Ordens korrespondenz Zeitschrift für Fragen des Ordenslebens - Ordensgemeinschaften in ...

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61. Jahrgang 2020, Sonderheft

                                                                                                   2020 / Sonderheft
                                                                     ordens
                                                                     korrespondenz
                                Zeitschrift für Fragen des Ordenslebens
                                Sonderheft

                                Die Kunst der Suche nach dem
                                Angesicht Gottes
                                Richtlinien für die Ausbildung in den kontemplativen Frauenorden

ordenskorrespondenz
                                Kongregation für die Institute geweihten Lebens und für die
                                Gesellschaften apostolischen Lebens
Kongregation für die Institute geweihten Lebens
    und die Gesellschaften apostolischen Lebens

   Die Kunst der Suche nach
     dem Angesicht Gottes

         Richtlinien für die Ausbildung in den
            kontemplativen Frauenorden

         Dein Angesicht, Herr, will ich suchen. (Ps 27,8)

     Die Suche nach dem Angesicht Gottes durchzieht die Geschichte der
    Menschheit, die seit jeher zu einem Dialog der Liebe mit dem Schöpfer
 berufen ist. Mann und Frau haben in der Tat eine unauslöschliche religiöse
Dimension, die ihr Herz auf die Suche nach dem Absoluten, nach Gott richtet.
  Die Dynamik der Suche zeigt, dass niemand sich selbst genügt. Sie drängt
  dazu, im Lichte des Glaubens einen Exodus aus dem egozentrischen Ich zu
  wagen, angezogen vom Angesicht des heiligen Gottes und gleichzeitig vom
   „heiligen Boden des anderen“, um eine tiefere Gemeinschaft zu erleben.
					                                    (Franziskus, Vultum Dei quaerere, I, 1)

                                                                                   2
Inhalt

        Die Kunst der Suche nach dem Angesicht Gottes

    Kongregation für die Institute geweihten Lebens
    und die Gesellschaften apostolischen Lebens

    Anspruch der Ausbildung				                          7

    Die Person im Ausbildungsprozess			  8
        Lebensnotwendige Entwicklung				8
        Gewissensbildung				8
        Bewusstsein der Jüngerschaft				 9

    Ausbildung für das kontemplative Leben			            11
        Dimensionen der Ausbildung				                   11
    		 Ganzheitliches Menschsein 				                    12
    		 Im Heiligen Geist				                             14
    		 Zusammengerufen in Gemeinschaft				               15
    		 In kultureller Fruchtbarkeit				                  16
    		 In der Würde der Arbeit				                       17
    		 In der Sendung der Kirche gemäß dem Charisma			   17
    		 In ökumenischer Vision				                        18

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ordens
                                                              korrespondenz
                                        Zeitschrift für Fragen des Ordenslebens

                                                       61. Jahrgang 2020, Sonderheft

   Klima und Akteure der Ausbildung				                 19
 Jede einzelne Schwester					19

		 Die Ausbilderin				                                  19
		 Die Höhere Oberin				                                20
		 Die Gemeinschaft				                                 21

 Die Föderationspräsidentin				22

 Mögliche Experten				22

Die ständige Weiterbildung				                           23
 Ratio Formationis				 23
 Ausbildung der Nonnen				 23
		 Die klösterliche Gemeinschaft: Mystik der Begegnung		 24
		 Christus in den Jüngerinnen hervorbringen			          25
		 Multikulturelle Integration 				                      26

 Besondere Zeiten				26
  Ausbildung der Ausbilderinnen				27
  Ausbildung der Oberinnen            			27
  Ausbildung der Ökonominnen				                   28
  Das allgemeine Ausbildungsprojekt				            28
		 Auf persönlicher und gemeinschaftlicher Ebene		 28

                                                                                       4
Das Ausbildungsprojekt der Föderation			                     29

     Für die Ausbilderinnen 					29
    		 Für die Professen mit einfachen oder zeitlichen Gelübden 		   30
    		 Für die Professen mit Feierlichen oder Ewigen Gelübden		      30

     Kulturelle Bereiche				30
    		 Digitale Kultur 				                                          30

    Die Anfangsausbildung				                                        32
        In aktuellen kulturellen Zusammenhängen 			                  32
        Unterscheidung und Bereitschaft, dem Ruf zu folgen 		        33
        Förderung und Begleitung der Berufenen			                    33

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ordens
                                                   korrespondenz
                              Zeitschrift für Fragen des Ordenslebens

                                             61. Jahrgang 2020, Sonderheft

  Ablauf der Ausbildung				                   33
		Kandidatur				                              33
		Postulat				                                34
		 Noviziat 				                              34
		 Nach der zeitlichen Profess				            35
 Ausbildungshäuser in der Föderation 				 35
 Balance und Harmonie 					               35
 Themenbereiche in der Ausbildung				36
		 In Kandidatur und Postulat				         36
		 Im Noviziat				                        37
		 Nach der zeitlichen Profess				            39
  Bildung als Verlangen und Suche				 40
  Maria, summa contemplatrix				 41
  Anhang				42

                                                                             6
Anspruch der Ausbildung

    1. Das in der Stille verwurzelte kontemp-   dazu mahnt, Grenzen und scheinbare
    lative Leben, erste Form von geweihtem      Trennungen zu überwinden. Der Heilige
    Leben in Gemeinschaft in der Kirche,        Vater, der sich der Tatsache bewusst
    lebt in der Suche nach dem Angesicht        ist: „Niemand baut die Zukunft auf,
    Gottes und bezeugt und betrachtet es        indem er sich absondert, noch allein
    im Herzen der Welt. Die Präsenz von         aus eigenen Kräften“4, ruft dazu auf, die
    Gemeinschaften, errichtet wie Städ-         „Krankheit der Selbstbezogenheit“5 zu
    te auf dem Berg und Lichter auf dem         meiden und den Wert der Communio
    Leuchter (vgl. Mt 5,14-15), weist – auch    zwischen den verschiedenen Klöstern
    wenn es noch so bescheiden gelebt           als Weg in die Zukunft zu hüten, um die
    wird – sichtbar auf das Ziel hin, auf das   dauerhaft festgelegten Werte der Auto-
    hin die ganze kirchliche Gemeinschaft       nomie mit den heutigen Anforderungen
    voranschreitet, die „auf den Straßen der    in Einklang zu bringen und so zu ak-
    Zeit vorwärtsgeht, den Blick fest auf die   tualisieren.6 Die beständige Suche nach
    künftige Erneuerung von allem in Chris-     dem Angesicht Gottes auf persönlicher
    tus gerichtet.“1                            und gemeinschaftlicher Ebene macht
    2. Mit der Apostolischen Konstitution       die Communio fruchtbar, die so zum
    Vultum Dei quaerere zeigt Papst Fran-       lebendigen und schöpferischen Klima
    ziskus der ganzen Kirche dieses letzte      für die Ausbildung wird.
    Geheimnis und bestätigt gleichzeitig        4. Die vorliegenden Richtlinien zeigen
    die Erfahrung der kontemplativ leben-       angesichts des genannten Anspruchs
    den Frauen, die ausgerichtet auf den        einfache Koordinaten für die Ausbil-
    Herrn als erste und einzige Liebe (vgl.     dung der Nonnen auf, um die kontem-
    Hos 2,21-25) im Laufe der Jahrhunderte      plativ lebenden Frauen7 zu begleiten
    reiche Früchte der Heiligkeit und großer    auf ihrem Weg als Pilgerinnen auf der
    apostolischer Wirksamkeit gebracht ha-      Suche nach dem wahren Gott, als „be-
    ben.2 Aus diesem zutiefst wertschätzen-     tendes Herz in der Kirche und für die
    den Blickwinkel heraus stellt Franziskus    Kirche“8, als Vorhut der Menschheit und
    die Ausbildung in den Vordergrund als       Gleichnis vom Himmelreich. In diesem
    notwendigen Prozess zum Schutz und          Zusammenhang bietet die vorliegende
    zur Verlebendigung der Berufungswege        Ratio ein Instrument zur Förderung der
    heute.3                                     ganzheitlichen Entwicklung der Per-
    3. Der Anspruch der Ausbildung hat          son durch menschliche und geistliche
    seinen Platz innerhalb eines weiten         Bildung, um die volle Reife in Christus
    Horizonts, der über die Klostermau-         zu erlangen und zu festigen. Es geht
    ern hinausreicht, die Welt umarmt, zu       darum, einen schöpferischen Prozess9
    einem Leben mit Klugheit, Herz und          in Gang zu bringen, der „einen ausrei-
    Erfahrung der Communio aufruft und          chenden Zeitraum“10 erfordert.

7
Die Person im Ausbildungsprozess

                                                                                      Die Kunst der Suche nach dem Angesicht Gottes
Lebensnotwendige Entwicklung
5. Das Kloster ist „eine Schule des Her-   und kümmert sich um ihre Beziehung
rendienstes“. Der Begriff Schule offen-    zum Herrn, zu sich selbst, zu den Mit-
bart die rechte und inspirierende Vision   schwestern, zu den Frauen und Män-
der vorliegenden Richtlinien, indem er     nern unserer Zeit.
den Ausbildungsprozess in ein dauer-       Im Leben der Person, die zu einem
haftes und stabiles Lebensumfeld stellt,   bewussten und für die eigene Existenz
verwurzelt in der Stille, in Bewusstheit   verantwortlichen Subjekt wird, hat
und Treue, ohne versteckte Fluchten.1      das volle Bewusstsein ihrer selbst eine
Dieser niemals endende Bildungspro-        unersetzbare Bedeutung. Nur wenn
zess befindet sich in ständiger Entwick-   sie sich ihrer selbst voll bewusst wird,
lung 2 und führt zum vollkommenen          kann die Person selbst wissen, glauben,
Menschen, zur vollen Größe, die der        lieben und menschlich in Beziehung zur
Fülle Christi entspricht (Eph 4,13). Der   Realität und zur Transzendenz treten.
Ausbildungsprozess kann nicht auf
die Weitergabe von Begriffen und das       Gewissensbildung
Erlernen von Einstellungen und Verhal-
tensweisen reduziert werden, vielmehr      7. Die Form des Gewissens ist keine
weitet er den Blick zu einem ganzheit-     statische oder simple Gegebenheit, da
lichen Horizont und führt zur mensch-      sie sich nach und nach strukturiert und
lichen, christlichen und monastischen      verändert und im Laufe der Zeit sowie
Reife, ohne Gegenüberstellungen oder       in verschiedenen Kontexten entwickelt.
Parallelen.                                Die Entwicklung der Person in ihrem
6. Der Ausbildungsprozess, eine be-        achtsamen, klugen, vernünftigen und
wusste und vitale Dynamik für jeden        verantworteten Umgang sowie ihre
Menschen, bietet jeder kontemplativen      Art, in verschiedenen Situationen zu
Frau die Möglichkeit, menschlich und       leben, ist ein kontinuierlicher Prozess
geistlich zu wachsen. Die durch tägliche   des Aufbaus und der Modifizierung des
Übung lebendig bleibende Bewusstheit       bewussten Lebens.
begleitet das Wachstum im Geist, so        8. Jede kontemplative Ordensfrau ist
dass die Person zum vollen Bewusstsein     das erste Subjekt dieses Ausbildungs-
ihres Wesens fortschreiten kann. Auch      prozesses, der sie zur Selbsterfahrung
wenn sie von einem kontinuierlichen        und zur freien, kreativen und treuen
Fluss von Gedanken, Regungen und           Zusammenarbeit mit den ihrem Lebens-
Gefühlen durchströmt wird, bleibt der      stand eigenen Vermittlungspersonen in
Kern ihrer Identität intakt, denn gemäß    der Ausbildung führt. Wenn die Person
ihrer eigenen Berufung: sucht sie das      im klösterlichen Leben voranschreitet,
Angesicht Gottes, lebt das Evangelium      ist sie zur Vertrautheit mit ihrem eige-                      8
nen Herzen gerufen, um Sehnsucht und       das das vorhergehende übertrifft, und
    Erschütterung entschlossen auf sich zu     setzt dadurch den Weg zum Unendli-
    nehmen. Es ist ein anspruchsvolles und     chen fort“7, wobei sie Christus als „das
    schönes Engagement, das vom Beginn         Gute, das ganze Gute, das höchste Gut“8
    des klösterlichen Weges an präsent ist     annimmt.
    und Überzeugung und Ehrlichkeit wäh-       11. Die kontemplativ lebenden Frauen
    rend des ganzen Lebens erfordert.          nehmen die Herausforderung der Be-
    9. Zu Beginn der Regel empfiehlt der       wusstseinsbildung an, die – wie jeder
    heilige Benedikt, „nichts Hartes und       menschliche Weg – von Natur aus ein
    nichts Schweres festzulegen“, und fügt     langer Weg der Vollkommenheit ist, ge-
    hinzu: „Sollte es jedoch aus wohlüber-     mäß der Identität und den Besonderhei-
    legtem Grund etwas strenger zugehen,       ten, die die Gnade in jedem Menschen
    um Fehler zu bessern und die Liebe zu      fruchtbar macht. Sich zu formen bedeu-
    bewahren, dann lass dich nicht sofort      tet, in irdenen Gefäßen (2 Kor 4,7) das
    von Angst verwirren und fliehe nicht       trinitarische Geheimnis aufzunehmen,
    vom Weg des Heils.“3 Es ist ein Weg der    das in uns wohnt, gemäß dem Aufruf
    ganzheitlichen und integralen Ausbil-      des Apostels: „Seid untereinander so
    dung als kontinuierlicher Prozess der      gesinnt, wie es dem Leben in Christus
    Umkehr, Erleuchtung und Verwand-           Jesus entspricht“ (Phil 2,5).
    lung, in dem das Wirken des Geistes uns
    wahrhaft zu Kindern Gottes macht (1        Bewusstsein der Jüngerschaft
    Joh 3,1) und uns vom Joch der Knecht-
    schaft befreit (Gal 5,1).                  12. Aus dem Prozess der menschlichen
    Ziel ist nicht die Abtötung der Person,    Bildung geht das erste Ziel der Aus-
    sondern die Verwandlung in den, den        bildung der kontemplativ lebenden
    sie betrachtet4 – und somit die Offen-     Frauen hervor: die Identität als Jünge-
    heit für die Kunst, die wahre Hingabe      rinnen Christi in der spezifischen Be-
    zu leben, die die Fähigkeit zum Sich-      rufung im Geist des Evangeliums und
    selbst-Sterben mit sich bringt, um in      des Charismas zu begründen, indem
    der Freiheit der Selbsthingabe zu wach-    alle menschlichen Dimensionen in
    sen, in einer immer größeren Liebe, die    der Einheit des Geistes miteinander in
    das Herz weitet (vgl. Ps 119,32)5 und es   Einklang gebracht werden. Ein solcher
    für das Wirken des Geistes öffnet.6        Weg der Übereinstimmung mit Chris-
    10. Die gelassene und mutige Annahme       tus, bis hin zu einer Assimilierung mit
    der Wandlungen, die zum Leben gehö-        der Gesinnung Christi gegenüber dem
    ren und es manchmal auf unvorherge-        Vater 9 als offener Prozess, erschöpft
    sehene Weise prägen, macht der kon-        sich nicht in der Anfangsphase der
    templativen Frau den Weg, den sie im       Ausbildung, sondern setzt sich in je-
    Geheimnis der empfangenen Berufung         der Lebensphase fort. Dies erfordert
    geht, immer bewusster: „Das Begehren       ein persönliches, der Entwicklungs-
    des Menschen, der sich selbst erhöht,      phase eines jeden Mitglieds angemes-
    endet mit dem, was er kennt, aber durch    senes Projekt, das stets das Abenteuer
    ein größeres Begehren steigt die Seele     des christlichen Menschseins im klös-
9   wieder auf zu einem anderen Begehren,      terlichen Lebenswandel bezeugt.
13. Dieser Weg bringt die spirituelle       ihr doch heute auf seine Stimme hören!

                                                                                        Die Kunst der Suche nach dem Angesicht Gottes
Frau hervor, die die Ratschläge des         Verhärtet euer Herz nicht! (Ps 95,7-8)
Evangeliums in täglichen Entschei-          Ohne bewussten und gelassenen Kon-
dungen im Einklang mit sich selbst als      takt mit der Realität, ohne Fügsamkeit
ihren Lebensstil lebt. Dieses Ziel wird     und demütige Sanftmut des Herzens
durch die „schöpferische Arbeit“10 der      wird kein verlässlicher und dauerhafter
Selbstformung erreicht, indem sie „den-     Gestaltungsprozess eingeleitet.
selben Weg“ geht, „den auch die Jung-       15. Jede authentische Ausbildung ist
frau Maria zurückgelegt hat, die den        daher anspruchsvoll und konseqent,
Pilgerweg des Glaubens gegangen ist         denn sie ist eine Erfahrung der Ganz-
und ihre Verbundenheit mit dem Sohn         heit in der Selbsthingabe der Liebe,
in Treue bewahrt hat“11 bis zum Kreuz.      ausgehend vom Wort Jesu: Die Wahr-
Es handelt sich um einen Lebensprozess,     heit wird euch befreien. (Joh 8,32) Das
in dem nach der Logik der Inkarnation       impliziert, von der Wahrheit über sich
die konkrete, im Alltag gelebte Realität    selbst und über das konkret gelebte
eine spezifische und unbestreitbare         schwesterliche Leben auszugehen. Diese
Rolle spielt. Auf diese Weise nimmt die     Freiheit, die Liebe hervorbringt, erlaubt
Frau allmählich die besondere Identität     uns, den Herrn, Christus in unserem
des klösterlichen Lebens im Geheimnis       Herzen anzubeten und Rechenschaft zu
der Heiligkeit der Kirche an und wird       geben über die Hoffnung, die uns erfüllt
„Zeichen der ausschließlichen Vereini-      (vgl. 1Petr 3,15), und gleichzeitig einen
gung der bräutlichen Kirche mit dem         Beitrag zum schwesterlichen Leben
über alles geliebten Herrn“.12              in Gemeinschaft zu leisten, der Leben
14. Abbas Antonius erinnert an die          hervorbringt.
Notwendigkeit, immer wieder in das          16. Dieser vitale Weg sollte in seiner
tägliche Bewusstsein der Motivationen       eigenen Dynamik durch unser ganzes
für die eigene Wahl einzutreten: Heu-       Leben gehen, in einer bewussten und
te beginne ich neu. Es geht um einen        beständigen persönlichen Offenheit für
fruchtbaren und beständigen Prozess,        die Gnade, beginnend mit der Beru-
der sich dadurch vollzieht, dass man        fungsbegleitung bis hin zur Vorberei-
jeden Tag barfuß den heiligen Boden         tung auf die Begegnung mit dem Gott
der Wirklichkeit betritt (Ex 3,5) und die   des Lebens im erhabenen Augenblick
Verhärtung des Herzens meidet: Würdet       des Todes.

                                                                                         10
Ausbildung für das kontemplative Leben

     Dimensionen der Ausbildung
     17. Auf, wir ziehen hinauf zum Berg           soziale, affektive und sexuelle Formati-
     des HERRN und zum Haus des Gottes             on erleben kann.
     Jakobs. Er unterweise uns in seinen           19. Die Ausbildung im kontemplati-
     Wegen, auf seinen Pfaden wollen wir           ven Leben erfordert, dass die Person
     gehen. (Jes 2,3). Achtsamkeit, Bemühen,       begleitet wird, damit Denken, Lieben
     Wille, Gedanken, Zuneigungen, Gefüh-          und Handeln nach dem Geist zu einer
     le, alles, was in mir ist, komme: „Auf,       Lebensnorm wird, die sich in einem zu-
     wir ziehen hinauf zum Berg des HERRN,         tiefst menschlichen Lebenswandel nach
     zu dem Ort, wo der Herr uns anschaut          dem Evangelium manifestiert.7 In der
     und angeschaut wird“.1 Ist auch der Ruf       Begleitung muss immer von der kon-
     zur Kontemplation, zum Hinaufziehen           kreten Realität einer jeden Schwester
     zum Berg des Herrn, die eigentliche           ausgegangen werden.
     Berufung der Kirche und jede Art von          20. Bei der Ausübung der Begleitung
     Tätigkeit ihr zugeordnet und unterge-         soll neben den Schwestern in der An-
     ordnet2, so erhält dieser eine besondere      fangsausbildung den Schwestern in
     Bedeutung und einen permanenten               den ersten Jahren nach der Feierlichen
     Akzent für die klösterlichen Gemein-          Profess und den Schwestern in Schwie-
     schaften, betende Gemeinschaften, die         rigkeiten besondere Aufmerksamkeit
     sich ganz der Kontemplation widmen,           geschenkt werden, wobei auf die Zu-
     gemäß dem jeder Ordensfamilie eigenen         sammenarbeit von geistlicher und psy-
     Charisma.                                     chologischer Begleitung zurückgegrif-
     18. Das klösterliche kontemplative Le-        fen werden kann, wenn es als sinnvoll
     ben, sequela pressius Christi3, ist radikal   oder notwendig erachtet wird.
     auf die „nie endende Suche nach Gott“4        21. Die Begleitung erfordert ein Klima
     ausgerichtet. Dieses Mysterium des Le-        des Vertrauens und der Vertrautheit, da-
     bens erfordert einen kontinuierlichen         mit diejenige, die begleitet, als „Mutter“
     Prozess der Integration und Vereini-          die begleitete Schwester „lieben und
     gung und erfordert eigene formative           nähren“ kann8, indem sie sich immer
     Dimensionen.5 Das bedeutet, dass die          als zuhörende Begleiterin auf dem Weg
     Mittel geschaffen werden müssen, um           zeigt, die die begleitete Schwester in
     alles in der Person auf harmonische           ihrer eigenen Realität annimmt und in
     und ausgewogene Weise zu integrieren,         ihr die positiven Haltungen fördert, die
     gemäß der Vision einer gesunden und           sie hat.
     rechtmäßigen theologischen Anthropo-          22. In diesem Klima wird die Begleitete
     logie6, damit sie ohne Spaltung die in-       in der Lage sein, ihr Herz der erfahre-
     tellektuelle und emotionale, individuelle     neren Schwester oder dem Bruder zu
11   und gemeinschaftliche, persönliche und        öffnen, die der Herr ihr zur Seite stellt,
um den von ihr begangenen Weg der           in ihrer Beziehung zur Außenwelt. Es

                                                                                       Die Kunst der Suche nach dem Angesicht Gottes
Nachfolge Christi und die Freude an der     gibt kein Wachstum in der Ausbildung,
Berufung zu teilen und gleichzeitig der     wenn es kein Leben gibt, das die Beru-
begleitenden Person vertrauensvoll ihre     fung übersetzt, d.h. das Gottes Projekt
„Not [zu] offenbaren“.9                     für die Person verwirklicht.
23. Die begleitende Person muss sich        26. Der Weg der Selbsterkenntnis ist
bewusst sein, dass ihr Dienst eine Hilfe    besonders kostbar bei der Gestaltung
beim Wachsen zur menschlichen Reife         des asketischen Engagements, eines
und zur Reife der Berufung ist; sie soll    wesentlichen Elementes des kontempla-
das personale Geheimnis der Schwester       tiven Lebens, Frucht und „erforderliche
sensibel respektieren; sie muss geistlich   Antwort auf die erste und einzige Lie-
und pädagogisch angemessen vorbe-           be“.11 Dies hilft dem Menschsein jeder
reitet sein, um diese Aufgabe erfüllen      kontemplativen Person, in seiner gan-
zu können; sie muss die Erfahrung ge-       zen Fülle zu gedeihen, und beugt der
macht haben, selbst begleitet worden zu     Gefahr einer Einengung in eine unreife
sein; vor allem soll sie mit ihrem Leben    und egozentrische oder frömmlerische
ihre freudige Zugehörigkeit zu Gott in      und überholte Form der Askese vor. Der
einem besonderen Charisma vermitteln.       erste Schritt ist zweifellos anthropolo-
24. Die begleitete Schwester muss ih-       gischer Natur und verlangt von jedem
rerseits bedenken, dass die Begleitung      Menschen, sich selbst als historisches
ein Weg der Entäußerung und Wieder-         Wesen zu akzeptieren und seine eigenen
herstellung ist und als solcher durch das   Grenzen und Wunden anzunehmen.
Bewusstsein ihrer eigenen Schwäche          27. Wie alle Personen des geweihten
und Zerbrechlichkeit führen muss. Die       Lebens braucht die kontemplative Frau
Entdeckung ihrer selbst als Wesen, das      begleitende Personen, die sie auf dem
der Erlösung, der Vergebung und des         Weg der Versöhnung mit sich selbst
Lichts bedarf, bildet den Ausgangs-         unterstützen, wobei sie „sehr auf die
punkt eines authentischen Ausbil-           menschliche und affektive Reife achten
dungsprozesses.                             müssen“.12 In diesem Zusammenhang ist
                                            es von grundlegender Bedeutung, dass
Ganzheitliches Menschsein                   die Schwester in der Ausbildung sich
25. Um ihrem Wesen gerecht zu wer-          ihrer eigenen Leiblichkeit, Weiblichkeit
den, muss die Ausbildung die Person         und Affektivität bewusst wird, sei es in
in ihrer authentischen Menschlichkeit       einer anfänglichen oder in einer reife-
erreichen und sie zur Erkenntnis der        ren Weise, und sie diese immer auf die
Wahrheit über sich selbst, über ihre        Option der Berufung ausrichtet.
Gaben und über ihre Grenzen führen.         28. Da das Menschsein der Person in
Auf diese Weise wird ihr geholfen, jene     der Beziehung geformt wird, muss die
innere Freiheit zu erlangen, die eine       Ausbildung in der Praxis besonders auf
Voraussetzung dafür ist, ihre Weihe         die drei Ebenen der Beziehung achten:
konsequent und aufrichtig, mit Gelas-
senheit und Freude, mit Großzügigkeit       • Beziehung zu sich selbst:
und Nächstenliebe zu leben,10 sowohl          - Förderung einer erneuten Lesung
innerhalb der Gemeinschaft als auch             der eigenen Geschichte und Ver-         12
söhnung mit der Vergangenheit,           - Erlernen einer konstruktiv-kriti-
         die sie zu einer freien Person             schen Einstellung, die auf einer im
         macht und sie auch weiterhin in            Glauben gründenden Logik beruht;
         aktuellen Ereignissen Gottes Wir-        - Entwicklung der Kommunikati-
         ken in ihr entdecken lässt;                onsfähigkeit, Harmonisierung von
       - Erlangung eines immer stabileren           Wort und Schweigen und ange-
         Gleichgewichts durch Beachtung             messener Umgang mit Konflikten;
         der Rhythmen des täglichen Le-           - Sensibilität für Formen der Armut
         bens, indem sie die beständige             und Ausgrenzung in der heutigen
         Gegenwart Gottes, der „alles neu           Welt und Solidarität mit ihnen
         macht“ (Offb 21,5), in den kleinen         durch die Betrachtung der Option
         und großen Ereignissen des Alltags         Jesu für die Armen, indem wir un-
         erkennt;                                   ser persönliches Beten und Gesten
       - Erlangung einer angemessenen               der Nächstenliebe einbringen, wie
         Wertschätzung und Fürsorge ge-             sie der Heilige Geist anregt.
         genüber sich selbst, gegenüber der
         eigenen Innerlichkeit und dem ei-     • Beziehung zur Schöpfung:
         genen Körper, indem sie in der Op-       - Erlernen eines nüchternen und
         tion ihrer Berufung die Ressourcen         respektvollen Umgangs mit den
         ihrer eigenen Weiblichkeit mit sich        Dingen, wodurch die konsumori-
         in Einklag bringt und vereinigt;           entierte Mentalität des Verbrau-
       - Vollständige Überwindung jeder             chens und Wegwerfens überwun-
         Form von Abhängigkeit, sowohl              den wird;
         von den sozialen Kommunikati-            - Lernen, in der Natur Motive zur
         onsmedien als auch vom bisheri-            Betrachtung und zum Lobpreis zu
         gen Lebensstil, durch Aneignung            finden, in eine gesunde Beziehung
         des Lebensstils der eigenen Ge-            zu ihr als Quelle des leib-seelischen
         meinschaft.                                Gleichgewichts zu treten, wobei
                                                    die Schönheit der Schöpfung als
     • Beziehung zu Mitschwestern und               Gottes Werk wiederentdeckt und
       anderen:                                     sie in jedem Augenblick respektiert
       - Geschmack finden an einem                  wird;
         geschwisterlichen Leben in Ge-           - Arbeit als Gnade erfahren, die jede
         meinschaft, das nach dem eigenen           der Schwestern in das Geheimnis
         Charisma gelebt wird, und ein              der Teilhabe am schöpferischen
         Zugehörigkeitsgefühl zu diesem             Werk Gottes einführt und sie an
         entwickeln und festigen;                   der Mühsal der Armen Anteil ha-
       - Hochherzigkeit [Gratuität] und             ben lässt.
         Selbsthingabe in Beziehungen le-      29. Die Selbsterkenntnis, ausgerichtet
         ben, die Mitschwestern als Gottes     auf die „aufrichtige Hingabe seiner
         Geschenk annehmen;                    selbst“ 13 und des eigenen Lebens im
       - Kultivierung der grundlegenden        Verhalten wie in den Absichten, 14
         menschlichen Qualitäten für ein       wächst in der Logik der Communio15,
13       Leben in Beziehung;                   wird im täglichen Leben verwirklicht,
im Zusammenhang eines Klosters, wo           Leben in der persönlichen Begleitung

                                                                                         Die Kunst der Suche nach dem Angesicht Gottes
die konkrete Realität und die evange-        durch die Verantwortlichen und den
liumsgemäße Qualität der Beziehungen         herzlichen Dialog mit der Person, die
Quelle der Fruchtbarkeit sind.16 In diese    als Autorität dient, ersetzen.
Menschlichkeit ist das Bewusstsein der
eigenen Taufe eingesenkt. Mit ihr ist        Im Heiligen Geist
jeder Gläubige in das Geheimnis Christi      32. Die klösterliche Ausbildung ist in
eingetaucht, in eine erneuerte Dynamik       ihrem Ursprung und ihrem Zweck ein
der Bekehrung, Frucht der Offenheit für      im Wesentlichen theologisches Werk,
das Wirken des Geistes.                      das im Heiligen Geist verwurzelt ist. Sie
30. Das Kloster, das seit jeher als „Werk-   zeigt einen Weg hin zur Gemeinschaft
statt“17 für das praktische Lernen in der    mit dem einen und dreieinigen Gott
Reinheit des Herzens und des Lebens,         und ruft gleichzeitig zum vorrangigen
als „Schule des Herrendienstes“18 und        Dienst des Lobpreises Gottes auf, der in
als Schule der Nächstenliebe bezeichnet      Fülle gelebt wird.22
wurde, wird zu einem Ort der ständigen       33. Opus Dei und Eucharistie sind Quel-
Ausbildung, der Bekehrung und der            le und Höhepunkt des Lebens der Kirche
Askese.19 Die innere Reifung geschieht       und des kontemplativen Lebens.23 Die
durch den inneren Kampf (vgl. Eph            Liturgie hat „die Eigenschaft, gleich-
6,10-20), die Übung der Unterscheidung       zeitig menschlich und göttlich zu sein,
(vgl. Phil 2,5-11; 1 Kor 2,15; 12,10), die   sichtbar und mit unsichtbaren Elemen-
Erfahrung des Kreuzes und die Aneig-         ten ausgestattet, der Handlung und der
nung der Weisheit des Ostergeheimnis-        Kontemplation gewidmet, in der Welt
ses.20                                       präsent und doch pilgernd; und das al-
31. Das Wesen der monastischen Weihe         les, damit in ihr das Menschliche geord-
beinhaltet die beständige Suche und das      net und dem Göttlichen untergeordnet
kontinuierliche Wachstum, um jede Art        wird, das Sichtbare dem Unsichtbaren,
von spiritueller Sklerose zu vermeiden.      die Handlung der Kontemplation und
In diesem ganzen Prozess muss dem            die Gegenwart der künftigen Stadt,
harmonischen Wachstum zwischen               die wir suchen.24 Die tägliche Liturgie
der spirituellen und der menschlichen        muss mit besonderer Aufmerksamkeit
Dimension besondere Aufmerksamkeit           vorbereitet und gefeiert werden, wobei
geschenkt werden, was „die Aufmerk-          der Gefahr bloßer Gewohnheit und Ein-
samkeit auf die spezifische Anthropolo-      tönigkeit vorzubeugen ist.25
gie der verschiedenen Kulturen und die       34. „Die kontemplativen Männer und
Empfänglichkeit der heutigen Generati-       Frauen erinnern uns mit ihrem Leben
onen ganz besonders in Bezug auf neue        des Gebets, des Hörens und der Be-
Lebenskontexte lenkt“.21 In der Dynamik      trachtung des Wortes Gottes daran, dass
der Ausbildung kann es angebracht            der Mensch nicht nur von Brot lebt,
sein, bei wirklichem Bedarf auf die Hilfe    sondern von jedem Wort, das aus Gottes
von Experten der Humanwissenschaf-           Mund kommt (vgl. Mt 4,4).“26 Die beten-
ten zurückzugreifen. Diese Erfahrungen       de Lesung des Wortes erneuert ständig
sollten nicht die spezifische Ausein-        die Begegnung mit Gott.27 Die Nonnen
andersetzung mit dem klösterlichen           müssen sich durch eine angemessene           14
biblische Bildung auf die Lectio Divina      göttlichen Gegenwart bewohnt wird
     vorbereiten. In ihrer täglichen Praxis28     (vgl. Hos 2,16-17), sie geht eine ein-
     schärfen sie ihre Fähigkeit zum Ver-         zigartige und unmittelbare Beziehung
     ständnis und zur Vertiefung der Schrift      mit dem Herrn Jesus ein, in der sie
     (vgl. Lk 24,27).                             den Sinn und die Freude ihrer eigenen
     Die Schrift wird zu einer Quelle der         Weihe findet.31
     Erkenntnis des Geheimnisses Christi          Der ganze Prozess wird in der Einsam-
     und des Geheimnisses des Menschen.           keit und Stille gestärkt.32 „Der innere
     Die Aussage vom heiligen Hierony-            Weg verlangt nach der Askese der Zeit
     mus, die vom Zweiten Vatikanischen           und des Leibes; er bittet um die Ruhe als
     Konzil aufgegriffen wurde, behält ihre       Dimension, in der er verweilen kann; er
     ganze Kraft: „Die Heilige Schrift nicht      erfleht die Einsamkeit als wesentlichen
     zu kennen bedeutet, Christus nicht zu        Moment der persönlichen Reinigung
     kennen“.29                                   und Integration; er ruft zum verborge-
     35. Die Lectio Divina ist nicht eine         nen Gebet, um dem Herrn zu begegnen,
     Form des persönlichen Gebetes unter          der im Verborgenen wohnt, und das
     vielen, vielmehr ist sie die conditio sine   Herz zur inneren Kammer in uns zu
     qua non des kontemplativen Lebens:           machen (vgl. Mt 6,6), dem persönlichen
     „Schenke vor allem der Lectio der gött-      und unantastbaren Ort der Anbetung
     lichen Schriften deine Aufmerksamkeit;       (vgl. 1Petr 3,15): Mein Geliebter komme
     widme dich ihr mit Beharrlichkeit. Wid-      in seinen Garten und esse von den köst-
     me dich der Lectio mit der Absicht, Gott     lichen Früchten. (Hld 4,16)“33
     zu glauben und ihm zu gefallen. Wenn         37. Stille und Einsamkeit, Orte der
     du während der Lectio vor einer ver-         Begegnung mit Gott als Frucht einer
     schlossenen Tür stehst, klopfe an, und       menschlichen Askese, wandeln sich in
     jener Türhüter wird sie für dich öffnen,     eine prophetische Verkündigung. Die
     von dem Jesus sagte: ‚Diesem öffnet der      Zeiten größerer Einsamkeit und des
     Türhüter‘. Auf diese Weise suche in der      Rückzugs aus dem alltäglichen Rhyth-
     Lectio Divina mit Loyalität und uner-        mus dienen dazu, den Grund und die
     schütterlichem Vertrauen auf Gott den        Freude des kontemplativen Lebens zu
     Sinn der göttlichen Schriften, der vielen    erneuern und seine prophetische Kraft
     verborgen bleibt. Doch gib dich nicht        zu festigen sowie einen Weg der Inner-
     mit Anklopfen und Suchen zufrieden:          lichkeit einzuschlagen, der zur Kontem-
     Um die Dinge Gottes zu verstehen, ist        plation von Gottes Angesicht führt.
     die Oratio absolut notwendig. Der Erlö-
     ser ermutigte uns dazu und sagte nicht       Zusammengerufen in Gemeinschaft
     nur: ‚Sucht, und ihr werdet finden‘ und      38. „So fühlte sich die Ordensgemein-
     ‚Klopft an, und es wird euch aufgetan‘,      schaft in Kontinuität mit jener Schar,
     sondern fügte hinzu: ‚Bittet, und es         die dem Herrn folgte. Er hatte sie
     wird euch gegeben werden‘.“30                einzeln beim Namen gerufen, damit
     36. Im persönlichen Gebet lernt jede         sie in Gemeinschaft mit ihm und den
     Nonne, mit dem Herrn zu sein (vgl. Mk        anderen Jüngern lebten, damit sie sein
     3,13; Ps 37), sie verkostet die Gnade        Leben und sein Schicksal teilten (vgl.
15   der Stille und Einsamkeit, die von der       Mk 3,13-15), um dadurch Zeichen für
jenes Leben und jene Gemeinschaft zu         derliche Leben in Gemeinschaft muss in

                                                                                         Die Kunst der Suche nach dem Angesicht Gottes
werden, die er begründet hat.“34             einem Kloster lebendiges Zeichen des
So ist die Erfahrung des Lebens der          Geheimnisses der Kirche sein: je größer
Schwestern im Kloster ein Ort der            das Geheimnis der Gnade, um so reicher
Formung durch den Geist, ein privile-        die Früchte des Heiles.“38
gierter Raum für die Gemeinschaft mit        40. Es ist eine unverzichtbare Notwen-
Christus, ein Ausdruck der Kirche: „Die      digkeit, Gemeinschaften zu bilden, die
ersten Mönchsgemeinschaften betrach-         nicht nur das Dach, die Liturgie und die
teten die Gemeinschaft der Jünger, die       Arbeit, sondern auch die Lebensgemein-
Jesus folgten, und die Gemeinschaft          schaft miteinander teilen: die Erfahrung
von Jerusalem als ein Idealbild des          authentischer Menschlichkeit, das Le-
Lebens. Dem Beispiel der jungen Kirche       ben des Glaubens und des Gebetes, das
folgend, haben die Mönche sich in der        Leben des Evangeliums, vorbildliche
Einheit des Herzens und des Geistes          Solidarität (vgl. Mt 5,43-48; Joh 13,34),
um einen geistlichen Führer, den Abt,        geschwisterliche Hilfe bis hin zu den
geschart, um eine radikale Gemein-           extremen Konsequenzen der Diakonie
schaft der materiellen und geistlichen       der Liebe (vgl. Joh 15,13), persönliche
Güter und die von Christus gegründete        und tiefgehende Kommunikation, be-
Einheit zu verwirklichen. Sie findet ihr     reichernden Dialog, freundschaftliche
Urbild und ihre einheitstiftende Kraft       Beziehungen; ein gemeinsames Projekt,
im Leben der Einheit unter den Perso-        das das Teilen von Entscheidungen, die
nen der Allerheiligsten Dreifaltigkeit.“35   Bewertung der Wegstrecken und liebe-
39. Der Reichtum der schwesterlichen         volle Korrekturen erfordert, um sicher-
Beziehungen „in einer Atmosphäre des         zustellen, dass die Mittel immer dem
Schweigens […] unter dem Schutz des          gemeinsam angestrebten Ziel dienen.
täglichen Klausurlebens“36, begleitet die    Diese einladende Form des Teilens ist,
Nonne in ihrer Berufung als Schwester        je nach dem eigenen Ordenscharisma,
für alle in Christus, mit der Zärtlich-      offen für die Gastfreundschaft und für
keit „Jesu, unserer Mutter“37, nach der      den Dienst an den Armen.
Intuition von Juliana von Norwich.           Um das Gesagte zu erreichen, ist es not-
„Besonders bedeutsam ist das Zeugnis         wendig, vom gemeinsamen Leben zur
der kontemplativen Ordensleute. Für          Lebensgemeinschaft, von der bloßen
sie bezeichnet das brüderliche Leben         Gemeinschaft zum geschwisterlichen
viel weitere und tiefere Dimensionen,        Leben in Gemeinschaft überzugehen.
die von den Grundbedürfnissen einer
solchen speziellen Berufung herrühen,        In kultureller Fruchtbarkeit
d.h. von der ausschließlichen Suche          41. Die Kultur, ein Wert, der in der
nach Gott in Schweigen und Gebet. Ihre       monastischen Tradition immer gepflegt
beständige Bereitschaft für Gott macht       wurde, wird zu einem notwendigen
ihre Bereitschaft für die übrigen Mit-       bildenden Faktor für die menschliche
glieder der Gemeinschaft empfindsamer        Dimension und für das geistliche und
und feinfühliger, und die Kontempla-         schwesterliche Leben.39 Eine der vier
tion wird zu einer Kraft, die von jeder      Säulen, auf die sich die Ausbildung
Form des Egoismus frei macht. Das brü-       stützen muss, ist nach dem Verständnis       16
von Papst Franziskus „das Studienle-        am Leben des Klosters, wie auch als
     ben“40. Denn, so rief er in Erinnerung,     Verpflichtung und Mitwirkung an der
     „die Gnade setzt die Kultur voraus, und     Arbeit, die die Gemeinschaft für ihren
     die Gabe Gottes nimmt Gestalt an in der     eigenen Lebensunterhalt verrichtet. Auf
     Kultur dessen, der sie empfängt.“41         diese Weise wächst jede der Schwestern
     Jede Gemeinschaft sollte eine angemes-      im Geist des Dienens und reift in der
     sene Zeit für die Lesung und für persön-    Mitverantwortung.46
     liche Studien einplanen, mit Hilfe einer    44. Die Arbeit trägt auch dazu bei, die
     „laufend ergänzten Bibliothek“ 42 und       verschiedenen Aspekte des Lebens aus-
     der Dokumentation, die über das Com-        zubalancieren. Sie ist ein Instrument
     putersystem zugänglich ist. Sie kann        der Solidarität mit allen Menschen,
     je nach Bedarf die Hilfe von Personen       insbesondere den Armen, und erinnert
     außerhalb der Gemeinschaft43, Experten      an die Worte des heiligen Benedikt:
     und Schwestern aus anderen Klöstern,        „Sie sind dann wirklich Mönche, wenn
     in Anspruch nehmen.                         sie […] von ihrer Hände Arbeit leben.“47
     42. Die Ausbildung sollte eine solide       Sinn für das Evangelium, Kompetenz,
     und ausgewogene Information bein-           treuer Einsatz und innere Freiheit seien
     halten, die den Blick öffnet für die        in der rechten Sicht und Betrachtung
     gesamte Menschheit, insbesondere für        der Arbeit präsent, damit sie nicht zu
     diejenigen, die leiden. Die kontempla-      einer Versuchung zum Besitz und zur
     tive Frau ist aufgerufen, ihren Platz in    einzigen Anerkennung der persönli-
     der Geschichte einzunehmen, indem sie       chen Identität wird. Sie soll vielmehr
     eine innere Vision kultiviert. Man kann     „mit Treue und Hingabe“ ausgeführt
     auf die Presse und die digitalen Kom-       werden, ohne „den Geist des heiligen
     munikationsmittel zurückgreifen, mit        Gebetes und der Hingabe auszulöschen,
     „kluger Unterscheidung [..] im Hinblick     dem alle übrigen zeitlichen Dinge die-
     darauf, dass sie der Ausbildung für das     nen müssen“48, wie der Poverello von
     kontemplative Leben […] dienen“44 und       Assisi sagt.
     nicht von dem verborgenen Leben mit
     Christus in Gott ablenken (vgl. Kol 3,3).   In der Sendung der Kirche gemäß
     Information reicht nicht aus, es ist not-   dem Charisma
     wendig, die Geschichte entsprechend         45. Die Treue zum Geist, der jedes Cha-
     der Klugheit des Herzens zu lesen; so       risma fruchtbar macht,49 sichert den be-
     werden „Freude und Hoffnung, Trauer         sonderen Dienst des kontemplativen Le-
     und Angst“45 aller mit der Weisheit, die    bens in der Kirche und in der Welt und
     von oben kommt, mitfühlend aufge-           bestätigt es als „ein ausdrucksvolles Zei-
     nommen.                                     chen von Gemeinschaft, ein einladender
                                                 Aufenthaltsort für diejenigen, die Gott
     In der Würde der Arbeit                     und die Welt des Geistes suchen; sie
     43. In der Ausbildung für das kontem-       sind Glaubensschulen und wahre Werk-
     plative Leben sollte der Erziehung zur      stätten für Studium, Dialog und Kultur
     praktischen und intellektuellen Arbeit      zum Aufbau des kirchlichen Lebens und
     besondere Aufmerksamkeit geschenkt          auch, in Erwartung der himmlischen
17   werden, sowohl als täglichem Dienst         Stadt, zum Aufbau der irdischen.“50
46. Die Treue zum Charisma erfordert       wendigen und fruchtbaren Prozess: die

                                                                                       Die Kunst der Suche nach dem Angesicht Gottes
eine fortwährende Bildung in der ge-       in der Gemeinschaft vorhandene Le-
sunden Ekklesiologie der Communio,         benserfahrung wertschätzen und ihre
die das Zweite Vatikanische Konzil         Formen und Praktiken interpretieren,
wünscht. Die Vertiefung der eige-          um sie in die Sprache und Symbolik
nen charismatischen Tradition muss         der jüngeren Generationen zu über-
im Kontext des Sentire cum Ecclesia        setzen.
gesehen und interpretiert werden, in       49. Jedes Kloster entwickelt dank
Einklang mit dem Sensus fidelium und       seiner eigenen Autonomie eine his-
in einer klugen Unterscheidung der Zei-    torische und spirituelle Besonderheit,
chen der Zeit. Diese Bildung wird durch    die mit den Kontexten, in denen es
das Studium des kirchlichen Lehramtes      gegründet wurde, zusammenhängt. Es
und der formativen und juristischen        ist wichtig, dafür zu sorgen, dass die
Literatur erreicht, die vom Orden, dem     Geschichte und ihre spezifische Beru-
man angehört, oder von der monasti-        fung eingehend vertieft werden, damit
schen Föderation erstellt wird.            das Wissen darüber erhalten bleibt,
47. Ausgehend von dieser kirchlichen       wobei allerdings darauf zu achten ist,
Vision wird sich jeder Bereich der         keine Archäologie daraus zu machen.53
Ausbildung an der ursprünglichen
Inspiration des je eigenen Instituts       In ökumenischer Vision
orientieren.51 Der Ausbildungsprozess      50. Die Kirche lädt das monastische
muss den Menschen auf dem Weg der          Leben ein, eine besondere Sensibilität
Reifung seiner eigenen vitalen Synthe-     für die Ökumene als formative Vision
se des Charismas begleiten, damit er       unter dem Zeichen der Wiederverei-
in aufrichtiger Unterscheidung dessen      nigung, der kirchlichen Gemeinschaft
Geist zusammen mit der klösterlichen       und des Mitgefühls zu pflegen: „In
Gemeinschaft lebt, gemäß der Kirche        besonderer Weise vertraue ich die
und Welt von heute.                        geistliche Ökumene des Gebets, der
Zu diesem Zweck muss in der Beglei-        Umkehr des Herzens und der Liebe den
tung der Berufung, angefangen bei der      Klöstern des beschaulichen Lebens an.
Anfangsausbildung, ein aufrichtiges        Zu diesem Zweck ermutige ich sie,
Empfinden der kirchlichen Zugehö-          dort präsent zu sein, wo christliche
rigkeit gepflegt werden: „Der Weg des      Gemeinschaften verschiedener Kon-
geweihten Lebens“ ist „der Weg der         fessionen leben, damit ihre Ganzhin-
Eingliederung in die Kirche. […] Es geht   gabe an das einzig Notwendige (vgl.
um eine Eingliederung in die Kirche        Lk 10,42), an die Verehrung Gottes
mit den Kategorien der Kirche, mit dem     und an die Fürbitte um das Heil der
geistlichen Leben der Kirche. […] Nichts   Welt, zusammen mit ihrem Zeugnis
anderes“.52                                des Lebens nach dem Evangelium ent-
48. Das charismatische Erbe lebt eine      sprechend ihren Charismen, für alle
doppelte Dynamik: die treue Weiterga-      ein Ansporn sei, nach dem Abbild der
be durch die älteren Nonnen und die        Dreifaltigkeit in jener Einheit zu leben,
positive Aufnahme durch die jüngeren       die Jesus gewollt und für alle seine
Nonnen. Es handelt sich um einen not-      Jünger vom Vater erfleht hat.“54             18
Klima und Akteure der
     Ausbildung
     51. Glaubensgehorsam, Lectio Divina,         Jede einzelne Schwester
     intellektuelle Arbeit und Studium,           55. Jede Schwester in der Anfangsaus-
     Liturgie, Askese, Gemeinschaftsleben         bildung oder in der ständigen Weiter-
     und ernsthafte Arbeit, verwurzelt in         bildung nimmt unter dem Wirken des
     fruchtbarer Stille, erzeugen und nähren      Geistes als erste Verantwortliche für ihre
     ein Klima der Ausbildung, in dem die         eigene Ausbildung mit großem Verant-
     spirituelle Kunst der Suche nach dem         wortungsbewusstsein die Aufgabe an, die
     Angesicht Gottes gelernt wird.55             ihr als Protagonistin des beständigen, das
     Lebenssamen, die in der Liebe zur            ganze Leben umfassenden Wachstums-
     Kontemplation der WAHRHEIT keimen            und Bekehrungsprojektes entspricht.59
     können, werden ausgestreut.                  56. Auf diesem Weg sollte jede Schwes-
     Diese innerhalb der Klostermauern und        ter bereit sein, sich begleiten zu lassen
     scheinbar außerhalb der Welt gelebte         von den vermittelnden Personen, die
     Erfahrung wird zu einem Ort, an dem          der Herr ihr durch die Gemeinschaft zur
     das prophetische Wort geteilt wird:          Verfügung stellt, und ihre Freuden, Hoff-
     „Ihr seid die Stimme der Kirche, die         nungen und Sorgen mit ihnen zu teilen.
     unermüdlich Lob und Dank wie auch            Auf diese Weise zeigt sie eine große Be-
     flehentliche Fürbitte für die gesamte        reitschaft, sich formen zu lassen, um sich
     Menschheit zu Gott erhebt.“56                selbst zu entdecken, sich vom „Ego“ zu
     52. Akteure der ständigen Ausbil-            befreien und eine neue Frau zu werden,
     dung und der Anfangsausbildung für           im Herzen frei.
     das monastische Leben sind: jede der
     Schwestern, die Gemeinschaft, die            Die Ausbilderin
     Höhere Oberin des Klosters, die Ausbil-      57. Die Schwestern, denen eine beson-
     derinnen, die Föderationspräsidentin,        dere Verantwortung für die Ausbildung
     mögliche Experten.57                         anvertraut wurde, übernehmen diese
     53. Alle sind aufgerufen, in ihrem ei-       Aufgabe in einem Geist des freudigen
     genen Kompetenzbereich zu handeln,           Dienstes an den Mitschwestern. Sie
     im Geiste einer klugen und umfassen-         sollten die Freude an ihrer kontempla-
     den Zusammenarbeit – im Einklang             tiven Berufung zum Ausdruck bringen
     mit der Lehre des Magisteriums, unter        und die Verantwortung für ihre eigene
     Berücksichtigung der zeitgenössischen        Ausbildung wahrnehmen.
     Kulturen und der spezifischen Berufung       58. Die Ausbilderinnen sollten in der
     zum kontemplativen Leben – damit der         durch das Gebet gewachsenen Gotteser-
     klösterliche Corpus einen kontinuierli-      kenntnis erfahren sein, einer Weisheit,
     chen und fruchtbaren Bildungsprozess         die ihren Ursprung im aufmerksamen
     durchlaufen kann.                            und fortwährenden Hören auf das Wort
     54. Alle sollten außerdem hinsichtlich der   Gottes hat, und eine große Liebe zu den
     Kandidatinnen besonders auf die Unter-       spirituellen Wirklichkeiten ihres spezifi-
     scheidung achten, „dass sie in psychischer   schen Charismas haben, damit sie ande-
19   und affektiver Hinsicht gesund sind“.58      re auf diesem Weg begleiten können.60
59. Die Formationsleiterinnen sollten          heit, Gelassenheit, Geduld, Verständ-

                                                                                        Die Kunst der Suche nach dem Angesicht Gottes
sich darüber im Klaren sein, dass sie nur      nis und ein Geist der Freude sowie
Mittlerinnen sind zwischen Gott, dem           authentische Zuneigung für die ihr
einzigen Formator, und den Schwes-             anvertrauten Schwestern.64
tern in Formation, Erstverantwortliche      61. Die Anforderungen an eine Ausbil-
für ihre eigene Ausbildung, indem sie       derin erfordern sorgfältige Unterschei-
jede Art von Abhängigkeit verhindern        dung bei ihrer Auswahl und besondere
und den Schwestern in der Ausbildung        Aufmerksamkeit für ihre Ausbildung:
helfen, sich selbst mit ihren Möglich-      „Dabei ist stets zu berücksichtigen, dass
keiten und Grenzen kennen zu lernen,        Ausbildung nicht improvisiert werden
den Schritt von der Aufrichtigkeit zur      kann, sondern weit im Voraus kontinu-
Wahrheit zu tun und ihre Schwierig-         ierlich vorbereitet werden muss. Ohne
keiten angemessen zu lösen. Bei diesem      eine solide Ausbildung der Ausbilder
Dienst sollte die Ausbilderin daran         ist keine wirklich Erfolg versprechen-
denken, dass es ihre Aufgabe ist, [der      de Begleitung der jüngeren Mitglieder
jungen Frau] „bis dorthin [zu] helfen,      durch Brüder und Schwestern mög-
wo ihre Schmerzgrenze erreicht ist“. 61     lich.“65
Es geht darum, „die jungen Menschen         62. Die Ausbilderinnen müssen Zeit
auszubilden, ohne ihre Grenzen zu ver-      zur Verfügung haben, um ihrem Dienst
letzen“.62                                  höchste Priorität zu geben. Andere
60. Neben der Transparenz und Stim-         Aktivitäten müssen mit ihrer Haupt-
migkeit ihres eigenen Lebens sollten die    aufgabe vereinbar sein. Darüber hinaus
Ausbilderinnen, da sie eine besondere       sollte immer bedacht werden, dass
Rolle bei der Begleitung der Kandi-         das persönliche Gespräch, „das als
datinnen und bei der Unterscheidung         Gewohnheit von unersetzlicher und
der Echtheit der Berufung Gottes zum        erprobter Wirksamkeit“66 das wichtigste
kontemplativen Leben spielen und die        Instrument innerhalb der Dynamik der
Aufgabe haben, den ihnen anvertrauten       personalisierten Ausbildung ist und auf
Menschen „die Schönheit der Nachfolge       gegenseitigem Vertrauen beruht.
des Herrn und den Wert des Charismas,       63. Für die Ausbilderin bedeutet dies:
in dem sie sich konkretisiert“63, zu ver-   Vertrauen durch geduldiges und wert-
mitteln, vor allem folgende Haltungen       freies Zuhören gewinnen, ausreichend
einnehmen:                                  Zeit für die Begegnung, Häufigkeit der
• Fähigkeit zum Zuhören, zum Dialog         Gespräche, Fähigkeit, Spannungen der
   und zur Hingabe an andere;               anderen Person auf sich zu nehmen,
• gelassene und objektive Selbster-         Aufrichtigkeit und Demut beim Interpre-
   kenntnis, Wissen um die eigenen          tieren dessen, was die Mitschwester ge-
   Grenzen und Möglichkeiten;               rade erlebt, Vertraulichkeit im Umgang
• emotionale Stabilität, Frustrationsto-    mit dem anvertrauten Gesprächsinhalt
   leranz und eine gewisse Souveränität     und Stimmigkeit im persönlichen Leben.
   im Ausdrücken von Empfindungen
   und Überzeugungen;                       Die Höhere Oberin
• menschliche Qualitäten wie Unter-         64. Die Höhere Oberin, Äbtissin, Priorin
   scheidungsvermögen, Ausgeglichen-        oder Präsidentin einer monastischen          20
Kongregation muss, während sie sich         helfen, ganzheitlich zu wachsen und
     um ihre eigene Ausbildung kümmert,          immer christusähnlicher zu werden,
     mit großer Verantwortung ihre Rolle         mehr auf das Beispiel als auf Worte ver-
     als Ausbilderin der ihr anvertrauten        trauen. Sie mögen immer daran denken,
     Schwestern übernehmen.                      dass der Herr gekommen ist, um zu die-
     Daher soll sie                              nen und nicht, um bedient zu werden
     • auf die menschlichen und spirituel-       (vgl. Mt 20,28).69 Da das Evangelium
        len Bedürfnisse derer achten, denen      anspruchsvoll ist, wird auch sie im We-
        sie dient;                               sentlichen anspruchsvoll sein müssen,
     • über menschliche Qualitäten der Un-       aber gleichzeitig Verständnis für die ihr
        terscheidung, Ausgeglichenheit und       anvertrauten Schwestern aufbringen,
        Respekt vor den Gaben, die der Herr      ohne durch Verwundungen bedingte
        jeder der Schwestern gibt, verfügen;     Grenzen zu verletzen.70
     • mit allen Schwestern Beziehungen
        der Nähe, des Vertrauens, der Freiheit   Die Gemeinschaft
        und der Verantwortung leben und          66. Die Nonne lernt, eine kontempla-
        aufbauen; sie wertschätzen und ihre      tive Schwester zu sein und zu werden
        Liebe zu ihnen in einfachen mensch-      innerhalb der Gemeinschaft und durch
        lichen Gesten zeigen;                    die tägliche Teilnahme am Leben einer
     • eine Haltung des Dialogs als authen-      konkreten Gemeinschaft und Schwes-
        tisches und tiefes Glaubensbekennt-      ternschaft. Die Gemeinschaft ist der Ort,
        nis pflegen. In diesem Klima die         an dem der Geist der Gründer voll und
        Verwirklichung des gemeinsamen           ganz lebendig wird. Die Gemeinschaft
        Lebensprojekts unter Beteiligung al-     ist der Ort, an dem das Charisma und
        ler Nonnen fördern;67                    der Geist konkret gelebt und greifbar
     • eine Gemeinschaft aufbauen, die ein       werden. Die Gemeinschaft ist der phy-
        authentischer privilegierter Raum für    sische und theologische Raum, in dem
        die ständige Weiterbildung und für       „die Einweihung in die Mühe und in die
        die Anfangsausbildung sei; eine Ge-      Freude des Zusammenlebens“71 erfolgt.
        meinschaft, in der Gehorsam zu Zu-       „Hier ist die gesamte Gemeinschaft
        sammenarbeit, Armut zu Solidarität       zur Mitwirkung und entsprechenden
        und Keuschheit zu einem Weg wird,        harmonischen Präsenz aufgefordert“72,
        das Herz für die Empfänglichkeit und     mit klarer Unterscheidung und zugleich
        universelle Geschwisterlichkeit zu       gegenseitiger Ergänzung in den ver-
        öffnen; eine Gemeinschaft, in der das    schiedenen Funktionen.
        Gebet gepflegt und das, was jede in      67. Die Teilnahme der gesamten Ge-
        sich trägt, etwa Gefühle, die Unter-     meinschaft an der Ausbildung, sowohl
        stützung brauchen, mitgetragen           an der lebenslangen als auch an der
        wird; eine Gemeinschaft, in der die      anfänglichen, setzt voraus, dass jedes
        Mystik der Begegnung, die Mystik         Kloster mit Freude seine formative Sen-
        des gemeinsamen Lebens 68 gelebt         dung wahrnimmt und die notwendigen
        wird.                                    Bedingungen schafft, um sie wirklich
     65. Die Oberinnen sollten bei der Erfül-    zu gewährleisten:
21   lung der Aufgabe, den Schwestern zu         • Qualität des geschwisterlichen Le-
bens, die durch ein Klima des Ver-         und Offenheit gegenüber den Armen

                                                                                        Die Kunst der Suche nach dem Angesicht Gottes
    trauens, des Dialogs und der Freund-       und Marginalisierten, in Harmonie
    lichkeit gekennzeichnet ist, das das       mit der eigenen Wahl des kontempla-
    liturgische und persönliche Gebet,         tiven Lebens.
    das Hören des Wortes Gottes, das
    Studium und die Arbeit fördert;          Die Föderationspräsidentin
•   allgemeine Kohärenz zwischen ex-         68. Die Föderationspräsidentin soll
    pliziten und impliziten erzieheri-       mit ihrem Rat und in enger Zusam-
    schen Botschaften und der Realität       menarbeit mit den Höheren Oberinnen
    des geweihten Lebens;                    die Ausbildung auf Föderationsebene
•   Manifestation der Schönheit eines        fördern und koordinieren; sie soll Fort-
    kontemplativen Lebens, das ganz          bildungsaktivitäten für die Höheren
    dem Herrn geweiht ist;                   Oberinnen und die Ausbilderinnen der
•   Fähigkeit zur Provokation, die dazu      Föderation voranbringen.73
    aufgerufen ist, weiter hinauszuge-       69. Die Föderationpräsidentin erstellt
    hen;                                     mit ihrem Rat die Ratio Formationis
•   Bereitschaft, gemeinsam zu wachsen       der Föderation, im Einklang mit dieser
    und eine prägende Beziehung unter        Ratio, und gewährleistet eine ganz-
    den Mitgliedern zu pflegen, insbe-       heitliche, organische, graduelle und
    sondere mit den Kandidatinnen in         sinnvolle Ausbildung der Schwestern
    der Ausbildung;                          der Föderation.74 Um in Kraft zu treten,
•   Verantwortungsbewusstsein der            muss diese Ratio von der Föderations-
    Schwestern, die der Gemeinschaft         versammlung genehmigt werden.
    angehören, gegenüber der Gemein-
    schaft;                                  Mögliche Experten
•   Projekt des geschwisterlichen Le-        70. In der individuellen Begleitung
    bens, Frucht der gemeinsamen Un-         kann bei Bedarf auf die Hilfe der psy-
    terscheidung, die die Vielfalt als       chopädagogischen Wissenschaften
    Reichtum, die Zusammenarbeit zwi-        zurückgegriffen werden. Sie können
    schen Jung und Alt, das Verständnis      sowohl bei der Strukturierung einer
    für diejenigen, die Fehler gemacht       ausgewogenen Entwicklung der Per-
    und noch nicht gelernt haben, res-       sönlichkeit als auch in bestimmten
    pektiert und wertschätzt;                heiklen Lebensphasen helfen. Es sollte
•   Bereitschaft, sich Konflikten zu stel-   jedoch bedacht werden, dass der Dienst
    len und gemeinsam nach einer Lö-         der Begleitung weder das Werk Got-
    sung zu suchen, gegebenenfalls un-       tes ersetzt, der der erste und einzige
    ter Einsatz von Experten, so dass die    Formator und Begleiter ist, noch den
    Gemeinschaft der privilegierte Ort       Einsatz derer, die begleitet wird und in
    für eine beständige Bekehrung ist;       erster Linie für ihre eigene Ausbildung
•   Aufmerksamkeit für die Geschichte        verantwortlich ist.

                                                                                         22
Die ständige Weiterbildung

     Ratio Formationis
     71. Wie bereits mehrfach betont wur-          geistlicher und pädagogischer Weisheit
     de, ist die Ausbildung ein Prozess, für       reiche Methode vorzuschlagen, die den,
     den jede Person in erster Linie selbst        der sich Gott zu weihen wünscht, nach
     verantwortlich ist.1 So lautet das Wort       und nach dahin führt, die selbstlose
     des Apostels: Darum rufe ich dir ins          Gesinnung Christi, des Herrn, anzuneh-
     Gedächtnis: Entfache die Gnade Gottes         men.“2
     wieder (2 Tim 1,6). Dieser notwendige         73. Die Ratio Formationis muss eine
     Prozess wird insbesondere im Codex            formative Empfehlung für Frauen sein,
     des Kanonischen Rechtes interpretiert,        die zur Nachfolge Christi im kontempla-
     wenn es dort heißt: „In den einzelnen         tiven Leben berufen sind: „Vom Beginn
     Instituten ist nach der ersten Profess        der Sendung Christi an zeigt die Frau
     die Ausbildung aller Mitglieder zu            ihm und seinem Geheimnis gegenüber
     vervollkommnen, damit sie das dem In-         eine besondere Empfänglichkeit, die ei-
     stitut eigene Leben erfüllter führen und      nem Wesensmerkmal ihrer Fraulichkeit
     dessen Sendung geeigneter ausführen           entspricht.“3 Diese besondere Haltung
     können.“ (can. 659).                          der Frau ist „ein Zeichen für Gottes
     72. Die Ausarbeitung der eigenen Ra-          Zärtlichkeit gegenüber dem Menschen-
     tio Formationis ist ein Weg, den nicht        geschlecht und ein besonderes Zeugnis
     wenige Föderationen noch beschreiten          des Geheimnisses der Kirche, die Jung-
     müssen. „Die Ratio antwortet heute            frau, Braut und Mutter ist.“4
     auf eine echte Notwendigkeit: sie zeigt       74. Um einen wirklichen Ausbildungs-
     einerseits auf, wie der Geist des Ins-        weg zu gewährleisten, wird die Ratio
     tituts vermittelt werden soll, damit er       auf Föderationsebene ausgearbeitet und
     von den jungen Generationen in der            in allen Klöstern als erstes und unver-
     Unterschiedlichkeit der Kulturen und          zichtbares Projekt angewandt.5
     der geographischen Lagen unverfälscht
     gelebt werde; andererseits erläutert sie      Die Ausbildung der Nonnen
     den Personen des geweihten Lebens die
     Wege, um den gleichen Geist in den            75. Ziel des geweihten Lebens ist die
     verschiedenen Lebensphasen im Fort-           Gleichgestaltung mit dem Herrn Jesus
     schreiten auf die volle Reife des Glau-       und seiner totalen Hingabe. Aus die-
     bens an Christus hin zu leben.                sem Grund eröffnet und begleitet die
     Wenn es also zutrifft, dass die Erneue-       Ausbildung diesen Weg der fortschrei-
     rung des geweihten Lebens hauptsäch-          tenden Assimilation mit der selbstlosen
     lich von der Ausbildung abhängt, so ist       Gesinnung Christi gegenüber dem Vater.
     es ebenfalls richtig, dass diese ihrerseits   Die Methode der Ausbildung muss „das
23   an die Fähigkeit gebunden ist, eine an        Merkmal der Ganzheit annehmen und
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