CORONA-PANDEMIE: PRAXEN AM LIMIT - Kassenzahnärztliche Vereinigung Sachsen-Anhalt
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W W W.ZAEK-SA .DE W W W.KZV-LSA .DE JAHRGANG 30 // APRIL 2020 04 / 2020 ZAHNÄRZTLICHE NACHRICHTEN S A C H S E N - A N H A LT THEMA S. 6 CORONA-PANDEMIE: PRAXEN AM LIMIT Auf den Spuren der Hanse: Elbtor in Zwischen Angst vor Ansteckung und Sorge um die Existenz Werben
ZAHN(KUL)TOUR DER ZAHNÄRZTEKAMMER SACHSEN-ANHALT Interdisziplinäre Gespräche Inspiriert von der reichen Kulturlandschaft Sachsen-Anhalts, soll der Dialog von Zahnärzten mit Künstlern, Wissenschaftlern und Politikern aus Sachsen-Anhalt initiiert werden: Mittwoch, 6. Mai 2020 in SCHIERKE Der Harz kam in den vergangenen Monaten kaum raus aus den Schlagzeilen: Waldbesitzer und Nationalpark streiten über die richtige Strategie gegen Borkenkäferplage und Waldsterben, Umweltschützer und Wirtschaftsförderer über eine Seilbahn und Wintersportmöglichkeiten in Schierke. Die Veranstaltungsreihe „Zahn(kul)tour“ (bislang „Dessauer Abend on tour“) macht deshalb am 6. Mai 2020 Station in Schierke. Zusammen mit Dr. Friedhart Knolle von der Verwal- tung des Nationalparkes Harz wird es eine einstündige Wanderung in und um Schierke geben, bevor die Gruppe zu Gespräch und Imbiss ins Schierker Restaurant & Café Winkler einkehrt. Wir freuen uns auf Sie! Zu Gast bei der Bitte per Mail (sage@zahnaerztekammer-sah.de), ZAHN(KUL)TOUR Fax (0391 73939-20) oder Post (PF 3951, 39014 Mag- deburg) bei der Zahnärztekammer Sachsen-Anhalt melden! DR. FRIEDHART KNOLLE – ANMELDUNG – Dr. Friedhart Knolle, 1955 in Goslar geboren, hat Geologie ZAHN(KUL)TOUR an der TU Clausthal studiert. DER ZAHNÄRZTEKAMMER SACHSEN-ANHALT Er arbeitete zunächst in der freien Wirtschaft und ehren- Wanderung und Gespräch mit amtlich für regionale Umwelt- Dr. Friedhart Knolle, verbände. Seit 1990 ist er in am 6. Mai 2020 ab 18 Uhr verschiedenen Funktionen an der Aufbauarbeit der Harzer Restaurant & Café Winkler, Nationalparks beteiligt, seit Brockenstr. 33, 38879 Wernigerode 2006 als Pressesprecher und Beauftragter für Marketing und 18 Uhr: Treff Parkhaus Am Winterbergtor Regionalentwicklung des fusio- 19.30 Uhr: Gespräch / Imbiss im Restaurant Winkler nierten Nationalparks Harz. Ich komme gerne! Name/Anschrift: Personenzahl: 2
INHALT ZN SACHSEN-ANHALT I AUSGABE 04 I April 2020 ZAHN(KUL)TOUR BÜCHERSCHRANK Gesprächsreihe macht Station im Harz .......................................S. 2 Kriegsende vor 75 Jahren: Auf den Spuren des Zahnarztes Dr. Hans Schäder .................................................S. 31 (PRÄ-)HISTORISCHES Neu entdecktes Fossil erlaubt Rückschlüsse MITTEILUNGEN DER auf Speiseplan von Flugsauriern .....................................................S. 4 ZAHNÄRZTEKAMMER SACHSEN-ANHALT Jubiläum: Martina Eckert ist 20 Jahre bei der ZÄK ............S. 39 EDITORIAL Jahresabschluss 2018 des Altersversorgungswerkes 160 Nanometer beherrschen die Welt der Zahnärztekammer Sachsen-Anhalt ...................................S. 40 von Dr. Carsten Hünecke ......................................................................S. 5 Aktuelle GOZ-Tipps ...............................................................................S. 44 CORONA-PANDEMIE MITTEILUNGEN DER Praxen am Limit – wie Zahnärzte in Sachsen-Anhalt KZV SACHSEN-ANHALT die Pandemie erleben .............................................................................S. 6 Einladung zum Tag der Offenen Tür bei der KZV ...............S. 45 Die Corona-Pandemie in der Chronologie .................................S. 6 Die Geschäftsstelle des Zulassungsausschusses Praxen am Limit – wie Zahnärzte in Sachsen-Anhalt informiert ...................................................................................................S. 46 die Pandemie erleben .............................................................................S. 6 Frühjahrs-Vertreterversammlung abgesagt ..........................S. 47 Zahlreiche Medienberichte und Reaktionen aus der Politik auf die Lage der Zahnärzte .............................S. 10 SACHSEN-ANHALT „Von der Entwicklung überrollt“ – KZV-Vorstand Zum Titelbild: Elbtor in Werben .....................................................S. 48 Dr. Jochen Schmidt im Interview ...................................................S. 14 Tipps der Universitätspoliklinik Zahnheilkunde MITTEILUNGEN DES zum Risikomanagement in Zeiten der Pandemie................S. 17 FVDZ SACHSEN-ANHALT Universitätspoliklinik Zahnheilkunde gibt Hinweise Außergewöhnliche Zeiten ................................................................S. 51 zur Aufbereitung von Schutzmasken ..........................................S. 20 Universitätspoliklinik Zahnheilkunde stellt vor: Welche Schutzmaske schützt wen und kann was? ..............................S. 33 Covid-19: Die Behandlung von Kindern in Zeiten der Pandemie ...........................................................................................S. 37 KOLLEGEN Zahnarzt Sebastian Abshagen und 101 Jahre Familienpraxis im altmärkischen Klötze ..................................S. 22 PD Dr. Sven Otto tritt MKG-Professur an der Hallenser Zahnklinik an .....................................................................S. 23 NACHRICHTEN UND BERICHTE Kabinett beschließt Patientendaten-Schutzgesetz ...........S. 24 FORTBILDUNGSINSTITUT DER ZAHNÄRZTEKAMMER Fortbildungsprogramm für Zahnärzte.......................................S. 25 Fortbildungsprogramm für Praxismitarbeiterinnen ..........S. 27 Auf den Spuren der Hanse: Elbtor in Werben. Titelbild: Fredi Fröschki 3
(PRÄ-)HISTORISCHES ZN SACHSEN-ANHALT I AUSGABE 04 I April 2020 ZAHNVERLUST BEI URZEITLICHER JAGD Fossil ermöglicht Rückschlüsse auf den Speiseplan von Flugsauriern Auf einzigartige Spuren einer urzeitlichen Jagd stießen un- längst deutsche und britische Forscher. Ein Team um den Paläontologen René Hoffmann, PostDoc an der Abteilung Se- diment-und Isotopengeologie der Ruhr-Universität Bochum, meint nachweisen zu können, dass ein vor 150 Millionen Jahren lebender Flugsaurier einen Tintenfisch erbeutete und dabei einen Zahn verlor. Der fossile Fund aus dem Solnhofe- Mögliche Jagdszene eines Flugsauriers über einer Lagune vor rund ner Plattenkalk der Fränkischen Alb ist ein Beleg dafür, dass 150 Millionen Jahren. Zeichnung: Uwe Seidenfaden Flugsaurier nicht nur Fische fraßen. Über ihre Entdeckung be- richteten die Wissenschaftler in der Zeitschrift „Scientific Re- ports“ (doi: 10.1038/s41598-020-57731-2). Tier- und Pflanzenreste im Solnhofener Plattenkalk haben in ein Urahne heutiger Tintenfische mit acht Armen. Damit zu- den vergangenen Jahrzehnten schon für so manche Überra- sammen war der Zahn einer anderen Tierart im Plattenkalk schung gesorgt. Aufgrund sehr guter Konservierungsbedin- eingeschlossen. Die Forscher fragten sich, ob der abgebro- gungen überdauerten sogar Weichgewebe, Schuppen und chene Zahn nach dem Tod des Tintenfischs nur zufällig mit Federn längst ausgestorbener Lebewesen. Als versteinerte in dessen „Grab“ am Meeresgrund gelangte, oder ob er schon Abdrücke blieben sie über 150 Millionen Jahre erhalten. Vor zu Lebzeiten im urzeitlichen Tintenfisch steckte. Auskunft 159 Jahren wurde im Solnhofener Plattenkalk das erste Ex- gaben Analysen unter UV-Licht. Dabei schien der phosphati- emplar des Urvogels Archaeopteryx entdeckt. Zu seinen Leb- sierte Weichkörper des Kopffüßers weiß und der Zahn steckte zeiten beherrschten Flugsaurier (Pterosaurier) den Luftraum. offensichtlich im Mantel des Kraken. Nach Untersuchungen Diese Tiere besaßen Flughäute, ähnlich wie die zu den Säu- des Paläontologen und Flugsaurier-Experten Jordan Bestwick getieren zählenden Fledermäuse und Flughunde. Zahnkiefer von der University of Leicester in Großbritannien stammte der und Mageninhalte zeigen, dass Pterosaurier zumeist Fische rund 19 Millimeter große Zahn, von dem nur die Krone zu se- verspeisten. Pflanzen- oder Früchte fressende Arten sind bis- hen ist, von einem Flugsaurier der Art Rhamphorhynchus mu- lang unbekannt. Die größten Tiere hatten Flügelspannweiten ensteri. Diese Art erreichte eine Flügelspannweite von etwa von etwa zehn Metern. Mit angewinkelten Flügeln an Land 1,8 Metern. Der verlorene Zahn war spitz und saß im mittleren kriechend waren diese Flugsaurier mindestens so imposant Bereich des Unterkiefers eines ausgewachsenen Tieres. wie heute lebende Giraffen. Aus ihren Untersuchungen schlussfolgern die Forscher auf Der Fund, den das Team um René Hoffmann genauer un- das Jagdverhalten. Sehr wahrscheinlich versuchte der Flug- tersuchte war deutlich kleiner. Es war auch kein kompletter saurier nicht, so wie ein Fischadler, die nahe der Wasserober- Saurier, sondern ein knapp 30 Zentimeter langer Kopffüßer, fläche schwimmende Beute mit den Krallen an den Füßen zu greifen. Stattdessen schnappte er mit seinen langen Schnabel danach. Bei so einem Angriff aus der Luft hatte Rhamphorhyn- chus wohl Pech. Der erbeutete Tintenfisch konnte sich wieder befreien und riss dabei einen Zahn ab. Wie lange der verletz- te Tintenfisch damit überlebte, ist unbekannt. Unbekannt ist auch, ob dem Flugsaurier – so wie Krokodilen und Haien – neue Fangzähne nachwachsen konnten. use 4
EDITORIAL ZN SACHSEN-ANHALT I AUSGABE 04 I April 2020 160 NANOMETER BEHERRSCHEN DIE WELT Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Coronavirus – eine ca. 160 Nanometer große Proteinstruktur – beherrscht die Welt. Und das voraussichtlich noch sehr lange. Denn Dr. Carsten Hünecke mit einem allgemeinen Impfstoff rechnen die Experten nicht vor Mitte oder Ende kommen- Strukturen einzubringen und die notwendigen Maßnahmen zu erarbeiten. Das alles haben wir gemacht. Auf der Strecke blieb den Jahres. So wird die derzeitige Strategie der engen Zeit geschuldet allerdings zu Beginn eine schnelle der maximalen Kontrolle des Infektionsge- und transparente Kommunikation zu Ihnen, die insbesondere schehens mit all ihren zum Teil massiven auf die drängenden Fragen eingeht, auch wenn keine befriedi- genden Antworten gegeben werden können. Angesichts der all- Einschränkungen in unterschiedlichen Aus- gemeinen Geschehnisse verlässliche Informationen zu geben, ist prägungen also den „Alltag des Jahres 2020“ bis heute kaum möglich. Denkt man nur an die permanenten Än- bestimmen. Das soll Zeit schaffen und eine derungen der zuvor in Stein gemeißelten Hygienevorgaben mit vor acht Wochen undenkbaren Handlungsempfehlungen. Man Überforderung des Gesundheitswesens aus- könnte den Glauben wirklich verlieren. schließen. Beides wird wohl fester politischer Wille bleiben. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich danke Ihnen allen deshalb für das große Engagement, mit Gerade einmal sechs Wochen ist es her, dass die COVID-19 In- dem Sie zum Wohle Ihrer Patientinnen und Patienten in den ver- fektion zur Pandemie erklärt wurde. Seit dieser Zeit drehen sich gangenen Wochen Ihre Praxen weitergeführt haben. Mit großem die Uhren gefühlt dreimal so schnell, verbunden mit einer noch Einsatz und zum Teil sehr pragmatischen Lösungen haben Sie nie erlebten Verunsicherung in der gesamten Gesellschaft. Sich gezeigt, dass auch die Zahnmedizin ihrer Verantwortung in ei- täglich überschlagende Meldungen, unterschiedlichste Exper- ner solchen Krisensituation gerecht wird. Das ist nicht selbstver- tenmeinungen zur Gefährlichkeit oder beinahe stündlich korri- ständlich und Ihre Leistungen werden seitens der Politik bisher gierte Risikoeinschätzungen verstärkten dieses Gefühl. Noch nie weiter unzureichend gewürdigt. Wenn reale 15 Prozent Praxis- wurde der gewohnte verbindliche persönliche Alltag so aus den einnahmen vom Bundesgesundheitsminister als „90 Prozent Ret- Angeln gehoben. Verständlich, dass auch bei Ihnen und Ihren tungsschirm“ der Öffentlichkeit präsentiert werden, ist das nicht Mitarbeitern viele Fragen, große Unsicherheit, Sorge oder gar akzeptabel. Hier muss nachgebessert werden! Willkommen im Verzweiflung massive Spuren hinterließen. Ihre Vielzahl von Re- standespolitischen Alltag! Rückkehr zum Alltag: Trotz Homeof- aktionen am Telefon, per Mail oder Brief mit Fragen, Forderun- fice, Kinderbetreuung und all der Einschränkungen halten Sie gen oder gar Beschimpfungen spiegeln dies wider. Der Wunsch eine zn in gewohnter Stärke in den Händen, die natürlich eine nach verbindlichen Vorgaben und Regeln ist in einer solchen Si- Art „Corona-Sonderausgabe“ ist. Vielen Dank allen Mitarbeitern, tuation ebenso verständlich wie die Erwartung von Fürsorge und Autoren und Ihnen, die Sie hier zu Wort kommen! Inzwischen Verantwortung durch die Standesvertreter. laufen die Planungen, wie wir auch all die anderen Arbeitsauf- gaben der Kammer mit Corona erfüllen können. „Die Welt wird Wir, und da beziehe ich den Vorstand der KZV ausdrücklich mit nach Corona eine andere sein“, äußerte der Bundespräsident. ein, haben dies von Anfang an wahr- und sehr ernst genommen Unser aller (Praxis-)Alltag wird vorerst noch lange mit dem Virus und Ihre berechtigten Sorgen ließen bzw. lassen weder den Kam- stattfinden. In diesem Sinne bleiben Sie gesund, mer- oder KZV-Vorstand noch die Mitarbeiter in den Geschäfts- stellen unberührt. Nirgendwo gab es für ein solches Szenario bis- her eine Blaupause, die man einfach aus dem Schreibtisch zieht. Das führt zu Fehlern, aber es erfordert vor allem Zeit, um die not- Dr. Carsten Hünecke wendigen Informationen zu beschaffen, sich in die zuständigen Präsident der Zahnärztekammer Sachsen-Anhalt 5
CORONA-PANDEMIE ZN SACHSEN-ANHALT I AUSGABE 04 I April 2020 Das Corona-Virus ist die wohl größte Herausforderung für Deutschland seit Ende des Zweiten Weltkrieges. Foto: Gerd Altmann / Pixabay PRAXEN rusfamilie Coronaviridae namens SARS-CoV-2 (severe acute respiratory syndrome coronavirus 2) hat sich weltweit ausge- AM LIMIT breitet. Die von ihm ausgelöste Viruserkrankung COVID-19 ist zu einer Pandemie mit mehr als 2,2 Millionen Infizierten und rund 152.000 Toten geworden (Quelle: WHO, Stand 20.04.2020). Besonders schwer betroffen sind die USA und Europa. Deutsch- Corona-Pandemie sorgt für Existenzängste land, wo das Virus Ende Januar erstmals nachgewiesen wurde und Angst vor Ansteckung (siehe auch Chronik unten und auf den folgenden Seiten) hat wie andere europäische Länder ab Mitte März mit einem Shut- Was vermutlich vor rund fünf Monaten auf einem Fischmarkt down große Teile des öffentlichen Lebens lahmgelegt. Kitas, in der Stadt Wuhan in der zentralchinesischen Provinz Hubei Schulen und Spielplätze sowie alle nicht lebensnotwendigen begann, hat mittlerweile große Teile des Globus in den Aus- Geschäfte sind vorerst geschlossen, um die Ausbreitung der nahmezustand versetzt: Ein neu entstandenes Virus der Vi- Infektionskrankheit, die in einem kleinen Teil der Fälle lebens- DIE CORONA-PANDEMIE IN DER CHRONOLOGIE (1) Dezember 2019: In der chinesischen und Meeresfrüchte in Wuhan vermutet. Tagen steigt die Zahl der Erkrankten in Stadt Wuhan tritt eine Häufung schwe- Wissenschaftler datieren den Ausbruch China deutlich an. rer Lungenentzündungen mit unklarer auf November, manche sogar auf Sep- Ursache auf. Am 31. Dezember infor- tember 2019 zurück. 13. Januar: Der erste Fall außerhalb miert China die Weltgesundheitsor- Chinas wird bekannt. Es handelt sich um ganisation (WHO) darüber. Bis zum 7. Januar 2020: Es steht fest, dass es sich eine 61-Jährige, die am 8. Januar von 3. Januar 2020 werden 44 Erkrankte um ein bis dahin unbekanntes Coro- Wuhan nach Bangkok (Thailand) reiste. gemeldet. Als primärer Infektionsort na-Virus handelt. Am 9. Januar verstirbt wird der Großhandelsmarkt für Fische der erste Erkrankte. In den folgenden 21. Januar: Der erste Infektionsfall ▶ 6
CORONA-PANDEMIE ZN SACHSEN-ANHALT I AUSGABE 04 I April 2020 MUNDSCHUTZ: SYLVIA HELKE PACKT DIE NÄHMASCHINE AUS „Wir waren von Anfang an der Meinung, wir arbeiten, so lange es geht. Durchhalten ist die Parole“, berichtet Praxismanagerin Sylvia Helke von der Praxis Dr. Andreas Helke in Magdeburg. Das heißt: Aufschiebbare Termine wurden verschoben, die Prophylaxe eingestellt, die Zahl der Patienten reduzierte sich etwa um die Hälfte. Dennoch: Wie in vielen anderen Zahnarzt- praxen schwanden die Vorräte an Schutzausrüstung rapide. Da wollte sie etwas tun, auch zum Stressabbau, erzählt Sylvia Helke – und erinnerte sich an die Nähmaschine, die zuletzt zum Einsatz kam, als sie ihrer mittlerweile erwachsenen Toch- ter ein Faschingskostum nähte. Übers Wochenende nähte sie gefährlich verläuft und die intensivmedizinischen Kapazitäten aus altem grünem OP-Tuch 40-mal Mundschutz. Der ist bei 95 einiger Länder überlastete, zu bremsen. Ein streng kontrollier- Grad waschbar und wird gebügelt – so kommt die Praxis, was tes Kontaktverbot soll Menschenansammlungen außerhalb das angeht, erstmal über die Runden. Für Sylvia Helke zeigt der eigenen Familie unterbinden. „Stay home“, war und ist für sich in der Krise, dass die Gesundheitsversorgung staatliche viele Menschen die Devise – nicht leicht in diesem Frühling, der Aufgabe ist und eben nicht renditeorientiert laufen sollte. „Das mit frühsommerlichem Wetter ins Freie ruft. Erste Erfolge der muss seitens der Politik nach der Krise dringend überdacht Maßnahmen sind sichtbar, die Kurve der Fall- und Todeszahlen werden – Geiz ist eben nicht geil!“ flacht erfreulicherweise deutlich ab. Bundes- und Landesregie- rung haben für die kommenden Wochen schrittweise Locke- rungen der Restriktionen in Aussicht gestellt, doch schon jetzt steht fest, dass viele Branchen und Unternehmen überaus hart vom Virus und seinen Begleiterscheinungen getroffen wurden – darunter auch die Selbstständigen und Freiberufler und damit die Zahnarztpraxen. Als Einrichtungen der öffentlichen Gesundheitsversorgung blieben die Zahnarztpraxen bislang während der gesamten Corona-Krise weiter geöffnet. Wie die gesamte Bevölkerung reagierten auch die Zahnärztinnen und Zahnärzte sowie ihre Teams sehr unterschiedlich auf die Krise – die einen blieben mit Blick auf die hohen Hygienestandards in der Praxis de- monstrativ gelassen, andere wurden von viral verteilten Me- dienbeiträgen über die Infektionsquelle Zahnarztpraxis und Praxismanagerin Sylvia Helke hat übers Wochenende selbst Mundschutz aus altem OP-Tuch genäht. Foto: privat außerhalb Asiens wird aus dem US-Bun- 2. Februar: Der erste Todesfall außer- hörden gemaßregelt wurde, stirbt selbst desstaat Washington gemeldet. halb Chinas wird auf den Philippinen an den Folgen einer Infektion. gemeldet, es handelt sich um einen 28. Januar: Erstmals wird auch in Chinesen aus Wuhan. 15. Februar: Frankreich meldet den Deutschland eine Infektion nachgewie- ersten Todesfall außerhalb Asiens, eine sen. Ein Mitarbeiter des Automobilzulie- 7. Februar: Der 33-jährige chinesische aus China eingereiste Person. ferers Webasto hatte sich in Stockdorf Arzt Li Wenliang, der schon früh die Ge- (Bayern) bei einer aus China angereisten fahren der neuen Erkrankung erkannte, 22. Februar: In Italien sterben die ersten Kollegin angesteckt. davor warnte und deshalb von den Be- zwei Europäer an COVID-19. ▶ 7
CORONA-PANDEMIE ZN SACHSEN-ANHALT I AUSGABE 04 I April 2020 COVID-19-Fälle in Sachsen-Anhalt (pro 100.000 Einwohner) > 20 bis 40 76 36 > 40 bis 60 > 60 bis 80 > 80 bis 100 > 100 61 35 43 75 97 33 118 36 26 118 Stand: 19.04.2020 56 (Quelle: LAV Sachsen-Anhalt) 37 den Sprechstundenbedarf voraussichtlich erforderlichen Ar- tikeln entstehen, als typische Praxiskosten mit den Gebühren abgegolten sind. Vorher konnten nach Auffassung der Landes- zahnärztekammern – vorbehaltlich der Ausnahmen nach § 10 Abs. 2 GOÄ, wie z. B. bei Kleinmaterialien – neben den Gebüh- ren als Auslagen berechnet werden „(...) die Kosten für dieje- die Gefahren, die womöglich in Aerosolen schlummern, stark nigen Arzneimittel, Verbandmittel und sonstigen Materialien, verunsichert. Während manche Praxen durch noch vorhandene die der Patient zur weiteren Verwendung behält oder die mit Lagerbestände oder frühzeitige Bestellungen noch genügend einer einmaligen Anwendung verbraucht sind (...)“. Von da an Schutzausrüstung für wochen- oder gar monatelangen Praxis- gingen viele Praxen zur On-demand-Bestellung für diese Ma- betrieb hatten, gingen bei anderen MNS-Masken, Handschuhe terialien über und schafften ihre Lager ab – was in Kombina- und Desinfektionsmittel schon nach wenigen Tagen zur Neige. tion mit der Verlagerung der Produktion nach Fernost in der Als Teil des Problems erwies sich hier wohl auch ein Urteil des aktuellen Situation zum Problem wurde. Bundesgerichtshofes aus dem Jahr 2004 (III ZR 264/03) zum Auslagenersatz für Materialkosten, wonach Lagerhaltungs- Die Corona-Krise zeigte schnell Auswirkungen auf die zahn- kosten, die dem Zahnarzt durch eine Bevorratung von den für ärztliche Versorgung in Deutschland. Einer aktuellen Umfra- DIE CORONA-PANDEMIE IN DER CHRONOLOGIE (2) 26. Februar: Die WHO vermeldet erst- Epidemie zur Pandemie hoch. Kindertagesstätten und Schulen bis ein- mals mehr Neuinfektionen außerhalb schließlich Ostermontag, 13. April. Am Chinas als innerhalb. 14. März: Mit 11.685 Infizierten und 966 23. März wird die Schließung bis zum Toten ist die Lombardei in Italien die am 19. April ausgeweitet. 10. März: Sachsen-Anhalt meldet als stärksten von der Pandemie betroffene letztes deutsches Bundesland die ersten Region in Europa. 21. März: In Sachsen-Anhalt gibt es den acht Erkrankungsfälle. ersten Todesfall in Zusammenhang 16. März: Alle deutschen Bundesländer mit COVID-19, es handelt sich um eine 11. März: Die WHO stuft die Corona- inklusive Sachsen-Anhalt schließen 80-jährige Frau, die in Halle stirbt. ▶ 8
CORONA-PANDEMIE ZN SACHSEN-ANHALT I AUSGABE 04 I April 2020 EINDÄMMUNG VON AEROSOLEN KINDERBETREUUNG: Aufgrund der veränderten Informationen des Robert-Koch-In- „MIT DER ANGST AM LIMIT“ stitutes zum Thema „Aerosole“ empfiehlt die Zahnärztekam- Was tun in der aktuellen Krise, wenn man ein kleines Kind mit mer Sachsen-Anhalt, die Entstehung von Aerosolen wirksam schwerer Behinderung hat, das betreut werden muss und in zu verhindern. Dabei steht eine wirksame Absaugtechnik im keinem Fall krank werden darf? Vor dieser Frage steht seit Vordergrund. Ferner sollte berücksichtigt werden: der Schließung aller Betreuungseinrichtungen am 16. März auch eine Zahnärztin aus Sachsen-Anhalt, die anonym bleiben a) die Verwendung von Ultraschallhandstücken, piezoelektri- möchte. „Mein Kind gehört zur Risikogruppe. Was passiert, schen Ultraschall- und Chirurgiegeräten zu vermeiden. wenn ich die Corona-Viren von der Arbeit mit nach Hause b) die Verwendung von Pulverstrahlgeräten (z.B. „Air-Flow“) bringe?“, fragt sie. Die Entscheidung, ihre Praxis zu schließen, zu vermeiden. fällt ihr angesichts der laufenden Kosten, der Verantwortung c) die Verwendung von Turbinen zu vermeiden. für das aufopferungsvoll weiterarbeitende Praxisteam und d) Antiseptische Mundspülungen können dazu beitragen, den abzuzahlenden Krediten für Praxis und ein behinderten- eine Infektionsübertragung zu minimieren. gerecht gebautes Eigenheim ebenso schwer. „Vergangene Wo- e) in Abhängigkeit von Art und Umfang der Exposition und che war ich mit der Angst am Limit“, berichtet die zweifache des Infektionsrisikos entsprechende Persönliche Schutzaus- Mutter. Vorerst geht sie weiter arbeiten. Ihr Kind wird von ihren rüstung konsequent und ordnungsgemäß zu tragen. Die zu- Eltern betreut, obwohl diese selbst zur Risikogruppe gehören. sätzliche Verwendung von Visieren/Schutzschilden bei der Jeden Tag nach der Arbeit fährt sie dorthin bzw. wird be- zahnärztlichen Behandlung kann die Sicherheit weiter erhö- sucht. Ihr Kind, das dringend auch körperliche Nähe braucht, hen. verstehe am allerwenigsten, warum es die Mama nur so sehen kann. Es sei ein Drahtseilakt, sagt die junge Zahnärztin. „Wenn Weiterhin sollte jede Form der Behandlung von Risikogrup- meinem Kind oder meinen Eltern etwas passiert, wen soll ich pen (Senioren, multimorbide Patienten, immunsupprimierte dann verantwortlich machen? Da bleibe nur ich.“ oder immunreduzierte Patienten oder anders einschlägig ge- sundheitlich vorgeschädigte Patienten) auf ein absolut not- wendiges Maß reduziert werden, besonders um Kontakte im Wartezimmer oder in der Praxis zu vermeiden. ist die Leistung der Kollegen in Sachsen-Anhalt, wo trotz der Angst vor einer möglichen Ansteckung mit dem Virus, rapide ge, die der Nürnberger Marktforscher Exevia in Kooperation schwindender Schutzausrüstung und der zu gewährleistenden mit dem Warenwirtschaftssystem Wawibox in der 13. Kalen- Kinderbetreuung nur rund jede zehnte Praxis der KZV meldete, derwoche durchgeführt hat, zufolge beabsichtigten rund die dass sie ihr Leistungsspektrum einschränken musste – ein enor- Hälfte aller niedergelassenen Zahnärzte, ihre Praxis zumin- mer Kraftakt für die Zahnärzte und ihre Praxisteams. In einzel- dest teilweise zu schließen. Knapp 30 Prozent der Zahnarzt- nen Gebieten des Landes wurde die Belastung für die Praxen praxen hatten demnach bereits ganz (6 %) oder teilweise (23 sogar noch größer, etwa durch vorgeschriebenes Screening %) den Betrieb eingestellt. Nur ein knappes Viertel der Nie- und Temperaturmessungen in Halle (Saale) oder durch die dergelassenen bekundete, den Praxisbetrieb weiterhin auf Einrichtung einer Sperrzone in Jessen im Landkreis Witten- gleichem Niveau fortführen zu wollen. Umso eindrucksvoller berg ab Ende März (siehe auch Bericht S. 13). 23. März: Ein bundesweites Versamm- aufgrund von Kita- und Schulschließun- gen der Pandemie für Krankenhäuser, lungsverbot gilt. Restaurants und Be- gen bzw. Rückkehr aus Risikogebieten. Ärzte und Psychotherapeuten abfedern triebe für die Körperpflege wie Friseur- Die Zahl der bestätigten Infektionen im soll – Zahnärzte sind außen vor. salons schließen. Land ist auf 400 Fälle gestiegen, teilt das Sozialministerium mit. 26. März: Die Jessener Ortsteile Jessen 24. März: Drei Zahnarztpraxen in Sach- und Schweinitz im Landkreis Wittenberg sen-Anhalt sind aufgrund angeordneter 25. März: Im Eilverfahren wird vom Bund stehen unter Quarantäne, nachdem Quarantäne-Maßnahmen als geschlos- ein Krankenhausentlastungsgesetz ver- die Zahl der COVID-19-Fälle dort stark sen gemeldet, dazu weitere zwölf abschiedet, der die wirtschaftlichen Fol- gestiegen war. 7 ZAP sind betroffen. ▶ 9
CORONA-PANDEMIE ZN SACHSEN-ANHALT I AUSGABE 04 I April 2020 MEDIEN BERICHTEN ÜBER LAGE DER ZAHNÄRZTE Magdeburger Volksstimme und Mitteldeutsche Zeitung sowie MDR machten mehrmals mit Beiträgen und Artikeln auf die schwierige Lage der Zahnärzteschaft in Sachsen-Anhalt aufmerksam. Weil Schutz- und Desinfekti- onsmittel fehlten, hätten einzelne Praxen bereits schließen müssen, berichteten die Redaktionen und sprachen mit Praxen vor Ort. Die Berichterstattung sorgte auch für landes- und bundespolitische Reaktionen: Der gesundheitspolitische Spre- cher der AfD-Fraktion im Landtag von Sachsen-Anhalt, Ulrich Siegmund, forderte mit Bezug auf den Artikel die Landesregierung auf, die Zahnärzte mit Schutzausrüstung zu unterstützen. Auf bundespolitischer Ebene gab es ebenfalls Rückendeckung für die Zahnärzteschaft: MdB Christine Aschenberg-Dugnus (FDP) forderte ebenso wie Kirsten Kappert-Gonther (Grüne) finanzielle Hilfen für betroffene Praxen. Die Bundestagsabgeordneten Kappert-Gonther und Detlev Spangenberg (AfD) forderten Schutzausrüstungen. Ohne sei die Arbeit nicht verantwort- bar, so Spangenberg. DIE CORONA-PANDEMIE IN DER CHRONOLOGIE (3) 29. März: Halle (Saale) verfügt, dass die kenhaus-Investitionen für 2020 bereits Auslandsaufenthalt stattfand und kein Mitarbeiter aller (Zahnarzt-)Praxen in der im April aus, um den 47 Kliniken im Land Kontakt zu positiv getesteten Personen Stadt eine tägliche Temperaturkontrolle bei der Bewältigung der Corona-Krise stattfand, um die vulnerable Gruppe durchführen müssen. Die Zahl der labor- zu helfen und die Liquidität sicherzu- der Pflegebedürftigen und das Perso- diagnostisch bestätigten COVID-19-Fälle stellen. Pflegebedürftige sollen bei nal zu schützen. Das Land registriert in Sachsen-Anhalt liegt bei 592. Rückkehr aus dem Krankenhaus oder 806 Infizierte, davon acht Sterbefälle. Neuaufnahme in eine Pflegeeinrich- Es handelt sich in allen Fällen um über 1. April: Das Land Sachsen-Anhalt zahlt tung bestätigt bekommen, dass keine 75-jährige Personen mit Vorerkrankun- die pauschalen Fördermittel für Kran- Krankheitsanzeichen vorliegen, kein gen. ▶ 10
CORONA-PANDEMIE ZN SACHSEN-ANHALT I AUSGABE 04 I April 2020 Die Krise ging natürlich auch an Verwaltung und Vorständen von Zahnärztekammer und Kassenzahnärztlicher Vereini- „ES KANN NICHT SEIN, DASS WIR gung nicht vorbei. Während die Mitarbeiter der Verwaltun- ALS KANONENFUTTER VERHEIZT gen teils auf Homeoffice umstellten und die Kinderbetreuung absichern mussten, glühten die Telefonleitungen mit Anrufen WERDEN!“ Hilfe suchender Praxen. Die Vorstandsmitglieder beider Kör- „Die Newsletter (von ZÄK und KZV, die Red.) geben uns zwar perschaften arbeiteten wochenlang vor allem auch an den Informationen, schützen uns aber nicht. Wir als Zahnärzte beiden Hauptproblemen – Beschaffung von Schutzausrüs- gehören zu den exponiertesten Berufsgruppen, wenn eine tung und finanzieller Unterstützung durch die unterschied- Frau Grimm-Benne meint, Zahnärzte seien wie auch ambu- lichsten Programme des Bundes und der Länder. Eine Reihe lant tätige Ärzte für die Beschaffung von Schutzausrüstung von Kolleginnen und Kollegen in Sachsen-Anhalt und anderen selbst zuständig, dann bekräftigt diese Aussage die schon Bundesländern forderte die Körperschaften auf, Praxisschlie- beim Besuch der Ameosklinik Haldensleben bewiesene kom- ßungen oder das „Herunterfahren“ auf eine Notdienstversor- plette Inkompetenz dieser hochbezahlten Person. Ich fordere gung anzuordnen. Doch weder die Zahnärztekammer noch die ZÄK und die KZV auf, endlich an die Politik heranzutreten die KZV dürfen Praxisschließungen oder Einschränkungen und für uns Zahnärzte und unsere Praxisteams (natürlich der Behandlung im Pandemiefall selbstständig anordnen. Zur auch für die Ärzte und Praxisteams) einen Corona-Test in Schonung der Reserven an Schutzausrüstung und zum Selbst- regelmäßigen Abständen auch ohne vorliegende Symptome schutz verlegten deshalb viele Praxen aufschiebbare Kon- zu erwirken. Es kann nicht sein, dass wir von Seiten der ZÄK troll- und Behandlungstermine bzw. Patienten blieben von und KZV aufgefordert werden, die Sprechstundenzeiten in sich aus fern, was wiederum zu einer spürbaren Umsatzmin- gewohnter Weise offenzuhalten, aber gleichzeitig als Kano- derung für die Praxen führte. Dass sich diese Entwicklung nenfutter verheizt zu werden!“ auf das Einkaufsverhalten der Zahnarztpraxen auswirkt, er- schließt sich quasi von selbst. Mit der rückläufigen Anzahl an // Dr. Ronald Graßhoff, Gommern Behandlungen ging ein nachlassender Bedarf an Verbrauchs- materialien einher, wodurch wiederum die Umsätze in der Dentalindustrie um zirka die Hälfte einbrachen. Zahnärzte und damit der mehr als 360.000 Beschäftigten in Gleichzeitig fiel die Zahnärzteschaft, hinter Krankenhäusern diesem Sektor aufmerksam (siehe S. 10). Schließlich reagierte und Allgemeinmedizin von Politik und Aufsichtsbehörden als die Politik – bislang nur mit einem „Schutzschirmchen“. Weite- nachrangig angesehen, in der Wahrnehmung der Verantwort- re Hilfe kam durch die PKV, wodurch gestiegene Hygienekos- lichen hinten runter, bis dahin, dass sie in den Informations- ten extra in der GOZ abrechenbar sind. ketten der Pandemiestäbe anfangs außen vor blieb. Auch im Krankenhausentlastungsgesetz, das als Rettungsschirm für Die Krise offenbarte aber auch Improvisationstalent und Soli- die im Rahmen der Pandemie entstehenden Kosten im Ge- darität der Kollegen und Beschäftigten sowie nicht zuletzt der sundheitswesen dienen soll, blieben die Zahnärzte unberück- Bevölkerung untereinander: Patienten brachten Sachspenden sichtigt. Die zahnärztlichen Körperschaften starteten deshalb vorbei, Praxen halfen sich gegenseitig mit Ausrüstung, Apo- auf Bundes- und Landesebene eine Offensive in der Öffent- theker im Land mischten mit Alkohol, der von lokalen Bren- lichkeitsarbeit. Medien machten auf die schwierige Lage der nereien zur Verfügung gestellt wurde, wieder selbst Desin- 3. April: Bislang haben 153 Zahnarztpra- 6. April: Für die Zahnärzte in Jessen und 8. April: BMG und KZBV gelingt es, für xen aus Sachsen-Anhalt der KZV eine An- Schweinitz gab es am Montagabend die bundesweit 170 zahnärztlichen passung ihrer Öffnungszeiten und Leis- eine positive Botschaft: Die Sperrung Schwerpunktpraxen in den Ländern die tungen mitgeteilt. Das Spektrum reicht des Quarantänegebietes wurde aufge- bis dato fehlende Schutzausrüstung für von einer Reduzierung der Sprechstun- hoben. Am Wochenende zuvor wurden unaufschiebbare zahnärztliche Notfall- den über die ausschließliche Behandlung außerdem gemeinsam mit dem Land- behandlungen von Patientinnen und von Notfällen bis zu vorrübergehenden kreis aus dessen Beständen FFP-2-Mas- Patienten zu beschaffen und bereitzu- durch Quarantäne und Schutzmittelman- ken für die Zahnärzte in Jessen und die stellen, die von einer Infektion mit dem gel bedingten Schließungen. Notdienstpraxen verteilt. Coronavirus (SARS-CoV2) betroffen ▶ 11
CORONA-PANDEMIE ZN SACHSEN-ANHALT I AUSGABE 04 I April 2020 fektionsmittel. Die Produktion von Schutzausrüstung vor Ort wurde ebenfalls wieder hochgefahren, ja teils selbst genäht. Die Kassenzahnärztliche Vereinigung Sachsen-Anhalt richtete schließlich eine zahnmedizinische Notfallversorgung für Pati- enten, die unter Quarantäne stehen oder mit dem Coronavirus infiziert sind, an den Standorten Universitätszahnklinik Halle (Magdeburger Str.), Städtisches Klinikum Dessau, Medizinische Fakultät Magdeburg sowie Ameosklinikum Halberstadt ein. Über die KZBV konnte die KZV Schutzausrüstung für die Not- versorgung beschaffen. Nach wochenlangen Recherchen und Kontaktaufnahmen, die anfangs von vollkommen überzogenen Preisvorstellungen, fünfstelligen Forderungen für Vorauszah- lungen oder nicht nachprüfbaren Qualitätsstandards der Pro- dukte geprägt waren, gelang es der Zahnärztekammer schließ- lich Anfang April, MNS-Masken sowie KN-95-Schutzmasken aus China zu organisieren und diese über die Kreisstellen zum Selbstkostenpreis an die Kollegen weiterzureichen. 15. April 2020: Halles Kreisstellenvorsitzender Thorsten Töpel holt Gleichzeitig relativierte sich das anfangs als erheblich einge- bei ZÄK-Mitarbeiterin Astrid Bierwirth KN-95-Masken für seine schätzte Behandlungsrisiko spürbar. Erfahrungen der Zahnkli- Kollegen ab. Foto: Andreas Stein niken im chinesischen Wuhan zeigten, dass dort zwei Monate lang (Dezember 2019 und Januar 2020) ohne Kenntnis der Co- rona-Problemlage 120.000 Patienten unter normalen Bedin- gungen (Aerosol, einfacher Mundschutz) behandelt wurden lungnahme unter den Titel: „Coronavirus-Pandemie – Die Kri- – sich aber „nur“ weniger als 10 von 1.098 Teammitarbeitern se nachhaltig überwinden“ vor. Darin schlug sie Maßnahmen mit dem Corona-Virus infizierten (davon drei im häuslichen vor, die eine schrittweise Rückkehr in das gesellschaftliche Bereich). Demgegenüber stehen tausende Patienten, die sich Leben ermöglichen, ohne die Überlastung des Gesundheits- im allgemeinmedizinischen Bereich infiziert haben, besonders wesens durch exponentiell steigende Neuerkrankungen zu betroffen waren HNO und Ophthalmologie. Die chinesischen riskieren. Unter anderem schlugen die Forscher eine allge- Zahnärzte führten die äußerst geringe Infektionsrate im zahn- meine Maskenpflicht in der Öffentlichkeit als wirksames Ins- ärztlichen Bereich auf die konsequente Umsetzung der klas- trument zur Eindämmung der Infektionsausbreitung vor. Mitte sischen Schutzmaßnahmen zurück. Vor diesem Hintergrund April lockerten Bund und Land die Zügel in Sachen Corona-Vi- seien die zahnärztlichen Teams nicht die gefährdetste Gruppe rus langsam wieder. Die Rückkehr zur Normalität, wenn es und schon gar nicht „Hotspots“ oder „Superspreader“, wie häu- denn eine geben wird, wird jedoch noch sehr lange dauern. fig behauptet wird. Die Corona-Pandemie wird die Zahnärzteschaft also auch in Am Ostermontag legte die Nationale Akademie der Wissen- den kommenden Wochen und Monaten begleiten – und die schaften Leopoldina in Halle (Saale) ihre dritte ad hoc-Stel- Kassenzahnärztliche Vereinigung und die Zahnärztekam- DIE CORONA-PANDEMIE IN DER CHRONOLOGIE (4) sind oder bei denen ein Verdacht hierfür 11. April: Das Bundesgesundheitsmi- 12. April: Die Zahl der bestätigten Coro- besteht. nisterium will per Verordnung den na-Infektionen in Sachsen-Anhalt ist auf Schutzschirm auf die Zahnärzteschaft 1.195 Fälle gestiegen, wie das Sozial- 8. April: In der ZÄK Sachsen-Anhalt tref- erweitern. Praxen sollen zur Sicherung ministerium mitteilt. Die meisten davon fen 10.000 Mund-Nasen-Schutzmasken der Liquidität zunächst 90 Prozent der verzeichnet Halle (Saale) mit 258 Fällen. ein, die vorfinanziert wurden und zum Vergütung aus 2019 erhalten. 30 Prozent 24 Menschen sind bislang verstorben. Selbstkostenpreis an die Praxen abge- der zu viel gezahlten Summe sollen sie geben werden. Über 170 Praxen hatten am Jahresende behalten können. Das sei 14. April: Kammergeschäftsführerin entsprechenden Bedarf angemeldet. zu wenig, kritisiert die Standespolitik. Christina Glaser holt aus Kiel mit ▶ 12
CORONA-PANDEMIE ZN SACHSEN-ANHALT I AUSGABE 04 I April 2020 IN QUARANTÄNE: „WIR STEHEN AUF VERLORENEM POSTEN“ Zwei Orte im Landkreis Wittenberg, die Jessener Ortsteile Jessen und Schweinitz, waren ganz besonders schlimm von der Corona-Krise betroffen. Nachdem Urlauber das Virus aus Österreich mitgebracht hatten und mehr als 40 Perso- nen erkrankten, darunter auch viele in einem Pflegeheim, verhängte der Landkreis eine zweiwöchige Quarantäne über die Orte. Die Zufahrtsstraßen waren durch Polizei und Feuerwehr gesperrt, keiner kam raus, rein durften nur Anwohner, die sich ausweisen können. 8.000 Einwohner waren davon betroffen, auch Zahn- arzt Dennis Weiner und fünf weitere Praxen mit ihren Teams. „Wir stehen auf verlorenem Posten und fühlen uns von Kammer und KZV im Stich gelassen“, berichtete Dennis Weiner. Der Grund: Die Praxen müssen trotz der Quarantä- ne und der vielen COVID-19-Fälle weiter arbeiten und den Versorgungsauftrag Dennis erfüllen, doch Patienten gibt es kaum Weiner noch. Die Kosten laufen weiter. „Wir Praxen im Quarantänegebiet haben einen Notbereitschaftsplan ausgearbeitet, um das Risiko für unsere Teams und uns zu minimieren“, so der Zahnarzt. Doch mer Sachsen-Anhalt stehen dabei nach allen Kräften an der die Angst bleibe, zumal es an Schutzausrüstung mangele. Seite der Praxen im Land. Die Bundeszahnärztekammer hat Der Landkreis habe jeder Praxis nur eine Corona-taugliche eine Umfrage zu den Auswirkungen der Pandemie gestartet Schutzmaske zugeteilt, zum Glück hätten Patienten FFP-3- (https://www.bzaek.de/berufsausuebung/sars-cov-2covid-19/ Masken gespendet. „Wir wünschen uns eine Regelung, die umfrage.html), und auch die zn werden in einem Barometer uns im Quarantänegebiet vom Versorgungsauftrag befreit. in Kürze nach den Auswirkungen auf die Praxen fragen. Um Dann würde auch eine Praxisausfallversicherung greifen. rege Teilnahme wird gebeten. Sonst geht das an die Existenz“, sagt Dennis Weiner, der ge- rade für den ländlichen Raum ein Praxissterben infolge der (Bitte beachten Sie: Dieser Beitrag wurde mit Redaktionsschluss Corona-Krise befürchtet. Am 6. April wurde die Quarantäne 20. April 2020 verfasst. Inzwischen eventuell aufgetretene neue glücklicherweise wieder aufgehoben und FFP-2-Masken aus Entwicklungen konnten nicht mehr berücksichtigt werden.) Beständen des Landkreises an die ZAP verteilt worden. einem Transporter ein Großkontin- beschlossen. Schulen öffnen schrittwei- fläche unter Auflagen öffnen. Zugleich gent KN-95-Schutzmasken ab, das die se, der Einzelhandel ebenfalls. Zusätz- sollen Kontaktbeschränkungen bis Kammer auf dem freien Markt erwerben lich zu Lebens- und Futtermittelhan- einschließlich 3. Mai bestehen bleiben. konnte. Die Kreisstellenvorsitzenden del, Wochenmärkten, Lieferdiensten, verteilen die Masken zum Selbstkosten- Apotheken, Tankstellen, Banken und 19. April: Die Zahl der bestätigten Co- preis unter interessierten Kollegen. Sparkassen, Poststellen, und Großhan- rona-Infektionen in Sachsen-Anhalt ist delseinrichtungen können jetzt der auf 1.371 Fälle gestiegen. Der Pande- 16. April: Sachsen-Anhalt hat erste Lo- Kfz-Handel und darüber hinaus Laden- miestab zählt 30 in Zusammenhang mit ckerungen der Corona-Beschränkungen geschäfte mit bis zu 800 m² Verkaufs- dem Virus Verstorbene. 13
CORONA-PANDEMIE ZN SACHSEN-ANHALT I AUSGABE 04 I April 2020 „VON DER ENTWICKLUNG ÜBERROLLT“ KZV-Vorstandsvorsitzender Dr. Jochen Schmidt bezieht Stellung zur Corona-Pandemie Herr Dr. Schmidt, vor der Krise hieß es: Das deutsche Gesund- heitssystem ist eines der besten der Welt. Würden Sie diese Aussage heute noch mittragen? Grundsätzlich ja. Jedoch hat die Corona-Pandemie die Institu- tionen unserer Gesundheitsversorgung in einen Zustand kata- pultiert, der dieses Selbstverständnis ein Stück weit erschüt- tert. Das deutsche Gesundheitssystem ist nach wie vor eines der besten der Welt. Das beweist das anhaltend hohe Niveau Dr. Jochen Schmidt aus Dessau ist seit 2017 Vorstandsvositzender der medizinischen und zahnmedizinischen Versorgung trotz der Kassenzahnärztlichen Vereinigung Sachsen-Anhalt. Foto: Archiv der krisenbedingt starken Belastung der Leistungserbringer und trotz der eher behäbigen Reaktion der Politik. Das System biegt sich, aber es bricht nicht, wie anderswo zu beobachten Auch die Zahnärzte wurden von den Entwicklungen überrollt. ist. Von heute auf morgen ließ das RKI verlauten, dass die Ge- fährdung für die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland Können Sie das bitte erläutern? insgesamt als hoch, für Risikogruppen sogar als sehr hoch Die Lage wurde falsch eingeschätzt und es wurde viel zu eingeschätzt wird. SARS-CoV-2 mutierte in der Politik und spät reagiert. Bundesgesundheitsminister Spahn sagte noch den Medien schlagartig von einem harmlosen Schnupfen zu Ende Februar, dass wir vor Herausforderungen stehen, die einer tödlichen Gefahr. Damit war auch die Zahnärzteschaft vergleichbar sind mit den jährlichen Grippewellen. Da waren alarmiert. Zwar sind die Hygienestandards in unseren Pra- die Verläufe in China und Italien in ihrer Dramatik bereits be- xen generell so hoch, dass Patientinnen und Patienten sowie kannt. Die Gelassenheit des BMG war daher nicht angebracht. das zahnmedizinische Personal und wir Zahnärztinnen und Sicher hätte man die bevorstehenden Entwicklungen zu die- Zahnärzte gut vor infektiösen Krankheiten wie einer Grippe, sem Zeitpunkt schon nicht mehr abwenden, aber vielleicht offener TBC, resistenten Keimen, HIV usw. geschützt sind, einige Probleme, mit denen wir heute konfrontiert sind, noch dennoch war die Verunsicherung groß. Dazu kamen ernsthaf- in gewissem Maße abfedern können. Das Virus war in Europa te finanzielle Sorgen, weil klar war, dass die Anzahl der Pati- angekommen und es zeichnete sich ab, dass eine globale Aus- entinnen und Patienten drastisch zurückgehen wird. Unsere breitung nicht mehr aufzuhalten ist. Die ganze Welt versuchte Zahnarztpraxen sind größtenteils Kleinbetriebe, bei denen über Nacht händeringend, den eigenen Bestand an Schutz- die Einnahmen von der Leistungserbringung abhängen. Wenn ausrüstung und Atemgeräten zu erhöhen. Auch die Vorräte in die Patientinnen und Patienten aus Angst vor einer möglichen Deutschland waren an vielen Stellen viel zu gering. Nach ak- Ansteckung Behandlungstermine absagen, versiegt die einzi- tueller Einschätzung der Lage werden allein in den nächsten ge Einnahmequelle, die Fixkosten, also die Ausgaben für das Wochen voraussichtlich bis zu 500 Millionen Schutzmasken Personal, Miete etc. bleiben jedoch. Damit wird die Krise mit- bei uns benötigt. Bekommen wird man sie nicht annähernd tel- bis langfristig für viele zum existenziellen Risiko. in dieser Stückzahl. Ich denke, man hätte zumindest diesen Materialmangel mit etwas mehr Weitblick und Ernsthaftigkeit Hat die KZV Sachsen-Anhalt versucht, selbst Schutzausrüs- des BMG bei der Analyse der Risiken von möglichen Pandemi- tung zu besorgen und zu verteilen wie andere KZVen? en in Deutschland verhindern können. Ja, wir haben von Anfang an versucht, seriöse Produzenten ausfindig zu machen, die schnell liefern können. Das erwies Wie stellt sich die Situation bei den Zahnärzten dar? sich genau wie in allen anderen KZV-Bereichen leider als aus- Nicht anders als in den Krankenhäusern und den Arztpraxen. sichtlos. Auf Bundesebene haben sich die KZBV und die BZÄK 14
CORONA-PANDEMIE ZN SACHSEN-ANHALT I AUSGABE 04 I April 2020 bezüglich der Herausforderungen bei der Beschaffung von wir es daher als folgerichtig, eine Anpassung der Abschlags- Handschuhen, MNS und Desinfektionsmittel frühzeitig an das zahlungen durch die KZV vorzunehmen, damit die Praxen zu BMG gewandt und um Unterstützung gebeten. Darauf folgte einem späteren Zeitpunkt nicht noch zusätzlich mit Rückfor- eine Anordnung des Bundeswirtschaftsministeriums, wonach derungen belastet werden. Im Kabinettsbeschluss zum CO- der Export von medizinischer Schutzausrüstung (Atemmas- VID-19-Krankenhausentlastungsgesetz blieb die Zahnärzte- ken, Handschuhe, Schutzanzüge etc.) in das Ausland verbo- schaft aber unberücksichtigt. Das Versprechen der Kanzlerin ten wurde. Die Ministerien verkündeten zudem, die Beschaf- zu einem umfassenden Schutzschirm wurde nicht eingelöst. fung nun zentral zu übernehmen und bei der Verteilung auch Vor diesem Hintergrund sahen einige Praxen in der Anpas- Zahnarztpraxen zu berücksichtigen. Im guten Glauben haben sung der Abschlagszahlungen durch die KZV natürlich nicht einige KZVen daher Bestellungen ihrer Mitglieder gesammelt. mehr eine Entlastung. Wir versicherten unseren Mitgliedern Viele Zahnärztinnen und Zahnärzte wandten sich mit Hilferu- daher, dass wir alles Erdenkliche tun werden, auch in der Kri- fen an die KZV Sachsen-Anhalt und fühlten sich allein gelas- senzeit die Abschlagszahlungen auf dem Niveau vor der Krise sen, als sie erfahren mussten, dass momentan niemand – auch leisten zu können. Der KZBV-Vorstand wollte in Gespräche nicht ihre Standes- und Interessenvertretung – abhelfen kann. mit dem GKV-Spitzenverband eintreten, um einen bundesein- heitlichen Weg zu eröffnen, über den man dann einen finan- Erhielt die KZV nicht Material vom Landesministerium? ziellen Schutzschirm auf der Länderebene vereinbaren kann. Ja, dank des Ministeriums für Arbeit, Soziales und Integration Die Kassen stehen hier mit in der Verantwortung, die Versor- des Landes Sachsen-Anhalt erhielt die KZV Anfang April zur gungslandschaft über die Krise hinaus einigermaßen intakt zu Weiterreichung ein Kontingent an Handschuhen und Schutz- halten. masken. Diese Materialien waren mengenmäßig gerademal ausreichend für die Schwerpunktpraxen im Land, die an der Jetzt kommen die Zahnärzte doch noch unter den Schutz- zahnärztlichen Versorgung von infizierten oder unter Qua- schirm. Wird das ausreichen? rantäne stehenden Patientinnen und Patienten beteiligt sind. Das haben wir vor allem dem Wirken der KZBV zu verdanken. Mit welchen Maßnahmen hat die KZV noch auf die Coro- Sie hat gegenüber dem BMG nicht lockergelassen und immer na-Krise reagiert? Zunächst haben wir einen Krisenstab ein- wieder betont, dass der Einnahmeausfall viele Zahnarztpra- gerichtet, der die Maßnahmen zur Unterstützung der Zahn- xen in die Knie zwingen wird. Wie Gesundheitsminister Spahn arztpraxen und zum Schutz unserer Mitarbeiterinnen und mitteilte, werden die Zahnärzte zur Liquiditätssicherung nun Mitarbeiter am Verwaltungssitz festgelegt hat. Es war uns 90 Prozent der Vergütung aus dem letzten Jahr bezahlt be- wichtig, die Arbeitsfähigkeit der KZV zu erhalten, um auch in kommen. Am Ende des Jahres können sie 30 Prozent der zu der Krisenzeit die fristgerechten Zahlungsläufe an die Zahn- viel gezahlten Summe behalten. Die technische Umsetzung ärzteschaft gewährleisten zu können. Als Vorstand haben hierzu ist uns Stand heute noch nicht bekannt, aber auch für wir uns mit unserer Zahnärztekammer über die Lage und das die neuen Praxen wird es eine Absicherung geben. Das wird weitere Vorgehen abgestimmt. Bei der KZV haben wir eine die Existenzrisiken meiner Meinung nach erst einmal abfe- Telefonhotline und eine spezielle E-Mail-Adresse, corona@ dern, die langfristige wirtschaftliche Gefährdung der Praxen kzv-lsa.de, eingerichtet. Auf unserer Internetseite wurde eine bleibt aber bestehen (siehe auch Brief ans MS, S. 16, die Red.). eigene Informationsseite mit Empfehlungen zum Umgang mit dem Corona-Virus erstellt und eine Plattform „Zahnärzte hel- Der KZV wurde vorgeworfen, nicht konsequent Praxisschlie- fen Zahnärzten“ eingerichtet, auf der unsere Zahnarztpraxen ßungen anzuordnen. Zogen Sie dies in Betracht? Angebote oder Suchanfragen zu Praxiseinrichtungen und Ma- Wir erhielten hierzu tatsächlich viele Anfragen über unsere terialien als Kleinanzeigen veröffentlichen können. Unser Be- Hotline. Dabei sind die Interessenlagen der einzelnen Pra- streben war und ist vor allem, unseren Mitgliedern unkompli- xen diametral. Einige Kolleginnen und Kollegen forderten mit ziert aktuelle und belastbare Informationen bereitzustellen. Blick auf die Sicherheit der Patienten und der Praxisteams von Gleichzeitig versenden wir möglichst tagesaktuell wichtige der KZV eine Anordnung zur Aufhebung des Versorgungsauf- Informationen als Rundmail an die Praxen. trags. Andere Kolleginnen und Kollegen wiederum befürch- teten, dass sie ihre Praxen schließen müssen und damit über Und hinsichtlich der wirtschaftlichen Bedrohung der Praxen? längere Zeit keine Einnahmen mehr haben. Verschärft zeigte Von Seiten der Bundesregierung hieß es schnell, dass es ei- sich die Problematik bei den Kolleginnen und Kollegen im nen Schutzschirm geben wird, der die wirtschaftlichen Fol- zeitweise unter Quarantäne gestellten Gebiet Jessen/Schwei- gen der Pandemie für Gesundheitseinrichtungen abfedern nitz. Auch wenn wir beide Standpunkte verstehen, sind uns soll. Wir durften davon ausgehen, dass auch Zahnarztpraxen hier die Hände gebunden. Der Sicherstellungsauftrag gemäß finanzielle Ausfallhilfen durch das Krankenhausentlastungs- § 72 SGB V kann nur durch gesetzliche Vorgaben in Verbin- gesetz erhalten werden. Zu diesem Zeitpunkt betrachteten dung mit entsprechenden Verordnungen aufgehoben werden. 15
CORONA-PANDEMIE ZN SACHSEN-ANHALT I AUSGABE 04 I April 2020 Wie weit ist man mit der Einrichtung von Behandlungszentren KZV auf Landesebene werden gegenüber der Politik und den für Infizierte? Krankenkassen weiterhin vehement einfordern, dass die not- Wir haben viele Gespräche geführt und im April schließlich wendigen Mittel bereitgestellt werden, damit keine Praxis die Zusagen von vier Kliniken allein bei uns im Land erhal- aus wirtschaftlichen Gründen wegen der Corona-Pandemie ten. Bundesweit sind nach derzeitigem Stand ganze 22 Not- schließen muss. fallkliniken beteiligt. In Sachsen-Anhalt kommen weitere drei Schwerpunktpraxen hinzu, die ebenso die zahnärztliche Not- Ein letztes Wort der Motivation? fallversorgung (Nachblutung, Abszess und Kieferfraktur) von Gerne! Sorgen um die eigene Gesundheit, um die Gesundheit Patientinnen und Patienten, die sich mit SARS-CoV-2/COVID-19 von anderen Menschen, um die sozialen und wirtschaftlichen infiziert haben und solchen, die unter häuslicher Quarantäne Folgen der Krise prägen derzeit unseren Alltag. Trotzdem zei- stehen, übernehmen. Am 9. April konnten wir unsere Mitglieder gen unsere Mitglieder in der Krise anhaltenden Mut und Ein- über die Verfahrensweise zur Vermittlung der Patientinnen und satzbereitschaft. Ich möchte daher persönlich und auch im Na- Patienten an die Kliniken und Schwerpunktpraxen informieren. men des Vorstandes der KZV Danke sagen: den Zahnärztinnen und Zahnärzten, den zahnmedizinischen Personal und allen, Glauben Sie, dass die zahnärztliche Versorgung geschwächt die sie und uns unterstützen. Danke Ihnen, dass Sie sich in die- aus der Krise hervorgeht? ser außergewöhnlichen Situation professionell und besonnen Um dies zu verhindern, bedarf es enormer Anstrengungen. in den Dienst der uns anvertrauten Menschen stellen. Ihrem En- Viele Praxen könnten schon in wenigen Wochen von der In- gagement und Ihrer Fachlichkeit ist es zu verdanken, dass die solvenz bedroht sein und – ohne Unterstützung – dauerhaft Menschen gut versorgt sind und sich in unseren Praxen sicher aus der Versorgung verschwinden. Der Vorstand der KZV und fühlen. das Präsidium der Zahnärztekammer arbeiten nach besten Kräften an den vielen Herausforderungen, die diese beson- (Das Interview wurde am 15.4.2020 geführt und spiegelt den zu dere Zeit mit sich bringt. Die KZBV auf Bundesebene und die dieser Zeit herrschenden Sachstand wider, die Red.) KZV FORDERT HÖHERE ABSICHERUNG VON EINNAHMEAUSFÄLLEN In einem Brief an das Ministerium für Arbeit, Soziales und Integ- werden sollen, beziehen nur circa die Hälfte der Einnahmen ration des Landes Sachsen-Anhalt vom 16.04.2020 erklärt der eines Zahnarztes ein. Nicht erfasst sind Leistungen im Bereich Vorstand der KZV, die höhere Absicherung von Einnahmeaus- Zahnersatz, Mehrkosten wie etwa Zuzahlungen der Patienten fällen im Rettungsschirm für Zahnärzte sei unbedingt notwen- für Füllungen und weitere Privatleistungen. Im Ergebnis werden dig. Darin heißt es u. a.: von dieser Hälfte nur 30 Prozent aller Einnahmeeinbußen durch Leistungsausfälle erstattet. Das bedeutet, dass die Zahnärzte „Wir freuen uns sehr über die Ausweitung des Schutzschirms für circa 85 Prozent der Corona-bedingten Einnahmeausfälle selbst die Gesundheitsberufe, durch welche die Politik der sich massiv tragen müssen. ... Die Praxen werden somit schlussendlich verschlechternden wirtschaftlichen Situation der Zahnarztpra- erhebliche Einbußen zu tragen haben, und für nicht wenige xen in Deutschland Rechnung tragen möchte. Das Bundesge- wird diese Belastung zu hoch sein. Es droht damit die existen- sundheitsministerium unternimmt einen Schritt in die richtige zielle Gefährdung eines systemrelevanten Bestandteils der Richtung, der jedoch nicht ausreicht, um die wirtschaftliche gesundheitlichen Versorgung vor allem in den ländlichen Teilen Leistungsfähigkeit der Zahnarztpraxen langfristig sicherzustel- unseres Landes. len und Insolvenzen zu verhindern. Durch die einbrechenden Patientenzahlen verschärft sich die Situation zunehmend. ... Wir ... Zur langfristigen Erhaltung der Zahnarztpraxen ist eine sehen, dass gerade die Zahnarztpraxen in den ländlichen und Absicherung unbedingt notwendig, die mindestens 50 Prozent strukturschwachen Regionen des Landes sowie kleine, kapi- – statt wie aktuell angedacht 30 Prozent – des Ausfalls der talschwache und neu gegründete Praxen mit ohnehin hoher zahnärztlichen Leistungsvergütung im Jahr 2020 abdeckt. ... Wir Kreditbelastung zuerst von Insolvenzen betroffen sein werden. bitten Sie, unser Anliegen aufzugreifen. Bitte helfen Sie, dass die notwendigen Mittel bereitgestellt werden, damit die Zahn- Diese Regelung (der Schutzschirm, die Red.) sieht eine Absiche- arztpraxen und ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht in rung nur eines Bruchteils der bereits gegebenen und sich noch existenzielle Not geraten!“ deutlich erhöhenden Einnahmeausfälle der Praxen vor. Die 90 Prozent, die als Vorjahresvergütung zugrunde gelegt Dr. Jochen Schmidt Dr. Bernd Hübenthal 16
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