DIE FAMILIEN-VERFASSUNG ALS INSTRUMENT DER FAMILY GOVERNANCE UND IHRE JURISTISCHE UMSETZUNG - EIN PRAXISLEITFADEN - P+P Pöllath + Partners
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DIE FAMILIEN- VERFASSUNG ALS INSTRUMENT DER F AMILY GOVERNANCE UND IHRE JURISTISCHE UMSETZUNG EIN PRAXISLEITFADEN von Tom A. Rüsen und Arist v. Schlippe Wittener Institut für Familienunternehmen (WIFU) Andreas Richter und Tobias Hueck P+P Pöllath + Partners
IMPRESSUM VERANTWORTLICH: Wittener Institut für Familienunternehmen (WIFU) Universität Witten/Herdecke Prof. Dr. Tom A. Rüsen Prof. Dr. Marcel Hülsbeck Alfred-Herrhausen-Straße 50 58448 Witten Redaktion: Nicole Vöpel Gestaltung: Designbüro Schönfelder GmbH Titelfoto: Adobe Stock Hinweis: Soweit personenbezogene Bezeichnungen in männlicher Form aufgeführt sind, beziehen sich diese auf alle Geschlechter in gleicher Weise. Mai 2019 ISSN (Print) 2626-3424 ISSN (Online) 2626-3432
INHALT 1. Einführung 5 2. Die Familienverfassung als Instrument der Familienstrategie 6 2.1 Wozu ein Familienstrategieprozess?.................................................................... 6 2.2 Das Wittener Modell der Familienstrategieentwicklung........................................ 7 2.3 Von der Familienverfassung zum etablierten Familienmanagement-System........ 10 2.4 Die Rolle von externen Beratern.............................................................................. 11 2.5 Die Umsetzung der Familienstrategie als Daueraufgabe....................................... 12 3. Bindungswirkung und rechtliche Umsetzung einer Familienverfassung 13 3.1 Stand der Diskussion zur rechtlichen Bedeutung von Familienverfassungen....... 13 3.2 Rechtliche Bindungswirkung der Familienverfassung............................................ 13 a) In der Regel keine unmittelbare Rechtsverbindlichkeit der Familienverfassung gewollt.................................................................................. 13 b) Pros und Cons einer rechtlich unverbindlichen Familienverfassung................. 14 c) Mittelbare Rechtswirkungen der Familienverfassung........................................ 15 aa) Vertragsänderungen und -ergänzungen durch die Familienverfassung..... 16 bb) Vertragsauslegung anhand der Familienverfassung.................................. 16 cc) Rücksichtnahme- und Treuepflichten der Familiengesellschafter aufgrund der Familienverfassung................................................................ 17 dd) Auswirkungen der Familienverfassung auf die Pflichtenlage von Geschäftsführung und Beirat....................................................................... 17 3.3 Umsetzung der Familienverfassung im rechtlichen Ordnungsrahmen von Familienunternehmen und Familiengesellschaftern............................................... 18 a) Funktionales Zusammenspiel zwischen Familienverfassung und rechtlichem Ordnungsrahmen.......................................................................... 18 3
INHALT b) Regelungssystem der juristischen Governance in Familienunternehmen......... 18 aa) Gesetzlicher Rahmen................................................................................... 19 bb) Corporate Governance Kodizes................................................................... 19 cc) Gesellschaftsvertrag und Geschäftsordnungen......................................... 20 dd) Poolvertrag............................................................................................... 20 ee) Schenkungsverträge, Testamente, Eheverträge und Vorsorgevollmachten..................................................................................... 21 c) Themen der Familienverfassung und ihre juristische Umsetzung im rechtlichen Ordnungsrahmen............................................................................... 21 3.4 Empfehlungen zur Abstimmung zwischen Familienverfassung und rechtlichem Ordnungsrahmen................................................................................... 23 4. 10 Thesen zur Familienverfassung 25 5. Weiterführende Literatur 26 Kontakt 27 4
1 | EINFÜHRUNG D ie im Januar 2019 erschienene Studie „Die Unternehmerfamilie und ihre Familienstra gie“ des Wittener Instituts für Familienunternehmen te Jenseits des übergeordneten Ziels des langfris tigen Erhalts des Unternehmens in Familienhand verbinden Unternehmerfamilien mit der Familien- (WIFU) hat gezeigt, dass sich Unternehmerfamilien verfassung zumeist weitere, konkretere Erwartun- mit dem Thema Familienstrategie und einer auf gen: Zum einen geht es Familien darum, die emo dieser aufbauenden Family Governance inzwischen tionale Bindung der Familie an das Unternehmen intensiv auseinandersetzen.1 Die Erarbeitung einer und den Zusammenhalt der Familie zu stärken Familienstrategie und ihre Niederschrift als Fami (Integrationsfunktion). Zum anderen möchten sie lienverfassung sind zum festen Bestandteil der potenzielle Konfliktthemen frühzeitig klären und gelebten Praxis vieler deutscher Unternehmerfami- damit einen Ordnungsrahmen für die Zukunft lien geworden. Die Familienstrategie wird als ein schaffen (Ordnungsfunktion). zentrales Instrument zur Organisation wachsender Unternehmerfamilien wahrgenommen und trägt auf Dieser Praxisleitfaden baut auf verschiedenen diese Weise zur Zukunftssicherung der deutschen empirischen Studien des WIFU und rechtswissen- Familienunternehmen bei. schaftlichen Abhandlungen zum Thema auf. Er zeigt, wie eine Familienverfassung so erarbeitet Eine besondere Bedeutung kommt dabei der werden kann, dass sie ihre Funktion optimal erfüllt. Familienverfassung zu.2 Die Niederschrift der Fami- Im ersten Teil des Leitfadens stehen der gemein lienstrategie in einem familieneigenen Regelwerk same Erarbeitungsprozess und die integrierende sehen immerhin 78 Prozent der vom WIFU befrag- Aufgabe auf Ebene der Familie im Fokus. Der ten Unternehmerfamilien als das wichtigste Instru- zweite Teil behandelt die Ordnungsfunktion der ment der Family Governance an. Mit 45 Prozent der Familienverfassung, insbesondere deren Bindungs- Unternehmerfamilien verfügt bereits eine Vielzahl wirkung und ihre Umsetzung in dem juristischen der Studienteilnehmer über eine eigene Familien- Ordnungs rahmen von Familienunternehmen und verfassung – mit zunehmender Tendenz. Familiengesellschaftern. ZIEL DER FAMILIENVERFASSUNG: LANGFRISTIGER FORTBESTAND DES FAMILIENUNTERNEHMENS Integrationsfunktion Ordnungsfunktion Stärkung der emotionalen Bindung an das Klärung potenzieller Konfliktthemen Unternehmen Sicherung des Zusammenhalts der Unter Herstellung einer Bindungswirkung und Über nehmerfamilie nahme rechtsverbindlicher Regelungen in den Gesellschaftsvertrag und andere Vertragswerke Abbildung 1: Ziel der Familienverfassung 1 Siehe hierzu Rüsen & Löhde (2019). In dieser Studie des WIFU werden Trends und Dynamiken von Unternehmerfamilie bei der Entwicklung von Familien- strategien untersucht. 2 In der Praxis werden die verschriftlichten Gedanken, Haltungen und Regelwerke oftmals auch als Familienkodex, Leitlinien der Familie, Familiencharta, Familienkompass etc. bezeichnet. Aus Vereinfachungsgründen wird im Folgenden der Begriff der Familienverfassung verwendet. 5
2 | DIE FAMILIENVERFASSUNG ALS INSTRUMENT DER FAMILIENSTRATEGIE U nsere aktuellen Untersuchungsergebnisse verdeutlichen einen anhaltenden Trend zur Professionalisierung in Unternehmerfamilien.3 Für ratsam, sich einem familienstrategischen Prozess zu stellen. Die oftmals bereits gelebten Praktiken, implizit kommunizierten Werthaltungen und vor- Außenstehende mag es zunächst schwer nachvoll- handenen Verhaltenserwartungen werden in einem ziehbar sein, wenn sich Verwandte zusammenset- solchen Rahmen erörtert, verhandelt und gegebe- zen, gemeinsam mehrere Wochenenden mit der nenfalls für alle Familienmitglieder niedergeschrie- Beantwortung eines Fragenkataloges verbringen, ben, vielfach geschieht dies in Form einer Familien- schließlich ein Dokument erstellen und dieses als verfassung. für sich moralisch bindend anerkennen. Um dieses Verhalten besser verstehen zu können, ist es Der am WIFU entwickelte Ansatz basiert auf der notwendig, ein Verständnis für die in Unternehmer rämisse, dass es sinnvoll ist, wenn sich die Mit- P familien durchaus typische Wirkung widersprüch glieder einer Unternehmerfamilie im Prozess der licher Erwartungen auf Einzelpersonen, auf Fami Formulierung einer Familienstrategie bewusst mit liengremien und auf die Familie als Ganzes mit Fragen der Zukunftsgestaltung des Familienunter- ihren Entscheidungsprozeduren zu entwickeln. nehmens, des Gesellschafterkreises und der Fami- lie auseinandersetzen. Sowohl individuell wie auch kollektiv geht es im Kern um Fragen der Positionie- 2.1 | WOZU EIN FAMILIEN- rung der Familie dem Unternehmen gegenüber. STRATEGIEPROZESS? Hiermit verbunden sind eine Vielzahl von Identi- täts-, Definitions- und Verständnisfragen. Nicht we- nige Familienverantwortliche haben anfangs den U nternehmerfamilien umfassen meist einen größeren Personenkreis als die klassische Kernfamilie. Der Wille zur Weitergabe des Unterneh- Eindruck, sie brächen Tabus auf, wenn sie begin- nen, im größeren Familienkreis Fragen zum Ver- ständnis von Unternehmertum, zum Umgang mit mens in die nächste Generation stellt für diese eine Traditionen, zur Definition von Familie, zur Höhe zentrale Zielsetzung dar. Aufgrund ihres prägenden der Ausschüttungen oder auch zur Besetzung von Einflusses auf Entwicklung des in ihrem Eigentum Gremien zu diskutieren. Meist gehen Familien befindlichen Unternehmens können große, weiter jedoch gestärkt aus einem solchen Prozess hervor. wachsende Gesellschafterkreise einen wesent Man lernt sich besser kennen, mit allen Gemein- lichen Beitrag zur Sicherung der Zukunftsfähigkeit samkeiten und auch Unterschieden, entwickelt ein oder aber zur Destabilisierung ihres Familienunter- gemeinsames Verständnis von Unternehmens nehmens leisten. Bedingung für eine positive Ein- führung, nimmt Konflikte und deren Bewältigung flussnahme ist jedoch, dass sie sich explizit mit der vorweg. Oft werden entsprechende Auseinander- Entwicklung einer Familienstrategie beschäftigen. setzungen auch als persönliche Reifungs- und Diese klärt sowohl inhaltlich wie auch prozessual Entwicklungsprozesse erlebt. das Verhältnis der Familie zum Unternehmen (und umgekehrt), statt die typischerweise entstehenden Irgendeine Art von Familienstrategie wird in jeder Entfremdungsdynamiken der Familienmitglieder Unternehmerfamilie praktiziert, explizit oder im untereinander bzw. gegenüber dem Unternehmen plizit. Sie beginnt, sobald beispielsweise eine einfach dem Lauf der Dinge zu überlassen. Spätes- Gründerperson darüber nachdenkt, wie und unter tens wenn die Familie so groß ist oder absehbar welchen Umständen eine innerfamiliäre Nachfolge wird, dass Alltagsfragen nicht mehr „face to face“ möglich sein könnte oder wie mit dem Erbe umzu- besprochen und bearbeitet werden können, ist es gehen ist. Oft gehen die Mitglieder der Unterneh- 3 Vgl. v. Schlippe, Groth & Rüsen (2017) sowie Rüsen & Löhde (2019). 6
2 | DIE FAMILIENVERFASSUNG ALS INSTRUMENT DER FAMILIENSTRATEGIE merfamilie davon aus, dass ihre Art des Umgangs auch unterschwellige Konflikte hervortreten, die mit diesen Fragen ganz selbstverständlich sei. Erst zunächst zu bearbeiten sind. Latent vorhandene in der Konfrontation mit anderen Möglichkeiten Erwartungshaltungen können dann gemeinsam ge- wird den Beteiligten klar, dass sie eine Familien festigt werden, sodass aus diesen ein klares gemeinschaft bilden, in der sich geteilte Werte, Be- Selbstverständnis mit nachvollziehbaren Anforde- urteilungen und Handlungsmaximen in Bezug auf rungen an die einzelnen Gesellschafter formuliert das gemeinsame Unternehmen ganz spezifisch werden kann. ausgebildet haben.4 Solche Vorstellungen und Strategien werden aber im Zeitverlauf kaum jemals kritisch diskutiert und auf veränderte Gegebenhei- 2.2 | DAS WITTENER MODELL DER ten hin reflektiert. Auch fehlen meist gezielte Maß- FAMILIENSTRATEGIEENTWICKLUNG nahmen, wie etwa die Inhalte einer Strategie an den wachsenden Gesellschafterkreis bzw. die Folge generationen weiterzugeben seien. Darum ist es so wichtig, das implizite Wissen der Unternehmer- familie zu explizieren. D as Wittener Institut für Familienunternehmen hat, basierend auf Analysen von etablierten Familienmanagementsystemen, Familienverfas- sungen und -kodizes sowie auf Erfahrungen mit In den letzten Jahren haben Unternehmerfami- Mehrgenerationen-Unternehmerfamilien, das Witte- lien verstärkt über eine Verschriftlichung von Wert- ner Modell der Familienstrategieentwicklung erar- haltungen und Regelungen zu einem verantwortli- beitet. Dieses Modell umfasst zwölf Themenfelder, chen (Selbst-)Management des Unternehmens und die aufeinander aufbauen (können). Jeder einzelne der Unternehmerfamilie nachgedacht. Ein entspre- Baustein behandelt eine zentrale Fragestellung, chendes Schriftstück, eine „Familienverfassung“, deren Klärung und Beantwortung durch die Unter- beschreibt meist die zentralen Leitlinien des fami- nehmerfamilie essenziell ist. Es ist ratsam, zu- lialen Denkens einer Unternehmerfamilie als Orien- nächst die grundlegenden Fragen zu bearbeiten, tierungsrahmen. Fast immer handelt es sich dabei um dann bestimmte Detailfragen zu behandeln und um ein zwar moralisch bindendes Dokument, das schließlich das Miteinander zu organisieren. Die- jedoch nicht im juristischen Sinne verpflichtend ses Modell ist kein starres Rezept, vielmehr dient ist.5 Es bezieht gerade aus der moralischen Bin- es als Anstoß zur Professionalisierung der Familie dung seine Stärke und dokumentiert den Willen der in ihrer Funktion als Unternehmerfamilie. Diese Familie. In der Bindungslogik der Familie drücken zwölf Themenfelder sind in Abbildung 2 darge- sich darin die Erwartungen der Unternehmerfamilie stellt.6 an die unterzeichnenden Mitglieder aus. Der Ausgang eines Familienstrategieprozesses ist offen zu gestalten und somit auch für die Fami- lie nicht frei von Überraschungen. Innerhalb von Unternehmerfamilien können sich im Laufe eines Bearbeitungsprozesses bestimmte, vermeintlich festgefügte Vorstellungen (z. B. über die Regeln der Mitarbeit, das Einbringen in die strategische Entwicklung des Unternehmens etc.) radikal verän- dern; die Familie „erfindet“ sich neu. Dabei können 4 Vgl. Fletcher, Melin & Gimeno (2012). 5 Siehe hierzu näher unter Ziffer 3.2. 6 Das Wittener Modell der Familienstrategieentwicklung ist ausführlich beschrieben in Rüsen, v. Schlippe & Groth (2019a) sowie in v. Schlippe, Groth & Rüsen (2017). 7
2 | DIE FAMILIENVERFASSUNG ALS INSTRUMENT DER FAMILIENSTRATEGIE 12 Regeln zur Einhaltung 1 Individuelles Bekenntnis zum und Veränderung Familienunternehmen der Regeln 11 Aufbau von 2 Definition von Familie Gesellschafter- kompetenz 12 1 11 2 10 Vorhandenes 3 Werte und Ziele Familienmanagement- für Unternehmen 10 3 System Wittener und Familien Prozessmodell einer Familienstrategie 9 Ausschüttungspolitik/ 9 4 4 Rolle und Funktion von Vermögensstrategie Mitgliedern der Familie im Unternehmen 8 5 8 Konfliktbewältigung/ 7 6 5 Rolle und Funktion von Krisenprävention Familienmitgliedern als Gesellschafter 7 Information, Kommunikation 6 Installation von Gremien und Verhalten Abbildung 2: Das Wittener Modell zur Familienstrategieentwicklung Themenfeld 1: nehmerfamilie gehört, in welcher Form Ehegatten Zunächst wird geklärt, wie die Unternehmer in die Familienaktivitäten einbezogen werden sol- familie zum Familienunternehmen steht und wie len und ob diese generell Anteile bekommen kön- sie ihr grundsätzliches Verhältnis zum Unterneh- nen. Auch ist hier festzuhalten, wie mit eheähn men definiert, welches „Mentale Modell“ sie für lichen Lebensgemeinschaften oder mit Adoptionen sich als zutreffend erachtet.7 Auch ist hier zu umgegangen wird und wer zu welchen Gremien klären, unter welchen Bedingungen die Familie den und Institutionen Zugang erhält etc. Status des Familienunternehmens aufrechterhal- ten will (dies impliziert u. a. Aussagen zur Wachs- Themenfeld 3: tums- und Finanzierungsform, zum Umgang mit Anschließend werden Fragen zu den Werten und familienexternem Management, Governance-Struk- Zielen der Familie in Bezug auf sich selbst und in turen etc.). Bezug zum Unternehmen behandelt. Hier ist es von besonderer Relevanz, die auf den Werten basieren- Themenfeld 2: den Grundhaltungen (z. B. in Bezug auf das Verhal- Nach diesem grundlegenden Einstieg ist es sinn- ten in der Öffentlichkeit etc.) konkret zu reflektieren voll, im nächsten Schritt eine Definition der Familie und zu überlegen, woran ein Nichteinhalten eines vorzunehmen, also zu klären, wer genau zur Unter- Wertes festgestellt werden kann. 7 Siehe ausführlich hierzu Rüsen, v. Schlippe & Groth (2019b). 8
2 | DIE FAMILIENVERFASSUNG ALS INSTRUMENT DER FAMILIENSTRATEGIE Themenfeld 4: sellschaftsvertrages) werden typische kritische Im nächsten Schritt geht es um die Festlegung, Ereignisse im Lebenszyklus der Unternehmerfami- ob und unter welchen Bedingungen die Mitglieder lie im Rahmen eines Stress-Tests beleuchtet und der Unternehmerfamilie eine operative Tätigkeit im gegebenenfalls notwendige Vorsorgen getroffen. Familienunternehmen ausüben können. Gerade die Festlegung, ab welcher Ebene eine Tätigkeit vorge- Themenfeld 9: sehen ist, und insbesondere, wie der notwendige In diesem Themenkomplex werden der Aufbau Kompetenznachweis zum Einstieg und Aufstieg und die Diversifikation von Vermögen in der Unter- von welchen Personengruppen zu beurteilen ist, nehmerfamilie sowie die hiermit unweigerlich ver- sind Kernfragen, die erhebliche Konflikte in der bundene Ausschüttungspolitik des Unternehmens Familie erzeugen können. behandelt, gemeinsame Dienste eines Family Offices diskutiert und gegebenenfalls vereinbart. Themenfeld 5: Wesentlich ist dann, wer unter welchen Bedin- Themenfeld 10: gungen Anteile am Familienunternehmen erhalten Hier ist zu regeln, wer sich als Familienmanager darf und wie diese gegebenenfalls veräußert wer- um die Belange der Familie kümmern soll und wie den können. Auch hier zeigt die Praxis ein erhöhtes diese Person(en) mittels Wahlverfahren zu „Amt Konfliktpotenzial, wenn sich die Familie u neinig ist, und Würden“ gelangt/-en. Schließlich beinhaltet die ob sie sich in Stämmen oder als Großfamilie orga- Ausformulierung der Familienstrategie an diesem nisieren möchte. Mit den Festlegungen zum Um- Punkt im Idealfall eine Auflistung sämtlicher Insti- gang mit den Gesellschafteranteilen sind auch die tutionen, Maßnahmen im Rahmen des Familien Einigung zu Abstimmungs- und Wahlverfahren und management-Systems sowie die Erstellung eines der dabei praktizierte innerfamiliäre Umgang mit Veranstaltungskalenders der Unternehmerfamilie. Mehrheitsvoten verknüpft. Themenfeld 11: Themenfeld 6: Das Themenfeld definiert das interne Weiterbil- Dieses Themenfeld behandelt unternehmens- dungsprogramm der Unternehmerfamilie. Es um- und familienseitige Gremien (z. B. Beirat und fasst somit einen Maßnahmenkatalog zur systema Familienrat), deren Aufgabenspektrum, Zusammen- tischen Qualifizierung und Kompetenzerweiterung setzung und Entscheidungskompetenzen. Hier de- von Nachwuchsgesellschaftern, den Mitgliedern der finierte Institutionen stellen die oftmals für Außen- Unternehmerfamilie sowie von Gremienvertretern.8 stehende sichtbare Form der Corporate und Family Governance eines Familienunternehmens dar. Themenfeld 12: Für sämtliche Festlegungen im Rahmen der Themenfeld 7: Familienstrategie ist es wichtig, einen Prozess zur Hier werden Regelwerke zur Kommunikation und systematischen Änderung zu definieren. Gleichzei- Information innerhalb der Familie und gegenüber tig ist ein Vorgehen zu definieren, wie mit wieder- Dritten festgelegt. Neben der Informationsvermitt- holter Abweichung von vereinbarten Regeln fami lung geht es hier vor allem um eine Abstimmung lienintern umgegangen werden soll. des Umgangs miteinander sowie einen koordinier- ten Auftritt in der Öffentlichkeit. Diese Skizze kann nur andeuten, zu welchen ebatten die Formulierung einer Familienstrategie D Themenfeld 8: führt. Nicht selten kommt deshalb der Wunsch zur Entscheidend für eine zukünftige Krisenfestig- Vereinfachung, zum Beispiel durch Abschrift einer keit der Unternehmerfamilie ist die Formulierung fremden Verfassung, auf, um dem Suchen und Fin- von Vorgehensweisen bei Uneinigkeit ihrer Mit den gemeinsamer Antworten auszuweichen. Die glieder. Hierdurch sowie mittels regelmäßiger im geschützten Rahmen, im Beisein eines moderie- Überprüfung von Vorsorgeregelungen und einer rend eingreifenden Beraters, praktizierte Vorweg- Abstimmung der unterschiedlichen juristischen nahme von Krisen stellt jedoch eine der wichtigsten Regelwerke in der Familie (z. B. zum „sauberen“ Funktionen bei der Niederschrift einer Familienver- Ineinandergreifen des Testamentes und des Ge- fassung dar. 8 Siehe hierzu ausführlich Rüsen (2018a) sowie Rüsen (2018b). 9
2 | DIE FAMILIENVERFASSUNG ALS INSTRUMENT DER FAMILIENSTRATEGIE 2.3 | VON DER FAMILIENVERFASSUNG Neben der juristischen Prüfung und mitunter not- ZUM ETABLIERTEN wendigen Anpassung der bestehenden Vertrags- FAMILIENMANAGEMENT-SYSTEM werke geht es dann darum, die im Rahmen des Familienstrategieprozesses definierten Gremien (z. B. einen Familienrat, einen Familienmanager etc.) M it der Verabschiedung einer Familienverfas- sung findet der familienstrategische Ent- wicklungsprozess seinen Abschluss. Sobald die zu installieren sowie die hier festgelegten Maßnah- men zur Förderung und Pflege des Zusammen halts sowie zum Aufbau von Gesellschafterkom Familienverfassung ausformuliert ist, geht es da petenz auf den Weg zu bringen. Nach einem rum, Anpassungen in bestehenden Vertragswerken mitunter aufreibenden Entwicklungsprozess und (z. B. Gesellschaftsverträge, Erbregelungen, Ehe- nach der feierlichen Unterzeichnung des Familien- verträge etc.) vorzunehmen. Hierdurch finden die dokuments steckt die Unternehmerfamilie aller- familienstrategischen Überlegungen in bereits dings oftmals in einer Art „Ermüdungsfalle“ und bestehende Vertragswerke Eingang. Auch ist in benötigt Zeit, bevor es mit den nächsten Umset- diesem Rahmen darauf zu achten, dass keine un zungsschritten weitergeht. Zu empfehlen ist, dass beabsichtigten Wechselwirkungen zwischen dem die im Familiendokument vorgesehenen Institutio- Familiendokument und vorhandenen Vertragswer- nen (z. B. eine Kümmerer-Institution, ein Familien- ken durch die Erstellung bzw. die Unterzeichnung gremium etc.) schnell durch konkrete Personen einer Familienverfassung entstehen. Grundsätzlich besetzt werden. Gleichzeitig ist es hilfreich, sich sollte allerdings davon ausgegangen werden, dass mit anderen befreundeten Unternehmerfamilien in einem strittigen Fall ein Richter eine vorhandene über die Umsetzung auszutauschen und gegebe- Familienverfassung zur Auslegung von Vertrags- nenfalls von deren Erfahrungen zu profitieren. werken heranziehen wird.9 Erst durch die systematische Einführung und Folglich ist also immer zu bedenken, wie die Umsetzung der im Rahmen des Familienstrategie- abgefassten Inhalte einer Verfassung durch einen prozesses definierten Maßnahmen entsteht dann Familienexternen aufgefasst und bei einem das spezifische Familienmanagement-System einer Schieds- oder Richterspruch verwendet werden Unternehmerfamilie. Fortan werden von diesem können. Vor diesem Hintergrund ist es daher sinn- sämtliche Maßnahmen zur Ausbildung eines voll, das Ergebnis des familienstrategischen Ent- kollektiven Willens durchgeführt. In diesem Selbst- wicklungsprozesses vor der Unterzeichnung durch steuerungssystem werden künftig sämtliche Frage einen juristischen Berater kritisch prüfen zu lassen. stellungen einer Unternehmerfamilie behandelt. Gegebenenfalls erscheint es in dem einen oder Die Verfassungsinhalte werden von der Familie anderen Fall angemessen, die gefundenen Lösun- regelmäßig überprüft. gen als Ergänzung zum bestehenden Gesellschafts- vertrag zu formulieren oder diesen in Gänze in Bezug auf die erarbeiteten Grundüberlegungen des Familienstrategieprozesses hin anzupassen. 9 Siehe hierzu die Ausführungen in den folgenden Kapiteln. 10
2 | DIE FAMILIENVERFASSUNG ALS INSTRUMENT DER FAMILIENSTRATEGIE Reflexion der Familienstrategie Definierte Gremien Ausformulierung des Verträge ändern und Aufgaben „Familien-Willens“ bzw. ausarbeiten „beleben“ 1 Erstellung eines 1 Durchführung 1 Einrichtung schriftlichen ggf. notwendiger definierter Dokuments Vertrags- Gremien (Verfassung, modifikationen 1 Aufnahme der Definition des Kodex, Statut, (Selbst-)Management- 1 Vorbereitung Gremienarbeit Charta etc.) Systems und Abschluss 1 Durchführung 1 Prüfung durch zusätzlicher definierter Juristen, welche Verträge „Familien- rechtlichen Aktivitäten“ Bindungswir- kungen entstehen können Abbildung 3: Von der Familienstrategie zum Familienmanagement-System 2.4 | DIE ROLLE VON EXTERNEN Prozesses gerade im gemeinsamen, wenn auch BERATERN zuweilen mühsamen Prozess der Formulierungs- suche und Entscheidungsfindung liegt, denn dieser macht einen Großteil der Bindungswirkung einer W erden familienstrategische Entwicklungs- prozesse durch familienexterne Moderato- ren beratend begleitet, kommt diesen Personen Familienverfassung aus, vielleicht ist er sogar wichtiger als das Ergebnis selbst. Es ist deshalb wichtig, dass Beraterinnen und Berater die Span- eine hohe Verantwortung zu. Sie haben den Pro- nung aushalten, die sich aus zwei „Verführungen“ zess zu führen und eine Familie mit Grundfragen zu zusammensetzt: konfrontieren, die sie sich womöglich bisher nicht gestellt hat; zugleich braucht die Unternehmer 1 zum einen, als Spezialisten den Familien die Ent- familie Freiraum und Gestaltungsfreiheit, um ihre scheidungsunsicherheit zu nehmen, indem sie eigenen Vorstellungen, Meinungen und Strukturen die Inhalte definieren; zu entwickeln. 1 zum anderen, mit Expertenmeinungen den in Wenn aber der Berater seine eigene Vorstellung nerfamiliären Auseinandersetzungsprozess vor- darüber, wie eine „vernünftige“ Verfassung zu for- schnell abzukürzen. Einwände, kritische Stim- mulieren ist und wie die „richtige“ Gremienstruktur men, ein Nein von Familienmitgliedern zu einem auszusehen hat, der Unternehmerfamilie über- scheinbar völlig unpassenden Zeitpunkt stören stülpt, dürfte die Nachhaltigkeit der gefundenen vermeintlich. Wer dann mit Expertise interveniert Lösung fraglich sein. Auch wenn externe Spezialis- und diese Stimmen zum Schweigen bringt, kann ten sicherlich über breite Erfahrungen verfügen, so sich des Beifalls des ungeduldigen Rests der sind die Binnen-Logiken von Familiensystemen Familie sicher sein. Es besteht jedoch die Gefahr, doch kaum untereinander vergleichbar. Hinzu dass das zum Schweigen gebrachte Familienmit- kommt, dass der Wert eines familienstrategischen glied sich zunehmend weniger an dem Prozess 11
2 | DIE FAMILIENVERFASSUNG ALS INSTRUMENT DER FAMILIENSTRATEGIE beteiligt und diesen nur halbherzig mitträgt oder von Familienunternehmen und Unternehmerfami- sich innerlich aus der Unternehmerfamilie verab- lien nicht gerecht. Gerade wenn familienstrategi- schiedet. Jeder Einwand, so mühsam mit ihm sche Regelwerke strapaziert werden (z. B. bei der umzugehen ist, ist auch eine Erkenntnischance Frage nach der Zugehörigkeit zur Familie, den für die Familie, weil er zeigt, dass ein Thema Kriterien zur Befähigung für den Einstieg ins Unter- noch nicht ausreichend durchdacht wurde. nehmen, bei Uneinigkeit etc.), versagen solche „netten“, oftmals familienextern vorformulierten Wird der Entwicklungsprozess einer Familien- Regelwerke. Die vermeintliche Vorsorge durch ent- strategie dazu genutzt, vermeintlich professionelle sprechend undurchdachte Schriftstücke stürzt die Strukturvorschläge gegen das Selbstbild der Unter- Unternehmerfamilie mitunter ins Chaos. Als Kon- nehmerfamilie zu positionieren, kann ein Familien- fliktpräventionsinstrumente sind solche Regel strategieprozess auch kontraproduktive Wirkung werke wenig brauchbar. haben. Dies zeigt sich zumeist daran, dass Fami lienmitglieder, die, auch wenn sie über Monate an Die Familie des Familienunternehmens muss der Entwicklung einer Familienstrategie beteiligt sich zu Beginn des Prozesses bewusst sein, dass waren, „plötzlich“ am Tag der Unterzeichnung des sie ein gehöriges Maß an Zeit für den Prozess und Dokuments ihre Unterschrift verweigern mit dem das dadurch implementierte Familienmanage- Hinweis, sich hier nicht mehr wiederzufinden. Dann ment-System zu investieren hat. Doch was ist die sind offenbar Strukturen, Werthaltungen und Re- Alternative? Wer familienstrategische Entschei- geln formuliert worden, die von den prozessbetei- dungen immerfort weiter so trifft, wie es sich ligten Familienmitgliedern zwar auf der Sachebene bisher bewährt hat, muss hoffen, dass die Fami akzeptiert, innerlich jedoch nicht wirklich mitge lienverhältnisse und Umfeldanforderungen auch tragen wurden. Es kann an dieser Stelle nicht klar weiterhin zu den bekannten Lösungen passen. Wer genug betont werden, dass ein familienstrategi- einen Familienstrategieprozess startet, der wird scher Entwicklungsprozess eine durchaus heftige einigen Kommunikationsaufwand in der Familie Intervention für das soziale Gefüge einer Unterneh- auf sich nehmen und natürlich mit Auseinanderset- merfamilie bedeuten kann. zungen und Konflikten konfrontiert sein, bis eine Familienstrategie endlich steht. Aber mehr als die Dementsprechend kommt dem familienexternen Formulierung der Inhalte hat die Familie auf die- Begleiter nicht nur die Rolle eines Fachberaters zu, sem Weg gelernt, wie sie lernt, wie sie zum Beispiel der die „richtige“ Lösung einführt, sondern auch Selbstbilder anpasst, Nachfolgemuster und Gre und vor allem die eines „Familien-Coaches“ und mienstrukturen verändert, wie sie Unterschiede „Prozessberaters“, der die Unternehmerfamilie bei und Gemeinsamkeiten zusammenbringt etc. Sie der Bewältigung der Kernfragen zur Überlebens kann darauf vertrauen, dass diese Kompetenz zum sicherung als Unternehmerfamilie begleitet. Tragen kommt bei Ereignissen und Herausforde rungen, von denen man bisher nur ahnen kann, dass sie auf die Familie zukommen werden. 2.5 | DIE UMSETZUNG DER FAMILIEN STRATEGIE ALS DAUERAUFGABE Sich auf eine Familienstrategie einzulassen, er- höht die Wahrscheinlichkeit, dass das eintritt, was so gut wie alle Unternehmen anstreben: die Stär- D iese Ausführungen haben deutlich werden lassen, dass eine reine Auflistung von all gemeinen Werten und Institutionen oder auch die kung des generationenübergreifenden Willens, das Familienunternehmen im Eigentum der Unter nehmerfamilie zu erhalten. Kurz gesagt: die Enkel- Niederschrift einer Verfassung nicht hinreichend fähigkeit! sind, um das komplexe Zusammenspiel einer Familie und eines Unternehmens nachhaltig zu unterstützen. Die zuweilen in der Praxis vorzufin- denden einfachen „Verfassungen“, die meist in ein- oder zweitägigen Workshops entstehen, werden dem Bewusstseinsbildungs- und Regelungsbedarf 12
3 | BINDUNGSWIRKUNG UND RECHTLICHE UMSETZUNG EINER FAMILIENVERFASSUNG 3.1 | STAND DER DISKUSSION ZUR können. Nicht ohne Grund spricht daher der Gover- RECHTLICHEN BEDEUTUNG VON nance Kodex für Familienunternehmen in Ziffer 8.4 FAMILIENVERFASSUNGEN die Empfehlung aus, dass Unternehmerfamilien regeln sollten, „welche Rechtsqualität dem Kodex (= der Familienverfassung) und seinen Inhalten zu F amilienverfassungen wurden von der Bera- tungspraxis lange Zeit pauschal als unverbind- liche Absichtserklärungen eingeordnet und im rein kommt, insbesondere im Verhältnis zu Gesellschafts verträgen und anderen juristischen Dokumenten“ .11 außerrechtlichen Raum verortet („rechtliches Nul- lum“). Diese Annahme wurde inzwischen von der 3.2 | RECHTLICHE BINDUNGSWIRKUNG Rechtswissenschaft als zu pauschal widerlegt.10 DER FAMILIENVERFASSUNG Die Einordnung als rechtliches Nullum wird der Familienverfassung insbesondere aus folgenden Gründen nicht gerecht: a) In der Regel keine unmittelbare Rechtsver- bindlichkeit der Familienverfassung gewollt 1 Anders als für Absichtserklärungen üblich be- steht meist ein Befolgungswille der Familien Die rechtliche Qualität und Bindungswirkung gesellschafter und die Familienverfassung soll iner bestehenden Familienverfassung ist in jedem e als Regelwerk dauerhaft Bestand haben. Einzelfall sorgfältig im Wege der Auslegung gemäß §§ 133, 157 BGB zu prüfen, weil die Regelungen 1 Familienverfassungen weisen vielfältige inhalt und Funktionen einer Familienverfassung sehr un- liche Verflechtungen mit dem rechtlichen Ord- terschiedlich sein können und es nicht die Fami nungsrahmen des Familienunternehmens und lienverfassung gibt. Die einzelnen Regelungen der seiner Gesellschafter auf (z. B. Regelungen zur Familienverfassung können rechtlich auch durch- Mitarbeit im Unternehmen, zur Übertragbarkeit aus unterschiedlich zu bewerten sein. Auf der von Anteilen oder zu Abfindungen). einen Seite enthalten Familienverfassungen übli- cherweise Regelungen, die einen engen inhaltli- 1 Familien verwenden bei der Formulierung von chen Bezug zu Fragen des Unternehmens und der Familienverfassungen häufig die Sprache des Gesellschafter aufweisen. Zu denken ist beispiels- Rechts („wir verpflichten uns“, „wir legen fest“ weise an Regelungen zur Besetzung der Ge etc.). schäftsführung und (Kontroll-)Gremien des Unter- nehmens, zur Mitarbeit von Familienmitgliedern im Eine Familienverfassung oder zumindest einzel- Unternehmen, zur Übertragbarkeit von Anteilen ne ihrer Regelungen können daher durchaus recht- oder zur Berechnung von Abfindungen. Diesbe lich erheblich sein. Gerichtsurteile zur Familienver- züglich kommt eine rechtliche Bindung ernsthaft in fassung existieren – soweit ersichtlich – allerdings Betracht. Daneben enthalten Familienverfassungen noch nicht. Dies liegt unter anderem daran, dass aber auch originär familienbezogene Inhalte, die Familienverfassungen in Deutschland erst seit eini- keinen Bezug zum Unternehmen aufweisen. Dabei gen Jahren üblich sind. Es erscheint jedoch nicht geht es etwa um Festlegungen zu Familientagen ausgeschlossen, dass ein mit Familienverfassun- und sonstigen Familienaktivitäten einschließlich gen nicht vertrautes Gericht die unternehmens- Qualifizierungsmaßnahmen für die jüngere Gene und gesellschafterbezogenen Regelungen der ration oder Regeln zum Umgang und zur Kommu Familienverfassung in einem Konfliktfall als juris- nikation untereinander. Bezüglich solcher Inhalte tisch einklagbar qualifizieren könnte. der Familienverfassung kommt eine rechtliche Bindungswirkung von vornherein nicht infrage. Umso wichtiger ist, dass sich Unternehmerfami- Schließlich enthält die Familienverfassung übli- lien mit der Bindungswirkung der Familienverfas- cherweise Regelungen, die die Bedeutung und sung aktiv auseinandersetzen, die gewünschte Handhabung des Regelwerks selbst betreffen, rechtliche Qualität festlegen und auf diese Weise etwa zum Verfahren für Anpassungen der Fami gegebenenfalls unerwünschte rechtliche Wirkun- lienverfassung. Bezüglich solcher Regelungen ist gen der Familienverfassung vermieden werden eine rechtliche Verbindlichkeit wiederum denkbar. 10 Siehe hierzu insbesondere Fleischer (2016) und Hueck (2017). 11 Governance Kodex für Familienunternehmen, Ziffer 8.4. 13
3 | BINDUNGSWIRKUNG UND RECHTLICHE UMSETZUNG EINER FAMILIENVERFASSUNG In der Tat entspricht es jedoch zumeist dem meinsame Erarbeitungsprozess sei, erschließt sich illen der Familienmitglieder, die eine Familienver- W nämlich nicht, warum dem Erarbeitungsprozess für fassung verabschieden, dass die darin getroffenen den Fall, dass sich daran die Etablierung eines Vereinbarungen insgesamt nicht rechtsverbindlich rechtlich verbindlichen Regelwerks anschlösse, in dem Sinne sein sollen, dass sich daraus unmit- bezüglich der Integrationsfunktion ein geringeres telbar durchsetzbare Rechte und Pflichten im juris- Potenzial zukommen sollte. Am ehesten noch ver- tischen Sinne ergeben. Familienmitglieder betrach- mag das Argument zu überzeugen, dass die Aus- ten die Familienverfassung vielmehr in aller Regel sicht auf ein (zunächst) unverbindliches Regelwerk als eine Art Gentlemen’s Agreement mit rechtlich die Einigungsbereitschaft sowie auch die Bereit- nicht durchsetzbaren Verhaltenszusagen. Unter- schaft der Familienmitglieder, sich auf den Prozess nehmerfamilien nehmen in diesem Fall das bei der Er arbeitung einer Familienverfassung über- unverbindlichen Regelungen naturgemäß erhöhte haupt einzulassen, erhöht. Dieses Argument wird Risiko in Kauf, dass sich die Beteiligten zu einem freilich nicht stets zum Tragen kommen. Vielmehr späteren Zeitpunkt, insbesondere in Konfliktsitua- besteht bei unverbindlichen Regelungen das tionen, nicht mehr an die Familienverfassung erhöhte Risiko, dass sich die Parteien zu einem gebunden fühlen und die Regelungen nicht durch späteren Zeitpunkt nicht mehr an die Regelungen gesetzt werden können. der Familienverfassung halten (Family Compliance- Verstoß).12 Sofern Regelungen in der Familienver- fassung sich auf das Familienunternehmen und die b) Pros und Cons einer rechtlich Ausübung von Gesellschafter- und/oder Organ- unverbindlichen Familienverfassung rechten und -pflichten beziehen, können jedoch durchaus erhebliche wirtschaftliche Interessen der Jedenfalls sollten sich Unternehmerfamilien, Beteiligten negativ betroffen sein. Dieses Risiko wenn sie eine neue Familienverfassung etablieren, zugunsten einer unverbindlichen Gestaltung einzu- mit der Frage nach der gewünschten rechtlichen gehen, wäre dann ein hoher Preis. Zudem kann es Bindungswirkung befassen. Nachfolgend werden über die Frage, ob die Unverbindlichkeit der Fami einige Entscheidungsparameter für die stets gebo- lienverfassung zugleich Legitimation für ein jeder- tene Einzelfallanalyse gegeben. zeitiges Abweichen sein soll, überhaupt erst zu Konflikten in der Familie kommen. Für eine rechtlich unverbindliche Gestaltung wird angeführt, dass mit der Familienverfassung Allerdings ist auch zu berücksichtigen, dass zu- bewusst ein Regelwerk außerhalb des bestehen- mindest einzelne Inhalte der Familienverfassung den rechtlichen Ordnungsrahmens geschaffen schon nach dem bisher in vielen Unternehmerfami- werden soll, dessen Adressat die Familie als sol- lien herrschenden Verständnis – wenn auch erst in che ist. Dazu gehören gegebenenfalls auch Fami einem zeitlich nachgelagerten Schritt – noch in lienmitglieder, die (noch) keine Gesellschafter des rechtlich bindende Regelungen auf Gesellschafts- Familienunternehmens sind. Zudem wird einer und Gesellschafterebene überführt werden sollen, rechtlich nicht bindenden Familienverfassung ein um auf diese Weise Rechtsklarheit zu schaffen. höheres Potenzial zugeschrieben, soweit es darum Ferner würde eine rechtsverbindlich abgefasste geht, Zusammenhalt und Identität zu stiften. Familienverfassung nicht nur ein zusätzliches Ver- Schließlich gewährleiste ein rechtlich unverbind tragswerk, sondern auch zusätzliche rechtliche liches Regelwerk ein höheres Maß an Flexibilität für Komplexität bedeuten, nicht zuletzt auch aufgrund Abweichungen und erfordere (vermeintlich) ein ge- der dann gebotenen gerichtsfesten Formulierung. ringeres Maß an Sorgfalt bei der Ausformulierung. Des Weiteren kommt bezüglich einiger Inhalte originär familienbezogener Themen der Familien- Bei genauer Betrachtung überzeugt diese Argu- verfassung eine rechtliche Bindungswirkung von mentation nur bedingt. Wenn weithin angenommen vornherein nicht ernsthaft infrage, etwa soweit es wird, dass wesentliches Element der integrie um die Durchführung gemeinsamer Familienaktivi- renden Funktion der Familienverfassung der ge- täten geht. 12 Zu den Besonderheiten von Family Compliance siehe auch Rüsen (2017). 14
3 | BINDUNGSWIRKUNG UND RECHTLICHE UMSETZUNG EINER FAMILIENVERFASSUNG PRO CONTRA Rechtliche Unverbindlichkeit fördert stärker Bei Unverbindlichkeit verbleiben Unklarheiten** den Zusammenhalt* Höhere Flexibilität* Unverbindlichkeit geht zu Lasten der Durch setzbarkeit und Verlässlichkeit*** Geringeres Risiko gerichtlicher Streitigkeiten* Geringere Konfliktbereitschaft bei Rechts verbindlichkeit** Erhöhte Prozess- und Einigungsbereitschaft* Zusätzliche Komplexität einer rechtsverbind lichen Gestaltung wird vermieden.*** * schwaches Argument ** mittleres Argument *** starkes Argument Abbildung 4: Rechtlich unverbindliche Gestaltung der unternehmensbezogenen Regelun- gen in der Familienverfassung? Im Ergebnis empfiehlt sich daher einerseits, die c) Mittelbare Rechtswirkungen der Familienverfassung zwar rechtlich unverbindlich Familienverfassung abzufassen, andererseits die auf das Gesellschafts- verhältnis bezogenen Verständigungen jedoch zu- Von der Frage der unmittelbaren Rechtsverbind- gleich rechtssicher auf Ebene des rechtlichen lichkeit zu unterscheiden ist die Frage nach mög Organisationsrahmens zu verankern (dazu siehe lichen mittelbaren Rechtswirkungen der Familien- noch näher unter Ziffer 3.3.a) unten). verfassung. Damit ist eine rechtliche Relevanz der (unverbindlichen) Familienverfassung gemeint, die Unabhängig davon, wie die erforderliche Einzel- sich im Zusammenwirken mit anderweitigen recht- fallanalyse ausfällt, sollte die Familienverfassung lichen Anknüpfungspunkten wie beispielsweise stets eine ausdrückliche Klarstellung zu der dem Gesellschaftsvertrag ergeben kann. In der gewünschten rechtlichen Bindungswirkung ihrer Rechtswissenschaft wurde herausgearbeitet, dass Regelungen enthalten. Soll eine Familienverfas- die rechtliche Unverbindlichkeit der Regelungen sung rechtlich unverbindlich sein und auch – so- der Familienverfassung nicht per se deren recht weit möglich – darüber hinaus keine Rechtswirkun- liche Unbeachtlichkeit bedeutet.13 Damit gilt für die gen entfalten, kann dafür die folgende Formulierung Familienverfassung das, was auch für Soft Law verwendet werden: und unverbindliche Erklärungen in unterschied lichen Anwendungsbereichen (z. B. für den Letter of Intent, das Memorandum of Understanding oder „Die Familienverfassung soll nach dem Willen die weiche Patronatserklärung) gilt. Maßgeblicher der Familie rechtlich unverbindlich sein. Sie soll Ansatzpunkt einer rechtlichen Relevanz der Fami weder Rechte und Pflichten im juristischen Sinne lienverfassung ist das durch die gegenseitigen begründen noch eine wie auch immer geartete Versprechen zwischen den Familienmitgliedern sonstige rechtliche Bedeutung entfalten. Juris- begründete Vertrauen. Wird das Vertrauen ent- tisch maßgeblich sind allein der Gesellschafts- täuscht, unterliegen die rechtlichen Konsequenzen vertrag und die sonstigen Vertragswerke des nur bedingt der Disposition der Beteiligten. So kann Unternehmens und seiner Gesellschafter.“ etwa über den Grundsatz von Treu und Glauben, Rücksichtnahmepflichten und die gesellschafts- 13 Siehe hierzu Hueck (2017). 15
3 | BINDUNGSWIRKUNG UND RECHTLICHE UMSETZUNG EINER FAMILIENVERFASSUNG rechtliche Treuepflicht gerade nicht vollständig dis- gesellschaften (GmbH, AG) scheidet eine Ände- poniert werden. Solche gelten auch dann, wenn die rung zumindest des Gesellschaftsvertrags durch Parteien bezüglich einer Vereinbarung rechtliche einverständliche Praxis wegen der gesetzlichen Unverbindlichkeit vereinbart haben. Form- und Eintragungserfordernisse hingegen in aller Regel aus. Die möglichen rechtlichen Folgewirkungen der Familienverfassung, einschließlich der sich jeweils Beispiel: Wenn etwa ein bestimmter, von einer unter Umständen ergebenden Pflichten, sind viel- esellschaftsvertraglichen Regelung abweichender, g fältig. Sie lassen sich letztlich immer nur mit Blick Gewinnverteilungsschlüssel über mehrere Jahre der auf die konkreten Umstände des Einzelfalls prä Praxis eines Familienunternehmens in der Form zise bestimmen. Hierfür sind jeweils die rechtli- einer Personengesellschaft entspricht, legt dies chen Rahmenbedingungen wie auch das in tat- einen Willen auch zur (stillschweigenden) Abände sächlicher Hinsicht konkret begründete Vertrauen rung des Gesellschaftsvertrags nahe. Eine Regelung maßgeblich. Im Folgenden werden einige mögliche in der Familienverfassung zur Gewinnverteilung Ansatzpunkte für eine rechtliche Relevanz der kann in diesem Fall den Willen der Gesellschafter zu Familienverfassung skizziert. einer vertragsändernden Praxis belegen. aa) Vertragsänderungen und -ergänzungen durch bb) Vertragsauslegung anhand der die Familienverfassung Familienverfassung In der Regel soll die Verabschiedung der Fami Die in der Familienverfassung dokumentierten lienverfassung nicht unmittelbar zu einer Änderung Verständigungen lassen sich zur Auslegung des des Gesellschaftsvertrags führen. Die Familienver- Gesellschaftsvertrags sowie sonstiger gesell- fassung stellt vielmehr ein eigenständiges Regel- schaftsbezogener Regelungen wie etwa einem werk dar, das vom Gesellschaftsvertrag zu unter- Poolvertrag oder Geschäftsordnungen heranzie- scheiden ist (siehe näher Ziffer 3.3 a) unten). hen. Insbesondere gilt dies für die Auslegung des Dennoch kann die Familienverfassung im Einzelfall Gesellschaftsvertrags bei Personengesellschaften, – gegebenenfalls ungewollt – aufgrund einer so- weil dieser anhand der allgemeinen Grundsätze genannten einverständlichen Übung zu einer Än- gemäß §§ 133, 157 BGB auszulegen ist und daher derung des Gesellschaftsvertrags beitragen. Bei auch außerhalb der Vertragsurkunde liegende Personengesellschaften (OHG, KG) ist für den ge- Umstände ohne Weiteres Berücksichtigung finden sellschaftsvertraglichen Regelungsrahmen näm- können. Weniger eindeutig ist, ob die Familien lich nicht zwingend der Wortlaut des Vertrags verfassung auch zur Auslegung des Gesellschafts- textes, sondern das tatsächliche Verständnis und vertrags einer Kapitalgesellschaft herangezogen die Praxis der beteiligten Gesellschafter maß werden kann. Dessen Auslegung hat nach der geblich. Wird beispielsweise über einen langen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs streng Zeitraum anders als im Gesellschaftsvertrag vor- objektiv anhand des Vertragswortlauts („aus sich gesehen verfahren, kann hierin zugleich eine Ver- heraus“) zu erfolgen. Gleichwohl kommt dort eine tragsänderung liegen und unter Umständen sogar Auslegung anhand der Familienverfassung zumin- eine konstitutive Schriftformklausel abbedungen dest dann in Betracht, wenn den Familiengesell- werden. Der Familienverfassung kann deshalb die schaftern die Familienverfassung bekannt ist – Bedeutung zukommen, eine tatsächliche, einver- wovon in aller Regel auszugehen ist. ständliche Übung der Gesellschafter zu doku mentieren, aus der eine Abänderung oder Ergän- Beispiel: Regelmäßig lässt der Gesellschaftsver zung der gesellschaftsvertraglichen Regelungen trag freie Anteilsübertragungen nur an Familien folgt. Die Familienverfassung lässt sich dann als angehörige zu. Die Übertragung von Anteilen an Argumentationshilfe, gegebenenfalls auch als Be- Familienfremde erfordert hingegen einen gesonder weismittel, für das Bestehen einer entsprechen- ten Zustimmungsbeschluss der Gesellschafter. Es den einverständlichen Übung und den Willen der kommt nicht selten vor, dass die Familienverfas Familiengesellschafter, auch in Zukunft derart zu sung die gesellschaftsvertraglichen Regelungen verfahren, heranziehen. Im Bereich der Kapital noch präzisiert, wenn es darum geht zu bestimmen, 16
3 | BINDUNGSWIRKUNG UND RECHTLICHE UMSETZUNG EINER FAMILIENVERFASSUNG wer zur Familie gehört und Gesellschafter werden verfassung abweichen. Auf diese Weise können kann. Beispielsweise ist denkbar, dass der Gesell die mit der Familienverfassung gesetzten Verhal- schaftsvertrag den Begriff „Kind“ verwendet, ohne tenserwartungen den Inhalt der gesellschafts- ihn zu definieren, die Familienverfassung jedoch rechtlichen Treuepflicht bestimmen. klarstellt, dass Adoptivkinder den leiblichen Kindern gleichzustellen sind. Es liegt dann nahe, dass die Beispiel: Vorstellbar ist beispielsweise, dass die Familienverfassung in einem solchen Fall das spezi Familienverfassung Anpassungen bestehender fizierte Verständnis der Familiengesellschafter ab rechtlicher Strukturen vorsieht, diese Anpassungen bildet und die Familienverfassung bei einem Streit unter Einholung rechtlicher und steuerlicher Bera über die Nachfolgeberechtigung auch juristisch tungsleistungen vorbereitet wurden, jedoch nicht nicht außer Acht gelassen werden kann.14 zustande kommen, weil ein Familiengesellschafter – trotz vorheriger Zustimmung zur Familien ver fassung – ohne triftigen Grund seine Stimme in der cc) Rücksichtnahme- und Treuepflichten Gesellschafterversammlung verweigert, in der die der Familiengesellschafter aufgrund der Änderungen formal beschlossen werden s ollen. Den Familienverfassung weiteren Familienmitgliedern kann dann unter Umständen ein ersatzfähiger Vertrauensschaden Des Weiteren können die im Rahmen einer in Form getätigter Aufwendungen für Beratung amilienverfassung abgegebenen Versprechen F entstanden sein. Darüber hinaus können in einer gegenseitige Rücksichtnahmepflichten der Fami solchen Konstellation auch der Gesellschaft selbst lien gesellschafter auslösen, die sich auch auf Schadensersatzansprüche gegen den betreffenden Unternehmens- und Gesellschafterebene auswir- Gesellschafter entstehen. ken können. Insbesondere kommt in Betracht, dass der Familienverfassung eine konkretisierende Wir- kung im Hinblick auf die gesellschaftsrechtliche dd) Auswirkungen der Familienverfassung auf die Treuepflicht zukommt. Die gesellschaftsrechtliche Pflichtenlage von Geschäftsführung und Beirat Treuepflicht verpflichtet die Gesellschafter, sich gegenüber der Gesellschaft loyal zu verhalten, den Die Familienverfassung kann sich auch auf die Gesellschaftszweck aktiv zu fördern sowie die Ge- Pflichtenlage der Geschäftsführung und des Bei- sellschaft vor Schaden zu bewahren. Zudem sind rats auswirken. Dies kann sich zunächst daraus die Gesellschafter zur Rücksichtnahme auf die Be- ergeben, dass die Familienverfassung den Gesell- lange ihrer Mitgesellschafter verpflichtet. schaftsvertrag oder eine Geschäftsordnung in haltlich konkretisiert und zu deren Auslegung Das rechtsformübergreifende geltende Prinzip heranzuziehen ist (siehe Ziffer 2 c) bb) oben). der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht hat in Geschäftsführung und Beirat haben zwar rechts- Familienunternehmen aufgrund ihrer personalisti formübergreifend grundsätzlich einen gewissen schen Prägung besondere Bedeutung. In der Fami- Ermessensspielraum bei ihren Entscheidungen. lienverfassung kommt regelmäßig das besondere Dabei ist ihnen jedoch unter anderem durch den Vertrauensverhältnis der Familiengesellschafter Gesellschaftsvertrag und eine ihnen auferlegte zum Ausdruck. Sie präzisiert diejenigen Vorstellun- Geschäftsordnung ein bestimmter äußerer Hand- gen der Gesellschafter, die ihnen in Bezug auf das lungsrahmen vorgegeben. Für die Auslegung her- Unternehmen und ihr Zusammenwirken besonders anzuziehenden Regelungen der Familienverfas- wichtig sind. Entspricht es dem Wunsch der Fami- sung können diesen Handlungsrahmen mittelbar liengesellschafter, dass die Familienverfassung beeinflussen. Darüber hinaus kann den Regelun- rechtlich unverbindlich sein soll, kann daraus zwar gen einer von den Gesellschaftern verabschiedeten grundsätzlich keine rechtliche Pflicht zur Befol- und der Geschäftsführung bekannt gemachten gung der Familienverfassung resultieren. Es kann Familienverfassung im Einzelfall auch Weisungs- jedoch zumindest ein rechtlich geschütztes Ver- charakter zukommen. Letzteres kann insbesonde- trauen dahingehend entstehen, dass die Familien- re dann der Fall sein, wenn die Familienverfassung mitglieder beabsichtigte Abweichungen von Rege- konkrete Vorgaben für die Unternehmensführung lungen der Familienverfassung vorab ankündigen enthält. und nicht ohne triftigen Grund von der Familien- 14 Siehe hierzu Fleischer (2016). 17
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