CORONA-PANDEMIE: PRAXEN AM LIMIT - Kassenzahnärztliche Vereinigung Sachsen-Anhalt

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CORONA-PANDEMIE: PRAXEN AM LIMIT - Kassenzahnärztliche Vereinigung Sachsen-Anhalt
W W W.ZAEK-SA .DE                                                               W W W.KZV-LSA .DE

                                                     JAHRGANG 30 // APRIL 2020     04 / 2020

ZAHNÄRZTLICHE NACHRICHTEN
S A C H S E N - A N H A LT

THEMA S. 6

CORONA-PANDEMIE:
PRAXEN AM LIMIT                                                                    Auf den Spuren
                                                                                   der Hanse:
                                                                                   Elbtor in
Zwischen Angst vor Ansteckung und Sorge um die Existenz                            Werben
CORONA-PANDEMIE: PRAXEN AM LIMIT - Kassenzahnärztliche Vereinigung Sachsen-Anhalt
ZAHN(KUL)TOUR
            DER ZAHNÄRZTEKAMMER SACHSEN-ANHALT
                                    Interdisziplinäre Gespräche

Inspiriert von der reichen Kulturlandschaft Sachsen-Anhalts, soll der Dialog von Zahnärzten
     mit Künstlern, Wissenschaftlern und Politikern aus Sachsen-Anhalt initiiert werden:

                               Mittwoch, 6. Mai 2020 in SCHIERKE

Der Harz kam in den vergangenen Monaten kaum raus aus den Schlagzeilen: Waldbesitzer und
  Nationalpark streiten über die richtige Strategie gegen Borkenkäferplage und Waldsterben,
Umweltschützer und Wirtschaftsförderer über eine Seilbahn und Wintersportmöglichkeiten in
  Schierke. Die Veranstaltungsreihe „Zahn(kul)tour“ (bislang „Dessauer Abend on tour“) macht
deshalb am 6. Mai 2020 Station in Schierke. Zusammen mit Dr. Friedhart Knolle von der Verwal-
 tung des Nationalparkes Harz wird es eine einstündige Wanderung in und um Schierke geben,
  bevor die Gruppe zu Gespräch und Imbiss ins Schierker Restaurant & Café Winkler einkehrt.

                                        Wir freuen uns auf Sie!

          Zu Gast bei der                                Bitte per Mail (sage@zahnaerztekammer-sah.de),

     ZAHN(KUL)TOUR                                      Fax (0391 73939-20) oder Post (PF 3951, 39014 Mag-
                                                        deburg) bei der Zahnärztekammer Sachsen-Anhalt
                                                                              melden!
DR. FRIEDHART KNOLLE
                                                                        – ANMELDUNG –
                   Dr. Friedhart Knolle, 1955 in
                   Goslar geboren, hat Geologie                     ZAHN(KUL)TOUR
                   an der TU Clausthal studiert.          DER ZAHNÄRZTEKAMMER SACHSEN-ANHALT
                   Er arbeitete zunächst in der
                   freien Wirtschaft und ehren-                   Wanderung und Gespräch mit
                   amtlich für regionale Umwelt-                     Dr. Friedhart Knolle,
                   verbände. Seit 1990 ist er in                   am 6. Mai 2020 ab 18 Uhr
                   verschiedenen Funktionen an
                   der Aufbauarbeit der Harzer                     Restaurant & Café Winkler,
                   Nationalparks beteiligt, seit                Brockenstr. 33, 38879 Wernigerode
                   2006 als Pressesprecher und
                   Beauftragter für Marketing und            18 Uhr: Treff Parkhaus Am Winterbergtor
                   Regionalentwicklung des fusio-       19.30 Uhr: Gespräch / Imbiss im Restaurant Winkler
                   nierten Nationalparks Harz.                           Ich komme gerne!
                                                                          Name/Anschrift:
                                                                           Personenzahl:

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INHALT
                                                                                ZN SACHSEN-ANHALT I AUSGABE 04 I April 2020

ZAHN(KUL)TOUR                                                                                                       BÜCHERSCHRANK
Gesprächsreihe macht Station im Harz .......................................S. 2                                    Kriegsende vor 75 Jahren: Auf den Spuren
                                                                                                                    des Zahnarztes Dr. Hans Schäder .................................................S. 31
(PRÄ-)HISTORISCHES
Neu entdecktes Fossil erlaubt Rückschlüsse                                                                          MITTEILUNGEN DER
auf Speiseplan von Flugsauriern .....................................................S. 4                           ZAHNÄRZTEKAMMER SACHSEN-ANHALT
                                                                                                                    Jubiläum: Martina Eckert ist 20 Jahre bei der ZÄK ............S. 39
EDITORIAL                                                                                                           Jahresabschluss 2018 des Altersversorgungswerkes
160 Nanometer beherrschen die Welt                                                                                  der Zahnärztekammer Sachsen-Anhalt ...................................S. 40
von Dr. Carsten Hünecke ......................................................................S. 5                  Aktuelle GOZ-Tipps ...............................................................................S. 44

CORONA-PANDEMIE                                                                                                     MITTEILUNGEN DER
Praxen am Limit – wie Zahnärzte in Sachsen-Anhalt                                                                   KZV SACHSEN-ANHALT
die Pandemie erleben .............................................................................S. 6              Einladung zum Tag der Offenen Tür bei der KZV ...............S. 45
Die Corona-Pandemie in der Chronologie .................................S. 6                                        Die Geschäftsstelle des Zulassungsausschusses
Praxen am Limit – wie Zahnärzte in Sachsen-Anhalt                                                                   informiert ...................................................................................................S. 46
die Pandemie erleben .............................................................................S. 6              Frühjahrs-Vertreterversammlung abgesagt ..........................S. 47
Zahlreiche Medienberichte und Reaktionen
aus der Politik auf die Lage der Zahnärzte .............................S. 10                                       SACHSEN-ANHALT
„Von der Entwicklung überrollt“ – KZV-Vorstand                                                                      Zum Titelbild: Elbtor in Werben .....................................................S. 48
Dr. Jochen Schmidt im Interview ...................................................S. 14
Tipps der Universitätspoliklinik Zahnheilkunde                                                                      MITTEILUNGEN DES
zum Risikomanagement in Zeiten der Pandemie................S. 17                                                    FVDZ SACHSEN-ANHALT
Universitätspoliklinik Zahnheilkunde gibt Hinweise                                                                  Außergewöhnliche Zeiten ................................................................S. 51
zur Aufbereitung von Schutzmasken ..........................................S. 20
Universitätspoliklinik Zahnheilkunde stellt vor: Welche
Schutzmaske schützt wen und kann was? ..............................S. 33
Covid-19: Die Behandlung von Kindern in Zeiten
der Pandemie ...........................................................................................S. 37

KOLLEGEN
Zahnarzt Sebastian Abshagen und 101 Jahre
Familienpraxis im altmärkischen Klötze ..................................S. 22
PD Dr. Sven Otto tritt MKG-Professur an der
Hallenser Zahnklinik an .....................................................................S. 23

NACHRICHTEN UND BERICHTE
Kabinett beschließt Patientendaten-Schutzgesetz ...........S. 24

FORTBILDUNGSINSTITUT
DER ZAHNÄRZTEKAMMER
Fortbildungsprogramm für Zahnärzte.......................................S. 25
Fortbildungsprogramm für Praxismitarbeiterinnen ..........S. 27

                                                                                                                                                                                           Auf den Spuren der Hanse:
                                                                                                                                                                                                           Elbtor in Werben.
                                                                                                                                                                                                Titelbild: Fredi Fröschki

                                                                                                                3
CORONA-PANDEMIE: PRAXEN AM LIMIT - Kassenzahnärztliche Vereinigung Sachsen-Anhalt
(PRÄ-)HISTORISCHES
                                                  ZN SACHSEN-ANHALT I AUSGABE 04 I April 2020

 ZAHNVERLUST
BEI URZEITLICHER
      JAGD
         Fossil ermöglicht Rückschlüsse
       auf den Speiseplan von Flugsauriern

Auf einzigartige Spuren einer urzeitlichen Jagd stießen un-
längst deutsche und britische Forscher. Ein Team um den
Paläontologen René Hoffmann, PostDoc an der Abteilung Se-
diment-und Isotopengeologie der Ruhr-Universität Bochum,
meint nachweisen zu können, dass ein vor 150 Millionen
Jahren lebender Flugsaurier einen Tintenfisch erbeutete und
dabei einen Zahn verlor. Der fossile Fund aus dem Solnhofe-
                                                                          Mögliche Jagdszene eines Flugsauriers über einer Lagune vor rund
ner Plattenkalk der Fränkischen Alb ist ein Beleg dafür, dass
                                                                                          150 Millionen Jahren. Zeichnung: Uwe Seidenfaden
Flugsaurier nicht nur Fische fraßen. Über ihre Entdeckung be-
richteten die Wissenschaftler in der Zeitschrift „Scientific Re-
ports“ (doi: 10.1038/s41598-020-57731-2).

Tier- und Pflanzenreste im Solnhofener Plattenkalk haben in            ein Urahne heutiger Tintenfische mit acht Armen. Damit zu-
den vergangenen Jahrzehnten schon für so manche Überra-                sammen war der Zahn einer anderen Tierart im Plattenkalk
schung gesorgt. Aufgrund sehr guter Konservierungsbedin-               eingeschlossen. Die Forscher fragten sich, ob der abgebro-
gungen überdauerten sogar Weichgewebe, Schuppen und                    chene Zahn nach dem Tod des Tintenfischs nur zufällig mit
Federn längst ausgestorbener Lebewesen. Als versteinerte               in dessen „Grab“ am Meeresgrund gelangte, oder ob er schon
Abdrücke blieben sie über 150 Millionen Jahre erhalten. Vor            zu Lebzeiten im urzeitlichen Tintenfisch steckte. Auskunft
159 Jahren wurde im Solnhofener Plattenkalk das erste Ex-              gaben Analysen unter UV-Licht. Dabei schien der phosphati-
emplar des Urvogels Archaeopteryx entdeckt. Zu seinen Leb-             sierte Weichkörper des Kopffüßers weiß und der Zahn steckte
zeiten beherrschten Flugsaurier (Pterosaurier) den Luftraum.           offensichtlich im Mantel des Kraken. Nach Untersuchungen
Diese Tiere besaßen Flughäute, ähnlich wie die zu den Säu-             des Paläontologen und Flugsaurier-Experten Jordan Bestwick
getieren zählenden Fledermäuse und Flughunde. Zahnkiefer               von der University of Leicester in Großbritannien stammte der
und Mageninhalte zeigen, dass Pterosaurier zumeist Fische              rund 19 Millimeter große Zahn, von dem nur die Krone zu se-
verspeisten. Pflanzen- oder Früchte fressende Arten sind bis-          hen ist, von einem Flugsaurier der Art Rhamphorhynchus mu-
lang unbekannt. Die größten Tiere hatten Flügelspannweiten             ensteri. Diese Art erreichte eine Flügelspannweite von etwa
von etwa zehn Metern. Mit angewinkelten Flügeln an Land                1,8 Metern. Der verlorene Zahn war spitz und saß im mittleren
kriechend waren diese Flugsaurier mindestens so imposant               Bereich des Unterkiefers eines ausgewachsenen Tieres.
wie heute lebende Giraffen.
                                                                       Aus ihren Untersuchungen schlussfolgern die Forscher auf
Der Fund, den das Team um René Hoffmann genauer un-                    das Jagdverhalten. Sehr wahrscheinlich versuchte der Flug-
tersuchte war deutlich kleiner. Es war auch kein kompletter            saurier nicht, so wie ein Fischadler, die nahe der Wasserober-
Saurier, sondern ein knapp 30 Zentimeter langer Kopffüßer,             fläche schwimmende Beute mit den Krallen an den Füßen zu
                                                                       greifen. Stattdessen schnappte er mit seinen langen Schnabel
                                                                       danach. Bei so einem Angriff aus der Luft hatte Rhamphorhyn-
                                                                       chus wohl Pech. Der erbeutete Tintenfisch konnte sich wieder
                                                                       befreien und riss dabei einen Zahn ab. Wie lange der verletz-
                                                                       te Tintenfisch damit überlebte, ist unbekannt. Unbekannt ist
                                                                       auch, ob dem Flugsaurier – so wie Krokodilen und Haien –
                                                                       neue Fangzähne nachwachsen konnten.                      use

                                                                      4
CORONA-PANDEMIE: PRAXEN AM LIMIT - Kassenzahnärztliche Vereinigung Sachsen-Anhalt
EDITORIAL
                                                ZN SACHSEN-ANHALT I AUSGABE 04 I April 2020

  160 NANOMETER
   BEHERRSCHEN
      DIE WELT
        Liebe Kolleginnen und Kollegen,
   das Coronavirus – eine ca. 160 Nanometer
  große Proteinstruktur – beherrscht die Welt.
Und das voraussichtlich noch sehr lange. Denn                                             Dr. Carsten Hünecke

mit einem allgemeinen Impfstoff rechnen die
 Experten nicht vor Mitte oder Ende kommen-                               Strukturen einzubringen und die notwendigen Maßnahmen zu
                                                                          erarbeiten. Das alles haben wir gemacht. Auf der Strecke blieb
  den Jahres. So wird die derzeitige Strategie
                                                                          der engen Zeit geschuldet allerdings zu Beginn eine schnelle
  der maximalen Kontrolle des Infektionsge-                               und transparente Kommunikation zu Ihnen, die insbesondere
    schehens mit all ihren zum Teil massiven                              auf die drängenden Fragen eingeht, auch wenn keine befriedi-
                                                                          genden Antworten gegeben werden können. Angesichts der all-
  Einschränkungen in unterschiedlichen Aus-
                                                                          gemeinen Geschehnisse verlässliche Informationen zu geben, ist
 prägungen also den „Alltag des Jahres 2020“                              bis heute kaum möglich. Denkt man nur an die permanenten Än-
  bestimmen. Das soll Zeit schaffen und eine                              derungen der zuvor in Stein gemeißelten Hygienevorgaben mit
                                                                          vor acht Wochen undenkbaren Handlungsempfehlungen. Man
 Überforderung des Gesundheitswesens aus-
                                                                          könnte den Glauben wirklich verlieren.
 schließen. Beides wird wohl fester politischer
                 Wille bleiben.                                           Liebe Kolleginnen und Kollegen,
                                                                          ich danke Ihnen allen deshalb für das große Engagement, mit
Gerade einmal sechs Wochen ist es her, dass die COVID-19 In-              dem Sie zum Wohle Ihrer Patientinnen und Patienten in den ver-
fektion zur Pandemie erklärt wurde. Seit dieser Zeit drehen sich          gangenen Wochen Ihre Praxen weitergeführt haben. Mit großem
die Uhren gefühlt dreimal so schnell, verbunden mit einer noch            Einsatz und zum Teil sehr pragmatischen Lösungen haben Sie
nie erlebten Verunsicherung in der gesamten Gesellschaft. Sich            gezeigt, dass auch die Zahnmedizin ihrer Verantwortung in ei-
täglich überschlagende Meldungen, unterschiedlichste Exper-               ner solchen Krisensituation gerecht wird. Das ist nicht selbstver-
tenmeinungen zur Gefährlichkeit oder beinahe stündlich korri-             ständlich und Ihre Leistungen werden seitens der Politik bisher
gierte Risikoeinschätzungen verstärkten dieses Gefühl. Noch nie           weiter unzureichend gewürdigt. Wenn reale 15 Prozent Praxis-
wurde der gewohnte verbindliche persönliche Alltag so aus den             einnahmen vom Bundesgesundheitsminister als „90 Prozent Ret-
Angeln gehoben. Verständlich, dass auch bei Ihnen und Ihren               tungsschirm“ der Öffentlichkeit präsentiert werden, ist das nicht
Mitarbeitern viele Fragen, große Unsicherheit, Sorge oder gar             akzeptabel. Hier muss nachgebessert werden! Willkommen im
Verzweiflung massive Spuren hinterließen. Ihre Vielzahl von Re-           standespolitischen Alltag! Rückkehr zum Alltag: Trotz Homeof-
aktionen am Telefon, per Mail oder Brief mit Fragen, Forderun-            fice, Kinderbetreuung und all der Einschränkungen halten Sie
gen oder gar Beschimpfungen spiegeln dies wider. Der Wunsch               eine zn in gewohnter Stärke in den Händen, die natürlich eine
nach verbindlichen Vorgaben und Regeln ist in einer solchen Si-           Art „Corona-Sonderausgabe“ ist. Vielen Dank allen Mitarbeitern,
tuation ebenso verständlich wie die Erwartung von Fürsorge und            Autoren und Ihnen, die Sie hier zu Wort kommen! Inzwischen
Verantwortung durch die Standesvertreter.                                 laufen die Planungen, wie wir auch all die anderen Arbeitsauf-
                                                                          gaben der Kammer mit Corona erfüllen können. „Die Welt wird
Wir, und da beziehe ich den Vorstand der KZV ausdrücklich mit             nach Corona eine andere sein“, äußerte der Bundespräsident.
ein, haben dies von Anfang an wahr- und sehr ernst genommen               Unser aller (Praxis-)Alltag wird vorerst noch lange mit dem Virus
und Ihre berechtigten Sorgen ließen bzw. lassen weder den Kam-            stattfinden. In diesem Sinne bleiben Sie gesund,
mer- oder KZV-Vorstand noch die Mitarbeiter in den Geschäfts-
stellen unberührt. Nirgendwo gab es für ein solches Szenario bis-
her eine Blaupause, die man einfach aus dem Schreibtisch zieht.
Das führt zu Fehlern, aber es erfordert vor allem Zeit, um die not-       Dr. Carsten Hünecke
wendigen Informationen zu beschaffen, sich in die zuständigen             Präsident der Zahnärztekammer Sachsen-Anhalt

                                                                    5
CORONA-PANDEMIE: PRAXEN AM LIMIT - Kassenzahnärztliche Vereinigung Sachsen-Anhalt
CORONA-PANDEMIE
                                                    ZN SACHSEN-ANHALT I AUSGABE 04 I April 2020

       Das Corona-Virus ist die wohl größte Herausforderung für Deutschland seit Ende des Zweiten Weltkrieges. Foto: Gerd Altmann / Pixabay

               PRAXEN                                                    rusfamilie Coronaviridae namens SARS-CoV-2 (severe acute
                                                                         respiratory syndrome coronavirus 2) hat sich weltweit ausge-

               AM LIMIT                                                  breitet. Die von ihm ausgelöste Viruserkrankung COVID-19 ist
                                                                         zu einer Pandemie mit mehr als 2,2 Millionen Infizierten und
                                                                         rund 152.000 Toten geworden (Quelle: WHO, Stand 20.04.2020).
                                                                         Besonders schwer betroffen sind die USA und Europa. Deutsch-
   Corona-Pandemie sorgt für Existenzängste                              land, wo das Virus Ende Januar erstmals nachgewiesen wurde
          und Angst vor Ansteckung                                       (siehe auch Chronik unten und auf den folgenden Seiten) hat
                                                                         wie andere europäische Länder ab Mitte März mit einem Shut-
Was vermutlich vor rund fünf Monaten auf einem Fischmarkt                down große Teile des öffentlichen Lebens lahmgelegt. Kitas,
in der Stadt Wuhan in der zentralchinesischen Provinz Hubei              Schulen und Spielplätze sowie alle nicht lebensnotwendigen
begann, hat mittlerweile große Teile des Globus in den Aus-              Geschäfte sind vorerst geschlossen, um die Ausbreitung der
nahmezustand versetzt: Ein neu entstandenes Virus der Vi-                Infektionskrankheit, die in einem kleinen Teil der Fälle lebens-

DIE CORONA-PANDEMIE IN DER CHRONOLOGIE (1)
Dezember 2019: In der chinesischen            und Meeresfrüchte in Wuhan vermutet.                Tagen steigt die Zahl der Erkrankten in
Stadt Wuhan tritt eine Häufung schwe-         Wissenschaftler datieren den Ausbruch               China deutlich an.
rer Lungenentzündungen mit unklarer           auf November, manche sogar auf Sep-
Ursache auf. Am 31. Dezember infor-           tember 2019 zurück.                                 13. Januar: Der erste Fall außerhalb
miert China die Weltgesundheitsor-                                                                Chinas wird bekannt. Es handelt sich um
ganisation (WHO) darüber. Bis zum             7. Januar 2020: Es steht fest, dass es sich         eine 61-Jährige, die am 8. Januar von
3. Januar 2020 werden 44 Erkrankte            um ein bis dahin unbekanntes Coro-                  Wuhan nach Bangkok (Thailand) reiste.
gemeldet. Als primärer Infektionsort          na-Virus handelt. Am 9. Januar verstirbt
wird der Großhandelsmarkt für Fische          der erste Erkrankte. In den folgenden               21. Januar: Der erste Infektionsfall    ▶

                                                                        6
CORONA-PANDEMIE: PRAXEN AM LIMIT - Kassenzahnärztliche Vereinigung Sachsen-Anhalt
CORONA-PANDEMIE
                                             ZN SACHSEN-ANHALT I AUSGABE 04 I April 2020

                                                                          MUNDSCHUTZ: SYLVIA HELKE
                                                                          PACKT DIE NÄHMASCHINE AUS
                                                                          „Wir waren von Anfang an der Meinung, wir arbeiten, so lange
                                                                          es geht. Durchhalten ist die Parole“, berichtet Praxismanagerin
                                                                          Sylvia Helke von der Praxis Dr. Andreas Helke in Magdeburg.
                                                                          Das heißt: Aufschiebbare Termine wurden verschoben, die
                                                                          Prophylaxe eingestellt, die Zahl der Patienten reduzierte sich
                                                                          etwa um die Hälfte. Dennoch: Wie in vielen anderen Zahnarzt-
                                                                          praxen schwanden die Vorräte an Schutzausrüstung rapide.
                                                                          Da wollte sie etwas tun, auch zum Stressabbau, erzählt Sylvia
                                                                          Helke – und erinnerte sich an die Nähmaschine, die zuletzt
                                                                          zum Einsatz kam, als sie ihrer mittlerweile erwachsenen Toch-
                                                                          ter ein Faschingskostum nähte. Übers Wochenende nähte sie
gefährlich verläuft und die intensivmedizinischen Kapazitäten             aus altem grünem OP-Tuch 40-mal Mundschutz. Der ist bei 95
einiger Länder überlastete, zu bremsen. Ein streng kontrollier-           Grad waschbar und wird gebügelt – so kommt die Praxis, was
tes Kontaktverbot soll Menschenansammlungen außerhalb                     das angeht, erstmal über die Runden. Für Sylvia Helke zeigt
der eigenen Familie unterbinden. „Stay home“, war und ist für             sich in der Krise, dass die Gesundheitsversorgung staatliche
viele Menschen die Devise – nicht leicht in diesem Frühling, der          Aufgabe ist und eben nicht renditeorientiert laufen sollte. „Das
mit frühsommerlichem Wetter ins Freie ruft. Erste Erfolge der             muss seitens der Politik nach der Krise dringend überdacht
Maßnahmen sind sichtbar, die Kurve der Fall- und Todeszahlen              werden – Geiz ist eben nicht geil!“
flacht erfreulicherweise deutlich ab. Bundes- und Landesregie-
rung haben für die kommenden Wochen schrittweise Locke-
rungen der Restriktionen in Aussicht gestellt, doch schon jetzt
steht fest, dass viele Branchen und Unternehmen überaus hart
vom Virus und seinen Begleiterscheinungen getroffen wurden
– darunter auch die Selbstständigen und Freiberufler und damit
die Zahnarztpraxen.

Als Einrichtungen der öffentlichen Gesundheitsversorgung
blieben die Zahnarztpraxen bislang während der gesamten
Corona-Krise weiter geöffnet. Wie die gesamte Bevölkerung
reagierten auch die Zahnärztinnen und Zahnärzte sowie ihre
Teams sehr unterschiedlich auf die Krise – die einen blieben
mit Blick auf die hohen Hygienestandards in der Praxis de-
monstrativ gelassen, andere wurden von viral verteilten Me-
dienbeiträgen über die Infektionsquelle Zahnarztpraxis und                        Praxismanagerin Sylvia Helke hat übers Wochenende selbst
                                                                                           Mundschutz aus altem OP-Tuch genäht. Foto: privat

außerhalb Asiens wird aus dem US-Bun-        2. Februar: Der erste Todesfall außer-             hörden gemaßregelt wurde, stirbt selbst
desstaat Washington gemeldet.                halb Chinas wird auf den Philippinen               an den Folgen einer Infektion.
                                             gemeldet, es handelt sich um einen
28. Januar: Erstmals wird auch in            Chinesen aus Wuhan.                                15. Februar: Frankreich meldet den
Deutschland eine Infektion nachgewie-                                                           ersten Todesfall außerhalb Asiens, eine
sen. Ein Mitarbeiter des Automobilzulie-     7. Februar: Der 33-jährige chinesische             aus China eingereiste Person.
ferers Webasto hatte sich in Stockdorf       Arzt Li Wenliang, der schon früh die Ge-
(Bayern) bei einer aus China angereisten     fahren der neuen Erkrankung erkannte,              22. Februar: In Italien sterben die ersten
Kollegin angesteckt.                         davor warnte und deshalb von den Be-               zwei Europäer an COVID-19.               ▶

                                                                 7
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                                                                         COVID-19-Fälle in Sachsen-Anhalt (pro 100.000 Einwohner)

                                                                                                                                         > 20 bis 40
                                                                                                    76
                                                                                  36                                                     > 40 bis 60
                                                                                                                                         > 60 bis 80
                                                                                                                                         > 80 bis 100
                                                                                                                                         > 100
                                                                                    61                    35
                                                                                               43

                                                                                                                75
                                                                            97                 33                    118
                                                                                                           36

                                                                                       26                118               Stand: 19.04.2020
                                                                                                    56                     (Quelle: LAV Sachsen-Anhalt)

                                                                                                         37

                                                                      den Sprechstundenbedarf voraussichtlich erforderlichen Ar-
                                                                      tikeln entstehen, als typische Praxiskosten mit den Gebühren
                                                                      abgegolten sind. Vorher konnten nach Auffassung der Landes-
                                                                      zahnärztekammern – vorbehaltlich der Ausnahmen nach § 10
                                                                      Abs. 2 GOÄ, wie z. B. bei Kleinmaterialien – neben den Gebüh-
                                                                      ren als Auslagen berechnet werden „(...) die Kosten für dieje-
die Gefahren, die womöglich in Aerosolen schlummern, stark            nigen Arzneimittel, Verbandmittel und sonstigen Materialien,
verunsichert. Während manche Praxen durch noch vorhandene             die der Patient zur weiteren Verwendung behält oder die mit
Lagerbestände oder frühzeitige Bestellungen noch genügend             einer einmaligen Anwendung verbraucht sind (...)“. Von da an
Schutzausrüstung für wochen- oder gar monatelangen Praxis-            gingen viele Praxen zur On-demand-Bestellung für diese Ma-
betrieb hatten, gingen bei anderen MNS-Masken, Handschuhe             terialien über und schafften ihre Lager ab – was in Kombina-
und Desinfektionsmittel schon nach wenigen Tagen zur Neige.           tion mit der Verlagerung der Produktion nach Fernost in der
Als Teil des Problems erwies sich hier wohl auch ein Urteil des       aktuellen Situation zum Problem wurde.
Bundesgerichtshofes aus dem Jahr 2004 (III ZR 264/03) zum
Auslagenersatz für Materialkosten, wonach Lagerhaltungs-              Die Corona-Krise zeigte schnell Auswirkungen auf die zahn-
kosten, die dem Zahnarzt durch eine Bevorratung von den für           ärztliche Versorgung in Deutschland. Einer aktuellen Umfra-

DIE CORONA-PANDEMIE IN DER CHRONOLOGIE (2)
26. Februar: Die WHO vermeldet erst-        Epidemie zur Pandemie hoch.                             Kindertagesstätten und Schulen bis ein-
mals mehr Neuinfektionen außerhalb                                                                  schließlich Ostermontag, 13. April. Am
Chinas als innerhalb.                       14. März: Mit 11.685 Infizierten und 966                 23. März wird die Schließung bis zum
                                            Toten ist die Lombardei in Italien die am               19. April ausgeweitet.
10. März: Sachsen-Anhalt meldet als         stärksten von der Pandemie betroffene
letztes deutsches Bundesland die ersten     Region in Europa.                                       21. März: In Sachsen-Anhalt gibt es den
acht Erkrankungsfälle.                                                                              ersten Todesfall in Zusammenhang
                                            16. März: Alle deutschen Bundesländer                   mit COVID-19, es handelt sich um eine
11. März: Die WHO stuft die Corona-         inklusive Sachsen-Anhalt schließen                      80-jährige Frau, die in Halle stirbt.       ▶

                                                                     8
CORONA-PANDEMIE: PRAXEN AM LIMIT - Kassenzahnärztliche Vereinigung Sachsen-Anhalt
CORONA-PANDEMIE
                                            ZN SACHSEN-ANHALT I AUSGABE 04 I April 2020

 EINDÄMMUNG VON AEROSOLEN                                                KINDERBETREUUNG:
 Aufgrund der veränderten Informationen des Robert-Koch-In-              „MIT DER ANGST AM LIMIT“
 stitutes zum Thema „Aerosole“ empfiehlt die Zahnärztekam-
                                                                         Was tun in der aktuellen Krise, wenn man ein kleines Kind mit
 mer Sachsen-Anhalt, die Entstehung von Aerosolen wirksam
                                                                         schwerer Behinderung hat, das betreut werden muss und in
 zu verhindern. Dabei steht eine wirksame Absaugtechnik im
                                                                         keinem Fall krank werden darf? Vor dieser Frage steht seit
 Vordergrund. Ferner sollte berücksichtigt werden:
                                                                         der Schließung aller Betreuungseinrichtungen am 16. März
                                                                         auch eine Zahnärztin aus Sachsen-Anhalt, die anonym bleiben
 a) die Verwendung von Ultraschallhandstücken, piezoelektri-
                                                                         möchte. „Mein Kind gehört zur Risikogruppe. Was passiert,
 schen Ultraschall- und Chirurgiegeräten zu vermeiden.
                                                                         wenn ich die Corona-Viren von der Arbeit mit nach Hause
 b) die Verwendung von Pulverstrahlgeräten (z.B. „Air-Flow“)
                                                                         bringe?“, fragt sie. Die Entscheidung, ihre Praxis zu schließen,
 zu vermeiden.
                                                                         fällt ihr angesichts der laufenden Kosten, der Verantwortung
 c) die Verwendung von Turbinen zu vermeiden.
                                                                         für das aufopferungsvoll weiterarbeitende Praxisteam und
 d) Antiseptische Mundspülungen können dazu beitragen,
                                                                         den abzuzahlenden Krediten für Praxis und ein behinderten-
 eine Infektionsübertragung zu minimieren.
                                                                         gerecht gebautes Eigenheim ebenso schwer. „Vergangene Wo-
 e) in Abhängigkeit von Art und Umfang der Exposition und
                                                                         che war ich mit der Angst am Limit“, berichtet die zweifache
 des Infektionsrisikos entsprechende Persönliche Schutzaus-
                                                                         Mutter. Vorerst geht sie weiter arbeiten. Ihr Kind wird von ihren
 rüstung konsequent und ordnungsgemäß zu tragen. Die zu-
                                                                         Eltern betreut, obwohl diese selbst zur Risikogruppe gehören.
 sätzliche Verwendung von Visieren/Schutzschilden bei der
                                                                         Jeden Tag nach der Arbeit fährt sie dorthin bzw. wird be-
 zahnärztlichen Behandlung kann die Sicherheit weiter erhö-
                                                                         sucht. Ihr Kind, das dringend auch körperliche Nähe braucht,
 hen.
                                                                         verstehe am allerwenigsten, warum es die Mama nur so sehen
                                                                         kann. Es sei ein Drahtseilakt, sagt die junge Zahnärztin. „Wenn
 Weiterhin sollte jede Form der Behandlung von Risikogrup-
                                                                         meinem Kind oder meinen Eltern etwas passiert, wen soll ich
 pen (Senioren, multimorbide Patienten, immunsupprimierte
                                                                         dann verantwortlich machen? Da bleibe nur ich.“
 oder immunreduzierte Patienten oder anders einschlägig ge-
 sundheitlich vorgeschädigte Patienten) auf ein absolut not-
 wendiges Maß reduziert werden, besonders um Kontakte im
 Wartezimmer oder in der Praxis zu vermeiden.
                                                                      ist die Leistung der Kollegen in Sachsen-Anhalt, wo trotz der
                                                                      Angst vor einer möglichen Ansteckung mit dem Virus, rapide
ge, die der Nürnberger Marktforscher Exevia in Kooperation            schwindender Schutzausrüstung und der zu gewährleistenden
mit dem Warenwirtschaftssystem Wawibox in der 13. Kalen-              Kinderbetreuung nur rund jede zehnte Praxis der KZV meldete,
derwoche durchgeführt hat, zufolge beabsichtigten rund die            dass sie ihr Leistungsspektrum einschränken musste – ein enor-
Hälfte aller niedergelassenen Zahnärzte, ihre Praxis zumin-           mer Kraftakt für die Zahnärzte und ihre Praxisteams. In einzel-
dest teilweise zu schließen. Knapp 30 Prozent der Zahnarzt-           nen Gebieten des Landes wurde die Belastung für die Praxen
praxen hatten demnach bereits ganz (6 %) oder teilweise (23           sogar noch größer, etwa durch vorgeschriebenes Screening
%) den Betrieb eingestellt. Nur ein knappes Viertel der Nie-          und Temperaturmessungen in Halle (Saale) oder durch die
dergelassenen bekundete, den Praxisbetrieb weiterhin auf              Einrichtung einer Sperrzone in Jessen im Landkreis Witten-
gleichem Niveau fortführen zu wollen. Umso eindrucksvoller            berg ab Ende März (siehe auch Bericht S. 13).

23. März: Ein bundesweites Versamm-        aufgrund von Kita- und Schulschließun-           gen der Pandemie für Krankenhäuser,
lungsverbot gilt. Restaurants und Be-      gen bzw. Rückkehr aus Risikogebieten.            Ärzte und Psychotherapeuten abfedern
triebe für die Körperpflege wie Friseur-   Die Zahl der bestätigten Infektionen im          soll – Zahnärzte sind außen vor.
salons schließen.                          Land ist auf 400 Fälle gestiegen, teilt
                                           das Sozialministerium mit.                       26. März: Die Jessener Ortsteile Jessen
24. März: Drei Zahnarztpraxen in Sach-                                                      und Schweinitz im Landkreis Wittenberg
sen-Anhalt sind aufgrund angeordneter      25. März: Im Eilverfahren wird vom Bund          stehen unter Quarantäne, nachdem
Quarantäne-Maßnahmen als geschlos-         ein Krankenhausentlastungsgesetz ver-            die Zahl der COVID-19-Fälle dort stark
sen gemeldet, dazu weitere zwölf           abschiedet, der die wirtschaftlichen Fol-        gestiegen war. 7 ZAP sind betroffen.    ▶

                                                                9
CORONA-PANDEMIE: PRAXEN AM LIMIT - Kassenzahnärztliche Vereinigung Sachsen-Anhalt
CORONA-PANDEMIE
                                                 ZN SACHSEN-ANHALT I AUSGABE 04 I April 2020

                                                               MEDIEN BERICHTEN
                                                            ÜBER LAGE DER ZAHNÄRZTE
                                                       Magdeburger Volksstimme und Mitteldeutsche Zeitung sowie MDR
                                                    machten mehrmals mit Beiträgen und Artikeln auf die schwierige Lage der
                                                  Zahnärzteschaft in Sachsen-Anhalt aufmerksam. Weil Schutz- und Desinfekti-
                                                onsmittel fehlten, hätten einzelne Praxen bereits schließen müssen, berichteten
                                               die Redaktionen und sprachen mit Praxen vor Ort. Die Berichterstattung sorgte
                                              auch für landes- und bundespolitische Reaktionen: Der gesundheitspolitische Spre-
                                              cher der AfD-Fraktion im Landtag von Sachsen-Anhalt, Ulrich Siegmund, forderte mit
                                              Bezug auf den Artikel die Landesregierung auf, die Zahnärzte mit Schutzausrüstung
                                               zu unterstützen. Auf bundespolitischer Ebene gab es ebenfalls Rückendeckung für
                                                die Zahnärzteschaft: MdB Christine Aschenberg-Dugnus (FDP) forderte ebenso wie
                                                  Kirsten Kappert-Gonther (Grüne) finanzielle Hilfen für betroffene Praxen. Die
                                                    Bundestagsabgeordneten Kappert-Gonther und Detlev Spangenberg (AfD)
                                                       forderten Schutzausrüstungen. Ohne sei die Arbeit nicht verantwort-
                                                           bar, so Spangenberg.

DIE CORONA-PANDEMIE IN DER CHRONOLOGIE (3)
29. März: Halle (Saale) verfügt, dass die    kenhaus-Investitionen für 2020 bereits            Auslandsaufenthalt stattfand und kein
Mitarbeiter aller (Zahnarzt-)Praxen in der   im April aus, um den 47 Kliniken im Land          Kontakt zu positiv getesteten Personen
Stadt eine tägliche Temperaturkontrolle      bei der Bewältigung der Corona-Krise              stattfand, um die vulnerable Gruppe
durchführen müssen. Die Zahl der labor-      zu helfen und die Liquidität sicherzu-            der Pflegebedürftigen und das Perso-
diagnostisch bestätigten COVID-19-Fälle      stellen. Pflegebedürftige sollen bei               nal zu schützen. Das Land registriert
in Sachsen-Anhalt liegt bei 592.             Rückkehr aus dem Krankenhaus oder                 806 Infizierte, davon acht Sterbefälle.
                                             Neuaufnahme in eine Pflegeeinrich-                 Es handelt sich in allen Fällen um über
1. April: Das Land Sachsen-Anhalt zahlt      tung bestätigt bekommen, dass keine               75-jährige Personen mit Vorerkrankun-
die pauschalen Fördermittel für Kran-        Krankheitsanzeichen vorliegen, kein               gen.                                 ▶

                                                                     10
CORONA-PANDEMIE
                                            ZN SACHSEN-ANHALT I AUSGABE 04 I April 2020

Die Krise ging natürlich auch an Verwaltung und Vorständen
von Zahnärztekammer und Kassenzahnärztlicher Vereini-                    „ES KANN NICHT SEIN, DASS WIR
gung nicht vorbei. Während die Mitarbeiter der Verwaltun-                ALS KANONENFUTTER VERHEIZT
gen teils auf Homeoffice umstellten und die Kinderbetreuung
absichern mussten, glühten die Telefonleitungen mit Anrufen              WERDEN!“
Hilfe suchender Praxen. Die Vorstandsmitglieder beider Kör-              „Die Newsletter (von ZÄK und KZV, die Red.) geben uns zwar
perschaften arbeiteten wochenlang vor allem auch an den                  Informationen, schützen uns aber nicht. Wir als Zahnärzte
beiden Hauptproblemen – Beschaffung von Schutzausrüs-                    gehören zu den exponiertesten Berufsgruppen, wenn eine
tung und finanzieller Unterstützung durch die unterschied-                Frau Grimm-Benne meint, Zahnärzte seien wie auch ambu-
lichsten Programme des Bundes und der Länder. Eine Reihe                 lant tätige Ärzte für die Beschaffung von Schutzausrüstung
von Kolleginnen und Kollegen in Sachsen-Anhalt und anderen               selbst zuständig, dann bekräftigt diese Aussage die schon
Bundesländern forderte die Körperschaften auf, Praxisschlie-             beim Besuch der Ameosklinik Haldensleben bewiesene kom-
ßungen oder das „Herunterfahren“ auf eine Notdienstversor-               plette Inkompetenz dieser hochbezahlten Person. Ich fordere
gung anzuordnen. Doch weder die Zahnärztekammer noch                     die ZÄK und die KZV auf, endlich an die Politik heranzutreten
die KZV dürfen Praxisschließungen oder Einschränkungen                   und für uns Zahnärzte und unsere Praxisteams (natürlich
der Behandlung im Pandemiefall selbstständig anordnen. Zur               auch für die Ärzte und Praxisteams) einen Corona-Test in
Schonung der Reserven an Schutzausrüstung und zum Selbst-                regelmäßigen Abständen auch ohne vorliegende Symptome
schutz verlegten deshalb viele Praxen aufschiebbare Kon-                 zu erwirken. Es kann nicht sein, dass wir von Seiten der ZÄK
troll- und Behandlungstermine bzw. Patienten blieben von                 und KZV aufgefordert werden, die Sprechstundenzeiten in
sich aus fern, was wiederum zu einer spürbaren Umsatzmin-                gewohnter Weise offenzuhalten, aber gleichzeitig als Kano-
derung für die Praxen führte. Dass sich diese Entwicklung                nenfutter verheizt zu werden!“
auf das Einkaufsverhalten der Zahnarztpraxen auswirkt, er-
schließt sich quasi von selbst. Mit der rückläufigen Anzahl an            // Dr. Ronald Graßhoff, Gommern
Behandlungen ging ein nachlassender Bedarf an Verbrauchs-
materialien einher, wodurch wiederum die Umsätze in der
Dentalindustrie um zirka die Hälfte einbrachen.
                                                                      Zahnärzte und damit der mehr als 360.000 Beschäftigten in
Gleichzeitig fiel die Zahnärzteschaft, hinter Krankenhäusern           diesem Sektor aufmerksam (siehe S. 10). Schließlich reagierte
und Allgemeinmedizin von Politik und Aufsichtsbehörden als            die Politik – bislang nur mit einem „Schutzschirmchen“. Weite-
nachrangig angesehen, in der Wahrnehmung der Verantwort-              re Hilfe kam durch die PKV, wodurch gestiegene Hygienekos-
lichen hinten runter, bis dahin, dass sie in den Informations-        ten extra in der GOZ abrechenbar sind.
ketten der Pandemiestäbe anfangs außen vor blieb. Auch im
Krankenhausentlastungsgesetz, das als Rettungsschirm für              Die Krise offenbarte aber auch Improvisationstalent und Soli-
die im Rahmen der Pandemie entstehenden Kosten im Ge-                 darität der Kollegen und Beschäftigten sowie nicht zuletzt der
sundheitswesen dienen soll, blieben die Zahnärzte unberück-           Bevölkerung untereinander: Patienten brachten Sachspenden
sichtigt. Die zahnärztlichen Körperschaften starteten deshalb         vorbei, Praxen halfen sich gegenseitig mit Ausrüstung, Apo-
auf Bundes- und Landesebene eine Offensive in der Öffent-             theker im Land mischten mit Alkohol, der von lokalen Bren-
lichkeitsarbeit. Medien machten auf die schwierige Lage der           nereien zur Verfügung gestellt wurde, wieder selbst Desin-

3. April: Bislang haben 153 Zahnarztpra-   6. April: Für die Zahnärzte in Jessen und       8. April: BMG und KZBV gelingt es, für
xen aus Sachsen-Anhalt der KZV eine An-    Schweinitz gab es am Montagabend                die bundesweit 170 zahnärztlichen
passung ihrer Öffnungszeiten und Leis-     eine positive Botschaft: Die Sperrung           Schwerpunktpraxen in den Ländern die
tungen mitgeteilt. Das Spektrum reicht     des Quarantänegebietes wurde aufge-             bis dato fehlende Schutzausrüstung für
von einer Reduzierung der Sprechstun-      hoben. Am Wochenende zuvor wurden               unaufschiebbare zahnärztliche Notfall-
den über die ausschließliche Behandlung    außerdem gemeinsam mit dem Land-                behandlungen von Patientinnen und
von Notfällen bis zu vorrübergehenden      kreis aus dessen Beständen FFP-2-Mas-           Patienten zu beschaffen und bereitzu-
durch Quarantäne und Schutzmittelman-      ken für die Zahnärzte in Jessen und die         stellen, die von einer Infektion mit dem
gel bedingten Schließungen.                Notdienstpraxen verteilt.                       Coronavirus (SARS-CoV2) betroffen     ▶

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CORONA-PANDEMIE
                                                 ZN SACHSEN-ANHALT I AUSGABE 04 I April 2020

fektionsmittel. Die Produktion von Schutzausrüstung vor Ort
wurde ebenfalls wieder hochgefahren, ja teils selbst genäht.
Die Kassenzahnärztliche Vereinigung Sachsen-Anhalt richtete
schließlich eine zahnmedizinische Notfallversorgung für Pati-
enten, die unter Quarantäne stehen oder mit dem Coronavirus
infiziert sind, an den Standorten Universitätszahnklinik Halle
(Magdeburger Str.), Städtisches Klinikum Dessau, Medizinische
Fakultät Magdeburg sowie Ameosklinikum Halberstadt ein.
Über die KZBV konnte die KZV Schutzausrüstung für die Not-
versorgung beschaffen. Nach wochenlangen Recherchen und
Kontaktaufnahmen, die anfangs von vollkommen überzogenen
Preisvorstellungen, fünfstelligen Forderungen für Vorauszah-
lungen oder nicht nachprüfbaren Qualitätsstandards der Pro-
dukte geprägt waren, gelang es der Zahnärztekammer schließ-
lich Anfang April, MNS-Masken sowie KN-95-Schutzmasken
aus China zu organisieren und diese über die Kreisstellen zum
Selbstkostenpreis an die Kollegen weiterzureichen.

                                                                         15. April 2020: Halles Kreisstellenvorsitzender Thorsten Töpel holt
Gleichzeitig relativierte sich das anfangs als erheblich einge-
                                                                             bei ZÄK-Mitarbeiterin Astrid Bierwirth KN-95-Masken für seine
schätzte Behandlungsrisiko spürbar. Erfahrungen der Zahnkli-
                                                                                                           Kollegen ab. Foto: Andreas Stein
niken im chinesischen Wuhan zeigten, dass dort zwei Monate
lang (Dezember 2019 und Januar 2020) ohne Kenntnis der Co-
rona-Problemlage 120.000 Patienten unter normalen Bedin-
gungen (Aerosol, einfacher Mundschutz) behandelt wurden               lungnahme unter den Titel: „Coronavirus-Pandemie – Die Kri-
– sich aber „nur“ weniger als 10 von 1.098 Teammitarbeitern           se nachhaltig überwinden“ vor. Darin schlug sie Maßnahmen
mit dem Corona-Virus infizierten (davon drei im häuslichen            vor, die eine schrittweise Rückkehr in das gesellschaftliche
Bereich). Demgegenüber stehen tausende Patienten, die sich            Leben ermöglichen, ohne die Überlastung des Gesundheits-
im allgemeinmedizinischen Bereich infiziert haben, besonders          wesens durch exponentiell steigende Neuerkrankungen zu
betroffen waren HNO und Ophthalmologie. Die chinesischen              riskieren. Unter anderem schlugen die Forscher eine allge-
Zahnärzte führten die äußerst geringe Infektionsrate im zahn-         meine Maskenpflicht in der Öffentlichkeit als wirksames Ins-
ärztlichen Bereich auf die konsequente Umsetzung der klas-            trument zur Eindämmung der Infektionsausbreitung vor. Mitte
sischen Schutzmaßnahmen zurück. Vor diesem Hintergrund                April lockerten Bund und Land die Zügel in Sachen Corona-Vi-
seien die zahnärztlichen Teams nicht die gefährdetste Gruppe          rus langsam wieder. Die Rückkehr zur Normalität, wenn es
und schon gar nicht „Hotspots“ oder „Superspreader“, wie häu-         denn eine geben wird, wird jedoch noch sehr lange dauern.
fig behauptet wird.
                                                                      Die Corona-Pandemie wird die Zahnärzteschaft also auch in
Am Ostermontag legte die Nationale Akademie der Wissen-               den kommenden Wochen und Monaten begleiten – und die
schaften Leopoldina in Halle (Saale) ihre dritte ad hoc-Stel-         Kassenzahnärztliche Vereinigung und die Zahnärztekam-

DIE CORONA-PANDEMIE IN DER CHRONOLOGIE (4)
sind oder bei denen ein Verdacht hierfür    11. April: Das Bundesgesundheitsmi-                12. April: Die Zahl der bestätigten Coro-
besteht.                                    nisterium will per Verordnung den                  na-Infektionen in Sachsen-Anhalt ist auf
                                            Schutzschirm auf die Zahnärzteschaft               1.195 Fälle gestiegen, wie das Sozial-
8. April: In der ZÄK Sachsen-Anhalt tref-   erweitern. Praxen sollen zur Sicherung             ministerium mitteilt. Die meisten davon
fen 10.000 Mund-Nasen-Schutzmasken          der Liquidität zunächst 90 Prozent der             verzeichnet Halle (Saale) mit 258 Fällen.
ein, die vorfinanziert wurden und zum       Vergütung aus 2019 erhalten. 30 Prozent            24 Menschen sind bislang verstorben.
Selbstkostenpreis an die Praxen abge-       der zu viel gezahlten Summe sollen sie
geben werden. Über 170 Praxen hatten        am Jahresende behalten können. Das sei             14. April: Kammergeschäftsführerin
entsprechenden Bedarf angemeldet.          zu wenig, kritisiert die Standespolitik.           Christina Glaser holt aus Kiel mit       ▶

                                                                    12
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                                             ZN SACHSEN-ANHALT I AUSGABE 04 I April 2020

                                                                          IN QUARANTÄNE: „WIR STEHEN
                                                                          AUF VERLORENEM POSTEN“
                                                                          Zwei Orte im Landkreis Wittenberg, die Jessener Ortsteile
                                                                          Jessen und Schweinitz, waren ganz besonders schlimm von
                                                                          der Corona-Krise betroffen. Nachdem Urlauber das Virus
                                                                          aus Österreich mitgebracht hatten und mehr als 40 Perso-
                                                                          nen erkrankten, darunter auch viele in einem Pflegeheim,
                                                                          verhängte der Landkreis eine zweiwöchige Quarantäne
                                                                          über die Orte. Die Zufahrtsstraßen waren durch Polizei
                                                                          und Feuerwehr gesperrt, keiner kam raus, rein durften nur
                                                                          Anwohner, die sich ausweisen können. 8.000 Einwohner
                                                                                                waren davon betroffen, auch Zahn-
                                                                                                arzt Dennis Weiner und fünf weitere
                                                                                                Praxen mit ihren Teams. „Wir stehen auf
                                                                                                verlorenem Posten und fühlen uns von
                                                                                                Kammer und KZV im Stich gelassen“,
                                                                                                berichtete Dennis Weiner. Der Grund:
                                                                                                Die Praxen müssen trotz der Quarantä-
                                                                                                ne und der vielen COVID-19-Fälle weiter
                                                                                                arbeiten und den Versorgungsauftrag
                                                                                     Dennis
                                                                                                erfüllen, doch Patienten gibt es kaum
                                                                                     Weiner
                                                                                                noch. Die Kosten laufen weiter. „Wir
                                                                                                Praxen im Quarantänegebiet haben
                                                                          einen Notbereitschaftsplan ausgearbeitet, um das Risiko für
                                                                          unsere Teams und uns zu minimieren“, so der Zahnarzt. Doch
mer Sachsen-Anhalt stehen dabei nach allen Kräften an der
                                                                          die Angst bleibe, zumal es an Schutzausrüstung mangele.
Seite der Praxen im Land. Die Bundeszahnärztekammer hat
                                                                          Der Landkreis habe jeder Praxis nur eine Corona-taugliche
eine Umfrage zu den Auswirkungen der Pandemie gestartet
                                                                          Schutzmaske zugeteilt, zum Glück hätten Patienten FFP-3-
(https://www.bzaek.de/berufsausuebung/sars-cov-2covid-19/
                                                                          Masken gespendet. „Wir wünschen uns eine Regelung, die
umfrage.html), und auch die zn werden in einem Barometer
                                                                          uns im Quarantänegebiet vom Versorgungsauftrag befreit.
in Kürze nach den Auswirkungen auf die Praxen fragen. Um
                                                                          Dann würde auch eine Praxisausfallversicherung greifen.
rege Teilnahme wird gebeten.
                                                                          Sonst geht das an die Existenz“, sagt Dennis Weiner, der ge-
                                                                          rade für den ländlichen Raum ein Praxissterben infolge der
(Bitte beachten Sie: Dieser Beitrag wurde mit Redaktionsschluss
                                                                          Corona-Krise befürchtet. Am 6. April wurde die Quarantäne
20. April 2020 verfasst. Inzwischen eventuell aufgetretene neue
                                                                          glücklicherweise wieder aufgehoben und FFP-2-Masken aus
Entwicklungen konnten nicht mehr berücksichtigt werden.)
                                                                          Beständen des Landkreises an die ZAP verteilt worden.

einem Transporter ein Großkontin-           beschlossen. Schulen öffnen schrittwei-         fläche unter Auflagen öffnen. Zugleich
gent KN-95-Schutzmasken ab, das die         se, der Einzelhandel ebenfalls. Zusätz-         sollen Kontaktbeschränkungen bis
Kammer auf dem freien Markt erwerben        lich zu Lebens- und Futtermittelhan-            einschließlich 3. Mai bestehen bleiben.
konnte. Die Kreisstellenvorsitzenden        del, Wochenmärkten, Lieferdiensten,
verteilen die Masken zum Selbstkosten-      Apotheken, Tankstellen, Banken und              19. April: Die Zahl der bestätigten Co-
preis unter interessierten Kollegen.        Sparkassen, Poststellen, und Großhan-           rona-Infektionen in Sachsen-Anhalt ist
                                            delseinrichtungen können jetzt der              auf 1.371 Fälle gestiegen. Der Pande-
16. April: Sachsen-Anhalt hat erste Lo-     Kfz-Handel und darüber hinaus Laden-            miestab zählt 30 in Zusammenhang mit
ckerungen der Corona-Beschränkungen         geschäfte mit bis zu 800 m² Verkaufs-           dem Virus Verstorbene.

                                                                13
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       „VON DER
     ENTWICKLUNG
      ÜBERROLLT“
KZV-Vorstandsvorsitzender Dr. Jochen Schmidt
   bezieht Stellung zur Corona-Pandemie

Herr Dr. Schmidt, vor der Krise hieß es: Das deutsche Gesund-
heitssystem ist eines der besten der Welt. Würden Sie diese
Aussage heute noch mittragen?
Grundsätzlich ja. Jedoch hat die Corona-Pandemie die Institu-
tionen unserer Gesundheitsversorgung in einen Zustand kata-
pultiert, der dieses Selbstverständnis ein Stück weit erschüt-
tert. Das deutsche Gesundheitssystem ist nach wie vor eines
der besten der Welt. Das beweist das anhaltend hohe Niveau                Dr. Jochen Schmidt aus Dessau ist seit 2017 Vorstandsvositzender
der medizinischen und zahnmedizinischen Versorgung trotz              der Kassenzahnärztlichen Vereinigung Sachsen-Anhalt. Foto: Archiv
der krisenbedingt starken Belastung der Leistungserbringer
und trotz der eher behäbigen Reaktion der Politik. Das System
biegt sich, aber es bricht nicht, wie anderswo zu beobachten          Auch die Zahnärzte wurden von den Entwicklungen überrollt.
ist.                                                                  Von heute auf morgen ließ das RKI verlauten, dass die Ge-
                                                                      fährdung für die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland
Können Sie das bitte erläutern?                                       insgesamt als hoch, für Risikogruppen sogar als sehr hoch
Die Lage wurde falsch eingeschätzt und es wurde viel zu               eingeschätzt wird. SARS-CoV-2 mutierte in der Politik und
spät reagiert. Bundesgesundheitsminister Spahn sagte noch             den Medien schlagartig von einem harmlosen Schnupfen zu
Ende Februar, dass wir vor Herausforderungen stehen, die              einer tödlichen Gefahr. Damit war auch die Zahnärzteschaft
vergleichbar sind mit den jährlichen Grippewellen. Da waren           alarmiert. Zwar sind die Hygienestandards in unseren Pra-
die Verläufe in China und Italien in ihrer Dramatik bereits be-       xen generell so hoch, dass Patientinnen und Patienten sowie
kannt. Die Gelassenheit des BMG war daher nicht angebracht.           das zahnmedizinische Personal und wir Zahnärztinnen und
Sicher hätte man die bevorstehenden Entwicklungen zu die-             Zahnärzte gut vor infektiösen Krankheiten wie einer Grippe,
sem Zeitpunkt schon nicht mehr abwenden, aber vielleicht              offener TBC, resistenten Keimen, HIV usw. geschützt sind,
einige Probleme, mit denen wir heute konfrontiert sind, noch          dennoch war die Verunsicherung groß. Dazu kamen ernsthaf-
in gewissem Maße abfedern können. Das Virus war in Europa             te finanzielle Sorgen, weil klar war, dass die Anzahl der Pati-
angekommen und es zeichnete sich ab, dass eine globale Aus-           entinnen und Patienten drastisch zurückgehen wird. Unsere
breitung nicht mehr aufzuhalten ist. Die ganze Welt versuchte         Zahnarztpraxen sind größtenteils Kleinbetriebe, bei denen
über Nacht händeringend, den eigenen Bestand an Schutz-               die Einnahmen von der Leistungserbringung abhängen. Wenn
ausrüstung und Atemgeräten zu erhöhen. Auch die Vorräte in            die Patientinnen und Patienten aus Angst vor einer möglichen
Deutschland waren an vielen Stellen viel zu gering. Nach ak-          Ansteckung Behandlungstermine absagen, versiegt die einzi-
tueller Einschätzung der Lage werden allein in den nächsten           ge Einnahmequelle, die Fixkosten, also die Ausgaben für das
Wochen voraussichtlich bis zu 500 Millionen Schutzmasken              Personal, Miete etc. bleiben jedoch. Damit wird die Krise mit-
bei uns benötigt. Bekommen wird man sie nicht annähernd               tel- bis langfristig für viele zum existenziellen Risiko.
in dieser Stückzahl. Ich denke, man hätte zumindest diesen
Materialmangel mit etwas mehr Weitblick und Ernsthaftigkeit           Hat die KZV Sachsen-Anhalt versucht, selbst Schutzausrüs-
des BMG bei der Analyse der Risiken von möglichen Pandemi-            tung zu besorgen und zu verteilen wie andere KZVen?
en in Deutschland verhindern können.                                  Ja, wir haben von Anfang an versucht, seriöse Produzenten
                                                                      ausfindig zu machen, die schnell liefern können. Das erwies
Wie stellt sich die Situation bei den Zahnärzten dar?                 sich genau wie in allen anderen KZV-Bereichen leider als aus-
Nicht anders als in den Krankenhäusern und den Arztpraxen.            sichtlos. Auf Bundesebene haben sich die KZBV und die BZÄK

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bezüglich der Herausforderungen bei der Beschaffung von               wir es daher als folgerichtig, eine Anpassung der Abschlags-
Handschuhen, MNS und Desinfektionsmittel frühzeitig an das            zahlungen durch die KZV vorzunehmen, damit die Praxen zu
BMG gewandt und um Unterstützung gebeten. Darauf folgte               einem späteren Zeitpunkt nicht noch zusätzlich mit Rückfor-
eine Anordnung des Bundeswirtschaftsministeriums, wonach              derungen belastet werden. Im Kabinettsbeschluss zum CO-
der Export von medizinischer Schutzausrüstung (Atemmas-               VID-19-Krankenhausentlastungsgesetz blieb die Zahnärzte-
ken, Handschuhe, Schutzanzüge etc.) in das Ausland verbo-             schaft aber unberücksichtigt. Das Versprechen der Kanzlerin
ten wurde. Die Ministerien verkündeten zudem, die Beschaf-            zu einem umfassenden Schutzschirm wurde nicht eingelöst.
fung nun zentral zu übernehmen und bei der Verteilung auch            Vor diesem Hintergrund sahen einige Praxen in der Anpas-
Zahnarztpraxen zu berücksichtigen. Im guten Glauben haben             sung der Abschlagszahlungen durch die KZV natürlich nicht
einige KZVen daher Bestellungen ihrer Mitglieder gesammelt.           mehr eine Entlastung. Wir versicherten unseren Mitgliedern
Viele Zahnärztinnen und Zahnärzte wandten sich mit Hilferu-           daher, dass wir alles Erdenkliche tun werden, auch in der Kri-
fen an die KZV Sachsen-Anhalt und fühlten sich allein gelas-          senzeit die Abschlagszahlungen auf dem Niveau vor der Krise
sen, als sie erfahren mussten, dass momentan niemand – auch           leisten zu können. Der KZBV-Vorstand wollte in Gespräche
nicht ihre Standes- und Interessenvertretung – abhelfen kann.         mit dem GKV-Spitzenverband eintreten, um einen bundesein-
                                                                      heitlichen Weg zu eröffnen, über den man dann einen finan-
Erhielt die KZV nicht Material vom Landesministerium?                 ziellen Schutzschirm auf der Länderebene vereinbaren kann.
Ja, dank des Ministeriums für Arbeit, Soziales und Integration        Die Kassen stehen hier mit in der Verantwortung, die Versor-
des Landes Sachsen-Anhalt erhielt die KZV Anfang April zur            gungslandschaft über die Krise hinaus einigermaßen intakt zu
Weiterreichung ein Kontingent an Handschuhen und Schutz-              halten.
masken. Diese Materialien waren mengenmäßig gerademal
ausreichend für die Schwerpunktpraxen im Land, die an der             Jetzt kommen die Zahnärzte doch noch unter den Schutz-
zahnärztlichen Versorgung von infizierten oder unter Qua-             schirm. Wird das ausreichen?
rantäne stehenden Patientinnen und Patienten beteiligt sind.          Das haben wir vor allem dem Wirken der KZBV zu verdanken.
Mit welchen Maßnahmen hat die KZV noch auf die Coro-                  Sie hat gegenüber dem BMG nicht lockergelassen und immer
na-Krise reagiert? Zunächst haben wir einen Krisenstab ein-           wieder betont, dass der Einnahmeausfall viele Zahnarztpra-
gerichtet, der die Maßnahmen zur Unterstützung der Zahn-              xen in die Knie zwingen wird. Wie Gesundheitsminister Spahn
arztpraxen und zum Schutz unserer Mitarbeiterinnen und                mitteilte, werden die Zahnärzte zur Liquiditätssicherung nun
Mitarbeiter am Verwaltungssitz festgelegt hat. Es war uns             90 Prozent der Vergütung aus dem letzten Jahr bezahlt be-
wichtig, die Arbeitsfähigkeit der KZV zu erhalten, um auch in         kommen. Am Ende des Jahres können sie 30 Prozent der zu
der Krisenzeit die fristgerechten Zahlungsläufe an die Zahn-          viel gezahlten Summe behalten. Die technische Umsetzung
ärzteschaft gewährleisten zu können. Als Vorstand haben               hierzu ist uns Stand heute noch nicht bekannt, aber auch für
wir uns mit unserer Zahnärztekammer über die Lage und das             die neuen Praxen wird es eine Absicherung geben. Das wird
weitere Vorgehen abgestimmt. Bei der KZV haben wir eine               die Existenzrisiken meiner Meinung nach erst einmal abfe-
Telefonhotline und eine spezielle E-Mail-Adresse, corona@             dern, die langfristige wirtschaftliche Gefährdung der Praxen
kzv-lsa.de, eingerichtet. Auf unserer Internetseite wurde eine        bleibt aber bestehen (siehe auch Brief ans MS, S. 16, die Red.).
eigene Informationsseite mit Empfehlungen zum Umgang mit
dem Corona-Virus erstellt und eine Plattform „Zahnärzte hel-          Der KZV wurde vorgeworfen, nicht konsequent Praxisschlie-
fen Zahnärzten“ eingerichtet, auf der unsere Zahnarztpraxen           ßungen anzuordnen. Zogen Sie dies in Betracht?
Angebote oder Suchanfragen zu Praxiseinrichtungen und Ma-             Wir erhielten hierzu tatsächlich viele Anfragen über unsere
terialien als Kleinanzeigen veröffentlichen können. Unser Be-         Hotline. Dabei sind die Interessenlagen der einzelnen Pra-
streben war und ist vor allem, unseren Mitgliedern unkompli-          xen diametral. Einige Kolleginnen und Kollegen forderten mit
ziert aktuelle und belastbare Informationen bereitzustellen.          Blick auf die Sicherheit der Patienten und der Praxisteams von
Gleichzeitig versenden wir möglichst tagesaktuell wichtige            der KZV eine Anordnung zur Aufhebung des Versorgungsauf-
Informationen als Rundmail an die Praxen.                             trags. Andere Kolleginnen und Kollegen wiederum befürch-
                                                                      teten, dass sie ihre Praxen schließen müssen und damit über
Und hinsichtlich der wirtschaftlichen Bedrohung der Praxen?           längere Zeit keine Einnahmen mehr haben. Verschärft zeigte
Von Seiten der Bundesregierung hieß es schnell, dass es ei-           sich die Problematik bei den Kolleginnen und Kollegen im
nen Schutzschirm geben wird, der die wirtschaftlichen Fol-            zeitweise unter Quarantäne gestellten Gebiet Jessen/Schwei-
gen der Pandemie für Gesundheitseinrichtungen abfedern                nitz. Auch wenn wir beide Standpunkte verstehen, sind uns
soll. Wir durften davon ausgehen, dass auch Zahnarztpraxen            hier die Hände gebunden. Der Sicherstellungsauftrag gemäß
finanzielle Ausfallhilfen durch das Krankenhausentlastungs-           § 72 SGB V kann nur durch gesetzliche Vorgaben in Verbin-
gesetz erhalten werden. Zu diesem Zeitpunkt betrachteten              dung mit entsprechenden Verordnungen aufgehoben werden.

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Wie weit ist man mit der Einrichtung von Behandlungszentren             KZV auf Landesebene werden gegenüber der Politik und den
für Infizierte?                                                         Krankenkassen weiterhin vehement einfordern, dass die not-
Wir haben viele Gespräche geführt und im April schließlich              wendigen Mittel bereitgestellt werden, damit keine Praxis
die Zusagen von vier Kliniken allein bei uns im Land erhal-             aus wirtschaftlichen Gründen wegen der Corona-Pandemie
ten. Bundesweit sind nach derzeitigem Stand ganze 22 Not-               schließen muss.
fallkliniken beteiligt. In Sachsen-Anhalt kommen weitere drei
Schwerpunktpraxen hinzu, die ebenso die zahnärztliche Not-              Ein letztes Wort der Motivation?
fallversorgung (Nachblutung, Abszess und Kieferfraktur) von             Gerne! Sorgen um die eigene Gesundheit, um die Gesundheit
Patientinnen und Patienten, die sich mit SARS-CoV-2/COVID-19            von anderen Menschen, um die sozialen und wirtschaftlichen
infiziert haben und solchen, die unter häuslicher Quarantäne            Folgen der Krise prägen derzeit unseren Alltag. Trotzdem zei-
stehen, übernehmen. Am 9. April konnten wir unsere Mitglieder           gen unsere Mitglieder in der Krise anhaltenden Mut und Ein-
über die Verfahrensweise zur Vermittlung der Patientinnen und           satzbereitschaft. Ich möchte daher persönlich und auch im Na-
Patienten an die Kliniken und Schwerpunktpraxen informieren.            men des Vorstandes der KZV Danke sagen: den Zahnärztinnen
                                                                        und Zahnärzten, den zahnmedizinischen Personal und allen,
Glauben Sie, dass die zahnärztliche Versorgung geschwächt               die sie und uns unterstützen. Danke Ihnen, dass Sie sich in die-
aus der Krise hervorgeht?                                               ser außergewöhnlichen Situation professionell und besonnen
Um dies zu verhindern, bedarf es enormer Anstrengungen.                 in den Dienst der uns anvertrauten Menschen stellen. Ihrem En-
Viele Praxen könnten schon in wenigen Wochen von der In-                gagement und Ihrer Fachlichkeit ist es zu verdanken, dass die
solvenz bedroht sein und – ohne Unterstützung – dauerhaft               Menschen gut versorgt sind und sich in unseren Praxen sicher
aus der Versorgung verschwinden. Der Vorstand der KZV und               fühlen.
das Präsidium der Zahnärztekammer arbeiten nach besten
Kräften an den vielen Herausforderungen, die diese beson-               (Das Interview wurde am 15.4.2020 geführt und spiegelt den zu
dere Zeit mit sich bringt. Die KZBV auf Bundesebene und die             dieser Zeit herrschenden Sachstand wider, die Red.)

KZV FORDERT HÖHERE ABSICHERUNG VON EINNAHMEAUSFÄLLEN
In einem Brief an das Ministerium für Arbeit, Soziales und Integ-       werden sollen, beziehen nur circa die Hälfte der Einnahmen
ration des Landes Sachsen-Anhalt vom 16.04.2020 erklärt der             eines Zahnarztes ein. Nicht erfasst sind Leistungen im Bereich
Vorstand der KZV, die höhere Absicherung von Einnahmeaus-               Zahnersatz, Mehrkosten wie etwa Zuzahlungen der Patienten
fällen im Rettungsschirm für Zahnärzte sei unbedingt notwen-            für Füllungen und weitere Privatleistungen. Im Ergebnis werden
dig. Darin heißt es u. a.:                                              von dieser Hälfte nur 30 Prozent aller Einnahmeeinbußen durch
                                                                        Leistungsausfälle erstattet. Das bedeutet, dass die Zahnärzte
„Wir freuen uns sehr über die Ausweitung des Schutzschirms für          circa 85 Prozent der Corona-bedingten Einnahmeausfälle selbst
die Gesundheitsberufe, durch welche die Politik der sich massiv         tragen müssen. ... Die Praxen werden somit schlussendlich
verschlechternden wirtschaftlichen Situation der Zahnarztpra-           erhebliche Einbußen zu tragen haben, und für nicht wenige
xen in Deutschland Rechnung tragen möchte. Das Bundesge-                wird diese Belastung zu hoch sein. Es droht damit die existen-
sundheitsministerium unternimmt einen Schritt in die richtige           zielle Gefährdung eines systemrelevanten Bestandteils der
Richtung, der jedoch nicht ausreicht, um die wirtschaftliche            gesundheitlichen Versorgung vor allem in den ländlichen Teilen
Leistungsfähigkeit der Zahnarztpraxen langfristig sicherzustel-         unseres Landes.
len und Insolvenzen zu verhindern. Durch die einbrechenden
Patientenzahlen verschärft sich die Situation zunehmend. ... Wir        ... Zur langfristigen Erhaltung der Zahnarztpraxen ist eine
sehen, dass gerade die Zahnarztpraxen in den ländlichen und             Absicherung unbedingt notwendig, die mindestens 50 Prozent
strukturschwachen Regionen des Landes sowie kleine, kapi-               – statt wie aktuell angedacht 30 Prozent – des Ausfalls der
talschwache und neu gegründete Praxen mit ohnehin hoher                 zahnärztlichen Leistungsvergütung im Jahr 2020 abdeckt. ... Wir
Kreditbelastung zuerst von Insolvenzen betroffen sein werden.           bitten Sie, unser Anliegen aufzugreifen. Bitte helfen Sie, dass die
                                                                        notwendigen Mittel bereitgestellt werden, damit die Zahn-
Diese Regelung (der Schutzschirm, die Red.) sieht eine Absiche-         arztpraxen und ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht in
rung nur eines Bruchteils der bereits gegebenen und sich noch           existenzielle Not geraten!“
deutlich erhöhenden Einnahmeausfälle der Praxen vor.
Die 90 Prozent, die als Vorjahresvergütung zugrunde gelegt              Dr. Jochen Schmidt                          Dr. Bernd Hübenthal

                                                                       16
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