100 Jahre Nationalparks in Europa - wo stehen wir in Deutschland ?
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N AT I O N A L PA R K S I N E U R O PA 100 Jahre Nationalparks in Europa – wo stehen wir in Deutschland ?
4 Vorwort Guido Puhlmann Nationalparks – eine europäische Perspektive 7 Entwicklung der Nationalparks in Europa Carol Ritchie 11 100 Jahre Nationalparks in Europa Mag. Martin Šolar 16 40 Jahre Nationalparks in Deutschland – Stand und Perspektiven Hubert Weinzierl Inhalt 23 Nationale Strategien zum Erhalt der biologischen Vielfalt Die Nationalen Naturlandschaften im Zeichen 3 von Klimawandel und Biodiversität Gertrud Sahler 30 Nationalparks als Eckpfeiler bayerischer Natur- schutzpolitik Staatsminister Dr. Markus Söder 32 Nationalparks – eine kulturelle Herausforderung Dr.-Ing. E. h. Fritz Brickwedde Vielfalt und Nationale Naturlandschaften – eine Grundlage der Gesellschaft 39 Die Rolle der Nationalen Naturlandschaften für den Erhalt der Biodiversität Dr. Uwe Riecken & Dr. Volker Scherfose 44 TEEB und die ökonomischen Werte von Schutzgebieten Prof. Dr. Bernd Hansjürgens 48 Wertschöpfung durch Nationalparks Univ.-Prof. Dr. Hubert Job 51 Biodiversität als Herausforderung für die Finanzwirtschaft Heiner Herkenhoff 56 Wildes Deutschland – eine Utopie wird wahr ! Guido Puhlmann 60 Verzeichnis der Autorinnen und Autoren 61 Impressum
die Sorge um Arbeitsplätze und Einkommen wich seit 1970 einer neuen Wertschöpfung : dem natur orientierten Tourismus, der bis heute zielgerichtet ausgebaut wird. Die Chance, Urlaub im eigenen Land zu machen, kombiniert mit Erholung und Umweltbildung, wird zunehmend erkannt, umge- setzt und trägt zugleich zum Klimaschutz bei. Die weitsichtige Entscheidung, den National- park zu erweitern und grenzüberschreitend mit Im Jahr 2009 erklärte die UNESCO den dem tschechischen Nachbarpark das „wilde Herz Europas“ entstehen zu lassen, mobilisierte zwar Großteil des Wattenmeeres zum Weltnaturerbe. noch einmal alte Gegner. Doch die klare Haltung des Landes wird heute durch wachsende Zustim- Damit stellte die internationale Organisation die mung und zunehmende regionale Identifikationen mit den Schutzzielen bestätigt. einzigartige Landschaft auf eine Stufe mit Natur- Der Schutz großer Flächen stärkt die biologi- sche Vielfalt und durch Naturtourismus auch die wundern wie der Serengeti in Tansania oder dem Zukunft einer ganzen Region. Die Vermittlung von Wildnis, wie sie auch in den Management Grand Canyon in den USA. zielen der internationalen Naturschutzorganisa 5 tion IUCN (International Union for Conservation of Nature) fest verankert ist, erfordert eine qualifi- Sie würdigte mit der Auszeichnung zugleich den zierte Betreuung der Gebiete, ein Feld, in dem unermüdlichen Einsatz all derer, die zum Schutz mancher Park erhebliche Defizite aufweist. und Erhalt des Wattenmeeres beigetragen haben. EUROPARC Deutschland setzt sich für ein Auch in anderen Nationalen Naturlandschaften effektives Gebietsmanagement ein, gefördert vom Deutschlands wurde die Naturschutzarbeit durch Bundesamt für Naturschutz mit Mitteln des einen Welterbestatus bestätigt und auf besondere Bundes ministeriums für Umwelt, Naturschutz Weise wertgeschätzt. In vier Bundesländern wur- und Reaktorsicherheit. 2008 wurden Qualitäts den im Juni 2011 die „Alten Buchenwälder Deutsch- kriterien und Standards für Nationalparks lands“ ebenfalls als Weltnaturerbe anerkannt. entwickelt. Die öffentliche Aufmerksamkeit, die das Welt Derzeit werden unter Koordination von naturerbe auf sich zieht, belegt das große gesell- EUROPARC Deutschland alle Nationalparks von schaftliche Interesse an Nationalparks in Deutsch- einem von der LANA (Bund / Länder-Arbeits land und die gemeinsame Verantwortung, unsere gemeinschaft Naturschutz, Landschaftspflege und schönsten und wertvollsten Landschaften langfris- Erholung) berufenen bundesweiten Komitee tig zu erhalten. Die Bevölkerung im Umfeld der evaluiert. Zertifizierte Nationalpark-Partner er- Nationalen Naturlandschaften, aber auch die Be- gänzen darüber hinaus das Besucherprogramm der sucher sollen begeistert und für deren Schutz sen- Parks, engagieren sich in der Umweltbildung oder sibilisiert werden. sind im Naturschutz aktiv. Für die meisten Verwaltungen der derzeit Unsere Aufgabe ist es, gemeinsam mit den 14 Nationalparks in Deutschland ist diese Aufgabe Ländern und vielen Partnern die Menschen an die ein Spagat zwischen wachsenden Aufgaben und Natur und speziell die Nationalen Naturlandschaf- Besucherinteresse sowie den knapper werdenden ten heranzuführen – sie besser kennenzulernen, Haushaltsmitteln. Wildnis ist ein erklärtes Ziel zu verstehen und wertzuschätzen. In der Kombi- der Nationalparks. Bis 2020 – so steht es in der nation von Nationalparks, Naturparks und Bio- Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt der sphärenreservaten liegt eine Stärke der Nationalen Bundesregierung – sollen immerhin zwei Prozent Naturlandschaften. Helfen Sie mit, dieses System der terrestrischen Landesfläche als Nationalparks und Netz der großen Landschaften Deutschlands und damit Wildnis- bzw. Wildnisentwicklungs weiter zu optimieren. gebiete ausgewiesen sein – weit mehr als doppelt soviel wie heute. Natur Natur sein lassen ist eigentlich einfach und preiswert. Doch es ist leichter gesagt als getan und erfordert Ausdauer und Überzeugungsarbeit. Menschen, die sich gegen Veränderung des Gewohnten aussprechen und wirtschaftliche Inter- Guido Puhlmann essen beeinträchtigt sehen, sind mancherorts Geg- Vorsitzender Europarc Deutschland e. V. ner dieser natürlichen Entwicklung in den Nationalparks. Nationalpark Schleswig- Dennoch lohnt es sich, der Natur Raum zu ge- Holsteinisches Watten- ben, in dem sie sich ungestört entfalten kann. Dies meer – von Wasser zeigt die Entwicklung des Nationalparks Bayeri- bedeckte Außensände scher Wald. Die Aufgabe der Waldnutzung sowie
Entwicklung der Nationalparks in Europa Wo stehen die deutschen Parks im europäischen Vergleich ? Zur Entstehungsgeschichte der Schutzgebiete Der Schutz bestimmter Gebiete und Landschaften hat eine lange Tradition, die bis ins späte 17. Jahr- hundert zurückreicht. Bereits in der Romantik war man der Überzeugung, dass der Schutz von Land- schaften und Natur von besonderem Wert sei. Ur- 7 sprünglich handelte es sich dabei vor allem um Jagdgebiete und als heilig erachtete Orte. Im Zuge der Industriellen Revolution veränderte sich auch Am 24. Mai 2009 feierte Europa das hundertjähri- das Verhältnis des Menschen zur Natur : Hatte er ge Bestehen seiner Nationalparks. Die ersten neun sie bislang häufig als bedrohlich empfunden, so be- Parks wurden 1909 in Schweden eingerichtet. trachtete man nun die Natur selbst zunehmend als Die Föderation EUROPARC ist die Dach bedroht. organisation europäischer Schutzgebiete und Immer mehr Menschen schlossen sich im Naturschützer. Sie vertritt rund 450 Schutzge 18. und 19. Jahrhundert dieser Überzeugung an. biete, Regierungsabteilungen, Nichtregierungs Die Einrichtung des weltweit ersten National- organisationen und Unternehmen in 39 Ländern, parks, des Yellowstone National Park in den USA die sich für den Erhalt von Naturlandschaften, im Jahr 1872, galt als Meilenstein dieser Bewegung. Seen, Bergen, Wäldern, Flüssen und europäischem Überall in den außereuropäischen Kolonien ent- Kulturerbe einsetzen. standen im späten 19. Jahrhundert weitere Parks, Als bedeutendste Vertreterin der europäischen die nach dem Vorbild des Yellowstone Parks als ge- Schutzgebiete organisierte EUROPARC eine schützte Erholungsgebiete konzipiert waren. Im Reihe von Veranstaltungen zur Würdigung dieses frühen 20. Jahrhundert schließlich entstanden die wichtigen Jahrestags in der Geschichte des Natur- ersten Nationalparks auf europäischem Boden. schutzes. So stand der von den Schutzgebieten in Für ihre Einrichtung hatten auch patriotische Er ganz Europa gefeierte „Tag der Parke“ unter dem wägungen eine Rolle gespielt. Die geschützten Flä- Motto: „Junge Menschen – die Zukunft unserer chen wurden von der Öffentlichkeit genutzt, dien- Parke“. Das Thema der EUROPARC-Jahres ten aber auch zu Forschungszwecken. konferenz 2009 lautete : „100 Jahre Nationalparke In der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen in Europa. Ein gemeinsames Erbe. Eine gemein wurden in weiteren europäischen Ländern Parks same Zukunft“. Im Rahmen des Projekts „100 eingerichtet. Trotz der Unterschiede zum US- Jahre Nationalparke in Europa“ wurde das Buch amerikanischen Konzept des Nationalparks hielt „Lebende Parke : 100 Jahre Nationalparke in Euro- sich die Bezeichnung auch in Europa aufgrund pa“ veröffentlicht und eine Ausstellung gleichen ihrer Einfachheit und Eingängigkeit. Die ersten Namens konzipiert. Parks wurden aufgrund ihrer wertvollen Naturaus- Die Feierlichkeiten zum hundertjährigen Beste- stattung eingerichtet. Für ihre Abgrenzung und ihr hen der Nationalparks boten eine hervorragende Ausmaß spielten opportunistische Überlegungen Gelegenheit, einen Überblick über die Geschichte oft eine größere Rolle als ihre natürlichen Gege- des Naturschutzes in Europa zu geben und über benheiten. Die für die Parks gültige Gesetzgebung die Zukunft der Schutzgebiete und des Schutz und das Schutzkonzept gestalteten sich entspre- gebietsmanagements nachzudenken. chend der Regierung und der jeweiligen wirtschaft- lichen Situation in den einzelnen Ländern sehr unterschiedlich. Weitere Parks entstanden im Verlauf des 20. Jahrhunderts, so dass seit der Jahrtausendwen- de in fast jedem europäischen Land mindestens ein Nationalpark existiert. Während die Sorge um die Federwolke am Strand schwindenden natürlichen Ressourcen unseres von Spiekeroog (Natio- nalpark Niedersächsi- Planeten zunehmend größer wurde, entwickelten sches Wattenmeer) sich die geschützten Gebiete zu nationalen und internationalen Systemen, zu denen auch die Nationalparks gehören.
Schutzgebiete heute Immer mehr Menschen gelangen zu der Erkennt- nis, dass gesunde und intakte Ökosysteme für das Der Landschaftsschutz ist in den einzelnen menschliche Leben sehr wichtig sind. Damit ge- Ländern unterschiedlich organisiert. Viele Gebiete winnt auch der Aspekt der so genannten „Öko sind in den Schutzgebietskategorien der IUCN dienstleistungen“ zunehmend an Bedeutung. Die- (International Union for Conservation of Nature) ser immer häufiger verwendete Begriff umfasst die sowie im Natura-2000-Netzwerk der EU zu Vorzüge der Schutzgebiete, die lange Zeit nur sammengefasst. Das Netzwerk vertritt Landschaf- wenig beachtet, heute dafür umso mehr geschätzt 8 ten und Flächen, die unseren Schutz verdienen : werden. Zu den Ökodienstleistungen zählen Wald-, Wasser- und Küstenlandschaften, Flora Kohlenstoffspeicherung, Frischwasserreservoirs, Boden- und Artenschutz, saubere Luft, gesunde Lebensmittel, natürliche Schädlingsbekämpfung, Fotosynthese, Bodenentwicklung und Recycling. Derzeit gilt in ganz Europa eine Fläche von Trotzdem haben die Schutzgebiete auch heute mit zahlreichen Problemen zu kämpfen, die die Ar- insgesamt etwa 90 Millionen Hektar als ge- beit oft erheblich erschweren und teilweise sogar ihren Fortbestand gefährden. Ein wesentliches schütztes Gebiet, das entspricht 18 Prozent der Problem besteht darin, dass ihre Vorzüge oft keine angemessene Wertschätzung erhalten. In unserer Gesamtfläche, verteilt auf 40 Länder. zunehmend urbanisierten Gesellschaft ein Be- wusstsein für die Werte und den Nutzen unserer Natur zu bewahren, ist keine leichte Aufgabe. und Fauna, unterschiedliche Lebensräume und Auch infrastrukturelle Entwicklungen und der Ökosysteme. Wichtigste Funktionen dieser Flä- Mangel an finanzieller, politischer oder ideeller chen sind nach wie vor der Schutz und der Erhalt Unterstützung können die Arbeit der Schutzge unserer natürlichen Umgebung. Andere Aspekte biete erschweren. Daneben müssen Interessen wie Erholung, Tourismus, nachhaltige Entwick- vertretern oft die langfristigen Vorteile nachhalti- lung, Einbindung der Kommunen, Umwelter ger Lösungen anstelle kurzfristiger positiver ziehung und Gesundheit gewinnen jedoch immer Effekte vermittelt werden. mehr an Bedeutung. In unterschiedlichen Sektoren sind zahlreiche Menschen direkt oder indirekt für die Schutzgebiete tätig und setzen sich dafür ein, dass diese angemessen verwaltet werden und ihre kulturelle und natürliche Vielfalt beibehalten. Die Werte und der Nutzen der Schutzgebiete sind immens. Für den Erhalt der natürlichen Viel- falt unseres Kontinents sowie für das Fortbestehen seiner Wildgebiete und Naturlandschaften spielen die europäischen Schutzgebiete eine wichtige Rolle. Neben Landschaften, die aus der jahrhun- dertelangen Interaktion von Mensch und Natur entstanden sind, finden sich hier auch noch weitge- hend unberührte Orte. Schutzgebiete geben vielen verschiedenen Tierarten einen Lebensraum und erhalten zahlreiche Ökosysteme. Indem sie die Vielfalt der europäischen Natur bewahren, ermög- lichen sie es uns allen, uns an ihrer Schönheit zu erfreuen.
Nationalpark Die Zukunft des Schutzgebietsmanagements Jasmund – Blick auf die Wissower Klinken Unsere Gesellschaft ist vor wirtschaftlichen und darstellen. Neben der allgemeinen Öffentlichkeit und die Ernst-Moritz- ökologischen Krisen nicht gefeit. Damit ist auch und der Politik sollen zahlreiche verschiedene Arndt-Sicht die Zukunft unserer Schutzgebiete nicht gesichert. Zielgruppen angesprochen und die vielfältige Be- Doch sollte nicht übersehen werden, dass auch deutung dieser geschützten Flächen für unsere Ge- zahlreiche positive Entwicklungen stattfinden, die sellschaft vermittelt werden. den Schutzgebieten zugute kommen. Die im TEEB-Report detailliert beschriebene Dazu zählen Initiativen wie das Internationale Preiskalkulation für die von der Natur erbrachten Jahr der biologischen Vielfalt 2010 sowie verschie- Leistungen ist eine Methode, diese Bedeutung zu dene vielbeachtete Studien und Forschungsarbei- veranschaulichen. ten, darunter der Bericht „The Economics of Eco- Eine ganze Reihe von Themen wird in den systems and Biodiversity“ („Zur Wirtschaftlichkeit nächsten Jahren für die Schutzgebiete zunehmend von Ökosystemen und biologischer Vielfalt“, TEEB wichtig sein : Das Thema Klimawandel, derzeit in siehe auch S. 44). aller Munde, betrifft auch Nationalparks und ge- Diese Initiativen können als Kommunikations- schützte Flächen in erheblichem Maße. Bei der An- plattform dienen und helfen, die Werte und den passung an den Klimawandel, der Abschwächung Nutzen unseres natürlichen und kulturellen Erbes seiner Auswirkungen und nicht zuletzt bei der zu kommunizieren. Das Konzept der Ökodienst- Erforschung des Problems spielen Schutzgebiete leistungen kann ebenfalls eine solche Plattform und Nationalparks eine besondere Rolle.
Während der Naturschutz im täglichen Leben zu- nehmend in den Hintergrund tritt, stellt sich die Frage, wie das Interesse junger Leute, die für den Fortbestand der Schutzgebiete eine große Rolle spielen, gefördert werden kann. Ein weiteres interessantes Thema ist der Zu- sammenhang zwischen Natur und Gesundheit. Der positive Einfluss einer intakten Natur auf die menschliche Gesundheit wurde bereits in verschie- denen Studien nachgewiesen. Auch im Natur- schutz tätige Fachkräfte haben diesen Zusammen- hang und sein Potential für die Schutz gebiete erkannt. Das EUROPARC-Netzwerk Die Einbindung von Interessenvertretern ver- schiedener Sektoren innerhalb und außerhalb der Die Föderation EUROPARC wurde ins Leben Parks in die Schutzgebietsarbeit ist ein wesent gerufen, um das natürliche und kulturelle Erbe licher Aspekt eines effektiven Management Europas zu schützen und zu stärken. konzepts. Insbesondere in touristisch stark fre- Das EUROPARC-Netzwerk verbindet die in quentierten Regionen kann die Einbindung dieser den Schutzgebieten tätigen Fachkräfte und fördert 10 Zielgruppen eine nachhaltige Entwicklung Partnerschaften und Zusammenarbeit mit dem sichern. Ziel, das Schutzgebietsmanagement europaweit Der Schutz unseres natürlichen Erbes sollte mit innovativen Ideen zu bereichern. Es gehört nicht als isoliertes Problem behandelt werden. zu den Aufgaben der Föderation, zahlreichen Europäische Schutzgebiete müssen miteinander verschiedenen Zielgruppen die Werte und den kooperieren, um gemeinsame Herausforderungen Nutzen der Schutzgebiete zu vermitteln. Um die Arbeit des Schutzgebietsmanagements auch künftig zu sichern, haben die Föderation und ihr Netzwerk zahlreiche Tools und Projekte ent Für die internationale Zusammenarbeit wickelt, die die formulierten Ziele verfolgen. Das Junior-Ranger-Programm der Föderation sind europaweite und globale Netzwerk- EUROPARC tritt derzeit in 30 Schutzgebieten in 15 verschiedenen europäischen Ländern mit An strukturen vonnöten. geboten auf, die von Kindern und Jugendlichen zwischen 7 und 18 Jahren genutzt werden. Unsere Europäische Charta für nachhaltigen zu erkennen und ihre Vision der Zukunft unseres Tourismus ist ein Instrument zum schrittweisen Naturerbes umzusetzen. Länderübergreifende Ausbau einer nachhaltigen Entwicklung des Kooperation zur Bewältigung ähnlicher Probleme Tourismussektors in Schutzgebieten. Die Charta in den einzelnen Schutzgebieten, der Aufbau von wurde bereits in 75 Schutzgebieten in acht Netzwerkstrukturen zum Austausch von Erfah- Ländern umgesetzt. Im Rahmen der zweiten Pha- rungen in verschiedenen Bereichen und die ge- se der Charta wurden bisher 155 Unternehmen meinsame Entwicklung innovativer Instrumente zerti fiziert. 17 grenzüberschreitende Parks, die sind geeignete Methoden, um die Entwicklung des über Ländergrenzen hinweg eng zusammenarbei- Schutzgebietsmanagements voranzubringen. ten, erhielten die Zertifizierung nach unserem Transboundary-Programm. Derzeit entwirft EUROPARC für die Euro päische Union eine Lobbying-Strategie, die die Vorteile der Schutzgebiete deutlicher herausstellen sowie das Natura-2000-Netzwerk unterstützen und stärken soll. Dazu steht die Entwicklung wirk- samer Instrumente zur Verbesserung der Netz- werkarbeit und zum Austausch von Erfahrungen und Ideen auf dem Programm. Die Arbeit der Föderation EUROPARC ba- siert auf der Überzeugung, dass Schutzgebiete für das Fortbestehen der europäischen Gesellschaft unerlässlich sind. Zusammen mit ihren Mit gliedern setzt sie sich dafür ein, eine gemeinsame Zukunft für das Naturerbe Europas zu schaffen. Carol Ritchie EUROPARC Federation
100 Jahre Nationalparks in Europa Dieser Beitrag beschreibt die Geschichte des Geschichtlicher Hintergrund Naturschutzes und der Entwicklung der In prähistorischer Zeit hatten die Menschen für die Schönheit der Natur wenig übrig. Sie hatten Nationalparks weltweit und besonders in Europa, Angst und nahmen sich in Acht vor der Natur, be- sonders vor der Wildnis, und deuteten viele natür- die Managementziele in Schutzgebieten und das liche Phänomene als Handlungen der Götter. In der neuen Zeit hat besonders der Humanis- neue Konzept der Wildnis in den europäischen mus ein bisher nicht dagewesenes Interesse im Menschen geweckt, die Natur besser kennen zu Parks. lernen. An der Schwelle zum 18. Jahrhundert wurde 11 während der Aufklärung und später der Romantik Natur und Landschaft mehr und mehr Aufmerk- samkeit geschenkt. Die Natur wurde zur Heraus- forderung für Wissenschaftler, Entdecker und sogar Künstler. Naturstudien wurden extrem wich- tig für Forschungsarbeiten im naturwissenschaft lichen Bereich. Die Idee, bestimmte Arten oder Gebiete zu schützen, wurde einerseits motiviert Nationalpark Vorp. durch die Bedrohung der Naturschätze, auf der an- Boddenlandschaft – deren Seite durch deren außergewöhnlichen Wert die Bodden mit ihren strukturierten oder ihre Seltenheit. Uferbereichen
Größere Gebiete einer einzigartigen Landschaft, dicht besät mit Naturschätzen, hoher biologischer Vielfalt und damit verbundenen Kulturlandschaft werden nicht selten als Nationalparks geschützt. In Form der Nationalparks wurde die Idee des Naturschutzes auf eine unmittelbare und alle an- sprechende Weise der Öffentlichkeit näher ge- bracht. Die Nationalparks garantieren den Schutz eines Lebensraums, zugleich kommen sie aber auch den Menschen und deren Lebensqualität zugute. Außerordentliche Schönheit oder Bedrohung, auch beides gleichzeitig – für gewöhnlich sind das Geschichtlicher Überblick über die Entwicklung 12 die wichtigsten Gründe für den Naturschutz. der Nationalparks in Europa 1914 Schweizerischer Nationalpark Schweiz ( Alpen ) Die ersten Nationalparks überhaupt wurden in Nordamerika eröffnet, danach folgte auch Europa 1918 Covadonga Nationalpark Spanien diesem Vorbild. Vor 100 Jahren, am 24. Mai 1909, 1921 Bialowieza Nationalpark Polen wurden in Schweden neun Nationalparks gegrün- det, die heute alle noch existieren. Bezüglich Größe 1922 Gran Paradiso Italien und Inhalt unterscheiden sich diese Parks sehr ( Alpen ) voneinander. Die meisten befinden sich im hohen 1924 Triglav Nationalpark Slowenien Norden des Landes, die bekanntesten unter ihnen zunächst als „Alpiner Schutz ( Alpen ) sind der kleine Nationalpark Abisko und die zwei park“, ab 1961 als Nationalpark sehr großen Parks Sarek und Stora Sjötfallet. 1930 Veluwezoom Nationalpark Niederlande Am 24. Mai – dem Geburtsdatum der ersten europäischen Nationalparks – wird der europäi- 1934 Vitosha Nationalpark Bulgarien sche „Tag der Parke“ gefeiert. Dieser wurde 1998 1935 Retezat Nationalpark Rumänien von der Föderation EUROPARC mit der Absicht ins Leben gerufen, durch verschiedene Veranstal- 1938 Pallas – Yllästunturi National- Finnland park tungen die Öffentlichkeit auf die Rolle und Bedeu- tung der Schutzgebiete aufmerksam zu machen, 1938 Olympus Nationalpark Griechenland vor allem der National-, Natur-, Regional- und 1949 Plitvice Nationalpark Kroatien Landschaftsparks. gefolgt von vielen Nationaparks im ehemaligen Jugoslawien 1949 Tatra Nationalpark Slowakei 1951 Peak Nationalpark Großbritannien gefolgt von weiteren National parks auch in Wales 1963 Krkonoše Nationalpark Tschechien 1963 Vanoise Nationalpark Frankreich ( Alpen ) 1970 Nationalpark Deutschland Bayerischer Wald 1971 Guaya Nationalpark Lettland gefolgt von anderen National parks in den Baltenstaaten ( ehem. Baltische Republiken während der Sowjetrepublik ) 1978 Nationalpark Berchtesgaden Deutschland ( Alpen ) 1981 Nationalpark Hohe Tauern Österreich ( Alpen ) 1991 Šumava Tschechien
Nationalpark Eifel – Managementziele in den Nationalparks Winterpanorama Rursee Schutzgebiete spielen eine entscheidende Rolle Nationale und europäische Gesetzgebungen, in- beim Schutz von Natur, Biodiversität und Kultur- ternationale Konventionen und Standards lassen landschaft. Es gibt viele unterschiedliche Ansätze keine Zweifel hinsichtlich der Hauptziele in im Hinblick auf das Management von National- Nationalparks. Das Hauptziel eines Nationalparks parks. Zunächst : Was ist ein Nationalpark ? Was ist der Schutz und Erhalt von außerordentlichen sind die Ziele von Nationalparks ? Dann : Gibt es Naturphänomenen, Schutz der Biodiversität, von einen gemeinsamen Nenner für die allgemeinen Ökosystemen und anderen Naturschätzen. Natio- Ziele, die verfolgt werden ? Wie wird ein National- nalparks sind Schutzgebiete, in denen in zentralen park geführt ? Bereichen die Ziele und Interessen des Natur- Schutzgebiete werden weltweit fast überall von schutzes absoluten Vorrang haben . Diese Bereiche staatlichen oder regionalen Behörden verwaltet. sollten die größte Fläche eines Parks ausmachen. Und jedes staatliche Gesetz für Schutzgebiete hat Die Haupt-Managementziele im Kerngebiet seine eigene Prägung, aber gleichzeitig gibt es auch (Nicht-Interventionszone) sind unabhängig von Ähnlichkeiten rund um den Globus. der Größe des Gebiets : Die Managementziele in den Nationalparks –– Naturschutz sind also spezifisch bedingt durch unterschiedliche –– Schutz des Ökosystems und der Biodiversität physisch-geographische und biotische Gegeben- –– Natürliche Prozesse heiten, durch Besitzansprüche und Interessen. Es –– Umweltverträgliche Erholung muss jedoch unbedingt einen Hauptnenner geben. Die IUCN-Managementkategorien für Schutzge- Ziel eines Nationalparks ist es auch, Möglich- biete können mit ihren Definitionen ein Maßstab keiten zu bieten, die Natur, Kultur und geistigen für die Parkverwaltungen sein, der zur Verwirk Werte des Schutzgebiets zu erforschen. Daneben lichung der Ziele des Naturschutzes im Park bei- ist das Ziel eines Schutzgebiets, die nachhaltige trägt, bis zu einem bestimmten Maß aber auch Entwicklung sicherzustellen in Übereinstimmung die Vergleichbarkeit unter den Schutzgebieten mit den vorrangigen Naturschutzzielen. ermöglicht. Die IUCN ist die wichtigste Naturschutz organisation weltweit. Die WCPA (World Com- mission on Protected Areas) hat ein System für Managementkategorien für Schutzgebiete entwi- ckelt. Naturschutz- und Managementziele in Schutzgebieten mögen unterschiedlich sein, doch müssen gemeinsame Standards und Kriterien be- folgt werden. Das IUCN-System der Manage- mentkategorien bietet ein effektives Instrument für das Management und den Vergleich von Schutzge- bieten an.
14 Nationalpark Wildnis in Europa Hamburgisches Wattenmeer – blühende Salzwiesen Was stellt man sich unter dem Begriff „Wildnis“ Gibt es in Europa überhaupt noch solche natürlich auf Neuwerk vor ? Ist der Begriff für den Menschen anziehend erhaltene und einer ungestörten natürlichen Ent- oder eher abschreckend ? Aus der Sicht des Natur- wicklung überlassene Gebiete ? Stellt man sich die schutzes wird der Begriff »Wildnis« mit der Ver- Wildnis eng begrenzt als tatsächlich unberührte waltung derjenigen Gebiete gleichgesetzt, die einer Naturgebiete vor, dann kann man innerhalb Euro- natürlichen Entwicklung ohne menschliche Ein- pas, mit der Ausnahme Skandinaviens und des griffe überlassen werden müssen. Im Bereich der Hochgebirges in den Alpen, kaum noch welche fin- Schutzgebiete wird der Begriff „Wildnis / Wilder- den. Da aber die Wildnisgebiete heute immer öfter ness“ eng mit der Managementkategorie 1b der auch mit Schutzgebieten gleichgesetzt werden, in IUCN – Wildnisbereich (Wilderness area) – ver- denen es keine menschlichen Eingriffe gibt und wo bunden. Die Grundidee und der Begriff dieser die Natur den ungestörten natürlichen Prozessen Kategorie stellen Schutz und Management größe- überlassen wird, kann behauptet werden, dass wir rer Natur- und Naturschutzgebiete in den Vor die Wildnis auch in Europa haben. Das Manage- dergrund, die deren Gegenwartszustand ohne ment dieser Schutzgebiete ist eine Herausforde- menschlichen Eingriff zu erhalten versuchen. rung für Fachkräfte und Politik am Anfang des dritten Jahrtausends. Sehen wir uns an, warum.
Vision, Herausforderungen – Realität Europa hat eine klare Vision, ein Netzwerk der Wildnis-Schutzgebiete (Parks und Natura 2000) zu entwickeln und auf die Wichtigkeit des Schut- zes und der Erhaltung der Wildniszonen aufmerk- sam zu machen, die im Sinne des Naturschutzes zu den wichtigsten europäischen Kronjuwelen der Natur gehören. Es ist eine fachliche Heraus forderung zu überprüfen, wie das Modell „ohne Interventionen“, bzw. wie ein Wildnismodell die Naturschutzprinzipien von Natura 2000 beein- flusst. Wir wissen bereits, dass einige Gebiete in- nerhalb Natura 2000 Wildnischarakter haben, mehrere Gebiete benötigen aber aktiven Schutz In den letzten zehn Jahren wurde in Europa ver- und Maßnahmen des Menschen für die Entwick- mehrt festgestellt, dass die existierenden Schutz lung eines als gut zu bezeichnenden Zustands. Die gebiete (Parks) und die Natura-2000-Gebiete ein 15 Herausforderung der Inkraftsetzung des Wildnis- außerordentliches ökologisches Netzwerk darstel- konzeptes ist besonders bei Verbindungen und len, dass aber für die Erhaltung des gegenwärtigen beim Management grenzüberschreitender Schutz- Zustands hohe Investitionen nötig sind. Anderer- gebiete vorhanden. seits zeigen die Verhältnisse im neuen Europa, in In der letzten Zeit wurden einige Tagungen dem immer mehr Staaten miteinander verbunden zum Thema Wildnis, bzw. „ohne Interventionen“, werden, dass es hier Naturgebiete gibt, die ohne und Management der Schutzgebiete organisiert. Es menschliches Zutun außerordentlich gut erhalten wurde festgestellt, dass wir uns bei der Einführung sind. Die Erhaltung solcher Zustände bedürfen des neuen Wildniskonzepts in Europa nicht erst keiner Investitionen in Form menschlicher Eingrif- am Anfang des Prozesses befinden, sondern bereits fe, sondern nur einer bewussten Entscheidung, mitten drin. Quer über Europa – von der Pyrenä- enhalbinsel bis nach Skandinavien, vom entwickel- ten Nordeuropa über die Alpen und Karpaten bis zum Balkan – können Beispiele guter Praxis und Das neue Verständnis von Wildnis und guten Managements der Schutzgebiete ohne menschliche Eingriffe gefunden werden. Das Wild- das Management ohne menschliche Eingriffe niskonzept kann zwar widersprüchlich mit dem aktiven Management der Gebiete unter Natura bringen zwei klare Ziele mit sich : Schutz und 2000 sein, zugleich aber auch diesem entsprechen – abhängig von den Habitattypen und dem Zustand, Erhaltung der ganzheitlichen Ökosysteme und die eigentlich den Grund zur Bestimmung eines Natura-2000-Gebiets darstellten. Sicherstellung der natürlichen Prozesse darin. Wildnis in Europa ist also Realität. Die euro päische „Wildnis-Initiative“ wird von allen wichti- gen Naturschutzorganisationen, wie z. B. IUCN, dass diese Naturgebiete einer ungestörten natürli- WWF, EUROPARC, Eurosite, PAN Parks und chen Entwicklung überlassen werden müssen. Da- auch von zahlreichen Verwaltern der Schutzge durch kann aus Sicht des Naturschutzes auch in biete unterstützt. Die EU und die Europäische Europa ein Mehrwert gewonnen werden, nämlich Kommission fordern die Mitgliedstaaten auf, so- die Wildniszonen. fort aktiv zu werden und Maßnahmen für den Die natürlichen Ökosysteme können abge- Schutz der letzten großen europäischen Natur schlossene Einheiten sein, die ohne menschliche gebiete oder -habitate zu realisieren, in denen das Eingriffe funktionieren. Fragen, ob es innerhalb neue euro päische Konzept der Wildnis ohne Europas überhaupt solche Wildnisgebiete gibt und menschliche Eingriffe durchgesetzt werden kann. die Prüfung der Managementgerechtigkeit, zielen In der Geschichte gab es immer außergewöhnli- nicht auf die Einführung einer neuen Kategorie che Ideen, die Realität wurden. Diese waren oft von Schutzgebieten. Es muss aber ein Kriterien- Grundstein für die gesellschaftliche Entwicklung. rahmen festgesetzt werden, innerhalb dessen die Die Wildnisinitiative kann zu einem Meilenstein Wildniszonen bestimmt werden können. Wenn in der Naturschutzbewegung, -politik und -arbeit wir das europäische Verständnis der Wildnis mit werden und das Fortbestehen unserer Erde für den IUCN-Managementkategorien verbinden, künftige Generationen sichern. stellen wir fest, dass die Wildnis ein Naturgebiet in der Regel ohne menschliche Eingriffe ist, wo die Mag. Martin Šolar Managementziele der IUCN-Kategorien Ib und II Nationalpark Triglav, Slowenien zusammenstoßen.
40 Jahre Nationalparks Schon 1911 stellte die zuständige Naturschutzstelle fest, dass es „Pflicht und Notwendigkeit sei, ein in Deutschland – großes Naturschutzreservat im Bayerischen Wald zu errichten“. 1935 berichtet die Regierung von Niederbayern Stand und Perspektiven der Reichsstelle für Naturschutz, Herrn Professor Lutz Heck in Berlin, von einer ersten Grenz vorstellung des Nationalparks im Böhmerwald, die 1937 durch einen endgültigen Kartenentwurf ergänzt wurde und gut 100 000 Hektar Fläche Die Geschichte der deutschen Nationalparks ist umfasste. 1939 erläuterte das Reichsforstamt den Land insgesamt eine Erfolgsgeschichte im Naturschutz, räten, Kreisjägermeistern, Forstmeistern, Natur- schutzbeauftragten und Bürgermeistern die Idee wenngleich mit vielen gesellschaftspolitischen des Nationalparks und trat nachdrücklich den auf- getauchten Befürchtungen entgegen, der National- Hürden und Stolpersteinen sowie zahlreichen park könne eine Beeinträchtigung des Gebiets bewirken. 16 Kompromissen behaftet. Professor Lutz Heck bezeichnete die Idee des Nationalparks als die Krönung des Naturschutzge- dankens; diese große Planung des Naturschutzes sei gegenüber der Gefahr für die Natur seitens der Insbesondere die Vorstellung des ungestörten Ab- Technik notwendig. Es herrschte bei allen Teil laufs der Naturvorgänge, also der Prozessschutz, nehmern Einigkeit, dass die Erklärung zum Natio- das „Natur Natur sein lassen“ war – und ist – dem nalpark auch eine Hebung des Fremdenverkehrs deutschen Wesen zutiefst zuwider. zur Folge haben würde. Dennoch schwappte die Idee des Nationalparks Am 23. Februar 1942 erklärt der Reichsforst- nach der Ausweisung des Yellowstone National- meister: „Wenn auch die Errichtung von National- parks 1872 und mit der üblichen atlantischen Ver- parks unter den heutigen Verhältnissen zunächst zögerung von einer Generation im Jahr 1909 nach zurückgestellt werden muss, bitte ich doch die Vor- Europa, als in Schweden das erste Nationalpark arbeiten weiterzuführen, damit nach Kriegsende gesetz erlassen und neue Nationalparks geschaffen die Errichtung des Nationalparks ohne weitere wurden. Seither tobten auch in Deutschland jahr- Verzögerung erfolgen kann.“ zehntelange Auseinandersetzungen über das Für 1950 schlägt die Regierungsnaturschutzstelle und Wider von Nationalparks. die Wiederaufnahme des Verfahrens vor und Ich beschränke mich hier überwiegend auf die schreibt: „Damals, 1939, einigte man sich auf den Geschichte der beiden bayerischen Nationalparks, Namen ‚Nationalpark Böhmerwald‘. Der Ausdruck welche die ersten in Deutschland waren und deren Nationalpark ist heute vielleicht nicht opportun, Werdegänge ich zeitweise „hautnah“ in verschiede- obwohl doch eine Reihe von Ländern solche Nati- nen fachlichen oder verbandlichen Positionen mit- onalparks geschaffen haben; wir würden uns also erlebt habe. in guter Gesellschaft befinden.“ Dennoch dauert es wieder ein Jahrzehnt, bis die Nationalparkpläne in Bayern erneut aufgegriffen wurden. In den 60er Jahren des vergangenen Jahrhun- derts gab es einen heftigen Streit zwischen Natur- schützern und der Tourismusindustrie über die zu- künftige Nutzung des Rachel-Lusengebiets im Bayerischen Wald. Neue Skiabfahrten und Lifte sollten der bis dahin unberührten Waldregion mehr Gäste und sichere Einnahmen bescheren. Ich war zu jener Zeit ehrenamtlicher Naturschutz- beauftragter der Regierung von Niederbayern in Landshut und musste mir wegen meines klaren Neins zu den Wintersportplänen vom damaligen Regierungspräsidenten Johann Riederer sagen lassen : „Wenn Sie dort oben am Rachel und Lusen keinen Skizirkus wollen, dann müssen Sie mir etwas anderes offerieren, was im Jahr 200 000 Tou- risten bringt.“ Das Gegenangebot war die Schaffung eines Nationalparks, jene uralte Idee, die schon in den Anfang des 20. Jahrhunderts zurückreicht. Heute ist wissenschaftlich belegt, dass der Nationalpark nicht nur ein Naturschutzereignis ist, sondern dass
er sich auch für die Menschen und für den Touris- munen, andererseits durch Umweltverbände unter mus rechnet. Federführung des Bundes Naturschutz in Bayern 1965 kam es zu dem inzwischen legendären angeführt wurde und die fachliche Grundlage im „Gipfeltreffen“ tschechischer, österreichischer sogenannten Haber-Gutachten fand. und deutscher Naturschützer auf dem Dreisessel – Entscheidend für den Durchbruch der Natio- die bis heute laufende Diskussion um einen gro- nalparkidee war, das ist unbestritten, der Weitblick ßen Wald-Nationalpark im Herzen Europas hatte des 1970 neu ins Amt gekommenen Landwirt- begonnen. schaftsministers Dr. Hans Eisenmann. Er hielt Auf einer Reise durch Ostafrika setzte ich mich über seinen Waldnationalpark bis zum Tode die wenig später mit Professor Bernhard Grzimek in- schützende Hand und verfügte sogar so unpopulä- tensiv über eine Passage seines Buches „Wildes re Naturschutzmaßnahmen wie das Liegenlassen Tier, weißer Mann“ auseinander. Er bezweifelt von großflächigen Windwürfen, damit sich die darin, dass es in Mitteleuropa möglich sei, einen Natur „zurückentwickeln“ kann. echten Nationalpark zu schaffen. Im Frühjahr Die erfolgreichen Anstrengungen wurden 1991 1966 durchstreiften wir gemeinsam den inneren noch durch die Schaffung des tschechischen Pen- Bayerischen Wald – und der große, international dants, des Nationalparks Šumava im Böhmerwald erfahrene Nationalparkexperte revidierte seine gekrönt. Und schließlich gelang es im Jahr 1997, skeptische Haltung. Das für unsere Pläne am bes- den Nationalpark im Bayerischen Wald auf die ten geeignete Gebiet, so fanden wir, schien um den doppelte Fläche von nunmehr 23 000 Hektar zu 17 Falkenstein herum gegeben zu sein. Schließlich in- erweitern. formierten wir den bayerischen Minister Dass die Entscheidung für den ersten deut- präsidenten Alfons Goppel über das Vorhaben, schen Nationalpark richtig war, ist heute unstrittig. und eine lange, lebhafte politische Debatte war er- Bundespräsident Roman Herzog drückte dies am öffnet. Nach vier weiteren Jahren kam es 1970 7. Oktober 1995 beim 25. Jubiläum des National- zur Gründung des Nationalparks Bayerischer parks knapp und präzise aus, als er sagte : „Wir Wald, des ersten Schutzgebiets dieses Rangs in müssen wieder lernen, dass man die Natur nicht Deutschland. nur nutzen, nicht nur ausnutzen kann, sondern Die Errichtung und weitere Ausgestaltung des dass man die Natur auch einfach liegen lassen Nationalparks wurde letztlich durch eine Bürger- kann, entgegen allen vermeintlichen Erkenntnissen Müritz-Nationalpark – bewegung durchgesetzt, die einerseits von den am der deutschen Forstwirtschaft.“ der Mühlensee Tourismus interessierten Landkreisen und Kom-
Die Nationalparkidee wächst weiter Die Entstehung des weltberühmten Naturschutz- gebiets am Königssee bei Berchtesgaden ist eng verbunden mit der Geschichte des Bundes Natur- schutz in Bayern. Als im Herbst 1916 ein Projekt auftauchte, in eine der schönsten Steilwände des malerischen Sees zur Kriegserinnerung einen riesigen assyri- schen Löwen einzumeißeln, trat der damalige erste Vorsitzende des Bundes Naturschutz, Universitäts professor Dr. Karl Freiherr von Tubeuf, an die Öffentlichkeit. In seiner viel beachteten Denk- schrift von 1921 überzeugte er Politik, Staat und Gesellschaft, von diesem unsinnigen Vorhaben ab- zulassen. Stattdessen legte er einen wissenschaft- lich fundierten Plan für ein Naturschutzgebiet am 18 Königssee vor. Tubeuf begründete die Vision eines Naturschutzgebietes um den Königssee, den heuti- gen Alpennationalpark Berchtesgaden, so : „Dieses einzigartige Gebiet soll vor dem Menschen ge- schützt werden für den Menschen, nicht nur den heutigen, sondern auch den künftigen, es soll erhal- ten bleiben in seiner Ursprünglichkeit und Kraft, in seiner Unberührtheit und majestätischen Zugegeben, als studierter Forstmann habe ich Schönheit auch für spätere Geschlechter.“ Verständnis für die Identitätskrise manches Kol- Damals hat der Bund Naturschutz erreicht, legen, wenn er erkennen muss, dass der Wald dass aus dem schon seit 1910 bestehenden Pflan- auch ohne uns – und oftmals sogar viel besser zenschonbezirk mit 8 000 Hektar Fläche ein voll- und natürlicher – wächst und dass der liebe Gott wertiges Naturschutzgebiet wurde, die Keimzelle seine Schöpfung auch ohne uns Forstleute für den Nationalpark. Tubeuf vermerkte seinerzeit, fortentwickeln lässt. dass die preußische Staatsstelle für Naturschutz in Berlin freudig auf diese Aktivitäten reagiert habe – in der Hoffnung, dass dort ein Reservat und ein deutscher Naturschutzpark entstehe. Der große Wald im Herzen Europas, der 1953 erregte eine zweite Denkschrift Aufsehen : Der erste Präsident des Deutschen Naturschutz- herzynische Wald der Römer, war von Natur rings, Dr. Hans Krieg, forderte darin die Schaffung eines Alpennationalparks um den Königssee mit aus ein in sich geschlossener Lebensraum. dem Ziel, „dass recht viele an seiner Schönheit teil- haben, Einheimische und Fremde, und dass jeder, der hinkommt, sich als verantwortlicher Treuhän- Der demokratische Aufbruch in Osteuropa, die der dieser großartigen Natur fühlt“. Wieder einmal Beseitigung des Grenzzauns zwischen Bayern, der bedurfte es des langen Atems, der Naturschützer Tschechischen Republik und Österreich ließen den auszeichnet, bis diese Idee aus ihrer Keimruhe er- großen Wald in der Mitte Europas nach der langen weckt wurde: 1971 entfachten Wolfgang Engelhardt Teilung durch den Eisernen Vorhang wieder zur vom Deutschen Naturschutzring, Alfred Toepfer Einheit werden. vom Verein Naturparks, Graf Lennart Bernadotte Jetzt ist die Zeit gekommen, um die Vision des vom Deutschen Rat für Landespflege und der Vor- grenzüberschreitenden Nationalparks, wie sie sitzende des Bundes Naturschutz aufs Neue die bereits im Prager Frühling entwickelt wurde, als Diskussion, einen bayerischen Alpennationalpark naturschützende und völkerverbindende Idee zu einzurichten. So beauftragte man den Bund Natur- verwirklichen. Denn es steht nicht weniger auf dem schutz mit der Erstellung eines Gutachtens zum Spiel als die letzte Chance, das größte zusammen Alpennationalpark im Berchtesgadener Land, das hängende Waldgebiet in Mitteleuropa und damit durch eine Expertise der Gruppe Ökologie um ein Stück abendländischer Kultur der Nachwelt zu Konrad Lorenz ergänzt wurde. Beides lieferte die erhalten. Grundlage dafür, dass nach einigen weiteren Jahren Hier schlägt das grüne Herz Europas, hier ent- parlamentarischen Tauziehens im Jahre 1978 die springen Quellen der abendländischen Kultur, die Verordnung über den Alpennationalpark Berchtes- auch eine Waldkultur ist. gaden in Kraft treten konnte.
19 Nationalpark Harz – Weitere Nationalparks und Wildnisgebiete folgen in Deutschland Sonnenaufgang am Hirtensteig Die beiden bayerischen Nationalparks waren Namen wie Jasmund, Harz, Sächsische Schrittmacher für die Nationalparkidee in ganz Schweiz, Müritz, Unteres Odertal, Boddenland Deutschland. Danach folgten in Schleswig- schaft, Hainich haben das deutsche Heimatgefühl Holstein, Niedersachsen und Hamburg die Wat- erweitert und stehen für eine Großtat des Natur- tenmeer-Nationalparks und der Harz. Aber erst schutzes und die schönste Morgengabe der mit der Wende erlebte sie ihren Durchbruch. Wiedervereinigung. Mit Eifel und Kellerwald sind Schrittmacher war Michael Succow mit seinen bis heute vom Wattenmeer bis zu den Alpen Mitstreitern, die in der Stunde der politischen 14 Nationalparks ausgewiesen. Wendezeit in einem genialen Wurf diese Entschei- Noch fehlt ein Kleinod in dieser Perlenkette, dungen durchgesetzt haben. Die handstreichartige nämlich der Buchen-Nationalpark im Steigerwald, Herbeiführung des Ministerratsbeschlusses durch ein Jubiläumswunsch der deutschen Naturschüt- Michael Succow in der letzten Sitzung des DDR- zer, und im Sinne der deutsch / französischen Kabinetts 1990 ist ein Markstein in der deutschen Freundschaft ein bilateraler Nationalpark im Naturschutzgeschichte. Pfälzerwald. Darüber hinaus stehen ein paar weitere Gebiete für potentielle Nationalparks in Deutschland auf der Wunschliste der Fachleute. Aber man sollte sich auf wenige Vorbildland schaften beschränken, mehr als 20 Nationalparks
sollten es am Ende in Deutschland nicht sein. Durch geschickte Besucherlenkung ist das Und vor allem muss die Qualität und der Selten- Nebeneinander von Mensch und Natur ohne gro- heitswert gewährleistet sein: Wo Nationalpark ße Reibungsverluste möglich. Je weiter sich die drauf steht, muss Nationalpark drin sein. Und die Menschen von der Natur entfernen, desto mehr Größe sollte stimmen, nämlich wenigstens 10 000 wächst gleichzeitig ihre „Sehnsucht nach Wildnis“ Hektar sollte ein künftiger Nationalpark an Fläche und damit auch die Chance für den Tourismus, umfassen. neue Bereiche zu erschließen. Voraussetzung dafür Hinzu kommt noch ein „Nationales Naturerbe“ ist allerdings, dass die Vorgaben des Naturschutzes im Umfang von etwa 125 000 Hektar, wie es die im Sinne der internationalen Richtlinien ehrlich Koalitionsvereinbarung von 2005 vorsieht. Die aus Beachtung finden, damit der Nationalparkbegriff den Liegenschaften ehemaliger Truppenübungs- nicht zum Etikettenschwindel wird. Gerade im plätze stammenden Flächen werden zum großen Hinblick auf die Glaubwürdigkeit des Naturschut- Teil von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt zes ist dies von grundsätzlicher Bedeutung. (DBU), von Umweltverbänden und Stiftungen übernommen. Gibt es eine beglückendere Konver- sion als die Schaffung von Wildnisgebieten aus früheren militärischen Flächen? Längst ist auch unstrittig, dass sich der Naturschutz auf diese Weise sehr gut mit einem 20 sanften Tourismus vereinbaren lässt. Ökologie, Ökonomie und Soziales verbinden sich hier in op- timaler Weise : Einerseits werden großräumige Naturlandschaften erhalten, andererseits Arbeits- plätze geschaffen und Einkommen im Tourismus ermöglicht. Nationalpark Bayerischer Wald – hier bleibt die Natur sich selbst überlassen
Licht- und Schattenseiten im Nationalpark Vor diesem Hintergrund und im Hinblick auf den „Genius loci“ ist es angebracht, bei diesem Jubiläum auch eine Beurteilung unseres „Lieblingskindes“ Nationalpark Bayerischer Wald zu versuchen. Wir Alten, die vor 40 Jahren die Schaffung des Nationalparks betrieben haben, sahen es als die größte Aufgabe an, die Flächen zu sichern – deren Ausgestaltung sollten die folgenden Generationen übernehmen. Das hat im Altpark bestens funktio- niert und die Formel „Natur Natur sein lassen“ von Hans Bibelriether hat Geschichte geschrieben. Sie Wildnis hat ja offensichtlich über alle Schranken hat sich auch dann bewährt, als Waldsterben und hinweg Konjunktur. Sie ist ein Marktfaktor ge Borkenkäfer den Fichtenwald aus den Hochlagen 21 worden. Naturromantik, Outdoor-Drang und das verdrängt haben und als eine wundervolle viel Waldwesen sind in unser neuzeitliches Vokabular fältige Waldnatur nachkam, und zwar viel schneller zurückgekehrt. Der Wald ist wieder als mystischer als wir allesamt dachten. Wer sich einmal vom der- Ort im Gespräch, und es hat den Anschein, dass zeitigen Leiter des Nationalparks, Karl Friedrich sich mancher Internet-Surfer sehr gerne in die grü- Sinner, durch diese Fülle von Biodiversität führen nen Labyrinthe der Wirklichkeit und in die Tiefen und begeistern lässt, wird die Dynamik und Stärke der Seele zurücksehnt. des neuen Waldes spüren. Das ist zwar nicht mehr Lange hat es gedauert, bis die Wildnis-Debatte der „Hochwald“ des Adalbert Stifter, aber das neue die atlantische Verzögerung, den Sprung über den und ewig wandelnde Waldwesen ist nicht weniger Ozean, geschafft hat. Denn dort ist die Diskussion geheimnisvoll. schon vor über einem halben Jahrhundert gelaufen. Aldo Leopold (1887 – 1948) hat diese Philosophie auf den noch immer gültigen Nenner gebracht : „Wildnis ist eine Absage an die Arroganz des Anstatt herkömmlicher Forstwirtschaft braucht es Menschen.“ In diesem Sinne plädiere ich für mehr Mut zur Wildnis. Lassen wir ein paar Wäldern in solchen Vorranggebieten eine neue Gesinnung. und Fluren ihre Freiheit, haben wir den Mut zum Nichtstun und bringen wir als Forstleute oder Landschaftsplaner die Kraft zur Einsicht auf, dass Es braucht die Achtung vor dem Waldwesen, es uns die Natur überhaupt nicht braucht. Zumin- braucht keine Pläne, keine Wissenschaftler, auch dest nicht in unseren Nationalparks. keine Naturschützer. Es braucht demütige Men- Und auch daran werden wir uns gewöhnen schen, die zuschauen und warten können. Natio- müssen, dass der „Hochwald“ Adalbert Stifters als nalparks sind mehr als Naturschutzgebiete, sie sind ein Stück Hochkultur deutscher Sprache zwar in die Heiligtümer unserer Heimat, sie sind Seelen- allen Bibliotheken stehen wird, aber nicht mehr am schutzgebiete, sind Erinnerungen an das Paradies, Dreisessel und über der Moldau : „(…) westlich sind die Landschaften, aus denen unsere Hoffnun- blauet Forst an Forst in angenehmer Färbung (…) gen und Träume erwachsen. Haben wir also „Ehr- Es wohnet unsäglich viel Liebes und Wehmütiges furcht vor dem Lebendigen“ (Albert Schweitzer), in diesem Anblicke“, hat Stifter geschwärmt. haben wir „Respekt vor der Schöpfung“ und vor Doch auch unsere Sehnsüchte und unsere allem mehr Mut zur Wildnis. Träume unterliegen dem Wandel der Zeiten und dem Wandel des Klimas. Keiner kann den Hoch- wald heute so beschreiben wie ihn Adalbert Stifter erlebt hat. Fragen über Fragen tun sich auf, alte Welten, liebgewordene Gewohnheiten, herkömmliches Denken stehen zur Disposition. Neue Welten, un- bekannte Perspektiven, eine offene Zukunft liegen vor uns. Wie können wir sie bewältigen, auf welche Krisen müssen wir uns noch einstellen, welche Chancen bieten die offenen Fenster der Zeit : Es wird eine spannende Zeit ! Hubert Weinzierl Deutscher Naturschutzring (DNR)
Nationale Strategien zum Erhalt der biologischen Vielfalt
Die Nationalen Natur- Schon heute sind Verluste an biologischer Vielfalt landschaften im Zeichen durch die Klimaerwärmung in den verschiedenen Lebensraumtypen vom Meer bis zum Hochgebirge zu verzeichnen. Davon sind natürlich auch die von Klimawandel und Nationalen Naturlandschaften betroffen. Deshalb liegt die spannende Frage dieser Veranstaltung weniger im historischen Rückblick auf 100 Jahre Biodiversität Nationalparks in Europa. Spannend ist aus meiner Sicht vor allem die Frage, wie es gelingen kann, jetzt die Weichen zu stellen, dass es auch in 100 Jahren diese einmaligen Landschaften mit ih- rer Vielfalt an Arten und Lebensräumen noch gibt. Als vor 100 Jahren der erste Nationalpark in Europa ausgewiesen wurde, ja selbst als der Klimaschutz und Erhalt der Bayerische Wald vor 40 Jahren als erster Biodiversität – zwei Seiten deutscher folgte, standen die Begrenzung des einer Medaille 23 Klimawandels und der Verlust der biologischen Eine Antwort auf diese Frage zu finden, bedarf nach meiner Auffassung einer grundlegenden Er- Vielfalt noch nicht auf der politischen Agenda. kenntnis: Klimaschutz und Erhalt der biologischen Vielfalt sind zwei Seiten einer Medaille. Deshalb ist es die richtige Strategie, beides als gleichrangige, wichtige Aufgaben zu verstehen, wie es die Bundes- regierung tut. Fakt ist, dass die vom Menschen verursachte Klimaerwärmung bereits heute einen eindeutigen „Fingerabdruck“ in der Natur hinterlassen hat. Um einige konkrete Beispiele zu nennen : Es mag zunächst wenig spektakulär klingen, wenn die Heute sind es die zentralen, umweltpolitischen Apfelblüte in Baden-Württemberg gegenwärtig Herausforderungen unserer Zeit. Der Schutz der mehr als zehn Tage früher als vor 50 Jahren beginnt biologischen Vielfalt erfährt bisher aber nicht die oder sich die Vegetationsperiode wichtiger Laub- gleiche mediale Aufmerksamkeit, die das Thema bäume zwischen 1950 und 2000 alle zehn Jahre um Klimawandel bereits hat. Aber Aufmerksamkeit ist 2,3 Tage verlängert hat. Es macht aber die Ver die Bedingung für politisches Handeln. Die Bot- änderung deutlich. Problematischer ist schon, schaft, die wir immer wieder verkünden müssen, dass zahlreiche bei uns überwinternde Vogelarten, heißt : Wir tragen die Verantwortung für die Be- wie Kleiber und Meise, aufgrund der häufigeren wahrung der natürlichen Lebensgrundlagen. Es milden Winter immer früher mit dem Nestbau geht ganz konkret darum, die Bedingungen für un- und dem Brüten beginnen, sodass Langstrecken- ser Überleben zu gewährleisten. zieher wie z.B. die Nachtigall oder auch der Ku- Der Klimawandel hat bei uns in Deutschland ckuck bei ihrer Rückkehr um geeignete Brutplätze heute schon ernsthafte Folgen – auch wenn wir hart konkurrieren müssen oder schlicht „zu spät“ nicht so drastisch betroffen sind und es hoffentlich kommen. auch in Zukunft nicht sein werden – wie andere Das Auftreten neuer Arten ist, neben der Ein- Regionen in der Welt, etwa die kleinen Inselstaaten schleppung durch den Menschen, auch dem Kli- im Pazifik, die flachen Küstenregionen von Bangla- mawandel geschuldet. Es klingt zwar erfreulich, desh oder die Hochgebirgsregionen des Himalaja. wenn verschiedene Libellenarten wie die Feuer Aber höhere Temperaturen, häufigere Unwetter libelle ihr Vorkommen schrittweise bis nach Nord- oder Stürme, ausbleibende oder starke Nieder- hessen und Nordrhein-Westfalen ausgedehnt ha- schläge werden auch hierzulande die Natur und ben oder der farbenfrohe Bienenfresser inzwischen das Lebensumfeld der Menschen verändern. selbst in Hamburg brütet. Der Zuwachs an Arten, die sonst nur in wärmeren Gefilden wie dem Mit- telmeerraum zu Hause sind, hat aber auch eine Kehrseite: die der Verlierer des Klimawandels. So sind alle die Arten bedroht, die es kühler mögen oder Schnee und Eis brauchen wie zum Beispiel die Ostsee-Ringelrobbe. Es ist zu erwarten, dass von den bisher vier Aufzuchtgebieten in der Ostsee mit jeweils eigenen Populationen absehbar nur ei- Springspinne nes übrig bleiben wird, wenn es nicht gelingt, die
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