Neobiota in Sachsen-Anhalt - Naturschutz im Land Sachsen-Anhalt 46. Jahrgang 2009 Heft 2: 3-63

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Neobiota in Sachsen-Anhalt - Naturschutz im Land Sachsen-Anhalt 46. Jahrgang 2009 Heft 2: 3-63
Naturschutz im Land Sachsen-Anhalt
46. Jahrgang • 2009 • Heft 2: 3-63

Neobiota in Sachsen-Anhalt

Erik Arndt

1   Einleitung                                       leben, an dem sie gepflanzt oder ausgebracht
                                                     wurden. Ein Teil der Neobiota hat jedoch die Zäu-
Bisamratte, Waschbär, Regenbogenforelle, Zwerg-      ne von Gärten oder Pelztierfarmen überwunden,
wels, Kartoffelkäfer, Dreikantmuschel, Robinie,      wurde gedankenlos von Bürgern ausgesetzt oder
Götterbaum, Lupine, Herkulesstaude… die Auf-         ist unbemerkt mit Schiff und Flugzeug eingetrof-
zählung ließe sich beliebig fortsetzen. All diese    fen. Wir können davon ausgehen, dass sich in
Arten verbindet der Umstand, dass sie in Sachsen-    Deutschland etwa 300 Neophyten-Arten und 400
Anhalt zwar weit verbreitet, aber nicht 'heimisch'   Neozoen-Arten eigenständig ausbreiten (Geiter
sind. Sie werden als Neobiota bezeichnet, worun-     et al. 2002, Kowarik 2003). Genaue Schätzungen
ter wir Arten verstehen, die nach der Entdeckung     sind schwierig, da einerseits jährlich zahlreiche
Amerikas (1492) durch direkte oder indirekte Un-     neue Neobiota hinzukommen, sich andererseits
terstützung des Menschen aus anderen Regionen        die meisten Arten aber nicht unmittelbar weiter
nach Deutschland gekommen sind. Der festgeleg-       ausbreiten. Mitunter dauert es viele Jahrzehnte,
te Stichtag grenzt einerseits die Neobiota von den   bis der angestammte Platz im Garten verlassen
Archaeobiota, d.h. von Arten, die in historischer    wird und die Arten plötzlich ihr Areal sehr schnell
Zeit durch den Menschen eingeschleppt wurden,        ausdehnen. Ein solches Beispiel sind die Spring-
ab. Zu den Archaeobiota gehören in Mitteleu-         kräuter (Gattung Impatiens). Das Kleinblütige
ropa beispielsweise zahlreiche Ackerunkräuter,       Springkraut (Impatiens parviflora) wurde 1837
Schaben, Brotkäfer und andere Vorratsschädlin-       aus Asien in die Botanischen Gärten von Genf
ge, Jagdfasan, Damhirsch, Hausmaus, Hausratte        und Dresden gebracht, wurde schnell als Garten-
und Wanderratte. Andererseits markiert das Jahr      pflanze in ganz Europa bekannt und etablierte
1492 auch den Beginn des intensiven Seehandels,      sich über einen Zeitraum von etwa 100 Jahren auf
dynamischer Wirtschaftsentwicklung und der           ruderalen Plätzen im städtischen Bereich auch
damit verbundenen dramatischen Zunahme ein-          außerhalb von Gärten. Mitte des 20. Jahrhunderts
geführter Pflanzen und Tiere aus Übersee.            jedoch wanderte es plötzlich in Wälder ein und
                                                     besiedelt dort heute in großem Maße auch na-
Der Fachbegriff Neobiota umfasst eingeführ-          turnahe Laubwaldstandorte (Schmitz 1998/99,
te Pflanzen (Neophyten), Tiere (Neozoen), Pilze      Trepl 1984). Mit einer ähnlichen Besiedlungs-
(Neomyceten), aber auch Mikroorganismen. Letz-       historie war das Drüsige Springkraut (Impatiens
tere sind zumeist Krankheitserreger und verdeut-     glandulifera) in Europa mehr als 30 Jahre auf Gär-
lichen schnell ein Problem - viele Neobiota sind     ten beschränkt, ehe es erstmalig in freier Wild-
unbeabsichtigt nach Mitteleuropa gekommen            bahn registriert wurde. Über 50 Jahre nach sei-
und können erhebliche Schäden anrichten.             ner Einführung in Europa wurde es erstmals als
Zahlreiche Neophyten sind zur Verschönerung          „Unkraut“ wahrgenommen. Es infiltrierte natür-
des menschlichen Lebensumfeldes importiert           liche Ökosysteme, breitete sich sehr schnell aus
worden. Viele heute im Gartenbau verwendete          und verdrängte dabei heimische Pflanzenarten
Pflanzen gehören dazu. Andere, wie Tomate und        (Hartmann et al. 1995, Arndt et al. 2008).
Kartoffel, dienen der Ernährung. Diese Beispiele     Eine solche 'Verzögerungsphase' zwischen An-
betreffen Arten, die ausschließlich an dem Ort       pflanzung oder Aussetzen von fremdländischen

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                                                                                                                     Sträucher
                                                                                      30

                                                         Anteil der Gehölzarten (%)
                                                                                      25

                                                                                      20

                                                                                      15

                                                                                      10

                                                                                      5

                                                                                      0
                                                                                           -50 -100 -150 -200 -250 -300 -350 -351
                                                                                                            Jahre

Abb. 1: Der Götterbaum benötigte von seiner Ein-     Abb. 2: Zeitraum zwischen Einführung und ei-
führung bis zur seiner eigenständigen Ausbrei-       genständiger Ausbreitung von 118 Strauch- und
tung im östlichen Teil Deutschlands mehr als 120     66 Baumarten (nach Kowarik 1995). Die meisten
Jahre. Heute ist er aus dem Stadtbild nicht mehr     Gehölze benötigten time-lag-Phasen von 80-220
wegzudenken.                                         Jahren, um sich eigenständig im Freiland anzu-
Foto: E. Arndt.                                      siedeln.

Arten und deren explosive Ausbreitung wird als       den. Williamson (1993) ermittelte, dass in der
time-lag bezeichnet (Abb. 1, 2) und kann auf un-     Neuzeit 12.507 Blütenpflanzenarten nach Großbri-
terschiedlichste Ursachen zurückgeführt wer-         tannien eingeführt wurden, von denen sich 13,1%
den. Sehr wahrscheinlich müssen sich die Arten       gelegentlich ansiedelten. 12,8% dieser gelegent-
zunächst genetisch an die mitteleuropäischen         lich angesiedelten Pflanzenarten etablierten sich
Verhältnisse anpassen. Dieser Prozess benötigt       schließlich dauerhaft, 18,6% der dauerhaft eta-
Jahre bis Jahrzehnte und wird insbesondere bei       blierten erwiesen sich als Problempflanzen und
Pflanzen beobachtet. Weitere Aspekte sind die        unter den Problempflanzen rufen etwa 7% ökono-
Beseitigung von Verbreitungsschranken (z.B.          misch oder ökologisch schwere Schäden hervor.
durch Kanalbau oder Zunahme des Straßenbaus          Diese Abstufung um jeweils rund 10% nennt man
und -verkehrs Mitte des letzten Jahrhunderts), die   „Zehnerregel“. Diese Regel gilt auch für Wirbel-
Veränderung der Bewirtschaftung von Wiesen,          tiere und Insekten und ist, soweit man überblickt,
Feldern oder Forsten und nicht zuletzt der Kli-      über Großbritannien hinaus gültig (di Castri
mawandel. Eine Vielzahl unserer Neobiota-Arten       1989, Williamson 1996). Anders ausgedrückt, nur
kommt aus südlichen Ländern, ihre Ansiedlung         0,1% aller Arten, die zu uns kommen, werden pro-
in Naturräumen außerhalb der Großstädte wäre         blematisch. Viele weit verbreitete Arten, wie das
ohne die bereits messbare Temperaturerhöhung         Mondbechermoos (Lunularia cruciata), die Kugel-
kaum möglich gewesen. In jedem Fall macht die        distel- (Echinops sp.) und Nachtkerzen-Arten (Oe-
Beobachtung langer time-lag-Phasen in der Ver-       nothera sp.), das Mauer-Zimbelkraut (Cymbalaria
gangenheit deutlich, dass die Ausbreitungsfä-        muralis, Abb. 3), die Kartäuserschnecke (Monacha
higkeit und die ökologische sowie ökonomische        cartusiana), Platanennetzwanze (Corythucha cili-
Bedeutung unserer „bisher harmlosen“ Neobiota        ata, Abb. 4), Zitterspinne (Pholcus phalangioides)
leicht unterschätzt werden kann.                     oder die in Großstädten lebenden Sittiche, können
                                                     derzeit nicht als ökologisches oder ökonomisches
Nicht alle Neobiota sind jedoch ökologische oder     Problem bezeichnet werden. Sie nutzen in unse-
ökonomische Problemarten. Um dies zu verdeut-        rer Umwelt bisher ungenutzte Ressourcen. Viele
lichen, soll ein Zahlenbeispiel herangezogen wer-    fremdländische Arten siedeln sich in städtischen

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Abb. 3: Nicht alle Neobiota-Arten bereiten ökolo-   Abb. 4: Die Platanennetzwanze wurde aus Nord-
gische, naturschutzfachliche oder ökonomische       amerika eingeschleppt und lebt in Deutschland
Probleme. Das Mauer-Zimbelkraut ist ein Neo-        auf den ebenfalls fremdländischen und überwie-
phyt, der eine ‚freie Nische‘ einnimmt und keine    gend im urbanen Raum angepflanzten Platanen.
negativen Auswirkungen auf heimische Pflanzen       Durch sie wurden bislang keine ökologischen
hat. Foto: E. Arndt.                                Veränderungen in mitteleuropäischen Ökosyste-
                                                    men verursacht. Foto: H. Bellmann.

Lebensräumen an, also in einer vom Menschen         2   Ökonomische Schäden durch
stark veränderten Umgebung, ohne dort Schaden           fremdländische Arten
zu verursachen oder heimische Arten zu gefähr-
den. Aber auch in natürlichen Ökosystemen gibt      Weltweit erreichen die durch eingeschleppte
es ungenutzte Ressourcen, z.B. am Boden liegende    Arten hervorgerufenen Kosten jährlich Größen-
Blattstreu, in der fremdländische Asseln und Tau-   ordnungen von Milliarden Euro (Kowarik 2003,
sendfüßer mit heimischen Arten koexistieren.        Pimentel et al. 2000). Diese große Summe wur-
Ein kleiner Teil der einwandernden Arten entwi-     de auf Basis der Analyse einiger Beispielarten
ckelt sich jedoch zu einem wirtschaftlichen oder    hochgerechnet. Aus Deutschland liegen bislang
ökologischen und damit auch naturschutzfachli-      ausgesprochen wenige stichhaltige Zahlen vor,
chen Problem.                                       die umfangreichste Darstellung ist eine Studie
                                                    des Umweltbundesamts (Reinhardt et al. 2003).
Schon diese wenigen Fakten verdeutlichen, dass      Für das Land Sachsen-Anhalt liegen bislang keine
das Thema Neobiota sehr komplex ist und aus         veröffentlichten Daten vor.
verschiedenen Gründen Aufmerksamkeit ver-
dient. Die Zielstellung der vorliegenden Arbeit     Landwirtschaft
ist, die fremdländischen Arten in Sachsen-Anhalt    Neobiota spielen vor allem als konkurrenzstarke
näher zu beleuchten und insbesondere auf inva-      Unkräuter, Getreideschädlinge (z.B. Maiswurzel-
sive Arten einzugehen. Dazu sollen zunächst Rah-    bohrer, Diabrotica virgifera), Kartoffelschädlinge
menbedingungen wie Eintragspfade und ökono-         (Kartoffelkäfer, Leptinotarsa decemlineata), Pro-
mische Folgen der Ausbreitung fremdländischer       blemarten im Weinanbau (Reblaus, Viteus vitifo-
Arten kurz umrissen sowie der Begriff 'invasive     liae) und im weiteren Sinn als Vorratsschädlinge
Arten' näher erläutert werden. Den Hauptteil der    (Getreideplattkäfer, Oryzaephilus surinamensis;
Arbeit bilden Fallbeispiele für invasive Arten in   Mehlmotte, Ephestia kuehniella) eine große Rolle.
Sachsen-Anhalt, ehe abschließend gesetzliche        Die Bekämpfung dieser Arten kostet in Sachsen-
Regelungen und praktische Aspekte im Umgang         Anhalt jährlich mindestens einen 7-stelligen Be-
mit Neobiota diskutiert werden.                     trag.

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Gartenbau und kommunaler Bereich
Zahlreiche Neozoen treten als Schädlinge oder
Krankheitsüberträger im Gartenbau auf, darunter
z.B. Spinnmilben, Schildläuse und die Spanische
Wegschnecke (Arion lusitanicus). Eine Vielzahl der
in den letzten Jahren eingeschleppten Neozoen-
Arten schädigen Park- und Straßenbäume (Abb.
5) und mindern die Vitalität von Obstbäumen. Bei
nachhaltiger Schädigung müssen solche Bäume
zukünftig sogar ersetzt werden. Darüber hinaus
verursachen schnellwachsende neophytische
Hochstauden oder Sträucher einen stärkeren Auf-
wand für die Freihaltung von Verkehrswegen.

Forstwirtschaft                                      Abb. 6: Die Bisamratte lebt wie das Nutria an Ge-
Die bei uns bis in die 1990er Jahre angepflanzte     wässerufern; beide Arten wurden aus der ‚Neuen
Spätblühende Traubenkirsche (Prunus serotina)        Welt‘ ursprünglich als Pelztiere nach Europa ge-
bildet in Wirtschaftsforsten dichte Strauchschich-   holt. Foto: J. Dingel.
ten und behindert sowohl die Naturverjüngung
als auch die Bewirtschaftung der Flächen. Die
dadurch entstehenden Kosten für Bekämpfungs-
maßnahmen werden in Deutschland auf jährlich         Wasserwirtschaft
ca. 25 Mio. EUR geschätzt (Reinhardt et al. 2003).   Eine große Bedeutung für die Wasserwirtschaft
Auch exotische holzbewohnende Käfer sind auf         besitzen Nutria (Myocastor coypus) und Bisam-
dem Vormarsch und könnten in naher Zukunft in        ratte (Ondatra zibeticus, Abb. 6). Die Tiere durch-
Sachsen-Anhalt eine Rolle spielen.                   ziehen Dämme und Fließgewässerufer mit ihren
                                                     Höhlungen. Reinhardt et al. (2003) schätzen die
                                                     mit der Bisambekämpfung verbundenen Kosten
                                                     in Deutschland auf bis zu 18,6 Mio. EUR jährlich.
                                                     Erhebliche, nicht näher zu beziffernde Kosten ver-
Abb. 5: Fremdländische Arten verursachen ne-         ursachen auch Hochstauden, wie der Japanische
ben ökologischen Problemen auch ökonomische          Staudenknöterich (Fallopia japonica), die Uferbö-
Schäden. Ein Beispiel ist der Asiatische Laubholz-   schungen von Fließgewässern durchziehen und
bockkäfer (Anoplophora glabripennis). Von ihm        der Erosion aussetzen.
befallene Bäume müssen vorsorglich gefällt wer-
den, um die weitere Ausbreitung des Käfers zu        Fischereiwirtschaft
verhindern. Foto: G. Kortmann, Landwirtschafts-      Fischereiwirtschaftliche Schäden sind seit etwa
kammer NRW.                                          100 Jahren durch den Amerikanischen Flusskrebs
                                                     (Orconectes limosus) infolge der Krankheitsüber-
                                                     tragung auf einheimische Arten und die Chine-
                                                     sische Wollhandkrabbe (Eriocheir sinensis) durch
                                                     Zerstörung von Fischernetzen bekannt.

                                                     Gesundheitswesen
                                                     Zahlreiche Neophyten, wie Goldregen (Laburnum
                                                     anagyroides), Lupine (Lupinus sp.), Herkulesstau-
                                                     de (Heracleum mantegazzianum) oder auch Rho-
                                                     dodendron-Arten sind giftig. Problematisch ist
                                                     außerdem die starke allergene Wirkung mancher
                                                     fremdländischer Arten, wie der Beifuß-Ambrosie
                                                     (Ambrosia artemisiifolia, Abb. 7). Kosten entstehen

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                                                                           40

                                                     Prozentualer Anteil
                                                                           35
                                                                           30
                                                                           25
                                                                           20
                                                                           15
                                                                           10
                                                                           5
                                                                           0
                                                                                el          aft         au         aft        tik            rt         nt
                                                                             nd          ch          nb          ch       ris             ah         an
                                                                           Ha      i rts         rte       i rts      qua          h ifff       b ek
                                                                                 w           G a         w          A          S c          un
                                                                              nd                      rst
                                                                           La                      Fo

Abb. 7: Eine im Zusammenhang mit Allergiebela-      Abb. 8: Eintragspfade für Neophyten und ihr An-
stung häufig genannte Art ist die Beifußambro-      teil an invasiven Arten in Sachsen-Anhalt.
sie. Foto: G. Kortmann, Landwirtschaftskammer
NRW.

einerseits durch die Behandlung von allergischem    spielt nicht nur die Suche nach neuen Formen
Asthma, allergischer Rhinitis und Hautreizungen     und Farben eine Rolle, sondern vor allem das
sowie andererseits durch die direkte Bekämpfung     Bestreben, wirtschaftlich nutzbare, schnellwach-
der Pflanzen. Alleine die klinische Behandlung      sende Gehölze zu finden, die ggf. auch auf sehr
der durch die Beifußambrosie verursachten Aller-    kargen Böden wie in ehemaligen Tagebaugebie-
gien wird deutschlandweit auf jährlich bis zu 50    ten wachsen oder sauren Regen und Klimawan-
Mio. EUR geschätzt (Reinhardt et al. 2003).         del tolerieren (Abb. 8).

                                                    Auch durch die Landwirtschaft wurden zahlrei-
3   Vektoren für die Einschleppung                  che Tier- und Pflanzenarten zu uns gebracht –
    fremdländischer Arten                           dazu zählen u.a. Grundnahrungsmittel wie Kar-
                                                    toffel und Tomate, Bioenergiepflanzen, vor allem
Pflanzen, Tiere und auch Mikroorganismen sind       aber eine Vielzahl von Schädlingen. Viele Arten
in der Lage, eigenständig große Wegstrecken zu      wurden von Jägern und Pelztierzüchtern sowie
überwinden und ihr Verbreitungsgebiet auszu-        in den letzten 50 Jahren zunehmend von Zoo-
dehnen. Für die hier betrachteten Neobiota-Arten    tierhändlern und Aquarianern eingeführt bzw.
fungiert jedoch der Mensch als Wegbereiter in       freigelassen (Abb. 9). Darüber hinaus spielen der
eine neue Welt. Krabben aus China, kleine Schne-    allgemeine Reiseverkehr und die zufällige Ver-
cken aus Neuseeland, Nagetiere aus Südamerika       schleppung von Arten eine Rolle. Überprüfbare
oder die Kanadische Goldrute wären alleine nicht    Nachweise der Verschleppung fremdländischer
in der Lage, geografische Barrieren wie Hochge-     Arten mit Flugzeug, Eisenbahn- oder Straßenver-
birge oder Ozeane zu überwinden. Sprunghaft         kehr liegen aus dem Bundesland Sachsen-Anhalt
zunehmender Handel und zunehmende Fernrei-          nicht vor, aber einige Neophyten wachsen bevor-
setätigkeit seit der Entdeckung Amerikas sind       zugt auf Bahnhöfen und entlang von Schienen-
die Hauptgründe für die beabsichtigte oder un-      trassen und Autobahnen, was Rückschlüsse auf
beabsichtigte Einfuhr von 'exotischen' Arten aus    die Ausbreitungsart zulässt. Für die Ausbreitung
aller Welt zu uns (und umgekehrt!). Die Lust auf    von fremdländischen Wasserbewohnern spielt
Exoten spielt seit jeher im Gartenbau eine gro-     die Schifffahrt eine herausragende Bedeutung. Im
ße Rolle. Ähnlich verhält es sich mit dekorativen   Ballastwasser, Wasser von Ansaugpumpen oder
Park- und Straßenbäumen. In der Forstwirtschaft     an Bootsrümpfe geheftet, haben sich zahlreiche

                                                                                                                                                             7
Neobiota in Sachsen-Anhalt - Naturschutz im Land Sachsen-Anhalt 46. Jahrgang 2009 Heft 2: 3-63
35                                                  Im folgenden Text bezieht sich der Begriff 'inva-
                          30
                                                                              siv' auf die Definition im „Gesetz zur Neuregelung
                                                                              des Naturschutzes und der Landschaftspflege“
    Prozentualer Anteil

                                                                              vom 29. Juli 2009 (vgl. Tab. 1, BNatSchG). Für die
                          25

                                                                              im Anschluss ausführlich vorgestellten Arten
                          20

                          15
                                                                              treffen jedoch grundsätzlich alle gängigen Auf-
                          10                                                  fassungen des Begriffs zu.
                           5

                           0                                                  Die ökologischen Folgen invasiver Arten sollen
                        el aft au ng ng cht gd tik rei hrt nnt                in dieser Publikation an zahlreichen Einzelbei-
                    nd ch nb fu ltu                     Ja aris che fffa ka
                                                                              spielen dargestellt werden. Sie lassen sich unter
                                                      u
                 Ha irts rte mp rha ierz                    u   s   i    e
                     w          a
                             G e ot  k ä i e    l z t    Aq   Fi Sch unb
              L a nd
                                g s b o
                                       Z
                                             Pe                               folgenden Aspekten zusammenfassen:
                             in
                          dl
                     c hä
                                                                              • Beeinflussung der heimischen Artengemein-
                   S

                                                                                schaften durch effizientere Ressourcennutzung
Abb. 9: Eintragspfade für Neozoen und ihr Anteil                                (z.B. Stickstoffumsatz, Lichtausbeute, Bruthabi-
an invasiven Arten in Sachsen-Anhalt.                                           tate usw.),
                                                                              • Beeinflussung der heimischen Artengemein-
                                                                                schaften durch Strukturveränderungen in Öko-
                                                                                systemen (Veränderung der Bodenstruktur,
problematische Gewässerbewohner entlang der                                     Bodenerosion, Veränderung der Vegetations-
Elbe, der Saale und der unteren Mulde bis hinein                                strukturen),
in stehende Gewässer mittels Überlandtranspor-                                • Auswirkungen auf heimische Arten durch di-
ten von Booten verbreitet.                                                      rekte Konkurrenz,
                                                                              • Auftreten als Parasiten oder Krankheitserreger
                                                                                heimischer Arten,
4                     Begriffsdefinition 'invasive Arten'                     • Fraßdruck durch neozoische Carnivore oder
                                                                                Herbivore,
Der Begriff 'invasiv' wird im Zusammenhang mit                                • Veränderung von Nahrungspyramide oder
fremdländischen Arten in ganz unterschiedlicher                                 Nahrungsnetzen in Ökosystemen bis hin zu
Weise verwendet. Wissenschaftliche ökologische                                  „Superdominanzen“, bei denen großflächig nur
Definitionen des Begriffs 'invasiv' sind wertungs-                              noch eine (fremdländische) Art den Lebens-
frei und implizieren die eigenständige Ausbrei-                                 raum dominiert.
tung einer Art in einem zuvor nicht besiedelten                               Die extremsten Folgen können dauerhaft verän-
Gebiet als wichtigstes Kriterium (Williamson                                  derte Ökosysteme oder das Aussterben heimi-
1996, Heger & Trepl 2008). Die große Mehrzahl                                 scher Arten sein.
der Wissenschaftler versteht unter 'invasiv' die
eigenständige Ausbreitung nach einer anthropo-
genen Verschleppung über eine vorher bestehen-                                5   Fallbeispiele für Ursachen und Folgen
de Ausbreitungsbarriere. Manche Autoren halten                                    der Ausbreitung von invasiven Arten
jedoch nur die Ausbreitung für relevant, also auch                                in Sachsen-Anhalt
eine Ausdehnung des Areals ohne Mitwirkung
des Menschen (siehe Davis 2009 für eine Zusam-                                5.1 Wälder
menfassung unterschiedlicher Auffassungen).
Naturschutzrechtliche, politisch motivierte Defi-                             Douglasie (Pseudotsuga menziesii)
nitionen zielen auf eine 'negative Wirkung' ein-                              Der derzeitig auftretende Klimawandel stellt die
geschleppter Arten gegenüber heimischen Arten                                 konventionelle Forstwirtschaft vor ernsthafte
oder Ökosystemen ab (Tab. 1). Darüber hinaus                                  Probleme. Beispielsweise wurden in Deutschland
wird der Begriff teilweise auch für fremdländi-                               traditionell bevorzugt Nadelgehölze angepflanzt.
sche Arten, die nur ökonomisch relevant oder ge-                              Im gesamten Bundesgebiet standen 1995 auf 25%
sundheitsschädlich sind, verwendet.                                           der Wald- und Forstflächen Fichten, obwohl de-

8
Neobiota in Sachsen-Anhalt - Naturschutz im Land Sachsen-Anhalt 46. Jahrgang 2009 Heft 2: 3-63
Tab. 1: Beispiele für Definitionen des Begriffs ‚invasive Art‘. Im internationalen Sprachgebrauch wird
häufig der Begriff ‚Invasive alien species‘ (IAS) verwendet.

Quelle         Definition 'invasiv'                      Natur-      Beispiele für Neobiota-Arten in
                                                         schutz-     Sachsen-Anhalt, die nicht in
                                                         fachliche   diese Definition fallen.
                                                         Wertung
Richard-       Gebietsfremde Arten, die sich ver-          nein      Importierte Gartenpflanzen oder
son et al.     mehren und ausbreiten.                                in Gewässer eingesetzte Fische, die
(2000);                                                              sich nicht eigenständig vermeh-
Kowarik                                                              ren und ausbreiten. Dazu zählen
(2003)                                                               z.B. Silberkarpfen (Hypophthal-
Heger          Gebietsfremde Arten, die sich in ei-        nein      michthys molitrix), Regenbogen-
(2004)         nem neuen Gebiet ausbreiten unab-                     forelle (Oncorhynchus mykiss) und
               hängig von einem als negativ zu be-                   Bachsaibling (Salvelinus fontina-
               zeichnenden Einfluss auf die heimi-                   lis). Diese Arten können dennoch
               schen Biozönosen.                                     ökologische Schäden anrichten.
IUCN 2000      „ 'Alien invasive species' means an           ja      Virginische Blasenspiere (Physo-
               alien species which becomes esta-                     carpus opulifolius), Borstenwurm
               blished in natural or semi-natural                    (Hypania invalida), Mittelmeer-
               ecosystems or habitats, is an agent of                Ackerschnecke (Deroceras panor-
               change, and threatens native biologi-                 mitanum).
               cal diversity.“                                       Die Einstufung ist in der Praxis
Klingen-       „ Invasive gebietsfremde Arten… sind          ja      schwierig. Ein 'erhebliches Ge-
stein et al.   Tier- und Pflanzenarten, die eine Ge-                 fährdungspotenzial' wird häufig
2005           fahr für die Natur in ihrem neuen                     erst spät erkannt. Die Definiti-
               Siedlungsgebiet darstellen bzw. ne-                   on des BfN (Klingenstein et al.
               gative Auswirkungen auf sie haben.                    2005) schließt Mikroorganismen
               Manche von ihnen können zudem                         wie Blaualgen nicht ein.
               ökonomische oder gesundheitliche
               Schäden oder Gefahren verursa-
               chen…“
BNatSchG       „…eine Art, deren Vorkommen außer-            ja
2009, siehe    halb ihres natürlichen Verbreitungs-
Kap. 7.2       gebiets für die dort natürlich vorkom-
               menden Ökosysteme, Biotope oder
               Arten ein erhebliches Gefährdungs-
               potenzial darstellt;“

ren natürliche Standorte nur einen Flächenan-           hohe, immergrüne Baum wächst in Nordame-
teil von 7% aufwiesen. Auch im Tiefland wurde           rika von Kanada bis Mexiko und ist demzufolge
und wird auf einigen Flächen Fichte angebaut,           an unterschiedlichste Klimate angepasst. Mitte
eine Baumart, die bei uns natürlicherweise in           des 19. Jahrhunderts wurde die Douglasie nach
kühlen Bergregionen oberhalb von 800 m Höhe             Deutschland gebracht und zunächst als Park-
vorkommt. Die Fichten im Tiefland büßten in             und Gartenbaum angepflanzt. Seit 1880 gibt es in
den warmen Jahren des letzten Jahrzehnts einen          Deutschland forstliche Versuchsanbauten. In ihrer
Teil ihrer Vitalität ein und sind deshalb anfällig      Wuchsform der Fichte ähnlich, hat die Douglasie
gegen den Befall von Borkenkäfern und gegen             auch wirtschaftlich sehr gut verwertbare Holzei-
Windbruch.                                              genschaften und ist darüber hinaus hinsichtlich
Die Douglasie (Abb. 10) schien die passende Ant-        ihrer Wachstumsgeschwindigkeit allen bei uns
wort auf diese Situation zu sein. Dieser bis 60 m       heimischen Baumarten weit überlegen (Kowa-

                                                                                                           9
Neobiota in Sachsen-Anhalt - Naturschutz im Land Sachsen-Anhalt 46. Jahrgang 2009 Heft 2: 3-63
zen ausschattet und durch veränderte Bodensub-
                                                      strate an Felsen angepasste Tierarten verdängt.
                                                      Douglasien wandern beispielsweise in Birken-
                                                      Eichenwälder ein, worauf die Naturverjüngung
                                                      der Eichen in Konkurrenz mit der Douglasie zu-
                                                      rückgeht. Diesen Prozess verstärkt das Rehwild,
                                                      welches die aufkommenden Douglasien viel we-
                                                      niger verbeißt als junge Laubbäume (Knoerzer
                                                      1999). Auch die Krautschicht dieser Wälder verän-
                                                      dert sich, da es durch den Nadelfall zur Stickstoff-
                                                      anreicherung und damit zu einer Entwicklung
                                                      Stickstoff liebender Pflanzen kommt. Ähnliche
                                                      Prozesse spielen sich in der Fauna ab. Alle Unter-
                                                      suchungen zeigen, dass wärme- und lichtbedürf-
                                                      tige Spezialisten durch sogenannte Ubiquisten,
                                                      also Tierarten, die praktisch überall vorkommen,
                                                      ersetzt werden (Kohlert & Roth 2000, Winter
                                                      2001). Die Artenvielfalt der Insekten an Doug-
                                                      lasien liegt in der Größenordnung der Fichte, in
                                                      einigen Untersuchungen sogar darunter (Goss-
                                                      ner & Simon 2002, Höltermann et al. 2008,
                                                      Kruel & Teucher 1958). Ein Teil der an Dougla­
                                                      sien lebenden Insekten ist selbst aus Nordameri-
                                                      ka eingewandert. Es gibt bisher keine Blattläuse
                                                      in Deutschland an dieser Baumart. Dies wieder-
Abb. 10: Die Zapfen der Douglasien unterscheiden      um bedeutet, dass die ökologisch für Wälder sehr
sich deutlich von denen aller einheimischen Ko-       wichtigen Ameisen der Gattung Formica mit zu-
niferen. Foto: H.-C. Speel.                           nehmendem Douglasienanteil zurückgehen, da
                                                      sie Blattläuse 'als Haustiere' in den Bäumen hal-
                                                      ten und der von ihnen an Blattläusen gewonnene
                                                      Honigtau eine wichtige Nahrungsquelle darstellt.
rik 2003, Abb. 11). Folgerichtig finden wir sie zu-   Geringere Insektenzahlen gipfeln in geringeren
nehmend auch in Wirtschaftsforsten. In Sachsen-       Brutvogeldichten, da eine schlechtere Nahrungs-
Anhalt entstehen überall dort Dougla­sien­forste,     grundlage für die Vögel vorliegt (Gösswald 1990,
wo Unwetter wie der Wirbelsturm Kyrill im Jahr        Müller & Stollenmeier 1994).
2007 große Lücken hinterlassen haben. In einigen      Douglasiensamen werden durch den Wind ver-
westdeutschen Bundesländern hat sie unter den         breitet, der Baum kann deshalb von Forstbestän-
Aufforstungen der letzten 20 Jahre bereits einen      den in naturnahe Wälder einwandern. Die meis-
Flächenanteil von über 10%.                           ten Sämlinge erscheinen in einem Umkreis von
Aus ökologischem Blickwinkel muss der Anbau           100 m um den Mutterbaum. Vereinzelt wurden
der Douglasie jedoch differenzierter gesehen wer-     jedoch Beobachtungen von spontanen Ansied-
den. Das Aufforsten von Douglasie ändert nichts       lungen noch in 2 km Entfernungen gemacht (Her-
an der Tatsache, dass natürliche Laubwaldstand-       mann & Lavender 1990). Sie bilden im Schatten
orte verloren gehen und die Forststruktur auf die-    der am Standort wachsenden Bäume eine dichte
sen Flächen fern von naturnahen Zuständen ist         Sämlingsbank und werden bei Auflichtung der
- obwohl Laubbäume angebaut werden könnten.           Altgehölze eine Generation heranwachsender
Das mit Douglasie verbundene Risiko für heimi-        dichter gleichaltriger Bäume bilden (Abb. 12). Die-
sche Wälder und Naturschutzgebiete ist bis heute      ses Szenarium ist schon jetzt, obwohl nahezu alle
nicht ausreichend untersucht. Es ist bekannt, dass    Douglasienforste in Sachsen-Anhalt nur ein ge-
die Douglasie in bisher freie Felsenstandorte ein-    ringes Alter haben, beispielsweise in der Altmark
wandert, dort wachsende schützenswerte Pflan-         deutlich erkennbar.

10
Neobiota in Sachsen-Anhalt - Naturschutz im Land Sachsen-Anhalt 46. Jahrgang 2009 Heft 2: 3-63
35

                 30
 Höhenwachstum

                 25

                 20

                 15

                 10

                  5

                  0
                      20           40            60             80        100       120
                                                 Alter der Bäume

                       Douglasie        Kiefer          Eiche        Fichte      Buche

Abb. 11: Höhenwachstum verschiedener Bäume im Vergleich (nach Knoerzer 1999).

Rot-Esche (Fraxinus pennsylvanica)                                      Bericht erstatten muss und es für die geschützten
Die Rot-Esche (Abb. 13) stammt aus Nordameri-                           Lebensräume ein von der EU verordnetes 'Ver-
ka und hat das größte Verbreitungsgebiet aller                          schlechterungsverbot' gibt. Die Hartholzauwäl-
dort vorkommenden Eschen-Arten. Sie bevor-                              der an der Mittelelbe suchen in Ausdehnung und
zugt feuchte, nährstoffreiche Ton-, Lehm- oder                          Ursprünglichkeit in Deutschland ihresgleichen,
Kalkböden (Breucker & Zacharias 2008). Im                               die Zunahme fremdländischer Bäume würde das
Unterschied zu der in Deutschland heimischen                            langsame Verschwinden eines ohnehin seltenen
Gemeinen Esche (Fraxinus excelsior) erträgt die                         aber gleichzeitig ganz typischen Lebensraumes in
Rot-Esche sowohl eine mehrmonatige Überflu-                             Mitteleuropa bedeuten.
tung als auch eine mehrjährige Dürreperiode.                            Eine vollkommene Beseitigung der Rot-Esche in
In Sachsen-Anhalt wurde der bis über 20 m hohe                          den FFH-Gebieten Sachsen-Anhalts ist nach ge-
Baum auf typischen Hartholzauen-Standorten                              genwärtiger Kenntnis nicht möglich. In bewirt-
angepflanzt. Das heißt, man findet ihn überwie-
gend in der Umgebung von Flüssen im Tiefland.
Im Gebiet der Elbe ist er weit verbreitet, darüber
hinaus auch an der Havel, der Zerbster Nuthe und                        Abb. 12: Jungaufwuchs von Douglasie auf einem
in der Kühnauer Heide. Im Biosphärenreservat                            Laubwaldstandort. Foto: H.-C. Speel.
Mittelelbe tritt die Rot-Esche zwischen Mulde-
und Saalemündung auf 20 % der Waldfläche mit
über 10 % Bestockungsanteil auf (Reichhoff &
Reichhoff 2008). Im Biosphärenreservat gibt es
auch einen rasant zunehmenden Jungaufwuchs
(Abb. 14, 15), die Samen werden über Wind und
Wasser verbreitet. Man muss dort befürchten,
dass sie in einigen natürlichen Auwäldern mehr
als 30% Deckung gewinnt und diese Flächen zu-
künftig nicht mehr den Anforderungen des in
der Europäischen Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie
geschützten Lebensraumtyp 91F0 entsprechen.
Dies hätte Folgen, u.a. weil Sachsen-Anhalt re-
gelmäßig über den Zustand dieser Lebensräume

                                                                                                                       11
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                                                                                                              Ulmus laevis
                                                                           3500
                                                                                                              Fraxinus pennsylvanica
                                                                           3000
                                                                                                              Quercus robur

                                                       Anzahl Individuen
                                                                           2500

                                                                           2000

                                                                           1500

                                                                           1000

                                                                           500

                                                                              0

                                                                                  ! 5 5-10 0-20 0-30 0-50 0-70 -100 -130 -160 -200 -300
                                                                                          1    2    3    5    70 100 130 160 200

                                                                                                    Höhenklasse [cm]

                                                      Abb. 14: Jungaufwuchs in einem Altbestand von
                                                      Rot-Eschen an der Mittelelbe, heimische Bäume
                                                      wie Flatter-Ulme, Gemeine Esche oder Stiel-Eiche
                                                      haben kaum eine Chance (nach Breucker & Za-
                                                      charias 2008).

Abb. 13: Rot-Esche im Biosphärenreservat Mit-
telelbe. Foto: D. Zacharias.

schafteten Beständen kann die Art zurück ge-          nach einer Verzögerungsphase (time-lag) von 114
drängt werden, in Kernzonen des Biosphärenre-         Jahren invasiv (Dressel & Jäger 2002, Kowarik
servats muss jedoch mit einer weiteren Ausbrei-       2003). In Sachsen-Anhalt wurde die Rot-Eiche
tung gerechnet werden (Reichhoff & Reichhoff          u.a. auf Tagebau-Rekultivierungsflächen auf sehr
2008). Schönbrodt & Jurgeit (2008) schlagen           nährstoffarmen, kargen Flächen zu Aufforstun-
deshalb vor, auch in Kernzonen gezielte Maßnah-       gen verwendet. Die dort in Reinkultur stehenden
men befristet durchzuführen.                          Bäume sehen auch nach 30 Jahren noch nicht sehr
                                                      stattlich aus - auf guten Böden dagegen kann der
Rot-Eiche (Quercus rubra)                             Baum 50 m hoch werden (Abb. 17). Er ist relativ
Eine zweite, in größerem Maß angepflanzte Art         stresstolerant und resistent gegenüber Industrie-
ist die Rot-Eiche (Abb. 16). Sie gedeiht auf vielen   emissionen.
Standorten, von den Flussauen mit feuchten,           Nach den Erfahrungen, die in Sachsen gewonnen
lehmigen Böden bis auf trockenen Sandböden            wurden, ist die Rot-Eiche in der Lage, aus Auffors-
und hat damit ein ähnlich großes ökologisches         tungen heraus in naturnahe Wälder einzudringen
Spektrum wie die heimische Stiel-Eiche. In Nord-      und wird insbesondere durch den Eichelhäher ak-
amerika wächst sie in einem riesigen Verbrei-         tiv verbreitet. In natürlichen Eichenwäldern übt
tungsgebiet von Regionen im Norden mit -14°C          sie auf die Trauben-Eiche starke Konkurrenz aus
Durchschnitttemperatur im Januar bis in die sub-      und kann sie verdrängen (Dressel & Jäger 2002).
tropisch-montane Zone mit durchschnittlichen          Das Laub von Rot-Eichen wird viel schlechter
Julitemperaturen von 26°C. Die Rot-Eiche wurde        umgesetzt als das unserer heimischen Arten, wo-
schon 1724 nach Deutschland gebracht, aber erst       durch es sich auf dem Boden ansammelt und die

12
Abb. 15: Rot-Eschenjungaufwuchs an der Mittelelbe. Foto: D. Zacharias.

Ausbildung von Bodenvegetation verhindert. Es       Höhlenbrütern jedoch signifikant höher lag als
ist auch eine Auswirkung auf Bodentiere zu er-      in benachbarten Hartholzauwaldflächen. Dies ist
warten.                                             auf das große Bruthöhlenangebot in den früh ab-
                                                    sterbenden Ästen der Rot-Esche zurückzuführen.
Häufig ist zu lesen, dass neophytische Bäume        Es kommt also zu einer Verschiebung zugunsten
kaum Lebensraum für heimische Tierarten bieten.     von Star (Sturnus vulgaris), Kleiber (Sitta europa-
Diese Aussage muss differenziert betrachtet wer-    ea), Kohl- (Parus major) und Blaumeise (P. caer-
den. Einzelbäume in Forstgebieten können zur        leus), Vogelarten, die ohnehin sehr häufig sind.
Strukturvielfalt beitragen und werden dann auch
von holzbewohnenden Insektenarten angenom-          Robinie (Robinia pseudoacacia)
men (Gossner 2002, Schmidt et al. 2007). Ganz       Die Robinie stammt aus den USA, wo sie als Pio-
sicher ist die Vielfalt an Insekten und damit die   nierbaum nach Feuer und Tornados in feuchtem
Nahrungsgrundlage für Vögel in Reinbeständen        Klima nahezu überall vom Flachland bis in die
von Neophyten aber vergleichsweise gering. Auch     montane Zone wächst, nur staunasse Standorte
in den Rot-Eschen reichen Wäldern der Mittelelbe    werden von ihr gemieden. Anfang des 17. Jahr-
wurde beobachtet, dass Vogelarten, die eine gut     hunderts kam der Baum nach Europa und wurde
ausgebildete Strukturvielfalt und Strauchschicht    bald auch vereinzelt in Deutschland kultiviert.
benötigen (z.B. Schwanzmeise, Aegithalos cau-       Um 1800 setzte hier eine regelrechte Robinien-
datus; Waldlaubsänger, Phylloscopus sibilatrix;     Euphorie ein. Der Baum wuchs auf den kärgsten
Gelbspötter, Hippolais icterina oder Heckenbrau-    Standorten und wurde zur Befestigung des Bo-
nelle, Prunella modularis) fehlen, die Dichte von   dens auf Kahlschlagflächen angepflanzt (Kowa-

                                                                                                     13
Abb. 16: Die Rot-Eiche ist sofort an ihren Blatt-
spitzen und ihrer gedrungenen Eichel zu erken-
nen. Foto: E. Arndt.

rik 2003). Zur Familie der Schmetterlingsblüten-
gewächse gehörig, besitzt er Knöllchenbakterien.
Diese binden Luftstickstoff und wandeln ihn in
pflanzenverfügbare Nährstoffe um. Die Folge ist
eine nachhaltige Veränderung physiko-chemi-
scher Bodeneigenschaften, u. a. deshalb, weil das    Abb. 17: Auf guten Standorten erreichen Rot-Ei-
Stickstoff reiche Laub schnell umgesetzt wird,       chen eine enorme Größe, man pflanzte sie deshalb
Humus- und Mullauflagen bildet und damit den         schon früh auch als Parkbaum. Foto: E. Arndt.
Oberboden lockert (Kohler 1968).
Robinien sind nicht sehr attraktiv für heimische
Insekten. Meist leben auf ihnen polyphage Ar-
ten, also Insekten, die sich von ganz verschiede-
nen Bäumen ernähren und in aller Regel sehr          bucus nigra) in die Robinienbestände. Diese Sa-
häufig sind. Die Zahl phytophager Insektenarten      men keimen und damit wachsen vermehrt Bäu-
auf Robinien ist in Europa gering (Kennedy &         me zwischen den Robinien, deren Früchte wieder
Southwood 1984, Kruel 1952). Die zahlreichen         andere Vögel anlocken (Kowarik 1992).
stark duftenden Robinienblüten (Abb. 18) sind
allerdings eine bei Honig- und Wildbienen sehr       Schließlich ist das Holz der Robinie für Forstbe-
beliebte Futterquelle (Barrett et al. 1990, Schütt   triebe wirtschaftlich gut nutzbar (Göhre 1952).
et al. 1994). Auch eine Vielzahl von Mykorrhiza-     Doch bei allen Vorteilen, die dieser Baum schein-
Pilzen, darunter sogar gefährdete Arten und Trüf-    bar mitbringt, verursacht er auch ökologische Pro-
fel, leben in Symbiose mit diesem Baum (Winter-      bleme. Die Robinie vermehrt sich vegetativ und
hoff 1991, Bratek et al. 1996). Außerdem brütet      generativ, d.h. über Wurzelausläufer und über Sa-
eine sehr hohe Zahl von Vogelarten auf Robinien,     men. Sie wächst sehr schnell und fruchtet bereits
mehr Arten als in benachbarten Wäldern ohne          im Alter von sechs Jahren. Damit kann sie von
Robinienbestand (Janssen & Klein 1992, Turcek        Initialpflanzungen aus schnell in benachbarte
1961). Dies liegt zum einen am Höhlenreichtum        Flächen einwandern. Dort ist sie – im Unterschied
alter Robinien (Abb. 19). Zum anderen ist es ein     zu den Ökosystemen ihrer Heimat in Nordameri-
Rückkopplungseffekt im Ökosystem: Robinien           ka – potenziellen Konkurrenten überlegen (Abb.
ziehen Vögel als Brut- und Ruheplatz an. Die Vö-     20). Besonders problematisch ist jedoch ihr Ein-
gel bringen mit ihrem Kot Samen von gut schme-       wandern in naturschutzfachlich wertvolle, un-
ckenden Früchten (z.B. Schwarzer Holunder, Sam-      bewaldete und nährstoffarme Lebensräume wie

14
Abb. 18: Die Robinienblüte besitzt einen inten-      Abb. 19: Altbäume haben durch ihren Höhlen-
siven Duft und ist für Bienen attraktiv. Foto: E.    und Totholzanteil eine gewisse Bedeutung für
Arndt.                                               Vögel und Insekten. Foto: E. Arndt.

zum Beispiel Halbtrockenrasen (Abb. 21). Wind-       Bodenverbesserung auf kargen Standorten bei.
verbreitete Sämlinge und von den Wurzeln der         Durch die Robinie werden Stickstoffverbindun-
Mutterpflanze austreibende Schösslinge wachsen       gen bis zum Dreifachen des Normalwertes an-
so schnell, dass es im praktischen Naturschutz       gereichert und auch die Phosphatverfügbarkeit
schwierig und als Sisyphusarbeit erscheint, die      im Boden messbar erhöht. Stickstoff und Phos-
Bäume zu bekämpfen. Die oben beschriebene Fä-        phat sind die wichtigsten Pflanzennährstoffe.
higkeit, den Stickstoffkreislauf im Ökosystem zu     Aber nicht überall ist diese 'Bodenverbesserung'
kontrollieren, qualifizieren diesen Baum als 'Öko-   ein Fortschritt oder gar erwünscht! Vielmehr be-
systemprozessor'. So bezeichnet man Arten, die       deutet das auf Magerrasen, Felsen und in kargen
durch Beeinflussung grundlegender Stoffkreisläu-     Wäldern eine deutliche Veränderung des Lebens-
fe einen Lebensraum unter ihre Kontrolle bringen.    raums. Nitrophile und nitrotolerante Arten wie
Robinien werden kaum in intakte Wälder einwan-       Schöllkraut (Chelidonium majus), Brennnessel (Ur-
dern und heimische Baumarten gefährden, unter        tica dioica), Kratzbeere (Rubus caesius), anspruchs-
anderem, weil sie nicht im Schatten aufwachsen       lose Gräser (Poa compressa, P. nemoralis, P. trivialis)
können. Aber auf vielen 'Grenzstandorten', wie       oder Schwarzer Holunder wandern im Gefolge der
Sandtrockenrasen, Halbtrockenrasen, Felsfluren       Robinie ein – seltene und gefährdete heimische
oder nährstoffarmen Kiefern-Eichenwäldern ist        Pflanzen, die an Nährstoffarmut in den genannten
ihre Invasion erfolgreich. Das Stickstoff reiche     Lebensräumen angepasst sind, wie der Raublatt-
Laub wird von Bodenorganismen schnell umge-          Schwingel (Festuca breviphila) verschwinden ganz
setzt und trägt zur Nährstoffanreicherung und        (Kowarik 2003).

                                                                                                          15
100

                             90

                             80                                                  Robinia
                             70
     Deckung Gehölze in %

                             60

                             50                   andere
                                                  Pionierbäume
                             40

                             30

                             20

                             10                                                potenzielle Konkurrenten

                              0
                                    -3   3-
                                              5
                                                  5-
                                                       7
                                                           7-
                                                                9        11          13        -1
                                                                                                 5
                                                                                                          -1
                                                                                                            7
                                                                                                                     -1
                                                                                                                       9
                                                                                                                                -2
                                                                                                                                  1
                                                                                                                                           -2
                                                                                                                                             3
                              0,9                                   9-        11
                                                                                 -
                                                                                          13         15         17         19         21
                                                                          Höhenklassen (m)

Abb. 20: Anteil von Robinie, anderen Pionierbäumen und potenziellen Konkurrenten auf städtischen
Ruderalflächen (z.B. Schuttbergen). Die Höhenklassen zeigen verschiedene Sukzessionsstadien, d.h.
der Gehölzbestand wird nach wenigen Jahrzehnten durch die Robinie dominiert (aus Kowarik 1990).

Ulmenwelkepilz (Ophiostoma ulmi)                                                                                auentypischer Baumarten mehr, sondern Baum­
Noch bis in das 19. Jahrhundert säumten ausge-                                                                  arten trockenerer Wälder setzen sich durch. Mit
dehnte Auwälder die Tieflandflüsse Mitteleuro-                                                                  der Aufforstung standortfremder oder fremdlän-
pas. Holzgewinnung, Umwandlung von Auenbe-                                                                      discher Gehölze wie Berg-Ahorn (Acer pseudopla-
reichen in landwirtschaftlich genutzte Flächen,                                                                 tanus), Eschen-Ahorn (A. negundo), Rot-Eiche oder
Kiesabbau sowie andere bergbauliche Tätigkei-                                                                   Rot-Esche wurde diese Entwicklung noch ver-
ten und nicht zuletzt die ständige Ausdehnung                                                                   stärkt. Die genannten Baumarten breiten sich in
von Siedlungsräumen haben die Auwaldflächen                                                                     Auen effizient aus, der charakteristische Ulmen-
auf einen Bruchteil ihrer ursprünglichen Ausdeh-                                                                Eichen-Eschen-Auwald geht sukzessive verloren.
nung schrumpfen lassen. Heute liegen die letzten                                                                In dieses Wirkungsgefüge greift seit 100 Jahren
Auwälder isoliert an verschiedenen Flusssyste-                                                                  zusätzlich ein invasiver Mikroorganismus ein, der
men und stehen durch die Fauna-Flora-Habitat-                                                                   im 20. Jahrhundert in Europa und Nordamerika
Richtlinie unter europaweitem Schutz. Sachsen-                                                                  zwei Pandemien in Ulmenwäldern ausgelöst und
Anhalt gehört zu den Regionen, in denen größere                                                                 einen Charakterbaum der Auwälder zum Schat-
Auwaldgebiete in nahezu ursprünglichem Zu-                                                                      tendasein verurteilt hat. Es handelt sich um einen
stand erhalten geblieben sind. Aus diesem Grund                                                                 mikroskopisch kleinen Schlauchpilz (Ophiostoma
besitzt beispielsweise das Biosphärenreservat                                                                   ulmi), der insbesondere bei der Feld-Ulme die „Ul-
Mittelelbe naturschutzfachlich eine europaweite                                                                 menwelke“ auslöst und damit mehrere Wellen
Bedeutung. Doch auch die geschützten Wälder in                                                                  von Ulmensterben verursacht hat (Nierhaus-
Sachsen-Anhalt sind gefährdet, die Ursachen da-                                                                 Wunderwald & Engesser 2003).
für gehen weit über die oben genannten histori-
schen Faktoren hinaus und können nur in kom-                                                                    Die befallenen Bäume zeigen ein plötzliches Wel-
plexen Zusammenhängen verstanden werden.                                                                        ken der Krone, meist einseitig beginnend und
Dabei spielen Eindeichungen der Wälder, an der                                                                  später die ganze Krone erfassend (Abb. 22). Dabei
Saale auch Grundwasserabsenkung durch Tage-                                                                     verfärben sich die Blätter gelb bis braun, rollen
baubetrieb oder -flutungen eine Rolle. In man-                                                                  sich ein und vertrocknen schließlich. Die Blätter
chen Wäldern gibt es deshalb keinen Aufwuchs                                                                    bleiben in der Regel an den Zweigen hängen – es

16
Abb. 21: Magerrasen werden fernab von Initial-         Abb. 22: Die Welkekrankheit der Ulmen macht
pflanzungen durch Robinien spontan besiedelt           sich zunächst durch das Absterben einzelner
und verbuschen innerhalb weniger Jahre. Foto: E.       Zweige bemerkbar. Foto: A. Carpentier, Canadian
Arndt.                                                 Forest Service.

entstehen charakteristische dürre Zweigspitzen         der Ulme an und wird über den Wassertransport
mit vertrockneten Blättern. Selbst im Winter           sehr schnell innerhalb des Baumes verdriftet. Die
kann man daran noch die Krankheit erkennen.            Leitbahnen der Bäume setzen sich zu – entweder
Der Welkepilz wurde im Jahr 1918 aus Ostasien in       durch Harzbildung als Reaktion des Baumes auf
die Niederlande verschleppt und breitete sich in       den Parasiten oder durch dichte Pilzfäden und
Europa sehr schnell aus. Er brachte letztlich fast
alle Alt-Ulmen zum Absterben. 1928 wurde der
Pilz wahrscheinlich über Furnierstämme nach
Nordamerika verschleppt, wo er ebenfalls den           Abb. 23: Ulmensplintkäfer (Scolytes laevis). Die
Großteil der Ulmen vernichtete. Gegen Ende der         mikroskopisch kleinen, klebrigen Sporen der Pilze
1960er Jahre kam von dort eine noch aggressive-        bleiben an den Haaren und an der Oberfläche des
re Variante zurück, die bei uns auch Ulmen befiel,     holzbewohnenden Käfers haften und werden so
welche inzwischen als Resistenzzüchtungen ge-          von Baum zu Baum verbreitet. Foto: I. Altmann.
genüber dem Ursprungspilz angepflanzt wurden.
Schließlich traten weitere aggressive Formen des
Pilzes auf, die aus Asien neu eingeführt wurden
(Kleinschmit & Weisgerber 1993).
Die schnelle Verbreitung der Pilzkrankheit erfolgt
bei uns durch Borkenkäferarten der Gattung Sco-
lytes, die unter der Bezeichnung „Ulmensplint-
käfer“ zusammengefasst werden (Abb. 23). Die
Ulmenspintkäfer befallen sowohl intakte Bäume
als auch schon geschädigte Gehölze. Der Pilz kann
jedoch auch von Baum zu Baum über Wurzelkon-
takt verbreitet werden (Nierhaus-Wunderwald
& Engesser 2003). Einmal in das Innere des Hol-
zes gelangt, siedelt sich der Pilz in den Leitbahnen

                                                                                                      17
-thalli. Im Querschnitt sind befallene Zweige an
dunklen Gefäßverfärbungen in den jüngsten Jah-
resringen erkennbar. Die Hauptinfektionszeit ist
Mai, im Juni werden bereits erste Schäden sicht-
bar. Innerhalb eines Jahres sterben Teile des Bau-
mes oder der gesamte Baum ab.
Die Ulmenarten werden bei uns zwar nicht aus-
sterben, doch finden wir die meisten Feld-Ulmen
(Ulmus minor) heute als Jungbäume im Unter-
wuchs. Der Rückgang der Ulmen hat zum weite-
ren Verlust des Charakters ursprünglicher Hart-
holz-Auwäldern maßgeblich beigetragen.

Marderhund (Nyctereutes procyonides)
Lange Zeit gab es in Deutschland nur ein hunde-         Abb. 24: Der Marderhund wanderte aus Osteuro-
artiges Raubtier - den Rotfuchs. Doch seit einiger      pa nach Deutschland ein. Foto: I. Bartussek.
Zeit wandern mit Wolf und Marderhund zwei sei-
ner Verwandten von Osten nach Deutschland ein
(Abb. 24). Während mit dem Wolf ein heimisches
Raubtier verloren gegangenes Terrain 'zurücker-         lich wie der Rotfuchs im Frühling 5-8 Jungtiere.
obert', ist der Marderhund ein extrem invasiver         Der Rüde bewacht die Höhle mit dem Wurf und
Exot.                                                   schafft Futter für die Jungtiere heran, sobald sie
Das ursprüngliche Verbreitungsgebiet des Mar-           feste Nahrung aufnehmen können. Die Jungen
derhundes ist die russische Amur-Region, China,         verlassen die Wurfhöhle nach sechs bis neun Wo-
Korea und Japan. Im Zeitraum 1928 bis 1950 wur-         chen und bleiben bis zum Ende des kommenden
den geschätzte 9.000 Tiere in den Westteil der          Winters im Familienverband. Die Kinderstube
Sowjetunion, insbesondere in die Ukraine und            kann ein verlassener Fuchs- oder Dachsbau sein,
nach Weißrussland als Bereicherung der Jagdge-          Tagesquartiere befinden sich auch in hohlen Bäu-
biete um neue Pelztiere verbracht. Außerdem ge-         men (besonders Eichen) oder Felsspalten.
langte er auch aus Pelztierfarmen in dieser Region      Der Marderhund dehnt bis heute seine regiona-
in Freiheit. Von dort breitete er sich kontinuierlich   le Verbreitung in Deutschland aus und bis heu-
nach Westen und Norden aus, erreichte 1955 Po-          te steigt auch der Bestand kontinuierlich an. In
len und Anfang der 1960er Jahre Ostdeutschland          Sachsen-Anhalt wurde er im Jahr 1978 erstma-
(Nowak 1974).                                           lig geschossen. Heute können wir davon ausge-
Seine bevorzugten Lebensräume in Mitteleuropa           hen, dass der Marderhund in Mitteldeutschland
sind Fließgewässer begleitende Ökosysteme und           praktisch flächendeckend vorkommt. Die reich
Laubwälder des Tieflands, er nutzt jedoch auch          strukturierte mitteldeutsche Landschaft bietet
mosaikartige Landschaften aus Feldern, Wie-             ihm mit Ausnahme der Gebirge einen idealen
sen, Waldstücken und Kleingewässern. Als guter          Lebensraum. Er ist in Sachsen-Anhalt viel häufi-
Schwimmer flüchtet er bei Störungen häufig ins          ger als in Thüringen (Abb. 25), die Einwanderung
Wasser. Wie andere Hundeartige ist er dämme-            von Nordosten über ein flaches, an Fließgewäs-
rungs- und nachtaktiv, er legt im Frühjahr Stre-        sern reiches Gebiet kann man also immer noch
cken bis zu 20 km und im Sommer bis zu 10 km            nachvollziehen. Innerhalb von Sachsen-Anhalt
pro Nacht zurück. Bei starker Vermehrung und            gibt es ein Nord-Süd-Gefälle, allerdings nehmen
günstigem Klima wurden auch Massenwande-                die Bestandszahlen im mittleren und südlichen
rungen beobachtet (Stubbe 1989). Das zuneh-             Teil Sachsen-Anhalts drastisch zu. Während der
mend milde mitteleuropäische Klima kommt                Marderhund in seinen Heimatgebieten in Sied-
ihm zugute. Während er in den kälteren Regio-           lungsdichten von durchschnittlich 4 Tieren je 10
nen seiner Heimat eine Winterruhe in einer gut          km2 lebt, kommt er bei uns mit bis zu 48 Tieren
ausgepolsterten Erdhöhle hält, ist er bei uns in        je 10 km2 vor (Nowak 1977). Dies kann mit guter
milden Wintern ganzjährig aktiv. Er wirft ähn-          Nahrungsversorgung, günstigem Klima und ei-

18
Marderhund

 2000

 1800

 1600

 1400

 1200
                             Sachsen-Anhalt
 1000
                             Sachsen
  800
                             Thüringen
  600

  400

  200

     0
    92

            93

                    94

                            95

                                    96

                                            97

                                                    98

                                                            99

                                                                    00

                                                                                  01

                                                                                          02

                                                                                                  03

                                                                                                          04

                                                                                                                  05

                                                                                                                          06

                                                                                                                                  07

                                                                                                                                          08

                                                                                                                                                  09
     /

             /

                     /

                             /

                                     /

                                             /

                                                     /

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                                                                     /

                                                                              /

                                                                                           /

                                                                                                   /

                                                                                                           /

                                                                                                                   /

                                                                                                                           /

                                                                                                                                   /

                                                                                                                                           /

                                                                                                                                                   /
   91

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                           94

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                                                           98

                                                                   99

                                                                            00

                                                                                         01

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                                                                                                         03

                                                                                                                 04

                                                                                                                         05

                                                                                                                                 06

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 19

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                 19

                         19

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                                                                                                                       20

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Abb. 25: Jagdstrecken des Marderhundes in Mitteldeutschland auf Grundlage von Daten des MLU
Sachsen-Anhalts (2008) und des Sächsischen Landesforstpräsidiums (Datenspeicher Jagd). Das aus
Nordosten einwandernde Raubtier ist nach wie vor in Sachsen-Anhalt und Sachsen viel häufiger als in
Thüringen. Da der Bestand im südlichen Sachsen-Anhalt in den letzten Jahren drastisch zugenommen
hat, ist auch mit einem Anstieg der Zahlen in Thüringen in naher Zukunft zu rechnen.

ner geringen Anzahl von Feinden erklärt werden.                                                   Abb. 26: Nahrungszusammensetzung des Mar-
In Asien ist er eine bevorzugte Beute des Wolfes,                                                 derhundes auf Grundlage der Untersuchung von
bei uns werden Jungtiere mitunter von Füchsen                                                     305 Mägen (nach Sturzeis o.J.).
gerissen oder von Uhus geschlagen, doch diese
Feinde können wie auch die Jäger den Bestand
nicht annähernd regulieren. Häufig wird er Opfer
des Straßenverkehrs, zumal er am Straßenrand                                                               Sonstiges
nach überfahrenen Beutetieren sucht.                                                                   Pflanzenmaterial                   Wirbellose
                                                                                                              7%
Bis heute gibt es sehr kontroverse Diskussionen                                                                                              6%
                                                                                                                                                         Fische
über die Auswirkungen dieses Raubtieres bei                                                             Früchte                                           13%
uns. Seine Nahrung ist weit gefächert (Abb. 26)                                                           9%
und örtlich sowie jahreszeitlich großen Schwan-
kungen unterworfen. Sowohl von der Größe als
auch von der Nahrungszusammensetzung ähnelt
er Dachs und Fuchs und steht daher sehr wahr-                                                                                                                Amphibien
scheinlich mit beiden in Konkurrenz.                                                                   Aas                                                     16%
                                                                                                       25%
Man vermutet, dass der Marderhund den Bestand
der Großtrappe und anderer Wiesenbrüter in                                                                                                                  Reptilien
                                                                                                                                                              1%
Brandenburg und Sachsen-Anhalt dezimiert, aber
es fehlen bislang Nachweise über große Schäden                                                                                                         Wildvögel
an Brutvogelarten, die eindeutig auf dieses Raub-                                                               Kleinsäuger                               14%
                                                                                                                     9%
tier zurückzuführen sind (Bellebaum 2002, Lang-

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gemach & Bellebaum 2005, Litzbarski 1998).
Der Marderhund ist Träger von Tollwut, Staupe,
Trichine und Kleinem Fuchsbandwurm und da-
mit auch aus (tier-)medizinischer Sicht nicht un-
problematisch. Ob sich mit der Bestandszunahme
des Marderhundes das Infektionsrisiko für den
Menschen (z.B. mit dem Fuchsbandwurm, des-
sen Befall beim Menschen tödlich enden kann)
erhöht, ist bisher nicht bekannt und hängt mit
der zeitlichen und räumlichen Dynamik des Pa-
rasiten in den Wirtspopulationen ab (Tackmann
2003). Hier gibt es derzeit noch erhebliche For-
schungsdefizite.

Waschbär (Procyon lotor)
Mit dem Waschbären (Abb. 27) wurde eine Klein-
bären-Art in Deutschland angesiedelt, d.h. eine in
Europa ursprünglich nicht vertretene Raubtier-       Abb. 27: Waschbären sind exzellente Kletterer und
gruppe. Seine Heimat ist Nordamerika. Ähnlich        halten sich tagsüber häufig in Baumhöhlungen
wie der Marderhund sucht auch der Waschbär die       o.ä. auf. Nur selten gelingt solch ein Schnapp-
Nähe von Gewässern, die in Verbindung mit Wäl-       schuss bei Sonnenlicht. Foto: T. Massar.
dern stehen. So ist er in Deutschland in Mittelge-
birgs- und Auwäldern inzwischen weit verbreitet.
Die zunehmenden Bestände, der damit verbunde-
ne Konkurrenzdruck und seine extreme Anpas-          Der Waschbär ist ein Allesfresser, der grüne Pflan-
sungsfähigkeit veranlassen ihn aber auch, sich       zenteile, Früchte, Nüsse, Mais genauso wie Wür-
in landwirtschaftlich genutzten Regionen und im      mer, Schnecken, Insekten und Wirbeltiere frisst
städtischen Umfeld anzusiedeln (Goretzki 2003).      (Abb. 29, 30).
Dabei lässt sich ein räumlich-historischer Anpas-    Über die Auswirkungen seiner Bestandszunah-
sungsprozess beobachten. Nicht zufällig ist die      me in Deutschland wird bis heute kontrovers
Stadt Kassel mit einer gegenwärtigen Bestands-       diskutiert, immer noch gibt es diesbezüglich For-
dichte von 50 bis 150 Waschbären pro Hektar das      schungsdefizite. Er wird als Nahrungsopportunist
wahrscheinlich am stärksten bewohnte Stadtge-        bezeichnet, der durch 'Suchen' seine Nahrung fin-
biet in Deutschland (Hohmann 2001). Südwest-         det und deshalb Beutetieren nicht gezielt auflau-
lich von Kassel, am Ederstausee, wurden 1934 auf     ert. Ein vermuteter Einfluss des Kleinbären auf
Anweisung Hermann Görings zur „Bereicherung          die in Deutschland gefährdete Wildkatze konnte
der heimischen Tierwelt“ die ersten beiden Pär-      bisher nicht belegt werden, beide Arten gehen
chen Waschbären ausgesetzt (Goretzki 2003).          sich auf Grund eines unterschiedlichen Raum-
Zwei weitere Ausgangspunkte der deutschen Po-        Zeit-Verhaltens aus dem Weg (Hohmann & Hupe
pulationen liegen im Westharz (Niedersachsen)        1999). Der Einfluss des Waschbären auf die Avifau-
und im Kreis Strausberg (Land Brandenburg), wo       na muss jedoch insgesamt als erheblich bezeich-
während des 2. Weltkriegs Tiere aus Pelztierzuch-    net werden, da unterschiedlichste Arten regional
ten entkamen.                                        stark betroffen sein können. Auch aus Sachsen-
In Sachsen-Anhalt wurde 1957 der erste frei le-      Anhalt gibt es diesbezüglich zahlreiche Meldun-
bende Waschbär bekannt (Winter et al. 2005).         gen. Nicolai (2006) weist einen starken Einfluss
Zehn Jahre später gab es schon etwa 10 Meldun-       des Waschbären auf den Bruterfolg von Rotmilan
gen aus der Harzregion und der Letzlinger Heide.     (Milvus milvus), Mäusebussard (Buteo buteo) und
Seitdem steigt der Bestand wie in weiten Teilen      Rohrweihe (Circus aeruginosus) im Harzvorland
Deutschlands insgesamt exponentiell an (Abb.         nach. Im Selketal ist der starke Rückgang baum-
28), heute ist Sachsen-Anhalt fast flächendeckend    brütender Mauersegler durch Verlust von Alt-
besiedelt.                                           vögeln zu verzeichnen (Günther & Hellmann

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Waschbär

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 6000              Sachsen-Anhalt
                   Sachsen
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Abb. 28: Jagdstrecken des Waschbären in Mitteldeutschland auf Grundlage von Daten des MLU Sach-
sen-Anhalts (2008) und des Sächsischen Landesforstpräsidiums (Datenspeicher Jagd). Der Waschbär
wanderte wahrscheinlich von Westen aus nach Mitteldeutschland ein. Aus Sachsen-Anhalt wurden
in jüngster Vergangenheit wie beim Marderhund die höchsten Abschusszahlen gemeldet. Im Unter-
schied zum Marderhund gibt es aber von Thüringen nach Sachsen ein starkes West-Ost-Gefälle.

2002), auch die Auslöschung mehrerer Kormo-        auch Krankheitsserreger übertragen werden. Mit
ran- und Graureiherkolonien in Sachsen-Anhalt      dem Waschbär kam der Spulwurm Baylisascaris
ist auf die Präsenz und Prädation des Waschbären   procyonis aus Nordamerika nach Mitteleuropa.
zurückzuführen (Fischer & Dornbusch 2008). In      Dieser Parasit kann u.a. in das Nervensystem ein-
Einzelfällen, wie der Graureiher-Kolonie im Au-    wandern und so bis in die Augen gelangen. In den
wald Plötzkau, ist wahrscheinlich ein Faktoren-
komplex die Ursache für das Verschwinden der
Graureiher, bei dem neben dem Waschbären auch      Abb. 29: Waschbären auf Nahrungssuche im ur-
Autobahnbau und Errichtung von Windkraftan-        banen Raum. Foto: I. Bartussek.
lagen beteiligt sind (Henze & Henkel 2007).
Ferner sind die Ausräumung eines Grasfrosch-
laichplatzes oder die Verdrängung von Abend-
seglern aus Schlafhöhlen (Rasper 2000) belegte
Beobachtungen.
Durch Waschbären verursachte ökonomische
Schäden im Obstbau, Getreideanbau (besonders
Mais), Weinanbau sowie an Gebäuden, in denen
er Quartiere hat, erreichen ebenfalls erhebliche
Größenordnungen. Insbesondere die Waschbär-
latrinen auf Dach- und Zwischenböden sowie
in Schuppen sind problematisch. Es können sich
nicht nur unangenehme Flecken bilden, sondern

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