Streitfall Vermögenssteuer - Defizite in der Medienberichterstattung - Otto Brenner Stiftung

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Streitfall Vermögenssteuer - Defizite in der Medienberichterstattung - Otto Brenner Stiftung
Hendrik Theine/Andrea Grisold

                                                Theine/Grisold – Streitfall Vermögenssteuer
                                               OBS-Arbeitspapier 43
OBS-Arbeitspapier 43

Streitfall Vermögenssteuer
Defizite in der Medienberichterstattung

                                                                                              Streitfall Vermögenssteuer
                                                                                              Defizite in der Medienberichterstattung

                                                                                                                                                         r 43
                                                                                                                                                      ie
                                                                                                                                                   pap
                                                                                                                                                  s
                                                                                                                                               eit
                                                                                              Ein Projekt der Otto Brenner Stiftung
                                                                                                                                           Arb
              www.otto-brenner-stiftung.de ­                                                  Frankfurt am Main 2020                    S-
                                                                                                                                      OB
Streitfall Vermögenssteuer - Defizite in der Medienberichterstattung - Otto Brenner Stiftung
OBS-Arbeitspapier 43                                                                                                  Die Otto
                                                                                                                  Die Otto     Brenner
                                                                                                                           Brenner      Stiftung
                                                                                                                                   Stiftung  … …                                              Aktuelle Ergebnisse der Forschungsförderung
ISSN: 2365-1962 (nur online)                                                                                                                                                                  in der Reihe „OBS-Arbeitshefte“
                                                                                                                  ... ist die gemeinnützige Wissen-    ... veröffentlicht die Ergebnisse
                                                                                                                  schaftsstiftung der IG Metall. Sie   ihrer Forschungsförderung in der
Herausgeber:                                                                                                      hat ihren Sitz in Frankfurt am       Reihe „OBS-Arbeitshefte“ oder              OBS-Arbeitsheft 103
                                                                                                                  Main. Als Forum für gesellschaft-    als Arbeitspapiere (nur online).           Ingo Dachwitz, Alexander Fanta
Otto Brenner Stiftung                                                                                             liche Diskurse und Einrichtung       Die Arbeitshefte werden, wie auch          Medienmäzen Google
Jupp Legrand                                                                                                      der Forschungsförderung ist sie      alle anderen Publikationen der             Wie der Datenkonzern den Journalismus umgarnt
                                                                                                                  dem Ziel der sozialen Gerechtig-     OBS, kostenlos abgegeben. Über
Wilhelm-Leuschner-Straße 79                                                                                       keit verpflichtet. Besonderes Au-
                                                                                                                                                       die Homepage der Stiftung kön-             OBS-Arbeitsheft 102*
D-60329 Frankfurt am Main                                                                                         genmerk gilt dabei dem Ausgleich                                                Wolfgang Schroeder, Samuel Greef u. a.
                                                                                                                                                       nen sie auch elektronisch bestellt
                                                                                                                  zwischen Ost und West.
Tel.: 069-6693-2810                                                                                                                                    werden. Vergriffene Hefte halten           Bedrängte Zivilgesellschaft von rechts
                                                                                                                  ... initiiert den gesellschaftli-    wir als PDF zum Download bereit.           Interventionsversuche und Reaktionsmuster
Fax: 069-6693-2786
                                                                                                                  chen Dialog durch Veranstaltun-
                                                                                                                                                       ... freut sich über jede ideelle Un-       OBS-Arbeitsheft 101*
E-Mail: info@otto-brenner-stiftung.de                                                                             gen, Workshops und Koopera­
                                                                                                                                                       terstützung ihrer Arbeit. Aber wir         Leif Kramp, Stephan Weichert
                                                                                                                  tionsveranstaltungen (z. B. im
www.otto-brenner-stiftung.de                                                                                                                           sind auch sehr dankbar, wenn die           Nachrichten mit Perspektive
                                                                                                                  Herbst die OBS-Jahrestagungen),
                                                                                                                  organisiert Konferenzen, lobt        Arbeit der OBS materiell gefördert         Lösungsorientierter und konstruktiver Journalismus
                                                                                                                  jährlich den „Brenner-Preis für      wird.                                      in Deutschland
AutorInnen:
                                                                                                                  kritischen Journalismus“ aus,
Hendrik Theine, PhD                                                                                               fördert wissenschaftliche Unter-     ... ist zuletzt durch Bescheid des
                                                                                                                                                                                                  OBS-Arbeitsheft 100*
                                                                                                                  suchungen zu sozialen, arbeits-      Finanzamtes Frankfurt am Main V
                                                                                                                                                                                                  Tim Engartner
Wirtschaftsuniversität Wien
                                                                                                                  markt- und gesellschaftspoliti-      (-Höchst) vom 29. Mai 2018 als             Wie DAX-Unternehmen Schule machen
Department Volkswirtschaft                                                                                        schen Themen, vergibt Kurzstudi-     ausschließlich und unmittelbar             Lehr- und Lernmaterial als Türöffner für Lobbyismus
Institut für Heterodoxe Ökonomie                                                                                  en und legt aktuelle Analysen vor.   gemeinnützig anerkannt worden.
                                                                                                                                                                                                  OBS-Arbeitsheft 99*
Welthandelsplatz 1/D4                                                                                                                                  Aufgrund der Gemeinnützigkeit
                                                                                                                  ... informiert regelmäßig mit ei-                                               Tobias Gostomzyk, Daniel Moßbrucker
                                                                                                                                                       der Otto Brenner Stiftung sind
A-1020 Wien                                                                                                       nem Newsletter über Projekte,                                                   „Wenn Sie das schreiben, verklage ich Sie!“
                                                                                                                                                       Spenden steuerlich absetzbar
                                                                                                                  Publikationen, Termine und Ver-                                                 Studie zu präventiven Anwaltsstrategien
E-Mail: hendrik.theine@wu.ac.at                                                                                   anstaltungen.                        bzw. begünstigt.
                                                                                                                                                                                                  gegenüber Medien
Twitter: @tricks_y
                                                                                                                                                                                                  OBS-Arbeitsheft 98*
                                                                                                                                                                                                  Lutz Frühbrodt, Annette Floren
ao.Univ.Prof. Dr. Andrea Grisold                                                                                Unterstützen Sie unsere Arbeit,                                                   Unboxing YouTube
E-Mail: andrea.grisold@wu.ac.at                                                                                 z. B. durch eine zweckgebundene Spende                                            Im Netzwerk der Profis und Profiteure
                                                                                                                Spenden erfolgen nicht in den Vermögensstock der Stiftung, sie werden             OBS-Arbeitsheft 97*
Redaktion:                                                                                                      ausschließlich und zeitnah für die Durchführung der Projekte entsprechend         Wolfgang Schroeder, Stefan Fuchs
                                                                                                                dem Verwendungszweck genutzt.
Benedikt Linden (OBS)                                                                                                                                                                             Neue Mitglieder für die Gewerkschaften
                                                                                                                Bitte nutzen Sie folgende Spendenkonten:                                          Mitgliederpolitik als neues Politikfeld der IG Metall
Pauline Frankenberger (OBS)                      Hinweis zu den Nutzungsbedingungen:                            Für Spenden mit zweckgebundenem Verwendungszweck zur Förderung von
                                                                                                                Wissenschaft und Forschung zum Schwerpunkt:                                       OBS-Arbeitsheft 96*
                                                 Dieses Arbeitspapier darf nur für nichtkommerzielle Zwecke
                                                                                                                • Förderung der internationalen Gesinnung und
                                                                                                                                                                                                  Rainer Faus, Simon Storks
Satz und Gestaltung:                             im Bereich der wissenschaftlichen Forschung und Beratung         des Völkerverständigungsgedankens                                               Im vereinten Deutschland geboren –
think and act –
                                                 und ausschließlich in der von der Otto Brenner Stiftung ver-                                                                                     in den Einstellungen gespalten?
Agentur für strategische Kommunikation                                                                                          Bank:          HELABA Frankfurt/Main		                            OBS-Studie zur ersten Nachwendegeneration
                                                 öffentlichten Fassung – vollständig und unverändert – von
                                                                                                                                IBAN:          DE11 5005 0000 0090 5460 03
                                                 Dritten weitergegeben sowie öffentlich zugänglich gemacht                      BIC:		         HELA DE FF
                                                                                                                                                                                                  OBS-Arbeitsheft 95*
Titelbild:                                                                                                                                                                                        Bernd Gäbler
                                                 werden.                                                                                                                                          AfD und Medien
Montri/AdobeStock.com
                                                                                                                Für Spenden mit zweckgebundenem Verwendungszweck zur Förderung von                Erfahrungen und Lehren für die Praxis
                                                 In den Arbeitspapieren werden die Ergebnisse der For-          Wissenschaft und Forschung zu den Schwerpunkten:
                                                                                                                                                                                                  OBS-Arbeitsheft 94*
Redaktionsschluss:                               schungsförderung der Otto Brenner Stiftung dokumentiert        • Angleichung der Arbeits- und Lebensverhältnisse in Ost- und
                                                                                                                                                                                                  Olaf Hoffjahn, Oliver Haidukiewicz
                                                                                                                  Westdeutschland (einschließlich des Umweltschutzes)
17. Juli 2020                                    und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Für die Inhalte     • Entwicklung demokratischer Arbeitsbeziehungen in Mittel- und                    Deutschlands Blogger
                                                 sind die Autorinnen und Autoren verantwortlich. Arbeits­         Osteuropa                                                                       Die unterschätzten Journalisten
                                                                                                                • Verfolgung des Zieles der sozialen Gerechtigkeit
Wir danken der Hans-Böckler-Stiftung             papiere erscheinen nur online, nicht als Printprodukt.                                                                                           OBS-Arbeitsheft 93*
                                                                                                                                                                                                  Michael Haller
für die Unterstützung bei der Veröffentlichung   Download und weitere Informationen:                                            Bank:          HELABA Frankfurt/Main
                                                                                                                                IBAN:          DE86 5005 0000 0090 5460 11
                                                                                                                                                                                                  Die „Flüchtlingskrise“ in den Medien
der Publikation.                                 www.otto-brenner-stiftung.de                                                   BIC:		         HELA DE FF 		                                      Tagesaktueller Journalismus zwischen
                                                                                                                                                                                                  Meinung und Information

                                                                                                                Geben Sie bitte Ihre vollständige Adresse auf dem Überweisungsträger an,       * Printfassung leider vergriffen; Download weiterhin möglich.
                                                                                                                damit wir Ihnen nach Eingang der Spende eine Spendenbescheinigung zu-
                                                                                                                senden können. Oder bitten Sie in einem kurzen Schreiben an die Stiftung
                                                                                                                unter Angabe der Zahlungsmodalitäten um eine Spendenbescheinigung.
                                                                                                                                                                                                         Diese und weitere Publikationen der OBS finden Sie unter
                                                                                                                Verwaltungsrat und Geschäftsführung der Otto Brenner Stiftung danken für
                                                                                                                                                                                                                      www.otto-brenner-stiftung.de
                                                                                                                die finanzielle Unterstützung und versichern, dass die Spenden ausschließ-
                                                                                                                lich für den gewünschten Verwendungszweck genutzt werden.                      Otto Brenner Stiftung | Wilhelm-Leuschner-Straße 79 | D-60329 Frankfurt/Main
Streitfall Vermögenssteuer - Defizite in der Medienberichterstattung - Otto Brenner Stiftung
Vorwort

Vorwort

          „Huch, eine Vermögensabgabe“ titelte die Süddeutsche Zeitung im April, als die
          SPD Ko-Vorsitzende Saskia Esken eine Besteuerung von großen Vermögen zur
          Finan­zierung der durch Corona stark gestiegenen Staatsausgaben vorschlug. FDP
          und CDU reagierten weniger überrascht und vermuteten sofort ein „durchsichtiges
          Manöver, um in der Corona-Krise das alte linke Lieblingsprojekt Vermögenssteuer
          voranzutreiben“ (FDP), das „absolut verfehlt“ (CDU) sei. Der Linkspartei hingegen,
          so konnte man lesen, gingen die Forderungen nicht weit genug. Damit glichen die
          Reaktionen – und die Berichterstattung – denjenigen im Jahr 2019, als die SPD sich
          die Wiedereinführung der Vermögenssteuer auf die Fahnen schrieb: „Billige Neid­
          debatte“ (CDU) und „unsinnig“ (FDP) waren die damaligen Reflexe von schwarz-
          gelb, zusätzlich gab es Warnungen vor Jobverlusten von den Wirtschaftsverbänden
          und – wieder einmal – Zustimmung von DIE LINKE. Geht man in der Historie weiter
          zurück, lesen sich die Zeitungsberichte ähnlich. „Grober Unfug“ und „Arbeitsplatz-
          killer“ war schließlich schon 1999 als Einschätzungen der damaligen CDU- und FDP-­
          Opposition und der Wirtschaftsverbände zu lesen. Die bis 1997 erhobene Steuer
          war durch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichtes ausgesetzt worden, womit
          die Debatte um eine Wiederbelebung erst richtig aufkommen konnte. Hat sich – so
          ist heute zu fragen – seit Jahren so wenig verändert, dass sich Berichte über die
          Vermögensbesteuerung aus dem Jahr 2019 wie Beiträge aus 1999 lesen lassen?
             Der starke Anstieg der Staatsausgaben zur Rettung der Banken in der Finanz­
          krise 2008, die Eurokrise der frühen 2010er Jahre mit den darauffolgenden Spar- und
          Austeritätspolitiken für breite Teile der Bevölkerung, die heutige Corona-Krise mit
          ihren Milliardenausgaben für Rettungspakete und Konjunkturspritzen, die weiter
          wachsende Ungleichheit zwischen Arm und Reich: Ohne Zweifel ist die Welt heute
          eine völlig andere als 1999 und die soziale Frage, die Frage nach der Verteilung des
          gesellschaftlichen Wohlstandes und der Finanzierung öffentlicher Aufgaben, ist mit
          Wucht zurück auf der politischen Agenda. Haben die Massenmedien, die nach wie
          vor die öffentliche Debatte und die politische Meinungsbildung in demokratischen
          Gesellschaften entscheidend prägen, auf diesen Wandel reagiert? Schlagen sich der
          veränderte gesellschaftliche Kontext und die verschärften ökonomischen Bedingun-
          gen in der Berichterstattung über die Besteuerung von Vermögen nieder? Wer kommt
          in der Debatte eigentlich zu Wort – und (mindestens genauso wichtig:) wer nicht?
             Mit Hendrik Theine und Andrea Grisold konnte die Otto Brenner Stiftung zwei pro-
          filierte Medien- und WirtschaftswissenschaftlerInnen für unsere Untersuchung gewin-
          nen. Das ForscherInnenduo der Wirtschaftsuniversität Wien hat die Bericht­erstattung
          zur Vermögens- und Erbschaftsbesteuerung in Deutschland über die vergangenen

                                                                                                       3
Streitfall Vermögenssteuer

                  zwei Jahrzehnte akribisch analysiert und rund 10.000 Artikel aus sieben Tages-­und
                  Wochenzeitungen – von der FAZ über DER SPIEGEL bis zur taz – ausgewertet.
                      Die Ergebnisse sind in vielerlei Hinsicht bemerkenswert. So wird deutlich, dass
                  die Intensität der Berichterstattung von den fundamentalen Umbrüchen der letzten
                  beiden Jahrzehnte praktisch unberührt bleibt – und auf extrem niedrigem Niveau
                  verharrt. Mit anderen Worten: 2018 berichten die untersuchten Medien genauso
                  selten über die (mögliche) Besteuerung großer Vermögen und Erbschaften wie zur
                  Jahrtausendwende. Darüber hinaus ist eine konstante und starke Fokussierung auf
                  die (partei-) politische Ebene und die dortigen Kontroversen festzustellen – für eine
                  nachhaltige Hintergrundberichterstattung, die die veränderten gesellschaftspoliti-
                  schen und (polit-) ökonomischen Bedingungen integriert, bleibt kaum Raum.
                      Besonders hervorzuheben ist, dass die AutorInnen detailliert ausleuchten, wer
                  den JournalistInnen in Fragen der Besteuerung von Reichtum als Quelle ökono-
                  mischer Expertise dient. Durch die innovative Analyse von Netzwerken und Be-
                  ziehungsgeflechten können sie zeigen, dass die Übergänge von politischen Ak-
                  teuren zu ExpertInnen der Stiftungs- und Verbändelandschaft und schließlich zur
                  (Wirtschafts-) Wissenschaft fließend sind. Deutlich sind dabei Cluster zu erkennen,
                  deren „Mitglieder“ sich anhand ihrer Pro- oder Kontra-Haltung zur Vermögens- und
                  Erbschaftsbesteuerung gruppieren. Die Studie zeigt, dass in fast allen untersuchten
                  Medien überwiegend solche ExpertInnen zu Wort kommen, die eine Besteuerung
                  von Erbschaften und Vermögen skeptisch bis kritisch sehen. Besonders einseitig
                  stellt sich die Auswahl der fachkundigen Quellen in den (Wirtschafts-) Wissenschaf-
                  ten dar: Hier werden hauptsächlich AnhängerInnen (ordo-) liberaler Theorieschulen
                  zitiert, die Umverteilungsmaßnahmen generell eher ablehnend gegenüberstehen.
                      Angesichts dieser Ergebnisse sind Stiftung und AutorInnen überzeugt, dass eine
                  zeitgemäße Berichterstattung über die Besteuerung großer Vermögen die ökonomi-
                  schen und gesellschaftlichen Umbrüche der letzten Jahrzehnte stärker reflektieren
                  und die Vielfalt der Stimmen auch in der Auswahl ihrer ExpertInnen deutlich erhöhen
                  muss. Auch in der Corona-Krise kommen schließlich ExpertInnen mit unterschied­
                  lichen Positionen und kontroversen Einschätzungen zu Wort. Unterm Strich belebt
                  das nicht nur den medialen Diskurs, sondern trägt auch maßgeblich zu überzeugen-
                  den poli­tischen Antworten bei: ein Ergebnis, das bei der Besteue­rung von hohen
                  Vermögen und großen Erbschaften seit Jahrzehnten auf sich warten lässt.

                  Jupp Legrand
                  Geschäftsführer der OBS			                  Frankfurt am Main, im September 2020

4
Inhalt

Inhalt

         1   Einleitung................................................................................................................. 6

         2   Theoretischer Hintergrund und Stand der Forschung................................................. 8
             2.1 Grundlegende Perspektive auf Medien.............................................................................8

             2.2 Stand der Forschung.......................................................................................................11

         3   Hintergrund I: Vermögens- und Erbschaftssteuern in Deutschland.............................16

         4   Hintergrund II: Die volkswirtschaftliche Disziplin, Paradigmen
             und wirtschaftspolitische Überzeugungen...............................................................21
             4.1 Heterodoxie versus Mainstream..................................................................................... 22

             4.2 Deutschlands ÖkonomInnen: Einstellungen
                   zur Besteuerung und paradigmatische Orientierung....................................................... 24

         5   Forschungsdesign.................................................................................................. 28
             5.1 Materialbasis................................................................................................................28

             5.2 Methode und Umsetzung............................................................................................... 32

         6   Ergebnisse I: Intensität, Anlässe und thematischer Schwerpunkt
             der Berichterstattung..............................................................................................35
             6.1 Wer, wann, wie oft? Zur Intensität der Berichterstattung................................................. 35

             6.2 Jetzt Aber! Die Anlässe verstärkter Berichterstattung..................................................... 39

             6.3 Politik, Wirtschaft oder Gerechtigkeit?
                   Der thematische Schwerpunkt der Berichterstattung...................................................... 42

         7   Ergebnisse II: Wer spricht? AkteurInnen und Sprechpositionen
             in der Berichterstattung...........................................................................................45
             7.1 Wer spricht? Positionen aus dem politischen und politiknahen Bereich in den Medien.... 46

             7.2 Wer repräsentiert die (Wirtschafts)Wissenschaften?.......................................................51

         8   Zusammenfassung und Fazit....................................................................................59

             Anhang.................................................................................................................. 62

                                                                                                                                                        5
Streitfall Vermögenssteuer

                  1 Einleitung

                  Die Entwicklung der Vermögensungleichheit        40 Prozent. Diese Steuern wurden in den Jahr-
                  hat in den letzten Jahren verstärkt an Bedeu-    zehnten nach den 1980er Jahren gesenkt oder
                  tung gewonnen. Eine steigende Zahl empiri-       ganz abgeschafft. Ähnlich verhält es sich bei
                  scher Untersuchungen zeigt, dass seit den        der Vermögenssteuer: Während vor einigen
                  1980er Jahren die Vermögensungleichheit in       Jahrzehnten noch die Hälfte der OECD-Länder
                  vielen Ländern zugenommen hat (Piketty &         Vermögen besteuerten, sind dies mittlerweile
                  Zucman, 2015; Piketty, 2014). Weiterhin haben    nur noch drei Länder: die Schweiz, Norwegen
                  Studien für solche Länder, für die gute Lang-    und Spanien (Drometer et al., 2018).
                  zeitdaten vorliegen, gezeigt, dass die genera­      Während diese Entwicklungen mittlerweile
                  tionenübergreifende Übertragung von Ver-         relativ gut erforscht sind, blieb die Rolle der
                  mögen – in Form von Erbschaften und Schen-       Massenmedien in der Vermittlung und Media­
                  kungen – einen wesentlichen Grund für die        tion der Vermögensungleichheit und ihrer zu-
                  anhaltende Vermögensungleichheit darstellt       grundeliegenden Politikmaßnahmen bisher
                  (Adermon et al., 2018; Piketty, 2011; Roine &    weitgehend unbeachtet. Das mutet, angesichts
                  Waldestrom, 2009). Neben der empirischen         der Bedeutung des Themas und der zentralen
                  Analyse der Vermögensverteilung ist in den       Rolle der Medien für öffent­
                                                                                              liche Wahrneh-
                  letzten Jahren ein Anstieg der Forschungs­       mung und Meinungen, durchaus paradox an.
                  tätigkeit zu den Auswirkungen der steigenden     Wie häufig berichten deutsche Medien über
                  Vermögensungleichheit auf Gesellschaft und       die zentralen Versuche, Vermögensungleich-
                  Ökonomie zu verzeichnen. So verdichten sich      heit zu verringern? Geben sie zustimmenden
                  auch die Befunde, dass eine hohe Konzentra-      und ablehnenden Positionen gleichermaßen
                  tion von Privatvermögen in engem Zusammen-       Raum? Diese und ähnliche Fragen können
                  hang mit ökonomischer und politischer Macht      bisher nicht seriös beantwortet werden. Ge-
                  steht, also mit der Möglichkeit, auf ökonomi-    nau hier setzt die vorliegende Untersuchung
                  sche und politische Prozesse einzuwirken. Da-    an, indem die Berichterstattung zur Vermö-
                  mit kommt der Verteilung von Vermögen auch       gens- und Erbschaftsbesteuerung im frühen
                  eine zentrale Rolle im Funktionieren demokra-    21. Jahrhundert (2000 bis 2018) in ausgewähl-
                  tischer Institutionen zu (Rehm & Schnetzer,      ten deutschen Zeitungen analysiert wird. Da-
                  2015; Theine, 2020).                             für wird die Medienberichterstattung in ihrer
                      Ein zentraler Treiber für die zunehmende     textlichen Ausrichtung untersucht, wobei der
                  Vermögensungleichheit sind die sinkenden         Schwerpunkt auf der quantitativen Anzahl von
                  Steuersätze auf Vermögen und Erbschaf-           Zeitungs­artikeln, häufigen Wörtern und Wort-
                  ten (Scheve & Stasavage, 2016; Piketty &         kombinationen und der unterschied­
                                                                                                    lichen
                  Zucman, 2015; Beckert, 2013). Nach dem Zwei-     Präsenz von mit Expertise ausgestatteten Ak-
                  ten Weltkrieg betrugen Erbschaftssteuern in      teurInnen aus dem politischen bis zum wis-
                  den Industrie­ländern noch im Schnitt 30 bis     senschaftlichen Bereich liegt. Dies ermöglicht

6
Einleitung

es, abschließend zu beantworten, welchen          einer Erbschaftsbesteuerung in Deutschland
Stellenwert das Thema Vermögens- und Erb-         positiv, ablehnend oder neutral darstellt.
schaftsbesteuerung in der Berichterstattung          Der Beitrag ist wie folgt strukturiert: Zu
deutschsprachiger Printmedien einnimmt,           Beginn wird die theoretische Perspektive der
welches der beiden Steuerthemen im Vorder-        Untersuchung sowie der Stand der Forschung
grund steht und bei welchen Ereignissen ein       zum Thema dargelegt (Kapitel 2), anschlie-
Anstieg der Bericht­erstattung über den unter-    ßend die Besteuerung von Vermögen und Erb-
suchten Zeitverlauf zu verzeichnen ist. Noch      schaften in Deutschland diskutiert (Kapitel 3)
wichtiger sind jedoch die Ergebnisse zur Fra-     und unterschiedliche Herangehensweisen
ge, wie häufig unterschiedliche (wirtschafts)     an wirtschaftliche Analysen in der volkswirt-
politische Organisationen und ÖkonomInnen         schaftlichen Disziplin erläutert (Kapitel 4).
zu Wort kommen. Welche AkteurInnen und ihre       Die Darstellung des empirischen Teils dieser
jeweiligen (polit)ökonomischen Positionen in      Studie gliedert sich in die Beschreibung des
der Berichterstattung dominieren, ist ein Indi-   Forschungsdesigns (Kapitel 5), die detaillierte
kator dafür, ob sich die Berichterstattung der    Diskussion der Ergebnisse (Kapitel 6 und 7)
untersuchten Medien zur Wiedereinführung          sowie eine zusammenfassende Einschätzung
einer Vermögenssteuer sowie zur Ausweitung        (Kapitel 8).

                                                                                                             7
Streitfall Vermögenssteuer

                  2 Theoretischer Hintergrund und Stand der Forschung

                  In diesem Kapitel wird der Stand der wissen-                Auseinandersetzung spielen die Medien eine
                  schaftlichen Forschung zuallererst in einer ge-             wesentliche Rolle, da sie den Raum bilden, in
                  nerellen Perspektive auf Medien dargestellt,                dem Machtverhältnisse zwischen konkurrie-
                  danach werden aktuelle weitere Forschungser-                renden sozialen und politischen AkteurInnen
                  gebnisse zur Medienberichterstattung über die               entschieden werden (Castells, 2009).
                  Themenkomplexe ökonomische Ungleichheit                         Das Mediensystem wird in solch einer Per-
                  sowie Umverteilungsmaßnahmen analysiert.                    spektive einer gesamtheitlichen Analyse unter-
                                                                              zogen, d. h. es werden sowohl die politischen
                                                                              und ökonomischen Rahmenbedingungen mit-
                  2.1 Grundlegende Perspektive
                                                                              gedacht, als auch spezifische Marktstrukturen
                      auf Medien
                                                                              berücksichtigt. Der Forscher Dwayne Winseck
                  Die vorliegende Untersuchung stellt sich in die             bringt das folgendermaßen auf den Punkt:
                  Forschungstradition der politischen Ökonomie
                                                                                  „Ein Grundsatz der Politischen Ökonomie
                  der Medien. Im Gegensatz zum „Mainstream“
                                                                                  der Medien ist es, die Medien nicht als iso-
                  der medienökonomischen Forschung (vgl. z. B.
                                                                                  lierten Sachverhalt zu analysieren, sondern
                  Anderson et al., 2015), welche sich Großteils
                                                                                  stets Medien in Relation zum ökonomischen
                  auf eine recht unkritische Ansammlung empi-
                                                                                  wie gesellschaftlichen Kontext zu denken
                  rischer Indikatoren und Analysen beschränkt,
                                                                                  und zu reflektieren.“ (Winseck, 2011, S. 4;
                  zeichnet sich die (Kritische) Politische Ökono-
                                                                                  eigene Übersetzung).
                  mie durch ihre offenere Methode sowie eben –
                  wie oftmals im Namen bereits festgehalten –                 Dieser von Winseck beschriebene „Kontext“
                  einen kritischen theoretischen Zugang aus. Ein              meint – allen voran – die Bedingungen der kapi­
                  zentrales Bestimmungsmerkmal ist, dass in der               talistischen Produktionsweise: Privateigen­
                  (Kritischen) Politischen Ökonomie kapitalisti-              tum, Lohnarbeit und der Waren­tausch. Medien
                  sche soziale Beziehungen als machtvermittelt                sind in diese Bedingungen einerseits direkt
                  verstanden werden. Wirtschaftliche Prozesse,                eingebunden (als Unternehmen, Arbeitgebe-
                  darin besonders die Verteilung und der Konsum               rInnen, DienstleisterInnen, ProduzentInnen
                  von gesellschaftlichen Ressourcen, sind damit               kultureller Güter etc.), ebenso aber auch indi-
                  abhängig von Auseinandersetzungen zwi-                      rekt: durch ihre Verbindung zu anderen Wirt-
                  schen unterschiedlichen Klassen, die in einer               schaftsbereichen (etwa über die Finanzierung
                  Gesellschaft um Vorherrschaft ringen (Jäger &               mit Werbung) oder durch die Verflechtung un-
                  Springler, 2015; Mosco, 2009). In solch einer               terschiedlicher Kapitalformen1. Zusammenge-

                  1 Ein Beispiel der Verflechtung von Medienunternehmen mit anderen Kapitalformen ist die Beteiligung mehrerer deut-
                    scher Medienunternehmen (Axel Springer Verlag sowie das Verlagshaus DuMont Schauberg) an dem ehemaligen
                    Postdienstleister PIN. Dies ist insofern ein markantes Beispiel, als der Ende 2007 eingeführte Mindestlohn in der
                    Postbranche auf massiven Widerstand der Medienhäuser traf. Ein Widerstand, der sich durchaus auch in einer nega-
                    tiven Berichterstattung der jeweiligen Zeitungen (z. B. bei Der Welt) niederschlug (Dybski et al., 2010).

8
Theoretischer Hintergrund und Stand der Forschung

fasst bedeutet dies: Das Mediensystem wird
als eine Branche betrachtet, die Kommunika-             Narrative und Diskurse sind Begriffe aus
tion – in ihrer Warenform – mit dem Ziel der            der wissenschaftlichen Forschung, mit de-
Gewinnerzielung produziert und vertreibt.               nen klargemacht wird, dass sinnstiftende
   Neben der Gewinnerzielung hat das Me-                Erzählungen Einfluss darauf haben, wie die
diensystem aber noch eine weitere Funktion,             Welt um uns herum wahrgenommen wird.
die insbesondere in der vorliegenden Studie             Solche Erzählungen zielen darauf ab, ge-
im Vordergrund steht: die Diffusion und Ver-            sellschaftliche Prozesse zu erklären und/
breitung von Narrativen und Diskursen über              oder zu rechtfertigen, indem Zusammen-
gesellschaftliche Prozesse, welche zur Be-              hänge hergestellt, Vereinfachungen vorge-
wusstseinsbildung der Bevölkerung beitra-               nommen und somit neue Erklärungsmuster
gen. Dies ist die sogenannte Doppelfunktion             geschaffen werden.
des Mediensystems: Jede gekaufte und/oder
gratis konsumierte Form der Kommunikation            Im vorliegenden Beitrag wird die Rolle der Me-
(z. B. ein Zeitungsartikel) führt nicht nur zu ei-   dien empirisch in folgender Hinsicht konkreti-
nem potenziellen Gewinn für die ProduzentIn-         siert: Zunächst wird für die Beantwortung der
nen (z. B. den/die EigentümerIn der Zeitung),        Forschungsfrage auf relativ „klassische“ As-
sondern verbreitet auch ganz bestimmte Nar-          pekte der Medienanalyse fokussiert. Die Kate-
rative und Diskurse und bringt diese somit ei-       gorien „Intensität“, „Anlass“ und „Fokus bzw.
ner breiteren Öffentlichkeit dar (Mosco, 2009;       thematischer Schwerpunkt“ der Berichterstat-
Grisold, 2004). Hier ist explizit noch einmal        tung werden untersucht. Außerdem wird –
hervorzuheben, dass Medien nicht nur Infor-          ebenfalls ein häufig praktiziertes Vor­gehen –
mationen verbreiten (wie es oft im Mainstream        die Präsenz verschiedener AkteurInnen in ihrer
der medienökonomischen Forschung als allei-          Rolle als ExpertInnen in der Berichterstattung
nige Funktion angenommen wird), sondern              untersucht (siehe zu ähnlichen Vorgehenswei-
eben auch zur Konstruktion der sozialen Rea­         sen auch Otto et al., 2016; Fengler & Kreutler,
lität beitragen. Die Rolle des Mediensystems         2020). Warum ist es notwendig, die Präsenz
ist damit allumfassend in dem Sinne, dass die        von ExpertInnen zu beleuchten? Wir argumen-
uns bekannte Form der „Realität“ ohne das            tieren hier in Anlehnung an die frühen einfluss-
Mediensystem selbst oft nicht denkbar wäre           reichen VertreterInnen der polit-­ökonomischen
(Grisold, 2009, 2004). Mit anderen Worten:           Cultural Studies, dass solche AkteurInnen
Menschen sind auf die Symbole und Bilder             (Organisationen oder Personen) als „primary
angewiesen, die durch das Mediensystem               definers“ (Hall et al., 1978) – also als erste In­
verbreitet werden, da die komplexe reale Um-         stanzen, die ein Ereignis, eine Maßnahme usw.
welt insgesamt zu groß und zu vielgestaltig ist,     definieren – institutionalisierte, fachkundige
um direkt erfahrbar zu sein (Lippmann, 2017;         Quellen für JournalistInnen darstellen. Damit
Schulz, 1987).                                       haben sie in der Regel die Möglichkeit, eine

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Streitfall Vermögenssteuer

                  Geschichte oder politische Frage zu Beginn        gen und Standpunkten. Auf dem politischen
                  der Debatte mitzuprägen und in bestimmte,         Feld – und abgeschwächt sicherlich auch auf
                  mitunter enge Parameter zu fassen. Die (im        dem politiknahen – wird dies meist als selbst-
                  vorliegenden Falle: wirtschaftspolitischen) Ak-   verständlich angenommen (vgl. Otto et al.,
                  teurInnen tun dies, indem sie Informa­tionen      2016: 16-25): dass bei der Berichterstattung
                  so bereitstellen, dass diese für JournalistIn-    über ein entsprechendes Thema Regierungs-
                  nen gut aufgreifbar sind – zum Beispiel durch     und Oppositionsparteien, Arbeitgeberverbän-
                  die Planung von Pressekonferenzen und durch       de und Gewerkschaften gehört werden sollten,
                  das Verfassen von Pressemitteilungen in über-     ist zumindest in der Theorie recht unstrittig. Für
                  schaubarer Sprache (Herman & Chomsky,             den politikfernen Bereich der Wissenschaft ist
                  1988) sowie durch die Präsentation und Dis-       dies weit weniger klar. Aufgrund eines „szien-
                  kussion ihrer Argumente über Social Media         tistischen Übereifer[s]“ oder „naiven Wissen-
                  (Anstead & Chadwick, 2018).                       schaftsglaubens“ (Schultz, 2020: 96) werden
                      Aufgrund dieser zentralen Bedeutung der       Einschätzungen von WissenschaftlerInnen oft-
                  ExpertInnen für die Berichterstattung, sollen     mals als neutrale und objektiv gültige Wahrhei-
                  diese in der vorliegenden Untersuchung noch       ten dargestellt. Demgegenüber schließt sich
                  genauer analysiert werden. Das Feld der – im      die vorliegende Studie der Ansicht an, dass die
                  Terminus der Cultural Studies – „fachkundigen     journalistische Einbindung wissenschaftlicher
                  Quellen“ ist dabei nach Grad der Politisierung    Expertise „nur im Modus eines aufgeklärten
                  unterteilt: Unmittelbar politische AkteurInnen,   Zweifelns und im Bewusstsein des Pluralis-
                  die in der vorliegenden Studie beispielsweise     mus in der Wissenschaft“ gelingen kann. Es
                  durch die politischen Parteien repräsentiert      gilt „relevanten wissenschaftlichen Dissens
                  werden, werden von den Medien ebenso für          und mögliche Innovationen zu erkennen und
                  Einschätzungen und Expertisen herangezogen,       herrschende Lehrmeinungen zu hinterfragen“
                  wie AkteurInnen des politiknahen Feldes (das      (Schultz, 2020: 97). Auf die Berichterstattung
                  hier durch Verbände, Gewerkschaften und Stif-     über Wirtschaftswissenschaften bezogen be-
                  tungen bzw. Think Tanks repräsentiert wird).      deutet dies: „Dominante ökonomische Narra-
                  Schließlich liefert auch der politikferne Be-     tive herauszufordern, gehört zu den originären
                  reich der Wissenschaften den JournalistInnen      Funktionen des wirtschaftspolitischen Journa-
                  und MedienrezipientInnen Deutungsangebote         lismus“ (Müller, 2017: 42).
                  für bestimmte politische Maßnahmen, wie die          Über diese normativ-theoretische Begrün-
                  Besteuerung von Erbschaften oder Vermögen.        dung der Ausweitung des Pluralismus- bzw.
                      Dieser Grad der Politisierung, so die These   Vielfaltsanspruches auf den politikfernen Be-
                  der vorliegenden Untersuchung, hat Folgen für     reich der Wissenschaft – über den politischen
                  den journalistischen Anspruch an die pluralis-    und politiknahen Bereich hinaus –, möchte die
                  tische und vielfältige Darstellung von Meinun-    vorliegende Untersuchung die Notwendigkeit

10
Theoretischer Hintergrund und Stand der Forschung

dieser Ausweitung auch empirisch begründen.        Ungleichheit selbst zugenommen hat – das
Mittels einer Analyse von Netzwerkbeziehun-        Thema also wichtiger geworden ist. Die vor-
gen zwischen Wissenschaft, politischen Partei-     liegenden Untersuchungen zeigen aber auch,
en, Stiftungen, Think Tanks, Gewerkschaften        dass die Intensität der Berichterstattung je
und Verbänden kann sie nachweisen, dass alle       nach Medium unterschiedlich ist und sich über-
drei Bereiche – trotz ihres unterschiedlichen      wiegend mit der politischen Ausrichtung der
Grades der Politisierung – eng miteinander         untersuchten Medien deckt. So hat die Bericht-
verbunden sind und entlang bestimmter inhalt-      erstattung in der konservativen Frankfurter All-
licher Positionen interagieren. Vonseiten des      gemeine Zeitung (FAZ) über den gesamten Zeit-
Journalismus erscheint eine Darstellung der        raum nur geringfügig zugenommen: die Anzahl
politikfernen – aber niemals politik- und wert-    der Zeitungsartikel zu ökonomischer Ungleich-
freien – (Wirtschafts)Wissenschaften als Feld      heit liegt nur bei rund 0,1 Prozent bis 0,2 Pro-
mit vielfältigen Standpunkten somit geboten.       zent aller jährlichen Artikel. Demgegenüber hat
                                                   die Berichterstattung in DER SPIEGEL, DIE ZEIT,
                                                   Süddeutsche Zeitung (SZ) und taz zu ökono-
2.2 Stand der Forschung
                                                   mischer Ungleichheit wesentlich eindeutiger
Von dieser grundlegenden Perspektive auf Me-       zugelegt: In DER SPIEGEL und DIE ZEIT ist die
dien ausgehend, soll nun der Stand der For-        Berichterstattung im Jahr 2015 auf 0,4 Prozent
schung zum Untersuchungsgegenstand – der           bzw. 0,7 Prozent gestiegen im Vergleich zu ca.
Berichterstattung zu ökonomischer Ungleich-        0,1 bis 0,2 Prozent in den 40er und 50er Jah-
heit und zu Umverteilungsmaßnahmen von             ren (Schröder & Vietze, 2015). Insbesondere
Vermögen und Einkommen – dargelegt werden.         im letzten Jahrzehnt ist eine Intensivierung der
Betrachten wir die bestehende empirische Lite­     Berichterstattung zum Thema Ungleichheit zu
ratur zur Medienberichterstattung über öko-        verzeichnen: im Zeitraum von 2001 bis 2012
nomische Ungleichheit und dies­
                              bezüglicher          waren durchschnittlich rund 0,45 Prozent aller
Umverteilungsmaßnahmen (wie von Grisold &          Medienberichte solche zu ökonomischer Un-
Theine, 2017, erhoben), so zeigt sich, dass die-   gleichheit; ab dem Jahr 2013 lag der Durch-
ses Thema bisher kaum erforscht ist.               schnitt bei 0,8 Prozent (Thomas et al., 2018).
   Nehmen wir zuallererst quantitative Unter­      Trotz des Anstiegs der Berichterstattung im
suchungen zur Medienberichterstattung über         Zeitverlauf weisen die niedrigen Prozentzahlen
ökonomische Ungleichheit in den Blick, wird        jedoch darauf hin, dass das Thema der ökono-
schnell klar, dass die Berichterstattung zwi-      mischen Ungleichheit in deutschen Zeitungen
schen 1945 und 2015 in den großen deut-            keine große Rolle spielt – trotz seiner heraus-
schen Zeitungen tendenziell zugenommen hat         ragenden gesellschaftlichen Bedeutung.
(Schröder & Vietze, 2015; Petring, 2016). Dies        Die soeben beschriebene Zunahme der
passt zum oben dargestellten Fakt, dass die        Medienberichterstattung zu ökonomischer Un-

                                                                                                             11
Streitfall Vermögenssteuer

                  gleichheit sagt allerdings noch wenig über die           Interessante Ergebnisse liefern auch Stu-
                  Vermittlung der Inhalte eben dieser Berichter-       dien über die US-amerikanische Medienland-
                  stattung aus. Hierfür sind qualitative Studien       schaft. Champlin und Knoedler (2008) analy-
                  vonnöten und relevant, welche die sozio-lingu-       sieren die Nachrichtenberichterstattung zu
                  istische – also die soziale, politische und kultu-   ökonomischer Ungleichheit in sechs großen
                  relle – Bedeutung der in den Medien verwen-          US-amerikanischen Tages- und Wochenzei-
                  deten Sprache detailliert erfassen, aber eben-       tungen zwischen 1997 und 2007. Sie tun dies
                  so den normativen Kontext, in welchen diese          ebenfalls in qualitativer Weise und kommen zur
                  eingebettet ist, zu analysieren vermögen.            Schlussfolgerung, dass es in diesem Zeitraum
                      Solch eine qualitative Analyse bietet z. B.      zwar zu einer Zunahme der quantitativen An-
                  Bank (2017) mit der Untersuchung der Bericht-        zahl an Artikeln kommt, diese sich aber in den
                  erstattung zu ökonomischer Ungleichheit in           überwiegenden Fällen auf eine recht oberfläch-
                  den beiden Zeitungen FAZ und SZ im Jahr 2016.        liche Berichterstattung beschränken. Kommt
                  Basierend auf einer qualitativen Framing-­ es zu einer vertieften Berichterstattung, ste-
                  Analyse – einer Analyse der Deutungsrahmen,          hen in der Regel Faktoren wie die zunehmende
                  welche Teilaspekte der Realität in einem kom-        Globalisierung, ein unzureichendes Bildungs-
                  munikativen Kontext hervorgehoben werden,            niveau oder der rasche technologische Wandel
                  während andere dabei in den Hintergrund              im Vordergrund. Bei all diesen Faktoren, so die
                  treten – stellt die Untersuchung dar, dass die       Autorinnen, schwingt ein Hauch von Unver-
                  FAZ im Vergleich zur SZ einen größeren Anteil        meidbarkeit mit.
                  von Artikeln beinhaltet, welche ökonomische              Eine vor kurzem erschienene Studie (Smith
                  Ungleichheit relativieren oder diese nur sehr        Ochoa, 2019) wollen wir zudem heranziehen,
                  oberflächlich besprechen. Desweiteren wird           um die durchaus unterschiedlichen Legitima­
                  deutlich, dass die politische Ausrichtung der        tionen und die sehr diversen Narrative in der
                  Zeitungen auch Einfluss auf die mit ökonomi-         öffentlichen Debatte um ökonomische Un-
                  scher Ungleichheit verbundenen Themenkom-            gleichheit in Deutschland aufzuzeigen. Mittels
                  plexe ausübt: Während die SZ sich auf die The-       einer umfassenden Diskursanalyse wurden
                  men Lebenszufriedenheit, Arbeitsmarkt und            dafür Interviews, Zeitungsartikel (Die Welt, DIE
                  Gewerkschaften konzentriert, verbindet die           ZEIT, taz) und Bundestagsreden untersucht.
                  FAZ Ungleichheit mit Fragen rund um Globa-           Insgesamt stellte die Studie drei Narrative
                  lisierung und führt eine Reihe von internatio­       fest, die in allen Kategorien (Zeitungen, Reden,
                  nalen Vergleichen an, die (implizit) zu einer        Inter­views) in unterschiedlicher Häufigkeit auf-
                  Relativierung der deutschen ‚Verhältnisse‘,          tauchen. Zentrales Ergebnis ist, dass das domi-
                  d. h. der in Deutschland vorzufindenden, doch        nante Leistungsnarrativ auf einer ordoliberalen
                  nicht unerheblichen Formen von Ungleichheit,         Weltanschauung basiert, in der die zunehmen-
                  beitragen (Bank, 2017).                              de Ungleichheit trivialisiert und relativiert wird.

12
Theoretischer Hintergrund und Stand der Forschung

Konkret bedeutet dies, dass mit Rückgriff auf               als eine grundlegende Bedrohung für die sich
die Prinzipien der Leistungsgerechtigkeit und               bereits verschlechternde demokratische Ord-
der persönlichen Verantwortung ökonomische                  nung. Seit den 1980er Jahren hat sich in dieser
Ungleichheit nicht als negativ wahrgenommen                 Interpretation eine gravierende gesellschaft-
wird. Stattdessen wird diese als natürlicher                liche Spaltung verschärft, die oligarchische
Teil einer „freien Marktgesellschaft“ betrach-              Strukturen durch jahrzehntelange Deregulie-
tet, die leistungsfähigen BürgerInnen gleiche               rung, die Schwächung der Gewerkschaften,
Chancen bietet. Dabei wird hauptsächlich der                Sparmaßnahmen, überhöhte Vorstandsgehäl-
Gini-Koeffizient (zur Begriffserläuterung, siehe            ter und weitreichende Privatisierungen geför-
unten) als relevantes Maß der Ungleichheit he-              dert und begünstigt hat.
rangezogen, während anderen Indikatoren –                        Kommen wir nun, als letzten inhaltlichen
wie der Verteilung des Vermögens, der Stagna-               Schwerpunkt bestehender Studien, zu jenen
tion der Reallöhne oder der zunehmenden Pre-                wissenschaftlichen Untersuchungen, die die
karität der Erwerbsarbeit – kaum Bedeutung                  Medienberichterstattung zu Politikmaßnah-
zugeschrieben wird. Empirische Befunde und                  men zum Inhalt haben, genauer zu Umvertei-
politische Aussagen, die alternative Sichtwei-              lungsmaßnahmen (von Vermögen und Einkom-
sen vertreten, werden in diesem Narrativ als                men). Allgemein ist hier zu konstatieren, dass
alarmistisch, ja sogar als „hysterisch“ delegi-             solche in der Berichterstattung eher ablehnend
timiert. Neben dem Leistungsnarrativ werden                 behandelt werden und die positiven Implika­
jedoch auch zwei weitere Narrative identifi-                tionen der Umverteilungspolitik – zur Reduk­
ziert, die dem Ausmaß und der Entwicklung                   tion von Ungleichheit – unterrepräsentiert blei-
der ökonomischen Ungleichheit in Deutsch-                   ben. Dass auch hier gesellschaftliche Leitbilder
land eher kritisch gegenüberstehen. Dies ist                und Narrative eine wichtige Rolle spielen, darf
einerseits das Narrativ des „Pragmatismus“,                 nicht unerwähnt bleiben.
welches argu­mentiert, dass die bestehende                       Wird die Piketty-Debatte 2014/152 heran-
ökonomische Ungleichheit zwar nicht voll-                   gezogen, so ergibt eine Analyse der Berichter-
ständig im Rahmen der marktwirtschaftlichen                 stattung in jeweils drei Tages- und Wochenzei-
Ordnung beseitigt, aber doch durch ordnungs-                tungen in Irland, Großbritannien, Deutschland
politische Maßnahmen und öffentliche Investi-               und Österreich, dass Umverteilungspolitiken
tionen weit­gehend eingedämmt werden kann.                  in geringerem Maße angesprochen werden
Anderer­seits beschreibt das dritte Narrativ des            als das Thema der ökonomischen Ungleich-
„Niedergangs“ die ökonomische Ungleichheit                  heit an sich, und diese Politiken außerdem als

2 Im Jahr 2014 wurden sowohl die englischsprachige als auch die deutschsprachige Übersetzung des Buchs „Capital
  in the 21st Century“ (Kapital im 21. Jahrhundert) von Thomas Piketty veröffentlicht. Das Buch wurde weltweit medial
  stark rezipiert und führte zu einer öffentlich breit geführten Debatte um ökonomische Ungleichheit und Umverteilung
  von Einkommen sowie Vermögen (Bank, 2015; Theine & Grabner, 2020).

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Streitfall Vermögenssteuer

                  wesentlich umstrittenerer definiert werden.        in Deutschland (Lichtenstein et al., 2016) zeigt
                  Wenn Umverteilungsmaßnahmen (wie höhe-             als dominantes Framing der Berichterstattung
                  re Vermögens- und Einkommenssteuern) Er-           mehrerer Zeitungen die (negativen) wirtschaft-
                  wähnung finden, so werden sie eher flüchtig        lichen Folgen, die durch eine Vermögenssteu-
                  angesprochen und nicht weiter detailliert be-      er entstehen könnten. Ein Vergleich der unter-
                  handelt. Darüber hinaus lassen sich linguisti-     schiedlichen Zeitungen zeigt, dass bei konser-
                  sche Zuspitzungen und aggressiv ablehnende         vativen Zeitungen (wie zum Beispiel der FAZ)
                  Formulierungen feststellen, die dem Leser/         fast ausschließlich ökonomische Argumente
                  der Leserin die Gefährlichkeit, Unmöglichkeit      gegen die Vermögenssteuer vorherrschen,
                  und Ineffizienz einer höheren Besteuerung          wohingegen linksliberale Zeitungen (wie zum
                  vermitteln sollen (Grisold & Theine, 2018; Rie-    Beispiel DIE ZEIT) neben ökonomischen Über-
                  der & Theine, 2019; Theine & Rieder, 2019).        legungen auch Fragen der sozialen Gerechtig-
                  So werden zum Beispiel ‚die Reichen‘ gern als      keit adressieren.
                  Opfer ohne Handlungskompetenz portraitiert,           Die langfristige Berichterstattung der FAZ
                  welche ein ‚aggressiver‘, ‚überwältigender‘        zu Vermögenssteuern zwischen 1995 und 2016
                  Staat den Risiken durch Kapitalentnahme und        wird von Leipold (im Erscheinen) untersucht.
                  daher der Gefahr des Konkurses aussetzt.           Diese Berichterstattung ist geprägt von einer
                  Ebenso werden aggressiv-ablehnende Formu-          vornehmlich technischen Sicht auf Vermögens-
                  lierungen und Suggestivfragen verwendet, die       steuern (Bemessungsgrundlage, verschiedene
                  eine weitere sachliche Debatte um Fragen der       Vermögensarten) und beleuchtet vor allem die
                  Besteue­rung doch erheblich erschweren. Ein        Kosten, welche für die Unternehmen und die
                  Beispiel aus einer englischen Sonntagszei-         Gesellschaft potentiell entstehen könnten.
                  tung: „Das ist bizarr. Haben wir seit den 1970er   Insgesamt, so das Fazit der Studie, steht die
                  Jahren nichts gelernt bezüglich der Auswirkun-     Berichterstattung der Einführung einer Ver-
                  gen sehr hoher Steuersätze auf Wachstum und        mögensbesteuerung überwiegend ablehnend
                  Anreize? Glaubt noch irgendjemand, dass die        gegenüber.
                  Ankündigung horrend hoher Steuersätze im              Betrachten wir wieder die US-amerika-
                  Erfolgsfall die Menschen nicht davon abhalten      nische Situation, so war die mediale Debat-
                  wird, nach Erfolg zu streben und die Risiken       te rund um die Steuersenkungen während
                  einzugehen, die notwendig sind, um Innova-         der Bush-Administration (in Kraft getreten
                  tionen zu fördern?“ (David Smith, The Sunday       in den Jahren 2001 und 2003), von der fast
                  Times, 27. April 2014, Übersetzung durch die       ausschließlich sehr reiche Personen profi-
                  AutorInnen).                                       tiert haben (Saez & Zucman, 2019), öfters
                      Die mediale Debatte zur Vermögenssteuer        im Fokus wissenschaftlicher Studien (Bell &
                  im Rahmen der Bundestagswahl im Jahr 2013          Entman, 2011; Limbert & Bullock, 2009). Für

14
Theoretischer Hintergrund und Stand der Forschung

die Berichterstattung in großen nationalen        zunehmende Ungleichheit, welche durch die
Fernsehnachrichtensendungen ist zu kon­           Steuersenkungen entstanden ist, in der Me-
statieren, dass zwei Drittel der Berichter-       dienberichterstattung weitgehend vernachläs-
stattung eher an der Oberfläche bleiben und       sigt wird.
nicht detailliert über die Steuersenkungen           Insgesamt lässt sich hinsichtlich des
berichten (Bell & Entman, 2011). So wird zum      Stands der Forschung zum Untersuchungs­
Beispiel regelmäßig betont, dass „alle Ameri­     gegenstand – der Berichterstattung zu ökono-
kaner“ von reduzierten Steuerbelastungen          mischer Ungleichheit und zu Umverteilungs-
profitieren würden, was impliziert, dass alle     maßnahmen von Vermögen und Einkommen –
dieselben Interessen in der Steuerpolitik ha-     konstatieren, dass die quantitativen Langzeit-
ben (Bell & Entman, 2011). Unterschiedliche       studien (die insbesondere für Deutschland
gesellschaftliche Gruppen (ArbeitnehmerIn-        durchgeführt wurden) auf eine Zunahme der
nen, ArbeitgeberInnen, Menschen mit hohem         Berichterstattung über ökonomische Un-
oder niedrigem Einkommen/Vermögen) blei-          gleichheit hinweisen. Sie zeigen auch, dass
ben großteils unbenannt, stattdessen stehen       die politische Orientierung der Medien eine
undefinierte, „kollektivistische“ Begrifflich-    starke Rolle in der inhaltlichen Ausrichtung
keiten im Vordergrund der Berichterstattung       spielt, hat doch die Berichterstattung über
(„die Amerikaner“, „das Volk“, „die Nation“)      Ungleichheit in konservativen Zeitungen nur
(Bell & Entman, 2011). Die Steuersenkungen        geringfügig zugenommen, während progres-
für sehr wohlhabende Personen wurden eben-        siver ausgerichtete Zeitungen ihre Berichter-
so in großen US-Zeitungen (Limbert & Bullock,     stattung intensiviert haben. Doch allein die
2009) überwiegend als wichtiger Beitrag zum       Zunahme der Berichterstattung sagt wenig
allgemeinen wirtschaftlichen Wohlstand des        über die Art und Weise aus, wie ökonomische
Landes dargestellt, statt über die unterschied-   Ungleichheit und Umverteilungsmaßnahmen
lichen Auswirkungen für einzelne Gruppen zu       medial vermittelt werden. Hier weisen quali-
berichten. Generell werden Personen, die von      tative Studien nach, dass die Medienbericht-
Steuersenkungen profitierten, sehr häufig         erstattung ökonomische Ungleichheit oft im
zu LeistungsträgerInnen und hartarbeiten-         Rahmen des dominanten Leistungsnarrativs
den Menschen stilisiert, die es verdienen, ihr    interpretiert. Hinsichtlich der Umverteilungs-
„selbstverdientes“ Einkommen und/oder Ver-        maßnahmen zeigen bisherige qualitative Ana-
mögen zu behalten. Zusammenfassend über           lysen, dass oftmals subtile sprachliche Metho-
beide Studien zur US-amerikanischen Situa-        den und linguistische Zuspitzungen verwendet
tion, kann festgehalten werden, dass neben        werden, um (höhere) Einkommens- und Ver-
den nicht-adressierten Auswirkungen für un-       mögenssteuern sowie staatliche Maßnahmen
terschiedliche Bevölkerungsgruppen auch die       allgemein abzuwerten.

                                                                                                              15
Streitfall Vermögenssteuer

                  3 Hintergrund I: Vermögens- und Erbschaftssteuern
                    in Deutschland

                  Bevor die empirische Untersuchung startet,                 obersten ein Prozent rund 25 Prozent des ge-
                  ist es jedoch angebracht, sich einen Überblick             samten privaten Vermögens, in Spanien sind
                  über die Entwicklung deutscher Vermögens-                  es knapp unter 20 Prozent (Bach et al., 2019).3
                  und Erbschaftssteuern zu verschaffen, die                      In absoluten Zahlen ausgedrückt, besaßen
                  der untersuchten Berichterstattung zugrunde                die reichsten 500 Deutschen nach Schätzun-
                  liegt – auch, um diese besser einordnen und                gen des manager magazins (2016) ein Ver-
                  bewerten zu können. In diesem Kapitel wird                 mögen von insgesamt 700 Milliarden Euro im
                  deshalb die Entwicklung und Situation der                  Jahr 2016. Die reichsten 0,1 Prozent der Be-
                  Vermögens- und Erbschaftsbesteuerung in                    völkerung, die mindestens ein Nettovermögen
                  Deutschland beschrieben. Wir beginnen mit                  von elf Millionen Euro je Haushalt ihr Eigen
                  einigen Daten zum Status Quo der Vermögens-                nennen, besaßen ein Gesamtvermögen von ca.
                  situation.                                                 1.400 Milliarden Euro, davon schätzungswei-
                      Deutschland ist in Bezug auf die Vermö-                se 75 Prozent Unternehmensvermögen (Bach
                  gensverteilung eines der ungleichsten Län-                 et al., 2019). Hierbei ist anzumerken, dass die
                  der im Euroraum (Bach et al., 2019; Leitner,               aktuelle Corona-Krise mit großer Sicherheit
                  2016). In einer Auswertung für das Jahr 2014               auch an den Vermögenden nicht spurlos vorbei-
                  zeigt sich, dass die obersten zehn Prozent rund            gehen wird, wenn auch beim derzeitigen Stand
                  65 Prozent besitzen, die obersten ein Prozent              noch nicht mit Bestimmtheit gesagt werden
                  besitzen sogar rund 35 Prozent des gesamten                kann, in welche Richtung dies geschehen wird.
                  privaten Vermögens in Deutschland. Im Gegen-               Legen wir die Analysen über die Auswirkungen
                  satz dazu besitzen große Teile der Bevölkerung             der Finanz- und Wirtschaftskrise 2009 ff. zu-
                  keinerlei nennenswertes Vermögen. Die „unte-               grunde, so kann der Schluss gezogen werden,
                  ren“ 50 Prozent besitzen ca. drei Prozent des              dass es längerfristig zu keinen signifikanten
                  gesamten Vermögens. Der Gini-Koeffizient,                  Veränderungen in der Vermögensverteilung
                  ein statistisches Maß für die Ungleichheit ei-             kommen wird (Westermeier & Grabka, 2015).
                  ner Verteilung, liegt damit bei 0,79. Dies stellt              Diese Ungleichheit in der Vermögensver-
                  einen hohen Wert der Ungleichheitsvertei-                  teilung weist außerdem eine sehr hohe Konti­
                  lung dar, würde ein Gini-Koeffizient von eins              nuität auf. Haushalte mit hohem Vermögen ha-
                  doch bedeuten, dass das gesamte Vermögen                   ben ihre Position innerhalb der Vermögensver-
                  von einer Person/einem Haushalt besessen                   teilung im Laufe der Zeit kaum verändert. Am
                  wird. Zum Vergleich: In Frankreich besitzen die            anderen Ende des Spektrums ist es nach wie

                  3 An dieser Stelle ist anzumerken, dass diese Werte Schätzungen sind und mit einer gewissen Unsicherheit einher­
                    gehen. Die Berechnungen zur Vermögensungleichheit basieren auf Haushaltsumfragen, die seit 2010 in regel­
                    mäßigen Abständen durchgeführt werden. Diese Haushaltsumfragen sind allerdings ungenau, da besonders Reiche
                    oft nicht teilnehmen oder ihr Vermögen unterschätzen. ForscherInnen haben unterschiedliche Methoden entwickelt,
                    wie das nachträgliche Hinzuziehen der „Reichenlisten“ von Forbes und dem manager magazin, um dieses Problem
                    einzudämmen (Bach et al., 2019).

16
Hintergrund I: Vermögens- und Erbschaftssteuern in Deutschland

vor sehr unwahrscheinlich, dass Haushalte mit        Vermögensformen zu gering besteuert werden
wenig oder gar keinem Vermögen ihren Vermö-          und dies dem Gleichheitsgrundsatz wider­
gensbestand deutlich erhöhen können (Bach            spricht. Da die zweijährige Frist zur Reform
et al., 2019; Grabka, 2014). Ein wesentlicher        der Vermögenssteuer nicht genutzt wurde, ist
Grund für die anhaltende Vermögensungleich-          diese seit 1997 in Deutschland ausgesetzt (van
heit, da ist sich die Forschung weitgehend           Kommer & Kosters, 2013; Bach & Beznoska,
einig, ist die generationsübergreifende Über-        2012).
tragung in Form von Schenkungen und Erb-                 Ähnlich verhält es sich bei der Erbschafts-
schaften, welche dazu führt, dass etwa 25 bis        besteuerung. Die Spitzensteuersätze auf Erb-
40 Prozent des Gesamtvermögens in Deutsch-           schaften und Schenkungen lagen nach dem
land vererbt werden (Fessler & Schürz, 2018;         Zweiten Weltkrieg bei rund 80 Prozent (mit
Leitner, 2016; Piketty, 2014).                       niedrigeren Werten für EhepartnerInnen und
   Somit zeigt sich für das deutsche Beispiel,       direkte Nachkommen), wurden aber zwischen
dass die Besteuerung von Vermögen und Erb-           1970 und 1990 schrittweise auf durchschnitt-
schaften eine wichtige Rolle für die Vermögens-      lich 20 bis 25 Prozent gesenkt. Im Laufe der
ungleichheit und deren Fortbestand im Laufe          90er kommt die Einführung eines Freibetrages
der Zeit spielt. Mitte des 20. Jahrhunderts sind     für den Erwerb von Betriebsvermögen hinzu
beide, Vermögen und Erbschaften, noch ver-           (1993 und 1996), sodass erhebliche Teile der
gleichsweise stark besteuert worden; in der          vererbten Unternehmen mittlerweile nicht
zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts wur-         mehr besteuert werden (Scheve & Stasavage,
den die Steuersätze dann deutlich reduziert.         2012; Houben & Maiterth, 2011a,b).
Im Jahr 1946 lagen die Steuersätze für Netto-            Im 21. Jahrhundert – dem Betrachtungs-
vermögen zwischen ein und 2,5 Prozent (für           zeitraum der vorliegenden Studie – ist die Erb-
natürliche Personen) und zwei und 2,5 Prozent        schaftsbesteuerung zweimal (2006 und 2014)
(für sogenannte juristische Personen, bei-           durch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG)
spielsweise Unternehmen). Ab 1978 wurden             als in Teilen verfassungswidrig moniert wor-
die Steuersätze für juristische Personen auf         den. Im Mittelpunkt beider Gerichtsurteile
0,5 Prozent und bei natürlichen Personen auf         standen die Steuerbefreiungen für die Unter-
0,7 Prozent gesenkt (Wieland, 2003; Bach,            nehmensvererbung und das damit einherge-
1997). 1995 entschied das Bundesverfassungs-         hende Versagen des Gesetzgebers, ähnlich wie
gericht, dass die Vermögenssteuer in der da-         bei der Vermögensbesteuerung, unterschied-
mals bestehenden Form verfassungswidrig ist,         liche Vermögensarten gleich zu behandeln.
da unterschiedliche Vermögensarten unter­            In beiden Fällen erhielt der Gesetzgeber etwa
schiedlich besteuert wurden. Insbesondere            zwei Jahre Zeit, um das Steuergesetz zu refor-
wurde konstatiert, dass Immobilienbesitz und         mieren, was dann auch 2009 und 2016 erfolg-
Unternehmenseigentum gegenüber anderen               te. In beiden Reformprozessen wurde die vom

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