SCHEINWERFER 9090 - Transparency International Deutschland eV
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SCHEINWERFER 90 DAS MAG A ZIN GEGEN KORRUPTION M Ä R Z 2 0 2 1 — 2 6. J A H R G A N G THEMENSCHWERPUNKT Open Data Chance für Transparenz und Wertschöpfung Bild: Adobe Stock/© Feodora Im Zweifel für Zu wenig Public Money – die offene Fortschritte bei der Public Code Information Gesetzgebung Seite 9 Seite 5 Seite 7
Inhalt 90 Themenschwerpunkt: Über Transparency Open Data – Chance für Der Beirat stellt sich vor: Selmin Çalışkan 19 Transparenz und Wertschöpfung Korruptionswahrnehmungsindex 2020 20 Einführung 4 Ein Lobbyregister für Bayern? 23 Im Zweifel für die offene Information 5 Starke Partner für besseren Hinweisgeberschutz 24 Zu wenig Fortschritte bei der Open Data-Gesetzgebung 7 9. Strafverfolgungskonferenz der Korruption 26 Wofür und wogegen gehen die Menschen in Vorstellung korporativer Mitglieder: Berlin auf die Straße? Was die Daten zeigen 8 Bundesstadt Bonn 28 Public Money – Public Code 9 Stadt Köln: Mehr Transparenz und verschärfte Regeln 29 Intelligente Stadt braucht Transparenz 10 Vorstellung nationaler Chapter: Open Aid: Transparenz und offene Daten I WATCH Tunesien 30 in der Entwicklungszusammenarbeit 11 Open Science – die Zukunft der Wissenschaft? 12 Rezensionen 32 Nachrichten und Berichte Editorial 3 Impressum 34 Politik 13 Zivilgesellschaft 15 Wissenschaft 15 Journalismus 16 Hinweisgeber 17 Sport 17 Finanzwesen 17 2 TR ANSPARENCY DEUTSCHL AND SCHEINWERFER 90
EDITORIAL Liebe Leserinnen und Leser, die Legislaturperiode dauert effektiv nur noch we- Gehör. Ich hoffe sehr, dass die CDU/CSU-Fraktion nige Monate. Bis dahin haben wir jedoch klare Er- des Deutschen Bundestages ihre Blockadehaltung wartungshaltungen an die Bundesregierung. Ich aufgibt und den Weg für das Gesetzgebungsverfah- greife mir drei Beispiele heraus. ren freimacht. Mitte Januar wurde bekannt, dass es einen Referen- Das dritte Thema, das ich herausgreifen will, ist tenentwurf des Bundesjustizministeriums für ein die Geldwäscheprävention und -bekämpfung (vgl. Gesetz zum Hinweisgeberschutz („Whistleblowing“) Scheinwerfer 86). Hier schauen alle Augen auf die gibt, den Ministerin Christine Lambrecht mit dem derzeitige Deutschlandprüfung der Financial Ac- Koalitionspartner abstimmt. Die Zeit eilt. Schließ- tion Task Force (FATF). Die letzte FATF-Prüfung lich ist die diesbezügliche EU-Richtlinie bis zum 17. zeigte, wie desaströs Deutschland bei der Geldwä- Dezember 2021 in deutsches Recht umzusetzen. Bei schebekämpfung aufgestellt ist. Durch die hoch- ihren Erläuterungen nahm Ministerin Lambrecht umstrittene Verlagerung der Financial Intelligence viele der von Transparency Deutschland formulier- Unit (FIU) zum Zoll ist ein weiteres Problem hinzu- ten Argumente und Forderungen auf. Was mich ein gekommen. Bei den Verpflichteten in der Wirtschaft wenig irritiert, ist die Begrenzung der öffentlichen und deutschen Strafverfolgern ist die Einheit zum Debatten auf die Privatwirtschaft. Das verkennt, dass sprichwörtlich roten Tuch geworden, weil sie einge- sowohl die EU-Richtlinie als auch der Referenten- hende Verdachtsmeldungen nicht adäquat bearbei- entwurf ebenso Behörden im Blick haben. „Selbst- ten kann − oder schlicht nicht an die Strafverfolger verständlich“ möchte man rufen, denn: Nachteile weiterleitet. Eine interessante Besonderheit ist die darf es weder für die Compliance-Mitarbeiterin einer Doppelrolle des FAFT-Präsidenten als Führungs- Bank geben, die die Beteiligung ihres Arbeitgebers kraft im Bundesfinanzministerium während der an Geldwäsche offenbart, noch für den Beamten im Deutschlandprüfung. Umweltministerium, der auf einen korruptiven Um- Sie sehen also: Transparency Deutschland gehen gang eines Vorgesetzten mit einem bekannten Le- die spannenden Themen nicht aus. Ich wünsche bensmittelproduzenten hinweist. Ihnen eine anregende Lektüre der vor Ihnen liegen- Kaum ein Gesetzgebungsvorhaben hat es schwerer, den Ausgabe des Scheinwerfer. den Weg in das Bundesgesetzblatt zu finden, als das Verbandssanktionengesetz. Nach Streit innerhalb Ihr der Großen Koalition legte die Bundesjustizministe- Sebastian Fiedler rin im April 2020 den zweiten Gesetzentwurf dazu vor. Nun soll das Werk „Gesetz zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft“ heißen. Wenn es hilft. Der Waldschadensbericht heißt schließlich inzwi- schen auch Waldzustandsbericht und das Strafge- setzbuch darf künftig gern „Gesetz zur Stärkung des Wohlverhaltens natürlicher Personen“ heißen. Der Inhalt entscheidet. Dabei habe ich kein Verständ- nis für die insbesondere von Wirtschaftsverbänden vehement vorgebrachte Fundamentalkritik. Im Er- gebnis machen sie sich zum Sprachrohr kriminell Sebastian Fiedler Bild: BDK Windmüller agierender Unternehmen, anstatt ihren Mitglieds- Vorstandsmitglied Transparency Deutschland unternehmen deutlich zu machen, dass eines der Hauptziele des Gesetzes darin besteht, die redlich handelnden Unternehmen zu schützen. Die Kritiker finden insbesondere in Teilen der Unionsparteien SCHEINWERFER 90 TR ANSPARENCY DEUTSCHL AND 3
THEMENSCHWERPUNKT Open Data: Chance für Transparenz und Wertschöpfung Geteilte Freude ist doppelte Freude. Wollte man dieses alte Sprichwort ins digitale Zeitalter übertragen, müsste es heißen: Geteiltes Wissen ist milliardenfaches Wissen. Der uneingeschränkte Zugang zu Wissen und Informationen für jedermann, das ist der Grundgedanke von Open Data. Ziel ist es, eine Wertschöpfungskette für Bildung, Wissenschaft, Chancengleichheit und Teilhabe in Gang zu setzen. JULIANE SCHINDLER Schon der Beginn des Internets, wie wir es kennen, geht auf freiheitsgesetz des Bundes (IFG) ist das zentrale deutsche Ge- Open Source zurück. Als Tim Berners-Lee 1989 die erste HTML- setz zur Informationsfreiheit auf Bundesebene und gewährt Seite ins World Wide Web stellte, patentierte er seine Entwick- jeder Person einen voraussetzungslosen Rechtsanspruch auf lung nicht. Er stellte sie frei für jedermann zur Verfügung. Zugang zu amtlichen Informationen von Bundesbehörden. Die Unzählige Entwickler*innen und Programmierer*innen sind Veröffentlichung von Daten ermöglicht es, politische Entschei- diesem Beispiel gefolgt und haben das Internet seither stetig dungsprozesse leichter zu kontrollieren, zu interpretieren und weiterentwickelt. Eine umwälzende Idee und beispiellose Er- zu bewerten. Damit wird die demokratische Bürgerbeteiligung folgsgeschichte − auch in wirtschaftlicher Hinsicht. Entstanden gefördert und auf der anderen Seite Korruption erschwert. Die sind vor allem multinationale Unternehmen, deren Einfluss und Daten werden bislang jedoch nur auf Anfrage bereitgestellt. Macht stetig zu wachsen scheint. Das bekannteste Überbleib- Mit einem Transparenzgesetz, wie es in Hamburg bereits seit sel des großen Traums vom kollektiven Wissen ist heute wohl 2012 in Kraft getreten ist, stehen eine Vielzahl von Dokumenten Wikipedia. Wenn wir heutzutage mal eben schnell eine gezielte und Daten kostenfrei online zur Verfügung. Dass solche Kon- Information aus dem Internet ziehen oder etwas auf Wikipedia zepte erfolgreich funktionieren können, beweisen auch andere nachschlagen, denken wir gar nicht weiter darüber nach. Daran bereits vorhandene Projekte. So haben die Länder Berlin und knüpft das Open-Data-Modell an. Die Forderungen nach frei- Bremen die Einrichtung elektronischer Zentraldatenbanken em Zugang zu Wissen für jedermann wurde nicht zuletzt durch bereits in ihren Informationsfreiheitsgesetzen verankert und Protagonist*innen wie Unternehmer und „Hacktivist“ Aaron ermöglichen ihren Bürger*innen die Nutzung verschiedener Schwarz zum festen Bestandteil öffentlicher Debatten. Daten. Offene Datensätze werden in konkreten Anwendungen Man stelle sich vor, wie viele Wissenschaftler*innen oder genutzt, beispielsweise Geo- oder Verkehrsdaten in Routenpla- Techniker*innen schon dieselben Probleme gewälzt haben. nern oder themenbezogenen Karten. Wie oft mögen nach dem Grundsatz von Versuch und Irrtum Daten sind der moderne Treibstoff des digitalen Zeitalters, das exakt gleiche Experimente an unterschiedlichen Orten und ist mittlerweile ein Allgemeinplatz. Dennoch: Ein freier Zugang zu verschiedenen Zeiten stattgefunden haben. Es liegt auf der eröffnet vielfältige Chancen in fast allen Bereichen. Der digita- Hand, dass es effizienter wäre, die Daten zu teilen, anstatt sie le Datenaustausch fördert Neuentwicklungen und ermöglicht zigfach lokal für sich zu sammeln. Doch warum sollte man et- schnellere Reaktion und Lösungsansätze. Wirtschaft, Wissen- was teilen, wenn man selbst davon keinen direkten Vorteil hat? schaft, Medizin und Forschung, aber insbesondere auch Me- Die Antwort ist ganz einfach: Weil es andersherum ebenfalls dien, Politik und Zivilgesellschaft profitieren letztendlich von Bild: Adobe Stock/© kai001 möglich ist, auf Daten und Informationen aus anderen Quellen Offenheit und Transparenz. Mit dieser Schwerpunkt-Ausgabe zuzugreifen. Dadurch entsteht ein neues, digitales Ökosystem, möchten wir verschiedene Perspektiven auf dieses Thema auf- von dem jede*r profitieren kann. zeigen. Auch Regierungen öffnen langsam ihre Datenbanken für das Open-Data-Modell. Seit Dezember 2016 ist Deutschland der Juliane Schindler ist Teil des Scheinwerfer-Redaktionsteams. Open Government Partnership beigetreten. Das Informations- Sie hat den Schwerpunkt redaktionell mitbetreut. 4 TR ANSPARENCY DEUTSCHL AND SCHEINWERFER 90
THEMENSCHWERPUNKT Im Zweifel für die offene Information Chancen und Grenzen offener Daten − einige grundlegende Gedanken von Prof. Ulrich Kelber, Bundesbeauftragter für den Datenschutz und die Informationsfreiheit „Open Data“ steht für die grundsätzliche Idee, Daten und In- formationen für alle Interessierten frei zugänglich und nutzbar zu machen. Parlamente, Gerichte, Behörden und andere Teile der öffentlichen Verwaltung produzieren Daten. Das sind bei- spielsweise Gesetze, Statistiken, Haushaltsdaten, Umwelt- und Wetterdaten, Geodaten, Verkehrsdaten, Publikationen, Proto- kolle oder Gerichtsentscheidungen. Deren Potenzial soll nicht weiter brach liegen. Die Verfügbarkeit und die Weiterverwendung solcher Daten werden als Wirtschaftsfaktor und als Innovationsmotor ge- priesen. Das Bundesministerium des Innern spricht vom Auf- bau eines „Daten-Ökosystems“, in dem Wirtschaft, Verwaltung und Zivilgesellschaft gegenseitig von einer guten Datenbasis profitieren können. Soweit die Theorie. Die Praxis gestaltet sich nach meiner Erfahrung weitaus schwieriger. Das Streben nach umfassender Transparenz löst in der Ver- waltung häufig Unmut und reflexartig die Angst vor Kontroll- verlust aus. Dabei sollte es doch anders sein: Der Staatsdienst muss zum Nutzen derer geführt werden, die ihm anvertraut sind, und nicht zum Nutzen derer, denen er anvertraut ist. Ein solcher Kulturwandel, wie von Cicero beschrieben, lässt noch auf sich warten. Dabei hätten offene Daten − neben den ökonomischen Aspek- ten − echtes Potenzial zur Pflege und Belebung unserer Demo- kratie. Gleichberechtigte Teilhabe an Informationen ermög- licht eine neue Form von Politik und Kommunikation, bei der sich die Beteiligten auf Augenhöhe begegnen. Statt ängstlich Pfründe und Zuständigkeiten wahren, sollten wir uns alle da- für einsetzen, die gesellschaftlichen Debatten und Entwicklun- gen mit Informationen und Daten voranbringen. Akzeptanz durch Transparenz Die Covid-19-Pandemie führt es uns derzeit vor Augen: Staat- liche Maßnahmen bedürfen der Akzeptanz. Rücksicht und Vernunft lassen sich nur bedingt verordnen. Je besser Maß- nahmen und die damit verfolgten Ziele erklärt werden, umso größer ist das Verständnis in der Bevölkerung und damit der Erfolg. Dass der Der Staatsdienst muss zum Nutzen derer Bedarf nach zuverlässigen Informationen groß geführt werden, die ihm anvertraut Bild: Adobe Stock/© Poi Natthaya ist, sehe ich an der gestiegenen Anzahl an An- fragen an meine Behörde in den vergangenen sind, und nicht zum Nutzen derer, denen Monaten. Dabei standen das Robert-Koch-In- er anvertraut ist. stitut, das Bundesgesundheitsministerium und die Rückholaktionen des Auswärtigen Amtes im Fokus. Auch den aktuellen Ruf nach einer Offenlegung der Verträge zwischen der Europäischen Union und den Herstellern von Co- rona-Impfstoffen halte ich für berechtigt und nachvollziehbar. SCHEINWERFER 90 TR ANSPARENCY DEUTSCHL AND 5
THEMENSCHWERPUNKT Anstatt pompöser Datenfriedhöfe benötigen wir mehr Digitalisierung und Angebote, die die Ein prominentes Beispiel für Akzeptanz Menschen wirklich erreichen. Open Data will durch Transparenz ist die Corona-Warn- keine Beteiligungseliten schaffen, sondern allen App. Bereits bei der Entwicklung kooperier- te eine Allianz aus Verwaltung, Wirtschaft Menschen Teilhabe ermöglichen. und Zivilgesellschaft, der Quellcode der App ist frei zugänglich. Das hohe Daten- schutzniveau und die Offenheit in der Entwicklung sind in meinen Augen wesentliche Faktoren, die dazu geführt haben, dass die Nutzerzahlen der deutschen App größer sind als die aller anderen europäischen Warn-Apps zusammen. Was brauchen wir für mehr Open Data? Anstatt pompöser Datenfriedhöfe benötigen wir mehr Digitalisierung und An- gebote, die die Menschen wirklich erreichen. Das gilt für Start-Ups, Nichtregierungsorganisationen sowie interessier- te Bürgerinnen und Bürger gleichermaßen. Außerdem müs- sen wir gleiche Chancen für alle Menschen unserer Gesell- schaft schaffen: Staatliche Open Data-Angebote oder solche mit staatlicher Unterstützung müssen allen Bürgerinnen und Bürgern bekannt und einfach zugänglich sein, wenn sich der Effekt nicht ins Gegenteil verkehren soll. Open Data will keine Beteiligungseliten schaffen, sondern allen Menschen Teilha- be ermöglichen. Zeit für ein echtes Transparenzgesetz Was macht der „BfDI“? Beginnen könnte der Bundesgesetzgeber mit einer Reform Seit dem 7. Januar 2019 ist Ulrich Kelber Bundesbeauf- des seit 2006 geltenden Informationsfreiheitsgesetzes. Noch tragter für den Datenschutz und die Informationsfreiheit immer ist es − entgegen meiner Forderung − nicht zu einem (BfDI). Die Institution der oder des BfDI besteht seit 1978. Transparenzgesetz weiterentwickelt worden. Die Regel ist Die Person wird ohne Aussprache auf Vorschlag der Bun- nach wie vor die Informationsgewährung auf Antrag. Dass öf- desregierung vom Deutschen Bundestag mit mehr als der fentliche Stellen von sich aus Informationen zugänglich ma- Hälfte der gesetzlichen Zahl seiner Mitglieder für eine chen, ist die Ausnahme. Es gibt Amtszeit von fünf Jahren gewählt. Eine einmalige Wieder- außerdem zu viele Gründe, mit wahl ist möglich. Es wäre bürger- denen der Zugang zu Informa- freundlich, tionen abgelehnt werden kann. Der Bundesbeauftragte ist in der Ausübung seines Amtes völlig unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen. Der Die Liste dieser Gründe bedarf die bestehenden einer Modernisierung und An- BfDI hat umfassende Untersuchungsbefugnisse: Alle öf- fentlichen Stellen des Bundes sind ebenso wie die Anbie- Informations- passung mit dem Fokus: Im ter von Post- oder Telekommunikationsdiensten ver- Zweifel für die offene Informa- gesetze zu einem tion. pflichtet, ihn und seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei der Erfüllung seiner Aufgaben zu unterstützen. Informations- Es wäre bürgerfreundlich, die gesetzbuch zu- bestehenden Informations- Als eigenständige und unabhängige oberste Bundesbe- hörde stehen dem BfDI bei der Wahrnehmung seiner Auf- gesetze zu einem Informa- sammenzulegen. tionsgesetzbuch zusammen- gaben derzeit etwa 240 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Bonn und in Berlin zur Seite. Einmal jährlich gibt der zulegen. Über die Einhaltung BfDI einen Tätigkeitsbericht heraus, in dem er über seine würde eine Beauftragte oder ein Beauftragter wachen, die Arbeit informiert, insbesondere auch über die von ihm Bild: Bundesregierung/Kugler oder der ausreichende Befugnisse hat und so die Bürgerinnen verhängten Sanktionen und Maßnahmen. und Bürger bei der Wahrnehmung ihrer Rechte unterstützen kann. Wenn dann noch eine grundsätzliche Abwägung zwi- Alle Bürgerinnen und Bürger haben das Recht, sich mit schen dem öffentlichen Interesse an der Information und einer Beschwerde direkt an den BfDI zu wenden, wenn sie der Ansicht sind, dass eine der Aufsicht des BfDI unterlie- dem individuellen Geheimhaltungsinteresse − wie beispiels- gende Stelle ihre Rechte verletzt hat. Die Inanspruchnah- weise im Bereich des Umweltinformationsgesetzes − ein- me dieses Rechts ist grundsätzlich kostenfrei. geführt würde, wäre Deutschland dem Transparenz-Ziel ein gutes Stück näher gekommen. 6 TR ANSPARENCY DEUTSCHL AND SCHEINWERFER 90
THEMENSCHWERPUNKT Zu wenig Fortschritte bei der Open Data-Gesetzgebung Kurz vor Weihnachten 2020 haben Bundeswirtschafts- und Bundesinnenministerium gemein- sam einen Referentenentwurf zur Änderung von § 12a des E-Government-Gesetzes (EGovG) und zur Einführung eines Datennutzungsgesetzes vorgelegt. Leider bleiben beide Gesetzentwürfe hinter dem selbstgesteckten Ziel zurück, zum „Vorreiter und Treiber einer verstärkten Datenbereit- stellung und Datennutzung“ zu werden. D A V I D W A G N E R / B E N D I X S Ä LT Z / A N N E S C H W A R Z Die Überarbeitung der Open Data-Gesetzgebung bietet aus Auch der Entwurf für das Datennutzungsgesetz bleibt hinter Sicht von Nichtregierungsorganisationen und Zivilgesellschaft den Zielen zurück. Im Wesentlichen erfüllt er lediglich die von viel Raum für Kritik. So soll es auch künftig keinen einklagba- der EU-Richtlinie gesetzten Mindeststandards. ren Anspruch gegen die Verwaltung geben, ihre Daten als Open Data bereitzustellen. Damit adressiert der Referentenentwurf Zentrales Open Data-Portal den Hauptkritikpunkt am bestehenden § 12a EGovG nicht. Die Aus Sicht der Zivilgesellschaft und Bürger:innen wäre es ge- Rüge richtet sich nicht nur an den Bund: Auch auf Länderebene nerell wünschenswert, wenn sich alle Verwaltungsebenen in gibt es keinen allgemeinen einklagbaren Rechtsanspruch auf Deutschland verpflichten, ihre Daten auf dem Metadatenportal Open Data. govdata.de bereitzustellen − und govdata.de zu einem echten Zum Teil bedeutet der Entwurf sogar einen Rückschritt: Aktuell nationalen Open Data-Portal auszubauen. Dies würde den Zu- ist die Verwaltung verpflichtet, Daten in maschinenlesbare For- gang zu den Daten stark erleichtern. Zudem führt der parallele mate zu überführen, solange dies keinen unverhältnismäßigen Betrieb mehrerer Plattformen zu erhöhten Kosten. Aufwand bedeutet. Diese Pflicht fällt weg: Künftig müssen Ver- Weiterführende Einschätzungen zum aktuellen Gesetzgebungs- waltungen nur die Daten als Open Data bereitstellen, die bereits prozess finden Sie in unserer diesbezüglichen Stellungnahme in maschinenlesbarer Form vorliegen. Statt die Formatierungs- von D64 und der gleichfalls lesenswerten Stellungnahme des pflicht abzuschaffen, sollte der Gesetzgeber besser das Aus- Max Planck Instituts für Innovation und Wettbewerb, abrufbar schlusskriterium der Unverhältnismäßigkeit konkretisieren. auf der Webseite des Bundeswirtschaftsministeriums. Span- Erfreulich ist, dass künftig auch die mittelbare Bundesver- nend bleibt, wie Bundeswirtschafts- und Bundesinnenminis- waltung − wie die Bundesanstalt für Arbeit und die Deutsche terium die Kritik der Stellungnahmen einarbeiten. Im März will Bibliothek − und Forschungsdaten in den Anwendungsbereich das Bundeskabinett entscheiden, bis zum 16. Juli muss das Ge- von § 12a EGovG fallen. setz durch den Bundestag. Der Jurist David Wagner, der Softwareentwickler Bendix Sältz Weiterhin fehlen ausreichende und die Beraterin Anne Schwarz arbeiten ehrenamtlich bei D64 Ressourcen − Zentrum für digitalen Fortschritt. Der Verein versteht sich als Neu ist die Verankerung von Open Data-Koordinatoren in den Denkfabrik des digitalen Wandels. Bundesbehörden. Das klingt gut − leider regelt der Entwurf aber weder die Zuweisung von Kompetenzen noch die Zuteilung finanzieller Mittel. Dass es daran fehlt, ist seit dem Open Data- Fortschrittsbericht der Bundesregierung von 2019 bekannt: 70 Status Quo der Prozent der befragten Behörden haben einen entsprechenden Open Data-Gesetzgebung Posten bereits geschaffen, zugleich beklagen 57 Prozent der Be- fragten mangelnde finanzielle und personelle Ressourcen. Seit Juli 2017 verpflichtet § 12a des E-Government-Gesetzes (EGovG) Teile der Bundesverwaltung dazu, sogenannte Dass Kosten nicht ausreichend berücksichtigt wurden, zeigt Rohdaten als Open Data bereitzustellen. Die Überarbeitung des sich auch bei der Gesetzesfolgenabschätzung: Der Entwurf un- Paragraphen ist unter anderem im Koalitionsvertrag vereinbart. terschätzt die Kosten für die Bereitstellung offener Daten und Außerdem will Deutschland mit dem Datennutzungsgesetz bis ignoriert Kosten für den laufenden Betrieb gänzlich. Insbeson- zum 16. Juli 2021 die EU-Richtlinie zur Weiterverwendung von dere die für dynamische (Echtzeit-)Daten vorgesehenen Pro- Informationen des öffentlichen Sektors von 2019 umsetzen. grammierschnittstellen (APIs) müssen individuell entwickelt Dieses soll das bestehende Informationsweiterverwendungsge- und kontinuierlich aufrechterhalten werden. setz ablösen. SCHEINWERFER 90 TR ANSPARENCY DEUTSCHL AND 7
THEMENSCHWERPUNKT Wofür und wogegen gehen die Menschen in Berlin auf die Straße? Was die Daten zeigen Mit dem Projekt „Demo-Hauptstadt Berlin“ zeigt die Transpa- hatte „FragDenStaat“ die Daten der Berliner Polizei zu öffentli- renzplattform „FragDenStaat“, wie offene Daten öffentliche De- chen Versammlungen angefragt. Die visuelle Aufbereitung zeigt, batten abbilden und damit wiederum die öffentliche Debatte be- welche Themen die Menschen mobiliseren. Mehr Grafiken und reichern können. Mit Hilfe des Informationsfreiheitsgesetzes Informationen finden Sie auf www.fragdenstaat.de. Größe der Demonstration Teilnehmer:innenquote Geschätzte Teilnehmer:innenzahl der Demonstration Verhältnis zwischen tatsächlicher Teilnehmer:innenzahl und angemeldeten Teilnehmer:innen 100 1.000 10.000 50.000 100.000 0% 1-25% 25-50% 50-75% 75-100% >100% Zeitleiste Ausland 3.647 Demos mit 117.748 Teilnehmer:innen Bürgerrechte 1.370 Demos mit 462.673 Teilnehmer:innen Umwelt 1.203 Demos mit 340.002 Teilnehmer:innen Visualisierung: Fabian Dinklage, Moritz Klack, Christopher Möller | webkid.io rechts 1.138 Demos mit 23.407 Teilnehmer:innen Antifa und Antira 465 Demos mit 86.899 Teilnehmer:innen Corona-Maßnahmen 185 Demos mit 13.410 Teilnehmer:innen 8 TR ANSPARENCY DEUTSCHL AND SCHEINWERFER 90
THEMENSCHWERPUNKT Public Money − Public Code Nicht erst die Corona-Pandemie hat die Notwendigkeit einer umfassenden Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung ins Bewusstsein gerückt. Dabei stehen die verwendeten Software- Lösungen im Mittelpunkt der Überlegungen. Sie müssen eine Nachvollziehbarkeit digitaler Prozesse ermöglichen. ROL AND HOHEISEL- GRULER Für den Sachverständigenrat für Verbraucherfragen spielen formationsprozessen gewährleistet. Proprietäre Lösungen hin- bei der digitalen Souveränität von Nationalstaaten zwei Dinge gegen sind mit Einschränkungen in Nutzbarkeiten und Lizenzen eine wichtige Rolle: die Gewährleistung der Integrität der digi- sowie datenschutzrechtlichen Risiken behaftet. Dass öffentli- talen Infrastruktur und der Grundsatz der Selbstbestimmung ches Geld auch zu öffentlicher Beteiligung an den Ergebnissen bei der Nutzung digitaler Technologien. Eine im Auftrag des führen muss, liegt im Interesse einer transparenten und demo- Bundesinnenministeriums erstellte Studie aus dem Jahr 2019 kratischen Bürgergesellschaft. konstatierte, dass gerade im Bereich der öffentlichen Verwal- tung diese Souveränität gefährdet sei und mahnt rasche Ver- Roland Hoheisel-Gruler ist Dozent an der Hochschule des Bun- besserungen an. des für öffentliche Verwaltung. Er ist Mitglied des Scheinwer- fer-Redaktionsteams und hat den Schwerpunkt dieser Ausgabe Bereits 2017 haben zahlreiche zivilgesellschaftliche Organisatio- mitbetreut. nen in einem offenen Brief gefordert, die öffentliche IT als Teil einer kritischen Infrastruktur in öffentlicher Hand zu behalten. Dies könne nur mit offenen Software-Lösungen erreicht wer- den. Und wenn diese mit öffentlichen Geldern entwickelt wer- München de, dann solle die Software auch unter Freier Lizenz veröffent- Die Stadt hat 2003 die bis dahin größte Open-Source- licht werden. Diese Idee wurde unter dem Slogan „public money Transformation einer öffentlichen Verwaltung in Eu- − public code“ bekannt. ropa gestartet. Unter dem Label „LiMux“ wurden bis 2009 li- nuxbasierte offene Office-Anwendungen auf den städtischen Vorteile freier Software Computerarbeitsplätzen installiert. Trotz wirtschaftlicher Vor- Als Vorteile freier Software wird angeführt, dass sie jedermann teile legte 2016 ein Gutachten der Stadtverwaltung nahe, zu ei- ner Windows-basierten Lösung zurückzukehren. Nachdem der erlaube, sie zum eigenen Nutzen einzusetzen und gleichzeitig Stadtrat 2017 einen entsprechenden Beschluss gefasst hatte, an der Weiterverbreitung wie an der Verbesserung des Produkts vereinbarte die grün-rote Rathausmehrheit nach den Kommu- mitzuwirken. Dieser Teilhabegrundsatz, der im Kern das Demo- nalwahlen 2020 wieder eine Umkehr zu Open-Source in der kratische ins Digitale transformiert, wird durch freie Lizenzen Stadtverwaltung. Zuletzt wurde im IT-Ausschuss der Stadt gefördert. Dadurch könne vermieden werden, dass restriktive eine Beschlussfassung bis spätestens April 2021 vertagt. Lizenzen den Wettbewerb behindern. Im Herbst 2020 hat eine Gruppe von Expert*innen − initiiert von der Open Source Busi- Baden-Württemberg ness Alliance und Vitako, der Bundes-Arbeitsgemeinschaft der In Baden-Württemberg kümmert sich Komm.ONE, Kommunalen IT-Dienstleister − ein erstes Konzept für ein „Open eine Anstalt des öffentlichen Rechts in gemeinsamer Source Code Repository“ für die öffentliche Hand vorgestellt. Trägerschaft des Landes und der Kommunen, um die Fragen Der Interessenverbund macht sich dafür stark, dass in öffentli- der digitalen Souveränität der Kommunen. Dem Einsatz von chen Verwaltungen mehr freie Software im oben genannten Sin- Open Source-Software kommt dabei eine Schlüsselrolle zu. ne zum Einsatz kommt. Doch der Weg zu einer öffentlichen Ver- Auf der anderen Seite fördert das Kultusministerium des Lan- waltung nach diesem Vorbild ist noch weit. Das zeigen Beispiele des den Ausbau der Microsoft-365-Werkzeuge in der Schule. wie München oder Baden-Württemberg (s. Infobox). Die Debatte hierzu wurde im Wesentlichen unter Datenschutz- gesichtspunkten geführt. Allerdings wenden sich derzeit Leh- Baustein für eine moderne, rer*innen, Eltern und Schüler*innen gegen dieses Projekt und transparente Verwaltung fordern, dass auch im schulischen Bereich offene Software zum Einsatz kommen müsse. Nachdem ein Pilotversuch mit Die Initiative „public money − public code“ ist ein wesentlicher Microsoft an ausgewählten Schulen gestartet wurde, ist das Baustein für eine transparente, moderne Verwaltung, die den Ergebnis offen. Herausforderungen der Digitalisierung gewachsen ist und die ein hohes Maß öffentlicher Teilhabe an den digitalen Trans- SCHEINWERFER 90 TR ANSPARENCY DEUTSCHL AND 9
THEMENSCHWERPUNKT Intelligente Stadt braucht Transparenz Weltweit bauen Städte und Kommunen an „smarten“ Zukunftsmodellen. Dabei spielen Daten eine entscheidende Rolle. Dass es möglich ist, diese Daten transparent zu erheben, Missbrauch zu verhindern und Vertrauen zu schaffen, zeigt ein europäisches Projekt. ANJA SCHÖNE Die österreichische Hauptstadt Wien setzt nicht erst seit Corona auf digitale Bürger:innenveranstaltungen zur Beteiligung. Dabei hat sie in ihrer Strategie explizit fest- gehalten, dass „die für die Grundversorgung nötige Inf- rastruktur fest in den Händen der Stadt“ bleibt. Andere Städte setzen bei der Gestaltung ihrer Smart City Stra- tegie auf externen Sachverstand. So hat der Senat von Berlin 2019 die Unternehmensberatung Ernst & Young damit beauftragt, eine Digitalisierungsstrategie zu ent- wickeln. Projekt DECODE „Wenn man die Infrastruktur einer Stadt von Privaten organisieren lässt, dann gibt der Staat nicht nur Gestal- tungshoheiten ab, sondern nimmt sich langfristig die Chance jeder Form von Gestaltung.“ Das sagte Frances- Fast alle größeren Städte weltweit wollen inzwischen Smart ca Bria in einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zei- City sein oder werden. Die sogenannten „intelligente Städte“ tung im vergangenen Jahr. Bria gilt als eine der Vordenkerinnen eint, dass sie neue Technologien wie Drohnen, Sensoren oder für transparenten und selbstbestimmten Umgang mit Daten in Algorithmen nutzen, um unterschiedliche Ziele zu erreichen; Städten und Kommunen. Das von ihr geleitete DECODE-Projekt zum Beispiel die Stadtverwaltung effizienter machen oder Ver- hat in Barcelona und Amsterdam 2019 und 2020 einen Pilotver- kehrsprobleme lösen. Dazu setzen sie auf Daten, die wir als Bür- such gestartet. Dabei wurden die technischen Voraussetzung ger:innen täglich produzieren − und die wir mehr oder weniger dafür geschaffen, dass Bürger:innen selbst entscheiden konn- gedankenlos oder freiwillig an Unternehmen weitergeben. Die ten, mit wem sie ihre Daten teilen und zu welchen Bedingungen. Konzentration der Daten in den Händen von (wenigen) Konzer- So konnten sie zum Beispiel Petitionen unterzeichnen, ohne nen, die sich kaum regulieren und noch weniger in die Karten sensible persönliche Informationen preiszugeben; sich bei loka- schauen lassen, ist eines der Probleme der Smart Cities. len Social-Media-Netzwerken anmelden und besser kontrollie- ren, welche Daten sie zu welchem Zweck weitergeben; oder Sen- Smart Cities in aller Welt sordaten über Lärmbelästigung oder Luftverschmutzung ohne Die Formen sind vielfältig. In Rio de Janiero etwa hat die Stadt- Sicherheits- oder Datenschutzbedenken mit Behörden und Ge- verwaltung gemeinsam mit dem Unternehmen IBM im Zuge der meinden teilen. Olympischen Spiele ein Kontrollzentrum errichtet, in dem vor allem Überwachungsdaten aus dem öffentlichen Raum zusam- Gesellschaftlicher Diskurs menlaufen. Inzwischen wird das Zentrum insbesondere von der Die Liste der offenen Fragen bei intelligenten Städten ist lang. Zu Bild: www.stuttgart.maps.sensor.community Militärpolizei genutzt. den wichtigsten. Zu den wichtigsten gehört laut Francesca Bria: In Stuttgart erfasst ein von Bürger:innen initiiertes Projekt unter „Was bedeutet Demokratie angesichts völlig neuer Kräftever- luftdaten.info regelmäßig den Schadstoffausstoß der Stadt (s. hältnisse, wo algorithmische Autoritäten den Habermasschen Photo). Wie schnell sich ein „smartes“ Projekt ins Gegenteil ver- Raum von Dialog und Information übernehmen?“ Oder anders kehren kann, zeigt das Chain-Projekt in London. In einer Daten- gefragt: Wie können wir es schaffen, Technologien nicht als bank haben Hilfsorganisationen Informationen über Obdachlose Ende der Entwicklung zu betrachten, sondern als Instrument, gesammelt, um besser helfen zu können, etwa Nationalität und mit dem wir Städte in Zukunft so gestalten können, dass sie da- häufige Aufenthaltsorte. Als das britische Innenministerium Zu- ten- und bürger:innenfreundlich sind? griff erhielt, stieg die Zahl der Festnahmen von ausländischen Obdachlosen deutlich. Anja Schöne ist Mitglied des Scheinwerfer-Redaktionsteams. 10 TR ANSPARENCY DEUTSCHL AND SCHEINWERFER 90
THEMENSCHWERPUNKT Open Aid: Transparenz und offene Daten in der Entwicklungszusammenarbeit Jan Wenzel arbeitet bei VENRO, dem Dachverband der entwicklungspolitischen und humani- tären Nichtregierungsorganisationen (NROs) in Deutschland. Dort leitet er den Bereich Stärkung der Zivilgesellschaft und die VENRO-Arbeitsgruppe Transparenz. Im Interview mit dem Scheinwerfer erklärt er das Konzept der „Open Aid“, das von Open Data inspiriert und auf den Sektor der Entwicklungszusammenarbeit (EZ) ausgerichtet ist. I N T E RV I E W : J O N AT H A N P E T E R S Transparenz ist für das Bundesentwicklungsministerium (BMZ) „ein Leitprinzip der deutschen Entwicklungspolitik“ und „Grundvoraussetzung für eine wirksame Entwicklungs- zusammenarbeit“. Inwiefern beschäftigt sich VENRO mit Transparenz? VENRO beschäftigt sich seit vielen Jahren mit Transparenzini- tiativen im gemeinnützigen Sektor. Mit der durch Transparen- cy Deutschland koordinierten Initiative Transparente Zivilge- sellschaft (ITZ), in deren Trägerkreis wir aktiv sind, versuchen wir einen niederschwelligen Zugang für gemeinnützige Orga- nisationen zu schaffen. In diesem Rahmen sollen wesentliche Transparenzaspekte wie zum Beispiel Satzung, Jahresberichte, Mittelherkunft und Entscheidungsträger:innen veröffentlicht werden. Mit dem VENRO-Verhaltenskodex zu Transparenz, Or- ganisationsführung und Kontrolle, auf den sich die Mitglieds- organisationen verpflichten, gehen wir an vielen Punkten noch Die Möglichkeit der Fülle und Verarbeitung von Daten ist eine wesentlich weiter. Herausforderung. Insofern müssen auch Prinzipien wie die Notwendigkeit und Datensparsamkeit leitend sein. Für Akteure Ein wichtiges Konzept für Transparenz in der EZ ist „Open Aid“ aus NROs, die mit sehr begrenzten Mitteln arbeiten, ist wich- − was hat es damit auf sich? tig, dass sie nicht nur für die Datenerfassung, sondern im Sinne Open Aid hat das Ziel, die Koordination, Kohärenz und Rechen- der geplanten Wirkungen in den Projekten arbeiten können. schaft in den Partnerländern und unter den so genannten Ge- Wir hören von den engagierten Mitarbeitenden immer wieder, bern zu stärken. Das begrüßen wir. Es richtet sich in erster Linie dass zu viel Arbeitszeit durch administrative Berichtsprozesse an Akteure der staatlichen EZ. Damit auch zivilgesellschaftliche gebunden wird. Diese Zeit fehlt für den Kontakt und die Arbeit Organisationen einen Mehrwert daraus ziehen können, müssen mit den Projektpartnern. Hier muss ein angemessenes Maß ge- zunächst Daten durch die staatlichen Akteure verfügbar ge- funden werden. Trotzdem wäre es sehr wünschenswert, dass macht und aktuell gehalten werden. staatliche Akteure weltweit ihre Daten in einem einheitlichen Wie funktioniert das genau? Standard veröffentlichen. Dafür ist der IATI-Standard [Inter- Open Aid bewegt sich mehr auf einer politischen oder wissen- national Aid Transparency Initiative] ein Format, welches sich schaftlichen Ebene. Damit können sich die Akteure der Staa- durchsetzen könnte. tengemeinschaft besser abstimmen, welche Maßnahmen an Wie könnte eine verbesserte Umsetzung von Transparenz für welchem Ort und in welchem Arbeitsbereich bereits umgesetzt den deutschen EZ-Sektor aussehen? werden. So kann überprüft werden, wie sie in der Zusammen- Wir sind derzeit in Planungen mit dem BMZ und der Gesell- schau wirken. Und es können auch Initiativen gestärkt werden, schaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) für Workshops mit denen Menschen in den Ländern des Globalen Südens Re- zu den IATI-Standards. Dabei geht es uns zum einen um die Fra- chenschaft darüber einfordern, was mit internationalen Gel- Bild: Adobe Stock/© Login ge der Nutzung dieser Daten durch zivilgesellschaftliche Akteu- dern in ihrer Region passiert und was dadurch erreicht wird. re, zum Beispiel für die Advocacy-Arbeit. Zum anderen schau- Auf dieser Ebene ist Open Aid auch für die internationale Zivil- en wir aber auch, wie sich Daten, die im Rahmen von anderen gesellschaft, für die Wissenschaft und Politik sehr interessant. Transparenzinitiativen bereits erfasst werden, auch für das Be- Wie wichtig erscheint Ihnen die Veröffentlichung von Daten in richten im IATI-Standard harmonisieren und nutzen lassen. Wir einem einheitlichen, computerlesbaren Datenformat? sind hier also im Dialog. SCHEINWERFER 90 TR ANSPARENCY DEUTSCHL AND 11
THEMENSCHWERPUNKT Open Science − die Zukunft der Wissenschaft? Um die Überprüfbarkeit wissenschaftlicher Erkenntnisse zu verbessern, sollten alle Einzelteile eines Forschungsprojektes zugänglich gemacht werden − nicht nur veröffentlichte oder noch unveröffentlichte Manuskripte (Preprints), sondern auch genutzte Materialien und Daten. MA X KORBMACHER Das akademische Publikationssystem steht leider häufig im Veröffentlichungen genutzt, gelesen und zitiert werden. Frei Konflikt mit guter Wissenschaft: Verlage wollen ihre Leser- zugängliche Artikel werden häufiger gelesen und zitiert − und schaft maximieren und bevorzugen deshalb neue und spek- sind die Hauptinformationsquelle von Forscher*innen mit be- takuläre Forschungsergebnisse. Leider sind genau solche grenztem Budget. Zusätzlich bietet ein vollständig transparen- Ergebnisse eher ungewöhnlich − und anfällig für Replikations- tes Projekt bessere Möglichkeiten für Außenstehende, um ein probleme. Viele Forschungsprojekte finden keine signifikanten tieferes Verständnis zu erlangen. Effekte und sind damit oftmals schwer interpretierbar. Dazu kommt: Der Wert einer forschenden Person wird häu- Open Science als neuer fig auf die Anzahl der Publikationen reduziert. Entsprechend Wissenschaftsstandard? entsteht Druck, so viel wie möglich zu veröffentlichen. Da die Wer sich nicht in der akademischen Welt bewegt, fragt sich an Karriere davon abhängt, die Resultate jedoch nicht immer mit- dieser Stelle sicher: „Ist das denn kein Standard in der Wissen- spielen, werden leider überraschend häufig fragwürdige Mittel schaft?“ Die kurze Antwort ist: nein. Jedoch gibt es zahlreiche genutzt, die den wissenschaftlichen Prozess untergraben. Initiativen von Einzelpersonen und Organisationen mit dem Ziel, Wissenschaft durch die häufigere Anwendung von Open Die Replikationskrise Science-Prinzipien zu verbessern. Viele dieser Initiativen wur- den als Antwort auf die Replikationskrise ins Leben gerufen. In verschiedenen Disziplinen der Wissenschaft zeigt sich im- Sie unterstützen und fordern Transparenz, um sowohl Studi- mer wieder, dass die Evidenzgrundlage für viele bereits an- ennachvollziehbarkeit als auch -wiederholbarkeit zu gewähr- erkannte Resultate nicht robust ist, etwa in den Gesundheits- leisten. und Verhaltenswissenschaften. Ein Problemkind, kürzlich stark im Fokus der Kritik, ist die Psychologie. Wiederholte Stu- In kleinen Schritten werden immer mehr Open Science-Metho- dien konnten ursprüngliche Effekte oft nicht reproduzieren, den in den Forschungs- und Publikationsalltag übernommen. was als Replikationskrise bekannt wurde. Dabei ist es wichtig, Wir sind auf dem richtigen Weg. Es gilt, Open Science fest in dass Forscher*innen einander helfen, Wissenschaft durch Re- der Wissenschaft von morgen zu verankern. Damit Open Sci- plikationen voranzubringen (siehe Infobox). ence-Methoden als Standard und nicht Ausnahme behandelt werden, muss jedoch noch viel geschehen. Der Ansatz einer transparenten und offenen Wissenschaft, also „Open Science“, kann zur Lösung dieser Probleme beitragen. Max Korbmacher ist Masterstudent in Neurowissenschaften Denn mit Open Science kann viel Zeit gespart werden, da die an der Universität Bergen (Norwegen) und Mitglied der Stu- meisten Nachfragen durch zugänglich gemachte Materialien dent Initiative for Open Science (SIOS). beantwortet werden können. So sollte auf alle Einzelteile eines Forschungsprojektes zugegriffen werden können: Gemeint sind damit nicht nur veröffentlichte oder noch unveröffent- lichte Manuskripte (Preprints), sondern auch genutzte Ma- terialien und Daten. Open Data ist also Teil der Open Science Devise: Teile so viel Information wie möglich über dein For- Replikation schungsprojekt. ist eines der Kernprinzipien der Wissenschaft. Nachdem eine wissen- Open Science reduziert Barrieren und verbessert Wissenschaft. schaftliche Erkenntnis erlangt ist, wird die originale Studie de- In einer Welt ohne Open Science sind Forschungsartikel und ckungsgleich oder mit kleinen Änderungen wiederholt. Wenn ein Lizenzen für wissenschaftlich erprobte Fragebögen und ande- Effekt wiederholt gefunden wird, kann mit größerer Sicherheit davon re Materialien oft teuer. Trotzdem wollen Verfasser, dass ihre ausgegangen werden, dass dies nicht dem Zufall zuschulden ist. 12
NACHRICHTEN UND BERICHTE POLITIK GRECO: Deutschland braucht wirksame Transparenzregeln herhinkt. Er fordert daher, umgehend mit der Umsetzung der Empfehlungen aus dem GRECO-Bericht zu beginnen. § Hierzu zählt die Schaffung von Regeln, die die Offenlegung von Angaben über Kontakte hochrangiger Entscheidungsträ- ger:innen mit Lobbyisten sicherstellen. Es müssen zudem § wesentliche Beiträge zu Gesetzesvorhaben dokumentiert und offengelegt werden, auch wenn sie dem förmlichen Beteili- § gungsverfahren vorhergehen. Diese Forderung ist vor dem Hintergrund der aktuellen Debatte um die Einführung eines verpflichtenden Lobbyregisters und legislativen Fußabdrucks von entscheidender Bedeutung. GRECO bemängelt auch die mangelnde Transparenz im Umgang mit Interessenkonflikten. Die Expertengruppe ruft Deutschland zur Einführung von klaren Bestimmungen auf, womit Interessenkonflikte sowohl während als auch nach der Amtszeit hochrangiger Entscheidungsträger:innen der Exe- kutive verhindert werden können. Erforderlich ist dazu eine Verlängerung der für Bundesminister:innen sowie parlamen- tarische Staatssekretär:innen geltenden Karenzzeiten und Die Staatengruppe des Europarates gegen Korruption (GRECO) wirksame Sanktionen, wenn diese nicht eingehalten werden. hat im Dezember den Bericht der fünften Evaluierungsrunde über Deutschland veröffentlicht. Nach Ansicht von Hart- Bereits in der Vergangenheit hat GRECO mehrmals auf den mut Bäumer, Vorsitzender von Transparency Deutschland, Mangel an Transparenz bei äußeren Einflüssen und die Er- zeigt der Bericht klar, dass Deutschland bei der Schaffung forderlichkeit wirksamerer Regelungen zur Bekämpfung der von Transparenzregeln für Lobbyismus international hinter- Korruption hingewiesen. (ok) POLITIK Hohe Geldstrafe für AfD wegen illegaler Parteispenden Die Bundestagsverwaltung erklärte im AfD nicht angegeben. Auch veröffent- November zwei Parteispenden an die lichte Spenderlisten stellten sich als AfD für illegal. Aufgrund von zwei Straf- fehlerhaft heraus. bescheiden muss die Partei nun über Genutzt werden sollten die zwei Partei- 500.000 Euro Strafe zahlen. Ein Recher- spenden für die Finanzierung des rechts- cheteam vom NDR, WDR und Süddeut- populistischen Kongresses „Europäische scher Zeitung hatte herausgefunden, Visionen − Visionen für Europa“ im Feb- dass die Spenden illegalerweise aus der ruar 2016 sowie für den Wahlkampf von Schweiz stammen und über Strohleute Alice Weidel, Vorsitzende der AfD-Bun- verschleiert wurden. Die wahre Identi- destagsfraktion. Gegen die Strafbeschei- tät der Geldgeber wurde dabei von der de will die AfD rechtlich vorgehen. (td) SCHEINWERFER 90 TR ANSPARENCY DEUTSCHL AND 13
NACHRICHTEN UND BERICHTE POLITIK POLITIK Bundesministerien: Großspenden: Union Externe Beratung bekommt am meisten soll reduziert werden Die CDU hat im vergangenen Jahr sidenten Einzelspenden über 50.000 Großspenden in Höhe von knapp Euro unverzüglich zur Veröffentlichung Im November hat der Haushaltsaus- 1,61 Millionen Euro erhalten − mehr als anzeigen. Wenn sich Spenden innerhalb schuss des Deutschen Bundestags dreimal so viel wie im Jahr 2019. Als eines Jahres auf über 10.000 Euro sum- nach Informationen des SPIEGEL die Großspenden zählen alle Zuwendungen mieren, müssen Parteien diese in ihren Bundesregierung aufgefordert, Maß- über 50.000 Euro. Insgesamt knapp die Rechenschaftsberichten ausweisen. nahmen zu ergreifen, „um den Einsatz Hälfte dieser Gesamtsumme kamen von Die Rechenschaftsberichte erscheinen von externen Beratern und externen dem Immobilienunternehmen CG Grup- allerdings erst mit einiger zeitlicher Unterstützungskräften substanziell zu pe (500.000 Euro) und ihrem Gründer Verzögerung. Dieses Verfahren kritisiert senken“. Die Bundesregierung müsse Christoph Gröner (300.000 Euro). Die Hartmut Bäumer, Vorsitzender von bis Juni 2021 einen Bericht vorlegen, CSU erhielt eine Großspende in Höhe Transparency Deutschland: „Niemand „in dem jedes Ressort für seinen Be- von 340.000 Euro vom Verband der versteht, warum Spenden erst ab 10.000 reich einen Maßnahmenkatalog und Bayerischen Metall- und Elektroindust- Euro in den Rechenschaftsberichten der einen Abbaupfad“ darlegt. rie (vbm). Die Unionsparteien kamen im Parteien auftauchen − und dass, sofern Peter Conze, Senior Berater für Sicher- Vorwahljahr damit insgesamt auf Groß- sie unter 50.000 Euro bleiben, erst ein- heits- und Verteidigungspolitik von spenden von knapp über zwei Millionen einhalb Jahre später. In einem Wahljahr Transparency Deutschland, begrüßte Euro. Alle übrigen Bundestagsparteien müssen insbesondere die Daten zur diesen Beschluss. Zwar sei der gezielte verzeichneten einen Spendenrückgang. Wahlkampffinanzierung zeitnah ver- Einsatz von Beratern durchaus sinn- So erhielten die SPD und Bündnis 90/ öffentlicht werden.“ voll, etwa mit Blick auf Spezialfragen. Die Grünen jeweils lediglich eine Groß- Außerdem fordert Transparency die Ab- Der gegenwärtige Umfang dieser Pra- spende vom vbm in Höhe von 50.001 senkung der Veröffentlichungsschwelle xis müsse jedoch hinterfragt werden: Euro. Im Jahr 2019 hatten die SPD noch für Parteispenden auf 2.000 Euro und „Die Einschaltung von Beratern, zum 206.651 Euro und die Grünen 335.001 eine Deckelung der jährlichen Zuwen- Beispiel bei der Steuerung von Groß- Euro erhalten. An die FDP flossen im dungen an eine Partei auf 50.000 Euro projekten im Verteidigungsministe- Jahr 2020 101.001 Euro im Form von pro Spender oder Sponsor. Sponso- rium, verwischt die staatliche Verant- zwei Großspenden. Die AfD, die im ring durch kommunale und staatliche wortung und gibt wichtige Aufgaben Vorjahr leer ausgegangen war, bekam Unternehmen sollte generell untersagt in die Hand von Angestellten von Be- einmal 100.000 Euro. werden. Darüber hinaus setzt sich die ratungsfirmen, die nicht dem Gemein- Allerdings sagen Großspenden nichts Organisation dafür ein, dass parteige- wohl verpflichtet sind, sondern eigene über das gesamte Spendenaufkom- bundene Kandidierende keine Direkt- wirtschaftliche Interessen verfolgen“, men einer Partei aus. Bisher muss die spenden mehr annehmen dürfen. (dp) so Conze. (an) Empfängerpartei dem Bundestagsprä- POLITIK Mehr Transparenz bei Aktienoptionen? Müssen Bundestagsabgeordnete zukünftig auch Aktienoptio- Aus Sicht des Vorsitzenden von Transparency Deutschland nen als Einnahmen aus Nebentätigkeiten angeben? Das sieht Hartmut Bäumer sei es ein begrüßenswerter erste Schritt der ein geplanter Gesetzentwurf der CDU/CSU-Fraktion vor. Im Union, „ihren Widerstand gegen die Aufnahme von sogenann- November berichteten verschiedene Medien, die Fraktion pla- ten Aktienoptionen in den Katalog öffentlich zu machender ne einen solchen Entwurf, offenbar als Reaktion auf die Affäre Nebenverdienste von Abgeordneten aufzugeben. Konsequent um Philipp Amthor. Der Parlamentarier war unter Druck gera- wäre, wenn die Union auch die Einführung eines legislativen ten, weil er für das amerikanische IT-Unternehmen Augustus Fußabdrucks nicht weiter blockieren und für möglichst wenige Intelligence lobbyiert hatte und dafür Aktienoptionen bekam, Ausnahmen bei einem verpflichtenden Lobbyregister eintreten die er später zurückgab. würde.“ (as) 14 TR ANSPARENCY DEUTSCHL AND SCHEINWERFER 90
NACHRICHTEN UND BERICHTE ZIVILGESELLSCHAFT Änderungen des Gemeinnützigkeits- rechts gehen nicht weit genug nützigen Zweck der politischen Bildung eigenen engagieren können − beispiels- hinausgingen. Das Urteil und ein Blick in weise ein Karnevalsverein, der sich an die Realität der Arbeit zivilgesellschaftli- einer Aktion gegen Rassismus und für cher Organisationen zeigt, wie reform- Toleranz beteiligen möchte. Diese For- bedürftig das Gemeinnützigkeitsrecht derungen wurden bei der Reform jedoch ist, zumal die gemeinnützigen Zwecke nicht berücksichtigt. Immerhin wurden im Gesetz sehr eng definiert sind und ins Gemeinnützigkeitsrecht sechs neue Lücken aufweisen. Im Dezember ver- Zwecke aufgenommen. Dazu zählen Kli- gangenen Jahres hatte sich der Bundes- maschutz, Antidiskriminierung wegen tag dieses Themas angenommen. Im geschlechtlicher Identität, Antirassis- Rahmen der Reform des Jahressteuerge- mus sowie Freifunk (Förderung von setzes wurden aber nur kleinere Ände- offenen WLANs). rungen beschlossen. Transparency Deutschland fordert Nach Auffassung von Transparency darüber hinaus, auch den Einsatz für Für Aufsehen hatte letztes Jahr das Deutschland sollten gemeinnützige Or- Menschen- und Bürgerrechte in den Ge- sogenannte Attac-Urteil des Bundesfi- ganisationen die eigenen Zwecke auch meinnützigkeitskatalog aufzunehmen. nanzhofs gesorgt. Das Gericht hatte der überwiegend oder ausschließlich mit Im Rahmen der Initiative „Zivilgesell- Organisation den Gemeinnützigkeits- politischen Mitteln verfolgen dürfen. schaft ist gemeinnützig“ setzen sich 180 status mit der Begründung aberkannt, Verbände sollten sich punktuell auch für Organisationen für eine Modernisierung dass ihre Tätigkeiten über den gemein- andere gemeinnützige Zwecke als ihre des Gemeinnützigkeitsrechts ein. (dp) ZIVILGESELLSCHAFT WISSENSCHAFT Längere Fristen bei Urteil: Uni Hamburg muss Beteiligungs- Spender:innen nicht nennen prozessen gefordert Die Universität Hamburg muss Das Gesetz regelt eigentlich die Namen ihrer Spender:in- umfassende Auskunftspflich- In einem offenen Brief an die Bundesregierung nen nicht nennen. Das ent- ten für öffentliche Einrichtun- fordert Transparency Deutschland als Mitglied eines schied das Oberverwaltungs- gen, macht aber zahlreiche breiten netzpolitischen Bündnisses ausreichende gericht Hamburg im November Einschränkungen. Die Uni- zeitliche Fristen bei der Beteiligung der Zivilgesell- und hob damit ein knapp zwei versität Hamburg sah sich als schaft und Verbände an politischen Entscheidungen. Jahre zurückliegendes Urteil Ausnahme von den Regeln und In der jetzigen Praxis werden seitens der Bundes- der Vorinstanz auf. gab nur ausgewählte Informa- ministerien oft nur wenige Werktage für die Stel- Geklagt hatte der Journalist tionen weiter. lungnahmen zu Gesetzesentwürfen erwartet. Das und Open Data-Aktivist Arne Die Gerichtsentscheidung ist verhindert die fundierte Bewertung. Neben ausrei- Semsrott. Er bezog sich auf auch aus Sicht von Transpa- chenden Fristen für die Kommentierung von Ge- das hamburgische Transpa- rency Deutschland bedauer- setzesentwürfen rufen die Unterzeichner:innen des renzgesetz und wollte wissen, lich, da sie die Transparenz Briefes zur Bereitstellung von Synopsen für bessere wer der Universität Spenden von Drittmitteln an Hochschu- Vergleich- und Nachvollziehbarkeit der Änderungen, von mehr als 1.000 Euro über- len einschränkt. Eine Revision zur Veröffentlichung der Referentenentwürfe auf den wiesen hatte und für wel- des Urteils ist nicht zulässig. Webseiten der Ministerien sowie zu einer Öffnung chen Zweck diese verwendet Die vollständige Urteilsbegrün- des Partizipationsprozesses auf. (ok) wurden. dung liegt noch nicht vor. (as) SCHEINWERFER 90 TR ANSPARENCY DEUTSCHL AND 15
NACHRICHTEN UND BERICHTE JOURNALISMUS „Wenn die Pressefreiheit zum Kostenfaktor wird“ KO M M E N TA R V O N HEINRICH FISCHWASSER eine Abkehr von der lange bestehen- zuständig. Auffallend bei einigen ihrer den Haltung der Verlage, die Versuche Entscheidungen ist eine kleinlich-stren- zur Vorfeldbeeinflussung aussichtslos ge Ausdeutung von Wortzitaten. Die machte. Kammer ist aber nicht immer so streng. Bundesweite Aufmerksamkeit erweckte So lautete das Motto einer Onlinedis- Aber auch die eher klassische ex-post- sie unlängst mit der Erkenntnis, dass die kussionsrunde im Dezember, zu der Mo- Bekämpfung unerwünschter Bericht- Bezeichnung einer bekannten Politike- nique Hofmann, Geschäftsführerin der erstattung hat Konjunktur. Besonders rin als „alte perverse Drecksau“ keine Deutsche Journalistinnen- und Journalis- rege ist seit etwa anderthalb Jahren Prinz Beleidigung sei, sondern eine zulässige ten-Union (dju) in ver.di, auch Transpa- Georg Friedrich von Preußen. Angegrif- Meinungsäußerung. rency Deutschland eingeladen hatte. fen wird die in seinen Augen bisweilen falsche Tatsachenberichterstattung im Prozesse kosten Geld; das Kostenrisi- Presseberichterstattung kann unan- Zusammenhang mit den Entschädi- ko in diesen Sachen liegt bei ungefähr genehm sein. Es werden häufig Dinge gungsforderungen seines „Hauses“ we- 5.000 Euro. Dieses Geld kann nicht öffentlich, die die Betroffenen nicht öf- gen Enteignungen in der Besatzungszeit. jeder einsetzen. Hier kann der „Prinzen- fentlich machen wollen. Wie verhindert Dabei scheuen der Prinz und sein Anwalt fonds“ von FragdenStaat helfen und für man das? Man engagiert einschlägige auch vor großen Namen nicht zurück. mehr Waffengleichheit sorgen. Wer sich Anwälte, die sich mit Präventivstrategien So bekamen die Frankfurter Allgemeine vertieft informieren will und eventuell auskennen. Diese versenden „Informa- Zeitung, der Springer Verlag und die Ge- finanziell unterstützen möchte, findet tionsschreiben“, Gespräche werden erbe- werkschaft ver.di ebenso wie bekannte mehr unter mmm.verdi.de und bei frag- ten, Alternativinformationen angeboten Historiker Anwaltspost. Die Zahl der denstaat.de/aktionen/prinzenfonds/. und „deals“ angeregt. Und es wird Druck Streitfälle ist nicht nachprüfbar bekannt. Wenn man rechtspolitisch zwei Wünsche ausgeübt: „Wenn Sie das schreiben, ver- Von mehr als 120 Vorgängen berichtet frei hätte, wünschte man sich die Ab- klage ich Sie“ ist der Titel einer Studie der der SPIEGEL. schaffung des fliegenden Gerichtsstan- Otto-Brenner-Stiftung zu der Thematik. des − was der Bundesrat Ende letzten Die Verlage gehen häufig darauf ein. Die In Deutschland kann sich bei Pressesa- Jahres verhindert hat − und der Berliner Abwägung der Kosten der Rechtsabwehr chen der Kläger das Gericht aussuchen, Justiz eine bessere Personalpolitik. gegen den Nutzen des einzelnen Artikels man spricht vom sogenannten fliegen- fällt dann zu Lasten des letzteren aus. den Gerichtsstand. Georg Friedrich zu Heinrich Fischwasser leitet die Regio- Nur noch wenige große Verlage sind Preußen lässt vorzugsweise in Berlin nalgruppe Frankfurt/ Rhein-Main von bereit zu kämpfen. Beobachter erkennen klagen. Dort ist die 27. Zivilkammer Transparency Deutschland. JOURNALISMUS Über 50 Medienschaffende weltweit getötet Laut der Jahresbilanz der Pressefreiheit 2020 von der Orga- über Demonstrationen berichteten. Eine Person kam bei nisation Reporter ohne Grenzen sind weltweit im Jahr 2020 einem Auslandseinsatz ums Leben, alle anderen im Heimat- mehr als 50 Journalist:innen wegen oder bei ihrer Arbeit land. Zudem ist mit der Hinrichtung des regimekritischen getötet worden. Damit hat sich der Trend der letzten Jahre Journalisten Ruhollah Sam im Iran Mitte Dezember erstmals fortgesetzt. Die meisten davon wurden gezielt ermordet, weil seit 30 Jahren die Todesstrafe an einem Medienschaffenden sie zu Korruption, organisiertem Verbrechen oder Umwelt- vollstreckt worden. Zu den gefährlichsten Ländern zählen zerstörung recherchierten. Mehrere wurden getötet, als sie Mexiko, der Irak und Afghanistan. (ok) 16 TR ANSPARENCY DEUTSCHL AND SCHEINWERFER 90
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