Neues Wohnen in der Stadt - Innovativer Wohnungsbau in München - muenchen.de
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Neues Wohnen in der Stadt Impressum Herausgeberin: Bildnachweis: Landeshauptstadt München Agropolis: Seite 18o / Allmann Sattler Wappner: Seite 62o / Referat für Stadtplanung und Bauordnung Andreas Gröne: Seite 64 / ASTOC GmbH: Seite 42 / Blumenstraße 31 Auböck+Kárász: Seite 40 / Alberto Avellina: Seite 28 / 80331 München Elmar Bambach: Seite 66 / Leonie Baumeister: Seite www.muenchen.de 15, 23, 34, 35, 47, 63o, 65o, 67o / Edward Beierle: Titel, Seite 18u, 20, 25u, 38, 62u, 70 / Bettsteller & Wilde: Inhalt und Redaktion: Seite 37 / Bitmanagement Software GmbH: Seite 63u / Renate Bindl, Wolf Opitsch EurobodenGmbH: Seite 59 / FauenWohnen e.G.: Seite 43o / Kai Gettner: Seite 25o / GEWOFAG: Seite 44 / Jatsch Beratung: Laux Architekten mit ver.de Landschaftsarchitektur: Seite Anna-Maria Hogeback 9 / Kaufmann Lichtbau Architekten: Seite 65 / Kulturreferat: Seite 10 / Léon Wohlhage Wernik: Seite 30 / Stephan Lucas: Konzept und Gestaltung: Seite 41r / Jens Masmann: Seite 12, 48, 49 / Meck Archi- Nicolette Baumeister, Katrin Weimann tekten: 46o / MGS: Seite 69 / Stefan Müller-Naumann: Seite Büro Baumeister - Architektur Medien Kommunikation 46u, 50, 54, 55 / Referat für Stadtplanung und Bauordnung: Karlstraße 55 Seite 16ol, 60, 75 / Christine Schaum: Seite 43u / Ingrid 80333 München Scheffler: Seite 8 / Margherita Spiluttini, Marc Räder und www.buero-baumeister.de ARTEC Architekten: Seite 41 l / Markus Traub: Seite 57 / Roland Weegen: Seite 45o / West 8 urban: Seite 11 / Druck: Hermann Wittekopf: Seite 43m Weber Offset GmbH Ehrenbreitsteiner Straße 42 Auf separate Bildzuordnung, deren Urheber auf den jewei- 80993 München ligen Projektenseiten in der grünen Box genannt sind, wurde aufgrund von Doppelnennung an dieser Stelle verzichtet. Die Broschüre wurde auf dem Papier RecySatin gedruckt. Das Papier besteht mindestens zu 80% aus Sekundärfasern Trotz intensiver und gewissenhafter Recherche ist es uns und zu 20% aus holzfreien Primärfasern. Es ist mit dem nicht gelungen, den Urheber für das Bildrecht des Fotos auf FSC-Mix Recycling zertifiziert. der Seite 26 zu ermitteln. Wir bitten um Verständnis. 1. Auflage München, Januar 2012 2
Neues Wohnen in der Stadt 4 Neues Wohnen in der Stadt - Oberbürgermeister Christian Ude 6 Lebensraum Stadt - Prof. Dr.(I) Elisabeth Merk 12 Innovative Architektur – Mehr als eine Idee 14 Innovation statt Pragmatismus 16 Urbane Qualität - Wettbewerb in Freiham 18 Picknick in Freiham - Die Wiederentdeckung des Erntens im urbanen Alltag 19 Investition in die Zukunft - Wettbewerb Olympisches Dorf und Mediendorf München 2018 20 Planungsverfahren – Das Abwägungsdilemma 22 Transparenz schaffen, Energien freisetzen 24 Neues Stadtquartier im Münchner Nord-Osten - Wettbewerb Prinz-Eugen-Kaserne 25 Gelungener Mix - Wohnquartier am Hirschgarten 26 Zwischen Stadt und Heidelandschaft - Wohnquartier Nordhaide 28 Vom Ausstellungspark zum urbanen Stadtquartier - Wohnen, Dienstleistung, Kultur und Freizeit auf der Theresienhöhe 30 Ökologische Nachhaltigkeit – Zieh Dich warm an... 32 Innovativer, nachhaltiger Wohnungsbau in München 34 Alle profitieren - Solare Nahwärme am Ackermannbogen 36 Solarenergetisch optimiert - Wettbewerb Hochäckerstraße 37 Hohe Standards - Energetisch bauen und sanieren in der Pariser Straße 38 Soziale Nachhaltigkeit – Die Mischung macht´s 40 Erweiterte Freiräume, Chancen für soziale Nachhaltigkeit 42 Familienfreundlich und generationsübergreifend - Die Messestadt Riem 44 Generationenmix mit Zukunft - Quartiersentwicklung Piusplatz 46 Individualität und Dichte - Lothringer Straße 48 Wohnen in der „Wir-Form“ - Genossenschaftliche Wohnanlage Renatastraße 50 Wirtschaftliche Tragfähigkeit – Money, Money, Money – Rendite ist Alles! 52 Eine neue Kultur der städtischen Dichte 53 Innovativer Wohnungsbau zwischen „Return on Invest“ und Stadtrendite 54 Wohnen mit Weitblick - Das dritte Sternhochhaus 56 Familiengerechtes Wohnen in Schwabing - Wettbewerb Isoldenstraße 57 Umweltbewusst urban - Stadthaus in der Ismaninger Straße 58 Leben in urbaner Natur - Städtebaulicher und landschaftsplanerischer Wettbewerb Baumkirchner Straße 59 Vom Wert der zweiten Reihe - Rückgebäude Reichenbachstraße 60 Akteure der Wohnungswirtschaft – Tanker oder Schnellboot? 62 Mehr als die Norm 68 Blick in die Zukunft - Zentrale Herausforderungen 74 Kurzviten der Autorinnen und Autoren 75 Übersichtsplan Wohnungsbauprojekte in München 3
Neues Wohnen in der Stadt Liebe Münchnerinnen und Münchner, Neues Wohnen in der Stadt München schützt und schafft Wohnraum Der Titel mag bei vielen allein die Frage aufwerfen, wann In den letzten beiden Jahrzehnten haben wir alles daran- denn endlich neue Wohnungen fertig werden, um den gesetzt, um vorhandenen Wohnungsbestand zu schützen hohen Druck auf unseren Wohnungsmarkt etwas abzudämp- und um den Wohnungsneubau voranzutreiben. Die Stadt tut fen. Aber der Titel schaut darüber hinaus auch in die Zukunft. dies, soweit sie hier überhaupt Einfluss nehmen kann, mit Was erwarten wir zukünftig von neuen Wohnungen? hohem finanziellem Aufwand und unter Ausschöpfung aller rechtlichen Möglichkeiten. Im Ergebnis wurden in diesem Folgenden zentralen Herausforderungen gilt es zu begegnen: Zeitraum über 100.000 Wohnungen und davon 22.000 geför- derte Wohnungen für untere und mittlere Einkommens- Demografischer Wandel – gruppen neu gebaut. Dabei hat die „Sozialgerechte Boden- Wir werden alle weniger, älter und bunter nutzung“ eine bedeutende Rolle gespielt und die bewährte Angesichts des soziografischen Wandels geht es darum, in Münchner Mischung in allen neuen Stadtgebieten gefördert. den Quartieren bedarfsgerechte Wohnungen und Angebote für alle Bevölkerungsgruppen und Einkommensschichten zu Besonders stolz sind wir auf unsere beiden städtischen schaffen und zu erhalten. Wohnungsunternehmen GEWOFAG und GWG. Sie tragen erheblich zum Schutz vieler Münchner Mieterinnen und Klimawandel – Mieter vor Verdrängung und teuren Mieten bei. Entgegen Wieviel Klimaschutz können Städte leisten? dem viel gelobten Trend hat München seine kommunalen Ziel sollte sein, hinsichtlich der Energieeinsparung im Ge Wohnungsbestände nicht veräußert, sondern beständig bäudebereich mehr zu tun, als die gesetzlichen Regelungen durch Zukäufe, Übertragungen und Neubau aufgestockt. verlangen. Energieeinsparung beginnt bereits bei städtebau- lichen Planungen. In der Gebäudeplanung ist der Energie In den nächsten Jahren werden wir noch große, neue bedarf zu senken und die Energieversorgung ressourcen- Wohngebiete entwickeln, wie zum Beispiel in Freiham, wo sparend und umweltgerecht bereitzustellen. Wohnungen für bis zu 20.000 Menschen gebaut werden. Aber: Das Schaffen von neuen Wohnungen hat räumliche Innerdeutsche Migration Grenzen und scheint auf längere Sicht einer Quadratur In Deutschland stehen wenige Wachstumsregionen großen des Kreises gleichzukommen. Wir müssen deswegen Bereichen mit Stagnation und Schrumpfung gegenüber. kreative Lösungen finden und Spielräume ausloten. Eine Diese „Gewinnerregionen“ haben aufgrund ihrer regional höhere Dichte im Wohnungsbau ist einer der Wege, den wir beschränkten Probleme bundespolitisch zu wenig Gewicht, beschreiten sollten. um beispielsweise Steueranreize und neue Fördermodelle als Antwort auf den Wohnungsmangel durchzusetzen. Neues Wohnen in der Stadt, das heißt für mich: Wohnraum schaffen und gleichzeitig das Wohnen in der Soziale Polarisierung – Die Schere zwischen Arm Stadt neu zu denken. und Reich öffnet sich weiter Während durch die zunehmende Internationalisierung in Ihr Wachstumsbereichen der Wirtschaft die Gehälter steigen, rücken immer größere Bevölkerungsgruppen näher an die Armutsgrenze. Der gerade für diese Bevölkerungsgruppen dringend benötigte Sozialwohnungsbestand nimmt durch den Ablauf von Belegungsbindungen rapide ab. Der stei- Christian Ude genden Nachfrage nach Sozialwohnungen muss mit einem ausreichenden und bezahlbaren Angebot begegnet werden. Soziale Fragen dürften daher nicht hinter ökologischen oder ästhetischen Forderungen zurückstehen. 4
Neues Wohnen in der Stadt Dear Residents of Munich, New urban living social housing must be met with an adequate and affordable The title may give rise to the question as to when new supply of accommodation. Social issues should therefore apartments might finally be available to relieve the immense not take a back seat to ecological and aesthetical aspects. pressure on the housing market. However, the title is also intended to focus on the time beyond that of the present Munich protects and creates housing situation. What are our expectations with regard to new In the last two decades, the city government has done its accommodation? utmost to protect the existing housing stock and encourage the development of new housing. The city will continue The overall aim is to meet the following challenges: trying to achieve this, so long as there is an opportunity to do so, despite the considerable expense and occasional Demographic change – legal obstacles. The result is that more than 100,000 apart- Fewer, older and more diverse ments have been built with 22,000 of these government- With regard to social and demographic change, the aim is funded for lower and middle income levels. The initiative to provide and maintain accommodation with a range of “Social and Fair Development of Real Estate“ (Sozialge- activities and services for all population groups and income rechte Bodennutzung – SoBoN) has played a significant levels within the various districts. part in this process and has promoted the tried and tested “Munich Mix“ in all new city districts. Climate change – How much climate protection can cities provide? We are especially proud of our two municipal housing When it comes to energy saving measures in the building corporations GEWOFAG and GWG. They have contributed sector, the legal guidelines should represent the minimum significantly towards maintenance of affordable rents and requirement and the aim should be to achieve more. Urban prevention of eviction. In contrast to the much acclaimed planning is the first step towards saving energy. The energy trend, Munich has not sold its stock of communal housing, consumption of buildings must be reduced and the energy but has topped it up by purchasing, transferring or building supplied must be generated in a resource-saving and new apartments. environmentally-friendly way. We intend to develop further large and new housing estates Inner-German migration over the next years, like for example Freiham, where apart- In Germany, the number of growth regions is small when ments are being built to accommodate up to 20,000 per- compared to the many areas suffering from stagnation sons. However, the creation of new apartments has its spa- and decline. At federal level, looking at the big picture, the tial boundaries, and, in the long term, it may not be possible issues facing the few regions with growth momentum to square the circle. It is therefore necessary to find creative carry little weight. As a result, fiscal incentives, such as tax solutions and provide additional room to manoeuvre. Higher breaks or new funding schemes, which might help solve the density housing is one of the solutions we should pursue. housing shortage, are at the back of the queue. My vision of new urban living is: Social polarisation – Creating residential space while at the same time rethinking The growing gap between rich and poor the meaning of urban dwelling. While the salaries are rising for those working in companies experiencing growth due to increasing internationalisation, Sincerely, there are large sections of the population moving closer and closer towards the poverty line. However, it is precisely the stock of social housing, desperately needed for these less well-off population groups, which is declining due to the expi- ration of occupancy agreements. The increasing demand for Christian Ude 5
Lebensraum Stadt Prof. Dr.(I) Elisabeth Merk, Stadtbaurätin der Landeshauptstadt München Kommunen neue Konzepte für Wohnen in der Stadt auf. Dies verwundert zuerst angesichts der insgesamt rückläu- figen Zahlen in Deutschland. 2009 wurden gerade noch 159.000 Wohnungen in Deutschland gebaut, ein Rückgang um 73% im Vergleich zu den Hochzeiten in den 90er Jahren, wo 1995 mit 603.000 Wohneinheiten der Gipfel erreicht war. Grund dafür ist der überalterte Bestand der Wohnungs- gebäude, der heutigen Anforderungen nur teilweise zu genügen vermag. Der demografische Wandel wird sich zwar in der Quantität weiter auswirken, dennoch fehlen an vielen Stellen die richtigen Qualitäten in den Wohnangeboten. Die Bevölkerung wird älter und bunter, die Bewältigung des Klimawandels wird sich zu großen Teilen in den Städten und dort im Gebäudebestand entscheiden, die innerdeutschen Migrationprozesse wirken sich auf die Wachstumsregionen wie München besonders verschärfend aus und die soziale Integration bleibt eine zentrale Aufgabe, die gerade in den Wohnquartieren bewältigt werden muss. München steht nach wie vor im Wachstumstrend, die Stadt gehört zu den Gewinnern der Verlagerungsprozesse Wie wollen Menschen wohnen? und verzeichnet mittlerweile einen starken Nachfragedruck Über Wohnbedürfnisse ist viel geforscht und geschrieben auf allen Flächen im Stadtgebiet. Die erste große Phase des worden, Trendmagazine überraschen uns immer wieder aufs Flächenrecyclings ist in München weitgehend abgeschlos- Neue mit Ideen zum modernen Wohnen, sei es mit spekta- sen. Standen in den 90er Jahren plötzlich große Areale auf kulären Wohnungen in der dichten Struktur der Großstadt- Bahnbrachen zur Verfügung und wurden ehemalige Kaser- landschaften unter dem Slogan „Wo sie niemals wohnen nenflächen umgewandelt zu neuen attraktiven Wohnquar- wollten, aber glücklich werden“ oder mit einer Neuauflage tieren wie etwa am Ackermannbogen, so gibt es heute der klassischen Villa mit Blick in die Natur. Die Visionen vom kaum mehr leicht zu entwickelnde Grundstücke. Bis 2030 Wohnen der Zukunft sind geprägt von einer futuristischen ist im Wirtschaftsraum München ein Bedarf von 200.000 Formenwelt und einer zunehmend stärker werdenden Tech- Wohnungen prognostiziert. Um auch perspektivisch über nologisierung des Gebäudes. Intelligentes Haus heißt nun, das Jahr 2025 hinaus die im wohnungspolitischen Hand- was früher unter dem Begriff Haustechnik subsumiert war. lungsprogramm „Wohnen in München V“ festgelegten 7.000 Derzeit erforscht eine Architektin die Bewohnbarkeiten von Wohneinheiten jährlich zu schaffen, versucht das Referat für Raumstationen im All, neue Ideen des individuellen Woh- Stadtplanung und Bauordnung im Rahmen des Programms nens werden ständig generiert und gleichen sich doch auf „Langfristige Siedlungsentwicklung“ neue Wohnbaupoten- frappierende Weise. Dennoch stellen wir fest, die Wohn- ziale zu generieren. maschine des 20. Jahrhunderts ist, so modern sie einmal gedacht war, nun selbst Geschichte geworden. Das Grund- Neben der klassischen Wohnbautätigkeit in Neubauquartie- bedürfnis des Wohnens und die Wünsche der Menschen ren muss sich deshalb der Fokus auf die Weiterqualifizierung sind sich allen Stilen zum Trotz selber treu geblieben und der Bestandstrukturen richten. Die Umsetzung von energe- artikulieren sich, wie Gert Selle schreibt, am Konservativen: tischer Sanierung im Zusammenhang mit gezielten Pro- jekten, die zusätzlichen Wohnraum generieren, zu fördern, „Schauen wir uns in der gegenwärtigen Wohnwelt um, so könnte eine der Strategien sein, um das Motto der Per- stellen wir fest: Trotz des starken Modernisierungsdrucks, spektive München „kompakt-urban-grün“ fortzuschreiben. der auf dieser Industriegesellschaft lastet, geht das Wohnen Hier können Innovationsbausteine zum Tragen kommen: seinen gemächlichen Gang. Am äußeren Erscheinungsbild Aufstockungen gehen einher mit Dachgärten, die für die hat sich manches geändert, am inneren Bild des Wohnens Hausgemeinschaft gemeinsam nutzbar werden, es werden überrascht die Konstanz.“ (Gert Selle, in: Die eigenen vier Nachbarschaftseinrichtungen gefördert und die soziale Infra- Wände: Zur verborgenen Geschichte des Wohnens, Cover- struktur in den Quartieren verstärkt. text, Campus Verlag, Frankfurt New York,1993) Der Schlüssel zur Wohnzufriedenheit liegt nicht allein in den vier Wänden, sondern ebenso im direkten Wohnumfeld. Die Wie ist es also um die Verwirklichung unserer Aspekte von Sicherheit, Geborgenheit und Sich-heimisch- Wohnwünsche bestellt? fühlen beginnen in der direkten Nachbarschaft, hier entste- Wohnen ist seit Generationen erste Priorität der Münchner hen soziale Kontakte, hier beginnt die Integration in den Stadtentwicklungspolitik. Über längeren Zeitraum schien es Stadtvierteln und besteht die Chance, dass sich Identität ein rein süddeutsches Problem zu sein, weiterhin bezahl- aus gemeinsam gemachten Erfahrungen entwickelt. Die baren Wohnraum zu bauen, nun tauchen verstärkt in vielen Münchner Stadtentwicklungspolitik setzt seit langem 6
Neues Wohnen in der Stadt How do people want to live? Munich continues to be on a growth course, the city is Much has been written and researched on the subject among the winners in terms of popularity as a relocation of housing requirements; glossy magazines continue to destination and is facing a strong demand for accommoda- surprise us with new ideas for modern homes, no matter tion in all areas within the city region. The first large phase whether it’s about living in spectacular apartments in the of recycling derelict sites has more or less been completed dense urban environments of large cities under the slogan in Munich. Whereas large areas on derelict railway premises “Where you never wanted to live, but you will be happy” or suddenly became available in the 90s and former barracks a remake of the traditional villa surrounded by lush vegeta- were converted into new attractive residential estates, such tion. The visions of future housing are characterised by a as Ackermannbogen, hardly any easily accessible plots futuristic world of forms and an increasing technologisation remain today. The requirement for apartments in Munich’s of buildings, what we now call “intelligent house”, used economic zone, through until 2030, is estimated to be to be contained within the term “building services”. An 200,000. In order to meet the supply of 7,000 dwelling units architect is currently investigating the habitability of space per year beyond 2025, as set out in the “Living in Munich V” stations, new ideas for customised accommodation are scheme, the city’s Department for Urban Planning and Build- constantly being generated and they all tend to be strik- ing Regulations has initiated the long-term estate develop- ingly similar. Nevertheless, fact is that 20th century housing ment project “Langfristige Siedlungsentwicklung” to gener- blocks, like the Unité d’Habitation, no matter how modern ate concepts for new housing potential. they once appeared to be, have become a thing of the past. The basic needs with regard to housing and the preferences Alongside traditional residential building in new develop- of individuals have remained constant, despite introduction ment areas, it is necessary to focus on the upgrading of of new styles, and, as claimed by Gert Stelle, lean towards existing building stock. Promoting the implementation of the conservative. eco refurbishments together with projects specifically aimed at generating new dwellings could be one of the “If you take a look at contemporary housing, you’ll notice strategies to uphold the motto of the “Munich Perspec- that, despite the pressure weighing heavily on this indus- tive” urban planning concept of being “compact, urban and trial society to modernise buildings, habitation is moving at green”. This is where innovations are put into effect: further its usual leisurely pace. On the outside a few things have storeys are added to existing building stock while, at the changed, however, the consistency on the inside is aston- same time, roof gardens are made accessible for the house ishing.” (Gert Stelle in: Die eigenen vier Wände: Zur verbor- community, neighbourhood facilities are encouraged and genen Geschichte des Wohnens, cover text, Campus Verlag, the social infrastructure in the urban district is strengthened. Frankfurt New York, 1993) The key to residential happiness does not lie only within How might our wishes concerning the four walls of a home, but also in the immediate sur- a home come true? roundings. Aspects such as safety, security and comfort For generations, Munich’s urban development policy has are rooted in the direct neighbourhood, this is where first had housing as the first priority. For a long time, the problem contacts are made, where integration within the town dis- concerning the provision of affordable housing appeared to trict commences and the chance lies to take part in develop- be restricted to southern Germany. But new concepts for ing a common identity through joint experiences. Munich’s living in an urban environment are now emerging in many urban development policy has long relied successfully on communities. At first glance, this is surprising given the community centres, cultural and educational facilities within declining size of the population throughout Germany. Only the individual districts. Munich is a singles’ city, more than 159,000 apartments were built in Germany in 2009. This is 50% of all households are those of singles, and people a drop of 73% when compared to the glory days of the 90s from all over the world live here, from various backgrounds, which peaked with 603,000 new apartments in 1995. The different age groups as well as different financial means. reason is that the stock of residential buildings is outdated Alongside the objectives in terms of family policy, one of the and no longer always complies with today’s requirements. challenges is demographic change, which future housing Demographic change will continue to have an effect on the concepts must respond to. The city needs well functioning quantity of dwelling units, however, in many places, there and perfectly designed exterior space if further growth is is still a lack accommodation featuring the right quality. The to take place in inner city areas. Facilities within the district population is becoming older and more diverse, the cities, support neighbourhood cohesion and promote participa- specifically their building stock, will play a decisive role in tion in community activities. The housing policy programme coping with the problems of climate change, inner Ger- “Living in Munich V” therefore attaches great importance to man migration processes are having a considerable effect furthering new dwelling patterns that provide opportunities on growth regions like Munich and achievement of social for neighbourhood concepts. Projects initiated by housing integration continues to be a central issue, especially on associations and cooperative housing are an active contribu- residential estates. tion towards creating facilities to promote integration within the district and are a role model when it comes to multi- generation living concepts. 7
Neues Wohnen in der Stadt mit Erfolg auf die Sozialbürgerhäuser sowie Kultur- und Wohnen im Haushaltsbudget einer Familie den größten Bildungseinrichtungen in den Stadtquartieren. München ist Anteil ein. Wie können wir also trotz hoher Bodenpreise und Single-Hauptstadt, d.h. über 50% der Haushalte in München starkem Nachfragedruck möglichst große Spielräume für sind Single-Haushalte, hier leben quer durch alle Bevölke- bezahlbaren Wohnraum erreichen? rungsschichten unterschiedlichste Menschen jeden Alters und mit verschiedenen finanziellen Möglichkeiten. Neben Die Stadt München hat bewährte Instrumente wie die der gezielten Familienpolitik liegt hier eine der Herausforde- „Sozialgerechte Bodennutzung“ (SoBoN), welche zusam- rungen im demografischen Wandel, auf den die Wohnkon- men mit „Wohnen in München V“ die Basis bilden, um die zepte der Zukunft reagieren müssen. Die Stadt braucht einen Mitte der Gesellschaft auch in der Mitte der Stadt zu halten. gut funktionierenden und schön gestalteten öffentlichen Neben der Aktivierung von Baulandreserven und gestalte- Raum, wenn sie weiter nach innen wachsen soll. Angebote rischen Prinzipien der Nachverdichtung bleiben die recht- auf Quartiersebene unterstützen Nachbarschaften und lichen Instrumente unverzichtbar für eine ausgewogene fördern die Partizipation im Quartier. Das wohnungspolitische Wohnungsbaupolitik, die auf soziale Durchmischung und Programm „Wohnen in München V“ legt deshalb besonderen Nutzungsvielfalt setzt. Die Thesen aus der Veranstaltungs- Wert auf die Förderung von neuen Wohnmodellen, die den reihe zum innovativen Wohnungsbau wurden in „Wohnen Nachbarschaftskonzepten Raum geben. Projekte von Bau- in München V“ aufgegriffen und in Innovationsbausteine gemeinschaften und genossenschaftliches Wohnen leisten umgesetzt. einen aktiven Beitrag zu Integrationsangeboten im Quartier und haben eine Vorreiterrolle im Generationenwohnen. Deutlich wurde, dass es nicht ausschließlich darum geht, ständig neue Wohntypologien zu generieren. Die Heraus- Die Frage der richtigen Dichte ist allerdings auch eine Frage forderung liegt vielmehr darin, die Erkenntnisse aus bereits des richtigen Maßstabes und der Nutzungsdurchmischung realisierten Pilotprojekten in eine größere Dimension zu sowie der Funktionsdichte in den Quartieren. Urbanität heißt bringen. Dies gilt für die neuen Maßstäbe im ökologischen nicht, die Stadt einfach um drei Geschosse höher bauen, Wohnungsbau ebenso wie für die Wirtschaftlichkeit von sondern zusammen leben! Grundrisstypologien. Die Zukunft des Wohnens liegt also nicht in neuen Wohnmaschinen und immer mehr technolo- Wohnen hat für uns alle einen besonderen Stellenwert, gischen Wunderkammern, sondern in differenzierten Wohn- es betrifft sozusagen unsere wichtigste Grundausstattung konzepten und spezifischen Gestaltungsideen, die bewusst im Leben. In vielen Fällen in München nimmt der Posten die Nutzerbedürfnisse artikulieren und das Quartiersleben aktiv mit einbeziehen. Integrierte nachhaltige Wohnprojekte reagieren auf die bestehenden Strukturen und bringen neue Qualitäten in die existierende Stadt ein. Nachverdichtung kann so helfen, die sanierungsbedürftigen Strukturen weiterzuentwickeln und von der Bedrohung zur Chance für Stadtteile zu werden. Obwohl in München sicher mit am meisten in Deutschland gebaut wird, stellt der jährliche Neubau nur 1% der Bau- substanz dar und hier könnten mehr Spielräume für Experi- mente geschaffen werden. Das ist als Aufforderung an die Stadt selbst zu verstehen und „Wohnen in München V“ ver- sucht neue Wege aufzuzeigen, es ist aber ebenso als Appell an die Akteure in der Wohnungswirtschaft gerichtet. Die Stadt braucht starke und innovative Partner, die aus Ideen Häuser und daraus Stadt werden lassen. Es gibt bereits einige Projekte, die sich dieser Aufgabe aktiv stellen, wie das Projekt „Südseite“ auf den ehemaligen Siemensflächen, welches Wohntürme als Typologie neu interpretiert, oder das zukünftige Wohnquartier, das an der Hochäckerstraße entsteht und nachhaltiges Bauen nicht nur auf das einzelne Haus, sondern auf das ganze Quartier bezieht. Die Projekte der städtischen Wohnungsbaugesellschaften wie zum Bei- spiel am Piusplatz von der GEWOFAG oder in der Münchner Au von der GWG zeigen, wie energetische Lösungen mit neuen Grundrisskonzepten verbunden werden können. Energetische Modernisierung der Wohnanlage am Auer Mühlbach 8
Neues Wohnen in der Stadt Wohnquartier Hochäckerstraße Questions should not be limited to the perfect density, but the same way as it does to the economic efficiency of floor should also concern the correct scale, the ideal mixture of plan designs. The future of housing will therefore not be uses and the functional density in the individual districts. manifested in new estates, such as the Unité d’Habitation, Urban development does not simply mean the addition of and constantly new technological “chambers of wonder”, three extra storeys to a city, but living together in a com- but in clearly defined housing concepts and approaches on munity! design reflecting the needs of residents and life in the local community. A home plays an important role for each of us, one can say it pertains to our most basic need in life. In many cases, Integrated sustainable housing projects complement exist- this especially applies in Munich, the largest proportion of ing structures, but also introduce new qualities into the city. a family’s budget is for housing. Land prices are high and Infill developments have a positive influence on neighbour- the immense pressure to keep up with demand is daunt- ing structures in need of refurbishment and change them ing. How can we nevertheless create sufficient leeway for into opportunities for districts rather than threats. Although affordable housing? more construction work takes place in Munich than any- where else in Germany, new builds represent only 1% of the The city of Munich has got some tried and tested tools, building stock, it must be possible to create more scope for such as SoBoN (Social and Fair Development of Real experiments. This situation must be regarded as a challenge Estate), which together with the housing initiative “Living in for the city itself, and the initiative “Living in Munich V” Munich V” is aimed at keeping the mainstream of society does try to point out new ways in this respect, however, it in the main part of the city. Alongside the activation of is also a plea to the various players in the housing industry. land reserves and establishing creative principles for infill The city needs keen and innovative partners who are able development, legal tools continue to be indispensable for a to transform ideas into houses and houses into cities. There balanced housing policy, which demands a social mix and are already a few projects addressing this task, such as the a variety of uses. The conclusions reached in the series of project “Südseite” on former Siemens’ grounds, which inter- events for innovative residential building have been taken on prets the residential tower as a new typology, or the housing board in the scheme “Living in Munich V” and implemented estate, which is being developed on Hochäckerstraße and as components of innovation. does not only apply sustainable building strategies to single houses, but to the whole estate. The projects initiated by The aim is quite clearly not to constantly create new dwell- the municipal housing associations, such as “Am Piusplatz” ing patterns. The challenge is far more the larger scale use developed by GEWOFAG or “Am Lilienhof” developed by of experience gained from pilot projects already completed. GWG, reveal how energy-efficient solutions can be com- This applies to the new standards set for eco housing in bined with new floor plan designs. 9
Neues Wohnen in der Stadt Das Wohnen in der Stadt braucht deshalb Raum für Experimente! Wie wir künftig wohnen wollen, kann nicht von oben Zwei herausragende, spannende Projekte, die derzeit ent- verordnet werden. Die Bürgerschaft der Landeshauptstadt stehen und die auf innovative Partnerschaften angewiesen ist zugleich die Bauherrschaft, der sich die Stadtplanung sind, seien hier genannt: Freiham im Westen von München verpflichtet fühlt. Daher ist Partizipation enorm wichtig. als größte zusammenhängende städtebauliche Entwick- In München erfolgt diese auf hohem Niveau: im Rahmen lungsfläche und das Kreativquartier an der Dachauer Straße von Bürgerbeteiligungen, Veranstaltungen und Ausstel- als ein Experiment, Wohnen und kreatives Arbeiten in neuer lungen oder im Rahmen von Projekten des Bund-Länder- Form zusammenzubringen. Programms „Stadt- und Ortsteile mit besonderem Entwick- lungsbedarf - die soziale Stadt“. Dazu tragen Bürgerinnen In Freiham soll der romantische Städtebau des 21. Jahrhun- und Bürger, die Bezirksausschüsse vor Ort, die Fachgremien derts versucht werden, eine dichte urbane grüne Struktur, und Institutionen wie das „Münchner Forum“ bei. München die beides ermöglicht, großstädtische Versorgungsstruk- benötigt neben der fachlichen Diskussion auch eine kultu- turen und Lebensqualität mit der Wohnqualität der Garten- relle Auseinandersetzung über die Akzeptanz von Nachver- stadt zu versöhnen. Der städtebauliche Entwurf des Büros dichtungsmodellen, Stadtgestalt und Nachbarschaften. Die West 8 aus Rotterdam sieht ein Gesamtkonzept vor, in dem Veranstaltungsreihe zum innovativen Wohnungsbau und der öffentlicher Raum und grüne Freiräume zusammen mit Open Scale Wettbewerb lieferten Innovationsbausteine und den Wohnblöcken einen eigenständigen neuen städtebau- Ideen, die bewusst die jüngere Generation zu Wort kommen lichen Rahmen setzen, der viel Entwicklungsspielraum für ließen. Für die zukünftige Entwicklung von München bedarf Individualität und Nachbarschaften lässt. Unverzichtbar für es eines intensiven Diskurses über die Stadtbaukultur, die das Gelingen ist eine hohe Qualität in der Architektur und Stadt ist aufgerufen, diesen Dialog fortzusetzen. Urbanität Freiraumgestaltung. wird vielfach eingefordert, eine Stadtgesellschaft muss sie aber zulassen können! Das Kreativquartier an der Dachauer Straße tritt an mit dem Ziel, eine neue Mischung aus Wohnen, Kultur und Arbeit zu entwickeln, die keine Angst vor Überlagerungen und komplementärer Nutzung im öffentlichen Raum hat. Hier gilt es räumliche Nachbarschaften zu ermöglichen, die sich gegenseitig inspirieren und die ohne institutionelle Träger- schaften lebensfähig sind. Kreativquartier an der Dachauer Straße mit Jutier- und Tonnenhalle Innenraum Tonnenhalle 10
Neues Wohnen in der Stadt Wettbewerb Freiham: Zentraler Platz im Wohnquartier Urban living needs space for experiments! Our style of living cannot be determined in a top down way Two excellent and exciting projects, which are currently by planners and administrators. The state capital’s citizens being completed and result from innovative partnerships, are at the same time the clients whom the urban planning should be mentioned in this context: Freiham on the authorities have responsibility to serve. For this reason, western outskirts of Munich as the largest connected urban participation is extremely important. In Munich this is well development scheme and Dachauer Straße as an experi- understood: citizen involvement is secured through formal ment to study a newly combined form of living and working. participation processes, events and exhibitions, or within the scope of projects, such as “Soziale Stadt”. Citizens, The aim of the imaginative urban design for the 21st century regional committees, expert panels and institutions, such in Freiham is to meld a dense urban green environment, as “Münchener Forum”, are all involved, can interact and ensuring both large city amenities and high living standards, contribute. Alongside professional discussions, Munich is with the qualities of accommodation in a garden city. The in need of a cultural debate concerning the acceptance of urban design drawn up by the practice West 8 from Rotter- infill developments, urban design and neighbourhood com- dam is a concept in which public space, green exteriors and munities. The events that took place in the context of the residential blocks form a new self-contained urban area with innovative residential housing programme and the Open ample flexibility for individual expression, while at the same Scale competition provided input regarding the way forward time supporting neighbourhood cohesion. For the success in terms of innovation and, in particular, were instrumental of a project of this kind, high quality architecture and land- in allowing the younger generation to express its ideas. A scape design are indispensable. thorough debate concerning the city’s building culture is required for the future development of Munich, and the The creative design for the Dachauer Straße development community is called upon to continue this dialogue. Urban was initiated to provide a new mixture of accommodation, environments are in popular demand, but the city commu- culture, workshops and offices, with public space for all to nity holds the key to their future! enjoy and no concern about overlapping or complimentary use. The aim is to create neighbourhoods that are in har- mony and feed of each other without there being a need for institutional support or regulation. 11
Innovative Architektur Mehr als eine Idee
Innovativer Wohnungsbau ist die Übertragung neuer Ideen und gelungener Experimente im Bereich der Objekt- und Quartiersplanung in den Planungsalltag. Innovative residential building is the transformation of new ideas and successful experiments deriving from the planning of properties and estates into everyday designs.
Innovation statt Pragmatismus Prof. Hilde Léon, Léon Wohlhage Wernik, Berlin und Prof. Christopher Dell, Institut für Improvisationstechnologie, Berlin im Gespräch mit Nicolette Baumeister Nicolette Baumeister: Warum sind Christopher Dell: Absolut! Den Begriff Lage versetzen, ihre Raumproduktion Innovationen im Wohnungsbau so der Neutralität würde ich gerne überhaupt zu verstehen. schwer umsetzbar? aufgreifen und etwas anders fassen. Was Sie unter neutral verstehen, heißt, Hilde Léon: Insofern ist Neutralität Hilde Léon: Das größte Problem ist: Zu dass dieser Raum ein Maximum an natürlich zu vage. Es geht immer um Anfang wird die Innovation gefordert Nutzungen ermöglicht… Raum! Ein gutes Beispiel sind die und hinterher wird es dann pragma- Altbauten der Gründerzeit, da ist der tisch. Experimente im Wohnungsbau Hilde Léon: …und dabei gestalterisch wahre Luxus der Raum – die Größe kann man dann machen, wenn man schön ist! und Höhe, die Raumfolgen. Im Übrigen mit einem Bauherrn arbeitet, der seine akzeptiert man bei Altbauten merkwür- eigenen Vorstellungen mitbringt. Christopher Dell: Das setze ich voraus, dige Situationen, die jenseits des Kon- das ist die Domäne der Architektur. ventionellen zu kreativen Nutzungen Aber wenn man heute baut, dann hat Aber es ist nicht nur die Zurücknahme anreizen. man es auf einmal mit dem Vertrieb zu einer Ausformulierung von Form, tun und die sagen, wo es langgehen die diese Neutralität gewährleistet, Nicolette Baumeister: Aber das ist ja soll. Die Vorgabe ist dann: kein Risiko. sondern es ist auch eine noch inten- heute im Neubau unter wirtschaft- Es soll das gemacht werden, was der sivere Auseinandersetzung mit einer lichen Aspekten gar nicht mehr reali- Vertriebsberater auch konkret einschät- bestimmten Raumsituation, die nicht sierbar. zen kann – das ist meine Erfahrung! als neutral gesehen wird, auch nicht als Deshalb sind die Berater die schwie- innovativ – sondern als Re-Design, als Hilde Léon: Ja, aber wir versuchen als rigsten in dem Prozess, da sie ja nie Umgestaltung. Das Maximum der rela- Architekten immer einen gefühlten für sich selbst planen und auch am tionalen Anordnung einer bestimmten Luxus zu generieren und die Woh- Ende keine Verantwortung überneh- Raumsituation scannen – das können nung vom Wohngefühl her größer zu men. Man braucht starke Bauherren nur die Architekten. Es ist dann auch machen, als sie real ist. Also, dass man als Partner. vollkommen egal, ob man die Wände durch die Wohnung wandern kann, schräg macht oder nicht. dass es nicht nur einen Weg gibt, son- Christopher Dell: Pragmatismus gegen dern dass es einen Rundlauf gibt und Innovation – das kann heute eigentlich Hilde Léon: Als Architekt alleine man mehrere Möglichkeiten hat, sich auch nicht mehr klappen, denn es gibt macht man gar nichts! Man muss die in der Wohnung zu bewegen. Ein ganz ja heute kein eindeutiges Falsch und Aufgabe verstehen und dann Ideen wichtiger Faktor ist die Frage nach dem Richtig mehr. Das gilt zum Beispiel entwickeln, aber man muss den unspezifischen Raum – den man als dann, wenn in Berufung auf das Bauherrn auch überzeugen... Und das Wohngemeinschaft, als Familie oder ‚Richtige’ wie zum Beispiel den Markt, ist auch eine Chance! Denn wenn ein als Luxus-Singlewohnung nutzen kann. mit den immer gleichen Grundrissen Bauherr leidenschaftlich ist und Neues 2-Zimmer-Küche-Bad an eben diesem will, neben dem Maxim des wirtschaft- Christopher Dell: Dafür würde ich Markt langfristig vorbei gebaut wird. lichen Erfolgs, ist das wunderbar! sofort plädieren! Neutralität durch Es wird zu wenig berücksichtigt, dass Nüchternheit ersetzen – eine Nüch- aufgrund des sozialen Wandels auch Christopher Dell: Das ist sehr wichtig. ternheit, die vollkommen durchge- die Wohnformen im Begriff sind sich zu Deshalb müssen wir dem Funktiona- checkt ist. Die eigene Regeln in der verändern. lismus, dem Strukturalismus, dem Nutzung ausbildet. Also ein komplexes Formalismus noch den Faktor der Zusammenspiel des Ermöglichens und Hilde Léon: Das ist die Frage. Ich Subjektivität hinzufügen. Erkennens. glaube, eine gewisse Neutralität, nicht festgelegte Räume – das wäre das Hilde Léon: Wunderbar, ein Plädoyer Nicolette Baumeister: Aber warum gibt Ziel. Ein gutes Beispiel dafür ist das für die Subjektivität! es so wenig umgesetzte Beispiele in Loftwohnen, das ja auch als Expe- diesem Sinne? Ist der Nutzer mit der riment aus einer prekären Situation Christopher Dell: Ja, aber für die Neutralität, der Freiheit der Nutzung heraus entstanden ist: In New York aus gebildete! Man muss sich Zugang zu vielleicht überfordert? dem Leerstand von Fabrikräumen, mit der eigenen Transformation verschaf- großen Höhen und Zuschnitten, die fen. Dann kann man eben auch als Hilde Léon: Man muss als Architekt schwer für konventionelle Grundrisse Architekt nicht mehr sagen: Ich plane Verantwortung übernehmen, eine zu nutzen waren. Die offene Küche, in einem rationalen Raum der Vernunft. Vorstellung von den Möglichkeiten des die fehlende Trennung der Lebensbe- Es gibt ja eine politische Gemengelage Wohnens haben. Da gibt es einfach reiche – das ist ja in Teilen Allgemein- von Leidenschaften und Interessen, Faktoren, die feststehen: Schrank, heit geworden. Natürlich kann man das die aber der Transformation anheim Tisch, Bad. Man braucht in dieser nicht 1:1 übertragen, aber Experimente gehen und auch Potenziale darstellen. Welt, die sich schnell verändert, auch sind immer ein kleines Feld und auch, In diesem Zusammenhang verfügt Konstanten, wo man sich beheimatet wenn nur Teile des Experiments weiter- der Architekt über jene Darstellungs- fühlt, und hat auch eine Verantwortung geführt werden, verändert das etwas. techniken, die die Menschen in die weit über die Wohnungen hinaus. Die 14
Wohnung fängt ja mit dem Entree des halt gibt, zur Ressource zu machen zess darstellen, die Menschen mit Hauses an, an der Schnittstelle vom – was sicher einfacher klingt, als es Komplexität überschütten und dann Privaten zum Öffentlichen – das geht ist. Insofern denke ich auch, dass das schauen, was passiert. Oft ist es gar bis in den Städtebau. Wie stehen die Zusammenspiel von Ökonomie, Stadt nicht so ein großer Aufwand, aber es Gebäude in der Stadt und wie treten und Nutzern noch nicht richtig klappt. muss eben intelligent gemacht sein! sie mit der Umgebung in Dialog? Wenn man als Musiker so proben Bauen heißt ja auch, das Gesicht der würde, käme nie was zustande. Die Stadt mitzuprägen – über das Private einen reden sich raus, das hat nicht hinaus. Innovation ist eben nicht geklappt, jenes war nicht erfolgreich, nur der Grundriss in der Wohnung, der hat nicht mitgemacht – bei den sondern auch der gesamte Rahmen Musikern würde man da weiter üben, im weiteren Sinn. bis es klappt. Keiner käme auf die Idee, einfach aufzuhören. Aber in der Pla- Christopher Dell: Ziel ist, was geplant nung wird dann Tabula Rasa gemacht – ist zu überschreiten und neu zusam- dann lassen wir das Ganze eben sein! menzusetzen. Das heißt, sich vom Da ist mir einfach zu wenig Probe, zu Terror des Kreativen zu befreien. wenig Bereitschaft, weiterzumachen Die Verantwortung, die man hat, zu und zu denken… erkennen. Es ist ja gerade ein Mehr an Verantwortung, das man über- Nicolette Baumeister: Aber die Stadt nimmt, wenn man nicht ex nihilo neue München ist doch dabei, neue Verfah- Formen irgendwo hin erfindet, sondern ren und Instrumente zu entwickeln und neue Weisen schafft, um konstruktiv einzusetzen, um die verschiedenen mit Bestehendem umzugehen, das Interessen – wie auch in einem Orche- Bestehende neu zu versammeln. Die ster – zusammenzuführen. aktuellen Entwicklungen zeigen: Ein Behälterverständnis von Raum ist Hilde Léon: Klar, da gibt es unter- im Städtebau nicht mehr adäquat. schiedliche Gremien, die zeigen, wie Deshalb geht es jetzt vor allem darum, man Entscheidungsprozesse auf das Bestehende zu verändern, die sich mehrere Schultern verteilt. Aber Betei- transformierenden Handlungsweisen ligung ist ja per se nicht positiv. Und des Alltags, aus denen Stadt besteht, auch nicht innovativ. Oft genug wird ernst zu nehmen – und damit auch dann auf bekannte Modelle zurückge- Summary neue Möglichkeiten zu schaffen. griffen – oder es wird gar nicht mehr The transformation of innovations gebaut. in residential building is very much Nicolette Baumeister: Ich möchte dependent on good cooperation nochmals auf das Thema der Dichte Christopher Dell: Dieses Pädagogen- between the client and the architect. kommen. Welche Potenziale beinhaltet mäßige, Didaktische, das kann man The design process should not be denn die Verdichtung der Stadt? vergessen! Für mich ist die Funktions steered exclusively by established fähigkeit der Stadt als Ganzes das market-based considerations, but Hilde Léon: Dichte ist ja erst mal keine spannende Thema, in der – wie beim should leave room for experiments Qualität an sich. Es ist eine städtische Orchester – alle zusammenspielen. and individual solutions as a basis for Notwendigkeit, um auch die Infrastruk- Aber heute beginnen viele Funktionen innovations. Greater neutrality of space tur nutzen zu können. Man muss sich wegzubrechen. Das ist eine politische offering a variety of uses allows for dafür einsetzen, dass Dichte Qualität Frage. Es wird zukünftig neue Ausei- different dwelling patterns and resident bekommt. Sonst ist es verheerend. Wir nandersetzung, neue Konflikte darüber configurations. Living in lofts without haben ein Bedürfnis nach Licht, nach geben, für was Geld ausgegeben wird a clear separation of individual living Besonnung, einem privaten Außen- und was wir überhaupt brauchen. zones is a perfect example. In part, raum – das sind wichtige Faktoren Damit wird aber auch die Metapher this is now also being practised by the hierzulande und in der Stadt, ebenso des Orchesters zu hinterfragen sein – greater community in the planning wie Ruhe – zumindest in einem Raum heute kann das Zusammenspiel nicht of open kitchens or bedrooms with der Wohnung. Wir brauchen ja den mehr durch einen einzigen Dirigenten integrated bathrooms. Kontrast, um etwas intensiv zu spüren. geleitet werden. Wenn wir im Bilde Also den Kontrast von Weite und Enge. der Musik bleiben, sind demnach eher A further important aspect is the inter- neue Modi der konstruktiven Improvi- action of economy, city and residents, Christopher Dell: Ihr Plädoyer für eine sation gefragt. which must be supported and encour- konstruktive Dissonanz finde ich sehr aged by effective communication unterstützenswert! Also das Bestre- Damit dies gelingen kann, muss man tools and political, urban development- ben, die Konflikte, die es in der Stadt den ganzen komplexen Planungspro- related guidelines. 15
1. Preisträger Teil A: Ortner & Ortner Baukunst Gesellschaft von Architekten mbH, Berlin mit BSM Beratungsgesellschaft für Stadterneuerung und Urbane Qualität Modernisierung mbH, Berlin und Topotek1, Gesell- schaft von Landschaftsarchitekten mbH, Berlin 1. Preisträger Teil B: West 8 urban design & lands- Städtebaulicher und landschaftsplanerischer cape architecture b.v., Rotterdam Ausloberin: Landeshauptstadt München, 2011 Wettbewerb in Freiham Übersichtsplan Freiham Stadtteilzentrum sowie Schul- und Sportzentrum, Wettbewerbsbeitrag Teil A In Freiham liegt die letzte zusammenhängende Fläche von Wettbewerb bedeutender Größe innerhalb der Stadtgrenzen. Eine international besetzte Jury entschied im September 2011 den Wettbewerb zur Entwicklung eines städtebau- Die Bebauung ist auch unter diesem Aspekt eine der wich- lichen und landschaftsplanerischen Konzeptes für den ersten tigsten Maßnahmen zur Stadt- und Siedlungsentwicklung Realisierungsabschnitt. Die prämierten Entwürfe dienen als der Landeshauptstadt München. Hier entsteht ein urbanes Grundlage für die anschließende Bauleitplanung. und grünes Stadtviertel mit 18.000 bis 20.000 Einwohne- rinnen und Einwohnern, den notwendigen sozialen Infra- Stadtzentrum sowie Schul- und Sportzentrum, Teil A struktureinrichtungen wie Kindergärten und Schulen sowie Der Bereich A (ca. 29 ha) umfasst Flächen südlich und vor rund 7.500 Arbeitsplätzen. Die Gesamtfläche von insge- allem nördlich der Bodenseestraße. Er beinhaltet neben samt 350 ha (ca. 250 Fußballfelder) teilt sich in zwei große dem Stadtteilzentrum, welches mit den Schwerpunkten Bereiche: den Gewerbestandort im Süden und den Wohn- Handel, Dienstleistung, Versorgung und Mobilität an der standort mit dem Landschaftspark im Norden. Schnittstelle von Freiham Nord und Freiham Süd liegt, auch das Schul- und Sportzentrum, das einen wichtigen Beitrag Während der Gewerbestandort im Süden bereits realisiert zur gesamtstädtischen Versorgung leisten wird, sowie einen wird, ist der künftige Wohnstandort Freiham im Norden Teilbereich des Wohnungsbaus. Die städtebauliche Gestal- derzeit noch unbebaut. Die ersten Wohnungen werden tung des Bereichs A wird somit die westliche Stadteinfahrt voraussichtlich ab 2014 gebaut. nach München wesentlich prägen. Die Entwicklung des Wohnstandortes basiert auf dem Schwerpunkt Wohnen und Quartierszentrum, Teil B Gedanken des „Stadtweiterbauens“: Verbindungen und Der Bereich B (ca. 45 ha) umfasst Flächen, die westlich Nachbarschaften zwischen Neuaubing und Freiham sollen an den derzeitigen Siedlungsrand anschließen. In diesem hergestellt werden. Der künftige Wohnstandort Freiham Bereich sind in erster Linie Wohnraum und das Quartiers- schließt im Osten, verbunden durch das Freiham-Neuaubin- zentrum in der Mitte des Wohnstandortes Freiham Nord vor- ger Grünband, an die bestehende Siedlungskante Neuau- gesehen. Das Quartierszentrum wird ein wichtiger Baustein bings an. Die künftigen kompakten Siedlungsfelder sind von sein, den neuen Stadtteil mit der bestehenden Bebauung zu Freiräumen umschlossen und durch Grünfinger gegliedert. verknüpfen. Sie schließen im Westen an einen großzügigen Landschafts- park an. Insgesamt entstehen in den beiden Bereichen Wohnungen für ca. 7.500 Einwohnerinnen und Einwohner. Namensgebend und identitätsstiftend für den neuen Stadt- teil ist das nahe Gut Freiham. Die Anlage, die mit Schloss, Hofmarkkirche (17. Jh.) sowie der Allee den Landschafts- raum prägt, steht unter Ensembleschutz, einzelne Gebäude auch unter Denkmalschutz. 16
Neues Wohnen in der Stadt Summary Freiham as one of the last coherent areas of significant size within the city’s boundaries is one of the most important schemes with regard to urban and estate development in the state capital Munich. The site measur- ing 350 ha is being used to develop an urban and green city district with approximately 18,000 to 20,000 resi- dents, the necessary social infrastruc- tural services, such as kindergartens and schools, and around 7,500 jobs. In order to provide a basis for the land use plan, an urban and landscape design competition was initiated for the first part of the development, which is broken down into two parts, Part A and Part B. The award winning design concept for Part A, involving the design of a community centre, a school and sports centre, divides the plot into three sections each with an unmistakable character: the core zone to the north of Bodenseestraße, the school campus with an adjoining sports centre in the west and a strip of hous- ing stretching across the north of the plot. With regard to Part B, including housing and a neighbourhood centre, the competition winners have created a clear structure of boulevards, parks, paths and squares. Small trapezoidal housing estates with a selection of differentiated buildings for a variety of uses have been set amidst this net- work. Construction work will presum- ably commence in 2014. Wohnen und Quartierszentrum, Wettbewerbsbeitrag Teil B „Leitidee des Entwurfs ist die Gliederung des Baufeldes „Mit der Arbeit wird ein Grundgerüst von Alleen, Grünzü- in drei Quartiere mit unverwechselbarem Charakter und gen, Wegen und Plätzen geschaffen, in dem sich kleine, tra- angenehmer Atmosphäre: das Kerngebiet nördlich der pezförmige Wohnquartiere aufspannen und durch geschickt Bodenseestraße, der Schulcampus mit angegliedertem geführte Diagonalen das Neubaugebiet mit Neuaubing Sportpark im Westen und das Wohnband im Norden. Es verbunden wird.(...) Innerhalb der zweigeteilten Baufelder gelingt den Verfassern, diese Idee mit präzisen städtebau- werden Nachbarschaften um öffentlich zugängliche Innen- lichen Setzungen in einen Entwurf mit stadträumlicher höfe gruppiert. (…) Die Verfasser ermöglichen vielfältige Qualität zu übertragen. (…) Die Sportanlagen sind selbstver- Einzelgebäude mit unterschiedlicher Körnung und Nutzungs- ständlich an den Campus angeschlossen und stellen – fast vielfalt. (...) Die Grünräume bestehen aus einer ungewöhn- beiläufig – eine schöne Freiraumverbindung zum westlich lichen Konstellation von Erschließungen und Bauplätzen, die anschließenden Landschaftraum her; die Landschaft wird innenliegende Quartiersfunktionen, Gärten, Spielplätze und hier buchstäblich in den Campus hineingeholt.“ gestaltetes Wohnumfeld enthalten.“ (Auszug aus der Preisgerichtsbeurteilung zum 1. Preisträger für den Teil A) (Auszug aus der Preisgerichtsbeurteilung zum 1. Preisträger für den Teil B) 17
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