des Vorsorgeprinzips auf Umweltrisiken Siedlungen am Rande von Plantagen und Feldern und Gefährdungen der Arbeitssicherheit beschränkt. leiden häufig unter der Abdrift von Pestiziden, die Dagegen fallen die typischen Risiken für die mensch- per Flugzeug über den Felder versprüht werden. liche, tierische und pflanzliche Gesundheit, die das Allein in Brasilien, einem der weltweit größten SPS-Kapitel adressiert, nicht in den Regelungsbe- Absatzmärkte für Agrarchemikalien, vergiften sich reich des Nachhaltigkeitskapitels. alljährlich Tausende Landbewohner*innen durch Die Folge ist: EU und Mercosur können sich nicht den direkten Kontakt mit Pestiziden. auf das Vorsorgeprinzip stützen, um die Einfuhr So registrierte das brasilianische Gesundheits- bedenklicher Waren präventiv zu blockieren. Das ministeriums zwischen 2005 und 2015 insgesamt UN-Menschenrechtsausschuss: Paraguay für Vergiftung durch verbotene Pestizide verantwortlich W eit über die Hälfte der Exporte Paraguays in die EU entfallen auf Sojabohnen und das daraus gewonnene Sojaschrot.46 Doch die nächst vor dem Verfassungsgericht Paraguays. Das Gericht urteilte, der Staat sei seiner Ver- pflichtung zum Schutz der Gesundheit, der Unver- in Paraguay gepflanzten Sorten sind zumeist sehrtheit und der Umwelt nicht nachgekommen.47 genmanipuliert und werden mit großen Mengen Nachdem die staatlichen Behörden weiter untä- an Pestiziden besprüht, die ins Grundwasser tig blieben, reichten die Angehörigen von Portillo eindringen und die Anwohner*innen der Soja- 2013 Beschwerde beim UN-Menschenrechtsaus- plantagen vergiften. schuss ein. Repräsentiert wurden sie dabei durch Der UN-Menschenrechtsausschuss verabschie- die Menschenrechtskoordination CODEHUPY dete im August 2019 einen Beschluss, der Para- und die Nichtregierungsorganisation BASE IS. guay für die schwere Vergiftung mit verbotenen In seinem Beschluss vom August 2019 befand der Pestiziden verantwortlich macht, die kleinbäuer- Menschenrechtsausschuss, aufgrund mangelnden liche Familien im Department Canindeyú durch Vorgehens gegen die illegalen Sprüheinsätze habe die Besprühungen eines Sojafelds erlitten ha- Paraguay gegen das Recht auf Leben der Betrof- ben. Einer der Betroffenen, Rubén Portillo, war fenen verstoßen. Der Staat sei verpflichtet, die 2011 durch eine Vergiftung gestorben. Da die Opfer zu entschädigen, die Schuldigen juristisch Regierungsbehörden nicht gegen die illegalen zur Rechenschaft zu ziehen und präventive Maß- Besprühungen vorgingen, klagten die ebenfalls nahmen zur Verhinderung ähnlicher Verstöße zu betroffenen Angehörigen des Verstorbenen zu- ergreifen.48 18
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