Ohne Westfalen geht's nicht - Region wird 200 Jahre jung - IHK24

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Ohne Westfalen geht's nicht - Region wird 200 Jahre jung - IHK24
„TTIP IST EINE EINMALIGE GELEGENHEIT“
      Interview mit Staatssekretär Stephan Steinlein
      STARKER AUFTRITT
      Westfälisches Ruhrgebiet präsentiert sich in Brüssel
      SERIE ÜBER DEN KREIS UNNA
      Werne öffnet sich kleinen und großen Unternehmen

                                             Juli / August 2015

Ohne Westfalen
   geht‘s nicht
      Region wird 200 Jahre jung
Ohne Westfalen geht's nicht - Region wird 200 Jahre jung - IHK24
WER SAGT EIGENTLICH,
© Red Dot Design Museum

                           DASS EINE TAGUNG IMMER
                           AM TAG STATTFINDEN MUSS?

                          Keine Frage – die Metropole Ruhr ist mit allem versorgt, was Events und Meetings jeder
                          Größenordnung zu jeder Tages- und Nachtzeit brauchen: Tagungshotels, Konferenz-
                          zentren und eine Infrastruktur, um die uns viele beneiden. Aber manchmal braucht es
                          eben diesen Wow!-Effekt, der eine gute Veranstaltung zu einem sensationellen Event
                          macht. Über 160 Special-Event-Locations mit bestens organisiertem Service sorgen
                          dafür, dass Sie das Ruhrgebiet als Top-Act in Erinnerung behalten.

                          UND WARUM SOLLTE MAN EINE TAGUNG NICHT MAL MIT DEM
                          FRÜHSTÜCK AUSKLINGEN LASSEN? WWW.RUHR-MEETING.DE

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Ohne Westfalen geht's nicht - Region wird 200 Jahre jung - IHK24
EDITORIAL

Wirtschaft braucht Freiraum –
Wachstum braucht Flächen!

D
         ie Region Dortmund, Hamm, Un-        ist ein Irrtum, dass aus der Tatsache ei-
         na ist beeindruckend. Zahlreiche     ner schrumpfenden Bevölkerung der
         Kultur- und Freizeitangebote so-     Rückschluss gezogen wird, dass auch
         wie naturnahe Erholungsräu-          die Wirtschaft mit weniger Flächen
me sorgen für eine hohe Lebensqualität.       auskommt. Im Gegenteil – die Wirt-
Auch die hier ansässigen Unternehmen –        schaft produziert zu einem großen Teil
viele von ihnen sind Marktführer – haben      für den Export. Es gilt das Motto: Weni-
viel zu bieten. Sie haben aber auch gute      ger Menschen produzieren mehr Güter
Gründe hier zu sein und sind damit unse-      und Leistungen. Übrigens siedeln sich
re besten Botschafter.                        auch ausländische Unternehmen in
    Gemeinsam mit den Kommunen las-           Deutschland an, die ebenfalls Arbeits-
sen wir nicht nach, die Vorzüge unseres       plätze schaffen und dafür Gewerbeflä-
Standortes effektiv zu vermarkten. Viel       chen benötigen.                                     Udo Dolezych und Reinhard Schulz
wurde schon erreicht. Wir müssen aber              Doch die Landesregierung NRW
noch besser werden. Wir wollen unsere         wollte den Sparkommissar spielen und         Wohnbebauung usw. In der Summe sind
Region an die Spitze der Standorte brin-      den Flächenverbrauch von Gewerbe und         in Dortmund 57 Prozent der verfügbaren
gen, die für Investoren erste Wahl sind.      Wohnen mit einer strikten Grenze auf 5       Flächen mit solchen Restriktionen be-
    Im Kern geht es dabei um Standort-        Hektar pro Tag deckeln. Das konnten die      legt, in Hamm sind es 28 Prozent und im
faktoren. Diese beeinflussen den Er-          IHKs erfolgreich verhindern. Aus einer       Kreis Unna 42 Prozent.
folg von bestehenden Unternehmen und          unsinnigen verbindlichen Obergrenze              Es sind vor allem die ehemaligen
üben gleichzeitig eine Sogwirkung auf         im derzeitigen Entwurf des neuen Lan-        Montanflächen, auf denen viele Nut-
Neuansiedlungen aus. Dazu gehören u.          desentwicklungsplans ist nun eine Emp-       zungseinschränkungen wirken. Zudem
a. eine leistungsfähige Infrastruktur, in-    fehlung geworden.                            machen die hohen Preise aufgrund der
novative wissenschaftliche Einrichtun-             Nur 4 Prozent der Gesamtfläche der      aufwendigen Aufbereitung diese Flä-
gen, ein pulsierendes Gründungsklima,         IHK-Business Region Dortmund werden          chen zu Ladenhütern. In einigen unse-
eine Kreditwirtschaft mit Chancenmana-        gewerblich-industriell genutzt. Deshalb      rer Kommunen sind fast alle Flächen mit
gement oder auch gute Bildungseinrich-        ist auch hier ein Stopp der Flächenversie-   Einschränkungen belegt. Spitzenreiter
tungen.                                       gelung nicht zielführend. Für die Land-      ist Fröndenberg mit 92 Prozent. In Bö-
    Es dürfte sich mittlerweile herum-        wirtschaft stehen 46 Prozent, für die pri-   nen sind alle Flächen restriktionsfrei.
gesprochen haben, dass ein leistungs-         vate Wohnnutzung 14 Prozent und für          Dieser Standort ist ein gutes Beispiel für
fähiger Wirtschaftsstandort Wohlstand         den Verkehr 11 Prozent der Flächen zur       eine weitsichtige Angebotspolitik. Das
für die hier lebenden und arbeiten-           Verfügung. Die Wirtschaft ist nicht – wie    interkommunale Gewerbegebiet „IN-
den Menschen verspricht. Die Grundla-         vermutet – der große Flächenverbrau-         LOGPARK“ schafft genau die geforder-
ge für Wachstum sind adäquate Flächen         cher. Mit diesem Vorurteil muss drin-        ten Freiräume und verzeichnet einen An-
für Erweiterungsmaßnahmen und An-             gend Schluss gemacht werden.                 siedlungserfolg nach dem anderen.
siedlungen. Ein offensives Flächenange-            Doch nicht nur die Quantität an Flä-        Es ist fünf vor zwölf. Die Potenziale
bot ist quasi die Mutter aller wirtschafts-   chen stellt ein Problem dar. Auch die        an restriktionsfreien Flächen im Ruhr-
fördernden Maßnahmen. Unsere Forde-           Qualität stimmt nachdenklich. Leider         gebiet reichen nur noch für rund sechs
rung ist daher eindeutig: Die Wirtschaft      haben nur etwa die Hälfte der freien In-     Jahre. Spätestens dann müssen sich ge-
braucht mehr Freiraum und mehr Ge-            dustrie- und Gewerbeflächen keine Nut-       rade die erfolgreichen und expandieren-
werbeflächen.                                 zungseinschränkungen. Bei den übri-          den Unternehmen die Frage stellen, ob
    Diese Forderung bezieht sich also         gen Flächen sind diese zum Teil erheb-       sie auf zweitklassige Flächen zurückgrei-
nicht nur auf den Abbau von Bürokratie        lich. Dies können Altlasten im Boden         fen oder abwandern. Angesichts der Pla-
und anderer Fesseln, sondern eben auch        sein, Lärmbeschränkungen mit konkre-         nungszeiträume für die Ausweisung neu-
auf die konkreten Gewerbeflächen, auf         ten Auswirkungen auf die Bebauung und        er Gewerbeflächen sind sechs Jahre nur
denen die Produkte, Dienstleistungen          die Betriebszeiten, Beschränkungen der       ein Wimpernschlag. Deswegen muss die
und letztlich Arbeitsplätze entstehen. Es     Zufahrtsituation, fehlender Abstand zur      Politik jetzt handeln.

                      Udo Dolezych, IHK-Präsident      Reinhard Schulz, IHK-Hauptgeschäftsführer

                                                                                                           Ruhr Wirtschaft Juli / August 2015   3
Ohne Westfalen geht's nicht - Region wird 200 Jahre jung - IHK24
INHALT

    BLICKPUNKT 200 JAHRE WESTFALEN

    8              In der Vielfalt
                   liegt die Stärke
                   200 Jahre Westfalen:
                   Von der preußischen Provinz zur europäischen Region.

    12             Region voller Lebensqualität
                   und Wirtschaftskraft
                   Westfalen zählt zu den attraktivsten Wohn-
                   und Freizeitregionen Deutschlands und weist
                   zudem beeindruckende Wirtschaftsleistungen vor.

    14             Das Gedächtnis der Wirtschaft
                   Das Westfälische Wirtschaftsarchiv verwahrt
                   unzählige historische Dokumente und gibt
                   wissenschaftliche Publikationen heraus.

               RUBRIKEN                                75 IHK-Veranstaltungskalender      26 Millionen-Marke geknackt
                                                                                              IHK-Tourismusumfrage
               3      Editorial                        76 Impressum
                                                                                          26 Woche der Umwelt 2016
               6      Bild des Monats                  77 Messekalender
                                                                                          27 „Bester nachhaltiger
               7      Wirtschaft in Zahlen             8    BLICKPUNKT                        Investor“
                                                            200 JAHRE WESTFALEN               Bank für Kirche und Diakonie
               22, 50 Kompakt
                                                       INTERVIEW                          28 IHK würdigt Verdienste
               27, 53 Glückwunsch                                                             Wirtschaftsgespräch Bönen
                                                       16 „TTIP ist eine einmalige
               29 Literatur                                 Gelegenheit“                  34 Werne öffnet sich kleinen
                                                            Stephan Steinlein, Staats-        und großen Unternehmen
               30 Was sonst geschah                         sekretär im Auswärtigen Amt       Serie über den Kreis Unna:
                                                                                              Teil 10
               41, 51 Jubiläen                         WIRTSCHAFT REGIONAL
                                                                                          37 Nina Wendel hat ein
               48 Sommerzeit                           20 Als Startup in die USA?             Händchen für Füße
                                                                                              Ausbildung im Sanitätshaus
               65 Recht kompakt                        22 Gerüstspezialist                    Feuerabend
                                                            C.O. Weise feierte Jubiläum
               68 IHK-Weiterbildungsprogramm                                              38 Wie der BVB-Schal
                                                       22 Der Krimi kommt per E-Book          zum Fußballfan kommt
               73 Kulturkalender                                                              Mit der IHK auf Erlebnistour
                                                       23 Signal Iduna: Gute Ergebnisse
               74 Bekanntmachungen                                                        40 Mode ohne
                                                       24 Die „Besten im Westen“              Nebenwirkungen
               75 Wirtschaft im TV                          begeistern in Brüssel             Concept Store für Öko-Textilien

4   Ruhr Wirtschaft Juli / August 2015
Ohne Westfalen geht's nicht - Region wird 200 Jahre jung - IHK24
INTERVIEW

                                     16        „TTIP ist eine einmalige Gelegenheit“
                                               Stephan Steinlein, Staatssekretär im Auswärtigen Amt, äußerte
                                               sich gegenüber IHK-Geschäftsführer Wulf-Christian Ehrich, NRW-
                                               Federführer Außenwirtschaft, zu den Vorteilen von TTIP für Unter-
                                               nehmen und der Rolle der EU in der globalen Wirtschaft.

                                     WIRTSCHAFT REGIONAL

                                     24        Die „Besten im Westen“
                                               begeistern in Brüssel
                                               Beim NRW-Sommerfest präsentierten Dortmund, Hamm und
                                               der Kreis Unna ihre wirtschaftlichen und kulturellen Stärken.

                                     WIRTSCHAFT REGIONAL – SERIE ÜBER DEN KREIS UNNA

                                     34        Werne öffnet sich kleinen und
                                               großen Unternehmen
                                               Der Stadt an der Schnittstelle zwischen Münsterland
                                               und Ruhrgebiet ist der Strukturwandel gut gelungen.

41 Risiken minimieren,               51 Jetzt bewerben für                 SERVICE RECHT
    Werte schützen                       den Gründerpreis
    Leue & Nill informierte                                                64 Das gewerbliche Schutzrecht
    Führungskräfte                   52 Ein „Top“-Siegel                        Serie: Die meistgestellten
                                         für den Mittelstand                    Rechtsfragen an die IHK
42 „200 Jahre Westfalen. Jetzt!“         Deutscher Mittelstands-
    Sonderausstellung im Museum          Summit 2015                       SERVICE BILDUNG
    für Kunst und Kulturgeschichte
                                     53 Zwischen Snooker                   67 „Ein Staubkorn wäre
44 Fläche bietet                         und Comedy                             der Super-GAU“
    Standortvorteile                     Zentralhallen bleiben                  Neue Serie zu seltenen Berufen:
    Ehemalige Westfalenhütte             Nummer eins in Hamm                    Mikrotechnologe

45 Wer die Wahl hat,                 SONDERTHEMA                           SERVICE KULTUR
    hat gute Karten
    Werner Berufszirkel              54 Finanzen · Leasing ·               70 Die Welt als lieblicher Ort
                                         Versicherung                           Ausstellung in der IHK:
46 Freiraum für Wirtschaft                                                      Beate Bach und Benny Fusillo
    und Unternehmen                  SERVICE INTERNATIONAL
    Wirtschaftsgespräch Kamen                                              72 Komödiantische Kapriolen
                                     62 „Extrem verbesserte                     Internationales Straßentheater
50 Von der Messe zum Job                 Sicherheitslage“                       und Weltmusik in Hamm
                                         Kolumbien – wirtschafts-
50 Dortmunder Softwarefirma              freundlichster Staat Latein-      SERVICE MESSE
    will expandieren                     und Südamerikas
    System 2000 Kopp GmbH                                                  76 Wie es nach der Schule
                                     63 Fokus Industrie 4.0                     weitergeht
51 Startup Kickern in                    Reise nach Schweden                    Studien- und Ausbildungsmesse
    den Westfalenhallen                  und Finnland                           „Einstieg Dortmund“

                                                                                        Ruhr Wirtschaft Juli / August 2015   5
Ohne Westfalen geht's nicht - Region wird 200 Jahre jung - IHK24
BILD DES MONATS

    Schön heiß hier!
    Hoch Annelie
    In der ersten Juliwoche
    bescherte Hoch Annelie
    auch dem Westfälischen
    Ruhrgebiet Temperaturen
    bis zu 37 Grad. Auszuhal-
    ten waren die am besten
    im und am Wasser. Marie
    lässt sich den Sommer mit
    einem kühlen Getränk am
    Badestrand am Horstma-
    rer See schmecken.

    Seepark Lünen
    Der gehört zum Seepark
    Lünen. Als ökologische
    Flächensanierungs- und
    Entwicklungsmaßnahme
    in einem vom Bergbau ge-
    kennzeichneten Gebiet im
    Lüner Süden ist das ehe-
    malige Gelände der Lan-
    desgartenschau 1996 heu-
    te ein beliebtes Ziel für
    Naherholungssuchende.

    Hitzewelle
    Die Sommerhitze hat zeit-
    weise für massive Verspä-
    tungen im Dortmunder
    Stadtbahnnetz gesorgt. Sie
    legte den Leitrechner in ei-
    nem Stellwerk lahm, die
    Bahnsignale im gesam-
    ten Süden der Stadt fie-
    len aus. In Hamm sollten
    die Bürger städtische Bäu-
    me gießen.

    Badeseen
    Schön, dass es da Abküh-
    lung mit ausgezeichneter
    Wasserqualität gibt: Die
    hat das Umweltlandesamt
    NRW nicht nur dem Horst-
    marer See sondern auch
    dem Naturfreibad Heil in
    Bergkamen, dem Haarener
    Baggersee in Hamm und
    dem Ternscher See in Selm
    bescheinigt.
    Text: Tobias Schucht
    Foto: Silvia Kriens

6   Ruhr Wirtschaft Juli / August 2015
Ohne Westfalen geht's nicht - Region wird 200 Jahre jung - IHK24
Wirtschaft in Zahlen
         Im Schnitt im Westfälischen Ruhrgebiet ein Drittel mehr
         Empfänger von Asylbewerberleistungen in Prozent

         • 2013 • 2014 • in Prozent
                                         1.615                    ein Jahr zuvor. Die meisten Leistungsemp-
+ 32,9                                                            fänger in NRW stammten 2014 aus eu-
                                                      2.146
         Dortmund                                                 ropäischen Staaten außerhalb der EU (45
               493                                                Prozent) und aus Asien (33 Prozent). Der
+ 43,6                                                            Zuwachs der Leistungsbezieher war ge-
                     708
         Hamm                                                     genüber dem Vorjahr bei Personen mit al-
                                 1.309                            banischer (+ 325 Prozent) und syrischer
+ 23,2                                                            (+ 228 Prozent) Staatsangehörigkeit am
                                         1.613
         Kreis Unna                                               höchsten. Von den Asylbewerbern, die
                                                                  Leistungen erhalten haben, waren 66 Pro-
         Ende 2014 erhielten in Nordrhein-West-                   zent im erwerbsfähigen Alter von 18 bis
         falen 86.358 Personen Leistungen zur De-                 64 Jahren, 32 Prozent waren Kinder und
         ckung des täglichen Bedarfs nach dem                     Jugendliche, und zwei Prozent waren 65
         Asylbewerberleistungsgesetz. Das waren                   Jahre oder älter.
         28.992 Personen oder 51 Prozent mehr als                                  Text: Tobias Schucht, Quelle: IT.NRW

         Überflieger Dortmund Airport                             In Dortmund trägt
         Passagierzahlen im ersten Quartal 2015                   man Spendierhosen
         • Vergleich zum 1. Quartal 2014                          Trinkgelder zu verschiedenen Anlässen
                                                                  in Prozent

+ 2,5
         Düsseldorf
                                                 2.178.200
                                                                  • Dortmund • Hamm • Kreis Unna
                                                                                    5,38
                     881.100                                                     4,77
+ 7,9
         Köln/Bonn                                                                  5,52
                                                                  Restaurant
              185.000
+ 11,3                                                                                              8,79
         Dortmund
                                                                                                7,81
                                                                                                 8,12
            158.908
+ 8,2                                                             Kneipe
         Niederrhein (Weeze)
                                                                                                           10,66
                60.900                                                                                  9,51
+ 2,9
         Münster/Osnabrück                                                                                    11,34
                                                                  Café

               51.800                                                                        7,35
- 2,0
         Paderborn/Lippstadt
                                                                                              7,49
                                                                                            6,98
         Von den sechs großen NRW-Flughäfen                       Taxi
         flogen im ersten Quartal 2015 über
         3,5 Millionen Passagiere ab; das waren                   Durchschnittlich acht Prozent Trinkgeld
         4,5 Prozent mehr Fluggäste als von Januar                geben die Menschen in NRW, wenn sie in
         bis März 2014. Damit startete mehr als je-               Restaurants, Kneipen, Cafés und im Taxi
         der sechste (16,4 Prozent) der in Deutsch-               bezahlen müssen. Das ist das Ergebnis ei-
         land gewerblich beförderten Passagie-                    ner Online-Umfrage des WDR. Die Befrag-
         re von einem der großen NRW-Flughä-                      ten scheinen gerade bei einem höheren
         fen. Bei Flügen ins Ausland stieg das Pas-               Betrag dazu zu tendieren, den Betrag auf-
         sagieraufkommen sogar an den Flughäfen                   zurunden. Auch die Menschen im Westfä-
         Köln/Bonn (+ 20,7 Prozent), Dortmund                     lischen Ruhrgebiet entsprechen hier un-
         (+ 13,5 Prozent), Niederrhein (Weeze)                    gefähr dem Durchschnitt. Am großzügigs-
         (+ 8,3 Prozent) und Düsseldorf (+ 4,0 Pro-               ten sind die Dortmunder mit 8,04 Prozent,
         zent). Rückläufige Zahlen verzeichneten                  dichtauf gefolgt von den Westfalen aus
         die Flughäfen Paderborn/Lippstadt                        dem Kreis Unna (7,99 Prozent) und aus
         (- 6,6 Prozent) und Münster/Osnabrück                    Hamm (7,39 Prozent).
         (- 0,6 Prozent). Text: Tobias Schucht, Quelle: IT.NRW   Text: Tobias Schucht, Quelle: NRW-Trinkgeld-Check WDR

                                                                                    Ruhr Wirtschaft Juli / August 2015     7
Ohne Westfalen geht's nicht - Region wird 200 Jahre jung - IHK24
In der Vielfalt
         liegt die Stärke
         200 Jahre Westfalen: Von der preußischen
         Provinz zur europäischen Region.
         VON CHRISTOPH BOLL

                                                                                                                                                           Rahden
                                                                                        Hops-
                                                                                        ten                                                Stemwede

                                                                                            Recke                                                       Espelkamp               Petershagen
                                                                                                      Wester-
                                                                                                 Met- kappeln                                       Preuß.            Hille
                                                                                               tingen                                               Olden-Lübbecke
                                                                       Rheine Hör-           Ibben-                                                 dorf                    Minden
                                                                               stel                      Lotte
                                                           Wet- Neuen-                        büren                                                         Hüllhorst
                                                          tringen kirchen                                                                           Röding-           Bad
                                           Gronau Ochtrup                                       Tecklenburg                                         hausen Kirch-      Oeyn- Porta
                                           (Westf.)                              Saer-                                                                       len-       hsn. Westfalica
                                                                          Ems-   beck                                                                 Bünde gern Löhne
                                                    Metelen Steinfurt detten              Lengerich
                                                                                                                                                             Hidden-
                                               Heek                                    Lad-      Lienen                                               Enger hsn.         Vlotho
                                        Ahaus       Schöp- Horst-       Nord-          bergen                                                 Spenge
                                                    pingen mar          walde Greven                                              Borg-                     Herford               Kalletal
                         Vreden                                                                                                   holz- Werther                      Bad
                                              Legden              Laer Alten-                       Ost-                           hsn.      (W.)                                            Exter-
                                                                                                   bevern                Versmold       Halle                      Salzuflen                   tal
                                                    Rosendahl            berge
                                 Stadtlohn                                                                                           (Westf.)                    Leo-         Lemgo Dören-
                                                         Billerbeck Havix-                                                               Stein-     Bielefeld    polds-                  trup   Barn-
                                                                                                              Sassen-
                            Südlohn Gescher                            beck       Münster
                                                                                               Telgte             berg Harsewinkel hagen                         höhe Lage                      trup
                                                                                                          Waren-                                                Oerling-                Blomberg
                                                Coesfeld       Nottuln                            Evers-     dorf Beelen Herze-                                 hausen      Detmold
                                   Velen                                                                                                 Gütersloh          Schloß August-                         Schieder-
                                                                                                  winkel                      brock-                                              Horn-
    Issel- Bocholt       Borken                                                                                              Clarholz                        Holte-                                Schwalen-
                                                                                             Senden-                                                 Verl Stuken- dorf             Bad             berg Lügde
    burg                          Heiden                 Dülmen          Senden                                Ennigerloh          Rheda-                                         Mein-
                   Rhede                                                                       horst                                                          brock                berg   Steinheim
                                         Reken                                                                                    Wieden-                                Schlan-
                                                                                           Dren-                                    brück Rietberg         Hövelhof        gen                        Marien-
                                                                                           stein-                        Oelde                                                             Nieheim münster
                         Raesfeld                Haltern       Lüdinghausen        Asche- furt                                      Langen-                                  Bad
                                                                                                     Ahlen      Beckum                                                                                        Höxter
                                                 am See                      Nord- berg                                               berg         Delbrück          Lippspringe
                                     Dorsten                                 kirchen                                      Wadersloh                                                       Bad
                                                                Olfen                                                                                             Paderborn Alten- Driburg Brakel
                                                       Oer-                                                                                                                      beken
                                             Marl Erken-                  Selm Werne                                                  Lippstadt      Salzkotten
                                                             Datteln                            Hamm               Lippetal
                                                    schwic
                                                                                  Berg-                                                                             Borchen                                 Beve-
                                              Her- Reckl.-       Waltrop                                                                        Geseke                                                      rungen
                                               ten hsn. Cas-              Lünen kamen                       Welver                 Erwitte
                                   Glad-                   trop-                           Bönen                           Bad                                                               Wille-
                                   beck Gel-
                                          sen-             Rau-                     Kamen                                  Sas-                                            Lichtenau       badessen
                                Bot-                                                                               Soest sen-                                                                           Borgen-
                                 trop     kir-    Herne xel                              Unna
                                                                                                       Werl                         An-
                                                                                                                           dorf röchte                 Büren                                            treich
                                          chen                                                                                                                      Bad
                                                                     Dortmund                                                                                    Wünnen-
                                                                                                    Wickede                                                                                 Warburg
                                                                                   Holz- Frönden- (R.)                                       Rüthen                berg
                                                   Bochum                         wickede berg           Ense Möhnesee
                                                                                                                                Warstein
                                                           Witten Her-                       Menden
                                                                            Schwerte         (Sauerl.)       Arnsberg                                                  Marsberg
                                               Hattingen          decke
                                                            Wetter                                                                                      Brilon
                                                   Sprock- (R.)         Hagen     Iserlohn   Hemer
                                                      hövel                                                                Meschede Best-
                                                          Gevelsb.            Nachrodt-           Balve Sundern                           wig     Ols-
                                                        Schwelm               Wibling-                      (Sauerl.)                             berg
                                                                              werde Altena
                                                              Ennepe-                          Neuen-
                                                              tal Brecker- Schalks-                                       Eslohe
                                                                                          Wer- rade                     (Sauerl.)
                                                                     feld mühle           dohl
                                                                                 Lüden-         Pletten-                                         Winter-
                                                                                                  berg Finnentrop                                 berg       Mede-
                                                                       Halver scheid Her-                                                                    bach
                                                                                         scheid                              Schmallenberg
                                                                             Kierspe
                                                                                      Meinerz-                                                           Hallen-
                                                                                       hagen      Attendorn Lennestadt                                     berg

                                                                                                                 Kirchhundem              Bad
                                                                                             Drols- Olpe                                Berleburg
                                                                                             hagen
                                                                                                                     Hilchen- Erndte-
                                                                                                                      bach brück
                                                                                                 Wenden Kreuz-
                                                                                                          tal
                                                                                                                                     Bad
                                                                                                                   Netphen         Laasphe
                                                                                                     Freuden-
                                                                                                       berg Siegen

                                                                                                                    Wilns-
                                                                                                                     dorf
                                                                                                             Neun-
                                                                                                             kirchen
                                                                                                                   Bur-
                                                                                                                  bach

8        Ruhr Wirtschaft Juli / August 2015
Ohne Westfalen geht's nicht - Region wird 200 Jahre jung - IHK24
BLICKPUNKT 200 JAHRE WESTFALEN

D
         ie Verbindung von Preußen und            »Es hat heute die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit eines
         Westfalen ist keine Liebesheirat. Als    Nationalstaates und ist als Standort für Unternehmen ebenso
         im Zuge des Wiener Kongresses die
                                                  wie als Lebensumfeld der Mitarbeiter eine erste Adresse.«
         westfälischen Territorien zur Provinz
zusammengefasst werden, begründet dies                                                             Dr. Karl-Heinrich Sümmer-
gleichwohl eine Region, die 200 Jahre spä-                                                         mann, Vorstandsvorsitzen-
ter ihren Platz in Europa behauptet. Längst       Die Mitarbeiter identifizieren sich mit dem      der der Stiftung Westfalen-
überwunden sind die gegensätzlichen Zuge-         Unternehmen und dieses sich mit der Region.      Initiative
hörigkeitsbekenntnisse, die mit den Zusätzen      Das bedingt sich gegenseitig. Deshalb gibt es
„Westfalia“ und „Preußen“ noch in den Na-         auch eine Verbindung zwischen der westfä-
men mancher Sportvereine anklingen.               lischen Mentalität und den wirtschaftlichen
    „Die Unterzeichnung der preußischen           Erfolgen“, folgert der Wirtschaftshistoriker
,Verordnung wegen verbesserter Einrichtung        Ellerbrock.
der Provinzial-Behörden‘ am 30. April 1815            Aus den „Westfalai“, die im Jahr 775 in
war die Geburtsstunde eines Westfalens, oh-       den Fränkischen Reichsannalen als west-
ne das Deutschland und Europa in vielfacher       lich der Weser lebender Teilstamm der Sach-
Hinsicht ärmer wäre. Es hat heute die wirt-       sen erwähnt sind, sind gegenwärtig etwa 8,2
schaftliche Leistungsfähigkeit eines Natio-       Millionen Menschen geworden. Sie leben auf       Wussten Sie schon,
nalstaates und ist als Standort für Unterneh-     insgesamt 21.427 Quadratkilometern in den        dass diese Unternehmen ähn-
men ebenso wie als Lebensumfeld der Mitar-        Teilregionen Münsterland (inklusive Teck-        lich alt sind wie Westfalen?
beiter eine erste Adresse.“ So bilanziert Dr.     lenburger Land), Westfälisches Ruhrgebiet,
Karl-Heinrich Sümmermann, Vorstandsvor-           Ostwestfalen (ehemaliger preußischer Re-         ›› J. D. Theile GmbH & Co.
sitzender der Stiftung Westfalen-Initiative,      gierungsbezirk Minden) sowie Südwestfalen,          KG, Schwerte
die Entwicklung. Die Stiftung setzt sich ein      worunter die westfälischen Gebiete des Sau-         (gegründet 1819)
für eine ausgeprägte Identität eines starken      erlands, des Siegerlands und das Wittgenstei-    ›› Carl Tewes G.m.b.H,
Westfalens in einem Europa der Regionen.          ner Land zusammengefasst werden.                    Dortmund
    Westfalen hat Markenpotenzial, wenn es                                                            (gegründet 1824)
um Essen und Trinken geht. Schinken und           Wirtschaftlich vielfältig                        ›› Franz Rüschkamp GmbH
Korn schmücken sich mit dem Regional-Ad-          Dieser Gesamtraum war zur Zeit der Grün-            & Co. KG, Lünen
jektiv. Stets schimmert dabei aber als Hinter-    dung der Provinz Westfalen wirtschaftlich           (gegründet 1825)
grund das Stereotyp vom agrarisch gepräg-         außerordentlich vielfältig. Neben der traditi-
ten Landstrich durch, das allenfalls einen        onellen Landwirtschaft war es bereits im 18.     Viel älter als Westfalen
Aspekt beleuchtet und diesen zumeist auch         Jahrhundert in verschiedenen Gegenden zu         ist übrigens die Adler
noch völlig unzureichend. Auf der Basis der       einem erheblichen Wirtschaftsaufschwung          Apotheke in Dortmund.
Landwirtschaft haben sich beginnend mit           gekommen. Anschaulich beschreibt dies das        Sie hat seit 692 Jahren
der frühen Industrialisierung die affinen In-     von Karl Ditt u. a. herausgegebene umfas-        ihren Sitz am Alten Markt.
dustrie-, Handels- und Dienstleistungsberei-      sende Werk „Westfalen in der Moderne 1815-
che entwickelt. Dafür stehen Namen wie zum        2015. Geschichte einer Region“. Um Minden-
Beispiel der Landmaschinenhersteller Claas        Ravensburg gewann die Flachsspinnerei und
in Harsewinkel, die Deutsche Saatverede-          Leinenweberei an Bedeutung. Im Münster-
lung AG in Lippstadt, die LVM-Versicherungs-      land entstand eine Leinen- und Baumwollre-
gruppe in Münster sowie ein vielfältiger ge-      gion, die sich später zu einer namhaften Tex-
nossenschaftlicher Sektor.                        til- und Bekleidungsindustrie auswuchs, de-
                                                  ren weitgehenden Niedergang der Struktur-
Unternehmen sind keine Inseln                     wandel vor rund 50 Jahren einläutete. Im
Ebenfalls antiquiert ist das Klischee von den     Sauerland entwickelte sich das Kleineisenge-
wortkargen, gar sturen Bewohnern der Re-          werbe, dessen Rohstoff in erster Linie in den
gion. Es wirft immer nur ein Schlaglicht auf      Erzgruben des benachbarten Siegerlands ge-
einen Aspekt, häufig genug verzerrt. Zumin-       wonnen wurde. Hinzu kam ab dem begin-
dest aber klingen darin zwei Tugenden an, die     nenden 19. Jahrhundert der Abbau von Koh-
Westfalen als Ganzes bei aller lokalen Vielfäl-   le und Eisenerz im sogenannten Ruhrgebiet.
tigkeit bis heute voran gebracht haben: Zu-       Entscheidend für dessen Entwicklung war
verlässigkeit und Ausdauer. Für Dr. Karl-Pe-      das Entstehen der Tiefbauzechen, die den
ter Ellerbrock, Direktor des Westfälischen        Abbau auch unterhalb der Mergelschicht er-
Wirtschaftsarchivs (WWA), gibt es dabei ei-       laubte. In Westfalen war die Zeche „Präsi-
nen direkten Zusammenhang zwischen regi-          dent“ bei Bochum 1841 der erste Betrieb die-
onaler Identität und dem Selbstverständnis        ser Art. Das ermöglichte den Aufbau neu-
der Unternehmen sowie der in ihnen arbei-         er mit Steinkohle produzierender Unterneh-
tenden Menschen. „Unternehmen sind keine          men, die deutlich produktiver als die auf die
einsamen Inseln, sondern entfalten in hohem       teure Holzkohle angewiesenen vorindustriel-
Maße identitätsstiftende Kräfte. Sie sind auf     len Betriebe waren.
vielfältige Weise mit ihrer Region verbunden.     >

                                                                                                    Ruhr Wirtschaft Juli / August 2015   9
Ohne Westfalen geht's nicht - Region wird 200 Jahre jung - IHK24
Trumpfkarte
     Inhabergeführte Marktfüh-            >                                                 den 1841/42 entstandenen „Westfälischen
     rer, zu denen auch Rethmann              So wurde Westfalen in Teilen zum Vor-         Schilderungen“ stellt sie fest: „Bevölkerung
     zählt – hier das Lippewerk in        reiter der industriellen Revolution, die in der   und Luxus wachsen sichtlich, mit ihnen Be-
     Lünen – machen Westfalen             Zeit der Hochindustrialisierung zu den wirt-      dürfnisse und Industrie.“
     stark. Foto: Remondis                schaftlichen Zentren des Deutschen Kaiser-            Tatsächlich war das Bevölkerungswachs-
                                          reichs zählten. Auf dem Weg dorthin muss-         tum rasant. Von 1816 bis 1849 stieg die Be-
                                          te die Region sich vielfach neuen Herausfor-      wohnerzahl von 1,066 auf 1,489 Millionen.
                                          derungen stellen. Als beispielsweise nach der     Bis 1890 war eine knappe weitere Million
                                          1814 aufgehobenen Kontinentalsperre engli-        Menschen hinzu gekommen, und vor Beginn
                                          sche Industrieprodukte auf den heimischen         des Zweiten Weltkriegs lebten mehr als 5,2
                                          Markt drängten, war die heimgewerbliche           Millionen Einwohner in Westfalen. Das führ-
                                          Textilherstellung nicht mehr konkurrenzfä-        te besonders nach schlechten Ernten und er-
                                          hig. Die 1854 gegründete Ravensberger Spin-       heblich steigenden Nahrungsmittelpreisen
                                          nerei in Bielefeld passte ihre Produktion der     auch zu schwierigen sozialen Lagen, die sich
                                          neuen Zeit an und war zur folgenden Jahr-         in einer hohen Auswandererzahl spiegeln.
                                          hundertwende eine der größten Flachsspin-         Allein zwischen 1845 und 1854 verließen et-
                                          nereien Europas.                                  wa 30.000 Menschen die Provinz, oft nach
                                              Wie stark die Industrialisierung ihre Hei-    Amerika. Fast die Hälfte von ihnen kam aus
                                          mat verändern sollte, ahnte die Dichterin An-     den krisengeschüttelten Leinengebieten in
                                          nette von Droste-Hülshoff wohl voraus. In         Ostwestfalen. Gleichzeitig suchten viele au-
                                                                                            ßerhalb ihrer Wohnorte nach Verdienstmög-
                                                                                            lichkeiten. Als Händler zogen die zum Sym-
                                                                                            bol des Landes gewordenen Kiepenkerle und
                                                                                            die Sauerländer Wanderhändler umher. Die
                                                                                            wandernden Ziegelmacher in Ostwestfalen
                                                                                            verdienten ihren Unterhalt als Wanderarbei-
                                                                                            ter. Der Töddenhandel hatte zwar seinen Hö-
                                                                                            hepunkt bereits überschritten. Aus ihm aber
                                                                                            entwickelten sich zahlreiche namhafte Han-
                                                                                            delshäuser der Textil- und Bekleidungsbran-
                                                                                            che, allen voran C & A.

                                                                                            80 Braustätten in Dortmund
                                                                                            Die Industrialisierung war unaufhaltsam.
                                                                                            Sie begünstigte zugleich die Marktverflech-
                                                                                            tung der Landwirtschaft mit den industriel-
                                                                                            len Ballungsräumen. Das Getreide aus der
                                                                                            Provinz etwa war die Basis für die im Ruhr-
                                                                                            gebiet entstehende Brauindustrie. Allein in
                                                                                            Dortmund gab es nachweislich über 80 ein-
                                                                                            zelne Braustätten. Heute sind knapp 82 Pro-
     Berühmt war Dortmund schon im 19. Jahrhundert für sein Bier. Hier ein Blick            zent der Betriebe im verarbeitenden Be-
     auf die alte Union-Brauerei. Das U kam erst 1968 auf das Dach des Gebäudes.           reich tätig, und Westfalen-Lippe hat mehr
                                                                          Foto: WWA
10   Ruhr Wirtschaft Juli / August 2015
BLICKPUNKT 200 JAHRE WESTFALEN

Industriebeschäftigte pro tausend Einwoh-       befestigten Kunst-
ner als Gesamt-NRW. Den Spitzenwert er-         straßen,     hinzu
reicht Südwestfalen mit 167.                    kam die Schiff-
    Lange vor dem Ende des 19. Jahrhunderts     barmachung der
war das Arbeitskräftepotenzial Westfalens       Flüsse insbeson-
weitgehend ausgeschöpft. Die Unternehmen        dere im Unterlauf
warben immer mehr Arbeiter aus den frühe-       der Ruhr, und der
ren Ostprovinzen Deutschlands wie Schlesi-      Bau von Kanälen.
en, West- und Ostpreußen an. Ähnlich war es     Vor allem aber
während des Wirtschaftswunders der Nach-        der Eisenbahn-
kriegszeit. Bergbau sowie Textil- und Beklei-   bau ab Mitte des
dungsbranche beispielsweise wurden zum          19. Jahrhunderts
Schmelztiegel der Kulturen. Menschen aus        wurde zum Mo-
dem heutigen Polen, aus Jugoslawien und der     tor des industriel-
Türkei kamen und fanden eine neue Heimat.       len Aufschwungs.
                                                Heute       sorgen
Westfalens Stärke                               überdies die vier
Angesichts des demografischen Wandels ste-      Verkehrsf lughä-
hen die Firmen heute erneut vor der Heraus-     fen Dortmund,
forderung, Fach- und Führungskräfte zu fin-     Paderborn/Lipp-
den und zu binden. Denn die Einwohnerzahl       stadt, Münster/
wird bis zum Jahr 2040 um knapp fünf Pro-       Osnabrück und
zent sinken, mit prognostizierten Spitzenwer-   Siegerland für ei-
ten zwischen 15 und 20 Prozent für den Hoch-    ne gute Erreich-
sauerlandkreis, den Kreis Höxter und den Mär-   barkeit.
kischen Kreis. Gleichzeitig wird das Durch-         Gleichwohl
schnittsalter der Bürger deutlich steigen.      gibt es noch eini-
    Warum aber sollte dies weniger gut be-      ges zu tun. Denn
wältigt werden als das Ende des Steinkohle-     Mobilität ist Motor des Wachstums. Seit dem       Damals
Bergbaus oder die Textilkrise, denen mit ei-    Fall des Eisernen Vorhangs bedarf es verbes-      Gründungsdokument von
ner strukturellen Erneuerung begegnet wur-      serter West-Ost-Verbindungen. Der Lücken-         1815, mit dem der Verwal-
de? Schließlich hat ein dauernder Wand-         schluss der A 33 in Ostwestfalen lässt eben-      tungsbezirk Westfalen ins
lungs- und Anpassungsprozess die Region         so auf sich warten wie der sechsspurige Aus-      Leben gerufen wurde. 
bereits in der Vergangenheit charakterisiert.   bau der A 1. Führende Köpfe der Wirtschaft        Repro: LWL
Die Branchenvielfalt ist dabei eine der maß-    mahnen zudem unter anderem immer wie-
geblichen Stärken für ganz Westfalen. „West-    der den zweigleisigen Ausbau der Bahnstre-
falens Stärke sind seine anpassungsfähigen,     cke Münster-Lünen-Dortmund als unerläss-
inhabergeführten Marktführer wie Miele,         lich für den Anschluss an die transeuropäi-
Oetker, Coppenrath & Wiese, Falke und Reth-     schen Netze an.
mann. Und durch eine ,nachholende Indus-
trialisierung´ im Münsterland, im östlichen     Herausforderung Infrastruktur
Sauerland und im Paderborner Raum konn-         Mindestens genauso wichtig dafür, dass
te auch dort eine mittelständisch geprägte      Westfalen seinen Platz in der zusammenrü-
Industrie aufgebaut werden“, so der Direktor    ckenden Welt behaupten kann, ist die digita-
des Landschaftsverbands Westfalen-Lippe
(LWL), Matthias Löb. „Damit scheinen sich
                                                le Infrastruktur. Hier liegt eine wichtige Auf-
                                                gabe zur Weiterentwicklung der Region. Nur
                                                                                                  »Die Breitband-
innerhalb Westfalens die Differenzen zwi-       etwa zehn Prozent der rund 3.000 Gewerbe-         versorgung hat
schen den traditionell industriell geprägten    gebiete in Nordrhein-Westfalen sind gegen-
und den eher ländlichen Regionen zu nivel-      wärtig an eine hochleistungsfähige Daten-
                                                                                                  noch spürbare
lieren. Die Kreise Coesfeld und Borken sind     verbindung angeschlossen. Das geht aus ei-        Lücken.«
dabei Beispiele für diesen Strukturwandel.      ner Studie hervor, die die NRW.Bank in Auf-
Und auch das Ruhrgebiet zeigt, wie sich eins-   trag gegeben hat. „Die Breitbandversorgung        Dr. Peter Paziorek,
                                                                                                  Vorsitzender des Vereins
tige Problemgebiete allmählich erneuern, so-    hat noch spürbare Lücken. Besonders Han-          Westfalen-Initiative
dass sie im frühen 21. Jahrhundert wieder       del, Industrie, Kleingewerbe und Dienstleis-
Anschluss an die bundesdeutsche Entwick-        ter in Mittel- und Kleinstädten drohen abge-
lung gewinnen“, sieht Löb zuversichtlich in     hängt zu werden. Denn schnelle Informati-
die Zukunft.                                    onswege sind heute unerlässlich, wenn man
    Auch der Ausbau der Verkehrsinfra-          im Wettbewerb bestehen möchte“, lenkt Dr.
struktur war und ist eine Voraussetzung         Peter Paziorek, Vorsitzender des Vereins
für die Entwicklung von Industrie, Handel       Westfalen-Initiative, den Blick auf neue He-
und Dienstleistungsgewerbe. Seit dem En-        rausforderungen. Sie müssen bewältigt wer-
de des 18. Jahrhunderts begann der Bau von      den, um Westfalen weiter voran zu bringen.

                                                                                                    Ruhr Wirtschaft Juli / August 2015   11
Lebensqualität hat in Westfalen auch mit Fußball zu tun. In Dortmund (Foto: Borsigplatz) verkörpert das der BVB.      Foto: Dieter Menne

     Region voller Lebensqualität
     und Wirtschaftskraft
     Nur wenige wissen, dass Westfalen zu den attraktivsten Wohn- und Freizeitregionen Deutschlands
     zählt und gleichzeitig beeindruckende Wirtschaftsleistungen vorweisen kann.
                                                                                                                       VON CHRISTOPH BOLL

                                          D
                                                   em ehemaligen Bundespräsidenten         chen Kennzahlen aufwartet: Dazu gehört,
                                                   und vorherigen nordrhein-westfäli-      dass die Tätigkeit eines Arbeitnehmers in
                                                   schen Ministerpräsidenten Johannes      Westfalen durchschnittlich mehr als fünf
     »Ohne Westfalen                               Rau wird die Aussage zugeschrieben      Prozent besser vergütet wird als im Saarland.
     würde Deutschland,                   „Der Westfale hält, was der Rheinländer ver-     Entsprechend gut ist die Einkommenszufrie-
                                          spricht“. Den Satz, der angebliche Wesens-       denheit.
     Europa und der Welt
                                          unterschiede zwischen den Bevölkerungs-
     etwas Wesentliches                   ruppen im einwohnergrößten Bundesland            Mehr als ein Berliner
     fehlen.«                             beschreibt, ergänzt die Google-Eintipphilfe,     Fast vier Millionen Erwerbstätige erwirtschaf-
     Professor Frank Dellmann,            wenn man bei der Internetrecherche den Be-       teten 2011 ein Bruttoinlandsprodukt von
     FH Münster                           griff „Westfalen“ eingibt. Das haben Studie-     243,7 Milliarden Euro (aktuell rund 251,5
                                          rende des Fachbereichs Wirtschaft der Fach-      Milliarden Euro). Wäre Westfalen ein Natio-
                                          hochschule (FH) Münster festgestellt, als sie    nalstaat, entspräche das etwa Platz 30 in der
                                          im Auftrag der Westfalen-Initiative auf der      weltweiten Rangliste und innerhalb der Euro-
                                          Suche waren nach plakativen Aussagen über        päischen Union (EU) Platz zwölf direkt hinter
                                          Westfalen, die geeignet sind, das Image der      Dänemark. Dabei verdient ein Westfale mit ei-
                                          Region in der Öffentlichkeit zu stärken.         nem durchschnittlichen verfügbaren Jahres-
                                              Dabei hat sich gezeigt, dass das auf Platz   einkommen von 20.431 Euro über 16 Prozent
                                          drei der attraktivsten deutschen Wohn- und       mehr als ein Berliner (17.601 Euro).
                                          Freizeitregionen rangierende Westfalen zu-           Westfalen ist Standort von neun der 50
                                          gleich mit beeindruckenden und oft öffent-       umsatzstärksten deutschen Familienunter-
                                          lich nicht wahrgenommenen wirtschaftli-          nehmen, allen voran der in Gütersloh be-

12   Ruhr Wirtschaft Juli / August 2015
BLICKPUNKT 200 JAHRE WESTFALEN

heimatete Bertelsmann Medienkonzern, der         Volkskunde Westfalen: Das Sauerland
auf dieser nationalen Liste auf Rang sieben
steht. Mit mehr als 110.000 Mitarbeitern und
16 Milliarden Euro Jahresumsatz ist er Bran-
chenprimus in Europa. Die Region verzeich-
nete 2013 86 Hidden Champions, also in der
Öffentlichkeit weitgehend unbekannte Welt-
                                                  D     ie Sprache der Sauerländer
                                                        ist rauer als im übrigen West-
                                                        falen: Zu Meschede sagen sie
                                                  „Mess-kchede“, mit einem tief im
                                                  Rachen krachenden „kch“. Und sie
marktführer. 36 dieser Weltmeister waren          können durchaus aufbrausend sein,
im Maschinenbau tätig. Westfälische Unter-        man nennt sie auch die Sizilianer
nehmen haben im statistischen Durchschnitt        Westfalens. Dennoch vertragen sie
6,7 sozialversicherungspflichtige Beschäftig-     sich gut mit den Münsterländern,
te, knapp anderthalb mehr als die nordrhei-       schon immer wurde untereinander
nischen Nachbarn. Signifikant niedrigere Er-      geheiratet. Anders als die Müns-
werbslosenquoten sowohl im Langzeitbe-            terländer konnten die Sauerländer
reich als auch unter Jugendlichen kommen          nie von der Landwirtschaft leben,
hinzu.                                            das hat sie erfinderisch werden las-
                                                  sen. In ihrer Tüfteligkeit gleichen
Moderne Landwirtschaft                            sie den Bergischen, doch die wer-
In Westfalen ist außerdem eine moderne leis-      den im Sauerland mit Missachtung gestraft. Witze macht der Sauerlän-
tungsfähige Landwirtschaft beheimatet, die        der über den Siegerländer – und beschimpft ihn wegen seiner Vorlie-
zum Beispiel pro Jahr mehr als 1,6 Milliarden     be für das gleichnamige Rindermagen-Gericht als „Schampe-Fresser“.
Liter Milch produziert. Das deckt mehr als        Ja, die „Sejerlänner“ und das Essen: Was sagt das wohl über Menschen
ein Drittel des jährlichen Milchkonsums al-       aus, wenn sie sich als Erkennungszeichen ein „Riewekooche“ zurufen?
ler in Deutschland lebenden Menschen, füllt       Und zwar mit einem knarzenden, im Gaumen hin und hergerollten „R“.
den Tank von 32 Millionen VW Golf oder fast       Wer dieses R hört, vermutet eher einen eingewanderten Texaner als ei-
die Hälfte der Hamburger Außenalster. West-       nen Südwestfalen. „Ein Wort ist bei uns ein Wort. Wir reden nicht lange
falen ist zudem ein zukunftsträchtiger Bil-       drum herum“, sagen Siegerländer über sich. Die harte Arbeit in den Erz-
dungsstandort. Legen sich alle rund 324.000       bergwerken hat sie geprägt. Zäh sind sie, geduldig, aber auch ein wenig
Studenten der Region mit ausgestreckten Ar-       starrköpfig. Die „Wittis hinterm Zaun“, wie die Siegerländer ihre Nach-
men hintereinander auf den Boden und fas-         barn nennen, sind ähnlich. Dennoch legen die Wittgensteiner Wert auf
sen sich gegenseitig an den Füßen, entsteht       ihre Eigenständigkeit. Schließlich sprechen sie ja auch ganz anders: Im
eine Menschenkette von Münster bis nach           Wittgensteiner Land wird der Dialekt weicher, er tendiert ins Nordhessi-
Paris. Besuchen die angehenden Akademiker         sche. Und der Wittgensteiner Erkennungsruf hat immerhin zwei Worte:
alle gleichzeitig Island, verdoppelt sich dort    „Machs gütt“. 
die Bevölkerung.
     Um aussagekräftige Daten zu erhalten,
haben die Studierenden des Fachbereichs          Volkskunde Westfalen: Das Ruhrgebiet
Wirtschaft der FH Münster quantitativ, qua-
litativ und kreativ nach Hypothesen gesucht,
gerechnet und den Datendschungel nach sta-
tistischen Signifikanzen durchforstet. „Am
Ende hat die Gruppe sehr interessante Ergeb-
nisse herausgefunden, die ich so nicht ver-
                                                  N      och hat der Schmelztiegel
                                                         Ruhrgebiet keinen einheit-
                                                         lichen Menschen geformt.
                                                  Es gibt „Ruhris“, die den Münste-
                                                  ranern ähneln (sie sagen Doaat-
mutet hätte“, bilanziert Prof. Dr. Frank Dell-    mund), andere changieren ins
mann, der die Analyse geleitet hat. Geglie-       Rheinische. Hinzu kommen polni-
dert sind die Aussagen in die Bereiche Wirt-      sche, schlesische, italienische, tür-
schaft, Bildung, Soziales, Sport und Kultur       kische Einflüsse. „Die Ruhrgebiets-
sowie Boden/Fläche/Infrastruktur. Dabei           menschen sind Individualisten – al-
wurde auch Kurioses ermittelt: Ohne Westfa-       le“, sagt Fritz Eckenga: „Ihre Ge-
len könnten nur noch drei von zehn Kinos in       meinsamkeit ist die B 1, die auch
NRW Popcorn anbieten. Unter dem Strich be-        A 40 und/oder Ruhrschnellweg ge-
legen die Ergebnisse: Ohne Westfalen würde        nannt wird. Wenn sich die Ruhrge-
Deutschland, Europa und der Welt etwas We-        bietsmenschen sehen wollen, oh-
sentliches fehlen – nicht zuletzt im Fußball.     ne sich treffen zu müssen, setzen
Denn Westfalen hat die meisten Champions          sie sich in Autos und stellen sich auf die B 1.“ Eines aber gilt für alle: Ihr
League-Teilnehmer in Deutschland und ge-          Stolz quillt aus jedem Satz, aus jeder Formulierung. Im Pott weiß man
nau so viele Mannschaften in diesem wich-         immer sofort, wo der Hammer hängt. Der Ruhrgebietsmensch ist groß-
tigen Wettbewerb wie die Niederlande. Und         mütig und angriffslustig zugleich. Diese Eigenschaften sind in folgen-
auch die Nationalmannschaft von Jogi Löw          dem Satz zusammengefasst: „Pass auf! Du kannst mir mit der Schubkar-
wäre ohne Westfalen stark geschwächt. Sie         re übern Bauch fahren, du darfst nur nicht drauf stehen bleiben!“
müsste ohne Reus, Özil, Draxler, Neuer, Hö-                                       Quelle: Die Welt, Auszug aus „Glückwunsch, Nordrhein-Westfalen“
wedes und Großkreutz auskommen.

                                                                                                            Ruhr Wirtschaft Juli / August 2015       13
BLICKPUNKT 200 JAHRE WESTFALEN

     Das Gedächtnis
                                                                                                    Soll und Haben fein säuberlich mit
                                                                                                    Tinte Spalte für Spalte aufgelistet.
                                                                                                    Historische Wertpapiere. Geschäfts-
                                                                                                    berichte, Protokolle, Briefe; später

     der Wirtschaft
                                                                                                    dann Mitarbeiterzeitschriften, Aufru-
                                                                                                    fe und die ersten Werbeplakate – eine
                                                                                                    Fundgrube!
                                                                                                        Das WWA übernimmt als regiona-
                                                                                                    les Wirtschaftsarchiv auch hoheitli-
     Das Westfälische Wirtschaftsarchiv verwahrt unzählige historische                              che Aufgaben und archiviert nach den
     Dokumente und gibt wissenschaftliche Publikationen heraus.                                     Vorgaben des Landesarchivgesetzes
                                                                                                    NRW die Überlieferungen der west-
                                                                                                    fälischen IHK und Handwerkskam-

               O
                                                                                                    mern. „Unsere Bestände bieten weit
                          hne Herkunft keine Zu-          seinen modernen Archivräumen an           mehr als Kohle, Stahl und Bier und
                          kunft“, sagt Dr. Karl-Peter     der Märkischen Straße im Gebäude          dokumentieren die historische Ent-
                          Ellerbrock. Seit 1996 ist er    der IHK zu Dortmund. Die Gründe für       wicklung der einzelnen Wirtschafts-
                          Direktor des Westfälischen      den Besuch sind vielfältig. Mal geht      räume Westfalens im Strukturwandel
                Wirtschaftsarchivs (WWA), das über        es um die wissenschaftlich exakte Re-     von drei Jahrhunderten, so etwa des
                historische Dokumente auf mehr als        konstruktion von Ereignissen, mal um      Sieger- und Münsterlands, Ostwest-
                zehn Regalkilometern verfügt, die         die Sicherung von Rechtsansprüchen        falens, des Märkischen und Arnsber-
                die Wirtschaftsgeschichte in Westfa-      von durchaus materieller Bedeutung.       ger Raumes und natürlich des West-
                len-Lippe dokumentieren. Neben Ge-        „Das Wissen über die Vergangenheit        fälischen Ruhrgebietes“, betont Eller-
                schäftsbüchern und Akten verwahrt         erklärt nicht nur die Gegenwart, son-     brock.
                das Archiv etwa eine Million Fotos,       dern kann auch als Orientierungshilfe         Darunter sind so wichtige Bran-
                3.000 historische Plakate, 600 Filme      für künftiges Handeln dienen“, so El-     chen wie die Textilindustrie, der Ma-
                und unzählige Tondokumente. „Wir          lerbrock.                                 schinenbau und die metallverarbei-
                sind das Gedächtnis der regionalen            Doch nicht nur deshalb kommt          tende Industrie, die Brennereien, die
                Wirtschaft und unterstützen z.B. den      so etwas wie Ehrfurcht auf, wenn die      Elektro- und Leuchtenindustrie, die
                WDR regelmäßig bei der Produktion         Historie so aufgeschlagen vor einem       Holz- und Möbelindustrie, die Minde-
                der Fernsehreihe ‚Dynastien‘.“            liegt. Die ältesten Archivalien reichen   ner Tabakindustrie und natürlich der
                    Das WWA begrüßt Wissenschaft-         bis in das 16. Jahrhundert zurück. Die    Groß- und Einzelhandel. Das WWA
                ler aus der ganzen Welt, Studieren-       Geschäftsbücher sind in brüchiges Le-     gehört damit zu den führenden Ein-
                de, Vertreter von Museen, Journalis-      der gebunden, das schon Jahrhun-          richtungen in Europa, und Dr. Eller-
                ten, Familien- und Heimatforscher,        derte überdauert hat, mit Goldschnitt     brock vertritt seit dem Jahr 2000 die
                aber auch Juristen zur Recherche in       veredelt und von Hand geschrieben;        deutschen Wirtschaftsarchive im In-
                                                                                                    ternational Council on Archives, wo er
                                                                                                    im engeren Vorstand der Sektion Busi-
                                                                                                    ness Archives tätig ist.

                                                                                                    Benutzer kommen aus aller Welt
                                                                                                    Die Bestände des WWA werden weit
                                                                                                    über Westfalen hinaus von Benutzern
                                                                                                    aus aller Welt nachgefragt – kein Wun-
                                                                                                    der, sind doch darunter so bedeutende
                                                                                                    Unterlagen wie das Archiv der Familie
                                                                                                    und des Handelshauses Harkort, das
                                                                                                    bis ins 17. Jahrhundert zurückreicht
                                                                                                    und eines der bedeutendsten Kauf-
                                                                                                    mannsarchive Europas darstellt. Oder
                                                                                                    die Protokolle der Nürnberger Indust-
                                                                                                    rieprozesse zur Aufklärung der Wirt-
                                                                                                    schaftsverbrechen der Nationalsozia-
                                                                                                    listen. Firmenarchive, Nachlässe, Ver-
                                                                                                    bands- und Vereinsüberlieferungen
                                                                                                    bilden neben den Archiven der Kom-
                                                                                                    munen einen einmaligen Blick aud
                                                                                                    die westfälische Geschichte, die sich
                                                                                                    seit Beginn des Industriezeitalters um
                                                                                                    die Mitte des 19. Jahrhunderts immer
     Das engagierte Team des WWA hilft Besuchern bei allen Fragen rund um die                       mehr um die Wirtschaft dreht. „Die
     Recherche gerne weiter.                                           Foto: IHK/Oliver Schaper    Welt ist ohne Wirtschaft längst nicht

14   Ruhr Wirtschaft Juli / August 2015
mehr zu erklären. Wirtschaft ist die Basis un-                    Volkskunde Westfalen: Münsterland
serer modernen Wohlstandsgesellschaft.“
    Vom Pauperismus, also der massenhaften
Verarmung der Bevölkerung, in den 1840er-
Jahren führt ein direkter Weg zu Ludwig Er-
hards „Wohlstand für alle“ in den 1950er-
Jahren. Diese Entwicklung verlief naturge-
                                                                   A       us Sicht des Ostwestfalen ist Müns-
                                                                           ter ein heißes Pflaster und Lippe ei-
                                                                           ne Region des kulturellen Überflus-
                                                                   ses. „In Ostwestfalen dagegen kann man un-
                                                                   behelligt vor sich hinleben“, sagt Grosche.
mäß nicht immer geradlinig, sondern war                            Er glaubt, die Ostwestfalen seien mit den
von massiven Krisen und natürlich den gro-                         Finnen verwandt. Manchmal werden so-
ßen Kriegen immer wieder unterbrochen.                             gar den Münsterländern die Sprechpausen
„Krisen bedeuteten für die Menschen früher                         in ihren Dialogen zu groß. Dann sagt einer
Hungersnöte durch Missernten oder wüten-                           der beiden sich anschweigenden Münster-
de Epidemien. Heute sind es üblicherweise                          länder: „Dann hör‘ ich‘s ja wohl.“ Meistens
Konjunktur- oder Finanzkrisen, die mittler-                        hört er darauf aber nichts oder allenfalls ei-
weile fester Bestandteil der modernen Wirt-                        ne knappes „hm“ oder ein „hä“. Manchmal
schaftszyklen geworden sind“, erläutert El-                        auch „dä“. Und das kann alles heißen. Kurz-
lerbrock. Würde all dies nicht dokumentiert,                       um: „Der Münsterländer und das Wort, das
so hätten nachfolgende Generationen keine                          ist wie Mann und Frau – es geht nicht“, wie
Chance, die komplexen Geschehnisse zu re-                          der Kabarettist Augustin Upmann sagt. In
konstruieren und aus Fehlern zu lernen.                            der Metropole Münster selbst sind die länd-
    Die wertvollen Unterlagen waren schon                          lichen Sprachbrocken nach städtischer Ma-
1941 von großem Interesse, als der NS-Staat                        nier verfeinert worden, dort hört statt „hä“
die Kammern längst gleichgeschaltet hat-                           das berühmte „Ne“ oder auch „Ja! Ne?“. Die
te und versuchte, auch auf deren Akten zu-                         Kargheit im Wort ist wohl auch der Grund, dass man dem Münsterlän-
zugreifen. Zugleich rückten die Bombenan-                          der nachsagt, er sei nicht besonders wendig. Eher behäbig, an der hei-
griffe der Alliierten immer näher. So dräng-                       mischen Scholle klebend. Dabei ist ihm, verglichen mit manch anderen
ten die Mitglieder der Kammer auf die Grün-                        Westfalen, sogar eine gewisse Lässigkeit vergönnt. Denn für ganz West-
dung des Westfälischen Wirtschaftsarchivs.                         falen gilt: Wer auf Sandböden groß wurde, ist leichtlebiger als der, der
Das war zugleich ein, wenn auch zaghaftes,                         schwere Lehmböden beackern muss.
Aufbäumen gegen die Nationalsozialisten.

Moderne Datenmanager                                              Volkskunde Westfalen: Ostwestfalen
Damit auch wirklich nichts verloren geht,
sorgt heute rund ein Dutzend Mitarbeiter im
WWA dafür, dass die Archivalien sorgsam er-
schlossen und sicher gelagert werden. Ver-
packt in säurefreien Kartons und unter op-
timalen klimatischen Verhältnissen werden
                                                                   W         ie entstand der Kupferdraht? Als
                                                                             sich zwei Lipper gleichzeitig nach
                                                                             einem Pfennig bückten und nicht
                                                                   aufhörten, daran zu ziehen. So geht der
                                                                   Witz, der belegen soll, dass die Lipper die
die wertvollen Archivalien vor dem zeitlichen                      Schotten Westfalens sind. Falsch daran ist
Verfall bewahrt und warten darauf, von Be-                         jedoch, dass die Lipper Westfalen sind: Lip-
suchern, die sich gebührenfrei im Archiv ver-                      per sind einfach nur Lipper und im Grun-
graben dürfen, eingesehen zu werden. Mitt-                         de eine eigene Nation. Bis heute stolz da-
lerweile werden die meisten Geschäftsvor-                          rauf, dass ihr Fürstentum die napoleoni-
gänge elektronisch gesteuert. Der Computer                         schen Wirren überlebt hat. Lipper kann man
hat die Welt erobert. Zu den Archivalien von                       nicht werden, man muss es von Geburt und
heute gehören Power-Point-Präsentationen,                          Abstammung sein. Man erkennt den Lip-
E-Mails, Textdokumente und komplette elek-                         per am „Fürstenthum Lippe“-Aufkleber auf
tronische Dokumentenmanagementsysteme.                             dem Auto und an der lippischen Fahne im
    Diese lassen sich nicht mehr in Kartons                        Vorgarten. Das Größte, was einem Lipper
verstauen. Ellerbrock sieht daher die Tätig-                       in seinem Leben widerfahren kann, ist eine
keit der Archivare im Wandel: „Wir werden                          Einladung beim Prinzen zu Lippe. Da strah-
zu modernen Datenmanagern, denn nach                               len selbst tiefrote lippische Sozis vor Glück-
den jüngsten Vorgaben des Landesarchivge-                          seligkeit. Das Bedürfnis des Ostwestfalen
setzes sollen die ‚native digitals’ in ihren Ent-                  nach Ruhe ist so groß, dass er alle übrigen Westfalen für aufgekratzt
stehungszusammenhängen archiviert wer-                             hält. Speziell den Münsterländer findet der Ostwestfale viel zu grob. Mit
den.“ Der WWA-Direktor und sein Team se-                           dem Lipper hat der Ostwestfale gemeinsam, dass er sich für unterschätzt
hen sich für die digitale Datenflut gut ge-                        hält. Der Ostwestfale sei aber auch ein überaus freundlicher Mensch,
wappnet: „Das WWA hat einen Archivent-                             sagt der ostwestfälische Kabarettist Erwin Grosche: „Er lacht auch mal
wicklungsplan 2020 erarbeitet. Darin enthal-                       ohne Grund; einfach nur so, um jemandem, der einen Witz macht, einen
ten sind auch passgenaue Lösungen für die                          Gefallen zu tun.“ Der Ostwestfale kann auch gut damit leben, dass man
elektronische Archivierung.“                                       über ihn selbst Witze macht.
           Quelle: Festschrift 150 Jahre IHK zu Dortmund, 2013                                    Quelle: Die Welt, Auszug aus „Glückwunsch, Nordrhein-Westfalen“

                                                                                                                                 Ruhr Wirtschaft Juli / August 2015   15
INTERVIEW

     „TTIP ist eine
     einmalige
     Gelegenheit“
     Stephan Steinlein,
     Staatssekretär im Aus-
     wärtigen Amt, äußer-
     te sich gegenüber IHK-
     Geschäftsführer Wulf-
     Christian Ehrich, NRW-
     Federführer Außen-
     wirtschaft, zu den Vor-
     teilen von TTIP für Un-
     ternehmen und der
     Rolle der EU in der
     globalen Wirtschaft.
                                          Herr Staatssekretär Steinlein, der inter-        Leider lässt sich in der TTIP-Debatte mit we-
                                          nationale Handel ist ein Erfolgsfaktor der       nigen plakativen Schlagworten relativ ein-
                                          deutschen Wirtschaft. Knapp jeder zweite         fach Stimmung machen. In der Bevölkerung
                                          Euro unserer Wirtschaftsleistung beruht          vorhandene Fragen und Ängste werden nicht
                                          auf Ausfuhren, jeder vierte Arbeitsplatz         selten in den falschen Zusammenhang ge-
                                          hängt unmittelbar vom Export ab. Trotz-          stellt und mit irreführenden Argumenten ver-
                                          dem gibt es eine aufgeregte, teilweise fak-      stärkt. Zudem sind die Sorgen und der Dis-
                                          tenverzerrende Debatte über das geplante         kussionsbedarf der Öffentlichkeit am Anfang
                                          Freihandelsabkommen TTIP. Können Sie             unterschätzt worden. Die Bundesregierung
                                          sich das erklären?                               arbeitet jetzt noch intensiver daran, TTIP zu
                                          Für unser Land und den Wohlstand in unse-        erklären und auch auf die großen Chancen
                                          rer Gesellschaft sind offene Märkte von ganz     hinzuweisen, die mit dem Abkommen ver-
                                          besonderer Bedeutung. Denn nur unter den         bunden sind. Berechtigte Sorgen nehmen wir
                                          Bedingungen des freien Handels können sich       ernst und greifen sie auf.
                                          unsere auf vielen Feldern bestehende Tech-
                                          nologieführerschaft und unsere innovati-         Aus Sicht der Wirtschaft ist die Sache
                                          ve Kraft voll entfalten. Die Debatte um TTIP     mehrheitlich klar: Die Vollversammlung der
                                          zeigt: Wir müssen das in der Öffentlichkeit      IHK zu Dortmund hat in einer Resolution
                                          noch deutlicher machen. Erfolgreicher Au-        mit großer Mehrheit pro TTIP votiert. Im
                                          ßenhandel ist keine garantierte Konstante,       Außenwirtschaftsreport der IHKs in NRW
                                          auch nicht für ein wirtschaftlich starkes Land   sprechen sich 62 Prozent der Unternehmen
                                          wie Deutschland. Wir müssen immer wieder         für das Abkommen aus. Von den bereits in
                                          die richtigen Weichenstellungen vornehmen,       den USA aktiven Unternehmen sind es so-
                                          damit unsere Wirtschaft weiterhin erfolg-        gar mehr als 80 Prozent. Dennoch wird die
                                          reich sein kann und die Bürger davon profi-      Diskussion hierzulande besonders heftig
                                          tieren. Die transatlantische Handels- und In-    geführt, während das Projekt in anderen
                                          vestitionspartnerschaft mit den USA ist hier-    EU-Staaten und in den USA mehr Akzep-
                                          für ein Schlüsselprojekt.                        tanz genießt. Trügt dieser Eindruck?

16   Ruhr Wirtschaft Juli / August 2015
Stephan Steinlein
                                                                                                    1980-1987: Studium an der
                                                                                                    Theologischen Hochschule
                                                                                                    „Sprachenkonvikt“ in Berlin
                                                                                                    (Ost); 1987-1989: Vikariat;
                                                                                                    1989-1990: Postgraduierten-
                                                                                                    studium an der Fakultät für
                                                                                                    ev. Theologie in Straßburg;
                                                                                                    1990: letzter Botschafter der
                                                                                                    DDR in Paris; 1991-1993: Aus-
                                                                                                    bildungsstätte des Auswär-
                                                                                                    tigen Amts in Bonn; 1993-
                                                                                                    1999: verschiedene Stationen
                                                                                                    als Referent im Auswärtigen
                                                                                                    Amt; 1999-2002: Presserefe-
Das Tauziehen um TTIP geht in die entscheidende Runde. Die Wirtschaft                               rent des Chefs des Bundes-
befürwortet das geplante Freihandelsabkommen der EU mit den USA,                                    kanzleramts, Dr. Frank-Walter
allerdings gibt es auch kritische Stimmen.                  Foto: Thinkstock                       Steinmeier; 2002-2005: Büro-
                                                                                                    leiter des Chefs des Bundes-
                                                                                                    kanzleramts, Dr. Frank-Walter
                                                                                                    Steinmeier; 2005-2009: Leiter
In Deutschland wird in der Tat eine beson-         und Standards wurden durch die EU in vielen      des Leitungsstabes und Leiter
ders intensive Debatte um TTIP geführt. Die        Bereichen sogar angehoben. Und Deutsch-          des Ministerbüros von Bun-
Bürger in vielen anderen EU-Mitgliedsstaa-         land hat vom EU-Binnenmarkt enorm profi-         desaußenminister Dr. Frank-
ten sehen TTIP hingegen als Chance. In Mit-        tiert.                                           Walter Steinmeier; 2009-
gliedsstaaten, die während der Wirtschafts-            TTIP ist für uns eine einmalige Gelegen-     2013: Büroleiter des Vorsit-
und Finanzkrise einen großen Einbruch zu           heit, ein modernes Freihandelsabkommen           zenden der SPD-Bundestags-
verzeichnen hatten, gilt TTIP vielfach als         mit hohen Standards zu entwickeln, gerade        fraktion, Dr. Frank-Walter
Möglichkeit, die Wirtschaft aus der Talsohle       auch für die Bereiche Arbeits-, Verbraucher-     Steinmeier; seit Januar 2014:
zu holen. Wir müssen uns immer wieder vor          und Umweltschutz. TTIP wird, wenn wir es         Staatssekretär des Auswärti-
Augen halten, dass nicht nur Deutschland           richtig machen, globale Strahlkraft und somit    gen Amts.
mit den USA verhandelt, sondern die gesam-         Vorbildwirkung für andere Freihandelsab-
te EU. Wir müssen TTIP stärker als europäi-        kommen entfalten. Für so ein ambitioniertes
sches Projekt begreifen.                           Vorhaben kann ich mir kein besseres Pendant
                                                   als unseren Wertepartner USA vorstellen.
Eine Erfolgsgeschichte dieses europäi-
schen Projekts ist der gemeinsame Bin-             Besonderen Wert legen viele NRW-Unter-
nenmarkt der EU. Wegen der allgemeinen             nehmen auf die gegenseitige Anerkennung
Wertschätzung und der vielen Vorteile des          technischer Normen und Standards sowie
EU-Binnenmarkts ist die TTIP-Kritik schwer         die Abschaffung der Zollbarrieren. Können
nachzuvollziehen. Auch mit den USA ver-            Sie kurz erläutern, welche Vorteile sich
binden uns Europäer viele gemeinsame               damit verbinden?
Werte, dennoch wird derzeit ein gewisser           Die Vorteile einer Zollabsenkung liegen auf
Anti-Amerikanismus deutlich. Woher kom-            der Hand: Den Verbrauchern steht bei nied-
men diese Vorbehalte?                              rigeren Zöllen eine größere und kostengüns-
Die EU ist in der Tat das beste Beispiel für die   tigere Auswahl an Produkten zur Verfügung.       Das Interview führte Wulf-
enormen Wohlfahrtsgewinne, die wir durch           Zwar liegt der durchschnittliche transatlanti-   Christian Ehrich, IHK-
freien Handel erzielen können, ohne dabei          sche Zollsatz nur noch zwischen drei und vier    Geschäftsführer und NRW-
Standards abzusenken. Verbraucherschutz                                                       >     Federführer Außenwirtschaft.

                                                                                                     Ruhr Wirtschaft Juli / August 2015   17
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