Im Land SachSen-anhaL t - SACHSEN-ANHALT Landesamt für Umweltschutz
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46. Jahrgang · 2009 · Heft 2 ISSN 0940-6638 Im Land S a c h s e n - A n h a lt Naturschutz SACHSEN-ANHALT Landesamt für Umweltschutz
Abb. oben: Rot-Eichenforst in einem ehemaligen Tagebaugebiet (Goitzsche). Foto: K. Lindemann. Abb. unten: Fruchtbildung einer 7jährigen Rot-Esche im Biosphärenreservat Mittelelbe. Foto: D. Zacharias.
Abb. oben: Larve und Puppengespinst der Kastanienminiermotte. Foto: H. Bellmann. Abb. unten: Problemneozoon weidet Problemneophyten ab (Kanadagans und Nutall‘s Wasserpest). Foto: C. Riederer.
Naturschutz im Land Sachsen-Anhalt 46. Jahrgang • 2009 • Heft 2 • ISSN 0940-6638 Neobiota in Sachsen-Anhalt Inhaltsverzeichnis Seite Vorwort 2 1 Einleitung 3 2 Ökonomische Schäden durch fremdländische Arten 5 3 Vektoren für die Einschleppung fremdländischer Arten 7 4 Begriffsdefinition 'invasive Arten' 8 5 Fallbeispiele für Ursachen und Folgen der Ausbreitung von invasiven Arten in Sachsen-Anhalt 8 5.1 Wälder 8 5.2 Gärten, Landwirtschaftsflächen und deren Umfeld 22 5.3 Gewässer und Gewässerufer 28 5.3.1 Invasive Arten im Uferbereich 28 5.3.2 Invasive Arten in Gewässern 36 5.4 Stadtlandschaft 46 6 Neobiota und ihre Auswirkungen auf die Artenvielfalt in Sachsen-Anhalt 49 7 Praktische und rechtliche Aspekte im Umgang mit invasiven Arten 50 7.1 Prognose für das Einwandern weiterer Neobiota in naher Zukunft 50 7.2 Rechtlichen Grundlagen für invasive Arten 52 7.3 Möglichkeiten der Rückdrängung von invasiven Arten 54 Literatur 58 SACHSEN-ANHALT Landesamt für Umweltschutz
Vorwort Zu keiner Zeit war das Thema der Gefährdung und ein rechtzeitiges Gegensteuern kann ungewollte des Erhaltes der Biodiversität mehr in den Medien Auswirkungen verhindern. Bei unscheinbaren Ar- präsent als gegenwärtig. Mehr noch, erstmals in ten läuft dieses mehr im Verborgenen ab und wir der Geschichte der Menschheit überhaupt wird das werden unerwartet mit den neuen Herausforde- Hauptaugenmerk auf den staatenübergreifenden rungen konfrontiert. Fast immer hat der Mensch globalen Schutz unseres Planeten mit seiner Tier- an derartigen Entwicklungen Anteil. So auch bei und Pflanzenwelt gelegt. Die biologische Vielfalt dem Asiatischen Marienkäfer Harmonia axyridis, unseres Planeten ist gefährdet und nimmt wei- der plötzlich überall gegenwärtig war. Was in der terhin bedenklich ab. Das verdeutlichten auch die Folge selten wurde oder fehlte, war der heimische zahlreich initiierten Projekte und Diskussionen im Siebenpunkt-Marienkäfer. Rahmen der 9. Vertragsstaatenkonferenz zur Kon- Neben der Gefährdung heimischer Arten kann vention über die biologische Vielfalt im Mai 2008 aber auch eine Gefährdung des Menschen nicht in Bonn. Eine Gefährdung, die wir oftmals nicht ausgeschlossen werden. Als ein jüngstes Beispiel gleich in ihrem vollen Umfang erkennen. kann dabei auf die möglicherweise beginnende Deutschland beherbergt etwa 48.000 verschiedene Etablierung einer amerikanischen Schwarzen Wit- Tier- und Pflanzenarten. Kommt es da unbedingt we in Belgien verwiesen werden. Der Biss dieser auf eine Art mehr oder weniger an? Sind die Prozes- vermutlich über die Importe von Oldtimer-Autos se in der uns umgebenden Natur nicht seit jeher ei- eingeschleppten Spinne kann durchaus für Kinder ner dynamischen Entwicklung unterlegen und sind oder ältere Menschen eine ernsthafte Gefahr dar- nicht eben wenige Arten als Neubürger bei uns zu stellen. verzeichnen? Ist also die Biologische Vielfalt bei uns Panik ist absolut nicht angebracht. Jedoch soll der doch in Ordnung? Ganz so einfach, wie es vielleicht Blick für derartige Vorgänge und Entwicklungen ausschaut, ist es allerdings nicht. Der Blick zum De- geschärft werden, damit man sich des bestehen- tail macht sich daher zwingend erforderlich. den Einflusses bewusst wird. Das vorliegende Heft So wie nie zuvor nimmt der Mensch dank der stark der Reihe „Naturschutz im Land Sachsen-Anhalt“ gestiegenen Mobilität eine Initiatorrolle bei der soll deshalb auf einige als Neobiota geltende Arten Unterstützung der globalen Verbreitung von Tie- und deren teils invasive Auswirkungen hinweisen. ren und Pflanzen ein. Arten, die naturgemäß vor Es soll fachliche Kenntnisse und Hintergründe ver- unüberwindbare Barrieren standen, werden plötz- mitteln, wie die teils rasant ablaufende Ausbrei- lich völlig neue Wege der Verbreitung eröffnet. Fin- tung vielleicht zu bremsen oder gar zu stoppen ist. den sie geeignete Umweltbedingungen vor, sind Dabei lassen sich weder Patentrezepte anbieten, der weiteren Ausbreitung keine Grenzen gesetzt. noch ist ein Erfolg gewiss. Immer aber lassen sich Das evolutionsbiologische Zusammenspiel zwi- Anhaltspunkte finden, wie man mit den eigenen schen den Arten kann nachhaltig gestört werden, vorhandenen Mitteln und Möglichkeiten wirksa- da in aller Regel das vorhandene Ökosystem nicht me Maßnahmen zur Vermeidung weiterer Beein- an derartige Neubürger angepasst ist. Mitunter trächtigungen der Biodiversität und der Ökosyste- kommt es wegen fehlender Konkurrenz oder einer me ergreifen kann. erfolgreichen Überlebensstrategie zu massenhaf- ten Vermehrungen, die ungeahnte Folgen für hei- mische Arten haben. Klaus Rehda Bei größeren und auffälligen Arten ist der Prozess Präsident des Landesamtes für Umweltschutz der Etablierung neuer Arten leicht erkennbar und Sachsen-Anhalt 2
Naturschutz im Land Sachsen-Anhalt 46. Jahrgang • 2009 • Heft 2: 3-63 Neobiota in Sachsen-Anhalt Erik Arndt 1 Einleitung leben, an dem sie gepflanzt oder ausgebracht wurden. Ein Teil der Neobiota hat jedoch die Zäu- Bisamratte, Waschbär, Regenbogenforelle, Zwerg- ne von Gärten oder Pelztierfarmen überwunden, wels, Kartoffelkäfer, Dreikantmuschel, Robinie, wurde gedankenlos von Bürgern ausgesetzt oder Götterbaum, Lupine, Herkulesstaude… die Auf- ist unbemerkt mit Schiff und Flugzeug eingetrof- zählung ließe sich beliebig fortsetzen. All diese fen. Wir können davon ausgehen, dass sich in Arten verbindet der Umstand, dass sie in Sachsen- Deutschland etwa 300 Neophyten-Arten und 400 Anhalt zwar weit verbreitet, aber nicht 'heimisch' Neozoen-Arten eigenständig ausbreiten (Geiter sind. Sie werden als Neobiota bezeichnet, worun- et al. 2002, Kowarik 2003). Genaue Schätzungen ter wir Arten verstehen, die nach der Entdeckung sind schwierig, da einerseits jährlich zahlreiche Amerikas (1492) durch direkte oder indirekte Un- neue Neobiota hinzukommen, sich andererseits terstützung des Menschen aus anderen Regionen die meisten Arten aber nicht unmittelbar weiter nach Deutschland gekommen sind. Der festgeleg- ausbreiten. Mitunter dauert es viele Jahrzehnte, te Stichtag grenzt einerseits die Neobiota von den bis der angestammte Platz im Garten verlassen Archaeobiota, d.h. von Arten, die in historischer wird und die Arten plötzlich ihr Areal sehr schnell Zeit durch den Menschen eingeschleppt wurden, ausdehnen. Ein solches Beispiel sind die Spring- ab. Zu den Archaeobiota gehören in Mitteleu- kräuter (Gattung Impatiens). Das Kleinblütige ropa beispielsweise zahlreiche Ackerunkräuter, Springkraut (Impatiens parviflora) wurde 1837 Schaben, Brotkäfer und andere Vorratsschädlin- aus Asien in die Botanischen Gärten von Genf ge, Jagdfasan, Damhirsch, Hausmaus, Hausratte und Dresden gebracht, wurde schnell als Garten- und Wanderratte. Andererseits markiert das Jahr pflanze in ganz Europa bekannt und etablierte 1492 auch den Beginn des intensiven Seehandels, sich über einen Zeitraum von etwa 100 Jahren auf dynamischer Wirtschaftsentwicklung und der ruderalen Plätzen im städtischen Bereich auch damit verbundenen dramatischen Zunahme ein- außerhalb von Gärten. Mitte des 20. Jahrhunderts geführter Pflanzen und Tiere aus Übersee. jedoch wanderte es plötzlich in Wälder ein und besiedelt dort heute in großem Maße auch na- Der Fachbegriff Neobiota umfasst eingeführ- turnahe Laubwaldstandorte (Schmitz 1998/99, te Pflanzen (Neophyten), Tiere (Neozoen), Pilze Trepl 1984). Mit einer ähnlichen Besiedlungs- (Neomyceten), aber auch Mikroorganismen. Letz- historie war das Drüsige Springkraut (Impatiens tere sind zumeist Krankheitserreger und verdeut- glandulifera) in Europa mehr als 30 Jahre auf Gär- lichen schnell ein Problem - viele Neobiota sind ten beschränkt, ehe es erstmalig in freier Wild- unbeabsichtigt nach Mitteleuropa gekommen bahn registriert wurde. Über 50 Jahre nach sei- und können erhebliche Schäden anrichten. ner Einführung in Europa wurde es erstmals als Zahlreiche Neophyten sind zur Verschönerung „Unkraut“ wahrgenommen. Es infiltrierte natür- des menschlichen Lebensumfeldes importiert liche Ökosysteme, breitete sich sehr schnell aus worden. Viele heute im Gartenbau verwendete und verdrängte dabei heimische Pflanzenarten Pflanzen gehören dazu. Andere, wie Tomate und (Hartmann et al. 1995, Arndt et al. 2008). Kartoffel, dienen der Ernährung. Diese Beispiele Eine solche 'Verzögerungsphase' zwischen An- betreffen Arten, die ausschließlich an dem Ort pflanzung oder Aussetzen von fremdländischen 3
40 35 Bäume Sträucher 30 Anteil der Gehölzarten (%) 25 20 15 10 5 0 -50 -100 -150 -200 -250 -300 -350 -351 Jahre Abb. 1: Der Götterbaum benötigte von seiner Ein- Abb. 2: Zeitraum zwischen Einführung und ei- führung bis zur seiner eigenständigen Ausbrei- genständiger Ausbreitung von 118 Strauch- und tung im östlichen Teil Deutschlands mehr als 120 66 Baumarten (nach Kowarik 1995). Die meisten Jahre. Heute ist er aus dem Stadtbild nicht mehr Gehölze benötigten time-lag-Phasen von 80-220 wegzudenken. Jahren, um sich eigenständig im Freiland anzu- Foto: E. Arndt. siedeln. Arten und deren explosive Ausbreitung wird als den. Williamson (1993) ermittelte, dass in der time-lag bezeichnet (Abb. 1, 2) und kann auf un- Neuzeit 12.507 Blütenpflanzenarten nach Großbri- terschiedlichste Ursachen zurückgeführt wer- tannien eingeführt wurden, von denen sich 13,1% den. Sehr wahrscheinlich müssen sich die Arten gelegentlich ansiedelten. 12,8% dieser gelegent- zunächst genetisch an die mitteleuropäischen lich angesiedelten Pflanzenarten etablierten sich Verhältnisse anpassen. Dieser Prozess benötigt schließlich dauerhaft, 18,6% der dauerhaft eta- Jahre bis Jahrzehnte und wird insbesondere bei blierten erwiesen sich als Problempflanzen und Pflanzen beobachtet. Weitere Aspekte sind die unter den Problempflanzen rufen etwa 7% ökono- Beseitigung von Verbreitungsschranken (z.B. misch oder ökologisch schwere Schäden hervor. durch Kanalbau oder Zunahme des Straßenbaus Diese Abstufung um jeweils rund 10% nennt man und -verkehrs Mitte des letzten Jahrhunderts), die „Zehnerregel“. Diese Regel gilt auch für Wirbel- Veränderung der Bewirtschaftung von Wiesen, tiere und Insekten und ist, soweit man überblickt, Feldern oder Forsten und nicht zuletzt der Kli- über Großbritannien hinaus gültig (di Castri mawandel. Eine Vielzahl unserer Neobiota-Arten 1989, Williamson 1996). Anders ausgedrückt, nur kommt aus südlichen Ländern, ihre Ansiedlung 0,1% aller Arten, die zu uns kommen, werden pro- in Naturräumen außerhalb der Großstädte wäre blematisch. Viele weit verbreitete Arten, wie das ohne die bereits messbare Temperaturerhöhung Mondbechermoos (Lunularia cruciata), die Kugel- kaum möglich gewesen. In jedem Fall macht die distel- (Echinops sp.) und Nachtkerzen-Arten (Oe- Beobachtung langer time-lag-Phasen in der Ver- nothera sp.), das Mauer-Zimbelkraut (Cymbalaria gangenheit deutlich, dass die Ausbreitungsfä- muralis, Abb. 3), die Kartäuserschnecke (Monacha higkeit und die ökologische sowie ökonomische cartusiana), Platanennetzwanze (Corythucha cili- Bedeutung unserer „bisher harmlosen“ Neobiota ata, Abb. 4), Zitterspinne (Pholcus phalangioides) leicht unterschätzt werden kann. oder die in Großstädten lebenden Sittiche, können derzeit nicht als ökologisches oder ökonomisches Nicht alle Neobiota sind jedoch ökologische oder Problem bezeichnet werden. Sie nutzen in unse- ökonomische Problemarten. Um dies zu verdeut- rer Umwelt bisher ungenutzte Ressourcen. Viele lichen, soll ein Zahlenbeispiel herangezogen wer- fremdländische Arten siedeln sich in städtischen 4
Abb. 3: Nicht alle Neobiota-Arten bereiten ökolo- Abb. 4: Die Platanennetzwanze wurde aus Nord- gische, naturschutzfachliche oder ökonomische amerika eingeschleppt und lebt in Deutschland Probleme. Das Mauer-Zimbelkraut ist ein Neo- auf den ebenfalls fremdländischen und überwie- phyt, der eine ‚freie Nische‘ einnimmt und keine gend im urbanen Raum angepflanzten Platanen. negativen Auswirkungen auf heimische Pflanzen Durch sie wurden bislang keine ökologischen hat. Foto: E. Arndt. Veränderungen in mitteleuropäischen Ökosyste- men verursacht. Foto: H. Bellmann. Lebensräumen an, also in einer vom Menschen 2 Ökonomische Schäden durch stark veränderten Umgebung, ohne dort Schaden fremdländische Arten zu verursachen oder heimische Arten zu gefähr- den. Aber auch in natürlichen Ökosystemen gibt Weltweit erreichen die durch eingeschleppte es ungenutzte Ressourcen, z.B. am Boden liegende Arten hervorgerufenen Kosten jährlich Größen- Blattstreu, in der fremdländische Asseln und Tau- ordnungen von Milliarden Euro (Kowarik 2003, sendfüßer mit heimischen Arten koexistieren. Pimentel et al. 2000). Diese große Summe wur- Ein kleiner Teil der einwandernden Arten entwi- de auf Basis der Analyse einiger Beispielarten ckelt sich jedoch zu einem wirtschaftlichen oder hochgerechnet. Aus Deutschland liegen bislang ökologischen und damit auch naturschutzfachli- ausgesprochen wenige stichhaltige Zahlen vor, chen Problem. die umfangreichste Darstellung ist eine Studie des Umweltbundesamts (Reinhardt et al. 2003). Schon diese wenigen Fakten verdeutlichen, dass Für das Land Sachsen-Anhalt liegen bislang keine das Thema Neobiota sehr komplex ist und aus veröffentlichten Daten vor. verschiedenen Gründen Aufmerksamkeit ver- dient. Die Zielstellung der vorliegenden Arbeit Landwirtschaft ist, die fremdländischen Arten in Sachsen-Anhalt Neobiota spielen vor allem als konkurrenzstarke näher zu beleuchten und insbesondere auf inva- Unkräuter, Getreideschädlinge (z.B. Maiswurzel- sive Arten einzugehen. Dazu sollen zunächst Rah- bohrer, Diabrotica virgifera), Kartoffelschädlinge menbedingungen wie Eintragspfade und ökono- (Kartoffelkäfer, Leptinotarsa decemlineata), Pro- mische Folgen der Ausbreitung fremdländischer blemarten im Weinanbau (Reblaus, Viteus vitifo- Arten kurz umrissen sowie der Begriff 'invasive liae) und im weiteren Sinn als Vorratsschädlinge Arten' näher erläutert werden. Den Hauptteil der (Getreideplattkäfer, Oryzaephilus surinamensis; Arbeit bilden Fallbeispiele für invasive Arten in Mehlmotte, Ephestia kuehniella) eine große Rolle. Sachsen-Anhalt, ehe abschließend gesetzliche Die Bekämpfung dieser Arten kostet in Sachsen- Regelungen und praktische Aspekte im Umgang Anhalt jährlich mindestens einen 7-stelligen Be- mit Neobiota diskutiert werden. trag. 5
Gartenbau und kommunaler Bereich Zahlreiche Neozoen treten als Schädlinge oder Krankheitsüberträger im Gartenbau auf, darunter z.B. Spinnmilben, Schildläuse und die Spanische Wegschnecke (Arion lusitanicus). Eine Vielzahl der in den letzten Jahren eingeschleppten Neozoen- Arten schädigen Park- und Straßenbäume (Abb. 5) und mindern die Vitalität von Obstbäumen. Bei nachhaltiger Schädigung müssen solche Bäume zukünftig sogar ersetzt werden. Darüber hinaus verursachen schnellwachsende neophytische Hochstauden oder Sträucher einen stärkeren Auf- wand für die Freihaltung von Verkehrswegen. Forstwirtschaft Abb. 6: Die Bisamratte lebt wie das Nutria an Ge- Die bei uns bis in die 1990er Jahre angepflanzte wässerufern; beide Arten wurden aus der ‚Neuen Spätblühende Traubenkirsche (Prunus serotina) Welt‘ ursprünglich als Pelztiere nach Europa ge- bildet in Wirtschaftsforsten dichte Strauchschich- holt. Foto: J. Dingel. ten und behindert sowohl die Naturverjüngung als auch die Bewirtschaftung der Flächen. Die dadurch entstehenden Kosten für Bekämpfungs- maßnahmen werden in Deutschland auf jährlich Wasserwirtschaft ca. 25 Mio. EUR geschätzt (Reinhardt et al. 2003). Eine große Bedeutung für die Wasserwirtschaft Auch exotische holzbewohnende Käfer sind auf besitzen Nutria (Myocastor coypus) und Bisam- dem Vormarsch und könnten in naher Zukunft in ratte (Ondatra zibeticus, Abb. 6). Die Tiere durch- Sachsen-Anhalt eine Rolle spielen. ziehen Dämme und Fließgewässerufer mit ihren Höhlungen. Reinhardt et al. (2003) schätzen die mit der Bisambekämpfung verbundenen Kosten in Deutschland auf bis zu 18,6 Mio. EUR jährlich. Erhebliche, nicht näher zu beziffernde Kosten ver- Abb. 5: Fremdländische Arten verursachen ne- ursachen auch Hochstauden, wie der Japanische ben ökologischen Problemen auch ökonomische Staudenknöterich (Fallopia japonica), die Uferbö- Schäden. Ein Beispiel ist der Asiatische Laubholz- schungen von Fließgewässern durchziehen und bockkäfer (Anoplophora glabripennis). Von ihm der Erosion aussetzen. befallene Bäume müssen vorsorglich gefällt wer- den, um die weitere Ausbreitung des Käfers zu Fischereiwirtschaft verhindern. Foto: G. Kortmann, Landwirtschafts- Fischereiwirtschaftliche Schäden sind seit etwa kammer NRW. 100 Jahren durch den Amerikanischen Flusskrebs (Orconectes limosus) infolge der Krankheitsüber- tragung auf einheimische Arten und die Chine- sische Wollhandkrabbe (Eriocheir sinensis) durch Zerstörung von Fischernetzen bekannt. Gesundheitswesen Zahlreiche Neophyten, wie Goldregen (Laburnum anagyroides), Lupine (Lupinus sp.), Herkulesstau- de (Heracleum mantegazzianum) oder auch Rho- dodendron-Arten sind giftig. Problematisch ist außerdem die starke allergene Wirkung mancher fremdländischer Arten, wie der Beifuß-Ambrosie (Ambrosia artemisiifolia, Abb. 7). Kosten entstehen 6
50 45 40 Prozentualer Anteil 35 30 25 20 15 10 5 0 el aft au aft tik rt nt nd ch nb ch ris ah an Ha i rts rte i rts qua h ifff b ek w G a w A S c un nd rst La Fo Abb. 7: Eine im Zusammenhang mit Allergiebela- Abb. 8: Eintragspfade für Neophyten und ihr An- stung häufig genannte Art ist die Beifußambro- teil an invasiven Arten in Sachsen-Anhalt. sie. Foto: G. Kortmann, Landwirtschaftskammer NRW. einerseits durch die Behandlung von allergischem spielt nicht nur die Suche nach neuen Formen Asthma, allergischer Rhinitis und Hautreizungen und Farben eine Rolle, sondern vor allem das sowie andererseits durch die direkte Bekämpfung Bestreben, wirtschaftlich nutzbare, schnellwach- der Pflanzen. Alleine die klinische Behandlung sende Gehölze zu finden, die ggf. auch auf sehr der durch die Beifußambrosie verursachten Aller- kargen Böden wie in ehemaligen Tagebaugebie- gien wird deutschlandweit auf jährlich bis zu 50 ten wachsen oder sauren Regen und Klimawan- Mio. EUR geschätzt (Reinhardt et al. 2003). del tolerieren (Abb. 8). Auch durch die Landwirtschaft wurden zahlrei- 3 Vektoren für die Einschleppung che Tier- und Pflanzenarten zu uns gebracht – fremdländischer Arten dazu zählen u.a. Grundnahrungsmittel wie Kar- toffel und Tomate, Bioenergiepflanzen, vor allem Pflanzen, Tiere und auch Mikroorganismen sind aber eine Vielzahl von Schädlingen. Viele Arten in der Lage, eigenständig große Wegstrecken zu wurden von Jägern und Pelztierzüchtern sowie überwinden und ihr Verbreitungsgebiet auszu- in den letzten 50 Jahren zunehmend von Zoo- dehnen. Für die hier betrachteten Neobiota-Arten tierhändlern und Aquarianern eingeführt bzw. fungiert jedoch der Mensch als Wegbereiter in freigelassen (Abb. 9). Darüber hinaus spielen der eine neue Welt. Krabben aus China, kleine Schne- allgemeine Reiseverkehr und die zufällige Ver- cken aus Neuseeland, Nagetiere aus Südamerika schleppung von Arten eine Rolle. Überprüfbare oder die Kanadische Goldrute wären alleine nicht Nachweise der Verschleppung fremdländischer in der Lage, geografische Barrieren wie Hochge- Arten mit Flugzeug, Eisenbahn- oder Straßenver- birge oder Ozeane zu überwinden. Sprunghaft kehr liegen aus dem Bundesland Sachsen-Anhalt zunehmender Handel und zunehmende Fernrei- nicht vor, aber einige Neophyten wachsen bevor- setätigkeit seit der Entdeckung Amerikas sind zugt auf Bahnhöfen und entlang von Schienen- die Hauptgründe für die beabsichtigte oder un- trassen und Autobahnen, was Rückschlüsse auf beabsichtigte Einfuhr von 'exotischen' Arten aus die Ausbreitungsart zulässt. Für die Ausbreitung aller Welt zu uns (und umgekehrt!). Die Lust auf von fremdländischen Wasserbewohnern spielt Exoten spielt seit jeher im Gartenbau eine gro- die Schifffahrt eine herausragende Bedeutung. Im ße Rolle. Ähnlich verhält es sich mit dekorativen Ballastwasser, Wasser von Ansaugpumpen oder Park- und Straßenbäumen. In der Forstwirtschaft an Bootsrümpfe geheftet, haben sich zahlreiche 7
35 Im folgenden Text bezieht sich der Begriff 'inva- 30 siv' auf die Definition im „Gesetz zur Neuregelung des Naturschutzes und der Landschaftspflege“ Prozentualer Anteil vom 29. Juli 2009 (vgl. Tab. 1, BNatSchG). Für die 25 im Anschluss ausführlich vorgestellten Arten 20 15 treffen jedoch grundsätzlich alle gängigen Auf- 10 fassungen des Begriffs zu. 5 0 Die ökologischen Folgen invasiver Arten sollen el aft au ng ng cht gd tik rei hrt nnt in dieser Publikation an zahlreichen Einzelbei- nd ch nb fu ltu Ja aris che fffa ka spielen dargestellt werden. Sie lassen sich unter u Ha irts rte mp rha ierz u s i e w a G e ot k ä i e l z t Aq Fi Sch unb L a nd g s b o Z Pe folgenden Aspekten zusammenfassen: in dl c hä • Beeinflussung der heimischen Artengemein- S schaften durch effizientere Ressourcennutzung Abb. 9: Eintragspfade für Neozoen und ihr Anteil (z.B. Stickstoffumsatz, Lichtausbeute, Bruthabi- an invasiven Arten in Sachsen-Anhalt. tate usw.), • Beeinflussung der heimischen Artengemein- schaften durch Strukturveränderungen in Öko- systemen (Veränderung der Bodenstruktur, problematische Gewässerbewohner entlang der Bodenerosion, Veränderung der Vegetations- Elbe, der Saale und der unteren Mulde bis hinein strukturen), in stehende Gewässer mittels Überlandtranspor- • Auswirkungen auf heimische Arten durch di- ten von Booten verbreitet. rekte Konkurrenz, • Auftreten als Parasiten oder Krankheitserreger heimischer Arten, 4 Begriffsdefinition 'invasive Arten' • Fraßdruck durch neozoische Carnivore oder Herbivore, Der Begriff 'invasiv' wird im Zusammenhang mit • Veränderung von Nahrungspyramide oder fremdländischen Arten in ganz unterschiedlicher Nahrungsnetzen in Ökosystemen bis hin zu Weise verwendet. Wissenschaftliche ökologische „Superdominanzen“, bei denen großflächig nur Definitionen des Begriffs 'invasiv' sind wertungs- noch eine (fremdländische) Art den Lebens- frei und implizieren die eigenständige Ausbrei- raum dominiert. tung einer Art in einem zuvor nicht besiedelten Die extremsten Folgen können dauerhaft verän- Gebiet als wichtigstes Kriterium (Williamson derte Ökosysteme oder das Aussterben heimi- 1996, Heger & Trepl 2008). Die große Mehrzahl scher Arten sein. der Wissenschaftler versteht unter 'invasiv' die eigenständige Ausbreitung nach einer anthropo- genen Verschleppung über eine vorher bestehen- 5 Fallbeispiele für Ursachen und Folgen de Ausbreitungsbarriere. Manche Autoren halten der Ausbreitung von invasiven Arten jedoch nur die Ausbreitung für relevant, also auch in Sachsen-Anhalt eine Ausdehnung des Areals ohne Mitwirkung des Menschen (siehe Davis 2009 für eine Zusam- 5.1 Wälder menfassung unterschiedlicher Auffassungen). Naturschutzrechtliche, politisch motivierte Defi- Douglasie (Pseudotsuga menziesii) nitionen zielen auf eine 'negative Wirkung' ein- Der derzeitig auftretende Klimawandel stellt die geschleppter Arten gegenüber heimischen Arten konventionelle Forstwirtschaft vor ernsthafte oder Ökosystemen ab (Tab. 1). Darüber hinaus Probleme. Beispielsweise wurden in Deutschland wird der Begriff teilweise auch für fremdländi- traditionell bevorzugt Nadelgehölze angepflanzt. sche Arten, die nur ökonomisch relevant oder ge- Im gesamten Bundesgebiet standen 1995 auf 25% sundheitsschädlich sind, verwendet. der Wald- und Forstflächen Fichten, obwohl de- 8
Tab. 1: Beispiele für Definitionen des Begriffs ‚invasive Art‘. Im internationalen Sprachgebrauch wird häufig der Begriff ‚Invasive alien species‘ (IAS) verwendet. Quelle Definition 'invasiv' Natur- Beispiele für Neobiota-Arten in schutz- Sachsen-Anhalt, die nicht in fachliche diese Definition fallen. Wertung Richard- Gebietsfremde Arten, die sich ver- nein Importierte Gartenpflanzen oder son et al. mehren und ausbreiten. in Gewässer eingesetzte Fische, die (2000); sich nicht eigenständig vermeh- Kowarik ren und ausbreiten. Dazu zählen (2003) z.B. Silberkarpfen (Hypophthal- Heger Gebietsfremde Arten, die sich in ei- nein michthys molitrix), Regenbogen- (2004) nem neuen Gebiet ausbreiten unab- forelle (Oncorhynchus mykiss) und hängig von einem als negativ zu be- Bachsaibling (Salvelinus fontina- zeichnenden Einfluss auf die heimi- lis). Diese Arten können dennoch schen Biozönosen. ökologische Schäden anrichten. IUCN 2000 „ 'Alien invasive species' means an ja Virginische Blasenspiere (Physo- alien species which becomes esta- carpus opulifolius), Borstenwurm blished in natural or semi-natural (Hypania invalida), Mittelmeer- ecosystems or habitats, is an agent of Ackerschnecke (Deroceras panor- change, and threatens native biologi- mitanum). cal diversity.“ Die Einstufung ist in der Praxis Klingen- „ Invasive gebietsfremde Arten… sind ja schwierig. Ein 'erhebliches Ge- stein et al. Tier- und Pflanzenarten, die eine Ge- fährdungspotenzial' wird häufig 2005 fahr für die Natur in ihrem neuen erst spät erkannt. Die Definiti- Siedlungsgebiet darstellen bzw. ne- on des BfN (Klingenstein et al. gative Auswirkungen auf sie haben. 2005) schließt Mikroorganismen Manche von ihnen können zudem wie Blaualgen nicht ein. ökonomische oder gesundheitliche Schäden oder Gefahren verursa- chen…“ BNatSchG „…eine Art, deren Vorkommen außer- ja 2009, siehe halb ihres natürlichen Verbreitungs- Kap. 7.2 gebiets für die dort natürlich vorkom- menden Ökosysteme, Biotope oder Arten ein erhebliches Gefährdungs- potenzial darstellt;“ ren natürliche Standorte nur einen Flächenan- hohe, immergrüne Baum wächst in Nordame- teil von 7% aufwiesen. Auch im Tiefland wurde rika von Kanada bis Mexiko und ist demzufolge und wird auf einigen Flächen Fichte angebaut, an unterschiedlichste Klimate angepasst. Mitte eine Baumart, die bei uns natürlicherweise in des 19. Jahrhunderts wurde die Douglasie nach kühlen Bergregionen oberhalb von 800 m Höhe Deutschland gebracht und zunächst als Park- vorkommt. Die Fichten im Tiefland büßten in und Gartenbaum angepflanzt. Seit 1880 gibt es in den warmen Jahren des letzten Jahrzehnts einen Deutschland forstliche Versuchsanbauten. In ihrer Teil ihrer Vitalität ein und sind deshalb anfällig Wuchsform der Fichte ähnlich, hat die Douglasie gegen den Befall von Borkenkäfern und gegen auch wirtschaftlich sehr gut verwertbare Holzei- Windbruch. genschaften und ist darüber hinaus hinsichtlich Die Douglasie (Abb. 10) schien die passende Ant- ihrer Wachstumsgeschwindigkeit allen bei uns wort auf diese Situation zu sein. Dieser bis 60 m heimischen Baumarten weit überlegen (Kowa- 9
zen ausschattet und durch veränderte Bodensub- strate an Felsen angepasste Tierarten verdängt. Douglasien wandern beispielsweise in Birken- Eichenwälder ein, worauf die Naturverjüngung der Eichen in Konkurrenz mit der Douglasie zu- rückgeht. Diesen Prozess verstärkt das Rehwild, welches die aufkommenden Douglasien viel we- niger verbeißt als junge Laubbäume (Knoerzer 1999). Auch die Krautschicht dieser Wälder verän- dert sich, da es durch den Nadelfall zur Stickstoff- anreicherung und damit zu einer Entwicklung Stickstoff liebender Pflanzen kommt. Ähnliche Prozesse spielen sich in der Fauna ab. Alle Unter- suchungen zeigen, dass wärme- und lichtbedürf- tige Spezialisten durch sogenannte Ubiquisten, also Tierarten, die praktisch überall vorkommen, ersetzt werden (Kohlert & Roth 2000, Winter 2001). Die Artenvielfalt der Insekten an Doug- lasien liegt in der Größenordnung der Fichte, in einigen Untersuchungen sogar darunter (Goss- ner & Simon 2002, Höltermann et al. 2008, Kruel & Teucher 1958). Ein Teil der an Dougla sien lebenden Insekten ist selbst aus Nordameri- ka eingewandert. Es gibt bisher keine Blattläuse in Deutschland an dieser Baumart. Dies wieder- Abb. 10: Die Zapfen der Douglasien unterscheiden um bedeutet, dass die ökologisch für Wälder sehr sich deutlich von denen aller einheimischen Ko- wichtigen Ameisen der Gattung Formica mit zu- niferen. Foto: H.-C. Speel. nehmendem Douglasienanteil zurückgehen, da sie Blattläuse 'als Haustiere' in den Bäumen hal- ten und der von ihnen an Blattläusen gewonnene Honigtau eine wichtige Nahrungsquelle darstellt. rik 2003, Abb. 11). Folgerichtig finden wir sie zu- Geringere Insektenzahlen gipfeln in geringeren nehmend auch in Wirtschaftsforsten. In Sachsen- Brutvogeldichten, da eine schlechtere Nahrungs- Anhalt entstehen überall dort Douglasienforste, grundlage für die Vögel vorliegt (Gösswald 1990, wo Unwetter wie der Wirbelsturm Kyrill im Jahr Müller & Stollenmeier 1994). 2007 große Lücken hinterlassen haben. In einigen Douglasiensamen werden durch den Wind ver- westdeutschen Bundesländern hat sie unter den breitet, der Baum kann deshalb von Forstbestän- Aufforstungen der letzten 20 Jahre bereits einen den in naturnahe Wälder einwandern. Die meis- Flächenanteil von über 10%. ten Sämlinge erscheinen in einem Umkreis von Aus ökologischem Blickwinkel muss der Anbau 100 m um den Mutterbaum. Vereinzelt wurden der Douglasie jedoch differenzierter gesehen wer- jedoch Beobachtungen von spontanen Ansied- den. Das Aufforsten von Douglasie ändert nichts lungen noch in 2 km Entfernungen gemacht (Her- an der Tatsache, dass natürliche Laubwaldstand- mann & Lavender 1990). Sie bilden im Schatten orte verloren gehen und die Forststruktur auf die- der am Standort wachsenden Bäume eine dichte sen Flächen fern von naturnahen Zuständen ist Sämlingsbank und werden bei Auflichtung der - obwohl Laubbäume angebaut werden könnten. Altgehölze eine Generation heranwachsender Das mit Douglasie verbundene Risiko für heimi- dichter gleichaltriger Bäume bilden (Abb. 12). Die- sche Wälder und Naturschutzgebiete ist bis heute ses Szenarium ist schon jetzt, obwohl nahezu alle nicht ausreichend untersucht. Es ist bekannt, dass Douglasienforste in Sachsen-Anhalt nur ein ge- die Douglasie in bisher freie Felsenstandorte ein- ringes Alter haben, beispielsweise in der Altmark wandert, dort wachsende schützenswerte Pflan- deutlich erkennbar. 10
35 30 Höhenwachstum 25 20 15 10 5 0 20 40 60 80 100 120 Alter der Bäume Douglasie Kiefer Eiche Fichte Buche Abb. 11: Höhenwachstum verschiedener Bäume im Vergleich (nach Knoerzer 1999). Rot-Esche (Fraxinus pennsylvanica) Bericht erstatten muss und es für die geschützten Die Rot-Esche (Abb. 13) stammt aus Nordameri- Lebensräume ein von der EU verordnetes 'Ver- ka und hat das größte Verbreitungsgebiet aller schlechterungsverbot' gibt. Die Hartholzauwäl- dort vorkommenden Eschen-Arten. Sie bevor- der an der Mittelelbe suchen in Ausdehnung und zugt feuchte, nährstoffreiche Ton-, Lehm- oder Ursprünglichkeit in Deutschland ihresgleichen, Kalkböden (Breucker & Zacharias 2008). Im die Zunahme fremdländischer Bäume würde das Unterschied zu der in Deutschland heimischen langsame Verschwinden eines ohnehin seltenen Gemeinen Esche (Fraxinus excelsior) erträgt die aber gleichzeitig ganz typischen Lebensraumes in Rot-Esche sowohl eine mehrmonatige Überflu- Mitteleuropa bedeuten. tung als auch eine mehrjährige Dürreperiode. Eine vollkommene Beseitigung der Rot-Esche in In Sachsen-Anhalt wurde der bis über 20 m hohe den FFH-Gebieten Sachsen-Anhalts ist nach ge- Baum auf typischen Hartholzauen-Standorten genwärtiger Kenntnis nicht möglich. In bewirt- angepflanzt. Das heißt, man findet ihn überwie- gend in der Umgebung von Flüssen im Tiefland. Im Gebiet der Elbe ist er weit verbreitet, darüber hinaus auch an der Havel, der Zerbster Nuthe und Abb. 12: Jungaufwuchs von Douglasie auf einem in der Kühnauer Heide. Im Biosphärenreservat Laubwaldstandort. Foto: H.-C. Speel. Mittelelbe tritt die Rot-Esche zwischen Mulde- und Saalemündung auf 20 % der Waldfläche mit über 10 % Bestockungsanteil auf (Reichhoff & Reichhoff 2008). Im Biosphärenreservat gibt es auch einen rasant zunehmenden Jungaufwuchs (Abb. 14, 15), die Samen werden über Wind und Wasser verbreitet. Man muss dort befürchten, dass sie in einigen natürlichen Auwäldern mehr als 30% Deckung gewinnt und diese Flächen zu- künftig nicht mehr den Anforderungen des in der Europäischen Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie geschützten Lebensraumtyp 91F0 entsprechen. Dies hätte Folgen, u.a. weil Sachsen-Anhalt re- gelmäßig über den Zustand dieser Lebensräume 11
4000 Ulmus laevis 3500 Fraxinus pennsylvanica 3000 Quercus robur Anzahl Individuen 2500 2000 1500 1000 500 0 ! 5 5-10 0-20 0-30 0-50 0-70 -100 -130 -160 -200 -300 1 2 3 5 70 100 130 160 200 Höhenklasse [cm] Abb. 14: Jungaufwuchs in einem Altbestand von Rot-Eschen an der Mittelelbe, heimische Bäume wie Flatter-Ulme, Gemeine Esche oder Stiel-Eiche haben kaum eine Chance (nach Breucker & Za- charias 2008). Abb. 13: Rot-Esche im Biosphärenreservat Mit- telelbe. Foto: D. Zacharias. schafteten Beständen kann die Art zurück ge- nach einer Verzögerungsphase (time-lag) von 114 drängt werden, in Kernzonen des Biosphärenre- Jahren invasiv (Dressel & Jäger 2002, Kowarik servats muss jedoch mit einer weiteren Ausbrei- 2003). In Sachsen-Anhalt wurde die Rot-Eiche tung gerechnet werden (Reichhoff & Reichhoff u.a. auf Tagebau-Rekultivierungsflächen auf sehr 2008). Schönbrodt & Jurgeit (2008) schlagen nährstoffarmen, kargen Flächen zu Aufforstun- deshalb vor, auch in Kernzonen gezielte Maßnah- gen verwendet. Die dort in Reinkultur stehenden men befristet durchzuführen. Bäume sehen auch nach 30 Jahren noch nicht sehr stattlich aus - auf guten Böden dagegen kann der Rot-Eiche (Quercus rubra) Baum 50 m hoch werden (Abb. 17). Er ist relativ Eine zweite, in größerem Maß angepflanzte Art stresstolerant und resistent gegenüber Industrie- ist die Rot-Eiche (Abb. 16). Sie gedeiht auf vielen emissionen. Standorten, von den Flussauen mit feuchten, Nach den Erfahrungen, die in Sachsen gewonnen lehmigen Böden bis auf trockenen Sandböden wurden, ist die Rot-Eiche in der Lage, aus Auffors- und hat damit ein ähnlich großes ökologisches tungen heraus in naturnahe Wälder einzudringen Spektrum wie die heimische Stiel-Eiche. In Nord- und wird insbesondere durch den Eichelhäher ak- amerika wächst sie in einem riesigen Verbrei- tiv verbreitet. In natürlichen Eichenwäldern übt tungsgebiet von Regionen im Norden mit -14°C sie auf die Trauben-Eiche starke Konkurrenz aus Durchschnitttemperatur im Januar bis in die sub- und kann sie verdrängen (Dressel & Jäger 2002). tropisch-montane Zone mit durchschnittlichen Das Laub von Rot-Eichen wird viel schlechter Julitemperaturen von 26°C. Die Rot-Eiche wurde umgesetzt als das unserer heimischen Arten, wo- schon 1724 nach Deutschland gebracht, aber erst durch es sich auf dem Boden ansammelt und die 12
Abb. 15: Rot-Eschenjungaufwuchs an der Mittelelbe. Foto: D. Zacharias. Ausbildung von Bodenvegetation verhindert. Es Höhlenbrütern jedoch signifikant höher lag als ist auch eine Auswirkung auf Bodentiere zu er- in benachbarten Hartholzauwaldflächen. Dies ist warten. auf das große Bruthöhlenangebot in den früh ab- sterbenden Ästen der Rot-Esche zurückzuführen. Häufig ist zu lesen, dass neophytische Bäume Es kommt also zu einer Verschiebung zugunsten kaum Lebensraum für heimische Tierarten bieten. von Star (Sturnus vulgaris), Kleiber (Sitta europa- Diese Aussage muss differenziert betrachtet wer- ea), Kohl- (Parus major) und Blaumeise (P. caer- den. Einzelbäume in Forstgebieten können zur leus), Vogelarten, die ohnehin sehr häufig sind. Strukturvielfalt beitragen und werden dann auch von holzbewohnenden Insektenarten angenom- Robinie (Robinia pseudoacacia) men (Gossner 2002, Schmidt et al. 2007). Ganz Die Robinie stammt aus den USA, wo sie als Pio- sicher ist die Vielfalt an Insekten und damit die nierbaum nach Feuer und Tornados in feuchtem Nahrungsgrundlage für Vögel in Reinbeständen Klima nahezu überall vom Flachland bis in die von Neophyten aber vergleichsweise gering. Auch montane Zone wächst, nur staunasse Standorte in den Rot-Eschen reichen Wäldern der Mittelelbe werden von ihr gemieden. Anfang des 17. Jahr- wurde beobachtet, dass Vogelarten, die eine gut hunderts kam der Baum nach Europa und wurde ausgebildete Strukturvielfalt und Strauchschicht bald auch vereinzelt in Deutschland kultiviert. benötigen (z.B. Schwanzmeise, Aegithalos cau- Um 1800 setzte hier eine regelrechte Robinien- datus; Waldlaubsänger, Phylloscopus sibilatrix; Euphorie ein. Der Baum wuchs auf den kärgsten Gelbspötter, Hippolais icterina oder Heckenbrau- Standorten und wurde zur Befestigung des Bo- nelle, Prunella modularis) fehlen, die Dichte von dens auf Kahlschlagflächen angepflanzt (Kowa- 13
Abb. 16: Die Rot-Eiche ist sofort an ihren Blatt- spitzen und ihrer gedrungenen Eichel zu erken- nen. Foto: E. Arndt. rik 2003). Zur Familie der Schmetterlingsblüten- gewächse gehörig, besitzt er Knöllchenbakterien. Diese binden Luftstickstoff und wandeln ihn in pflanzenverfügbare Nährstoffe um. Die Folge ist eine nachhaltige Veränderung physiko-chemi- scher Bodeneigenschaften, u. a. deshalb, weil das Abb. 17: Auf guten Standorten erreichen Rot-Ei- Stickstoff reiche Laub schnell umgesetzt wird, chen eine enorme Größe, man pflanzte sie deshalb Humus- und Mullauflagen bildet und damit den schon früh auch als Parkbaum. Foto: E. Arndt. Oberboden lockert (Kohler 1968). Robinien sind nicht sehr attraktiv für heimische Insekten. Meist leben auf ihnen polyphage Ar- ten, also Insekten, die sich von ganz verschiede- nen Bäumen ernähren und in aller Regel sehr bucus nigra) in die Robinienbestände. Diese Sa- häufig sind. Die Zahl phytophager Insektenarten men keimen und damit wachsen vermehrt Bäu- auf Robinien ist in Europa gering (Kennedy & me zwischen den Robinien, deren Früchte wieder Southwood 1984, Kruel 1952). Die zahlreichen andere Vögel anlocken (Kowarik 1992). stark duftenden Robinienblüten (Abb. 18) sind allerdings eine bei Honig- und Wildbienen sehr Schließlich ist das Holz der Robinie für Forstbe- beliebte Futterquelle (Barrett et al. 1990, Schütt triebe wirtschaftlich gut nutzbar (Göhre 1952). et al. 1994). Auch eine Vielzahl von Mykorrhiza- Doch bei allen Vorteilen, die dieser Baum schein- Pilzen, darunter sogar gefährdete Arten und Trüf- bar mitbringt, verursacht er auch ökologische Pro- fel, leben in Symbiose mit diesem Baum (Winter- bleme. Die Robinie vermehrt sich vegetativ und hoff 1991, Bratek et al. 1996). Außerdem brütet generativ, d.h. über Wurzelausläufer und über Sa- eine sehr hohe Zahl von Vogelarten auf Robinien, men. Sie wächst sehr schnell und fruchtet bereits mehr Arten als in benachbarten Wäldern ohne im Alter von sechs Jahren. Damit kann sie von Robinienbestand (Janssen & Klein 1992, Turcek Initialpflanzungen aus schnell in benachbarte 1961). Dies liegt zum einen am Höhlenreichtum Flächen einwandern. Dort ist sie – im Unterschied alter Robinien (Abb. 19). Zum anderen ist es ein zu den Ökosystemen ihrer Heimat in Nordameri- Rückkopplungseffekt im Ökosystem: Robinien ka – potenziellen Konkurrenten überlegen (Abb. ziehen Vögel als Brut- und Ruheplatz an. Die Vö- 20). Besonders problematisch ist jedoch ihr Ein- gel bringen mit ihrem Kot Samen von gut schme- wandern in naturschutzfachlich wertvolle, un- ckenden Früchten (z.B. Schwarzer Holunder, Sam- bewaldete und nährstoffarme Lebensräume wie 14
Abb. 18: Die Robinienblüte besitzt einen inten- Abb. 19: Altbäume haben durch ihren Höhlen- siven Duft und ist für Bienen attraktiv. Foto: E. und Totholzanteil eine gewisse Bedeutung für Arndt. Vögel und Insekten. Foto: E. Arndt. zum Beispiel Halbtrockenrasen (Abb. 21). Wind- Bodenverbesserung auf kargen Standorten bei. verbreitete Sämlinge und von den Wurzeln der Durch die Robinie werden Stickstoffverbindun- Mutterpflanze austreibende Schösslinge wachsen gen bis zum Dreifachen des Normalwertes an- so schnell, dass es im praktischen Naturschutz gereichert und auch die Phosphatverfügbarkeit schwierig und als Sisyphusarbeit erscheint, die im Boden messbar erhöht. Stickstoff und Phos- Bäume zu bekämpfen. Die oben beschriebene Fä- phat sind die wichtigsten Pflanzennährstoffe. higkeit, den Stickstoffkreislauf im Ökosystem zu Aber nicht überall ist diese 'Bodenverbesserung' kontrollieren, qualifizieren diesen Baum als 'Öko- ein Fortschritt oder gar erwünscht! Vielmehr be- systemprozessor'. So bezeichnet man Arten, die deutet das auf Magerrasen, Felsen und in kargen durch Beeinflussung grundlegender Stoffkreisläu- Wäldern eine deutliche Veränderung des Lebens- fe einen Lebensraum unter ihre Kontrolle bringen. raums. Nitrophile und nitrotolerante Arten wie Robinien werden kaum in intakte Wälder einwan- Schöllkraut (Chelidonium majus), Brennnessel (Ur- dern und heimische Baumarten gefährden, unter tica dioica), Kratzbeere (Rubus caesius), anspruchs- anderem, weil sie nicht im Schatten aufwachsen lose Gräser (Poa compressa, P. nemoralis, P. trivialis) können. Aber auf vielen 'Grenzstandorten', wie oder Schwarzer Holunder wandern im Gefolge der Sandtrockenrasen, Halbtrockenrasen, Felsfluren Robinie ein – seltene und gefährdete heimische oder nährstoffarmen Kiefern-Eichenwäldern ist Pflanzen, die an Nährstoffarmut in den genannten ihre Invasion erfolgreich. Das Stickstoff reiche Lebensräumen angepasst sind, wie der Raublatt- Laub wird von Bodenorganismen schnell umge- Schwingel (Festuca breviphila) verschwinden ganz setzt und trägt zur Nährstoffanreicherung und (Kowarik 2003). 15
100 90 80 Robinia 70 Deckung Gehölze in % 60 50 andere Pionierbäume 40 30 20 10 potenzielle Konkurrenten 0 -3 3- 5 5- 7 7- 9 11 13 -1 5 -1 7 -1 9 -2 1 -2 3 0,9 9- 11 - 13 15 17 19 21 Höhenklassen (m) Abb. 20: Anteil von Robinie, anderen Pionierbäumen und potenziellen Konkurrenten auf städtischen Ruderalflächen (z.B. Schuttbergen). Die Höhenklassen zeigen verschiedene Sukzessionsstadien, d.h. der Gehölzbestand wird nach wenigen Jahrzehnten durch die Robinie dominiert (aus Kowarik 1990). Ulmenwelkepilz (Ophiostoma ulmi) auentypischer Baumarten mehr, sondern Baum Noch bis in das 19. Jahrhundert säumten ausge- arten trockenerer Wälder setzen sich durch. Mit dehnte Auwälder die Tieflandflüsse Mitteleuro- der Aufforstung standortfremder oder fremdlän- pas. Holzgewinnung, Umwandlung von Auenbe- discher Gehölze wie Berg-Ahorn (Acer pseudopla- reichen in landwirtschaftlich genutzte Flächen, tanus), Eschen-Ahorn (A. negundo), Rot-Eiche oder Kiesabbau sowie andere bergbauliche Tätigkei- Rot-Esche wurde diese Entwicklung noch ver- ten und nicht zuletzt die ständige Ausdehnung stärkt. Die genannten Baumarten breiten sich in von Siedlungsräumen haben die Auwaldflächen Auen effizient aus, der charakteristische Ulmen- auf einen Bruchteil ihrer ursprünglichen Ausdeh- Eichen-Eschen-Auwald geht sukzessive verloren. nung schrumpfen lassen. Heute liegen die letzten In dieses Wirkungsgefüge greift seit 100 Jahren Auwälder isoliert an verschiedenen Flusssyste- zusätzlich ein invasiver Mikroorganismus ein, der men und stehen durch die Fauna-Flora-Habitat- im 20. Jahrhundert in Europa und Nordamerika Richtlinie unter europaweitem Schutz. Sachsen- zwei Pandemien in Ulmenwäldern ausgelöst und Anhalt gehört zu den Regionen, in denen größere einen Charakterbaum der Auwälder zum Schat- Auwaldgebiete in nahezu ursprünglichem Zu- tendasein verurteilt hat. Es handelt sich um einen stand erhalten geblieben sind. Aus diesem Grund mikroskopisch kleinen Schlauchpilz (Ophiostoma besitzt beispielsweise das Biosphärenreservat ulmi), der insbesondere bei der Feld-Ulme die „Ul- Mittelelbe naturschutzfachlich eine europaweite menwelke“ auslöst und damit mehrere Wellen Bedeutung. Doch auch die geschützten Wälder in von Ulmensterben verursacht hat (Nierhaus- Sachsen-Anhalt sind gefährdet, die Ursachen da- Wunderwald & Engesser 2003). für gehen weit über die oben genannten histori- schen Faktoren hinaus und können nur in kom- Die befallenen Bäume zeigen ein plötzliches Wel- plexen Zusammenhängen verstanden werden. ken der Krone, meist einseitig beginnend und Dabei spielen Eindeichungen der Wälder, an der später die ganze Krone erfassend (Abb. 22). Dabei Saale auch Grundwasserabsenkung durch Tage- verfärben sich die Blätter gelb bis braun, rollen baubetrieb oder -flutungen eine Rolle. In man- sich ein und vertrocknen schließlich. Die Blätter chen Wäldern gibt es deshalb keinen Aufwuchs bleiben in der Regel an den Zweigen hängen – es 16
Abb. 21: Magerrasen werden fernab von Initial- Abb. 22: Die Welkekrankheit der Ulmen macht pflanzungen durch Robinien spontan besiedelt sich zunächst durch das Absterben einzelner und verbuschen innerhalb weniger Jahre. Foto: E. Zweige bemerkbar. Foto: A. Carpentier, Canadian Arndt. Forest Service. entstehen charakteristische dürre Zweigspitzen der Ulme an und wird über den Wassertransport mit vertrockneten Blättern. Selbst im Winter sehr schnell innerhalb des Baumes verdriftet. Die kann man daran noch die Krankheit erkennen. Leitbahnen der Bäume setzen sich zu – entweder Der Welkepilz wurde im Jahr 1918 aus Ostasien in durch Harzbildung als Reaktion des Baumes auf die Niederlande verschleppt und breitete sich in den Parasiten oder durch dichte Pilzfäden und Europa sehr schnell aus. Er brachte letztlich fast alle Alt-Ulmen zum Absterben. 1928 wurde der Pilz wahrscheinlich über Furnierstämme nach Nordamerika verschleppt, wo er ebenfalls den Abb. 23: Ulmensplintkäfer (Scolytes laevis). Die Großteil der Ulmen vernichtete. Gegen Ende der mikroskopisch kleinen, klebrigen Sporen der Pilze 1960er Jahre kam von dort eine noch aggressive- bleiben an den Haaren und an der Oberfläche des re Variante zurück, die bei uns auch Ulmen befiel, holzbewohnenden Käfers haften und werden so welche inzwischen als Resistenzzüchtungen ge- von Baum zu Baum verbreitet. Foto: I. Altmann. genüber dem Ursprungspilz angepflanzt wurden. Schließlich traten weitere aggressive Formen des Pilzes auf, die aus Asien neu eingeführt wurden (Kleinschmit & Weisgerber 1993). Die schnelle Verbreitung der Pilzkrankheit erfolgt bei uns durch Borkenkäferarten der Gattung Sco- lytes, die unter der Bezeichnung „Ulmensplint- käfer“ zusammengefasst werden (Abb. 23). Die Ulmenspintkäfer befallen sowohl intakte Bäume als auch schon geschädigte Gehölze. Der Pilz kann jedoch auch von Baum zu Baum über Wurzelkon- takt verbreitet werden (Nierhaus-Wunderwald & Engesser 2003). Einmal in das Innere des Hol- zes gelangt, siedelt sich der Pilz in den Leitbahnen 17
-thalli. Im Querschnitt sind befallene Zweige an dunklen Gefäßverfärbungen in den jüngsten Jah- resringen erkennbar. Die Hauptinfektionszeit ist Mai, im Juni werden bereits erste Schäden sicht- bar. Innerhalb eines Jahres sterben Teile des Bau- mes oder der gesamte Baum ab. Die Ulmenarten werden bei uns zwar nicht aus- sterben, doch finden wir die meisten Feld-Ulmen (Ulmus minor) heute als Jungbäume im Unter- wuchs. Der Rückgang der Ulmen hat zum weite- ren Verlust des Charakters ursprünglicher Hart- holz-Auwäldern maßgeblich beigetragen. Marderhund (Nyctereutes procyonides) Lange Zeit gab es in Deutschland nur ein hunde- Abb. 24: Der Marderhund wanderte aus Osteuro- artiges Raubtier - den Rotfuchs. Doch seit einiger pa nach Deutschland ein. Foto: I. Bartussek. Zeit wandern mit Wolf und Marderhund zwei sei- ner Verwandten von Osten nach Deutschland ein (Abb. 24). Während mit dem Wolf ein heimisches Raubtier verloren gegangenes Terrain 'zurücker- lich wie der Rotfuchs im Frühling 5-8 Jungtiere. obert', ist der Marderhund ein extrem invasiver Der Rüde bewacht die Höhle mit dem Wurf und Exot. schafft Futter für die Jungtiere heran, sobald sie Das ursprüngliche Verbreitungsgebiet des Mar- feste Nahrung aufnehmen können. Die Jungen derhundes ist die russische Amur-Region, China, verlassen die Wurfhöhle nach sechs bis neun Wo- Korea und Japan. Im Zeitraum 1928 bis 1950 wur- chen und bleiben bis zum Ende des kommenden den geschätzte 9.000 Tiere in den Westteil der Winters im Familienverband. Die Kinderstube Sowjetunion, insbesondere in die Ukraine und kann ein verlassener Fuchs- oder Dachsbau sein, nach Weißrussland als Bereicherung der Jagdge- Tagesquartiere befinden sich auch in hohlen Bäu- biete um neue Pelztiere verbracht. Außerdem ge- men (besonders Eichen) oder Felsspalten. langte er auch aus Pelztierfarmen in dieser Region Der Marderhund dehnt bis heute seine regiona- in Freiheit. Von dort breitete er sich kontinuierlich le Verbreitung in Deutschland aus und bis heu- nach Westen und Norden aus, erreichte 1955 Po- te steigt auch der Bestand kontinuierlich an. In len und Anfang der 1960er Jahre Ostdeutschland Sachsen-Anhalt wurde er im Jahr 1978 erstma- (Nowak 1974). lig geschossen. Heute können wir davon ausge- Seine bevorzugten Lebensräume in Mitteleuropa hen, dass der Marderhund in Mitteldeutschland sind Fließgewässer begleitende Ökosysteme und praktisch flächendeckend vorkommt. Die reich Laubwälder des Tieflands, er nutzt jedoch auch strukturierte mitteldeutsche Landschaft bietet mosaikartige Landschaften aus Feldern, Wie- ihm mit Ausnahme der Gebirge einen idealen sen, Waldstücken und Kleingewässern. Als guter Lebensraum. Er ist in Sachsen-Anhalt viel häufi- Schwimmer flüchtet er bei Störungen häufig ins ger als in Thüringen (Abb. 25), die Einwanderung Wasser. Wie andere Hundeartige ist er dämme- von Nordosten über ein flaches, an Fließgewäs- rungs- und nachtaktiv, er legt im Frühjahr Stre- sern reiches Gebiet kann man also immer noch cken bis zu 20 km und im Sommer bis zu 10 km nachvollziehen. Innerhalb von Sachsen-Anhalt pro Nacht zurück. Bei starker Vermehrung und gibt es ein Nord-Süd-Gefälle, allerdings nehmen günstigem Klima wurden auch Massenwande- die Bestandszahlen im mittleren und südlichen rungen beobachtet (Stubbe 1989). Das zuneh- Teil Sachsen-Anhalts drastisch zu. Während der mend milde mitteleuropäische Klima kommt Marderhund in seinen Heimatgebieten in Sied- ihm zugute. Während er in den kälteren Regio- lungsdichten von durchschnittlich 4 Tieren je 10 nen seiner Heimat eine Winterruhe in einer gut km2 lebt, kommt er bei uns mit bis zu 48 Tieren ausgepolsterten Erdhöhle hält, ist er bei uns in je 10 km2 vor (Nowak 1977). Dies kann mit guter milden Wintern ganzjährig aktiv. Er wirft ähn- Nahrungsversorgung, günstigem Klima und ei- 18
Marderhund 2000 1800 1600 1400 1200 Sachsen-Anhalt 1000 Sachsen 800 Thüringen 600 400 200 0 92 93 94 95 96 97 98 99 00 01 02 03 04 05 06 07 08 09 / / / / / / / / / / / / / / / / / / 91 92 93 94 95 96 97 98 99 00 01 02 03 04 05 06 07 08 19 19 19 19 19 19 19 19 19 20 20 20 20 20 20 20 20 20 Page 1 Abb. 25: Jagdstrecken des Marderhundes in Mitteldeutschland auf Grundlage von Daten des MLU Sachsen-Anhalts (2008) und des Sächsischen Landesforstpräsidiums (Datenspeicher Jagd). Das aus Nordosten einwandernde Raubtier ist nach wie vor in Sachsen-Anhalt und Sachsen viel häufiger als in Thüringen. Da der Bestand im südlichen Sachsen-Anhalt in den letzten Jahren drastisch zugenommen hat, ist auch mit einem Anstieg der Zahlen in Thüringen in naher Zukunft zu rechnen. ner geringen Anzahl von Feinden erklärt werden. Abb. 26: Nahrungszusammensetzung des Mar- In Asien ist er eine bevorzugte Beute des Wolfes, derhundes auf Grundlage der Untersuchung von bei uns werden Jungtiere mitunter von Füchsen 305 Mägen (nach Sturzeis o.J.). gerissen oder von Uhus geschlagen, doch diese Feinde können wie auch die Jäger den Bestand nicht annähernd regulieren. Häufig wird er Opfer des Straßenverkehrs, zumal er am Straßenrand Sonstiges nach überfahrenen Beutetieren sucht. Pflanzenmaterial Wirbellose 7% Bis heute gibt es sehr kontroverse Diskussionen 6% Fische über die Auswirkungen dieses Raubtieres bei Früchte 13% uns. Seine Nahrung ist weit gefächert (Abb. 26) 9% und örtlich sowie jahreszeitlich großen Schwan- kungen unterworfen. Sowohl von der Größe als auch von der Nahrungszusammensetzung ähnelt er Dachs und Fuchs und steht daher sehr wahr- Amphibien scheinlich mit beiden in Konkurrenz. Aas 16% 25% Man vermutet, dass der Marderhund den Bestand der Großtrappe und anderer Wiesenbrüter in Reptilien 1% Brandenburg und Sachsen-Anhalt dezimiert, aber es fehlen bislang Nachweise über große Schäden Wildvögel an Brutvogelarten, die eindeutig auf dieses Raub- Kleinsäuger 14% 9% tier zurückzuführen sind (Bellebaum 2002, Lang- 19
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