Nord Stream 2 SWP-Studie - Kai-Olaf Lang / Kirsten Westphal - Stiftung Wissenschaft und Politik
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SWP-Studie Kai-Olaf Lang / Kirsten Westphal Nord Stream 2 Versuch einer politischen und wirtschaftlichen Einordnung Stiftung Wissenschaft und Politik Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit SWP-Studie 21 Dezember 2016, Berlin
Die vorliegende Studie setzt sich mit den kommerziellen, wirtschaftlichen, regulatorischen und politischen Implikationen auseinander, die das Nord- Stream-2-Projekt mit sich bringt. Die Planungen für den Bau eines dritten und vierten Strangs der Nord-Stream-Pipeline durch die Ostsee haben in der Europäischen Union erhebliche Kontroversen ausgelöst. Das Pipeline-Projekt zieht hohe politische Kosten nach sich und das fast unabhängig davon, ob es scheitert oder implementiert wird, denn es berührt die Interessenlagen vieler Akteurinnen und Akteure empfindlich. Nord Stream ist eine kommerzielle Unternehmung, hat aber weit über das Betriebs- und Energiewirtschaftliche hinausreichende Folgen, die sich für die einzelnen EU-Staaten sehr unter- schiedlich darstellen. In jedem Fall also bedeutet das Vorhaben eine Herausfor- derung für die Energiediplomatie nach innen und nach außen. Es geht darum, die möglichen Spaltungseffekte des Projekts für die europäische Energiepolitik und die Energieunion einzudämmen und abzupuffern.
SWP-Studie Kai-Olaf Lang / Kirsten Westphal Nord Stream 2 Versuch einer politischen und wirtschaftlichen Einordnung Stiftung Wissenschaft und Politik Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit SWP-Studie 21 Dezember 2016, Berlin
Alle Rechte vorbehalten. Abdruck oder vergleichbare Verwendung von Arbeiten der Stiftung Wissenschaft und Politik ist auch in Auszügen nur mit vorheriger schriftlicher Genehmigung gestattet. SWP-Studien unterliegen einem Begutachtungsverfahren durch Fachkolleginnen und -kollegen und durch die Institutsleitung (peer review). Sie geben die Auffassung der Autoren und Autorinnen wieder. © Stiftung Wissenschaft und Politik, Berlin, 2016 SWP Stiftung Wissenschaft und Politik Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit Ludwigkirchplatz 34 10719 Berlin Telefon +49 30 880 07-0 Fax +49 30 880 07-200 www.swp-berlin.org swp@swp-berlin.org ISSN 1611-6372
Inhalt 5 Problemstellung und Empfehlungen 7 Nord Stream 2 – ein kommerzielles Projekt mit politischen Dimensionen 10 Nord Stream 2 im Lichte betriebswirtschaftlicher Erwägungen 10 Das kommerzielle Kalkül hinter der Nord Stream 2 AG aus Sicht der westlichen Unternehmen 10 Gazproms Kalkül 14 Nord Stream 2 und die Regulierung im EU-Binnenmarkt 14 Rechtliche Rahmenbedingungen im EU-Binnenmarkt 15 Nord Stream 2 – Rechtliche Ansätze und strittige Fragen 17 Die Anschlussleitungen der Nord Stream 2 21 Marktentwicklungen, Markt(macht)verhältnisse und Versorgungssicherheit 21 Nord Stream 2 und das Gasangebot in Nordwesteuropa 22 Nord Stream 2: Preisentwicklungen und Liquidität 22 Der Transit durch die Ukraine und ungelöste Probleme 24 Die Gasmärkte in Ostmitteleuropa 27 Nord Stream und veränderte Gasflüsse in Osteuropa 29 Nord Stream 2 – Die politische Dimension 29 Nord Stream 2: Eine Einordnung aus Sicht des strate gischen Energiedreiecks 30 Das Projekt im Zeichen von klima- und umweltpolitischen Erwägungen 31 Kritikpunkte aus Ostmittel- und Südosteuropa 33 Interessenlagen in den einzelnen Mitgliedstaaten 39 Fazit und Ausblick 42 Empfehlungen an die deutsche und europäische Politik 44 Abkürzungen
Dr. Kai-Olaf Lang ist Senior Fellow in der Forschungsgruppe EU/Europa Dr. Kirsten Westphal ist Wissenschaftlerin in der Forschungsgruppe Globale Fragen
Problemstellung und Empfehlungen Nord Stream 2 – Versuch einer politischen und wirtschaftlichen Einordnung Die Planungen für den Bau eines dritten und vierten Strangs der Nord-Stream-Pipeline durch die Ostsee haben in der Europäischen Union erhebliche Kontro versen ausgelöst. Während der russische Energie- konzern Gazprom, aber auch die am Projekt inter- essierten europäischen Firmen argumentieren, das »Nord Stream 2«-Vorhaben und die damit geschaffene zusätzliche Direktanbindung der EU-Energiemärkte an den Produzenten Russland erhöhten die Energie sicherheit in Europa, sehen insbesondere die Kommis- sion und einige Mitgliedstaaten das Projekt kritisch. Sie befürchten unter anderem einen weiteren Ausbau der Vormachtstellung Gazproms auf EU-Märkten und die Schwächung der bisherigen Transitländer, die im Extremfall künftig nicht mehr für die Verbringung von russischem Erdgas nach Mittel- und Westeuropa benötigt würden. Vor allem im östlichen Teil der EU gibt es überdies Sorgen, dass das Projekt negative Folgen für die eigene Versorgungssicherheit und poli- tische Konsequenzen in Gestalt einer Revitalisierung der deutsch-russischen Kooperation haben könnte, die sich dann über den Energiesektor hinaus europa- und außenpolitisch niederschlägt. Die intensiven Auseinandersetzungen um das Pipeline-Projekt spielen sich in einem mehrdimen sionalen Kontext ab. Für die EU stellt sich im Zusam- menhang mit Nord Stream 2 nicht zuletzt die Frage, ob sie im Falle des Baus der Leitung in der Lage sein wird, einen dreifachen Konsistenz- und Kohärenztest zu bestehen: erstens mit Blick auf die Anwendung ihrer für den Energiebinnenmarkt geltenden Regeln, die weder aufgeweicht noch aus politischen Gründen gebeugt werden sollten; zweitens hinsichtlich ihrer außen- und sicherheitspolitischen Ziele, konkret ge- genüber der Ukraine, die ja durch Entscheidungen in der Energiepolitik nicht unterlaufen werden sollten; und drittens bezüglich ihres inneren Zusammenhalts, der durch Nord Stream 2 leiden könnte – politisch, weil sich die Kluft zwischen den Mitgliedstaaten in Sachen Russland- oder Energiepolitik vergrößern könnte, und wirtschaftlich, weil der Bau der Pipeline möglicherweise dazu führt, dass Mitgliedstaaten stärker auf nationale Energie- und vor allem Energie SWP Berlin Nord Stream 2 Dezember 2016 7
Problemstellung und Empfehlungen sicherheitspolitik setzen und die Marktfragmentie- -- Die Anschlussleitungen der Nord Stream an Land rung damit zunimmt. unterliegen der Regulierung nach EU-Recht. Für Einerseits könnte das Projekt Nord Stream 2 nach den Offshore-Teil der Pipeline besteht aber insofern der dramatischen Verschlechterung der EU-Russ- eine Grauzone, als sich Deutschland, die EU und land-Beziehungen infolge der Krise um die Ukraine Russland uneins sind über das anzuwendende 2014 dazu dienen, gemeinsamen Interessen wieder »Regime«. Das aber eröffnet auch Möglichkeiten mehr Raum und Gewicht zu verschaffen. Anderer- für einen breiteren Interessenausgleich. seits lässt sich die geopolitische Dimension des Vor- -- Ein solcher Interessenausgleich zwischen der EU habens nicht ignorieren, denn es ist darauf angelegt, und Russland sollte trilateral, unter Einbeziehung den Transit durch die Ukraine zu umgehen. Zudem der Ukraine, und unter Beteiligung der betroffe- ist die Idee, eine weitere Pipeline durch die Ostsee zu nen Mitgliedstaaten ausgehandelt werden. Der bauen, im politischen Diskurs stark aufgeladen wor- anzustrebende Kompromiss müsste es Russland den. Die Gegner des Projekts argumentieren, eine sol- und Nordwesteuropa erlauben, ihre direkten che zusätzliche Rohrleitung führe die Energieunion Erdgasbeziehungen durch die Ostsee auszubauen, ad absurdum und laufe all ihren Zielen zuwider. Der aber gleichzeitig festlegen, dass für eine bestimmte Pipeline-Plan zieht also hohe politische Kosten nach Gasmenge der Transit durch die Ukraine als Flexi- sich und das fast unabhängig davon, ob er schei- bilitätsoption erhalten bleibt. Nur auf Basis eines tert oder implementiert wird. Nord Stream ist eine Minimalkonsenses kann ein attraktives Geschäfts- kommerzielle Unternehmung, hat aber weit über das modell für den ukrainischen Transitkorridor gefun- Betriebs- und Energiewirtschaftliche hinausreichende den werden. In jedem Fall sollten die EU und die Folgen. In jedem Fall also stellt das Vorhaben eine He- Mitgliedstaaten ihre Anstrengungen zur energie- rausforderung für die Energiediplomatie nach innen wirtschaftlichen und energiepolitischen Stabilisie- und nach außen dar. rung der Ukraine (über den Erdgassektor hinaus) Die Bundesregierung betont zwar mit Fug und im Rahmen der Energiegemeinschaft fortführen. Recht den kommerziellen Charakter des Projekts, -- Die Situation der Energieversorgung und die gleichwohl hat sie es aus dem Interessenkalkül des Marktbedingungen in Ostmittel- und Südosteuropa Anlandelands heraus und aus energiepolitischen sollten sehr zügig verbessert werden. Dazu gehört Gründen flankiert. Aus deutscher Sicht geht es insbe- neben der Umsetzung des Dritten Binnenmarkt sondere darum, den Nutzen des Pipelinebaus für den pakets, dass die Folgen möglicher Veränderungen gesamteuropäischen Gasmarkt offensiv zu vermitteln der Routen für den Import von Gas aus Russland und Mythen entgegenzutreten. Die Sorge, es werde mit Blick auf die Staaten dieser Region kalkuliert ein bilaterales Monopol entstehen, ist unbegründet, und die betroffenen Länder bei notwendigen An- denn der deutsche Gasmarkt ist wettbewerblich passungen ihrer Transportinfrastruktur unterstützt organisiert. Deutschland muss (in den Nachbarlän- werden. dern) um Vertrauen werben in seine Kartell- und -- Sollte Nord Stream 2 nicht wie geplant in Betrieb Missbrauchsaufsicht und sollte Markt(macht)verschie- gehen, blieben das Problem des Ost-West-Transits bungen penibel beobachten. Gleichzeitig gilt es, die und die Frage nach der Sicherheit und Zuverlässig- eventuellen europapolitischen und bilateralen Kosten keit des ukrainischen Transportkorridors weiter vi- im Blick zu haben und diese möglichst zu senken. rulent. Auf die Transitmengen hat zudem auch die Deutschland könnte dazu mit den Nachbarländern in Revitalisierung des Turk-Stream-Vorhabens Auswir- Ostmitteleuropa einen strukturierten multilateralen kung. Auf der anderen Seite werden die »Gaz- Energiedialog führen, der auf einen Interessenaus- prom-skeptischen« EU-Mitgliedstaaten genau auf gleich im Rahmen der Ausgestaltung der Energie einen eventuellen »Nord-Stream-2-Ausstiegsdeal« union abzielen könnte. Das Projekt sollte symbolisch blicken. Ein Kompromiss, bei dem Gazprom etwas nicht weiter aufgeladen werden, aber in seinen zugestanden wird, könnte von diesen Ländern als politischen Bezügen reflektiert und im Rahmen der übermäßiges Nachgeben interpretiert werden und Energieunion akkommodiert werden, um Verwer die bisher meist positive Wahrnehmung der Rolle fungen mit Partnern in der EU zu verhindern. der Europäischen Kommission verändern. Außerdem sollten die genannten denkbaren Spal- -- An einer Verschleppung und Verzögerung des tungseffekte des Nord-Stream-2-Projekts reduziert und Genehmigungs- und Bauprozesses sollte keiner Inkonsistenzen vermieden werden: Seite gelegen sein, da damit die Ungewissheit nur SWP Berlin Nord Stream 2 Dezember 2016 8
Nord Stream 2 – ein kommerzielles Projekt mit politischen Dimensionen Nord Stream 2 – ein kommerzielles Projekt mit politischen Dimensionen Die Baukosten für die Verdoppelung der Nord-Stream- Stream 1 folgen, die schon 2011 und 2012 in Betrieb Pipeline um zwei weitere Stränge und die damit genommen worden sind. Diese Pipelines liegen paral- einhergehende Erhöhung der Transitkapazität um lel in einer Entfernung von circa 150 Metern neben- nochmals 55 Milliarden Kubikmeter im Jahr werden einander, ein Abstand, der einen sicheren Betrieb auf 8 bis 10 Milliarden Euro beziffert. Die Realisie- gewährleisten soll. Sie passieren dabei die exklusiven rung der Pipeline ist das erklärte Ziel einer Projektge- Wirtschaftszonen Finnlands, Schwedens und Däne- sellschaft, die im September 2015 in St. Petersburg ins marks (und die Küstengewässer Bornholms), bevor sie Leben gerufen wurde. Ursprünglich war vorgesehen, in der deutschen exklusiven Wirtschaftszone und im dass die Gazprom, die sich zu mehr als der Hälfte der Küstenmeer bei Greifswald enden. Die Rohre und die Anteile in der Hand des russischen Staates befindet, Betonummantelung für die Nord Stream 2 wurden 50 Prozent und die »europäische Seite« die anderen mittlerweile bestellt. Ein genauer Routenverlauf wur- 50 Prozent der Aktien an der Nord Stream 2 AG hal- de aber noch nicht bekanntgegeben (Stand: Anfang ten sollten. Der Anteil der westeuropäischen Firmen Dezember 2016). hätte sich zu je zehn Prozent auf die privatwirt- Um das Projekt in seiner europäischen Dimension schaftlich geführten Unternehmen Uniper (einstmals zu beurteilen, ist es notwendig, auch den weiteren E.On), BASF / Wintershall, die österreichische OMV, Weg des russischen Erdgases zu verfolgen. Nicht von die anglo-niederländische Shell und die französische ungefähr wird der Bauplan neben Uniper und Win- Engie verteilt. tershall auch von OMV, Shell und Engie unterstützt. Bisher erfolgt der Weitertransport des Erdgases aus Um das Projekt in seiner Nord Stream 1 von Greifswald über die Norddeutsche europäischen Dimension zu beur Erdgasleitung (NEL) Richtung Westen und über die teilen, ist es notwendig, auch den Ostsee-Pipeline-Anbindungsleitung (OPAL) Richtung weiteren Weg des russischen Erd Süden an die tschechische Grenze. Um die vollen gases zu verfolgen. Mengen aus Nord Stream 1 und 2 abtransportieren und das Erdgas in Nachbarländer im Westen, Süden Für die Ablandung der Offshore-Pipeline in Russland und Osten weiterleiten zu können, müssten die beste- (siehe Karte, S. 8) gibt es der Webseite der Nord Stre- henden Anschlussleitungen voll ausgelastet und neue am 2 AG zufolge zwei Ausgangspunkte, die geprüft Kapazitäten geschaffen werden. werden. Sie liegen südlicher als bei Nord Stream 1, Das Projekt Nord Stream 2 energiepolitisch und die seinerzeit geplant worden war, um das (bisher energiewirtschaftlich »wertneutral« oder »objektiv« noch nicht entwickelte) Offshore-Feld Shtokmanovs- einzuordnen, scheint aus heutiger Sicht fast un- koje in der Barentssee anzubinden. Laut der Projekt- möglich. Während der Pipeline-Bau insbesondere gesellschaft sollen die geplanten zwei Stränge das be- in Deutschland unter Verweis auf die rechtlichen reits erschlossene russische Erdgasfeld Bovanenkovo Rahmenbedingungen und die privatwirtschaftliche mit einer jährlichen Förderkapazität von 115 Milli- Trägerschaft als kommerzielles Projekt gilt, dessen arden Kubikmetern auf der Jamal-Halbinsel mit dem ökonomische Rationalität auf der Hand liegt, be- europäischen Gasmarkt verbinden. Der Offshore-Ver- trachten Deutschlands Nachbarländer im Osten, aber lauf soll aber ab der Außengrenze der exklusiven auch die EU-Kommission in Brüssel das Vorhaben als Wirtschaftszone Russlands dem der Röhren der Nord ein Politikum, das als Spaltpilz in der Union wirken SWP Berlin Nord Stream 2 Dezember 2016 9
Karte: Die wichtigsten bestehenden, im Bau befindlichen und geplanten Gasfernleitungen in Europa © www.mapz.com – Map Data: OpenstreetMap, ODbL wird. Der Plan für Nord Stream 2 kommt aus Sicht In der EU-28 herrscht offener Dissens darüber, wie der Gegner zur Unzeit, da er den Zielen der EU-Ener- die Zukunft mit Russland – auch in den Energiebe- gieunion widerspreche, Russlands außenpolitischem ziehungen – gestaltet werden soll. Das gilt gleicher- und wirtschaftlichem Kurs Vorschub leiste und die maßen für die trilateralen Beziehungen mit Russland Ukraine zusätzlich destabilisiere. Auch wenn das ins und der Ukraine. Zwar betont Brüssel offiziell seine Auge gefasste Unternehmen anhand der Kriterien des Solidarität mit der Ukraine, aber die konkreten poli- klassischen Zieldreiecks der EU-Energiepolitik (Ver- tischen Maßnahmen sind von kurzfristigem Krisen- sorgungssicherheit, Wirtschaftlichkeit und Umwelt- / management diktiert. Außerdem macht sich in der Klimaschutz) bewertet wird, zeigt sich eher ein hohes Union eine gewisse Ernüchterung breit. Maß an Uneinigkeit, als dass Chancen für Kompro- Die Nord Stream 2 auf ein kommerzielles Projekt misse und einen Interessenausgleich innerhalb der zu reduzieren, greift zu kurz. Dennoch sind die Union sichtbar würden. Auch fällt die Beurteilung betriebswirtschaftlichen Erwägungen die Basis des der Auswirkungen des Leitungsbaus auf Wirtschaft- Projekts und deswegen Gegenstand des ersten Kapi- lichkeit, Versorgungssicherheit und Klimaverträglich- tels. In einem zweiten Schritt werden die rechtlichen keit des europäischen Energiesystems je nach zugrun- Rahmenbedingungen dargestellt, unter denen das de gelegtem Zeithorizont sehr unterschiedlich aus. Vorhaben verwirklicht werden soll. Die Regulierung Jenseits der skizzierten Konfliktlinien in der ist der entscheidende Hebel der EU-Kommission, um Energiepolitik rührt das Projekt Nord Stream 2 auch den wettbewerblichen und integrierten Binnenmarkt an einen wunden Punkt in der Europäischen Union: für Erdgas zu gestalten. Vor dem Hintergrund der Ak- SWP Berlin Nord Stream 2 Dezember 2016 10
Nord Stream 2 – ein kommerzielles Projekt mit politischen Dimensionen tivitäten des Gazprom-Konzerns wurde sie seit 2009 weiterentwickelt. Die Marktstellung des russischen Konzerns und die Auswirkungen auf die Gasmärkte im Nordwesten, in Deutschland sowie Mittel- und Südosteuropa sind deswegen Thema des dritten Ka- pitels (»Marktentwicklungen, Markt(macht)verhält- nisse und Versorgungssicherheit«, S. 21ff). Nach der Krim-Annexion im Jahr 2014 und den militärischen Auseinandersetzungen in der Ostukraine wurde der Energiehandel mit Russland in der EU noch stärker als in der Vergangenheit einer politisch qualitativen Bewertung unterzogen. In diesem Kontext wurde auch das Konzept der Energieunion der EU – eine der zehn Prioritäten der Juncker-Kommission – ent- wickelt. Nord Stream 2 wird ein erhebliches Spalt potential innerhalb der EU-28 und für die Energieuni- on zugeschrieben. Das Projekt bringt hohe politische Kosten mit sich. Der Flurschaden im Verhältnis zu Deutschlands direkten östlichen »Gasnachbarn« ist hoch. Sollte das Projekt scheitern oder sich massiv verzögern, könnte das wiederum zusätzlich die Energiebeziehungen mit Russland belasten. Diesen außen- und geopolitischen Implikationen widmet sich das vierte Kapitel (»Nord Stream 2 – Die poli tische Dimension«, S. 29 ff). Der Schlussteil folgt der These, dass zwar der Bau Gazprom und seinen euro- päischen Partnern obliegt, es aber an der deutschen und europäischen Politik ist, die Nebenwirkungen und zu erwartenden negativen Begleiterscheinun- gen zu bearbeiten. Wie wiederum die EU-Politik das Nord-Stream-2-Unternehmen einordnet und wie sie mit dem Vorhaben umgeht, berührt Grundprinzipien der EU-Integration und kann eine richtungsweisende Wirkung haben. SWP Berlin Nord Stream 2 Dezember 2016 11
Nord Stream 2 im Lichte betriebswirtschaftlicher Erwägungen Nord Stream 2 im Lichte betriebswirtschaftlicher Erwägungen Das kommerzielle Kalkül hinter der mit dem Bau der Pipeline auszuweiten, zumal sie in Nord Stream 2 AG aus Sicht der west jahrzehntelangen Lieferbeziehungen mit dem russi- lichen Unternehmen schen Energieriesen stehen. Angesichts der aktuell komplexen Marktlage, die von sinkender Förderung Nach dem Einspruch der polnischen Kartellbehörde in der EU, dümpelnden Erdgaspreisen und einem im August 2016, die Vorbehalte gegen die geplante schwierigen Geschäftsumfeld in Russland geprägt Aktiengesellschaft geltend machte, ist Gazprom jetzt ist, sind sie daran interessiert, ihre Marktposition als alleiniger Gesellschafter des im schweizerischen Zug Lieferant, Energiehändler und / oder Gasproduzent zu eingetragenen Unternehmens. Ursprünglich wollten stärken und ihre Investitionen in Russland abzusi- Uniper, BASF / Wintershall, OMV, Engie und Shell je chern. Nicht zuletzt reflektiert diese Strategie eine zehn Prozent der Anteile übernehmen. Das Risiko sehr pragmatische Sicht auf ökonomische Realitä- einer Beteiligung an der Nord Stream 2 AG wäre für ten: Auf kurze und mittlere Sicht (bis nach 2020) ist die Firmen überschaubar gewesen: Die Durchleitungs- Gazprom ein Lieferant, der zu flexiblen Mengen und kapazitäten sind fest von Gazprom gebucht und die Wettbewerbspreisen Gas in die EU liefern kann. Verzinsung fixiert. Damit waren Einnahmen und Amortisierung der Investitionen kalkulierbar. Auch Wenn westeuropäische Firmen für Geldgeber wie Banken und Versicherungen sind Teil des Konsortiums gewesen wären, solche Konditionen attraktiv. Dieser Firmenzusam- hätte dies aus EU-Sicht erhebliche menschluss unterlag jedoch sowohl in Deutschland Vorteile gehabt. als auch in Polen der Fusionskontrolle, weil Auswir- kungen auf die dortigen Märkte zu erwarten waren. Wenn westeuropäische Firmen Teil des Konsortiums Während das Bundeskartellamt in Deutschland im gewesen wären, hätte dies aus EU-Sicht erhebliche Dezember 2015 eine Freigabeentscheidung erließ, Vorteile gehabt, denn ihre Beteiligung hätte die Trans- legte die polnische Kartellbehörde dem Konsortium parenz des Projekts und die Kontrolle darüber erhöht. einen Fragenkatalog vor. Darauf hin zogen die Firmen Unter rein ökonomischen Aspekten war und ist ihren Antrag zurück. Es bleibt abzuwarten, ob und bemerkenswert, dass von westlicher Seite keine Gel- welche Auffangkonstruktion (im Gespräch sollen der der öffentlichen Hand zur Realisierung benötigt Wandelanleihen sein) die westeuropäischen Firmen werden. Insbesondere das Konstrukt einer gemeinsa- für ihre Kooperation mit der Gazprom finden. Es er- men AG, mithin eines von Unternehmen getragenen weist sich als schwierig, ein Konstrukt zu finden, dass Infrastrukturprojekts, hätte zum Modell eines freien ähnlich transparent ist und eine Balance von Risiken Wettbewerbsmarkts gepasst und zur Erhöhung von und Kontrolle ermöglicht, aber nicht als schlichte Transportflexibilitäten und zu neuen Importkapazitä- Umgehung des Fusionskontrollverfahrens in Polen ten beigetragen. Nun ist Gazprom alleiniger Anteils- interpretiert werden kann. eigner. Auch wenn die gerade skizzierten Logiken Die westeuropäischen Firmen Uniper (ehemals und Effekte dadurch nicht annulliert werden, so hat E.On), BASF / Wintershall, OMV, Shell und Engie sich doch qualitativ etwas verschoben: Für den Fall, würden es begrüßen, die Partnerschaft mit Gazprom dass Gazprom nun diese Gasleitung allein baut und SWP Berlin Nord Stream 2 Dezember 2016 12
Nord Stream 2 im Lichte betriebswirtschaftlicher Erwägungen Graphik 1: Russische Gasexporte in die EU und Transportkapazitäten 2010–2015 (in Mrd. Kubikmeter pro Jahr) Quelle: »Gas Trade Flows in Europe, in Mcm«, International Energy Agency (IEA) (online), 2016, (Zugriff am 2. 12. 2016), und IEA, Gas: Medium Term Market Report 2015. Market Analysis and Forecasts to 2020, Paris 2015, S. 106. betreibt, wäre es die erste direkte Pipelineverbindung etwas relativiert und Gazprom ließ nun verlauten, zum europäischen Markt, die ausschließlich vom dass man Anweisung habe, mit der Ukraine über Kon- russischen Konzern kontrolliert wird. ditionen der Durchleitung nach 2019 zu verhandeln. Im Westen wird kritisiert, dass der Bau zusätz licher Pipelines durch die Ostsee auf Seiten Moskaus Gazproms Kalkül geopolitisch motiviert und konkret mit dem Ziel verbunden sei, die Ukraine zu umgehen und zu Russland hat seit 2014 mehr als deutlich gemacht, schwächen. Viel spricht dafür, dass im Fall des Pro dass es alternative Exportrouten sucht, um den jekts Nord Stream 2 auf russischer Seite wirtschaft Gastransport durch die Ukraine zu beenden oder liche und politische Interessen zusammenfallen. Der zu minimieren, der aus seiner Sicht mit nicht mehr russische Staat hält immerhin mehr als die Hälfte der tragbaren Risiken behaftet ist. Russischen Darstel- Gazprom-Anteile. Doch Nord Stream 2 ist nur eine lungen zufolge ist genau dies das Hauptziel des Baus von mehreren Rohrleitungen nach Europa und nach von Nord Stream 2. Auf dem Höhepunkt der Krise Asien, die Gazprom in den Jahren 2014 /15 aufs Tapet um die Ukraine 2014 äußerten sich der Kreml und gebracht hat. In der fluiden geopolitischen Lage will die Gazprom-Zentrale unisono dahingehend, dass der sich der Kreml möglichst viele Handlungsoptionen ukrainische Transit auf Null reduziert werden soll.1 offenlassen, die sowohl einer wirtschaftlichen als Im darauffolgenden Jahr 2015 wurde diese Aussage auch einer politischen Beurteilung unterliegen. Gazprom steht auf allen seinen angestammten Märk- ten unter Druck und muss deswegen neue Verkaufs 1 »Miller: Rol’ Ukrainy’ v kachestve transitera svedetsya k nulyu« [Miller: Die Rolle der Ukraine beim Transit wird sich strategien proben und neue Absatzwege erschließen. auf Null reduzieren], Vzglyad, 6. 12. 2014, (Zugriff am 19. 12. 2014). Stream-2-Projekts und seiner Trägerschaft durch ein SWP Berlin Nord Stream 2 Dezember 2016 13
Nord Stream 2 im Lichte betriebswirtschaftlicher Erwägungen breites Konsortium aus Sicht der Führung in Moskau EU und auch der größte Abnehmer russischen Erdga- dazu, zu zeigen, dass Russland trotz der internatio- ses mit Langfristverträgen bis 2034. Das Unternehmen nalen Sanktionen nicht isoliert und unverändert ein hat in Deutschland eine starke Präsenz entlang der attraktiver Wirtschaftspartner ist. gesamten Versorgungskette. Die Nähe zum deutschen Jenseits der geopolitischen gibt es indes auch und europäischen Markt und der Zugang zu großen nachvollziehbare geoökonomische Gründe dafür, die Speicherkapazitäten eröffnen Gazprom alle Möglich- Ukraine zu umgehen. Generell reduziert eine direkte, keiten, nicht nur die Langfristverträge zu erfüllen, effiziente und moderne Anbindung an den Markt sondern in Anpassung an den sich wandelnden (und (Transit-)Risiken. Die Position als Durchgangsland nach den Wünschen der EU stärker spotmarktge- verleitet Staaten dazu, das Transportmonopol als triebenen) EU-Gasmarkt auch eine mengenbasierte Verhandlungspfand einzusetzen und die erwirtschaf- Strategie zu verfolgen. In einem saturierten Gasmarkt teten Renten zu maximieren. Russland war seit Ende sinkt womöglich der Anreiz für andere Unternehmen, der 1990er Jahre, aber noch vehementer seit Beginn in alternative Projekte zu investieren. Die Gazprom der 2000er Jahre darauf bedacht, die Exportrouten verfügt (gerade auch mit einer zusätzlichen Pipeline zu diversifizieren und die Gasvolumen, die durch die durch die Ostsee) über ein hohes Maß an Flexibilität Ukraine geleitet wurden, zu reduzieren. Schon die in ihren Vermarktungsstrategien, eine Flexibilität, die Jamal-Europa-Pipeline und die Nord Stream 1 hatten vorher bei der europäischen Seite lag.2 Das heißt, die in der Vergangenheit erheblich dazu beigetragen, die Gazprom könnte ihre Marktanteile im derzeit über- durch die Ukraine gelieferten Transitmengen zu dros- versorgten Erdgasmarkt konsolidieren und (zumin- seln (siehe oben Graphik 1). dest zeitweise) gegenüber Konkurrenten verteidigen. Der Ausbau der Verbindung durch die Ostsee gibt Eine solche Optimierung der eigenen Marktposition Gazprom die Möglichkeit, seinen größten Absatz- und Preisstrategie wäre ökonomisch rational. Hier markt, Deutschland, direkt mit neuen Mengen zu ist dann die deutsche Kartellaufsicht gefordert, die beliefern und die Risiken des Transits zu weiteren Marktaktivitäten zu observieren. großen Abnehmern (unter anderem Frankreich) zu reduzieren. Seit 2009 / 10 hat sich der europäische Aus russischer Sicht wird sich das und globale Gasmarkt fundamental verändert. Weit Transitrisiko auf der ukrainischen mehr als die Hälfte des gehandelten Erdgases ist nun Route nicht verringern. an Preise an den Hubs gekoppelt. Die Gaspreise sind gesunken und konvergieren zwischen den nordwest- Aus russischer Sicht wird sich das Transitrisiko auf europäischen Marktgebieten mit nur noch geringen der ukrainischen Route nicht verringern. Das ukrai- Preisunterschieden. Gazprom hat sich dieser neuen nische Pipeline-System wurde in den vergangenen Marktsituation in seiner Preisstrategie sukzessive an- Jahrzehnten weder saniert noch modernisiert, so dass gepasst. Der Konzern hat vielen seiner Abnehmer in de facto von einer geringeren Durchleitungskapazität Nordwesteuropa retroaktive Preisabschläge gewährt. nach Westen, nämlich von lediglich 90–95 Milliar Außerdem hat er Erdgas in Deutschland und dem den Kubikmetern jährlich, ausgegangen werden Baltikum auktioniert. Allerdings sind die Geschäftsbe- muss.3 ziehungen mit Gazprom noch durch Langfristverträge mit festen Liefer- und Abnahmepflichten geprägt. Gazprom hat die Gasquellen vorzuhalten, um die 2 Thierry Bros, Has Ukraine Scored an Own-goal with Its Mengen zu liefern, die die Vertragspartner in der EU Transit Fee Proposal?, Oxford: Oxford Institute for Energy bestellen (nominieren). Studies, November 2016, S. 5 (Oxford Energy Comment), . über 2019 hinaus. Sie verpflichten den Konzern auf 3 Andreas Goldthau, Assessing Nord Stream 2: Regulation, Geo- bestimmte Liefermengen und Lieferpunkte, garantie- politics & Energy Security in the EU, Central Eastern Europe & the UK, ren ihm aber gleichzeitig stabile Absatzmengen bis London: The European Centre for Energy and Resource Secu- rity (EUCERS), 2016 (Strategy Paper Nr. 10), S. 18, und Agency nach 2030. Aus Sicht des russischen Energiegiganten for the Cooperation of Energy Regulators (ACER) / Council of ist es äußerst vorteilhaft, Deutschland als Umschlag- European Energy Regulators (CEER), Annual Report on the Re- platz für das in den Westen exportierte Erdgas zu sults of Monitoring the Internal Electricity and Natural Gas Markets wählen. Deutschland ist der größte Gasmarkt in der in 2014, Ljubljana / Brüssel, November 2015, S. 258. SWP Berlin Nord Stream 2 Dezember 2016 14
Nord Stream 2 im Lichte betriebswirtschaftlicher Erwägungen Die ukrainisch-russischen Gashandelsbeziehungen waren in den vergangenen zweieinhalb Jahrzehnten nach Auflösung der Sowjetunion gekennzeichnet von einem Prozess des ununterbrochenen Aushandelns von politischen und wirtschaftlichen Zugeständnis- sen (z. B. Erhaltung des russischen Schwarzmeerflot- ten-Stützpunkts gegen Preisabschläge für Erdgasliefe- rungen). Der Zugang zu verbilligten Gaslieferungen aus dem Osten und die Transiteinnahmen waren in der Ukraine (aber auch auf russischer Seite) ein Nährboden für Korruption und ein Hindernis für Reformen. Auch die Versuche, den Gashandel und Gastransit 2009 auf eine neue Vertragsbasis zu stellen, machten diesen Quid-pro-quo-Deals nicht wirklich ein Ende. Außerdem sind im Juni 2014 im Kontext der Krim-Annexion und der militärischen Destabili- sierung der Ostukraine zum wiederholten Mal Strei- tigkeiten über Gaspreise und ausstehende Zahlungen der Ukraine aufgekommen.4 Das Zerwürfnis liefert Gazprom und Russland eine Rechtfertigung, sich um neue Lieferwege zu bemühen; nicht zuletzt, um den Lieferverpflichtungen aus den Langzeitverträgen mit europäischen Kunden nachzukommen. Aus kommerzieller Sicht ist bedeutsam, dass der gegenwärtig gültige Transitvertrag 2019 endet. Aber wie bis dahin und danach die Transportgebühren und Transitbedingungen ausbuchstabiert werden, ist un- gewiss (siehe dazu das Kapitel »Der Transit durch die Ukraine«, S. 22). Somit sind die Unwägbarkeiten im Rahmen des Transits von russischem Gas durch die Ukraine grö- ßer geworden, da die rechtliche, wirtschaftliche und technische Gemengelage kompliziert ist und bleiben wird (siehe unten, S. 22f). Schließlich führte und führt die Diskussion in der Ukraine über neue, weit höhere Gastransporttarife5 dazu, dass die Beurteilung des ökonomischen Nutzens der Nord Stream 2 noch entschiedener zugunsten des Projekts ausfällt. Die für Nord Stream 2 prognostizierten Durchleitungskosten liegen ungefähr 20 Prozent unter den derzeitigen Gebühren für den ukrainischen Transportkorridor.6 4 ACER / CEER, Annual Report [wie Fn. 5], S. 262. 5 Während der alte Transitvertrag einen Tarif von circa 2,70 US-Dollar pro 1000 Kubikmeter pro 100 Kilometer vor- sah, zeichnet sich nun eine annähernde Verdoppelung der Transitgebühren für die Gazprom ab, wenn der nicht-regu- lierte (mengenbasierte) Transitvertrag in einen regulierten Vertrag mit Kapazitätsbuchungen überführt würde, siehe Bros, Has Ukraine Scored an Own-goal [wie Fn. 4], S. 3 / 4. 6 Goldthau, Assessing Nord Stream 2 [wie Fn. 5], S. 19. SWP Berlin Nord Stream 2 Dezember 2016 15
Nord Stream 2 und die Regulierung im EU-Binnenmarkt Nord Stream 2 und die Regulierung im EU-Binnenmarkt Rechtliche Rahmenbedingungen und die Energieversorgungssicherheit gewährleis- im EU-Binnenmarkt ten sollen. Was die Nutzung und den Betrieb von Gaspipelines betrifft, sind die »Verordnung über die In der Europäischen Union stieß das Nord-Stream-2- Bedingungen für den Zugang zu den Erdgasfernlei- Projekt schon in jener Phase, als noch von einem rus- tungsnetzen« (715 / 2009 / EG) und die »Richtlinie über sisch-europäischen Konsortium ausgegangen werden gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnen- konnte, auf eine schwierige politische wie regulato- markt« (2009 / 73 / EG) von besonderer Bedeutung. Beide rische Gemengelage. Das Pipeline-Projekt läuft den Rechtsakte sind Teil des Dritten Binnenmarktpakets. politischen Zielen Brüssels und vieler Mitgliedstaaten Nach Richtlinie 2009 / 73 / EG müssen Fernleitungsnet- zuwider, deren erklärtes Ziel es ist, die Erdgasbezüge ze aus vertikal-integrierten Gasunternehmen her- zu diversifizieren und die Importabhängigkeit von ausgelöst, also von Produktion, Import und Vertrieb Russland zu reduzieren (vor allem dort, wo sie zu getrennt werden (Art. 15). Die Entflechtungsvorgaben Vulnerabilität führt). Dieses langfristige Interesse war umzusetzen und die Zertifizierung des unabhängi- auch bestimmend bei der Konzipierung der Energi- gen Betreibers der Pipelines vorzunehmen, obliegt eunion. Die politischen Vorbehalte sind Gegenstand den Mitgliedstaaten bzw. der jeweiligen nationalen eines späteren Kapitels. Die folgenden Ausführungen Regulierungsbehörde.9 Bei der Zertifizierung des widmen sich zunächst den rechtlichen Rahmenbedin- Pipeline-Betreibers kann die Kommission nur eine un- gungen. Denn die Binnenmarktregulierung hat sich verbindliche Stellungnahme abgegeben. Der Zugang bisher als wirksamstes Instrument für Brüssel erwie- für Dritte (Art. 13) zu den Pipelines wird über die so- sen, um seine energiepolitischen Ziele zu verfolgen.7 genannten Netzcodes geregelt: Sie enthalten Bestim- Deswegen hat die Kommission auch eine Prüfung der mungen über die Vergabe von Transportkapazitäten, rechtlichen Rahmenbedingungen vorgenommen. die Modalitäten des grenzüberschreitenden Betriebs Um die rechtlich-regulatorischen Diskussionen zu und den Umgang mit Engpässen in den Netzen und verstehen, muss man sich vergegenwärtigen, dass die legen Tarife fest. Die Netzcodes werden von der Kompetenz in der Energiepolitik zwischen der Union Vereinigung Europäischer Gasnetzbetreiber (ENTSOG) und den Mitgliedstaaten geteilt ist.8 Zwar haben Letz- auf Basis der Rahmenleitlinien der Agentur für die tere nationale Souveränität über ihren Energiemix. Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden Die Union aber erlässt im Gesetzgebungsverfahren (ACER) erarbeitet, von der Kommission gebilligt und Normen, die das Funktionieren des Energiemarkts von den nationalen Regulierungsbehörden umgesetzt. Für Transportkapazitäten, die in schon bestehenden Langfristverträgen fixiert sind, wurden lange Über- 7 Andreas Goldthau / Nick Sitter, »Soft Power with a Hard Edge: EU Policy Tools and Energy Security«, in: Review of gangsfristen geschaffen und der Netzcode für Kapazi- International Political Economy, 22 (2015) 5, S. 941–965; tätsallokation, der am 1. November 2015 in Kraft trat, Kirsten Westphal, »Gazprom und die EU-Regeln des Binnen- erlaubt die Buchung von großen Kapazitäten bis auf marktes – auch eine politische Frage«, in: Russland-Analysen, 15 Jahre hinaus. Die EU ist hier Erdgasexporteuren (20. 11. 2015) 305, S. 2–5. wie Gazprom entgegengekommen. Außerdem ließ 8 Siehe dazu auch Deutscher Bundestag, Unterabteilung Europa, Fachbereich Europa, Ausarbeitung: Nord Stream 2 – die Kommission Ausnahmeregelungen für große In- Vorgaben des europäischen Energierechts, März 2016 (PE 6-3000- 27 / 16). 9 Ebd., S. 7. SWP Berlin Nord Stream 2 Dezember 2016 16
Nord Stream 2 und die Regulierung im EU-Binnenmarkt frastrukturprojekte (Verbindungsleitungen, LNG-Ter- Wladimir Putin lediglich eine Absichtserklärung. Es minals; Speicher) zu, zu denen Dritte in Sonderfällen gibt auch kein entsprechendes Abkommen zwischen keinen Zugang erhalten müssen. Solche Ausnahmen der EU und Russland, obwohl das Projekt ursprüng- können zwar von der nationalen Regierungsbehörde lich eine gesamteuropäische Dimension haben sollte gewährt werden, wenn dadurch Versorgungssicher- und als Teil des Transeuropäischen Netzes (TEN) ge- heit und Wettbewerb gestärkt werden; sie müssen al- plant war. Seinerzeit sollte das große Shtokman-Feld lerdings von der Kommission bestätigt werden. Diese ans europäische Netz angebunden werden. Der Binnenmarktregelungen definieren also die jeweili- Planungs- und Bauprozess der Nord Stream 1 wurde gen Handlungsräume von Union und Mitgliedstaat. unter Berücksichtigung der Vorgaben des Seerechts- übereinkommens der Vereinten Nationen (UNCLOS) und der Espoo-Konvention durchgeführt. Gemäß der Nord Stream 2 – Rechtliche Ansätze Konvention wurden zum Beispiel Umweltverträglich- und strittige Fragen keitsprüfungen vorgenommen. All diese oben genannten Zusammenhänge spielen Das Nord-Stream-2-Konsortium hat eine wichtige Rolle für die Frage, wie schnell und un- auf den gleichen Realisierungspfad ter welchen rechtlich-regulatorischen Prämissen Nord gesetzt, wie beim Bau der Stream 2 realisiert werden könnte. Nord Stream 1. Das Nord-Stream-2-Konsortium hat auf den gleichen Realisierungspfad gesetzt, wie beim Bau Für Offshore-Pipelines, die durch exklusive der Nord Stream 1.10 Indes haben sich seit der Wirtschaftszonen und Küstenmeere von EU-Mitglied- Planungsphase der Nord Stream 1 die politischen staaten verlaufen, aber außerhalb der EU beginnen, Rahmenbedingungen in der EU verändert. Der Bau können unterschiedliche juristische Interpretations- der Ostseeleitung wurde 2005 besiegelt und 2010 be- ansätze bestehen. Zugespitzt geht es um die Frage, gonnen. 2011 und 2012 wurden die beiden Stränge in ob sich das rechtliche Setting der Leitungen durch Betrieb genommen.11 Für Nord Stream 1 wurde kein die Ostsee an EU-Regeln oder an internationalem Intergouvernementales Abkommen (IGA) zwischen Recht orientieren oder ob ein internationales Ab- Deutschland und Russland geschlossen.12 Im Septem- kommen geschlossen werden sollte. Sollte EU-Recht ber 2005 unterzeichneten der damalige Bundeskanz- auch offshore Anwendung finden (was technisch ler Gerhard Schröder und der russische Präsident schwer umsetzbar ist),13 wäre für die Anwendung der entsprechenden EU-Regelungen entscheidend, wie die Pipeline kategorisiert würde. Nach deutschem 10 Karel Beckman, »Can Nord Stream 2 Be Stopped?«, Energy Post (online), 14. 4. 2016, (Zugriff am 8. 9. 2016). rungsbehörden, durch deren Gewässer die Pipeline 11 Eine sehr ausführliche Darstellung des Prozesses findet verläuft und die deshalb die notwendigen Prüfungen sich hier: Nord Stream, Sichere Energie für Europa, Das Nord vornehmen und das Projekt genehmigen müssten. Stream-Pipelineprojekt 2005–2012, Zug, Juli 2013, vorgelagerte Rohrleitungen von der Anwendung des (Zugriff am 8. 9. 2016). Binnenmarktpakets ausgenommen und unterliegen 12 Üblicherweise regeln IGAs wichtige Fragen für Offsho- der Regulierung des Anlandestaats. Auf der Basis re-Pipelines zwischen dem Exportland und dem Anlandes- dieser Rechtsauslegung hat Bundeswirtschaftsminis- taat. In solchen Abkommen sind in der Regel Fragen des Um- ter Sigmar Gabriel bei seinem Besuch in Moskau im weltschutzes, der Aufsichtszuständigkeit und der Haftpflicht Oktober 2015 erklärt, dass Deutschland sich darum im Versicherungsfall geklärt. Sie legen darüber hinaus zum Beispiel fest, wann von einem Ereignis höherer Gewalt bemühe, die Regulierung im Kompetenzbereich sei- auszugehen ist oder welche Grundsätze der Transparenz zu beachten sind, wenn eine technische Wartung ansteht, siehe Philipp Offenberg, The European Neighbourhood and the EU’s Se- curity of Supply with Natural Gas, Berlin: Jacques Delors Institut, 15. 1. 2016 (Policy Paper 156), S. 17 schaftszone oder in Russland) ein Zugang für Dritte offeriert (Zugriff am 1. 2. 2016). werden. SWP Berlin Nord Stream 2 Dezember 2016 17
Nord Stream 2 und die Regulierung im EU-Binnenmarkt Pipelines und Vorgaben EU-Regulierung und Gazprom-Engage- des EU-Energierechts ment im EU-Gasmarkt Seit der Ankündigung des Projekts, zwei neue Ostsee Dem Paradigma, einen funktionierenden, wettbewerb- rohrleitungen für den Gastransport zu bauen, wird in sorientierten Binnenmarkt zu schaffen, hat die EU unter der EU die Frage diskutiert, ob eine Offshore-Pipeline, dem Eindruck der sich verschlechternden Beziehungen die durch das Küstenmeer (und die exklusive Wirtschafts- zu Russland spätestens ab 2009 das politisch motivier- zone) eines oder mehrerer Mitgliedstaaten verläuft, der te Ziel an die Seite gestellt, die Energieimportbezüge Regulierung durch das Dritte Binnenmarktpaket unter- geographisch zu diversifizieren. Anders als Norwegen liegt. Dann müssten die darin enthaltenen Bestimmun- und Algerien, deren Exportpipelines zumeist direkt gen umgesetzt werden und die Entflechtungsvorgabe für an ihrem Hauptabsatzmarkt anlanden, musste sich Fernleitungsnetzbetreiber gelten. Zuvor wäre jedoch zu das Unternehmen Gazprom nach der Auflösung der prüfen, ob es sich bei Nord Stream 2 um ein vorgelagertes Sowjetunion und des Comecon auf den Transit durch Rohrleitungsnetz oder um eine Fernleitung für den Trans- mehrere Länder stützen, um seinen Verpflichtungen zum port von Gas handelt. Beispiel gegenüber seinen deutschen Vertragspartnern zu Vorgelagerte Rohrleitungen (»upstream pipelines«) sind erfüllen. Parallel zur Osterweiterung der EU änderte sich Teil der Gasgewinnung, denn sie verbringen das Gas zu Mitte der 2000er Jahre die politische Wahrnehmung der anderen Anlagen (Auf bereitung oder Terminal). Sie en- Lieferbeziehungen mit Russland. Die neuen Mitglieds- den dort, wo das vermarktungsfähige Erdgas in das Fern- länder der Union brachten ihre Erfahrungen und ihre leitungsnetz eingespeist wird. 1 Eine solche Upstream- Prägungen aus ihrem früheren Abhängigkeitsverhältnis Pipeline unterliegt der nationalen Regierungsbehörde des zu Moskau in die Gemeinschaft ein. Außerdem rückten Anlandestaats. 2 Die Kategorisierung der Nord Stream 2 die Gastransitkrisen 2006 und 2009 die Abhängigkeit von als Interkonnektor bzw. grenzüberschreitende Verbin- russischem Erdgas auf dem erweiterten EU-Gasmarkt in dungsleitung, die eine Grenze zwischen zwei EU-Mit- den allgemeinen Fokus. So wurde die Diskussion über die gliedstaaten (im Sinne des EU-Rechts) quert, scheidet konkrete Ausgestaltung des Dritten Binnenmarktpakets nach dem Wortlaut der Verordnung eigentlich für die und die Umsetzung der Entflechtung (»unbundling«) stark Nord Stream 2 aus. In Bezug auf eine Fernleitung für den vom Vorgehen Gazproms beeinflusst. Mit Blick auf den Transport von Erdgas zwischen zwei Märkten, die unter- russischen Monopolisten wollte die EU-Kommission den schiedlicher Regulierung unterliegen, gibt es im EU-Recht Erwerb von Transportinfrastruktur nur Unternehmen keine Vorgaben. aus solchen Drittstaaten erlauben, die das gleiche Recht reziprok gewährten. Diese sogenannte »Gazprom-Klau- sel« ließ sich aber nicht durchsetzen. Eingang in das Gesetzespaket fand allerdings die Bestimmung, dass ner Behörden zu behalten.14 Viele Beobachter haben Investitionen aus Drittstaaten nun von den betreffenden dieses Statement als Absage an die Energieunion nationalen Kartellbehörden geprüft und von der Kommis- missverstanden. sion bestätigt werden müssen. Nach der Ankündigung des Projekts im Jahr 2015 wurde in der EU kontrovers über Rechtsauslegungen diskutiert, denn die Widerstände gegen das Bauvor- haben sind nicht nur bei manchen Mitgliedstaaten, ben des EU-Energierechts«, S. 16).15 Allerdings besteht sondern auch innerhalb der Kommission und des schlicht eine Rechtslücke für Transportpipelines die Parlaments groß. Daher wurde nach regulatorischen zwei unterschiedliche Märkte verbinden. Hebeln gesucht (siehe Kasten »Pipelines und Vorga- Die rechtlichen Rahmenbedingungen bereits existierender Pipelines als Modell heranzuziehen, ist 14 »Sostojalas vstrecha Vladimira Putina c vize-kanzlerom, ministrom ekonomiki i energetiki Federativnoj Respubliki Germanija Sirgmarom Gabrielem« [Treffen zwischen Wladi- mir Putin und Vizekanzler und Minister für Wirtschaft und Energie der Bundesrepublik Deutschland, Sigmar Gabriel], 28. 10. 2015, 15 Deutscher Bundestag, Ausarbeitung: Nord Stream 2 (Zugriff am 29. 10. 2015). [wie Fn. 10], S. 6. SWP Berlin Nord Stream 2 Dezember 2016 18
Nord Stream 2 und die Regulierung im EU-Binnenmarkt South Stream forderte von den betroffenen Mitgliedstaaten, diese Regierungs- Die South Stream Pipeline war das Projekt eines von Gazprom abkommen zu kündigen oder neu zu verhandeln, andernfalls geführten Konsortiums, an dem die BASF Wintershall, die drohe ein Verfahren wegen Verstoßes. Tatsächlich eröffnete die italienische Eni und die französische EdF beteiligt waren. Kommission denn auch zwei Verfahren gegen Bulgarien, unter Die Leitung sollte mit einer Kapazität von 63 Milliarden anderem wegen Verstoßes gegen das Dritte Binnenmarktpaket. Kubikmetern durch das Schwarze Meer nach Bulgarien und Bulgarien stellte dann den Bau der Pipeline im August 2014 ein. dann bis Österreich bzw. Italien führen, teilweise also offshore, Im Ergebnis wurden die Hürden für die Realisierung der South teilweise onshore verlaufen. Ein erstes Abkommen dazu wurde Stream Pipeline von Brüssel immer höher gesteckt. Die Ausdeh- im Februar 2009 geschlossen. Im August desselben Jahres trat nung der Regeln des Dritten Binnenmarktpakets auf die South das Dritte Energiebinnenmarktpaket in Kraft. Die Auswirkun- Stream ist nicht unstrittig, da die dazugehörigen Richtlinien gen auf das South-Stream-Projekt waren weitreichend. Da die und Verordnungen eigentlich keine klaren Regeln (z. B. für Gazprom für die Ostsee-Pipeline-Anbindungsleitung (OPAL) die Vergabe von Kapazitäten) für im Bau befindliche und neue keine auflagenfreie Ausnahmegenehmigung bekommen hatte Infrastrukturen enthalten. und sie deswegen deren Kapazität bis Oktober 2016 nur zur In Bezug auf die South Stream hat die EU-Kommission im Hälfte nutzen durfte, sah sie für die Onshore-Sektion der South Geiste ihres Binnenmarktpakets argumentiert, sich dabei aber Stream von einem Antrag auf eine Ausnahmegenehmigung ab. nicht auf solidem rechtlichem Boden befunden. Dass das Pro- Stattdessen schloss Russland für diese Multi-Länder-Pipeline mit jekt in Brüssel ohnehin auf wenig Gegenliebe stieß, weil es mit den EU-Mitgliedstaaten Regierungsabkommen (IGAs). Moskau dem von der EU-Kommission präferierten »Südlichen Korridor« stützte seine Argumentation auf folgende Position: Es sah konkurrierte, liegt auf der Hand. Unter dem Eindruck der Krim- internationale Verträge als über dem Dritten Binnenmarktpaket krise wurden dann aber alle Hebel in Bewegung gesetzt, um das stehend an. Zugleich legte es im April 2014 Beschwerde bei der Projekt aus politischen Gründen zu stoppen. Welthandelsorganisation (WTO) ein.a Die EU-Kommission dagegen sah in den IGAs einen Bruch mit den Bestimmungen des Dritten Binnenmarktpakets und a World Trade Organization (WTO), Dispute Settlement, Dispute DS476: European Union and Its Member States – Certain Measures Relating to the Energy Sector. Request for Consultation by the Russian Federation, 8. 5. 2015, (Zugriff am 2. 12. 2016). schwierig.16 Das heißt im Ergebnis, dass es für die »EU-Regulierung und Gazprom-Engagement im geplanten Nord-Stream-2-Leitungen durch die Ostsee EU-Gasmarkt«). kein von allen Seiten anerkanntes Regulierungsregi- Die Gashandelsbeziehungen zwischen der EU und me gibt. Da das Projekt in einem hochsensibilisierten Russland haben sich nach dem Bau der Nord Stream 1 Umfeld realisiert wird, besteht die Gefahr, dass und den Liefer- und Transitstörungen in der Ukraine seine Gegner auch nach dem Veto der polnischen nachhaltig verschlechtert. Die Konflikte zwischen Kartellbehörde alle Hebel und darunter auch EU- Russland und der EU haben sich vor allem an zwei Vorschriften als Instrument nutzen werden, um den Pipelines entzündet: an der South Stream (siehe Bau zu erschweren und zu verzögern (siehe Kasten Kasten »South Stream«) und OPAL, der Anbindungs leitung an die Nord Stream 1 (siehe das folgende Kapitel zu den Anschlussleitungen). 16 Die vier Pipelines, die von Nordafrika nach Spanien Bisher sind aus Brüssel noch keine offiziellen und Frankreich führen, sind weder entflochten noch halten Statements über die Einordnung der Nord-Stream- sie Dritten den Zugang offen. Die Pipelines können als 2-Pipeline laut geworden. Die rechtliche Auffassung Upstream-Pipelines (oder als vorgelagerte Rohrleitungen), Deutschlands, die wegen dessen Status als Anlandes- als Produzenten-Pipelines, gesehen werden, da sie Gasfelder taat zentral ist, wird sich nicht verändern und ist von an das europäische Netz anbinden. Dagegen unterliegen die Pipelines aus Norwegen der Binnenmarktregulierung, da das der Konsortialfrage unberührt. Land Mitglied des Europäischen Wirtschaftsraums ist (siehe dazu: Banet, Access to Upstream Infrastructures [wie Fn. 19]). SWP Berlin Nord Stream 2 Dezember 2016 19
Nord Stream 2 und die Regulierung im EU-Binnenmarkt OPAL wiesen, die anderen 50 Prozent hätte der russische Konzern in Die Ostsee-Pipeline-Anbindungsleitung (OPAL) wurde einzig einer Auktion ersteigern können. Die Zustimmung zu dieser für den Abtransport der Gasmengen aus der Nord Stream 1 Lösung, die die Beteiligten im Beisein der Kommission erziel- gebaut. Deswegen hat das Konsortium früh eine Ausnahme- ten, wurde in Brüssel aber nicht wie erwartet im März 2014 genehmigung zur alleinigen Nutzung der Pipeline beantragt. erteilt, sondern immer wieder verschoben. Zwar ist die Bereitstellung eines diskriminierungsfreien Zu- Offenkundig spielte hier der Konflikt in und um die Ukraine gangs für Dritte eine Vorgabe des Dritten Binnenmarktpakets, eine Rolle. Im Dezember 2014 zog sich dann die Gazprom aber es gab und gibt in Greifswald außer Gazprom (bisher) selbst von dem Vergleich zurück. keinen weiteren Anbieter von Erdgas. Deswegen konnten jahrelang nur 18 Milliarden Kubikmeter Eine von der Bundesnetzagentur (BNetzA) gewährte Aus- per annum über die OPAL weitergeleitet werden. nahmegenehmigung von 2009 lehnte die Kommission im Mitte Mai 2016 einigte sich die BNetzA mit Gazprom und gleichen Jahr mit dem Argument ab, dass damit zwar die OPAL Gastransport auf einen neuen Vergleich, der im We- Gasversorgungssicherheit, nicht aber der Wettbewerb verbes- sentlichen auf dem bereits ausgehandelten Agreement beruht. sert würde. Die Kommission regte in ihrem Schriftsatz an, ein Danach lag das Notifizierungsverfahren wieder bei der sogenanntes Gas Release Programme durchzuführen, bei dem EU-Kommission. Brüssel stimmte dem Kompromiss letztlich Gazprom drei Milliarden Kubikmeter Erdgas in Greifswald mit strengeren Auflagen am 28. Oktober 2016 zu: 50 Prozent in einer Auktion hätte anbieten können.1 Damals war das der Kapazität bleiben von der Netzzugangs- und Netzent- russische Unternehmen dazu nicht bereit. Am 31. Oktober geltregulierung weiterhin komplett ausgenommen. Bis zu 2013 schlossen dann die Gazprom, die OPAL Gastransport 20 Prozent der Kapazität am Exit-Point Brandov müssen mit und die Bundesnetzagentur einen Vergleichsvertrag.2 Dieser kurzfristiger Laufzeit am virtuellen Handelspunkt des deut- Kompromiss hätte es der Gazprom erlaubt, 100 Prozent der schen Marktgebiets Gaspool angeboten werden. Hier kann Transportkapazitäten zu nutzen. 50 Prozent wären fest zuge- Gazprom zum Basispreis mitbieten. Zudem muss sich der Netzbetreiber OPAL als unabhängiger Netzbetreiber zertifizie- 1 Ebd., S. 22. ren lassen. Nun kann Gazprom die OPAL zu mindestens 80 2 »OPAL Gastransport muss geplante Jahresauktion ver- Prozent auslasten, was 28,8 Milliarden Kubikmetern jährlich schieben. Beteiligungsverfahren der EU-Kommission noch entspricht. Bekommt sie den Zuschlag zum Basispreis kann nicht abgeschlossen«, Kassel, 28. 2. 2014, OPAL Gastrans- sie (kurzfristig) die 36 Milliarden Kubikmeter per annum voll port (online), (Zugriff am nutzen. Diese Ausnahmeregelung gilt bis 2033, danach greift 8. 9. 2016). die EURegulierung in vollem Umfang. Die Anschlussleitungen der Netzcode-Kapazität-Management,17 die im Oktober Nord Stream 2 2016 durch das Komitologieverfahren gelaufen sind.18 Die Nord Stream 2 ist ohne die Lösung der Frage, wie (und wohin) das russische Gas weitertransportiert Im Jahr 2016 stellt sich die Situation wie folgt werden soll, kein vollständiges Projekt. Für die vorge- dar: Das Nord-Stream-1-System verfügt über zwei sehenen zusätzlichen 55 Milliarden Kubikmeter Gas, Offshore-Pipelines und zwei Anschlussleitungen in die ab 2019 jährlich in Greifswald anlanden sollen, Deutschland. Nord Stream 1 hat eine technische fehlt es an Weiterleitungskapazitäten. Für die On Kapazität von 55 Milliarden Kubikmetern jährlich. Sie shore-Sektion in Deutschland sind folgende Varianten war bisher aber nur zu 38 Milliarden Kubikmetern denkbar und zu prüfen: a) die volle Auslastung der Kapazität der OPAL, 17 ACER, Public Consultation on the Incremental Capacity b) der (Aus)Bau einer Rohrleitung im regulierten Pro- Proposal and Further NC CAM Amendments (PC_2015_G_05), zess der Netzplanung und Ljubljana 2015, (Zugriff c) der Bau neuer Kapazitäten im Rahmen der geplan- am 8. 9. 2015). ten Zusatzbestimmungen für neue Kapazitäten im 18 Heiko Lohmann, »Thema des Monats: Netzkodex Entgeltharmonisierung«, in: Energate Gasmarkt, 11 / 2016, November 2016, S. 7. SWP Berlin Nord Stream 2 Dezember 2016 20
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