SCHEINWERFER 9090 - Transparency International Deutschland eV

Die Seite wird erstellt Pia Vollmer
 
WEITER LESEN
SCHEINWERFER 9090 - Transparency International Deutschland eV
SCHEINWERFER
                                                                                                                          90
                              DAS MAG A ZIN GEGEN KORRUPTION   M Ä R Z 2 0 2 1 — 2 6. J A H R G A N G

                                                                                                THEMENSCHWERPUNKT

                                                                                             Open
                                                                                             Data
                                                                                Chance für Transparenz
                                                                                 und Wertschöpfung
Bild: Adobe Stock/© Feodora

                                                                Im Zweifel für                 Zu wenig               Public Money –
                                                                die offene                     Fortschritte bei der   Public Code
                                                                Information                    Gesetzgebung           Seite 9
                                                                Seite 5                        Seite 7
SCHEINWERFER 9090 - Transparency International Deutschland eV
Inhalt                                                                                90
Themenschwerpunkt:                                     Über Transparency
Open Data – Chance für                                 Der Beirat stellt sich vor: Selmin Çalışkan        19
Transparenz und Wertschöpfung
                                                       Korruptionswahrnehmungsindex 2020                  20
Einführung 					                                4      Ein Lobbyregister für Bayern?                      23
Im Zweifel für die offene Information    		     5      Starke Partner für besseren
                                                       Hinweisgeberschutz          		                     24
Zu wenig Fortschritte bei der
Open Data-Gesetzgebung 		                       7      9. Strafverfolgungskonferenz der Korruption        26
Wofür und wogegen gehen die Menschen in
                                                       Vorstellung korporativer Mitglieder:
Berlin auf die Straße? Was die Daten zeigen     8      Bundesstadt Bonn           		                      28
Public Money – Public Code      		              9      Stadt Köln: Mehr Transparenz
                                                       und verschärfte Regeln      		                     29
Intelligente Stadt braucht Transparenz         10
                                                       Vorstellung nationaler Chapter:
Open Aid: Transparenz und offene Daten
                                                       I WATCH Tunesien                                   30
in der Entwicklungszusammenarbeit              11

Open Science – die Zukunft der Wissenschaft?   12
                                                       Rezensionen                                        32

Nachrichten und Berichte                               Editorial        				                               3
                                                       Impressum           			                            34
Politik                  		                    13
Zivilgesellschaft       		                     15
Wissenschaft          		                       15
Journalismus          		                       16
Hinweisgeber                                   17
Sport                                          17
Finanzwesen          		                        17

2                                                   TR ANSPARENCY DEUTSCHL AND             SCHEINWERFER    90
SCHEINWERFER 9090 - Transparency International Deutschland eV
EDITORIAL

                       Liebe Leserinnen
                       und Leser,
                       die Legislaturperiode dauert effektiv nur noch we-      Gehör. Ich hoffe sehr, dass die CDU/CSU-Fraktion
                       nige Monate. Bis dahin haben wir jedoch klare Er-       des Deutschen Bundestages ihre Blockadehaltung
                       wartungshaltungen an die Bundesregierung. Ich           aufgibt und den Weg für das Gesetzgebungsverfah-
                       greife mir drei Beispiele heraus.                       ren freimacht.

                       Mitte Januar wurde bekannt, dass es einen Referen-      Das dritte Thema, das ich herausgreifen will, ist
                       tenentwurf des Bundesjustizministeriums für ein         die Geldwäscheprävention und -bekämpfung (vgl.
                       Gesetz zum Hinweisgeberschutz („Whistleblowing“)        Scheinwerfer 86). Hier schauen alle Augen auf die
                       gibt, den Ministerin Christine Lambrecht mit dem        derzeitige Deutschlandprüfung der Financial Ac-
                       Koalitionspartner abstimmt. Die Zeit eilt. Schließ-     tion Task Force (FATF). Die letzte FATF-Prüfung
                       lich ist die diesbezügliche EU-Richtlinie bis zum 17.   zeigte, wie desaströs Deutschland bei der Geldwä-
                       Dezember 2021 in deutsches Recht umzusetzen. Bei        schebekämpfung aufgestellt ist. Durch die hoch-
                       ihren Erläuterungen nahm Ministerin Lambrecht           umstrittene Verlagerung der Financial Intelligence
                       viele der von Transparency Deutschland formulier-       Unit (FIU) zum Zoll ist ein weiteres Problem hinzu-
                       ten Argumente und Forderungen auf. Was mich ein         gekommen. Bei den Verpflichteten in der Wirtschaft
                       wenig irritiert, ist die Begrenzung der öffentlichen    und deutschen Strafverfolgern ist die Einheit zum
                       Debatten auf die Privatwirtschaft. Das verkennt, dass   sprichwörtlich roten Tuch geworden, weil sie einge-
                       sowohl die EU-Richtlinie als auch der Referenten-       hende Verdachtsmeldungen nicht adäquat bearbei-
                       entwurf ebenso Behörden im Blick haben. „Selbst-        ten kann − oder schlicht nicht an die Strafverfolger
                       verständlich“ möchte man rufen, denn: Nachteile         weiterleitet. Eine interessante Besonderheit ist die
                       darf es weder für die Compliance-Mitarbeiterin einer    Doppelrolle des FAFT-Präsidenten als Führungs-
                       Bank geben, die die Beteiligung ihres Arbeitgebers      kraft im Bundesfinanzministerium während der
                       an Geldwäsche offenbart, noch für den Beamten im        Deutschlandprüfung.
                       Umweltministerium, der auf einen korruptiven Um-
                                                                               Sie sehen also: Transparency Deutschland gehen
                       gang eines Vorgesetzten mit einem bekannten Le-
                                                                               die spannenden Themen nicht aus. Ich wünsche
                       bensmittelproduzenten hinweist.
                                                                               Ihnen eine anregende Lektüre der vor Ihnen liegen-
                       Kaum ein Gesetzgebungsvorhaben hat es schwerer,         den Ausgabe des Scheinwerfer.
                       den Weg in das Bundesgesetzblatt zu finden, als das
                       Verbandssanktionengesetz. Nach Streit innerhalb         Ihr
                       der Großen Koalition legte die Bundesjustizministe-     Sebastian Fiedler
                       rin im April 2020 den zweiten Gesetzentwurf dazu
                       vor. Nun soll das Werk „Gesetz zur Stärkung der
                       Integrität in der Wirtschaft“ heißen. Wenn es hilft.
                       Der Waldschadensbericht heißt schließlich inzwi-
                       schen auch Waldzustandsbericht und das Strafge-
                       setzbuch darf künftig gern „Gesetz zur Stärkung des
                       Wohlverhaltens natürlicher Personen“ heißen. Der
                       Inhalt entscheidet. Dabei habe ich kein Verständ-
                       nis für die insbesondere von Wirtschaftsverbänden
                       vehement vorgebrachte Fundamentalkritik. Im Er-
                       gebnis machen sie sich zum Sprachrohr kriminell                                            Sebastian Fiedler
Bild: BDK Windmüller

                       agierender Unternehmen, anstatt ihren Mitglieds-                                           Vorstandsmitglied
                                                                                                                  Transparency Deutschland
                       unternehmen deutlich zu machen, dass eines der
                       Hauptziele des Gesetzes darin besteht, die redlich
                       handelnden Unternehmen zu schützen. Die Kritiker
                       finden insbesondere in Teilen der Unionsparteien

                       SCHEINWERFER        90          TR ANSPARENCY DEUTSCHL AND                                                               3
SCHEINWERFER 9090 - Transparency International Deutschland eV
THEMENSCHWERPUNKT

Open Data: Chance für Transparenz
und Wertschöpfung
Geteilte Freude ist doppelte Freude. Wollte man dieses alte
Sprichwort ins digitale Zeitalter übertragen, müsste es
heißen: Geteiltes Wissen ist milliardenfaches Wissen. Der
uneingeschränkte Zugang zu Wissen und Informationen für
jedermann, das ist der Grundgedanke von Open Data. Ziel
ist es, eine Wertschöpfungskette für Bildung, Wissenschaft,
Chancengleichheit und Teilhabe in Gang zu setzen.

JULIANE SCHINDLER

Schon der Beginn des Internets, wie wir es kennen, geht auf        freiheitsgesetz des Bundes (IFG) ist das zentrale deutsche Ge-
Open Source zurück. Als Tim Berners-Lee 1989 die erste HTML-       setz zur Informationsfreiheit auf Bundesebene und gewährt
Seite ins World Wide Web stellte, patentierte er seine Entwick-    jeder Person einen voraussetzungslosen Rechtsanspruch auf
lung nicht. Er stellte sie frei für jedermann zur Verfügung.       Zugang zu amtlichen Informationen von Bundesbehörden. Die
Unzählige Entwickler*innen und Programmierer*innen sind            Veröffentlichung von Daten ermöglicht es, politische Entschei-
diesem Beispiel gefolgt und haben das Internet seither stetig      dungsprozesse leichter zu kontrollieren, zu interpretieren und
weiterentwickelt. Eine umwälzende Idee und beispiellose Er-        zu bewerten. Damit wird die demokratische Bürgerbeteiligung
folgsgeschichte − auch in wirtschaftlicher Hinsicht. Entstanden    gefördert und auf der anderen Seite Korruption erschwert. Die
sind vor allem multinationale Unternehmen, deren Einfluss und      Daten werden bislang jedoch nur auf Anfrage bereitgestellt.
Macht stetig zu wachsen scheint. Das bekannteste Überbleib-
                                                                   Mit einem Transparenzgesetz, wie es in Hamburg bereits seit
sel des großen Traums vom kollektiven Wissen ist heute wohl
                                                                   2012 in Kraft getreten ist, stehen eine Vielzahl von Dokumenten
Wikipedia. Wenn wir heutzutage mal eben schnell eine gezielte
                                                                   und Daten kostenfrei online zur Verfügung. Dass solche Kon-
Information aus dem Internet ziehen oder etwas auf Wikipedia
                                                                   zepte erfolgreich funktionieren können, beweisen auch andere
nachschlagen, denken wir gar nicht weiter darüber nach. Daran
                                                                   bereits vorhandene Projekte. So haben die Länder Berlin und
knüpft das Open-Data-Modell an. Die Forderungen nach frei-
                                                                   Bremen die Einrichtung elektronischer Zentraldatenbanken
em Zugang zu Wissen für jedermann wurde nicht zuletzt durch
                                                                   bereits in ihren Informationsfreiheitsgesetzen verankert und
Protagonist*innen wie Unternehmer und „Hacktivist“ Aaron
                                                                   ermöglichen ihren Bürger*innen die Nutzung verschiedener
Schwarz zum festen Bestandteil öffentlicher Debatten.
                                                                   Daten. Offene Datensätze werden in konkreten Anwendungen
Man stelle sich vor, wie viele Wissenschaftler*innen oder          genutzt, beispielsweise Geo- oder Verkehrsdaten in Routenpla-
Techniker*innen schon dieselben Probleme gewälzt haben.            nern oder themenbezogenen Karten.
Wie oft mögen nach dem Grundsatz von Versuch und Irrtum
                                                                   Daten sind der moderne Treibstoff des digitalen Zeitalters, das
exakt gleiche Experimente an unterschiedlichen Orten und
                                                                   ist mittlerweile ein Allgemeinplatz. Dennoch: Ein freier Zugang
zu verschiedenen Zeiten stattgefunden haben. Es liegt auf der
                                                                   eröffnet vielfältige Chancen in fast allen Bereichen. Der digita-
Hand, dass es effizienter wäre, die Daten zu teilen, anstatt sie
                                                                   le Datenaustausch fördert Neuentwicklungen und ermöglicht
zigfach lokal für sich zu sammeln. Doch warum sollte man et-
                                                                   schnellere Reaktion und Lösungsansätze. Wirtschaft, Wissen-
was teilen, wenn man selbst davon keinen direkten Vorteil hat?
                                                                   schaft, Medizin und Forschung, aber insbesondere auch Me-
Die Antwort ist ganz einfach: Weil es andersherum ebenfalls
                                                                   dien, Politik und Zivilgesellschaft profitieren letztendlich von
                                                                                                                                       Bild: Adobe Stock/© kai001

möglich ist, auf Daten und Informationen aus anderen Quellen
                                                                   Offenheit und Transparenz. Mit dieser Schwerpunkt-Ausgabe
zuzugreifen. Dadurch entsteht ein neues, digitales Ökosystem,
                                                                   möchten wir verschiedene Perspektiven auf dieses Thema auf-
von dem jede*r profitieren kann.
                                                                   zeigen.
Auch Regierungen öffnen langsam ihre Datenbanken für das
Open-Data-Modell. Seit Dezember 2016 ist Deutschland der           Juliane Schindler ist Teil des Scheinwerfer-Redaktionsteams.
Open Government Partnership beigetreten. Das Informations-         Sie hat den Schwerpunkt redaktionell mitbetreut.

4                                                                  TR ANSPARENCY DEUTSCHL AND               SCHEINWERFER         90
SCHEINWERFER 9090 - Transparency International Deutschland eV
THEMENSCHWERPUNKT

                                   Im Zweifel für die offene Information
                                   Chancen und Grenzen offener Daten − einige grundlegende Gedanken von Prof. Ulrich Kelber,
                                   Bundesbeauftragter für den Datenschutz und die Informationsfreiheit

                                   „Open Data“ steht für die grundsätzliche Idee, Daten und In-
                                   formationen für alle Interessierten frei zugänglich und nutzbar
                                   zu machen. Parlamente, Gerichte, Behörden und andere Teile
                                   der öffentlichen Verwaltung produzieren Daten. Das sind bei-
                                   spielsweise Gesetze, Statistiken, Haushaltsdaten, Umwelt- und
                                   Wetterdaten, Geodaten, Verkehrsdaten, Publikationen, Proto-
                                   kolle oder Gerichtsentscheidungen. Deren Potenzial soll nicht
                                   weiter brach liegen.

                                   Die Verfügbarkeit und die Weiterverwendung solcher Daten
                                   werden als Wirtschaftsfaktor und als Innovationsmotor ge-
                                   priesen. Das Bundesministerium des Innern spricht vom Auf-
                                   bau eines „Daten-Ökosystems“, in dem Wirtschaft, Verwaltung
                                   und Zivilgesellschaft gegenseitig von einer guten Datenbasis
                                   profitieren können. Soweit die Theorie. Die Praxis gestaltet
                                   sich nach meiner Erfahrung weitaus schwieriger.

                                   Das Streben nach umfassender Transparenz löst in der Ver-
                                   waltung häufig Unmut und reflexartig die Angst vor Kontroll-
                                   verlust aus. Dabei sollte es doch anders sein: Der Staatsdienst
                                   muss zum Nutzen derer geführt werden, die ihm anvertraut
                                   sind, und nicht zum Nutzen derer, denen er anvertraut ist. Ein
                                   solcher Kulturwandel, wie von Cicero beschrieben, lässt noch
                                   auf sich warten.

                                   Dabei hätten offene Daten − neben den ökonomischen Aspek-
                                   ten − echtes Potenzial zur Pflege und Belebung unserer Demo-
                                   kratie. Gleichberechtigte Teilhabe an Informationen ermög-
                                   licht eine neue Form von Politik und Kommunikation, bei der
                                   sich die Beteiligten auf Augenhöhe begegnen. Statt ängstlich
                                   Pfründe und Zuständigkeiten wahren, sollten wir uns alle da-
                                   für einsetzen, die gesellschaftlichen Debatten und Entwicklun-
                                   gen mit Informationen und Daten voranbringen.

                                   Akzeptanz durch Transparenz
                                   Die Covid-19-Pandemie führt es uns derzeit vor Augen: Staat-
                                   liche Maßnahmen bedürfen der Akzeptanz. Rücksicht und
                                   Vernunft lassen sich nur bedingt verordnen. Je besser Maß-
                                   nahmen und die damit verfolgten Ziele erklärt
                                   werden, umso größer ist das Verständnis in der
                                   Bevölkerung und damit der Erfolg. Dass der
                                                                                      Der Staatsdienst muss zum Nutzen derer
                                   Bedarf nach zuverlässigen Informationen groß       geführt werden, die ihm anvertraut
Bild: Adobe Stock/© Poi Natthaya

                                   ist, sehe ich an der gestiegenen Anzahl an An-
                                   fragen an meine Behörde in den vergangenen
                                                                                      sind, und nicht zum Nutzen derer, denen
                                   Monaten. Dabei standen das Robert-Koch-In-         er anvertraut ist.
                                   stitut, das Bundesgesundheitsministerium
                                   und die Rückholaktionen des Auswärtigen Amtes im Fokus.
                                   Auch den aktuellen Ruf nach einer Offenlegung der Verträge
                                   zwischen der Europäischen Union und den Herstellern von Co-
                                   rona-Impfstoffen halte ich für berechtigt und nachvollziehbar.

                                   SCHEINWERFER        90         TR ANSPARENCY DEUTSCHL AND                                       5
SCHEINWERFER 9090 - Transparency International Deutschland eV
THEMENSCHWERPUNKT

                                                Anstatt pompöser Datenfriedhöfe benötigen wir
                                                mehr Digitalisierung und Angebote, die die
Ein prominentes Beispiel für Akzeptanz          Menschen wirklich erreichen. Open Data will
durch Transparenz ist die Corona-Warn-          keine Beteiligungseliten schaffen, sondern allen
App. Bereits bei der Entwicklung kooperier-
te eine Allianz aus Verwaltung, Wirtschaft      Menschen Teilhabe ermöglichen.
und Zivilgesellschaft, der Quellcode der
App ist frei zugänglich. Das hohe Daten-
schutzniveau und die Offenheit in der Entwicklung sind in
meinen Augen wesentliche Faktoren, die dazu geführt haben,
dass die Nutzerzahlen der deutschen App größer sind als die
aller anderen europäischen Warn-Apps zusammen.

Was brauchen wir für mehr Open Data? Anstatt pompöser
Datenfriedhöfe benötigen wir mehr Digitalisierung und An-
gebote, die die Menschen wirklich erreichen. Das gilt für
Start-Ups, Nichtregierungsorganisationen sowie interessier-
te Bürgerinnen und Bürger gleichermaßen. Außerdem müs-
sen wir gleiche Chancen für alle Menschen unserer Gesell-
schaft schaffen: Staatliche Open Data-Angebote oder solche
mit staatlicher Unterstützung müssen allen Bürgerinnen und
Bürgern bekannt und einfach zugänglich sein, wenn sich der
Effekt nicht ins Gegenteil verkehren soll. Open Data will keine
Beteiligungseliten schaffen, sondern allen Menschen Teilha-
be ermöglichen.

Zeit für ein echtes Transparenzgesetz                                      Was macht der „BfDI“?
Beginnen könnte der Bundesgesetzgeber mit einer Reform
                                                                           Seit dem 7. Januar 2019 ist Ulrich Kelber Bundesbeauf-
des seit 2006 geltenden Informationsfreiheitsgesetzes. Noch                tragter für den Datenschutz und die Informationsfreiheit
immer ist es − entgegen meiner Forderung − nicht zu einem                  (BfDI). Die Institution der oder des BfDI besteht seit 1978.
Transparenzgesetz weiterentwickelt worden. Die Regel ist                   Die Person wird ohne Aussprache auf Vorschlag der Bun-
nach wie vor die Informationsgewährung auf Antrag. Dass öf-                desregierung vom Deutschen Bundestag mit mehr als der
fentliche Stellen von sich aus Informationen zugänglich ma-                Hälfte der gesetzlichen Zahl seiner Mitglieder für eine
                              chen, ist die Ausnahme. Es gibt              Amtszeit von fünf Jahren gewählt. Eine einmalige Wieder-
                              außerdem zu viele Gründe, mit                wahl ist möglich.
Es wäre bürger-               denen der Zugang zu Informa-
freundlich,                   tionen abgelehnt werden kann.                Der Bundesbeauftragte ist in der Ausübung seines Amtes
                                                                           völlig unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen. Der
                              Die Liste dieser Gründe bedarf
die bestehenden               einer Modernisierung und An-
                                                                           BfDI hat umfassende Untersuchungsbefugnisse: Alle öf-
                                                                           fentlichen Stellen des Bundes sind ebenso wie die Anbie-
Informations-                 passung mit dem Fokus: Im                    ter von Post- oder Telekommunikationsdiensten ver-
                              Zweifel für die offene Informa-
gesetze zu einem              tion.
                                                                           pflichtet, ihn und seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
                                                                           bei der Erfüllung seiner Aufgaben zu unterstützen.
Informations-               Es wäre bürgerfreundlich, die
gesetzbuch zu-              bestehenden       Informations-
                                                                           Als eigenständige und unabhängige oberste Bundesbe-
                                                                           hörde stehen dem BfDI bei der Wahrnehmung seiner Auf-
                            gesetze zu einem Informa-
sammenzulegen.              tionsgesetzbuch zusammen-
                                                                           gaben derzeit etwa 240 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
                                                                           in Bonn und in Berlin zur Seite. Einmal jährlich gibt der
                            zulegen. Über die Einhaltung                   BfDI einen Tätigkeitsbericht heraus, in dem er über seine
würde eine Beauftragte oder ein Beauftragter wachen, die                   Arbeit informiert, insbesondere auch über die von ihm
                                                                                                                                          Bild: Bundesregierung/Kugler

oder der ausreichende Befugnisse hat und so die Bürgerinnen                verhängten Sanktionen und Maßnahmen.
und Bürger bei der Wahrnehmung ihrer Rechte unterstützen
kann. Wenn dann noch eine grundsätzliche Abwägung zwi-                     Alle Bürgerinnen und Bürger haben das Recht, sich mit
schen dem öffentlichen Interesse an der Information und                    einer Beschwerde direkt an den BfDI zu wenden, wenn sie
                                                                           der Ansicht sind, dass eine der Aufsicht des BfDI unterlie-
dem individuellen Geheimhaltungsinteresse − wie beispiels-
                                                                           gende Stelle ihre Rechte verletzt hat. Die Inanspruchnah-
weise im Bereich des Umweltinformationsgesetzes − ein-
                                                                           me dieses Rechts ist grundsätzlich kostenfrei.
geführt würde, wäre Deutschland dem Transparenz-Ziel ein
gutes Stück näher gekommen.

6                                                                 TR ANSPARENCY DEUTSCHL AND                SCHEINWERFER            90
SCHEINWERFER 9090 - Transparency International Deutschland eV
THEMENSCHWERPUNKT

Zu wenig Fortschritte bei der
Open Data-Gesetzgebung
Kurz vor Weihnachten 2020 haben Bundeswirtschafts- und Bundesinnenministerium gemein-
sam einen Referentenentwurf zur Änderung von § 12a des E-Government-Gesetzes (EGovG) und
zur Einführung eines Datennutzungsgesetzes vorgelegt. Leider bleiben beide Gesetzentwürfe
hinter dem selbstgesteckten Ziel zurück, zum „Vorreiter und Treiber einer verstärkten Datenbereit-
stellung und Datennutzung“ zu werden.
D A V I D W A G N E R / B E N D I X S Ä LT Z / A N N E S C H W A R Z

Die Überarbeitung der Open Data-Gesetzgebung bietet aus                Auch der Entwurf für das Datennutzungsgesetz bleibt hinter
Sicht von Nichtregierungsorganisationen und Zivilgesellschaft          den Zielen zurück. Im Wesentlichen erfüllt er lediglich die von
viel Raum für Kritik. So soll es auch künftig keinen einklagba-        der EU-Richtlinie gesetzten Mindeststandards.
ren Anspruch gegen die Verwaltung geben, ihre Daten als Open
Data bereitzustellen. Damit adressiert der Referentenentwurf           Zentrales Open Data-Portal
den Hauptkritikpunkt am bestehenden § 12a EGovG nicht. Die
                                                                       Aus Sicht der Zivilgesellschaft und Bürger:innen wäre es ge-
Rüge richtet sich nicht nur an den Bund: Auch auf Länderebene
                                                                       nerell wünschenswert, wenn sich alle Verwaltungsebenen in
gibt es keinen allgemeinen einklagbaren Rechtsanspruch auf
                                                                       Deutschland verpflichten, ihre Daten auf dem Metadatenportal
Open Data.
                                                                       govdata.de bereitzustellen − und govdata.de zu einem echten
Zum Teil bedeutet der Entwurf sogar einen Rückschritt: Aktuell         nationalen Open Data-Portal auszubauen. Dies würde den Zu-
ist die Verwaltung verpflichtet, Daten in maschinenlesbare For-        gang zu den Daten stark erleichtern. Zudem führt der parallele
mate zu überführen, solange dies keinen unverhältnismäßigen            Betrieb mehrerer Plattformen zu erhöhten Kosten.
Aufwand bedeutet. Diese Pflicht fällt weg: Künftig müssen Ver-
                                                                       Weiterführende Einschätzungen zum aktuellen Gesetzgebungs-
waltungen nur die Daten als Open Data bereitstellen, die bereits
                                                                       prozess finden Sie in unserer diesbezüglichen Stellungnahme
in maschinenlesbarer Form vorliegen. Statt die Formatierungs-
                                                                       von D64 und der gleichfalls lesenswerten Stellungnahme des
pflicht abzuschaffen, sollte der Gesetzgeber besser das Aus-
                                                                       Max Planck Instituts für Innovation und Wettbewerb, abrufbar
schlusskriterium der Unverhältnismäßigkeit konkretisieren.
                                                                       auf der Webseite des Bundeswirtschaftsministeriums. Span-
Erfreulich ist, dass künftig auch die mittelbare Bundesver-            nend bleibt, wie Bundeswirtschafts- und Bundesinnenminis-
waltung − wie die Bundesanstalt für Arbeit und die Deutsche            terium die Kritik der Stellungnahmen einarbeiten. Im März will
Bibliothek − und Forschungsdaten in den Anwendungsbereich              das Bundeskabinett entscheiden, bis zum 16. Juli muss das Ge-
von § 12a EGovG fallen.                                                setz durch den Bundestag.

                                                                       Der Jurist David Wagner, der Softwareentwickler Bendix Sältz
Weiterhin fehlen ausreichende                                          und die Beraterin Anne Schwarz arbeiten ehrenamtlich bei D64
Ressourcen                                                             − Zentrum für digitalen Fortschritt. Der Verein versteht sich als
Neu ist die Verankerung von Open Data-Koordinatoren in den             Denkfabrik des digitalen Wandels.
Bundesbehörden. Das klingt gut − leider regelt der Entwurf aber
weder die Zuweisung von Kompetenzen noch die Zuteilung
finanzieller Mittel. Dass es daran fehlt, ist seit dem Open Data-
Fortschrittsbericht der Bundesregierung von 2019 bekannt: 70               Status Quo der
Prozent der befragten Behörden haben einen entsprechenden                  Open Data-Gesetzgebung
Posten bereits geschaffen, zugleich beklagen 57 Prozent der Be-
fragten mangelnde finanzielle und personelle Ressourcen.                   Seit Juli 2017 verpflichtet § 12a des E-Government-Gesetzes
                                                                           (EGovG) Teile der Bundesverwaltung dazu, sogenannte
Dass Kosten nicht ausreichend berücksichtigt wurden, zeigt
                                                                           Rohdaten als Open Data bereitzustellen. Die Überarbeitung des
sich auch bei der Gesetzesfolgenabschätzung: Der Entwurf un-               Paragraphen ist unter anderem im Koalitionsvertrag vereinbart.
terschätzt die Kosten für die Bereitstellung offener Daten und             Außerdem will Deutschland mit dem Datennutzungsgesetz bis
ignoriert Kosten für den laufenden Betrieb gänzlich. Insbeson-             zum 16. Juli 2021 die EU-Richtlinie zur Weiterverwendung von
dere die für dynamische (Echtzeit-)Daten vorgesehenen Pro-                 Informationen des öffentlichen Sektors von 2019 umsetzen.
grammierschnittstellen (APIs) müssen individuell entwickelt                Dieses soll das bestehende Informationsweiterverwendungsge-
und kontinuierlich aufrechterhalten werden.                                setz ablösen.

SCHEINWERFER           90           TR ANSPARENCY DEUTSCHL AND                                                                         7
THEMENSCHWERPUNKT

Wofür und wogegen gehen die Menschen in Berlin
auf die Straße? Was die Daten zeigen
Mit dem Projekt „Demo-Hauptstadt Berlin“ zeigt die Transpa-      hatte „FragDenStaat“ die Daten der Berliner Polizei zu öffentli-
renzplattform „FragDenStaat“, wie offene Daten öffentliche De-   chen Versammlungen angefragt. Die visuelle Aufbereitung zeigt,
batten abbilden und damit wiederum die öffentliche Debatte be-   welche Themen die Menschen mobiliseren. Mehr Grafiken und
reichern können. Mit Hilfe des Informationsfreiheitsgesetzes     Informationen finden Sie auf www.fragdenstaat.de.

Größe der Demonstration                                          Teilnehmer:innenquote
Geschätzte Teilnehmer:innenzahl der Demonstration                Verhältnis zwischen tatsächlicher Teilnehmer:innenzahl
                                                                 und angemeldeten Teilnehmer:innen

100   1.000 10.000 50.000 100.000                                0%    1-25% 25-50% 50-75% 75-100% >100%

Zeitleiste

Ausland 3.647 Demos mit 117.748 Teilnehmer:innen

Bürgerrechte 1.370 Demos mit 462.673 Teilnehmer:innen

Umwelt 1.203 Demos mit 340.002 Teilnehmer:innen

                                                                                                                                         Visualisierung: Fabian Dinklage, Moritz Klack, Christopher Möller | webkid.io

rechts 1.138 Demos mit 23.407 Teilnehmer:innen

Antifa und Antira 465 Demos mit 86.899 Teilnehmer:innen

Corona-Maßnahmen 185 Demos mit 13.410 Teilnehmer:innen

8                                                                   TR ANSPARENCY DEUTSCHL AND                  SCHEINWERFER        90
THEMENSCHWERPUNKT

Public Money − Public Code
Nicht erst die Corona-Pandemie hat die Notwendigkeit einer umfassenden Digitalisierung der
öffentlichen Verwaltung ins Bewusstsein gerückt. Dabei stehen die verwendeten Software-
Lösungen im Mittelpunkt der Überlegungen. Sie müssen eine Nachvollziehbarkeit digitaler
Prozesse ermöglichen.
ROL AND HOHEISEL- GRULER

Für den Sachverständigenrat für Verbraucherfragen spielen           formationsprozessen gewährleistet. Proprietäre Lösungen hin-
bei der digitalen Souveränität von Nationalstaaten zwei Dinge       gegen sind mit Einschränkungen in Nutzbarkeiten und Lizenzen
eine wichtige Rolle: die Gewährleistung der Integrität der digi-    sowie datenschutzrechtlichen Risiken behaftet. Dass öffentli-
talen Infrastruktur und der Grundsatz der Selbstbestimmung          ches Geld auch zu öffentlicher Beteiligung an den Ergebnissen
bei der Nutzung digitaler Technologien. Eine im Auftrag des         führen muss, liegt im Interesse einer transparenten und demo-
Bundesinnenministeriums erstellte Studie aus dem Jahr 2019          kratischen Bürgergesellschaft.
konstatierte, dass gerade im Bereich der öffentlichen Verwal-
tung diese Souveränität gefährdet sei und mahnt rasche Ver-         Roland Hoheisel-Gruler ist Dozent an der Hochschule des Bun-
besserungen an.                                                     des für öffentliche Verwaltung. Er ist Mitglied des Scheinwer-
                                                                    fer-Redaktionsteams und hat den Schwerpunkt dieser Ausgabe
Bereits 2017 haben zahlreiche zivilgesellschaftliche Organisatio-
                                                                    mitbetreut.
nen in einem offenen Brief gefordert, die öffentliche IT als Teil
einer kritischen Infrastruktur in öffentlicher Hand zu behalten.
Dies könne nur mit offenen Software-Lösungen erreicht wer-
den. Und wenn diese mit öffentlichen Geldern entwickelt wer-
                                                                                München
de, dann solle die Software auch unter Freier Lizenz veröffent-
                                                                                 Die Stadt hat 2003 die bis dahin größte Open-Source-
licht werden. Diese Idee wurde unter dem Slogan „public money
                                                                                 Transformation einer öffentlichen Verwaltung in Eu-
− public code“ bekannt.
                                                                       ropa gestartet. Unter dem Label „LiMux“ wurden bis 2009 li-
                                                                       nuxbasierte offene Office-Anwendungen auf den städtischen
Vorteile freier Software                                               Computerarbeitsplätzen installiert. Trotz wirtschaftlicher Vor-
Als Vorteile freier Software wird angeführt, dass sie jedermann        teile legte 2016 ein Gutachten der Stadtverwaltung nahe, zu ei-
                                                                       ner Windows-basierten Lösung zurückzukehren. Nachdem der
erlaube, sie zum eigenen Nutzen einzusetzen und gleichzeitig
                                                                       Stadtrat 2017 einen entsprechenden Beschluss gefasst hatte,
an der Weiterverbreitung wie an der Verbesserung des Produkts
                                                                       vereinbarte die grün-rote Rathausmehrheit nach den Kommu-
mitzuwirken. Dieser Teilhabegrundsatz, der im Kern das Demo-
                                                                       nalwahlen 2020 wieder eine Umkehr zu Open-Source in der
kratische ins Digitale transformiert, wird durch freie Lizenzen        Stadtverwaltung. Zuletzt wurde im IT-Ausschuss der Stadt
gefördert. Dadurch könne vermieden werden, dass restriktive            eine Beschlussfassung bis spätestens April 2021 vertagt.
Lizenzen den Wettbewerb behindern. Im Herbst 2020 hat eine
Gruppe von Expert*innen − initiiert von der Open Source Busi-
                                                                                Baden-Württemberg
ness Alliance und Vitako, der Bundes-Arbeitsgemeinschaft der
                                                                                 In Baden-Württemberg kümmert sich Komm.ONE,
Kommunalen IT-Dienstleister − ein erstes Konzept für ein „Open
                                                                                 eine Anstalt des öffentlichen Rechts in gemeinsamer
Source Code Repository“ für die öffentliche Hand vorgestellt.
                                                                       Trägerschaft des Landes und der Kommunen, um die Fragen
Der Interessenverbund macht sich dafür stark, dass in öffentli-        der digitalen Souveränität der Kommunen. Dem Einsatz von
chen Verwaltungen mehr freie Software im oben genannten Sin-           Open Source-Software kommt dabei eine Schlüsselrolle zu.
ne zum Einsatz kommt. Doch der Weg zu einer öffentlichen Ver-          Auf der anderen Seite fördert das Kultusministerium des Lan-
waltung nach diesem Vorbild ist noch weit. Das zeigen Beispiele        des den Ausbau der Microsoft-365-Werkzeuge in der Schule.
wie München oder Baden-Württemberg (s. Infobox).                       Die Debatte hierzu wurde im Wesentlichen unter Datenschutz-
                                                                       gesichtspunkten geführt. Allerdings wenden sich derzeit Leh-
Baustein für eine moderne,                                             rer*innen, Eltern und Schüler*innen gegen dieses Projekt und
transparente Verwaltung                                                fordern, dass auch im schulischen Bereich offene Software
                                                                       zum Einsatz kommen müsse. Nachdem ein Pilotversuch mit
Die Initiative „public money − public code“ ist ein wesentlicher
                                                                       Microsoft an ausgewählten Schulen gestartet wurde, ist das
Baustein für eine transparente, moderne Verwaltung, die den
                                                                       Ergebnis offen.
Herausforderungen der Digitalisierung gewachsen ist und die
ein hohes Maß öffentlicher Teilhabe an den digitalen Trans-

SCHEINWERFER         90         TR ANSPARENCY DEUTSCHL AND                                                                               9
THEMENSCHWERPUNKT

Intelligente Stadt
braucht Transparenz
Weltweit bauen Städte und Kommunen an „smarten“ Zukunftsmodellen. Dabei spielen Daten
eine entscheidende Rolle. Dass es möglich ist, diese Daten transparent zu erheben, Missbrauch zu
verhindern und Vertrauen zu schaffen, zeigt ein europäisches Projekt.

ANJA SCHÖNE

                                                                              Die österreichische Hauptstadt Wien setzt nicht erst seit
                                                                              Corona auf digitale Bürger:innenveranstaltungen zur
                                                                              Beteiligung. Dabei hat sie in ihrer Strategie explizit fest-
                                                                              gehalten, dass „die für die Grundversorgung nötige Inf-
                                                                              rastruktur fest in den Händen der Stadt“ bleibt. Andere
                                                                              Städte setzen bei der Gestaltung ihrer Smart City Stra-
                                                                              tegie auf externen Sachverstand. So hat der Senat von
                                                                              Berlin 2019 die Unternehmensberatung Ernst & Young
                                                                              damit beauftragt, eine Digitalisierungsstrategie zu ent-
                                                                              wickeln.

                                                                              Projekt DECODE
                                                                              „Wenn man die Infrastruktur einer Stadt von Privaten
                                                                              organisieren lässt, dann gibt der Staat nicht nur Gestal-
                                                                              tungshoheiten ab, sondern nimmt sich langfristig die
                                                                              Chance jeder Form von Gestaltung.“ Das sagte Frances-
Fast alle größeren Städte weltweit wollen inzwischen Smart            ca Bria in einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zei-
City sein oder werden. Die sogenannten „intelligente Städte“          tung im vergangenen Jahr. Bria gilt als eine der Vordenkerinnen
eint, dass sie neue Technologien wie Drohnen, Sensoren oder           für transparenten und selbstbestimmten Umgang mit Daten in
Algorithmen nutzen, um unterschiedliche Ziele zu erreichen;           Städten und Kommunen. Das von ihr geleitete DECODE-Projekt
zum Beispiel die Stadtverwaltung effizienter machen oder Ver-         hat in Barcelona und Amsterdam 2019 und 2020 einen Pilotver-
kehrsprobleme lösen. Dazu setzen sie auf Daten, die wir als Bür-      such gestartet. Dabei wurden die technischen Voraussetzung
ger:innen täglich produzieren − und die wir mehr oder weniger         dafür geschaffen, dass Bürger:innen selbst entscheiden konn-
gedankenlos oder freiwillig an Unternehmen weitergeben. Die           ten, mit wem sie ihre Daten teilen und zu welchen Bedingungen.
Konzentration der Daten in den Händen von (wenigen) Konzer-
                                                                      So konnten sie zum Beispiel Petitionen unterzeichnen, ohne
nen, die sich kaum regulieren und noch weniger in die Karten
                                                                      sensible persönliche Informationen preiszugeben; sich bei loka-
schauen lassen, ist eines der Probleme der Smart Cities.
                                                                      len Social-Media-Netzwerken anmelden und besser kontrollie-
                                                                      ren, welche Daten sie zu welchem Zweck weitergeben; oder Sen-
Smart Cities in aller Welt                                            sordaten über Lärmbelästigung oder Luftverschmutzung ohne
Die Formen sind vielfältig. In Rio de Janiero etwa hat die Stadt-     Sicherheits- oder Datenschutzbedenken mit Behörden und Ge-
verwaltung gemeinsam mit dem Unternehmen IBM im Zuge der              meinden teilen.
Olympischen Spiele ein Kontrollzentrum errichtet, in dem vor
allem Überwachungsdaten aus dem öffentlichen Raum zusam-              Gesellschaftlicher Diskurs
menlaufen. Inzwischen wird das Zentrum insbesondere von der
                                                                      Die Liste der offenen Fragen bei intelligenten Städten ist lang. Zu
                                                                                                                                             Bild: www.stuttgart.maps.sensor.community

Militärpolizei genutzt.
                                                                      den wichtigsten. Zu den wichtigsten gehört laut Francesca Bria:
In Stuttgart erfasst ein von Bürger:innen initiiertes Projekt unter   „Was bedeutet Demokratie angesichts völlig neuer Kräftever-
luftdaten.info regelmäßig den Schadstoffausstoß der Stadt (s.         hältnisse, wo algorithmische Autoritäten den Habermasschen
Photo). Wie schnell sich ein „smartes“ Projekt ins Gegenteil ver-     Raum von Dialog und Information übernehmen?“ Oder anders
kehren kann, zeigt das Chain-Projekt in London. In einer Daten-       gefragt: Wie können wir es schaffen, Technologien nicht als
bank haben Hilfsorganisationen Informationen über Obdachlose          Ende der Entwicklung zu betrachten, sondern als Instrument,
gesammelt, um besser helfen zu können, etwa Nationalität und          mit dem wir Städte in Zukunft so gestalten können, dass sie da-
häufige Aufenthaltsorte. Als das britische Innenministerium Zu-       ten- und bürger:innenfreundlich sind?
griff erhielt, stieg die Zahl der Festnahmen von ausländischen
Obdachlosen deutlich.                                                 Anja Schöne ist Mitglied des Scheinwerfer-Redaktionsteams.

10                                                                    TR ANSPARENCY DEUTSCHL AND                 SCHEINWERFER          90
THEMENSCHWERPUNKT

                            Open Aid: Transparenz und offene Daten
                            in der Entwicklungszusammenarbeit
                            Jan Wenzel arbeitet bei VENRO, dem Dachverband der entwicklungspolitischen und humani-
                            tären Nichtregierungsorganisationen (NROs) in Deutschland. Dort leitet er den Bereich Stärkung
                            der Zivilgesellschaft und die VENRO-Arbeitsgruppe Transparenz. Im Interview mit dem
                            Scheinwerfer erklärt er das Konzept der „Open Aid“, das von Open Data inspiriert und auf den
                            Sektor der Entwicklungszusammenarbeit (EZ) ausgerichtet ist.

                            I N T E RV I E W : J O N AT H A N P E T E R S

                            Transparenz ist für das Bundesentwicklungsministerium
                            (BMZ) „ein Leitprinzip der deutschen Entwicklungspolitik“
                            und „Grundvoraussetzung für eine wirksame Entwicklungs-
                            zusammenarbeit“. Inwiefern beschäftigt sich VENRO mit
                            Transparenz?
                            VENRO beschäftigt sich seit vielen Jahren mit Transparenzini-
                            tiativen im gemeinnützigen Sektor. Mit der durch Transparen-
                            cy Deutschland koordinierten Initiative Transparente Zivilge-
                            sellschaft (ITZ), in deren Trägerkreis wir aktiv sind, versuchen
                            wir einen niederschwelligen Zugang für gemeinnützige Orga-
                            nisationen zu schaffen. In diesem Rahmen sollen wesentliche
                            Transparenzaspekte wie zum Beispiel Satzung, Jahresberichte,
                            Mittelherkunft und Entscheidungsträger:innen veröffentlicht
                            werden. Mit dem VENRO-Verhaltenskodex zu Transparenz, Or-
                            ganisationsführung und Kontrolle, auf den sich die Mitglieds-
                            organisationen verpflichten, gehen wir an vielen Punkten noch        Die Möglichkeit der Fülle und Verarbeitung von Daten ist eine
                            wesentlich weiter.                                                   Herausforderung. Insofern müssen auch Prinzipien wie die
                                                                                                 Notwendigkeit und Datensparsamkeit leitend sein. Für Akteure
                            Ein wichtiges Konzept für Transparenz in der EZ ist „Open Aid“
                                                                                                 aus NROs, die mit sehr begrenzten Mitteln arbeiten, ist wich-
                            − was hat es damit auf sich?
                                                                                                 tig, dass sie nicht nur für die Datenerfassung, sondern im Sinne
                            Open Aid hat das Ziel, die Koordination, Kohärenz und Rechen-
                                                                                                 der geplanten Wirkungen in den Projekten arbeiten können.
                            schaft in den Partnerländern und unter den so genannten Ge-
                                                                                                 Wir hören von den engagierten Mitarbeitenden immer wieder,
                            bern zu stärken. Das begrüßen wir. Es richtet sich in erster Linie
                                                                                                 dass zu viel Arbeitszeit durch administrative Berichtsprozesse
                            an Akteure der staatlichen EZ. Damit auch zivilgesellschaftliche
                                                                                                 gebunden wird. Diese Zeit fehlt für den Kontakt und die Arbeit
                            Organisationen einen Mehrwert daraus ziehen können, müssen
                                                                                                 mit den Projektpartnern. Hier muss ein angemessenes Maß ge-
                            zunächst Daten durch die staatlichen Akteure verfügbar ge-
                                                                                                 funden werden. Trotzdem wäre es sehr wünschenswert, dass
                            macht und aktuell gehalten werden.
                                                                                                 staatliche Akteure weltweit ihre Daten in einem einheitlichen
                            Wie funktioniert das genau?                                          Standard veröffentlichen. Dafür ist der IATI-Standard [Inter-
                            Open Aid bewegt sich mehr auf einer politischen oder wissen-         national Aid Transparency Initiative] ein Format, welches sich
                            schaftlichen Ebene. Damit können sich die Akteure der Staa-          durchsetzen könnte.
                            tengemeinschaft besser abstimmen, welche Maßnahmen an
                                                                                                 Wie könnte eine verbesserte Umsetzung von Transparenz für
                            welchem Ort und in welchem Arbeitsbereich bereits umgesetzt
                                                                                                 den deutschen EZ-Sektor aussehen?
                            werden. So kann überprüft werden, wie sie in der Zusammen-
                                                                                                 Wir sind derzeit in Planungen mit dem BMZ und der Gesell-
                            schau wirken. Und es können auch Initiativen gestärkt werden,
                                                                                                 schaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) für Workshops
                            mit denen Menschen in den Ländern des Globalen Südens Re-
                                                                                                 zu den IATI-Standards. Dabei geht es uns zum einen um die Fra-
                            chenschaft darüber einfordern, was mit internationalen Gel-
Bild: Adobe Stock/© Login

                                                                                                 ge der Nutzung dieser Daten durch zivilgesellschaftliche Akteu-
                            dern in ihrer Region passiert und was dadurch erreicht wird.
                                                                                                 re, zum Beispiel für die Advocacy-Arbeit. Zum anderen schau-
                            Auf dieser Ebene ist Open Aid auch für die internationale Zivil-
                                                                                                 en wir aber auch, wie sich Daten, die im Rahmen von anderen
                            gesellschaft, für die Wissenschaft und Politik sehr interessant.
                                                                                                 Transparenzinitiativen bereits erfasst werden, auch für das Be-
                            Wie wichtig erscheint Ihnen die Veröffentlichung von Daten in        richten im IATI-Standard harmonisieren und nutzen lassen. Wir
                            einem einheitlichen, computerlesbaren Datenformat?                   sind hier also im Dialog.

                            SCHEINWERFER             90           TR ANSPARENCY DEUTSCHL AND                                                                 11
THEMENSCHWERPUNKT

Open Science − die Zukunft
der Wissenschaft?
Um die Überprüfbarkeit wissenschaftlicher Erkenntnisse zu verbessern, sollten alle Einzelteile
eines Forschungsprojektes zugänglich gemacht werden − nicht nur veröffentlichte oder
noch unveröffentlichte Manuskripte (Preprints), sondern auch genutzte Materialien und Daten.

MA X KORBMACHER

Das akademische Publikationssystem steht leider häufig im          Veröffentlichungen genutzt, gelesen und zitiert werden. Frei
Konflikt mit guter Wissenschaft: Verlage wollen ihre Leser-        zugängliche Artikel werden häufiger gelesen und zitiert − und
schaft maximieren und bevorzugen deshalb neue und spek-            sind die Hauptinformationsquelle von Forscher*innen mit be-
takuläre Forschungsergebnisse. Leider sind genau solche            grenztem Budget. Zusätzlich bietet ein vollständig transparen-
Ergebnisse eher ungewöhnlich − und anfällig für Replikations-      tes Projekt bessere Möglichkeiten für Außenstehende, um ein
probleme. Viele Forschungsprojekte finden keine signifikanten      tieferes Verständnis zu erlangen.
Effekte und sind damit oftmals schwer interpretierbar.

Dazu kommt: Der Wert einer forschenden Person wird häu-            Open Science als neuer
fig auf die Anzahl der Publikationen reduziert. Entsprechend       Wissenschaftsstandard?
entsteht Druck, so viel wie möglich zu veröffentlichen. Da die     Wer sich nicht in der akademischen Welt bewegt, fragt sich an
Karriere davon abhängt, die Resultate jedoch nicht immer mit-      dieser Stelle sicher: „Ist das denn kein Standard in der Wissen-
spielen, werden leider überraschend häufig fragwürdige Mittel      schaft?“ Die kurze Antwort ist: nein. Jedoch gibt es zahlreiche
genutzt, die den wissenschaftlichen Prozess untergraben.           Initiativen von Einzelpersonen und Organisationen mit dem
                                                                   Ziel, Wissenschaft durch die häufigere Anwendung von Open
Die Replikationskrise                                              Science-Prinzipien zu verbessern. Viele dieser Initiativen wur-
                                                                   den als Antwort auf die Replikationskrise ins Leben gerufen.
In verschiedenen Disziplinen der Wissenschaft zeigt sich im-
                                                                   Sie unterstützen und fordern Transparenz, um sowohl Studi-
mer wieder, dass die Evidenzgrundlage für viele bereits an-
                                                                   ennachvollziehbarkeit als auch -wiederholbarkeit zu gewähr-
erkannte Resultate nicht robust ist, etwa in den Gesundheits-
                                                                   leisten.
und Verhaltenswissenschaften. Ein Problemkind, kürzlich
stark im Fokus der Kritik, ist die Psychologie. Wiederholte Stu-   In kleinen Schritten werden immer mehr Open Science-Metho-
dien konnten ursprüngliche Effekte oft nicht reproduzieren,        den in den Forschungs- und Publikationsalltag übernommen.
was als Replikationskrise bekannt wurde. Dabei ist es wichtig,     Wir sind auf dem richtigen Weg. Es gilt, Open Science fest in
dass Forscher*innen einander helfen, Wissenschaft durch Re-        der Wissenschaft von morgen zu verankern. Damit Open Sci-
plikationen voranzubringen (siehe Infobox).                        ence-Methoden als Standard und nicht Ausnahme behandelt
                                                                   werden, muss jedoch noch viel geschehen.
Der Ansatz einer transparenten und offenen Wissenschaft, also
„Open Science“, kann zur Lösung dieser Probleme beitragen.
                                                                   Max Korbmacher ist Masterstudent in Neurowissenschaften
Denn mit Open Science kann viel Zeit gespart werden, da die
                                                                   an der Universität Bergen (Norwegen) und Mitglied der Stu-
meisten Nachfragen durch zugänglich gemachte Materialien
                                                                   dent Initiative for Open Science (SIOS).
beantwortet werden können. So sollte auf alle Einzelteile eines
Forschungsprojektes zugegriffen werden können: Gemeint
sind damit nicht nur veröffentlichte oder noch unveröffent-
lichte Manuskripte (Preprints), sondern auch genutzte Ma-
terialien und Daten. Open Data ist also Teil der Open Science
Devise: Teile so viel Information wie möglich über dein For-
                                                                      Replikation
schungsprojekt.
                                                                      ist eines der Kernprinzipien der Wissenschaft. Nachdem eine wissen-
Open Science reduziert Barrieren und verbessert Wissenschaft.         schaftliche Erkenntnis erlangt ist, wird die originale Studie de-
In einer Welt ohne Open Science sind Forschungsartikel und            ckungsgleich oder mit kleinen Änderungen wiederholt. Wenn ein
Lizenzen für wissenschaftlich erprobte Fragebögen und ande-           Effekt wiederholt gefunden wird, kann mit größerer Sicherheit davon
re Materialien oft teuer. Trotzdem wollen Verfasser, dass ihre        ausgegangen werden, dass dies nicht dem Zufall zuschulden ist.

12
NACHRICHTEN UND BERICHTE

POLITIK

GRECO: Deutschland
braucht wirksame Transparenzregeln
                                                                 herhinkt. Er fordert daher, umgehend mit der Umsetzung
                                                                 der Empfehlungen aus dem GRECO-Bericht zu beginnen.

                             §
                                                                 Hierzu zählt die Schaffung von Regeln, die die Offenlegung
                                                                 von Angaben über Kontakte hochrangiger Entscheidungsträ-
                                                                 ger:innen mit Lobbyisten sicherstellen. Es müssen zudem

§                                                                wesentliche Beiträge zu Gesetzesvorhaben dokumentiert und
                                                                 offengelegt werden, auch wenn sie dem förmlichen Beteili-

                                            §
                                                                 gungsverfahren vorhergehen. Diese Forderung ist vor dem
                                                                 Hintergrund der aktuellen Debatte um die Einführung eines
                                                                 verpflichtenden Lobbyregisters und legislativen Fußabdrucks
                                                                 von entscheidender Bedeutung.

                                                                 GRECO bemängelt auch die mangelnde Transparenz im
                                                                 Umgang mit Interessenkonflikten. Die Expertengruppe ruft
                                                                 Deutschland zur Einführung von klaren Bestimmungen auf,
                                                                 womit Interessenkonflikte sowohl während als auch nach der
                                                                 Amtszeit hochrangiger Entscheidungsträger:innen der Exe-
                                                                 kutive verhindert werden können. Erforderlich ist dazu eine
                                                                 Verlängerung der für Bundesminister:innen sowie parlamen-
                                                                 tarische Staatssekretär:innen geltenden Karenzzeiten und
Die Staatengruppe des Europarates gegen Korruption (GRECO)
                                                                 wirksame Sanktionen, wenn diese nicht eingehalten werden.
hat im Dezember den Bericht der fünften Evaluierungsrunde
über Deutschland veröffentlicht. Nach Ansicht von Hart-          Bereits in der Vergangenheit hat GRECO mehrmals auf den
mut Bäumer, Vorsitzender von Transparency Deutschland,           Mangel an Transparenz bei äußeren Einflüssen und die Er-
zeigt der Bericht klar, dass Deutschland bei der Schaffung       forderlichkeit wirksamerer Regelungen zur Bekämpfung der
von Transparenzregeln für Lobbyismus international hinter-       Korruption hingewiesen. (ok)

POLITIK

Hohe Geldstrafe für AfD wegen
illegaler Parteispenden
Die Bundestagsverwaltung erklärte im        AfD nicht angegeben. Auch veröffent-
November zwei Parteispenden an die          lichte Spenderlisten stellten sich als
AfD für illegal. Aufgrund von zwei Straf-   fehlerhaft heraus.
bescheiden muss die Partei nun über         Genutzt werden sollten die zwei Partei-
500.000 Euro Strafe zahlen. Ein Recher-     spenden für die Finanzierung des rechts-
cheteam vom NDR, WDR und Süddeut-           populistischen Kongresses „Europäische
scher Zeitung hatte herausgefunden,         Visionen − Visionen für Europa“ im Feb-
dass die Spenden illegalerweise aus der     ruar 2016 sowie für den Wahlkampf von
Schweiz stammen und über Strohleute         Alice Weidel, Vorsitzende der AfD-Bun-
verschleiert wurden. Die wahre Identi-      destagsfraktion. Gegen die Strafbeschei-
tät der Geldgeber wurde dabei von der       de will die AfD rechtlich vorgehen. (td)

SCHEINWERFER        90         TR ANSPARENCY DEUTSCHL AND                                                                13
NACHRICHTEN UND BERICHTE

POLITIK                                                                               POLITIK

                                                                                      Bundesministerien:
Großspenden: Union                                                                    Externe Beratung
bekommt am meisten                                                                    soll reduziert
                                                                                      werden
Die CDU hat im vergangenen Jahr           sidenten Einzelspenden über 50.000
Großspenden in Höhe von knapp             Euro unverzüglich zur Veröffentlichung      Im November hat der Haushaltsaus-
1,61 Millionen Euro erhalten − mehr als   anzeigen. Wenn sich Spenden innerhalb       schuss des Deutschen Bundestags
dreimal so viel wie im Jahr 2019. Als     eines Jahres auf über 10.000 Euro sum-      nach Informationen des SPIEGEL die
Großspenden zählen alle Zuwendungen       mieren, müssen Parteien diese in ihren      Bundesregierung aufgefordert, Maß-
über 50.000 Euro. Insgesamt knapp die     Rechenschaftsberichten ausweisen.           nahmen zu ergreifen, „um den Einsatz
Hälfte dieser Gesamtsumme kamen von       Die Rechenschaftsberichte erscheinen        von externen Beratern und externen
dem Immobilienunternehmen CG Grup-        allerdings erst mit einiger zeitlicher      Unterstützungskräften substanziell zu
pe (500.000 Euro) und ihrem Gründer       Verzögerung. Dieses Verfahren kritisiert    senken“. Die Bundesregierung müsse
Christoph Gröner (300.000 Euro). Die      Hartmut Bäumer, Vorsitzender von            bis Juni 2021 einen Bericht vorlegen,
CSU erhielt eine Großspende in Höhe       Transparency Deutschland: „Niemand          „in dem jedes Ressort für seinen Be-
von 340.000 Euro vom Verband der          versteht, warum Spenden erst ab 10.000      reich einen Maßnahmenkatalog und
Bayerischen Metall- und Elektroindust-    Euro in den Rechenschaftsberichten der      einen Abbaupfad“ darlegt.
rie (vbm). Die Unionsparteien kamen im    Parteien auftauchen − und dass, sofern
                                                                                      Peter Conze, Senior Berater für Sicher-
Vorwahljahr damit insgesamt auf Groß-     sie unter 50.000 Euro bleiben, erst ein-
                                                                                      heits- und Verteidigungspolitik von
spenden von knapp über zwei Millionen     einhalb Jahre später. In einem Wahljahr
                                                                                      Transparency Deutschland, begrüßte
Euro. Alle übrigen Bundestagsparteien     müssen insbesondere die Daten zur
                                                                                      diesen Beschluss. Zwar sei der gezielte
verzeichneten einen Spendenrückgang.      Wahlkampffinanzierung zeitnah ver-
                                                                                      Einsatz von Beratern durchaus sinn-
So erhielten die SPD und Bündnis 90/      öffentlicht werden.“
                                                                                      voll, etwa mit Blick auf Spezialfragen.
Die Grünen jeweils lediglich eine Groß-
                                          Außerdem fordert Transparency die Ab-       Der gegenwärtige Umfang dieser Pra-
spende vom vbm in Höhe von 50.001
                                          senkung der Veröffentlichungsschwelle       xis müsse jedoch hinterfragt werden:
Euro. Im Jahr 2019 hatten die SPD noch
                                          für Parteispenden auf 2.000 Euro und        „Die Einschaltung von Beratern, zum
206.651 Euro und die Grünen 335.001
                                          eine Deckelung der jährlichen Zuwen-        Beispiel bei der Steuerung von Groß-
Euro erhalten. An die FDP flossen im
                                          dungen an eine Partei auf 50.000 Euro       projekten im Verteidigungsministe-
Jahr 2020 101.001 Euro im Form von
                                          pro Spender oder Sponsor. Sponso-           rium, verwischt die staatliche Verant-
zwei Großspenden. Die AfD, die im
                                          ring durch kommunale und staatliche         wortung und gibt wichtige Aufgaben
Vorjahr leer ausgegangen war, bekam
                                          Unternehmen sollte generell untersagt       in die Hand von Angestellten von Be-
einmal 100.000 Euro.
                                          werden. Darüber hinaus setzt sich die       ratungsfirmen, die nicht dem Gemein-
Allerdings sagen Großspenden nichts       Organisation dafür ein, dass parteige-      wohl verpflichtet sind, sondern eigene
über das gesamte Spendenaufkom-           bundene Kandidierende keine Direkt-         wirtschaftliche Interessen verfolgen“,
men einer Partei aus. Bisher muss die     spenden mehr annehmen dürfen. (dp)          so Conze. (an)
Empfängerpartei dem Bundestagsprä-

POLITIK

Mehr Transparenz bei Aktienoptionen?
Müssen Bundestagsabgeordnete zukünftig auch Aktienoptio-         Aus Sicht des Vorsitzenden von Transparency Deutschland
nen als Einnahmen aus Nebentätigkeiten angeben? Das sieht        Hartmut Bäumer sei es ein begrüßenswerter erste Schritt der
ein geplanter Gesetzentwurf der CDU/CSU-Fraktion vor. Im         Union, „ihren Widerstand gegen die Aufnahme von sogenann-
November berichteten verschiedene Medien, die Fraktion pla-      ten Aktienoptionen in den Katalog öffentlich zu machender
ne einen solchen Entwurf, offenbar als Reaktion auf die Affäre   Nebenverdienste von Abgeordneten aufzugeben. Konsequent
um Philipp Amthor. Der Parlamentarier war unter Druck gera-      wäre, wenn die Union auch die Einführung eines legislativen
ten, weil er für das amerikanische IT-Unternehmen Augustus       Fußabdrucks nicht weiter blockieren und für möglichst wenige
Intelligence lobbyiert hatte und dafür Aktienoptionen bekam,     Ausnahmen bei einem verpflichtenden Lobbyregister eintreten
die er später zurückgab.                                         würde.“ (as)

14                                                               TR ANSPARENCY DEUTSCHL AND            SCHEINWERFER        90
NACHRICHTEN UND BERICHTE

ZIVILGESELLSCHAFT

Änderungen des Gemeinnützigkeits-
rechts gehen nicht weit genug
                                           nützigen Zweck der politischen Bildung         eigenen engagieren können − beispiels-
                                           hinausgingen. Das Urteil und ein Blick in      weise ein Karnevalsverein, der sich an
                                           die Realität der Arbeit zivilgesellschaftli-   einer Aktion gegen Rassismus und für
                                           cher Organisationen zeigt, wie reform-         Toleranz beteiligen möchte. Diese For-
                                           bedürftig das Gemeinnützigkeitsrecht           derungen wurden bei der Reform jedoch
                                           ist, zumal die gemeinnützigen Zwecke           nicht berücksichtigt. Immerhin wurden
                                           im Gesetz sehr eng definiert sind und          ins Gemeinnützigkeitsrecht sechs neue
                                           Lücken aufweisen. Im Dezember ver-             Zwecke aufgenommen. Dazu zählen Kli-
                                           gangenen Jahres hatte sich der Bundes-         maschutz, Antidiskriminierung wegen
                                           tag dieses Themas angenommen. Im               geschlechtlicher Identität, Antirassis-
                                           Rahmen der Reform des Jahressteuerge-          mus sowie Freifunk (Förderung von
                                           setzes wurden aber nur kleinere Ände-          offenen WLANs).
                                           rungen beschlossen.
                                                                                          Transparency Deutschland fordert
                                           Nach Auffassung von Transparency               darüber hinaus, auch den Einsatz für
Für Aufsehen hatte letztes Jahr das        Deutschland sollten gemeinnützige Or-          Menschen- und Bürgerrechte in den Ge-
sogenannte Attac-Urteil des Bundesfi-      ganisationen die eigenen Zwecke auch           meinnützigkeitskatalog aufzunehmen.
nanzhofs gesorgt. Das Gericht hatte der    überwiegend oder ausschließlich mit            Im Rahmen der Initiative „Zivilgesell-
Organisation den Gemeinnützigkeits-        politischen Mitteln verfolgen dürfen.          schaft ist gemeinnützig“ setzen sich 180
status mit der Begründung aberkannt,       Verbände sollten sich punktuell auch für       Organisationen für eine Modernisierung
dass ihre Tätigkeiten über den gemein-     andere gemeinnützige Zwecke als ihre           des Gemeinnützigkeitsrechts ein. (dp)

ZIVILGESELLSCHAFT                                              WISSENSCHAFT

Längere Fristen bei                                            Urteil: Uni Hamburg muss
Beteiligungs-                                                  Spender:innen nicht nennen
prozessen gefordert                                            Die Universität Hamburg muss        Das Gesetz regelt eigentlich
                                                               die Namen ihrer Spender:in-         umfassende Auskunftspflich-
In einem offenen Brief an die Bundesregierung                  nen nicht nennen. Das ent-          ten für öffentliche Einrichtun-
fordert Transparency Deutschland als Mitglied eines            schied das Oberverwaltungs-         gen, macht aber zahlreiche
breiten netzpolitischen Bündnisses ausreichende                gericht Hamburg im November         Einschränkungen. Die Uni-
zeitliche Fristen bei der Beteiligung der Zivilgesell-         und hob damit ein knapp zwei        versität Hamburg sah sich als
schaft und Verbände an politischen Entscheidungen.             Jahre zurückliegendes Urteil        Ausnahme von den Regeln und
In der jetzigen Praxis werden seitens der Bundes-              der Vorinstanz auf.                 gab nur ausgewählte Informa-
ministerien oft nur wenige Werktage für die Stel-              Geklagt hatte der Journalist        tionen weiter.
lungnahmen zu Gesetzesentwürfen erwartet. Das                  und Open Data-Aktivist Arne         Die Gerichtsentscheidung ist
verhindert die fundierte Bewertung. Neben ausrei-              Semsrott. Er bezog sich auf         auch aus Sicht von Transpa-
chenden Fristen für die Kommentierung von Ge-                  das hamburgische Transpa-           rency Deutschland bedauer-
setzesentwürfen rufen die Unterzeichner:innen des              renzgesetz und wollte wissen,       lich, da sie die Transparenz
Briefes zur Bereitstellung von Synopsen für bessere            wer der Universität Spenden         von Drittmitteln an Hochschu-
Vergleich- und Nachvollziehbarkeit der Änderungen,             von mehr als 1.000 Euro über-       len einschränkt. Eine Revision
zur Veröffentlichung der Referentenentwürfe auf den            wiesen hatte und für wel-           des Urteils ist nicht zulässig.
Webseiten der Ministerien sowie zu einer Öffnung               chen Zweck diese verwendet          Die vollständige Urteilsbegrün-
des Partizipationsprozesses auf. (ok)                          wurden.                             dung liegt noch nicht vor. (as)

SCHEINWERFER        90        TR ANSPARENCY DEUTSCHL AND                                                                      15
NACHRICHTEN UND BERICHTE

JOURNALISMUS

„Wenn die Pressefreiheit
zum Kostenfaktor wird“
KO M M E N TA R V O N
HEINRICH FISCHWASSER
                                                eine Abkehr von der lange bestehen-          zuständig. Auffallend bei einigen ihrer
                                                den Haltung der Verlage, die Versuche        Entscheidungen ist eine kleinlich-stren-
                                                zur Vorfeldbeeinflussung aussichtslos        ge Ausdeutung von Wortzitaten. Die
                                                machte.                                      Kammer ist aber nicht immer so streng.
                                                                                             Bundesweite Aufmerksamkeit erweckte
So lautete das Motto einer Onlinedis-           Aber auch die eher klassische ex-post-
                                                                                             sie unlängst mit der Erkenntnis, dass die
kussionsrunde im Dezember, zu der Mo-           Bekämpfung unerwünschter Bericht-
                                                                                             Bezeichnung einer bekannten Politike-
nique Hofmann, Geschäftsführerin der            erstattung hat Konjunktur. Besonders
                                                                                             rin als „alte perverse Drecksau“ keine
Deutsche Journalistinnen- und Journalis-        rege ist seit etwa anderthalb Jahren Prinz
                                                                                             Beleidigung sei, sondern eine zulässige
ten-Union (dju) in ver.di, auch Transpa-        Georg Friedrich von Preußen. Angegrif-
                                                                                             Meinungsäußerung.
rency Deutschland eingeladen hatte.             fen wird die in seinen Augen bisweilen
                                                falsche Tatsachenberichterstattung im        Prozesse kosten Geld; das Kostenrisi-
Presseberichterstattung kann unan-
                                                Zusammenhang mit den Entschädi-              ko in diesen Sachen liegt bei ungefähr
genehm sein. Es werden häufig Dinge
                                                gungsforderungen seines „Hauses“ we-         5.000 Euro. Dieses Geld kann nicht
öffentlich, die die Betroffenen nicht öf-
                                                gen Enteignungen in der Besatzungszeit.      jeder einsetzen. Hier kann der „Prinzen-
fentlich machen wollen. Wie verhindert
                                                Dabei scheuen der Prinz und sein Anwalt      fonds“ von FragdenStaat helfen und für
man das? Man engagiert einschlägige
                                                auch vor großen Namen nicht zurück.          mehr Waffengleichheit sorgen. Wer sich
Anwälte, die sich mit Präventivstrategien
                                                So bekamen die Frankfurter Allgemeine        vertieft informieren will und eventuell
auskennen. Diese versenden „Informa-
                                                Zeitung, der Springer Verlag und die Ge-     finanziell unterstützen möchte, findet
tionsschreiben“, Gespräche werden erbe-
                                                werkschaft ver.di ebenso wie bekannte        mehr unter mmm.verdi.de und bei frag-
ten, Alternativinformationen angeboten
                                                Historiker Anwaltspost. Die Zahl der         denstaat.de/aktionen/prinzenfonds/.
und „deals“ angeregt. Und es wird Druck
                                                Streitfälle ist nicht nachprüfbar bekannt.   Wenn man rechtspolitisch zwei Wünsche
ausgeübt: „Wenn Sie das schreiben, ver-
                                                Von mehr als 120 Vorgängen berichtet         frei hätte, wünschte man sich die Ab-
klage ich Sie“ ist der Titel einer Studie der
                                                der SPIEGEL.                                 schaffung des fliegenden Gerichtsstan-
Otto-Brenner-Stiftung zu der Thematik.
                                                                                             des − was der Bundesrat Ende letzten
Die Verlage gehen häufig darauf ein. Die        In Deutschland kann sich bei Pressesa-
                                                                                             Jahres verhindert hat − und der Berliner
Abwägung der Kosten der Rechtsabwehr            chen der Kläger das Gericht aussuchen,
                                                                                             Justiz eine bessere Personalpolitik.
gegen den Nutzen des einzelnen Artikels         man spricht vom sogenannten fliegen-
fällt dann zu Lasten des letzteren aus.         den Gerichtsstand. Georg Friedrich zu        Heinrich Fischwasser leitet die Regio-
Nur noch wenige große Verlage sind              Preußen lässt vorzugsweise in Berlin         nalgruppe Frankfurt/ Rhein-Main von
bereit zu kämpfen. Beobachter erkennen          klagen. Dort ist die 27. Zivilkammer         Transparency Deutschland.

JOURNALISMUS

Über 50 Medienschaffende weltweit getötet
Laut der Jahresbilanz der Pressefreiheit 2020 von der Orga-           über Demonstrationen berichteten. Eine Person kam bei
nisation Reporter ohne Grenzen sind weltweit im Jahr 2020             einem Auslandseinsatz ums Leben, alle anderen im Heimat-
mehr als 50 Journalist:innen wegen oder bei ihrer Arbeit              land. Zudem ist mit der Hinrichtung des regimekritischen
getötet worden. Damit hat sich der Trend der letzten Jahre            Journalisten Ruhollah Sam im Iran Mitte Dezember erstmals
fortgesetzt. Die meisten davon wurden gezielt ermordet, weil          seit 30 Jahren die Todesstrafe an einem Medienschaffenden
sie zu Korruption, organisiertem Verbrechen oder Umwelt-              vollstreckt worden. Zu den gefährlichsten Ländern zählen
zerstörung recherchierten. Mehrere wurden getötet, als sie            Mexiko, der Irak und Afghanistan. (ok)

16                                                                    TR ANSPARENCY DEUTSCHL AND               SCHEINWERFER           90
Sie können auch lesen