Ohne Westfalen geht's nicht - Region wird 200 Jahre jung - IHK24
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„TTIP IST EINE EINMALIGE GELEGENHEIT“ Interview mit Staatssekretär Stephan Steinlein STARKER AUFTRITT Westfälisches Ruhrgebiet präsentiert sich in Brüssel SERIE ÜBER DEN KREIS UNNA Werne öffnet sich kleinen und großen Unternehmen Juli / August 2015 Ohne Westfalen geht‘s nicht Region wird 200 Jahre jung
WER SAGT EIGENTLICH, © Red Dot Design Museum DASS EINE TAGUNG IMMER AM TAG STATTFINDEN MUSS? Keine Frage – die Metropole Ruhr ist mit allem versorgt, was Events und Meetings jeder Größenordnung zu jeder Tages- und Nachtzeit brauchen: Tagungshotels, Konferenz- zentren und eine Infrastruktur, um die uns viele beneiden. Aber manchmal braucht es eben diesen Wow!-Effekt, der eine gute Veranstaltung zu einem sensationellen Event macht. Über 160 Special-Event-Locations mit bestens organisiertem Service sorgen dafür, dass Sie das Ruhrgebiet als Top-Act in Erinnerung behalten. UND WARUM SOLLTE MAN EINE TAGUNG NICHT MAL MIT DEM FRÜHSTÜCK AUSKLINGEN LASSEN? WWW.RUHR-MEETING.DE Gefördert von: RUHR.MEETING Die Macher im Westen
EDITORIAL Wirtschaft braucht Freiraum – Wachstum braucht Flächen! D ie Region Dortmund, Hamm, Un- ist ein Irrtum, dass aus der Tatsache ei- na ist beeindruckend. Zahlreiche ner schrumpfenden Bevölkerung der Kultur- und Freizeitangebote so- Rückschluss gezogen wird, dass auch wie naturnahe Erholungsräu- die Wirtschaft mit weniger Flächen me sorgen für eine hohe Lebensqualität. auskommt. Im Gegenteil – die Wirt- Auch die hier ansässigen Unternehmen – schaft produziert zu einem großen Teil viele von ihnen sind Marktführer – haben für den Export. Es gilt das Motto: Weni- viel zu bieten. Sie haben aber auch gute ger Menschen produzieren mehr Güter Gründe hier zu sein und sind damit unse- und Leistungen. Übrigens siedeln sich re besten Botschafter. auch ausländische Unternehmen in Gemeinsam mit den Kommunen las- Deutschland an, die ebenfalls Arbeits- sen wir nicht nach, die Vorzüge unseres plätze schaffen und dafür Gewerbeflä- Standortes effektiv zu vermarkten. Viel chen benötigen. Udo Dolezych und Reinhard Schulz wurde schon erreicht. Wir müssen aber Doch die Landesregierung NRW noch besser werden. Wir wollen unsere wollte den Sparkommissar spielen und Wohnbebauung usw. In der Summe sind Region an die Spitze der Standorte brin- den Flächenverbrauch von Gewerbe und in Dortmund 57 Prozent der verfügbaren gen, die für Investoren erste Wahl sind. Wohnen mit einer strikten Grenze auf 5 Flächen mit solchen Restriktionen be- Im Kern geht es dabei um Standort- Hektar pro Tag deckeln. Das konnten die legt, in Hamm sind es 28 Prozent und im faktoren. Diese beeinflussen den Er- IHKs erfolgreich verhindern. Aus einer Kreis Unna 42 Prozent. folg von bestehenden Unternehmen und unsinnigen verbindlichen Obergrenze Es sind vor allem die ehemaligen üben gleichzeitig eine Sogwirkung auf im derzeitigen Entwurf des neuen Lan- Montanflächen, auf denen viele Nut- Neuansiedlungen aus. Dazu gehören u. desentwicklungsplans ist nun eine Emp- zungseinschränkungen wirken. Zudem a. eine leistungsfähige Infrastruktur, in- fehlung geworden. machen die hohen Preise aufgrund der novative wissenschaftliche Einrichtun- Nur 4 Prozent der Gesamtfläche der aufwendigen Aufbereitung diese Flä- gen, ein pulsierendes Gründungsklima, IHK-Business Region Dortmund werden chen zu Ladenhütern. In einigen unse- eine Kreditwirtschaft mit Chancenmana- gewerblich-industriell genutzt. Deshalb rer Kommunen sind fast alle Flächen mit gement oder auch gute Bildungseinrich- ist auch hier ein Stopp der Flächenversie- Einschränkungen belegt. Spitzenreiter tungen. gelung nicht zielführend. Für die Land- ist Fröndenberg mit 92 Prozent. In Bö- Es dürfte sich mittlerweile herum- wirtschaft stehen 46 Prozent, für die pri- nen sind alle Flächen restriktionsfrei. gesprochen haben, dass ein leistungs- vate Wohnnutzung 14 Prozent und für Dieser Standort ist ein gutes Beispiel für fähiger Wirtschaftsstandort Wohlstand den Verkehr 11 Prozent der Flächen zur eine weitsichtige Angebotspolitik. Das für die hier lebenden und arbeiten- Verfügung. Die Wirtschaft ist nicht – wie interkommunale Gewerbegebiet „IN- den Menschen verspricht. Die Grundla- vermutet – der große Flächenverbrau- LOGPARK“ schafft genau die geforder- ge für Wachstum sind adäquate Flächen cher. Mit diesem Vorurteil muss drin- ten Freiräume und verzeichnet einen An- für Erweiterungsmaßnahmen und An- gend Schluss gemacht werden. siedlungserfolg nach dem anderen. siedlungen. Ein offensives Flächenange- Doch nicht nur die Quantität an Flä- Es ist fünf vor zwölf. Die Potenziale bot ist quasi die Mutter aller wirtschafts- chen stellt ein Problem dar. Auch die an restriktionsfreien Flächen im Ruhr- fördernden Maßnahmen. Unsere Forde- Qualität stimmt nachdenklich. Leider gebiet reichen nur noch für rund sechs rung ist daher eindeutig: Die Wirtschaft haben nur etwa die Hälfte der freien In- Jahre. Spätestens dann müssen sich ge- braucht mehr Freiraum und mehr Ge- dustrie- und Gewerbeflächen keine Nut- rade die erfolgreichen und expandieren- werbeflächen. zungseinschränkungen. Bei den übri- den Unternehmen die Frage stellen, ob Diese Forderung bezieht sich also gen Flächen sind diese zum Teil erheb- sie auf zweitklassige Flächen zurückgrei- nicht nur auf den Abbau von Bürokratie lich. Dies können Altlasten im Boden fen oder abwandern. Angesichts der Pla- und anderer Fesseln, sondern eben auch sein, Lärmbeschränkungen mit konkre- nungszeiträume für die Ausweisung neu- auf die konkreten Gewerbeflächen, auf ten Auswirkungen auf die Bebauung und er Gewerbeflächen sind sechs Jahre nur denen die Produkte, Dienstleistungen die Betriebszeiten, Beschränkungen der ein Wimpernschlag. Deswegen muss die und letztlich Arbeitsplätze entstehen. Es Zufahrtsituation, fehlender Abstand zur Politik jetzt handeln. Udo Dolezych, IHK-Präsident Reinhard Schulz, IHK-Hauptgeschäftsführer Ruhr Wirtschaft Juli / August 2015 3
INHALT BLICKPUNKT 200 JAHRE WESTFALEN 8 In der Vielfalt liegt die Stärke 200 Jahre Westfalen: Von der preußischen Provinz zur europäischen Region. 12 Region voller Lebensqualität und Wirtschaftskraft Westfalen zählt zu den attraktivsten Wohn- und Freizeitregionen Deutschlands und weist zudem beeindruckende Wirtschaftsleistungen vor. 14 Das Gedächtnis der Wirtschaft Das Westfälische Wirtschaftsarchiv verwahrt unzählige historische Dokumente und gibt wissenschaftliche Publikationen heraus. RUBRIKEN 75 IHK-Veranstaltungskalender 26 Millionen-Marke geknackt IHK-Tourismusumfrage 3 Editorial 76 Impressum 26 Woche der Umwelt 2016 6 Bild des Monats 77 Messekalender 27 „Bester nachhaltiger 7 Wirtschaft in Zahlen 8 BLICKPUNKT Investor“ 200 JAHRE WESTFALEN Bank für Kirche und Diakonie 22, 50 Kompakt INTERVIEW 28 IHK würdigt Verdienste 27, 53 Glückwunsch Wirtschaftsgespräch Bönen 16 „TTIP ist eine einmalige 29 Literatur Gelegenheit“ 34 Werne öffnet sich kleinen Stephan Steinlein, Staats- und großen Unternehmen 30 Was sonst geschah sekretär im Auswärtigen Amt Serie über den Kreis Unna: Teil 10 41, 51 Jubiläen WIRTSCHAFT REGIONAL 37 Nina Wendel hat ein 48 Sommerzeit 20 Als Startup in die USA? Händchen für Füße Ausbildung im Sanitätshaus 65 Recht kompakt 22 Gerüstspezialist Feuerabend C.O. Weise feierte Jubiläum 68 IHK-Weiterbildungsprogramm 38 Wie der BVB-Schal 22 Der Krimi kommt per E-Book zum Fußballfan kommt 73 Kulturkalender Mit der IHK auf Erlebnistour 23 Signal Iduna: Gute Ergebnisse 74 Bekanntmachungen 40 Mode ohne 24 Die „Besten im Westen“ Nebenwirkungen 75 Wirtschaft im TV begeistern in Brüssel Concept Store für Öko-Textilien 4 Ruhr Wirtschaft Juli / August 2015
INTERVIEW 16 „TTIP ist eine einmalige Gelegenheit“ Stephan Steinlein, Staatssekretär im Auswärtigen Amt, äußerte sich gegenüber IHK-Geschäftsführer Wulf-Christian Ehrich, NRW- Federführer Außenwirtschaft, zu den Vorteilen von TTIP für Unter- nehmen und der Rolle der EU in der globalen Wirtschaft. WIRTSCHAFT REGIONAL 24 Die „Besten im Westen“ begeistern in Brüssel Beim NRW-Sommerfest präsentierten Dortmund, Hamm und der Kreis Unna ihre wirtschaftlichen und kulturellen Stärken. WIRTSCHAFT REGIONAL – SERIE ÜBER DEN KREIS UNNA 34 Werne öffnet sich kleinen und großen Unternehmen Der Stadt an der Schnittstelle zwischen Münsterland und Ruhrgebiet ist der Strukturwandel gut gelungen. 41 Risiken minimieren, 51 Jetzt bewerben für SERVICE RECHT Werte schützen den Gründerpreis Leue & Nill informierte 64 Das gewerbliche Schutzrecht Führungskräfte 52 Ein „Top“-Siegel Serie: Die meistgestellten für den Mittelstand Rechtsfragen an die IHK 42 „200 Jahre Westfalen. Jetzt!“ Deutscher Mittelstands- Sonderausstellung im Museum Summit 2015 SERVICE BILDUNG für Kunst und Kulturgeschichte 53 Zwischen Snooker 67 „Ein Staubkorn wäre 44 Fläche bietet und Comedy der Super-GAU“ Standortvorteile Zentralhallen bleiben Neue Serie zu seltenen Berufen: Ehemalige Westfalenhütte Nummer eins in Hamm Mikrotechnologe 45 Wer die Wahl hat, SONDERTHEMA SERVICE KULTUR hat gute Karten Werner Berufszirkel 54 Finanzen · Leasing · 70 Die Welt als lieblicher Ort Versicherung Ausstellung in der IHK: 46 Freiraum für Wirtschaft Beate Bach und Benny Fusillo und Unternehmen SERVICE INTERNATIONAL Wirtschaftsgespräch Kamen 72 Komödiantische Kapriolen 62 „Extrem verbesserte Internationales Straßentheater 50 Von der Messe zum Job Sicherheitslage“ und Weltmusik in Hamm Kolumbien – wirtschafts- 50 Dortmunder Softwarefirma freundlichster Staat Latein- SERVICE MESSE will expandieren und Südamerikas System 2000 Kopp GmbH 76 Wie es nach der Schule 63 Fokus Industrie 4.0 weitergeht 51 Startup Kickern in Reise nach Schweden Studien- und Ausbildungsmesse den Westfalenhallen und Finnland „Einstieg Dortmund“ Ruhr Wirtschaft Juli / August 2015 5
BILD DES MONATS Schön heiß hier! Hoch Annelie In der ersten Juliwoche bescherte Hoch Annelie auch dem Westfälischen Ruhrgebiet Temperaturen bis zu 37 Grad. Auszuhal- ten waren die am besten im und am Wasser. Marie lässt sich den Sommer mit einem kühlen Getränk am Badestrand am Horstma- rer See schmecken. Seepark Lünen Der gehört zum Seepark Lünen. Als ökologische Flächensanierungs- und Entwicklungsmaßnahme in einem vom Bergbau ge- kennzeichneten Gebiet im Lüner Süden ist das ehe- malige Gelände der Lan- desgartenschau 1996 heu- te ein beliebtes Ziel für Naherholungssuchende. Hitzewelle Die Sommerhitze hat zeit- weise für massive Verspä- tungen im Dortmunder Stadtbahnnetz gesorgt. Sie legte den Leitrechner in ei- nem Stellwerk lahm, die Bahnsignale im gesam- ten Süden der Stadt fie- len aus. In Hamm sollten die Bürger städtische Bäu- me gießen. Badeseen Schön, dass es da Abküh- lung mit ausgezeichneter Wasserqualität gibt: Die hat das Umweltlandesamt NRW nicht nur dem Horst- marer See sondern auch dem Naturfreibad Heil in Bergkamen, dem Haarener Baggersee in Hamm und dem Ternscher See in Selm bescheinigt. Text: Tobias Schucht Foto: Silvia Kriens 6 Ruhr Wirtschaft Juli / August 2015
Wirtschaft in Zahlen Im Schnitt im Westfälischen Ruhrgebiet ein Drittel mehr Empfänger von Asylbewerberleistungen in Prozent • 2013 • 2014 • in Prozent 1.615 ein Jahr zuvor. Die meisten Leistungsemp- + 32,9 fänger in NRW stammten 2014 aus eu- 2.146 Dortmund ropäischen Staaten außerhalb der EU (45 493 Prozent) und aus Asien (33 Prozent). Der + 43,6 Zuwachs der Leistungsbezieher war ge- 708 Hamm genüber dem Vorjahr bei Personen mit al- 1.309 banischer (+ 325 Prozent) und syrischer + 23,2 (+ 228 Prozent) Staatsangehörigkeit am 1.613 Kreis Unna höchsten. Von den Asylbewerbern, die Leistungen erhalten haben, waren 66 Pro- Ende 2014 erhielten in Nordrhein-West- zent im erwerbsfähigen Alter von 18 bis falen 86.358 Personen Leistungen zur De- 64 Jahren, 32 Prozent waren Kinder und ckung des täglichen Bedarfs nach dem Jugendliche, und zwei Prozent waren 65 Asylbewerberleistungsgesetz. Das waren Jahre oder älter. 28.992 Personen oder 51 Prozent mehr als Text: Tobias Schucht, Quelle: IT.NRW Überflieger Dortmund Airport In Dortmund trägt Passagierzahlen im ersten Quartal 2015 man Spendierhosen • Vergleich zum 1. Quartal 2014 Trinkgelder zu verschiedenen Anlässen in Prozent + 2,5 Düsseldorf 2.178.200 • Dortmund • Hamm • Kreis Unna 5,38 881.100 4,77 + 7,9 Köln/Bonn 5,52 Restaurant 185.000 + 11,3 8,79 Dortmund 7,81 8,12 158.908 + 8,2 Kneipe Niederrhein (Weeze) 10,66 60.900 9,51 + 2,9 Münster/Osnabrück 11,34 Café 51.800 7,35 - 2,0 Paderborn/Lippstadt 7,49 6,98 Von den sechs großen NRW-Flughäfen Taxi flogen im ersten Quartal 2015 über 3,5 Millionen Passagiere ab; das waren Durchschnittlich acht Prozent Trinkgeld 4,5 Prozent mehr Fluggäste als von Januar geben die Menschen in NRW, wenn sie in bis März 2014. Damit startete mehr als je- Restaurants, Kneipen, Cafés und im Taxi der sechste (16,4 Prozent) der in Deutsch- bezahlen müssen. Das ist das Ergebnis ei- land gewerblich beförderten Passagie- ner Online-Umfrage des WDR. Die Befrag- re von einem der großen NRW-Flughä- ten scheinen gerade bei einem höheren fen. Bei Flügen ins Ausland stieg das Pas- Betrag dazu zu tendieren, den Betrag auf- sagieraufkommen sogar an den Flughäfen zurunden. Auch die Menschen im Westfä- Köln/Bonn (+ 20,7 Prozent), Dortmund lischen Ruhrgebiet entsprechen hier un- (+ 13,5 Prozent), Niederrhein (Weeze) gefähr dem Durchschnitt. Am großzügigs- (+ 8,3 Prozent) und Düsseldorf (+ 4,0 Pro- ten sind die Dortmunder mit 8,04 Prozent, zent). Rückläufige Zahlen verzeichneten dichtauf gefolgt von den Westfalen aus die Flughäfen Paderborn/Lippstadt dem Kreis Unna (7,99 Prozent) und aus (- 6,6 Prozent) und Münster/Osnabrück Hamm (7,39 Prozent). (- 0,6 Prozent). Text: Tobias Schucht, Quelle: IT.NRW Text: Tobias Schucht, Quelle: NRW-Trinkgeld-Check WDR Ruhr Wirtschaft Juli / August 2015 7
In der Vielfalt liegt die Stärke 200 Jahre Westfalen: Von der preußischen Provinz zur europäischen Region. VON CHRISTOPH BOLL Rahden Hops- ten Stemwede Recke Espelkamp Petershagen Wester- Met- kappeln Preuß. Hille tingen Olden-Lübbecke Rheine Hör- Ibben- dorf Minden stel Lotte Wet- Neuen- büren Hüllhorst tringen kirchen Röding- Bad Gronau Ochtrup Tecklenburg hausen Kirch- Oeyn- Porta (Westf.) Saer- len- hsn. Westfalica Ems- beck Bünde gern Löhne Metelen Steinfurt detten Lengerich Hidden- Heek Lad- Lienen Enger hsn. Vlotho Ahaus Schöp- Horst- Nord- bergen Spenge pingen mar walde Greven Borg- Herford Kalletal Vreden holz- Werther Bad Legden Laer Alten- Ost- hsn. (W.) Exter- bevern Versmold Halle Salzuflen tal Rosendahl berge Stadtlohn (Westf.) Leo- Lemgo Dören- Billerbeck Havix- Stein- Bielefeld polds- trup Barn- Sassen- Südlohn Gescher beck Münster Telgte berg Harsewinkel hagen höhe Lage trup Waren- Oerling- Blomberg Coesfeld Nottuln Evers- dorf Beelen Herze- hausen Detmold Velen Gütersloh Schloß August- Schieder- winkel brock- Horn- Issel- Bocholt Borken Clarholz Holte- Schwalen- Senden- Verl Stuken- dorf Bad berg Lügde burg Heiden Dülmen Senden Ennigerloh Rheda- Mein- Rhede horst brock berg Steinheim Reken Wieden- Schlan- Dren- brück Rietberg Hövelhof gen Marien- stein- Oelde Nieheim münster Raesfeld Haltern Lüdinghausen Asche- furt Langen- Bad Ahlen Beckum Höxter am See Nord- berg berg Delbrück Lippspringe Dorsten kirchen Wadersloh Bad Olfen Paderborn Alten- Driburg Brakel Oer- beken Marl Erken- Selm Werne Lippstadt Salzkotten Datteln Hamm Lippetal schwic Berg- Borchen Beve- Her- Reckl.- Waltrop Geseke rungen ten hsn. Cas- Lünen kamen Welver Erwitte Glad- trop- Bönen Bad Wille- beck Gel- sen- Rau- Kamen Sas- Lichtenau badessen Bot- Soest sen- Borgen- trop kir- Herne xel Unna Werl An- dorf röchte Büren treich chen Bad Dortmund Wünnen- Wickede Warburg Holz- Frönden- (R.) Rüthen berg Bochum wickede berg Ense Möhnesee Warstein Witten Her- Menden Schwerte (Sauerl.) Arnsberg Marsberg Hattingen decke Wetter Brilon Sprock- (R.) Hagen Iserlohn Hemer hövel Meschede Best- Gevelsb. Nachrodt- Balve Sundern wig Ols- Schwelm Wibling- (Sauerl.) berg werde Altena Ennepe- Neuen- tal Brecker- Schalks- Eslohe Wer- rade (Sauerl.) feld mühle dohl Lüden- Pletten- Winter- berg Finnentrop berg Mede- Halver scheid Her- bach scheid Schmallenberg Kierspe Meinerz- Hallen- hagen Attendorn Lennestadt berg Kirchhundem Bad Drols- Olpe Berleburg hagen Hilchen- Erndte- bach brück Wenden Kreuz- tal Bad Netphen Laasphe Freuden- berg Siegen Wilns- dorf Neun- kirchen Bur- bach 8 Ruhr Wirtschaft Juli / August 2015
BLICKPUNKT 200 JAHRE WESTFALEN D ie Verbindung von Preußen und »Es hat heute die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit eines Westfalen ist keine Liebesheirat. Als Nationalstaates und ist als Standort für Unternehmen ebenso im Zuge des Wiener Kongresses die wie als Lebensumfeld der Mitarbeiter eine erste Adresse.« westfälischen Territorien zur Provinz zusammengefasst werden, begründet dies Dr. Karl-Heinrich Sümmer- gleichwohl eine Region, die 200 Jahre spä- mann, Vorstandsvorsitzen- ter ihren Platz in Europa behauptet. Längst Die Mitarbeiter identifizieren sich mit dem der der Stiftung Westfalen- überwunden sind die gegensätzlichen Zuge- Unternehmen und dieses sich mit der Region. Initiative hörigkeitsbekenntnisse, die mit den Zusätzen Das bedingt sich gegenseitig. Deshalb gibt es „Westfalia“ und „Preußen“ noch in den Na- auch eine Verbindung zwischen der westfä- men mancher Sportvereine anklingen. lischen Mentalität und den wirtschaftlichen „Die Unterzeichnung der preußischen Erfolgen“, folgert der Wirtschaftshistoriker ,Verordnung wegen verbesserter Einrichtung Ellerbrock. der Provinzial-Behörden‘ am 30. April 1815 Aus den „Westfalai“, die im Jahr 775 in war die Geburtsstunde eines Westfalens, oh- den Fränkischen Reichsannalen als west- ne das Deutschland und Europa in vielfacher lich der Weser lebender Teilstamm der Sach- Hinsicht ärmer wäre. Es hat heute die wirt- sen erwähnt sind, sind gegenwärtig etwa 8,2 schaftliche Leistungsfähigkeit eines Natio- Millionen Menschen geworden. Sie leben auf Wussten Sie schon, nalstaates und ist als Standort für Unterneh- insgesamt 21.427 Quadratkilometern in den dass diese Unternehmen ähn- men ebenso wie als Lebensumfeld der Mitar- Teilregionen Münsterland (inklusive Teck- lich alt sind wie Westfalen? beiter eine erste Adresse.“ So bilanziert Dr. lenburger Land), Westfälisches Ruhrgebiet, Karl-Heinrich Sümmermann, Vorstandsvor- Ostwestfalen (ehemaliger preußischer Re- ›› J. D. Theile GmbH & Co. sitzender der Stiftung Westfalen-Initiative, gierungsbezirk Minden) sowie Südwestfalen, KG, Schwerte die Entwicklung. Die Stiftung setzt sich ein worunter die westfälischen Gebiete des Sau- (gegründet 1819) für eine ausgeprägte Identität eines starken erlands, des Siegerlands und das Wittgenstei- ›› Carl Tewes G.m.b.H, Westfalens in einem Europa der Regionen. ner Land zusammengefasst werden. Dortmund Westfalen hat Markenpotenzial, wenn es (gegründet 1824) um Essen und Trinken geht. Schinken und Wirtschaftlich vielfältig ›› Franz Rüschkamp GmbH Korn schmücken sich mit dem Regional-Ad- Dieser Gesamtraum war zur Zeit der Grün- & Co. KG, Lünen jektiv. Stets schimmert dabei aber als Hinter- dung der Provinz Westfalen wirtschaftlich (gegründet 1825) grund das Stereotyp vom agrarisch gepräg- außerordentlich vielfältig. Neben der traditi- ten Landstrich durch, das allenfalls einen onellen Landwirtschaft war es bereits im 18. Viel älter als Westfalen Aspekt beleuchtet und diesen zumeist auch Jahrhundert in verschiedenen Gegenden zu ist übrigens die Adler noch völlig unzureichend. Auf der Basis der einem erheblichen Wirtschaftsaufschwung Apotheke in Dortmund. Landwirtschaft haben sich beginnend mit gekommen. Anschaulich beschreibt dies das Sie hat seit 692 Jahren der frühen Industrialisierung die affinen In- von Karl Ditt u. a. herausgegebene umfas- ihren Sitz am Alten Markt. dustrie-, Handels- und Dienstleistungsberei- sende Werk „Westfalen in der Moderne 1815- che entwickelt. Dafür stehen Namen wie zum 2015. Geschichte einer Region“. Um Minden- Beispiel der Landmaschinenhersteller Claas Ravensburg gewann die Flachsspinnerei und in Harsewinkel, die Deutsche Saatverede- Leinenweberei an Bedeutung. Im Münster- lung AG in Lippstadt, die LVM-Versicherungs- land entstand eine Leinen- und Baumwollre- gruppe in Münster sowie ein vielfältiger ge- gion, die sich später zu einer namhaften Tex- nossenschaftlicher Sektor. til- und Bekleidungsindustrie auswuchs, de- ren weitgehenden Niedergang der Struktur- Unternehmen sind keine Inseln wandel vor rund 50 Jahren einläutete. Im Ebenfalls antiquiert ist das Klischee von den Sauerland entwickelte sich das Kleineisenge- wortkargen, gar sturen Bewohnern der Re- werbe, dessen Rohstoff in erster Linie in den gion. Es wirft immer nur ein Schlaglicht auf Erzgruben des benachbarten Siegerlands ge- einen Aspekt, häufig genug verzerrt. Zumin- wonnen wurde. Hinzu kam ab dem begin- dest aber klingen darin zwei Tugenden an, die nenden 19. Jahrhundert der Abbau von Koh- Westfalen als Ganzes bei aller lokalen Vielfäl- le und Eisenerz im sogenannten Ruhrgebiet. tigkeit bis heute voran gebracht haben: Zu- Entscheidend für dessen Entwicklung war verlässigkeit und Ausdauer. Für Dr. Karl-Pe- das Entstehen der Tiefbauzechen, die den ter Ellerbrock, Direktor des Westfälischen Abbau auch unterhalb der Mergelschicht er- Wirtschaftsarchivs (WWA), gibt es dabei ei- laubte. In Westfalen war die Zeche „Präsi- nen direkten Zusammenhang zwischen regi- dent“ bei Bochum 1841 der erste Betrieb die- onaler Identität und dem Selbstverständnis ser Art. Das ermöglichte den Aufbau neu- der Unternehmen sowie der in ihnen arbei- er mit Steinkohle produzierender Unterneh- tenden Menschen. „Unternehmen sind keine men, die deutlich produktiver als die auf die einsamen Inseln, sondern entfalten in hohem teure Holzkohle angewiesenen vorindustriel- Maße identitätsstiftende Kräfte. Sie sind auf len Betriebe waren. vielfältige Weise mit ihrer Region verbunden. > Ruhr Wirtschaft Juli / August 2015 9
Trumpfkarte Inhabergeführte Marktfüh- > den 1841/42 entstandenen „Westfälischen rer, zu denen auch Rethmann So wurde Westfalen in Teilen zum Vor- Schilderungen“ stellt sie fest: „Bevölkerung zählt – hier das Lippewerk in reiter der industriellen Revolution, die in der und Luxus wachsen sichtlich, mit ihnen Be- Lünen – machen Westfalen Zeit der Hochindustrialisierung zu den wirt- dürfnisse und Industrie.“ stark. Foto: Remondis schaftlichen Zentren des Deutschen Kaiser- Tatsächlich war das Bevölkerungswachs- reichs zählten. Auf dem Weg dorthin muss- tum rasant. Von 1816 bis 1849 stieg die Be- te die Region sich vielfach neuen Herausfor- wohnerzahl von 1,066 auf 1,489 Millionen. derungen stellen. Als beispielsweise nach der Bis 1890 war eine knappe weitere Million 1814 aufgehobenen Kontinentalsperre engli- Menschen hinzu gekommen, und vor Beginn sche Industrieprodukte auf den heimischen des Zweiten Weltkriegs lebten mehr als 5,2 Markt drängten, war die heimgewerbliche Millionen Einwohner in Westfalen. Das führ- Textilherstellung nicht mehr konkurrenzfä- te besonders nach schlechten Ernten und er- hig. Die 1854 gegründete Ravensberger Spin- heblich steigenden Nahrungsmittelpreisen nerei in Bielefeld passte ihre Produktion der auch zu schwierigen sozialen Lagen, die sich neuen Zeit an und war zur folgenden Jahr- in einer hohen Auswandererzahl spiegeln. hundertwende eine der größten Flachsspin- Allein zwischen 1845 und 1854 verließen et- nereien Europas. wa 30.000 Menschen die Provinz, oft nach Wie stark die Industrialisierung ihre Hei- Amerika. Fast die Hälfte von ihnen kam aus mat verändern sollte, ahnte die Dichterin An- den krisengeschüttelten Leinengebieten in nette von Droste-Hülshoff wohl voraus. In Ostwestfalen. Gleichzeitig suchten viele au- ßerhalb ihrer Wohnorte nach Verdienstmög- lichkeiten. Als Händler zogen die zum Sym- bol des Landes gewordenen Kiepenkerle und die Sauerländer Wanderhändler umher. Die wandernden Ziegelmacher in Ostwestfalen verdienten ihren Unterhalt als Wanderarbei- ter. Der Töddenhandel hatte zwar seinen Hö- hepunkt bereits überschritten. Aus ihm aber entwickelten sich zahlreiche namhafte Han- delshäuser der Textil- und Bekleidungsbran- che, allen voran C & A. 80 Braustätten in Dortmund Die Industrialisierung war unaufhaltsam. Sie begünstigte zugleich die Marktverflech- tung der Landwirtschaft mit den industriel- len Ballungsräumen. Das Getreide aus der Provinz etwa war die Basis für die im Ruhr- gebiet entstehende Brauindustrie. Allein in Dortmund gab es nachweislich über 80 ein- zelne Braustätten. Heute sind knapp 82 Pro- Berühmt war Dortmund schon im 19. Jahrhundert für sein Bier. Hier ein Blick zent der Betriebe im verarbeitenden Be- auf die alte Union-Brauerei. Das U kam erst 1968 auf das Dach des Gebäudes. reich tätig, und Westfalen-Lippe hat mehr Foto: WWA 10 Ruhr Wirtschaft Juli / August 2015
BLICKPUNKT 200 JAHRE WESTFALEN Industriebeschäftigte pro tausend Einwoh- befestigten Kunst- ner als Gesamt-NRW. Den Spitzenwert er- straßen, hinzu reicht Südwestfalen mit 167. kam die Schiff- Lange vor dem Ende des 19. Jahrhunderts barmachung der war das Arbeitskräftepotenzial Westfalens Flüsse insbeson- weitgehend ausgeschöpft. Die Unternehmen dere im Unterlauf warben immer mehr Arbeiter aus den frühe- der Ruhr, und der ren Ostprovinzen Deutschlands wie Schlesi- Bau von Kanälen. en, West- und Ostpreußen an. Ähnlich war es Vor allem aber während des Wirtschaftswunders der Nach- der Eisenbahn- kriegszeit. Bergbau sowie Textil- und Beklei- bau ab Mitte des dungsbranche beispielsweise wurden zum 19. Jahrhunderts Schmelztiegel der Kulturen. Menschen aus wurde zum Mo- dem heutigen Polen, aus Jugoslawien und der tor des industriel- Türkei kamen und fanden eine neue Heimat. len Aufschwungs. Heute sorgen Westfalens Stärke überdies die vier Angesichts des demografischen Wandels ste- Verkehrsf lughä- hen die Firmen heute erneut vor der Heraus- fen Dortmund, forderung, Fach- und Führungskräfte zu fin- Paderborn/Lipp- den und zu binden. Denn die Einwohnerzahl stadt, Münster/ wird bis zum Jahr 2040 um knapp fünf Pro- Osnabrück und zent sinken, mit prognostizierten Spitzenwer- Siegerland für ei- ten zwischen 15 und 20 Prozent für den Hoch- ne gute Erreich- sauerlandkreis, den Kreis Höxter und den Mär- barkeit. kischen Kreis. Gleichzeitig wird das Durch- Gleichwohl schnittsalter der Bürger deutlich steigen. gibt es noch eini- Warum aber sollte dies weniger gut be- ges zu tun. Denn wältigt werden als das Ende des Steinkohle- Mobilität ist Motor des Wachstums. Seit dem Damals Bergbaus oder die Textilkrise, denen mit ei- Fall des Eisernen Vorhangs bedarf es verbes- Gründungsdokument von ner strukturellen Erneuerung begegnet wur- serter West-Ost-Verbindungen. Der Lücken- 1815, mit dem der Verwal- de? Schließlich hat ein dauernder Wand- schluss der A 33 in Ostwestfalen lässt eben- tungsbezirk Westfalen ins lungs- und Anpassungsprozess die Region so auf sich warten wie der sechsspurige Aus- Leben gerufen wurde. bereits in der Vergangenheit charakterisiert. bau der A 1. Führende Köpfe der Wirtschaft Repro: LWL Die Branchenvielfalt ist dabei eine der maß- mahnen zudem unter anderem immer wie- geblichen Stärken für ganz Westfalen. „West- der den zweigleisigen Ausbau der Bahnstre- falens Stärke sind seine anpassungsfähigen, cke Münster-Lünen-Dortmund als unerläss- inhabergeführten Marktführer wie Miele, lich für den Anschluss an die transeuropäi- Oetker, Coppenrath & Wiese, Falke und Reth- schen Netze an. mann. Und durch eine ,nachholende Indus- trialisierung´ im Münsterland, im östlichen Herausforderung Infrastruktur Sauerland und im Paderborner Raum konn- Mindestens genauso wichtig dafür, dass te auch dort eine mittelständisch geprägte Westfalen seinen Platz in der zusammenrü- Industrie aufgebaut werden“, so der Direktor ckenden Welt behaupten kann, ist die digita- des Landschaftsverbands Westfalen-Lippe (LWL), Matthias Löb. „Damit scheinen sich le Infrastruktur. Hier liegt eine wichtige Auf- gabe zur Weiterentwicklung der Region. Nur »Die Breitband- innerhalb Westfalens die Differenzen zwi- etwa zehn Prozent der rund 3.000 Gewerbe- versorgung hat schen den traditionell industriell geprägten gebiete in Nordrhein-Westfalen sind gegen- und den eher ländlichen Regionen zu nivel- wärtig an eine hochleistungsfähige Daten- noch spürbare lieren. Die Kreise Coesfeld und Borken sind verbindung angeschlossen. Das geht aus ei- Lücken.« dabei Beispiele für diesen Strukturwandel. ner Studie hervor, die die NRW.Bank in Auf- Und auch das Ruhrgebiet zeigt, wie sich eins- trag gegeben hat. „Die Breitbandversorgung Dr. Peter Paziorek, Vorsitzender des Vereins tige Problemgebiete allmählich erneuern, so- hat noch spürbare Lücken. Besonders Han- Westfalen-Initiative dass sie im frühen 21. Jahrhundert wieder del, Industrie, Kleingewerbe und Dienstleis- Anschluss an die bundesdeutsche Entwick- ter in Mittel- und Kleinstädten drohen abge- lung gewinnen“, sieht Löb zuversichtlich in hängt zu werden. Denn schnelle Informati- die Zukunft. onswege sind heute unerlässlich, wenn man Auch der Ausbau der Verkehrsinfra- im Wettbewerb bestehen möchte“, lenkt Dr. struktur war und ist eine Voraussetzung Peter Paziorek, Vorsitzender des Vereins für die Entwicklung von Industrie, Handel Westfalen-Initiative, den Blick auf neue He- und Dienstleistungsgewerbe. Seit dem En- rausforderungen. Sie müssen bewältigt wer- de des 18. Jahrhunderts begann der Bau von den, um Westfalen weiter voran zu bringen. Ruhr Wirtschaft Juli / August 2015 11
Lebensqualität hat in Westfalen auch mit Fußball zu tun. In Dortmund (Foto: Borsigplatz) verkörpert das der BVB. Foto: Dieter Menne Region voller Lebensqualität und Wirtschaftskraft Nur wenige wissen, dass Westfalen zu den attraktivsten Wohn- und Freizeitregionen Deutschlands zählt und gleichzeitig beeindruckende Wirtschaftsleistungen vorweisen kann. VON CHRISTOPH BOLL D em ehemaligen Bundespräsidenten chen Kennzahlen aufwartet: Dazu gehört, und vorherigen nordrhein-westfäli- dass die Tätigkeit eines Arbeitnehmers in schen Ministerpräsidenten Johannes Westfalen durchschnittlich mehr als fünf »Ohne Westfalen Rau wird die Aussage zugeschrieben Prozent besser vergütet wird als im Saarland. würde Deutschland, „Der Westfale hält, was der Rheinländer ver- Entsprechend gut ist die Einkommenszufrie- spricht“. Den Satz, der angebliche Wesens- denheit. Europa und der Welt unterschiede zwischen den Bevölkerungs- etwas Wesentliches ruppen im einwohnergrößten Bundesland Mehr als ein Berliner fehlen.« beschreibt, ergänzt die Google-Eintipphilfe, Fast vier Millionen Erwerbstätige erwirtschaf- Professor Frank Dellmann, wenn man bei der Internetrecherche den Be- teten 2011 ein Bruttoinlandsprodukt von FH Münster griff „Westfalen“ eingibt. Das haben Studie- 243,7 Milliarden Euro (aktuell rund 251,5 rende des Fachbereichs Wirtschaft der Fach- Milliarden Euro). Wäre Westfalen ein Natio- hochschule (FH) Münster festgestellt, als sie nalstaat, entspräche das etwa Platz 30 in der im Auftrag der Westfalen-Initiative auf der weltweiten Rangliste und innerhalb der Euro- Suche waren nach plakativen Aussagen über päischen Union (EU) Platz zwölf direkt hinter Westfalen, die geeignet sind, das Image der Dänemark. Dabei verdient ein Westfale mit ei- Region in der Öffentlichkeit zu stärken. nem durchschnittlichen verfügbaren Jahres- Dabei hat sich gezeigt, dass das auf Platz einkommen von 20.431 Euro über 16 Prozent drei der attraktivsten deutschen Wohn- und mehr als ein Berliner (17.601 Euro). Freizeitregionen rangierende Westfalen zu- Westfalen ist Standort von neun der 50 gleich mit beeindruckenden und oft öffent- umsatzstärksten deutschen Familienunter- lich nicht wahrgenommenen wirtschaftli- nehmen, allen voran der in Gütersloh be- 12 Ruhr Wirtschaft Juli / August 2015
BLICKPUNKT 200 JAHRE WESTFALEN heimatete Bertelsmann Medienkonzern, der Volkskunde Westfalen: Das Sauerland auf dieser nationalen Liste auf Rang sieben steht. Mit mehr als 110.000 Mitarbeitern und 16 Milliarden Euro Jahresumsatz ist er Bran- chenprimus in Europa. Die Region verzeich- nete 2013 86 Hidden Champions, also in der Öffentlichkeit weitgehend unbekannte Welt- D ie Sprache der Sauerländer ist rauer als im übrigen West- falen: Zu Meschede sagen sie „Mess-kchede“, mit einem tief im Rachen krachenden „kch“. Und sie marktführer. 36 dieser Weltmeister waren können durchaus aufbrausend sein, im Maschinenbau tätig. Westfälische Unter- man nennt sie auch die Sizilianer nehmen haben im statistischen Durchschnitt Westfalens. Dennoch vertragen sie 6,7 sozialversicherungspflichtige Beschäftig- sich gut mit den Münsterländern, te, knapp anderthalb mehr als die nordrhei- schon immer wurde untereinander nischen Nachbarn. Signifikant niedrigere Er- geheiratet. Anders als die Müns- werbslosenquoten sowohl im Langzeitbe- terländer konnten die Sauerländer reich als auch unter Jugendlichen kommen nie von der Landwirtschaft leben, hinzu. das hat sie erfinderisch werden las- sen. In ihrer Tüfteligkeit gleichen Moderne Landwirtschaft sie den Bergischen, doch die wer- In Westfalen ist außerdem eine moderne leis- den im Sauerland mit Missachtung gestraft. Witze macht der Sauerlän- tungsfähige Landwirtschaft beheimatet, die der über den Siegerländer – und beschimpft ihn wegen seiner Vorlie- zum Beispiel pro Jahr mehr als 1,6 Milliarden be für das gleichnamige Rindermagen-Gericht als „Schampe-Fresser“. Liter Milch produziert. Das deckt mehr als Ja, die „Sejerlänner“ und das Essen: Was sagt das wohl über Menschen ein Drittel des jährlichen Milchkonsums al- aus, wenn sie sich als Erkennungszeichen ein „Riewekooche“ zurufen? ler in Deutschland lebenden Menschen, füllt Und zwar mit einem knarzenden, im Gaumen hin und hergerollten „R“. den Tank von 32 Millionen VW Golf oder fast Wer dieses R hört, vermutet eher einen eingewanderten Texaner als ei- die Hälfte der Hamburger Außenalster. West- nen Südwestfalen. „Ein Wort ist bei uns ein Wort. Wir reden nicht lange falen ist zudem ein zukunftsträchtiger Bil- drum herum“, sagen Siegerländer über sich. Die harte Arbeit in den Erz- dungsstandort. Legen sich alle rund 324.000 bergwerken hat sie geprägt. Zäh sind sie, geduldig, aber auch ein wenig Studenten der Region mit ausgestreckten Ar- starrköpfig. Die „Wittis hinterm Zaun“, wie die Siegerländer ihre Nach- men hintereinander auf den Boden und fas- barn nennen, sind ähnlich. Dennoch legen die Wittgensteiner Wert auf sen sich gegenseitig an den Füßen, entsteht ihre Eigenständigkeit. Schließlich sprechen sie ja auch ganz anders: Im eine Menschenkette von Münster bis nach Wittgensteiner Land wird der Dialekt weicher, er tendiert ins Nordhessi- Paris. Besuchen die angehenden Akademiker sche. Und der Wittgensteiner Erkennungsruf hat immerhin zwei Worte: alle gleichzeitig Island, verdoppelt sich dort „Machs gütt“. die Bevölkerung. Um aussagekräftige Daten zu erhalten, haben die Studierenden des Fachbereichs Volkskunde Westfalen: Das Ruhrgebiet Wirtschaft der FH Münster quantitativ, qua- litativ und kreativ nach Hypothesen gesucht, gerechnet und den Datendschungel nach sta- tistischen Signifikanzen durchforstet. „Am Ende hat die Gruppe sehr interessante Ergeb- nisse herausgefunden, die ich so nicht ver- N och hat der Schmelztiegel Ruhrgebiet keinen einheit- lichen Menschen geformt. Es gibt „Ruhris“, die den Münste- ranern ähneln (sie sagen Doaat- mutet hätte“, bilanziert Prof. Dr. Frank Dell- mund), andere changieren ins mann, der die Analyse geleitet hat. Geglie- Rheinische. Hinzu kommen polni- dert sind die Aussagen in die Bereiche Wirt- sche, schlesische, italienische, tür- schaft, Bildung, Soziales, Sport und Kultur kische Einflüsse. „Die Ruhrgebiets- sowie Boden/Fläche/Infrastruktur. Dabei menschen sind Individualisten – al- wurde auch Kurioses ermittelt: Ohne Westfa- le“, sagt Fritz Eckenga: „Ihre Ge- len könnten nur noch drei von zehn Kinos in meinsamkeit ist die B 1, die auch NRW Popcorn anbieten. Unter dem Strich be- A 40 und/oder Ruhrschnellweg ge- legen die Ergebnisse: Ohne Westfalen würde nannt wird. Wenn sich die Ruhrge- Deutschland, Europa und der Welt etwas We- bietsmenschen sehen wollen, oh- sentliches fehlen – nicht zuletzt im Fußball. ne sich treffen zu müssen, setzen Denn Westfalen hat die meisten Champions sie sich in Autos und stellen sich auf die B 1.“ Eines aber gilt für alle: Ihr League-Teilnehmer in Deutschland und ge- Stolz quillt aus jedem Satz, aus jeder Formulierung. Im Pott weiß man nau so viele Mannschaften in diesem wich- immer sofort, wo der Hammer hängt. Der Ruhrgebietsmensch ist groß- tigen Wettbewerb wie die Niederlande. Und mütig und angriffslustig zugleich. Diese Eigenschaften sind in folgen- auch die Nationalmannschaft von Jogi Löw dem Satz zusammengefasst: „Pass auf! Du kannst mir mit der Schubkar- wäre ohne Westfalen stark geschwächt. Sie re übern Bauch fahren, du darfst nur nicht drauf stehen bleiben!“ müsste ohne Reus, Özil, Draxler, Neuer, Hö- Quelle: Die Welt, Auszug aus „Glückwunsch, Nordrhein-Westfalen“ wedes und Großkreutz auskommen. 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BLICKPUNKT 200 JAHRE WESTFALEN Das Gedächtnis Soll und Haben fein säuberlich mit Tinte Spalte für Spalte aufgelistet. Historische Wertpapiere. Geschäfts- berichte, Protokolle, Briefe; später der Wirtschaft dann Mitarbeiterzeitschriften, Aufru- fe und die ersten Werbeplakate – eine Fundgrube! Das WWA übernimmt als regiona- les Wirtschaftsarchiv auch hoheitli- Das Westfälische Wirtschaftsarchiv verwahrt unzählige historische che Aufgaben und archiviert nach den Dokumente und gibt wissenschaftliche Publikationen heraus. Vorgaben des Landesarchivgesetzes NRW die Überlieferungen der west- fälischen IHK und Handwerkskam- O mern. „Unsere Bestände bieten weit hne Herkunft keine Zu- seinen modernen Archivräumen an mehr als Kohle, Stahl und Bier und kunft“, sagt Dr. Karl-Peter der Märkischen Straße im Gebäude dokumentieren die historische Ent- Ellerbrock. Seit 1996 ist er der IHK zu Dortmund. Die Gründe für wicklung der einzelnen Wirtschafts- Direktor des Westfälischen den Besuch sind vielfältig. Mal geht räume Westfalens im Strukturwandel Wirtschaftsarchivs (WWA), das über es um die wissenschaftlich exakte Re- von drei Jahrhunderten, so etwa des historische Dokumente auf mehr als konstruktion von Ereignissen, mal um Sieger- und Münsterlands, Ostwest- zehn Regalkilometern verfügt, die die Sicherung von Rechtsansprüchen falens, des Märkischen und Arnsber- die Wirtschaftsgeschichte in Westfa- von durchaus materieller Bedeutung. ger Raumes und natürlich des West- len-Lippe dokumentieren. Neben Ge- „Das Wissen über die Vergangenheit fälischen Ruhrgebietes“, betont Eller- schäftsbüchern und Akten verwahrt erklärt nicht nur die Gegenwart, son- brock. das Archiv etwa eine Million Fotos, dern kann auch als Orientierungshilfe Darunter sind so wichtige Bran- 3.000 historische Plakate, 600 Filme für künftiges Handeln dienen“, so El- chen wie die Textilindustrie, der Ma- und unzählige Tondokumente. „Wir lerbrock. schinenbau und die metallverarbei- sind das Gedächtnis der regionalen Doch nicht nur deshalb kommt tende Industrie, die Brennereien, die Wirtschaft und unterstützen z.B. den so etwas wie Ehrfurcht auf, wenn die Elektro- und Leuchtenindustrie, die WDR regelmäßig bei der Produktion Historie so aufgeschlagen vor einem Holz- und Möbelindustrie, die Minde- der Fernsehreihe ‚Dynastien‘.“ liegt. Die ältesten Archivalien reichen ner Tabakindustrie und natürlich der Das WWA begrüßt Wissenschaft- bis in das 16. Jahrhundert zurück. Die Groß- und Einzelhandel. Das WWA ler aus der ganzen Welt, Studieren- Geschäftsbücher sind in brüchiges Le- gehört damit zu den führenden Ein- de, Vertreter von Museen, Journalis- der gebunden, das schon Jahrhun- richtungen in Europa, und Dr. Eller- ten, Familien- und Heimatforscher, derte überdauert hat, mit Goldschnitt brock vertritt seit dem Jahr 2000 die aber auch Juristen zur Recherche in veredelt und von Hand geschrieben; deutschen Wirtschaftsarchive im In- ternational Council on Archives, wo er im engeren Vorstand der Sektion Busi- ness Archives tätig ist. Benutzer kommen aus aller Welt Die Bestände des WWA werden weit über Westfalen hinaus von Benutzern aus aller Welt nachgefragt – kein Wun- der, sind doch darunter so bedeutende Unterlagen wie das Archiv der Familie und des Handelshauses Harkort, das bis ins 17. Jahrhundert zurückreicht und eines der bedeutendsten Kauf- mannsarchive Europas darstellt. Oder die Protokolle der Nürnberger Indust- rieprozesse zur Aufklärung der Wirt- schaftsverbrechen der Nationalsozia- listen. Firmenarchive, Nachlässe, Ver- bands- und Vereinsüberlieferungen bilden neben den Archiven der Kom- munen einen einmaligen Blick aud die westfälische Geschichte, die sich seit Beginn des Industriezeitalters um die Mitte des 19. Jahrhunderts immer Das engagierte Team des WWA hilft Besuchern bei allen Fragen rund um die mehr um die Wirtschaft dreht. „Die Recherche gerne weiter. Foto: IHK/Oliver Schaper Welt ist ohne Wirtschaft längst nicht 14 Ruhr Wirtschaft Juli / August 2015
mehr zu erklären. Wirtschaft ist die Basis un- Volkskunde Westfalen: Münsterland serer modernen Wohlstandsgesellschaft.“ Vom Pauperismus, also der massenhaften Verarmung der Bevölkerung, in den 1840er- Jahren führt ein direkter Weg zu Ludwig Er- hards „Wohlstand für alle“ in den 1950er- Jahren. Diese Entwicklung verlief naturge- A us Sicht des Ostwestfalen ist Müns- ter ein heißes Pflaster und Lippe ei- ne Region des kulturellen Überflus- ses. „In Ostwestfalen dagegen kann man un- behelligt vor sich hinleben“, sagt Grosche. mäß nicht immer geradlinig, sondern war Er glaubt, die Ostwestfalen seien mit den von massiven Krisen und natürlich den gro- Finnen verwandt. Manchmal werden so- ßen Kriegen immer wieder unterbrochen. gar den Münsterländern die Sprechpausen „Krisen bedeuteten für die Menschen früher in ihren Dialogen zu groß. Dann sagt einer Hungersnöte durch Missernten oder wüten- der beiden sich anschweigenden Münster- de Epidemien. Heute sind es üblicherweise länder: „Dann hör‘ ich‘s ja wohl.“ Meistens Konjunktur- oder Finanzkrisen, die mittler- hört er darauf aber nichts oder allenfalls ei- weile fester Bestandteil der modernen Wirt- ne knappes „hm“ oder ein „hä“. Manchmal schaftszyklen geworden sind“, erläutert El- auch „dä“. Und das kann alles heißen. Kurz- lerbrock. Würde all dies nicht dokumentiert, um: „Der Münsterländer und das Wort, das so hätten nachfolgende Generationen keine ist wie Mann und Frau – es geht nicht“, wie Chance, die komplexen Geschehnisse zu re- der Kabarettist Augustin Upmann sagt. In konstruieren und aus Fehlern zu lernen. der Metropole Münster selbst sind die länd- Die wertvollen Unterlagen waren schon lichen Sprachbrocken nach städtischer Ma- 1941 von großem Interesse, als der NS-Staat nier verfeinert worden, dort hört statt „hä“ die Kammern längst gleichgeschaltet hat- das berühmte „Ne“ oder auch „Ja! Ne?“. Die te und versuchte, auch auf deren Akten zu- Kargheit im Wort ist wohl auch der Grund, dass man dem Münsterlän- zugreifen. Zugleich rückten die Bombenan- der nachsagt, er sei nicht besonders wendig. Eher behäbig, an der hei- griffe der Alliierten immer näher. So dräng- mischen Scholle klebend. Dabei ist ihm, verglichen mit manch anderen ten die Mitglieder der Kammer auf die Grün- Westfalen, sogar eine gewisse Lässigkeit vergönnt. Denn für ganz West- dung des Westfälischen Wirtschaftsarchivs. falen gilt: Wer auf Sandböden groß wurde, ist leichtlebiger als der, der Das war zugleich ein, wenn auch zaghaftes, schwere Lehmböden beackern muss. Aufbäumen gegen die Nationalsozialisten. Moderne Datenmanager Volkskunde Westfalen: Ostwestfalen Damit auch wirklich nichts verloren geht, sorgt heute rund ein Dutzend Mitarbeiter im WWA dafür, dass die Archivalien sorgsam er- schlossen und sicher gelagert werden. Ver- packt in säurefreien Kartons und unter op- timalen klimatischen Verhältnissen werden W ie entstand der Kupferdraht? Als sich zwei Lipper gleichzeitig nach einem Pfennig bückten und nicht aufhörten, daran zu ziehen. So geht der Witz, der belegen soll, dass die Lipper die die wertvollen Archivalien vor dem zeitlichen Schotten Westfalens sind. Falsch daran ist Verfall bewahrt und warten darauf, von Be- jedoch, dass die Lipper Westfalen sind: Lip- suchern, die sich gebührenfrei im Archiv ver- per sind einfach nur Lipper und im Grun- graben dürfen, eingesehen zu werden. Mitt- de eine eigene Nation. Bis heute stolz da- lerweile werden die meisten Geschäftsvor- rauf, dass ihr Fürstentum die napoleoni- gänge elektronisch gesteuert. Der Computer schen Wirren überlebt hat. Lipper kann man hat die Welt erobert. Zu den Archivalien von nicht werden, man muss es von Geburt und heute gehören Power-Point-Präsentationen, Abstammung sein. Man erkennt den Lip- E-Mails, Textdokumente und komplette elek- per am „Fürstenthum Lippe“-Aufkleber auf tronische Dokumentenmanagementsysteme. dem Auto und an der lippischen Fahne im Diese lassen sich nicht mehr in Kartons Vorgarten. Das Größte, was einem Lipper verstauen. Ellerbrock sieht daher die Tätig- in seinem Leben widerfahren kann, ist eine keit der Archivare im Wandel: „Wir werden Einladung beim Prinzen zu Lippe. Da strah- zu modernen Datenmanagern, denn nach len selbst tiefrote lippische Sozis vor Glück- den jüngsten Vorgaben des Landesarchivge- seligkeit. Das Bedürfnis des Ostwestfalen setzes sollen die ‚native digitals’ in ihren Ent- nach Ruhe ist so groß, dass er alle übrigen Westfalen für aufgekratzt stehungszusammenhängen archiviert wer- hält. Speziell den Münsterländer findet der Ostwestfale viel zu grob. Mit den.“ Der WWA-Direktor und sein Team se- dem Lipper hat der Ostwestfale gemeinsam, dass er sich für unterschätzt hen sich für die digitale Datenflut gut ge- hält. Der Ostwestfale sei aber auch ein überaus freundlicher Mensch, wappnet: „Das WWA hat einen Archivent- sagt der ostwestfälische Kabarettist Erwin Grosche: „Er lacht auch mal wicklungsplan 2020 erarbeitet. Darin enthal- ohne Grund; einfach nur so, um jemandem, der einen Witz macht, einen ten sind auch passgenaue Lösungen für die Gefallen zu tun.“ Der Ostwestfale kann auch gut damit leben, dass man elektronische Archivierung.“ über ihn selbst Witze macht. Quelle: Festschrift 150 Jahre IHK zu Dortmund, 2013 Quelle: Die Welt, Auszug aus „Glückwunsch, Nordrhein-Westfalen“ Ruhr Wirtschaft Juli / August 2015 15
INTERVIEW „TTIP ist eine einmalige Gelegenheit“ Stephan Steinlein, Staatssekretär im Aus- wärtigen Amt, äußer- te sich gegenüber IHK- Geschäftsführer Wulf- Christian Ehrich, NRW- Federführer Außen- wirtschaft, zu den Vor- teilen von TTIP für Un- ternehmen und der Rolle der EU in der globalen Wirtschaft. Herr Staatssekretär Steinlein, der inter- Leider lässt sich in der TTIP-Debatte mit we- nationale Handel ist ein Erfolgsfaktor der nigen plakativen Schlagworten relativ ein- deutschen Wirtschaft. Knapp jeder zweite fach Stimmung machen. In der Bevölkerung Euro unserer Wirtschaftsleistung beruht vorhandene Fragen und Ängste werden nicht auf Ausfuhren, jeder vierte Arbeitsplatz selten in den falschen Zusammenhang ge- hängt unmittelbar vom Export ab. Trotz- stellt und mit irreführenden Argumenten ver- dem gibt es eine aufgeregte, teilweise fak- stärkt. Zudem sind die Sorgen und der Dis- tenverzerrende Debatte über das geplante kussionsbedarf der Öffentlichkeit am Anfang Freihandelsabkommen TTIP. Können Sie unterschätzt worden. Die Bundesregierung sich das erklären? arbeitet jetzt noch intensiver daran, TTIP zu Für unser Land und den Wohlstand in unse- erklären und auch auf die großen Chancen rer Gesellschaft sind offene Märkte von ganz hinzuweisen, die mit dem Abkommen ver- besonderer Bedeutung. Denn nur unter den bunden sind. Berechtigte Sorgen nehmen wir Bedingungen des freien Handels können sich ernst und greifen sie auf. unsere auf vielen Feldern bestehende Tech- nologieführerschaft und unsere innovati- Aus Sicht der Wirtschaft ist die Sache ve Kraft voll entfalten. Die Debatte um TTIP mehrheitlich klar: Die Vollversammlung der zeigt: Wir müssen das in der Öffentlichkeit IHK zu Dortmund hat in einer Resolution noch deutlicher machen. Erfolgreicher Au- mit großer Mehrheit pro TTIP votiert. Im ßenhandel ist keine garantierte Konstante, Außenwirtschaftsreport der IHKs in NRW auch nicht für ein wirtschaftlich starkes Land sprechen sich 62 Prozent der Unternehmen wie Deutschland. Wir müssen immer wieder für das Abkommen aus. Von den bereits in die richtigen Weichenstellungen vornehmen, den USA aktiven Unternehmen sind es so- damit unsere Wirtschaft weiterhin erfolg- gar mehr als 80 Prozent. Dennoch wird die reich sein kann und die Bürger davon profi- Diskussion hierzulande besonders heftig tieren. Die transatlantische Handels- und In- geführt, während das Projekt in anderen vestitionspartnerschaft mit den USA ist hier- EU-Staaten und in den USA mehr Akzep- für ein Schlüsselprojekt. tanz genießt. Trügt dieser Eindruck? 16 Ruhr Wirtschaft Juli / August 2015
Stephan Steinlein 1980-1987: Studium an der Theologischen Hochschule „Sprachenkonvikt“ in Berlin (Ost); 1987-1989: Vikariat; 1989-1990: Postgraduierten- studium an der Fakultät für ev. Theologie in Straßburg; 1990: letzter Botschafter der DDR in Paris; 1991-1993: Aus- bildungsstätte des Auswär- tigen Amts in Bonn; 1993- 1999: verschiedene Stationen als Referent im Auswärtigen Amt; 1999-2002: Presserefe- Das Tauziehen um TTIP geht in die entscheidende Runde. Die Wirtschaft rent des Chefs des Bundes- befürwortet das geplante Freihandelsabkommen der EU mit den USA, kanzleramts, Dr. Frank-Walter allerdings gibt es auch kritische Stimmen. Foto: Thinkstock Steinmeier; 2002-2005: Büro- leiter des Chefs des Bundes- kanzleramts, Dr. Frank-Walter Steinmeier; 2005-2009: Leiter In Deutschland wird in der Tat eine beson- und Standards wurden durch die EU in vielen des Leitungsstabes und Leiter ders intensive Debatte um TTIP geführt. Die Bereichen sogar angehoben. Und Deutsch- des Ministerbüros von Bun- Bürger in vielen anderen EU-Mitgliedsstaa- land hat vom EU-Binnenmarkt enorm profi- desaußenminister Dr. Frank- ten sehen TTIP hingegen als Chance. In Mit- tiert. Walter Steinmeier; 2009- gliedsstaaten, die während der Wirtschafts- TTIP ist für uns eine einmalige Gelegen- 2013: Büroleiter des Vorsit- und Finanzkrise einen großen Einbruch zu heit, ein modernes Freihandelsabkommen zenden der SPD-Bundestags- verzeichnen hatten, gilt TTIP vielfach als mit hohen Standards zu entwickeln, gerade fraktion, Dr. Frank-Walter Möglichkeit, die Wirtschaft aus der Talsohle auch für die Bereiche Arbeits-, Verbraucher- Steinmeier; seit Januar 2014: zu holen. Wir müssen uns immer wieder vor und Umweltschutz. TTIP wird, wenn wir es Staatssekretär des Auswärti- Augen halten, dass nicht nur Deutschland richtig machen, globale Strahlkraft und somit gen Amts. mit den USA verhandelt, sondern die gesam- Vorbildwirkung für andere Freihandelsab- te EU. Wir müssen TTIP stärker als europäi- kommen entfalten. Für so ein ambitioniertes sches Projekt begreifen. Vorhaben kann ich mir kein besseres Pendant als unseren Wertepartner USA vorstellen. Eine Erfolgsgeschichte dieses europäi- schen Projekts ist der gemeinsame Bin- Besonderen Wert legen viele NRW-Unter- nenmarkt der EU. Wegen der allgemeinen nehmen auf die gegenseitige Anerkennung Wertschätzung und der vielen Vorteile des technischer Normen und Standards sowie EU-Binnenmarkts ist die TTIP-Kritik schwer die Abschaffung der Zollbarrieren. Können nachzuvollziehen. Auch mit den USA ver- Sie kurz erläutern, welche Vorteile sich binden uns Europäer viele gemeinsame damit verbinden? Werte, dennoch wird derzeit ein gewisser Die Vorteile einer Zollabsenkung liegen auf Anti-Amerikanismus deutlich. Woher kom- der Hand: Den Verbrauchern steht bei nied- men diese Vorbehalte? rigeren Zöllen eine größere und kostengüns- Die EU ist in der Tat das beste Beispiel für die tigere Auswahl an Produkten zur Verfügung. Das Interview führte Wulf- enormen Wohlfahrtsgewinne, die wir durch Zwar liegt der durchschnittliche transatlanti- Christian Ehrich, IHK- freien Handel erzielen können, ohne dabei sche Zollsatz nur noch zwischen drei und vier Geschäftsführer und NRW- Standards abzusenken. Verbraucherschutz > Federführer Außenwirtschaft. Ruhr Wirtschaft Juli / August 2015 17
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