Schwarzbuch Versorgungssicherheit - Greenpeace
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Inhaltsverzeichnis Wohin geht die deutsche Energiepolitik? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 3 Der Klimawandel hat längst begonnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 5 Öl und Gas - Wann endet das? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 6 Erdöl - Schmierstoff der Neuzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .Seite 6 Peak Oil - Schluss mit dem billigen Erdöl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 8 Gas - Eine Überbrückungs-Energie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .Seite 9 Ressourcenkriege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 11 Grünbuch Energiesicherheit und Natostrategien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 12 Kohle: Dinosaurier-Energie des Industriezeitalters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 14 Braunkohlekraftwerk Neurath . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 16 Kohlesubventionen: Die Verfestigung des fossilen Energiepfades . . . . . . . . . . . . . . . Seite 17 Emissionszertifikate: Neue Industriesubventionen in Milliardenhöhe . . . . . . . . . . . Seite 18 Risiko Atomenergie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 20 Uran - Ein Rohstoff zwischen ziviler und militärischer Nutzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 20 Atomenergie: Keine Rettung fürs Klima . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 22 Wie sicher sind deutsche Atomkraftwerke wirklich? Altreaktoren in Biblis . . . . . . Seite 23 Proliferation: Der Streit um die Atompläne des Iran . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 24 Monopolstrukturen und Vetternwirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 25 Kein fairer Wettbewerb im liberalisierten Markt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 25 Filz und Cliquenwirtschaft in der Energieindustrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 26 RWE und die Brüsseler Anti-Klimaschutz-Lobby . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 27 Erneuerbare Energien: Blockierte Potenziale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 28 Dezentrale Energieerzeugung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 31 Anforderungen an eine nachhaltige Energieversorgung in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 32 Greenpeace Zehn-Punkte-Plan - Leitplanken für eine grüne Versorgungssicherheit . . . . Seite 34 Herausgeber: Greenpeace e.V., Große Elbstraße 39, 22767 Hamburg, Tel. 040/306 18 – 0, Fax 040/306 18 – 100, E-Mail: mail@greenpeace.de, Internet: www.greenpeace.de Autoren Greenpeace Deutschland: Thomas Breuer (Atom), Jörg Feddern (Erneuerbare Energien), Gabriela von Goerne (Kohle), Karsten Smid (Öl, Gas). Textredaktion: Susanne Commerell V.i.S.d.P.: Karsten Smid Titelfotos: ivleva/Greenpeace, Thomas Einberger/argum/Greenpeace, Gerald Hänel/Greenpeace Stand: 03/2006
Energiepolitik 3 Wohin geht die deutsche Energiepolitik? Rasant steigende Energiepreise sorgen für sächlich in klimaschädliche Kohletechnik Unmut bei den Energieabnehmern und zuneh- – investieren. Doch mit dem Bau von Koh- mende Kritik am Geschäftsgebaren der gro- lekraftwerken werden die langfristigen Klima- ßen Versorgungsunternehmen. Der russisch- schutzziele konterkariert.1 Bevor der Gipfel ukrainische Gaskonflikt zum Jahreswechsel überhaupt stattfindet, wird der Klimaschutz 2005/2006 hat zudem die Verwundbarkeit und den Interessen der Energieindustrie geopfert. Abhängigkeit der Energieversorgung Westeu- ropas deutlich sichtbar werden lassen. Prompt Energiepolitik unter dem Primat von forderten nicht zuletzt einige Ministerpräsi- Geopolitik und Geostrategie denten konservativ regierter Bundesländer den Ausstieg aus dem Atomausstieg und damit Die Energiepolitik gewinnt zunehmend an ge- die Verlängerung der Restlaufzeiten für die ostrategischer Bedeutung. Bei rasant steigender deutschen Atomkraftwerke. Auch die Zukunft Nachfrage wird immer offensichtlicher: Der der Steinkohle steht zur Diskussion, denn die Vorrat an fossilen Brennstoffen und Uran ist Ruhrkohle AG will an die Börse, möchte das endlich. Der Zugriff auf die wertvollen Res- Risiko für diesen Schritt aber gerne auf den sourcen wird daher mit politischer Macht gesi- Staat abwälzen. chert und nötigenfalls mit militärischer Gewalt Dabei ist die Zukunft der Energieversor- verteidigt. Diese Politik der Energiesicherung gung nicht allein ein Thema der Umwelt- oder verstärkt die Ungerechtigkeit in der Welt. Wäh- der Wirtschaftspolitik, sondern wirft zuneh- rend die reichen Industrieländer ungehemmt mend außen- und sicherheitspolitische Frage- ihren Energiehunger stillen, haben die ärmeren stellungen auf. Versorgungssicherheit, Preispo- Länder das Nachsehen. Angesichts sinkender litik, wachsende internationale Konkurrenz um Reserven ist zu befürchten, dass sich die Kon- die Ressourcen, Klimazerstörung und die Fort- flikte um den Zugang zu Energie noch ver- entwicklung des Emissionshandels, der Streit schärfen werden – einschließlich bewaffneter um die Laufzeiten der AKWs, die atomaren Auseinandersetzungen. Pläne des Iran und die Gefahren der Prolife- Weltweit sind derzeit Tendenzen zur Stär- ration sind die Schlagworte, die unmittelbar an kung nationalstaatlicher Energiepolitik (wie in die deutsche Energiedebatte gekoppelt sind. Frankreich und Spanien angesichts drohender Deutschland steht vor einer energiepo- Übernahmen von Energieversorgern durch litischen Weichenstellung: Wird der Ausbau ausländische Energiekonzerne) sowie zur Wie- erneuerbarer Energien forciert oder steigt der derverstaatlichungspolitik (wie in Russland, Verbrauch fossiler und atomarer Energieträger Asien und Lateinamerika) unübersehbar. Diese weiterhin ungebremst an mit der Folge wach- Entwicklung stellt multilaterale Kooperationen sender Abhängigkeit. Dabei geht es um eine oder rein marktwirtschaftliche Ansätze in Fra- doppelte Abhängigkeit: Zum einen um die Ab- ge. hängigkeit von Rohstoffimporten (vor allem Die Bundesregierung hat die Frage der aus Russland), zum anderen um die Abhängig- Versorgungssicherheit bislang den Energie- keit von den Energiekonzernen. Es ist ein weit konzernen überlassen, deren Unternehmens- verbreiteter Irrglaube, dass die Interessen der strategie natürlich vorrangig an wirtschaftlicher Konzerne mit den Interessen der Bundesregie- Gewinnmaximierung ausgerichtet ist. Die Ent- rung übereinstimmen. wicklung der russischen Energiepolitik in den So ist der im Vorfeld des Energiegipfels letzten Jahren aber zeigt: Der globale Markt vom 3. April 2006 durchgesickerte Deal zwi- kann und wird es nicht richten. schen Bundesregierung und Energieindustrie Russland betreibt derzeit eine Energiepoli- - auch wenn nur ein Teil davon stimmen sollte tik, in der die wirtschaftlichen den außen- und - ein Affront gegen den Klimaschutz. Danach sicherheitspolitischen Interessen untergeord- will die Bundesregierung auf dem Gipfel zu- net sind, baut seine Monopolstellung in den sagen, Kohlekraftwerke beim Emissionshandel Nachfolgestaaten der UdSSR weiter aus und auch langfristig ausreichend mit Zertifikaten ist auf dem besten Wege, die Gasversorgung auszustatten und sie gegenüber Gasanlagen Westeuropas unter seine Kontrolle zu bringen. nicht zu benachteiligen. Im Gegenzug will die Es ist ein Fehler, die strategische Energie- Energieindustrie 13 Milliarden Euro – haupt- politik den Energiekonzernen zu überlassen.
4 Energiepolitik Die bisherige Energieversorgung führt dazu, tionen an, da veraltete Kraftwerke durch mo- dass einige wenige Konzerne riesige Gewinne dernere Technologien ersetzt werden müssen. einstreichen und ihre Monopolstellung weiter Die im Kyoto-Protokoll vereinbarten Ziele ausbauen. Die Umsätze einiger großer Ener- zum Klimaschutz können nur erreicht werden, giekonzerne gehen sogar über das Bruttosozi- wenn weniger fossile Brennstoffe zum Einsatz alprodukt einiger europäischer Staaten hinaus. kommen und die Energieeffizienz erheblich Die Rechnung zahlen letztlich die Verbraucher, verbessert wird. deren einzige Alternative angesichts der Preis- Es gibt keine Alternative zum Ausstieg aus sprünge nach oben Energieeinsparungen im den fossilen Energien. Nachhaltigkeit ist nur in privaten Bereich bleiben. einer solaren Gesellschaft machbar. Wir brau- Nachhaltige Versorgungssicherheit können chen eine mittel- und langfristig angelegte Um- langfristig nur erneuerbare Energien und de- orientierung der Energiepolitik, die nicht nur zentrale Strukturen garantieren. die Risiken minimiert, sondern die Struktur der Energienutzung ändert: Einziger Ausweg: Weg von den fossilen Energien - eine Neuausrichtung zugunsten zu- kunftssicherer Investitionen Nur der Ausbau der erneuerbaren Energien si- - reale Veränderungen im Verbraucher- chert Unabhängigkeit, bewahrt vor politischer verhalten und ökonomischer Erpressbarkeit und schützt - die besondere Berücksichtigung der vor der Unterbrechung der Energieversorgung globalen Erwärmung. durch politische, militärische oder gar terroris- tische Ereignisse in den Erzeuger- oder Tran- Diese Anforderungen können nur durch die sitländern. intensive Förderung erneuerbarer Energien Spätestens 2021 geht in Deutschland das erfüllt werden. letzte AKW vom Netz. Bis dahin müssen schrittweise Kapazitäten auf Basis anderer En- 1 Handelsblatt vom 17. März 2006: Stromversorger ergieträger aufgebaut werden. Zudem stehen wollen Milliardeninvestitionen in Kohlekraftwerke in den kommenden Jahren erhebliche Investi- zusagen ĀȀ̀ЀԀ܀ऀࠀ܀ఀऀഀఀऀༀက̀ऀԀᄀԀऀഀऀ܀ሀऀഀༀጀഀԀ ሀጀԀ᐀ጀ̀ༀጀᔀᔀ܀ᘀᜀጀഀऀԀ ᜀሀሀ $Ѐഀࠀ܀ἂЀἀᰀᴀḀကȀഀ܀ЀἀЀἀ% ᜀᨀ ᘀሀ ᐀ᜀ ᤀᬀ ᰀᴀḀကȀഀ̀Ѐഀࠀ܀ἀἀ ᔀሀ ᘀ ̀ ἀ! ࠀ̀Ѐ" ᐀ሀ ᘀᜀ ᰀᴀḀကȀഀ܀ἂЀ"܀Ȁ܀ἀ ᠀ᔀ ఀഀ̀̀ഀ܀Ѐ ᐀ᔀ ᠀ᤀ ጀሀ ሀ ĀȀ̀Ѐ ԀЀ܀Ȁ̀ࠀऀࠀ ̀ ఀഀ܀Ѐ ༀကᄀࠀ܀ !ကᄀഀက##܀
Klimawandel 5 Der Klimawandel hat längst begonnen Es lässt sich nicht mehr leugnen: Wir sind Österreichs und der Schweiz unter Wasser. mittendrin im Klimawandel. Extreme Wetter- Im Sommer 2003 plagte eine ungewöhnli- ereignisse wie starke Stürme und immer neue che Hitzewelle ganz Europa. 35.000 Menschen Rekordfluten nehmen in Folge der globalen starben. Allein die landwirtschaftlichen Schä- Erwärmung dramatisch zu – und mit ihnen den wurden mit 10 Milliarden Euro beziffert. menschliche Tragödien. Rund 30 Prozent der Gletscher-Fläche in Die Treibhausgase verhindern, dass die Europa sind bereits geschmolzen. Das Volu- von der Erdoberfläche zurückgestrahlte Wär- men der Gletscher hat sich seit 1850 sogar um me in den Weltraum entweichen kann. Mit mehr als die Hälfte verringert. der zunehmenden Erwärmung der unteren Wegen fehlender Schneeflächen in Mittel- Atmosphäre steigt die Verdunstung über den europa bilden sich kaum noch stabile Kälte- Ozeanen. Stärkere Tiefdruckgebiete bilden hochs aus, die als natürliche Barriere gegen sich aus. Die Energie entlädt sich in Hurrikans Sturmtiefs aus dem Atlantik wirken. Orkan und Orkanen. „Lothar“ im Dezember 1999 beispielsweise Doch Überschwemmungen finden nicht brauste mit Windgeschwindigkeiten von bis zu mehr nur in Bangladesh, Wirbelstürme nicht 215 Stundenkilometern über Frankreich, die mehr nur im Süden der USA statt. Es ist wis- Schweiz und Süddeutschland hinweg. 80 Men- senschaftlich belegt, dass die Durchschnitts- schen starben; zerstörte Wälder, abgeknickte temperaturen steigen. Die Sommer werden Strommasten und umgeworfene Kräne koste- heißer, sintflutartige Regenfälle nehmen zu ten etwa 9 Milliarden Dollar. und milde, regenreiche Winter führen immer Selbst die Versicherungen schlagen mittler- häufiger zu Überschwemmungen. weile Alarm und fordern wirksame Maßnah- In den vergangenen 30 Jahren stieg die globale men zum Klimaschutz. Nach Aussagen der Durchschnittstemperatur um 0,6 Grad Celsius Münchener Rück, einer weltweit führenden an. Die zehn heißesten Jahre lagen nach 1990. Rückversicherung, erhöhte sich die Häufigkeit Das Jahr 2005 war das wärmste seit Beginn der großer Naturkatastrophen seit 1960 um das Wetteraufzeichnungen. Die Folgen sind auch Dreifache, die volkswirtschaftlichen Schäden in Deutschland und Europa zu spüren: stiegen sogar um das Neunfache. Die Erder- Die Oderflut im Sommer 1997 richtete wärmung wird nach einer Studie der UNO ab schwere Schäden in Tschechien, Polen und 2050 mehr als 300 Milliarden Dollar an Folge- Deutschland an und forderte 114 Todesopfer. kosten pro Jahr nach sich ziehen. Wolkenbruchartige Regenfälle im Erz- und im Die Erde wird sich in den nächsten Jahr- Riesengebirge lösten im August 2002 verhee- zehnten noch schneller erwärmen, als bisher rende Überschwemmungen in Tschechien und angenommen wurde. Das Klimagremium der Deutschland aus. Die Elbe und ihre Neben- Vereinten Nationen erwartet bis zum Jahr 2100 flüsse überfluteten ganze Landstriche und rich- einen Temperaturzuwachs von bis zu 5,8 Grad teten riesige Zerstörungen an. Im August 2005 Celsius. Bislang wurde von einer Steigerung standen nach sintflutartigen Regenfällen im Al- um maximal 3,5 Grad Celsius ausgegangen. pennordraum erneut große Teile Südbayerns,
6 Öl und Gas Öl und Gas - Wann endet das? Erdöl - Schmierstoff der Neuzeit Durchschnittlich verbraucht jeder Erdbewoh- zum Beispiel jährlich aus dem westsibirischen ner zwei Liter Öl am Tag. Aber das sagt nur Samotlor-Ölfeld in zwei deutsche Raffinerien die Statistik. In Wirklichkeit liegen Welten zwi- in Leuna und Schwedt, die von dem internatio- schen den Bürgern und Bürgerinnen Indiens nalen Ölkonzern Total betrieben werden. Aber (0,37 Liter pro Kopf) und denen der USA (elf während in Deutschland nur blanke Rohre zu Liter). Vor allem die moderne Überflussgesell- sehen sind, bietet sich im Fördergebiet ein Bild schaft ist auf Erdöl gebaut – mit schwerwie- des Grauens. genden Folgen für die Umwelt, das Klima und Aus russischen Pipelines und Förderanla- die gerechte Verteilung von Chancen für alle. gen fließen im Schnitt jeden Tag 42.000 Ton- Der Reichtum der Industriestaaten beruht nen Öl (fünf Prozent der Fördermenge) in die auf ihrem Zugang zu Öl. Mit einer Förderung Taiga und Tundra – das entspricht der Menge, von 3,847 Milliarden Tonnen und einem Anteil die beim Tankerunglück der Exxon Valdez in von 36,8 Prozent am Primärenergieverbrauch Alaska insgesamt auslief. Eine Fläche drei- war Erdöl auch 2004 der weltweit wichtigste mal so groß wie das Saarland ist ölverseucht. Energieträger. Niemand weiß genau zu sagen, Ganze Wälder sterben im Ölschlamm, Flüsse wann das weltweite Fördermaximum (der so und Seen sind mit einem Ölfilm überzogen, an genannte „Peak Oil“) erreicht sein wird, aber der Oberfläche treiben verendete Fische, das wenn dieser Wendepunkt nicht schon über- Trinkwasser ist verseucht. Die Krebsrate ist schritten ist, dann liegt er nicht mehr fern. in diesen Regionen deutlich erhöht, vor allem Derzeit sind noch 160 Milliarden Tonnen an Darmkrebs und Lungenerkrankungen bedro- Reserven nachgewiesen, weitere, aber nur un- hen die Menschen. Die Lebenserwartung der ter Mehraufwand erschließbare Vorkommen indigenen Einwohner ist in den letzten Jahren werden mit 82 Milliarden Tonnen beziffert. von 61 auf 45 Jahre gesunken. Die Weltbank Experten gehen davon aus, dass es noch gut 40 klassifizierte das Samotlor-Ölfeld, in dem seit Jahre dauert, bis der letzte Tropfen konventio- 40 Jahren Öl gefördert wird, als „ökologische nelles Erdöl verbraucht ist. Die Ölkrise beginnt Katastrophenzone“. an dem Tag, an dem der „Peak Oil“ überschrit- Die Temperatur in der sibirischen Tundra, ten wird und das Angebot mit der steigenden die sich nördlich an die Taiga anschließt, hat Nachfrage nicht mehr Schritt hält. sich vor allem in den Wintermonaten um drei In der EU gibt es kaum Erdölvorkommen. bis fünf Grad erhöht. Die stärkste Erwärmung Die bestätigten gemeinsamen Reserven wer- tritt in den Inlandseisgebieten auf. Dadurch den schon in den nächsten Jahren verbraucht verringert sich die Dauer der Schneebede- sein. Der Bedarf in Deutschland wird fast ckung. Technisches Gerät für die Öl- und Gas- vollständig aus Importen gedeckt. So stehen exploration kann nur noch an 100, statt wie vor einem Verbrauch von 113,2 Millionen Tonnen 30 Jahren an 200 Tagen transportiert werden. Importe von 110,1 Millionen Tonnen gegen- Steigende Temperaturen führen zu einer Ver- über. Mit einem Anteil von 36,2 Prozent am kürzung der Jahreszeit, in der die Eisstraßen Primärenergieverbrauch 2004 ist Erdöl auch in genutzt werden können. Pipelinetrassen sacken Deutschland noch immer der wichtigste Ener- weg und drohen auseinander zu reißen. Auf- gieträger. Die Kosten aber steigen: Lagen die grund der kurzen Vegetationsperiode braucht Rohölpreise 2002 noch deutlich unter 30 Dol- die Natur Jahre, um sich zu regenerieren. Der lar pro Barrel, so bewegte sich das Preisniveau auftauende Permafrostboden der Tundra setzt in den ersten Monaten des Jahres 2006 deutlich zudem das Treibhausgas Methan frei, das be- über der 60-Dollar-Grenze. sonders klimawirksam ist. Leidtragende sind zu allererst die Rentierzüchter und ihre Herden, Erdölförderung in Russland: die durch diese Landschaften streifen. Verschmutzte Landschaften und kranke Menschen Rekordbilanzen der Ölmultis Über 40 Prozent der deutschen Ölimporte Die Ölmultis betreiben einen gnadenlosen stammen aus Russland. Allein zwischen neun Wettstreit um die Ausbeutung der weltweiten und zehn Millionen Tonnen Erdöl fließen Energieressourcen. 51 der 100 größten Wirt-
Öl und Gas 7 schaftseinheiten der Welt sind multinationale fortschreitenden Konzentrationsprozessen in Konzerne, darunter die Ölmultis ExxonMobil, der Energiewirtschaft zuzuschauen und sehen- Shell, BP, ChevronTexaco und Total. Etwa den Auges in die Abhängigkeitsfalle zu laufen, ein Prozent der Konzerne investieren ca. 50 müssen die Regierungen die Ölkonzerne end- Prozent der Auslandsdirektinvestitionen, dabei lich in die Pflicht nehmen, ihren Beitrag für steht die Ölindustrie mit an vorderster Stelle. den Klimaschutz zu leisten. ExxonMobil ist der weltweit größte Ölkon- zern. Er hat einen Umsatz von 228 Milliarden US-Dollar, etwa so groß wie das Bruttoin- Fazit landsprodukt von Schweden (238 Milliarden Wegen sich erschöpfender Reserven in Europa US-Dollar). BP und Shell haben jeweils einen wird der Anteil an Erdöllieferungen aus den Umsatz von über 140 Milliarden US-Dollar, OPEC-Ländern, insbesondere der Golfregion, das entspricht dem Bruttoinlandsprodukt des zunehmen. Diese Länder gelten als politisch Iran oder Indonesiens. ebenso instabil wie die gesamte Kaukasus- Für das Jahr 2004 meldeten die großen Öl- Region. Die stetig sinkende Fördermenge aber multis riesige Gewinne. Die französische Total wird absehbar nicht ausreichen, den weltweit erzielte Gewinne von 7,5 Milliarden Dollar, die steigenden Bedarf zu decken. Das Ökosystem britische BP machte einen Gewinn von 16,2 ist bereits an den Grenzen seiner Belastbarkeit Milliarden Dollar, Shell erreichte sogar einen angekommen: Unberührte Urwaldgebiete in Gewinn von 16,6 Milliarden Dollar und der Afrika und Lateinamerika werden von Ölpipe- Ölgigant ExxonMobil übertraf alle mit einer lines durchschnitten, Ölleckagen bedrohen Summe von 25,3 Milliarden Dollar. Schon artenreiche Naturschutzgebiete in Alaska, mit einem Bruchteil davon ließe sich in den Westsibirien oder Sachalin, in manchen Orten Öl-Krisengebieten Wesentliches ändern. Keine Chinas ist die Luft gesättigt mit Schadstoffen. andere Branche verdient so viel Geld und tut Die Klimaerwärmung verursacht zunehmende so wenig für den Umweltschutz. Wetterextreme und bringt großes Leid über Die Ölkonzerne stecken nur zwei Prozent viele Menschen. ihrer Investitionen in erneuerbare Energien Erdöl ist viel zu kostbar, um es einfach zu und noch immer 98 Prozent in die Erschlie- verbrennen. Als Grundstoff zum Beispiel in ßung von Öl- und Gasquellen. Dabei stammen der Chemieindustrie wird es noch auf lange 41 Prozent der Emissionen des Treibhausgases Sicht gebraucht. Es ist Zeit für einen Umstieg: Kohlendioxid aus dem Verbrauch von Mineral- Weg vom Öl und hin zu erneuerbaren Energi- ölprodukten. Statt tatenlos den immer weiter en.
8 Öl und Gas Peak Oil - Schluss mit dem billigen Erdöl Die Industriegesellschaften stehen an einem der Nordsee werden beim derzeitigen Förder- historischen Wendepunkt: 150 Jahre lang war volumen in 25 Jahren erschöpft sein. Darüber Erdöl der Treibstoff der aufstrebenden Natio- hinaus vermuten einige Geologen, dass die nen. Der Zugang zur billigen Ressource sichert russischen Erdgasreserven weniger groß sind ihnen auch heute noch Wohlstand, Überfluss als angegeben. und Macht. Schon jetzt sind Preisrekorde, Liefer- Doch unaufhaltsam nähert sich das Ende engpässe und Kriege um Öl Anzeichen der des Ölzeitalters. Jedes Jahr wird so viel Erdöl Verknappung. Gleichzeitig wächst der Energie- verfeuert, wie die Natur im Laufe von einer hunger, besonders in den bevölkerungsreichen Million Jahren geschaffen hat. 90 Prozent des Schwellenländern China und Indien. Bis zum konventionellen Öls sind bereits entdeckt. Jahr 2020 wird die globale Öl-Nachfrage um Weltweit kommt auf zwei Fass Öl, die ver- 60 Prozent steigen. Die EU erwartet laut ihrem braucht werden, nicht einmal ein Fass Öl, das Grünbuch „Hin zu einer europäischen Strate- gefunden wird. Die Konzerne müssen immer gie für Energieversorgungssicherheit“ aus dem mehr Aufwand treiben, um Ölquellen zu er- Jahre 2001, dass bis 2030 70 Prozent aller in schließen, und dringen zu diesem Zweck in der Staatengemeinschaft benötigten Energien immer sensiblere Naturregionen vor. importiert werden müssen. Bei Rohöl steige Geologen sehen den „Peak Oil“ (auch: der Importbedarf von 76 auf 90 Prozent, bei „depletion midpoint“), den Zeitpunkt, an Erdgas von 40 auf 70 Prozent. Der Grund ist dem die höchste Ölfördermenge erreicht wird, nicht etwa ein höherer Energiebedarf, sondern kommen. Manche Experten erwarten ihn um schwindende eigene Reserven. das Jahr 2010. Ab der Wendemarke wird die Der Peak Oil ist deshalb besonders wichtig, Weltölproduktion langsam sinken. Wann der weil mit seinem Erreichen ein überproportio- Punkt genau überschritten ist, wird man erst naler Anstieg der Preise und eine letzte, große im Nachhinein feststellen können. In den Ölkrise erwartet werden. Dann wird nicht einstmals ölreichen USA wurde die Produkti- mehr die Nachfrage den Marktpreis bestim- onsspitze bereits 1971 erreicht, in Großbritan- men, sondern das immer knappere Angebot. nien 1999. Es gibt deshalb keine Alternative: Nur ver- Ähnlich verhält es sich mit dem Erdgas, stärkte Anstrengungen zur Verbesserung der dessen Fördermaximum nach Expertenschät- Energieeffizienz und die konsequente Förde- zungen schon um das Jahr 2025 erwartet wird. rung zum Ausbau der erneuerbaren Energien Die norwegischen Erdgasreserven mussten weisen den Weg in eine sichere Energiezu- bereits um 30 Prozent nach unten korrigiert kunft. werden. Die Erdgas- und Erdölvorkommen
Öl und Gas 9 Gas - Eine Überbrückungs-Energie Der Verbrauch von Erdgas weist in den letzten kohleeinheit 1,5 Tonnen Kohlendioxid. Jahren die größten Steigerungsraten unter den Die Trassenführung für die Pipelines wirft nicht-erneuerbaren Energieträgern auf. Unter zudem häufig ökologische Probleme auf. So den fossilen Energien ist es zudem der Roh- soll die neue BTE-Pipeline (siehe unten) von stoff, der die geringsten Kohlendioxid-Emissi- Erdbeben gefährdete Regionen und sehr arten- onen erzeugt. reiche Naturschutzgebiete passieren. Sie wird Die meisten Gasvorkommen wurden in durch das Gobustani Reservat in Aserbaid- den 60er und frühen 70er Jahren entdeckt. Mit schan verlaufen, das als Weltkulturerbe von der dem verstärkten Einsatz von Erdgas als En- UNESCO unter Schutz gestellt ist, und führt ergieträger stiegen die Neufunde in den 90er an wertvollen Feuchtgebieten vorbei. Über Jahren nochmals kräftig an. 2004 waren sichere eine 20 Kilometer lange Strecke streift sie den Reserven in Höhe von 176 Terakubikmeter Bordschomi-Naturpark, das Einzugsgebiet für (T.m³=1012 m³) nachgewiesen. An zusätzlichen das Bordschomi-Mineralwasser. Ressourcen stehen noch 207 Terakubikmeter Um neue Erdgasvorkommen zu entdecken, zur Verfügung. Förderung und Verbrauch lagen dringen die Explorations-Unternehmen mit- 2004 weltweit bei knapp 2,8 Terakubikmeter. tlerweile selbst in die wenig erforschte Tiefsee Bei gleich bleibender Förderung und ohne Zu- vor. Dort sind die geologischen Vorausset- nahme der Reserven ist die Hälfte der bislang zungen für Gasfunde zwar wesentlich besser entdeckten Weltreserven bis 2022 verbraucht. als für Ölfunde, die Förderung aber wird sehr Experten gehen davon aus, dass Erdgas noch kostspielig werden. gut 60 Jahre zur Energieerzeugung genutzt werden kann. Mit einem Anteil von ca. 24 Pro- Die verletzlichen Adern der zent am weltweiten Primärenergieverbrauch ist Erdgasversorgung Erdgas der drittwichtigste Energieträger hinter Erdöl und Steinkohle. Das Erdgas aus Russland wird auf dem Land- Innerhalb der EU wird ein Großteil des weg über Pipelines nach Europa gepumpt. Die Erdgasverbrauchs noch aus eigenen Reserven deutschen Erdgasimporte verlaufen entweder bestritten. In Großbritannien hat die Förde- über die Transitländer Ukraine, die Slowakei rung ihr Maximum jedoch bereits überschrit- und Tschechien oder über Weißrussland und ten und die erdgasreichen Niederlande werden Polen. Wie anfällig dieses zweiadrige Versor- ihre Vorkommen absehbar zur eigenen Ener- gungssystem ist, hat der russisch-ukrainische gieversorgung nutzen. Ihre Importe bezieht Gasstreit gezeigt. Als Russland wegen Ausei- die EU vorrangig aus Russland, Norwegen und nandersetzungen um die Preisgestaltung zum Algerien. Die Erdgasversorgung stellt bislang 1. Januar 2006 die Gaslieferung an die Ukraine eher einen Regionalmarkt dar, aber das wird stoppte, meldeten gleich mehrere europäische auf Dauer nicht so bleiben. Länder einen vorübergehenden Rückgang der Mit 99,9 Milliarden Kubikmetern ist vereinbarten Liefermengen um bis zu 40 Pro- Deutschland das drittgrößte Verbraucherland zent. weltweit. 22,4 Prozent machte der Anteil von Um diese Abhängigkeit zu verringern, sind Erdgas am Primärenergieverbrauch 2004 aus. gleich zwei große Pipelineprojekte in Planung. 91,8 Milliarden Kubikmeter mussten impor- Über die ungefähr 1.295 Kilometer lange tiert werden. Der Hauptteil dieser Zulieferun- Trans-European Gaspipeline (Ostseepipeline) gen stammt mit 41 Prozent aus Russland, das soll das russische Gas von St. Petersburg durch weltweit über das größte Potential an Erdgas die Ostsee nach Norddeutschland und dann verfügt. weiter über die Niederlande nach Großbri- tannien gepumpt werden. 20 bis 30 Milliarden Kubikmeter pro Jahr sollen über diese Pipeline Erdgas ist nicht umweltneutral transportiert werden. Das Gas soll hauptsäch- Auch Erdgas ist ein fossiler Energieträger, der lich aus dem Shtokman-Feld kommen, das beim Verbrennen das Treibhausgas Kohlendi- rund 650 Kilometer von Murmansk in der oxid freisetzt. Zwar stößt ein Gaskraftwerk im Barentssee liegt. Vergleich zu selbst dem modernsten Braun- Das zweite Projekt ist die Azerbaidschan - kohlekraftwerk nur halb soviel CO2 aus, doch Georgia - Türkei Gaspipeline, die Gas aus der sind auch das pro umgerechneter Tonne Stein- kaspischen Region liefern soll. Diese Pipeline
10 Öl und Gas (auch „BTE Pipeline“ genannt) verläuft von Fazit Azerbaidschan nach Tbilisi und dann südwärts an der türkischen Stadt Erzurum vorbei. Dort Erdgas ist wie Erdöl ein endlicher Energieträ- soll sie an das türkische Leitungssystem ange- ger. Mit den langfristigen Zielen zum Schutz schlossen werden. Die BTE-Rohrleitung soll des Klimas ist auch ein erhöhter Erdgasver- das Erdgas vom Giant-Offshorefeld Azeri von brauch nicht vereinbar. Erdgas kann deshalb Shah Deniz transportieren, dessen Reserven nur ein „Bridging Fuel“ auf dem Weg ins Zeit- auf 460 Milliarden Kubikmeter geschätzt wer- alter der unerschöpflichen und klimafreundli- den. Im vollen Ausbaustadium ab 2009 soll sie chen erneuerbaren Energien sein. eine Kapazität von etwa 8 Milliarden Kubik- Wie beim Erdöl haben große Versorgungs- metern pro Jahr erreichen. unternehmen den Markt unter Kontrolle. Noch im Ausbau sind derzeit die Techniken Russland mit seinem Staatsunternehmen Gas- zur Verflüssigung von Erdgas durch Kompres- prom ist auf dem besten Wege, gemeinsam sion und/oder Kühlung. Durch den Einsatz mit seinen (mehr oder weniger abhängigen) von Tankschiffen können damit auch weiter Nachbarländern eine Art „Gaskartell“ aufzu- entfernte Erdgasquellen in Ländern wie Iran, bauen. Auf der deutschen Seite finden sich Katar oder Nigeria in die Versorgung einbezo- E.ON-Ruhrgas, RWE, Wingas und Co., die gen werden. ihre eigenen Interessen verfolgen – vor allem Da die Infrastruktur für die Lieferung von das Interesse der Profitmaximierung. Die Ge- Erdgas zu Lande wie zu Wasser sehr teuer ist, fahr einer neuen Abhängigkeit von Oligopol- werden die Gaspreise absehbar weiter steigen. strukturen ist unabweisbar. Energieabhängigkeit der Regionen USA Europa China (EU-25) Erdölvorräte Erdölvorräte (sicher gewinnbar) in Mrd. t 3,6 2,7 2,3 Anteil an weltweiten Reserven 2,5 % 1,7 % 1,4 % Statische Reichweite bei gegenwärtiger Förderung in Jahren 11,1 9 13,4 Erdölverbrauch Mio. t pro Jahr (2004) 937 694 308 Importe in Mio. t pro Jahr 501 508 123 (Anteil in %) (53,5 %) (73,2 %) (39,9 %) davon aus dem Nahen Osten in Mio. t 125 159 63 (Anteil in %) (25,0 %) (31,3 %) (51,2 %) Quellen: BMWI, BP Statistical Review 2005
Öl und Gas 11 Ressourcenkriege Erdöl ist das Schmiermittel der Weltwirtschaft. weniger Öl als ursprünglich geplant. In Saudi Bei knapper werdenden Ressourcen sind drei Arabien konnte ein Terroranschlag auf den Trends zu verzeichnen, die sich gegenseitig weltgrößten Raffinerie-Komplex „Bukajk“ im verstärken: Februar 2006 gerade noch verhindert werden. Die „Straße von Hormuz“, über die täglich 14 • Die steigende Nachfrage auf den in- Millionen Fass Rohöl mit gigantischen Tankern ternationalen Märkten verschärft die transportiert werden, ist ein Flaschenhals für Abhängigkeit von Ölimporten. die Weltölversorgung. Um den weltweit wachsenden Ölbedarf zu • Das importierte Öl kommt zunehmend befriedigen, müsste die Förderung am Golf aus instabilen oder der westlichen Kul- Prognosen zufolge um 85 Prozent steigen (von tur abgeneigten Regionen. 24 Mio. Fass pro Tag im Jahr 1999 auf 44,5 • Die wachsende Abhängigkeit des Welt- Mio. in 2020). Dazu bedarf es gigantischer In- marktes von instabilen Versorgern und vestitionen in neue Infrastruktur und Förder- Krisenregionen erzeugt sozialen, wirt- techniken. Die IEA schätzt den Investitionsbe- schaftlichen und politischen Druck in darf auf 523 Milliarden Dollar bis 2030. Ohne den Ölförderländern. Das Risiko von ausländische Firmen werden die Golfstaaten Unruhen und Konflikten steigt. diese Summe kaum aufbringen können. Das aber läuft ihrer erklärten Absicht zuwider, die Der Beschaffungsdruck kann ständig zu Kontrolle über ihren nationalen Energiesektor Versorgungsengpässen führen und Preissprün- behalten zu wollen. ge auslösen. Die ökonomischen Konsequenzen Ein vierter Trend spitzt die Lage weiter eines steigenden Ölpreises sind fatal. Allein die zu: Die steigende Ölnachfrage Chinas. Für die USA zahlen bei einem durchschnittlichen Preis USA wird China zum größten Rivalen um neu- von 50 US-Dollar pro Fass 200 Milliarden US- es Öl. Das kann zu einer tödlichen Konfronta- Dollar für ihre Ölimporte pro Jahr. Steigen die tion der militärischen Mächte führen. US-Importe von heute vier Milliarden wie pro- Der Zugriff auf Ölvorkommen ist seit gnostiziert auf sieben Milliarden Fass im Jahr langem ein Hauptfaktor für strategische Pla- 2020, wachsen die Kosten auf mindestens 350 nungen und geostrategische Machtpolitik. Die Milliarden US-Dollar. wachsende Beteiligung von amerikanischen Schon heute geben die USA Hunderte von Truppen an Konflikten ums Öl ist eine unver- Milliarden Dollar jährlich für ihre militärische meidbare Konsequenz aus dem Dilemma der Präsenz in den Golfstaaten und anderen ver- wachsenden Abhängigkeit von Ölimporten. letzlichen Ölregionen der Welt aus. Allein die Kriege ums Öl werden angesichts der militärischen Kosten im mittleren Osten be- schwindenden Ressourcen und des weltweit laufen sich auf 50 Milliarden Dollar pro Jahr. anschwellenden Ölverbrauchs immer wahr- Dadurch wird jedes importierte Fass Öl noch scheinlicher. Viele regionale Konflikte künden einmal um 10 Dollar pro Fass teurer. heute schon davon. Knapp zwei Drittel der weltweiten Ressour- Die EU kann mit ihrer engen Bindung an cen an Öl liegen im Nahen Osten. Gerade die den „Energiepartner“ Russland das Problem Ölpolitik der USA setzt auf den zuverlässigen nicht lösen. Versorgungssicherheit ist auf Dau- Zugang zu den Ölfeldern Saudi Arabiens. er nur zu gewährleisten, wenn die europäischen Doch in der Region brodelt es. Im Irak lassen Staaten konsequent auf den Ausbau erneuer- die Anschläge auf Pipelines und die Infrastruk- barer Energien setzen. tur der Ölindustrie nicht nach. Irak exportiert
12 Öl und Gas Grünbuch Energiesicherheit und Nato-Strategien Die Abhängigkeit Europas von Öl- und Ga- nehmende Konkurrenz der Hochverbrauchs- simporten wächst beständig. Das im März länder bei enger werdenden Weltreserven ist 2006 von der EU-Kommission vorgestellte auch Thema der Nato und ihrer militärischen „Grünbuch Energiesicherheit“ bemerkt dazu: Strategien zur Ressourcensicherung. So ist die „Der Energiebedarf der Union [wird] in den geostrategische Sicherung lebenswichtiger Res- nächsten 20 bis 30 Jahren zu 70 % (statt wie sourcen ein Teil der offiziellen NATO-Strate- derzeit zu 50 %) durch Importe gedeckt wer- gie seit April 1999. „Die Interessen der Allianz den, wobei einige aus Regionen stammen, in können auch durch Risiken weitläufiger Natur denen unsichere Verhältnisse drohen“. gefährdet werden, zu denen die Zufuhr von Was kaum ein Europäer weiß: Die EU im- lebenswichtigen Ressourcen gehört“, so das portiert mehr Rohöl als die USA, die gemein- strategische Konzept der Nato.2 hin als besonders ölabhängig gelten. Im Jahr Die „Aufrechterhaltung des freien Welthan- 2004 führte die EU 547 Millionen Tonnen Öl dels und des ungehinderten Zugangs zu Märk- ein (USA: 508 Millionen Tonnen), davon allein ten und Rohstoffen in aller Welt“ gehört somit 159 Mio. Tonnen aus dem Mittleren Osten.1 ebenfalls zu den „vitalen Sicherheitsinteressen“ Das Grünbuch mahnt folgerichtig eine der Bundesrepublik und ist Bestandteil der „klar definierte Energieaußenpolitik“ an. Diese verteidigungspolitischen Richtlinien der Bun- soll die Modernisierung und den Bau neuer deswehr. Infrastruktureinrichtungen, insbesondere Die EU bereitet sich bereits auf kommen- Erdöl- und Erdgasrohrleitungen und Flüs- de Kriege um Ressourcen vor. Dies geht aus siggas-(LNG)-Terminals sicherstellen, die für Unterlagen des Instituts für Sicherheitsstudien eine stabile Energieversorgung als erforderlich (ISS) hervor. Das „European Defence Paper“, betrachtet werden. Daneben sollen Energie- das im Auftrag des EU-Rates vom ISS in Paris dialoge die Partnerschaft mit Erzeuger- und erstellt wurde, spielt entsprechende Szenarien Transitländern festigen. durch. So heißt es: „Das militärische Ziel der Für die EU ist die kaspische Region dabei [fiktiven] Operation ist es, das besetzte Territo- von zentraler Bedeutung. Neue Öl- und Erd- rium zu befreien und Kontrolle über einige der gaspipelines sollen die europäischen Energie- Öl-Infrastrukturen, Pipelines und Häfen des versorger an die Region anbinden. Der Kampf Landes X zu bekommen.“³ um die Ölreserven am kaspischen Meer, das Zukünftige regionale Kriege könnten Euro- „Great Game“, ist voll entbrannt. Nach dem pas Interessen in sehr wichtigen Fragen berüh- Zerfall der Sowjetunion versucht Washington, ren. So könnte nach dem Szenario des „Euro- auf die kaspischen Energievorräte zuzugreifen pean Defence Paper“ „die direkte Bedrohung und unterstützt Initiativen, um die Ölfelder von Europas Wohlstand und Sicherheit, zum für westliche Investoren zu erschließen und Beispiel in Form von Unterbrechung der Öl- Exportpipelines zu errichten, wie die drei Mil- versorgung und/oder der massiven Steigerung liarden Dollar teure Baku-Tbilisi-Ceyhan-Pipe- für die Kosten von Energie-Ressourcen“ einen line (BTC). Das Engagement wird unterstützt Nato-Einsatz im Mittleren Osten notwendig durch amerikanische Streitkräfte im kaspischen machen.4 Raum. Neben Europa und den USA will sich Die Militarisierung des kaspischen Raumes auch China von Osten her über Kasachstan ist in vollem Gange. Auf der Konferenz „Ver- den Zugriff auf das kaspische Öl sichern. sorgungssicherheit im Kaspischen Raum“, ver- Auf politischer Ebene will die EU bei der anstaltet vom Marshall European Center for Internationalen Energie Agentur (IEA) und Security Studies (US Office of the Secretary of beim G8-Gipfel im Juli 2006 in St. Peters- Defense), trafen sich im September 2005 En- burg die Versorgungssicherheit zum Thema ergieexperten aus der Region mit hochrangigen machen. Das Grünbuch sieht Europas Ener- Nato-Vertretern und US-Experten in Gar- giesicherheit gefährdet: „ Eine geringere Nut- misch Partenkirchen, um über die militärstra- zung fossiler Brennstoffe durch diese Länder tegische Dimension der Energiesicherung zu [Vereinigte Staaten, Kanada, China, Japan und diskutieren. Auf der Tagesordnung standen die Indien] wäre auch für die Energieversorgungs- Reaktion auf kriegerische Auseinandersetzun- sicherheit Europas von Vorteil.“ gen, terroristische Attacken und Unfälle in der Die wachsende Energieabhängigkeit, die zu- Region sowie die Schulung von Streitkräften
Öl und Gas 13 zur Sicherung von Ölpipelines, Pumpstationen 1 BP- Statistical Review, Zahlen von 2004 und Gas- und Ölplattformen.5 2 North Atlantic Treaty Organization, NATO: The Alliance´s Strategic Concept, Brüssel, 1999 Damit nähert sich die Strategie der europäi- 3 Zitiert nach: Andreas Zumach: Die kommenden Kriege, schen Energieaußenpolitik unter dem Druck Köln 2005. wachsender Ressourcenknappheit der vielfach 4 Instutute for Security Studies, European defence – A pro- kritisierten aggressiven US-amerikanischen posal for a White Paper, Report of an independent Task Force, Paris, May 2004, www.iss-eu.org Außenpolitik zur strategischen Absicherung 5 Energy Security in the Caspian Basin – September 25 – 28, ihrer Öllieferungen und Transportrouten an. 2005, www.marshallcenter.org
14 Kohle Kohle: Dinosaurier-Energie des Industriezeitalters Seit mehr als hundert Jahren ist Kohle der Ga- Braunkohle am Primärenergieverbrauch in rant für eine relativ sichere Energieversorgung, Deutschland 11,4 Prozent, der Anteil impor- aber auch für Umweltzerstörungen und Klima- tierter und heimischer Steinkohle belief sich schäden riesigen Ausmaßes. auf 13,4 Prozent. Sieht man von den erneuerbaren Energien ab, ist Kohle der Energieträger mit der größ- Braunkohle: Auf Kosten von ten Nutzungsreichweite. 2004 waren weltweit Landschaft und Klima Reserven in Höhe von 709 Milliarden Tonnen SKE (Steinkohleeinheiten) nachgewiesen, da- Der Braunkohletagebau in Deutschland er- von 642 Milliarden Tonnen SKE Steinkohle streckt sich über eine Fläche von mehr als und 67 Milliarden SKE Weichbraunkohle. Bei 230.000 Hektar, die auch nach der Rekul- gleich bleibendem Verbrauch reichen diese tivierung nur eingeschränkt nutzbar bleibt. Reserven für 172 bzw. 218 Jahre, gemessen Bergbaufolgelandschaften bestehen vor allem am weltweiten Kohleverbrauch im Jahr 2004. aus Seen und minderwertigen Forst- und Kohle trägt mit 27,5 Prozent (Hartkohle 24,5 Ackerflächen. Als besonders schwerwiegend Prozent und Weichbraunkohle ca. 3 Prozent) erweisen sich die unvermeidbaren Eingriffe in zur Weltenergieversorgung bei. den Wasserhaushalt: Umfangreiche Entwässe- Auch Deutschland verfügt über Braun- und rungen (so genannte Sümpfungen) senken den Steinkohlevorkommen. Von den 4,7 Milliarden Grundwasserspiegel im weiten Umkreis ab. Tonnen Steinkohle gelten wegen der ungüns- Mit der Entnahme von mehreren Milliarden tigen geologischen Bedingungen aber nur 0,2 Kubikmeter Grundwasser werden wertvol- Milliarden Tonnen als gewinnbar. Im Jahr 2004 le Trinkwasserreserven zerstört. Allein die förderte Deutschland 25,9 Millionen Tonnen Grundwasserdefizite im Mitteldeutschen und Steinkohle. Diese Menge deckt etwa fünf Lausitzer Braunkohlerevier betragen über 15 Prozent des Gesamtenergieverbrauchs ab. Ver- Milliarden Kubikmeter, das ist etwa ein Drittel treter der deutschen Kohlewirtschaft beziffern der Wassermenge des Bodensees. Im rheini- die Reichweite der deutschen Steinkohle unter schen Revier sind die Folgen der Grundwasser- Beibehaltung der derzeitigen Fördermengen absenkungen bis zur niederländischen Grenze auf etwa 400 Jahre. nachweisbar. Der Steinkohleabbau in Deutschland ist Mehr als 30.000 Menschen mussten in den nicht wirtschaftlich und muss deshalb vom vergangenen 50 Jahren dem Braunkohletage- Staat subventioniert werden. Aufgrund man- bau weichen und Haus und Hof verlassen. gelnder Konkurrenzfähigkeit sind in den Die Schäden in ihrer früheren Heimat bleiben vergangenen Jahrzehnten immer mehr Kohle- auf Jahrhunderte bestehen, da die Wiederher- flöze stillgelegt worden. Importkohle ist preis- stellung eines ausgeglichenen Wasserhaushalts werter als heimische Kohle. 2004 importierte extrem schwierig ist. Allein im Mitteldeutschen Deutschland 45,9 Millionen Tonnen, das sind und Lausitzer Braunkohlerevier würden dafür knapp 65 Prozent der benötigten Steinkohle. mehr als 21 Milliarden Kubikmeter Wasser Die Einfuhren stammen zu zwei Dritteln aus benötigt. Darüber hinaus gefährden die Sicker- den vier Lieferländern Polen, Südafrika, Aus- wässer aus Tagebauseen mit ihren hohen Salz-, tralien und Kolumbien. Die Preise haben sich Eisen- und Schwermetallgehalten benachbarte zwischen 2002 und 2004 mehr als verdoppelt. Oberflächengewässer und das langsam wieder Nur 16 Prozent der Weltförderung werden ansteigende Grundwasser, das Trinkwasser international gehandelt, der Rest wird in den späterer Generationen. Erzeugerländern selbst verbraucht. Die in Deutschland primär zur Stromer- Die Braunkohlevorkommen in Deutschland zeugung genutzte Braunkohle setzt bei ihrer werden derzeit mit 77 Milliarden Tonnen bezif- Verbrennung im Vergleich zu anderen fossilen fert von denen cirka 51 Milliarden Tonnen mit Energieträgern besonders viel Kohlendioxid heutiger Technologie und auf gegenwärtigem (CO2) frei, das sich in der Atmosphäre anrei- Preisniveau gewinnbar wären. Zur Gewinnung chert und das Klima aufheizt. Allein im Jahr frei gegeben sind momentan 6,6 Milliarden 2003 wurden 184,1 Millionen Tonnen CO2 aus Tonnen. der Braunkohlenutzung in die Luft geblasen, Mit einer Fördermenge von 181,9 Milli- das waren 22 Prozent der damaligen deutschen onen Tonnen in 2004 betrug der Anteil der Emissionen.
Kohle 15 Größter Einzelverursacher von CO2-Emissi- und die Industriegewerkschaft Bergbau und onen sind die Rheinisch-Westfälischen Elek- Energie. Sie formulierten als Ziel, „einen le- trizitätswerke (RWE), auf deren Rechnung benden und gesamtwirtschaftlich vertretbaren knapp 90 Millionen Tonnen jährlich gehen. Bergbau (zu) erhalten.“ Mit dem Neubau eines Braunkohlekraftwerks Ende 2003 wurden konkrete Finanzie- in Neurath wollen die RWE diesen Anteil um rungszusagen für die Jahre 2006 bis 2012 weitere 14 Millionen Tonnen CO2 erhöhen. getroffen. Allein seit 1980 sind rund 100 Milli- Ein modernes Gaskraftwerk würde weniger arden Euro geflossen. Der größte Teil der Sub- als die Hälfte dieses Braunkohlekraftwerkes ventionen diente dazu, die deutsche Steinkohle ausstoßen – statt über 800 Gramm nur 365 wettbewerbsfähig zu halten. Dazu wurde die Gramm CO2 pro Kilowattstunde.. Differenz zwischen den hohen Förderkosten für die deutsche Steinkohle und dem um etwa 70 Prozent niedrigeren Preis der Importkohle Steinkohle – Subventionsfass ohne durch Subventionen ausgeglichen. Boden Ex-Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Die Gewinnung von Steinkohle muss vom Clement, heute im Aufsichtsrat von RWE, Staat bezuschusst werden. Seit 1980 sind rund hat mit der Ausgestaltung des Nationalen 100 Milliarden Euro in die Subventionierung Allokationsplans für den europäischen Emissi- der Steinkohleförderung geflossen. Für den onshandel und des Energiewirtschaftsgesetzes Zeitraum 2006 bis 2012 wurden insgesamt dem Brennstoff Kohle und den großen Ener- 15,87 Milliarden Euro an Finanzierungshilfen giekonzernen Wettbewerbsvorteile gesichert. zugesagt. Im Jahr 2004 förderte Deutschland Das nationale Stromnetz dient hauptsächlich 25,9 Millionen Tonnen Steinkohle, bezuschusst der Verteilung des Stroms von vier großen mit 2,25 Milliarden Euro. Diese Menge deckte Konzernen, die Deutschland unter sich auf- fünf Prozent des Gesamtenergieverbrauchs geteilt haben – RWE, E.ON, Vattenfall und und etwa 11 Prozent der Stromerzeugung ab. EnBW. Etwa 50 Großkraftwerke bedienen die Steinkohle als Brennstoff ist der zweitgröß- Stromverbraucher. An Kohle sind RWE und te CO2-Emittent. Bei der Verbrennung von Vattenfall besonders interessiert. Sie besitzen einer Tonne Steinkohle entstehen 2,68 Tonnen die Abbaurechte von Braunkohletagebauen CO2 (Braunkohle: 3,25 Tonnen). Klimapoli- und wollen den preiswerten Brennstoff auch in tisch wäre mit einem Ende der Steinkohleför- Zukunft nutzen. Die negativen Kostenfakto- derung in Deutschland nichts gewonnen. Beim ren, wie zum Beispiel die langfristigen Schäden Ersatz heimischer Steinkohle durch Import- durch Tagebaue und die Klimafolgeschäden kohle würde die globale Umwelt- und Klimabi- sollen die Verbraucher tragen. lanz wegen der notwendigen Transporte sogar Der Amtsvorgänger von Clement und noch weiter verschlechtert. Dennoch kann eine heutige Chef der Ruhrkohle AG Werner Mül- Dauersubventionierung heimischer Steinkohle ler plant, sein Unternehmen an die Börse zu keine Antwort auf steigende Abhängigkeiten bringen. Die RAG, in der alle ehemaligen deut- von Importen sein. Zur Rohstoffversorgung in schen Steinkohlebergbaugesellschaften aufge- der Stahlindustrie bleibt Steinkohle erst einmal gangen sind, ist heute mit ihren Kernbereichen unersetzlich – ob nun aus in- oder ausländi- Chemie, Immobilien, Energie und Bergbau scher Produktion. eines der größten Industrieunternehmen in Deutschland. Den hoch subventionierten Steinkohlebergbau mit seinen Altlasten möch- Politik(er) für die Kohle te Müller an den Staat abtreten, unter Beigabe Deutsche Energiepolitik ist in der Vergan- von vier Milliarden Euro, die er aus dem Erlös genheit immer Politik für die Kohle gewesen. des Börsengangs erwartet. Diese Summe soll Noch bis Ende des Jahres 2005 beruhte die zur Deckung aller künftigen Folgeschäden die- deutsche Steinkohlepolitik auf der im März nen. Die RAG und mit ihr die Hauptaktionäre 1997 getroffenen kohlepolitischen Verein- E.ON, RWE und Thyssen-Krupp wären ein barung. Beteiligt daran waren die damalige ebenso riesiges wie unkalkulierbares Risiko Bundesregierung unter Bundeskanzler Helmut los. Den Schaden haben wieder einmal die Ver- Kohl, die Bergbauländer Nordrhein-Westfalen braucher. und Saarland sowie die Bergbauunternehmen
16 Kohle Die Mär von der sauberen Kohle rund ein Drittel und die Reserven sinken wei- ter, bei gleichzeitig steigenden Rohstoffprei- Die Nutzung von Kohle zur Energieerzeugung sen. verursacht große Umweltprobleme und schä- digt das Klima. Neue Kraftwerkstechnologien, die darauf abzielen, das klimaschädliche Koh- Fazit lendioxid zukünftig im Kraftwerk aufzufangen Kohle ist der Sargnagel für das Klima. Seit und im geologischen Untergrund zu speichern, über hundert Jahren trägt die Verbrennung sind in der Entwicklung. In 10 bis 15 Jahren von Kohle zur Klimazerstörung bei. Mit neuen könnte diese Technologie einsatzbereit sein. Kraftwerken wird dieser Weg für die nächsten Kraftwerksbetreiber nutzen diese Technologie 40 Jahre fortgesetzt. Die Speicherung von als Alibi zum Bau neuer Kraftwerke. Allerdings Kohlendioxid im Untergrund macht Kohle werden Kraftwerke, die heute gebaut werden, nicht zu einem nachhaltigen Energieträger. kein CO2 speichern und stattdessen weiterhin Weiterhin wird viel Kohlendioxid entstehen, das Klima zerstören – für die nächsten 40 Jah- nur muss es dann aufwändig im Untergrund re. Die Nachrüstung bestehender Kraftwerke gelagert werden. ist teuer, der Wirkungsgrad der Kraftwerke Bequem ist die Technologie nur für die auf sinkt, viel mehr Kohle muss verbrannt wer- Kohle setzenden Energieversorger, die mit ih- den. rem „Business as Usual“ weiter Kohle verbren- Einen Beitrag für mehr Versorgungssicher- nen und ihre alten Energieversorgungsstruktu- heit leistet diese Technologie damit ebenfalls ren auf Basis von Großkraftwerken am Leben nicht. Der Kohleverbrauch erhöht sich um erhalten können. Braunkohlekraftwerk Neurath: Mit RWE zurück in die Energiesteinzeit Die RWE genießen heute schon den zwei- Energieschwankungen aus Wind-, Wasser- und felhaften Ruf, größter Klimakiller in Europa Solarkraftwerken angepasst werden können. zu sein. Sie zeichnen verantwortlich für den Diese Flexibilität bieten zum Beispiel moderne Ausstoß von jährlich 168 Millionen Tonnen Gaskraftwerke. Die Braunkohle-Verstromung Kohlendioxid. Allein 16 Millionen Tonnen ist daher doppelt klimaschädlich: Sie behindert davon entfallen auf die fünf Blöcke des Braun- den Ausbau erneuerbarer Energien und heizt kohlekraftwerks Neurath bei Grevenbroich. mit ihrem hohen CO2-Ausstoß das Klima Bis 2010 will RWE den Kraftwerkspark um stärker auf als alle anderen Energieträger. Da zwei weitere Blöcke ergänzen, behält jedoch neue Braunkohlekraftwerke eine Laufzeit von für sich, ob und welche Altanlagen dafür vom 40 Jahren haben, blockiert RWE eine zukunfts- Netz gehen sollen. fähige und klimafreundliche Energiepolitik auf Das neue „Braunkohle-Kraftwerk mit op- Jahrzehnte hinaus. timierter Anlagentechnik“ (BoA) weist zwar RWE kann sich diese klimaschädliche Ge- mit 43 Prozent einen höheren Wirkungsgrad schäftspolitik nur erlauben, weil die Bundes- als die alten Blöcke auf. Mit zusätzlichen 14 regierung die Emissions-Zertifikate kostenlos Millionen Tonnen CO2 jährlich aber würde der verteilt hat. 14 Millionen Tonnen Kohlendioxid Standort Neurath mit zur größten Kohlendi- entsprechen beim derzeitigen Zertifikatspreis oxid-Schleuder Europas. Die Bundesregierung von rund 25 Euro immerhin einem Gegenwert könnte die Erreichung ihrer Klimaschutzziele von 350 Millionen Euro. Die steigenden Kurse abschreiben. für die Zertifikate zu ignorieren und weiterhin Braunkohle-Kraftwerke sind wie Dinosauri- auf kostenlose Emissionsrechte zu bauen, er: Relikte der Vergangenheit. Sie sind schwer- stellt nicht nur ein wirtschaftliches Risiko für fällig in der Steuerung. Für den Energiemix der RWE dar. Die Rechnung zahlen letztlich die Zukunft aber sind leicht regulierbare Kraftwer- Verbraucher. ke nötig, deren Leistungen an wetterabhängige
Kohle 17 Kohlesubventionen: Die Verfestigung des fossilen Energiepfades In ihrem Umweltbericht 2001 für Deutschland So wurden nicht-internalisierte externe stufte die OECD (Organization for Economic Kosten und subventionsähnliche staatliche Re- Cooperation and Development) etwa 35 Pro- gelungen bei den traditionellen Energieträgern zent der Subventionen als umweltschädlich ein. nicht berücksichtigt. Bei den so genannten ex- Darunter fallen auch die Kohlesubventionen, ternen Kosten handelt es sich zum Beispiel um die jahrzehntelang mit dem Erhalt eines heimi- Gesundheits- und Klimafolgeschäden, für die schen Energieträgers und vieler Arbeitsplätze der Verursacher nicht aufkommen muss. Bei gerechtfertigt wurden.1 Zwar sinken die Zu- Einbeziehung aller Subventionsarten würde schüsse seit Jahren, doch für den Zeitraum 2006 sich die Bilanz zugunsten der erneuerbaren bis 2012 wird der deutsche Steinkohlebergbau Energien erheblich verändern.5 immer noch mit insgesamt 15,87 Milliarden Die externen Kosten durch Emissionen der Euro gefördert. Die Kohlesubventionen haben Braunkohlenutzung werden mit 2,2 bis 21,7 dazu beigetragen, dass die Nutzung fossiler Cent pro Kilowattstunde Strom oder insgesamt Energieträger zum Trampelpfad der deutschen in der Spannbreite von 3,5 bis 34,4 Milliarden Energiepolitik wurde. Und so ist es denn auch Euro jährlich angegeben. Dazu kommen die die Kohleindustrie in Nordrhein-Westfalen, die nicht quantifizierten externen Effekte durch viele ökologisch sinnvolle Gesetzesvorhaben2 die Folgewirkungen des Tagebaus. In der im Energiesektor immer wieder torpediert hat. Summe beziffert das Wuppertal-Institut die Die Braunkohleindustrie dagegen behaup- Vergünstigungen für die Braunkohlewirtschaft tet von sich, der einzige subventionsfreie auf insgesamt mindestens 4,5 Milliarden Euro Energieträger in Deutschland zu sein. Sie jährlich. verschweigt die indirekten Begünstigungen, die den Wettbewerb verzerren. Das Wuppertal 1 Durch die Steinkohlesubventionen wird die Differenz Institut identifizierte in einer Kurzstudie3 die zwischen dem Weltmarktpreis und den (höheren) Kosten Freistellung von Wasserentnahmeentgelten, die für die hiesige Förderung finanziert. Da sie den Markt- preis nicht verändern, haben sie keine direkte Auswirkung Förderabgabe für Bodenschätze sowie die För- auf die Struktur der Energieträger in Deutschland und derung der Modernisierung der ostdeutschen sind insofern nicht direkt ökologisch kontraproduktiv. Braunkohle mit einem Subventionswert von Allerdings könnten die Mittel für ökologisch wesentlich 364 Millionen Euro pro Jahr. Für die Sanierung sinnvollere Zwecke verwendet werden (Gebäudesanie- des Braunkohletagebaus werden derzeit im rung, erneuerbare Energiequellen etc.). 2 Jahresdurchschnitt rund 360 Millionen Euro Als Beispiele sind zu nennen: die Auseinandersetzung um die Quote der Kraft-Wärme-Kopplung, die Ausge- aufgewendet.4 staltung des Nationalen Allokationsplanes 2005 bis 2007 Stattdessen verunglimpfen interessierte im Emissionsrechtehandel zugunsten der Kohle oder die Kreise gerne die erneuerbaren Energien als Ausgestaltung des Energiewirtschaftsgesetzes. 3 Subventionsfass ohne Boden. Ein Vergleich Wuppertal-Institut: Braunkohle – ein subventionsfreier im Jahr 2003 zeigt, dass die Fördermittel für Energieträger? Studie im Auftrag des UBA, 2003 4 erneuerbare Energien höher waren als jemals Bismarck, F.: Programm der Braunkohlesanierung : Wei- chenstellung für Regionen?, in: ZAU, Sonderheft 14, hrsg. zuvor. Sie bleiben aber immer noch unter den von C. Gläßer: Nachhaltige Entwicklung von Folgeland- aktuellen – und erst recht unter den vergan- schaften des Braunkohlebergbaus, Berlin 2004 genen – Förderungen für Atomenergie und 5 Meyer, B.: Subventionen und Regelungen mit subventi- Kohle. onsähnlichen Wirkungen im Energiebereich, 2005
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