SAMMLUNGEN IM KOLONIALEN KONTEXT - SLUB: Qucosa

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SAMMLUNGEN IM KOLONIALEN KONTEXT - SLUB: Qucosa
MITTEILUNGSBLATT DES LEIPZIGER MISSIONSWERKES
der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens und der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland

2/21                         weltweit

                    SAMMLUNGEN IM KOLONIALEN KONTEXT
                    In etlichen Völkerkundemuseen finden sich Objekte, die von Missionaren während der
                    Zeit des Kolonialismus nach Deutschland geschickt wurden. Auch im Leipziger Missi-
                    onshaus gibt es eine kleine ethnologische Sammlung. Die Herkunft der Gegenstände
                    ist selten nachweisbar. Wie soll man heute mit diesen Objekten umgehen?

                    TANSANIA NACH DEM TOD DES PRÄSIDENTEN
                    Die versöhnlichen Signale der neuen tansanischen Präsidentin Samia Suluhu Hassan
                    an die Opposition und die Medien lassen auf eine gute Entwicklung des Landes hoffen.

                    MITGLIEDERVERSAMMLUNG DES FREUNDESKREISES
                    Der Freundes- und Förderkreis des Leipziger Missionswerkes e.V. (FFK) lädt am 17. Juli
                    2021 zur Mitgliederversammlung ins Leipziger Missionshaus ein.
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EDITORIAL & INHALT

    Liebe Leserinnen
                                                                  Inhalt
    und Leser,
    „spannend“: Das ist für mich                                   2 Editorial
    die Beschreibung, die mir in                                  3 James Stephen
    den Sinn kommt. Spannend                                      		Meditation
    sind die thematischen Ver-
    tiefungen, denen wir unter                                     4 Miriam Hamburger
    unserem Jahresthema „glaub-                                      Objekte, die mehr erzählen, als man sieht
    würdig? Mission postkolonial“                                 		 Restitution als Anfang, nicht als Ende
    folgen.                                                       		 der gemeinsamen Geschichte
    „Spannend“: Das sind auch die Reaktionen, die wir zu           8 Statements
    unseren Veranstaltungen erhalten. Von „Endlich!“ über         		 Es geht um mehr als eine bloße Rückgabe
    „Bleibt sowieso alles irrelevant …“ bis hin zu „Nun zer-      		 Von der Chance, Wunden zu heilen, und der
    stört Ihr auch noch die Reste der Mission“ ist alles dabei.      Gefahr eines Affronts
    Die einen fürchten – so scheint’s – nicht nur, dass durch
    unser Jahresthema der Rückhalt für das Missionswerk           10	Ravinder Salooja
    schwindet, sondern auch, dass wir die Einsatzbereit-          		Zeugnisse der Identität und Geschichte
    schaft der Vorfahren und das Gute, das entstanden ist,        		 Kinderbriefe an die Dresdner Mission sind
    entwerten wollen. Die anderen nehme ich so wahr, dass         		 nun australisches Weltkulturerbe
    sie von Kirche und erst recht von einem Missionswerk          12 Fürbitte konkret
    zum Thema der Verwicklung in den Kolonialismus nichts
    mehr erwarten, weil wir für sie zu wenig selbstkritisch, zu   14 	Interview
    parteilich, zu wenig konstruktiv sind. „Spannend“ ist das     		Die Sammlungen sind das Gedächtnis
    auch insofern, als wir im Missionswerk unter uns durch-       		 des Hauses
    aus verschiedene Positionen innerhalb der thematischen        		 Zu den historischen Beständen des Leipziger
    Entfaltung unseres Jahresthemas einnehmen.                        Missionswerkes
    „Spannend“: „Mission“ bedeutet in einem weltweiten            16	Isabelle Reimann
    Konsens heute „Zeugnis geben von Gott, der das Leben          		 Schlüssel zur eigenen Geschichte
    in Fülle für alle will“. Es geht also um lebensorientier-     		 Das Leipziger Missionsarchiv als Quelle zur
    tes Denken und Handeln. In diesem Sinne habe ich die             Provenienzforschung
    „Klagezeit“ in Leipzig von Januar bis April 2021 als eine
    äußerst missionarische Initiative verstanden: In einer Zeit   18 Daniel Keiling
    verschlossener Räume und schweigender Stimmen hat             		Einzige Chefin einer Regierung in Afrika
    die Kirche jede Woche freitags ihren Raum geöffnet dafür,     		 Tansanias neue Präsidentin Samia Suluhu
    dass Klage laut werden konnte. Diese Möglichkeit, die            Hassan setzt positive Zeichen
    Stimme laut werden zu lassen, habe ich als lebensorien-       20 Nachrichten
    tiertes Handeln der Kirche verstanden, Mission also im
    besten Sinne und ganz im Dienste des Nächsten, unab-          21 Nachrufe
    hängig von der religiösen Zugehörigkeit der Teilnehmen-       22 Geburtstage, Impressum
    den und davon, sie für Christus oder die Kirche gewinnen
    zu wollen.                                                    23 Termine
    „Spannend“: Wir freuen uns auf Ihre Zuschriften und           24 Vierteljahresprojekt
    Antworten auf unsere Impulse. Wir möchten beitragen zu
    einer Welt ohne Benachteiligung und Hass. Wohin wird
    unsere gemeinsame thematische Reise gehen?                    Zum Titelbild: Das Bild zeigt Figuren aus Tansania
    Ihr                                                           im Magazin des Leipziger Missionswerkes. Im Hin-
                                                                  tergrund ist eine Maske zu sehen. Die Objekte un-
                                                                  bekannter Herkunft stammen mit großer Sicherheit
                                                                  nicht aus der Kolonialzeit, sondern kamen weitge-
    Ravinder Salooja, Direktor des Leipziger Missionswerkes       hend nach dem zweiten Weltkrieg nach Leipzig.

2   KIRCHE weltweit 2/2021
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MEDITATION

Meditation
Von James Stephen, Süd-Nord-Freiwilliger des LMW aus Chennai, Indien

                      Gott ist nicht ferne von einem jeden unter uns.
                         Denn in ihm leben, weben und sind wir.
                             Monatsspruch Juli 2021: Apostelgeschichte 17, 27

In der Antike wurde die griechische Stadt Athen         Entwicklung der Medizin
von einer Seuche geplagt. Verschiedene Ideen wur-       hat den Weg zur globalen
den umgesetzt, um sie zu beenden. Ein Philosoph         Ernüchterung geebnet, die
namens Epimenides schlug vor, Schafe sich in der        sie vor der Erkenntnis Got-
Stadt verstreuen zu lassen. Dort, wo sie sich nieder-   tes blind macht. Das Leben
legten, sollten sie auf dem Altar des „Unbekannten      der Menschen hat unheilbare
Gottes“ geopfert werden, wenn es keinen Schrein         Wendungen genommen. Die
oder Tempel in der Nähe gäbe. So geschah es. Die        Kranken leiden unter der Iso-
Intensität der Pest habe nach diesem Opfer in Athen     lation. Die Angehörigen an
nachgelassen, so wird berichtet.                        das tödliche Virus zu verlieren
600 Jahre später besuchte Apostel Paulus Athen. Die     und sie ein letztes Mal nicht
Stadt war voll mit Idolen und der Götzendienst gän-     sehen zu können, ist zu einem
gige Praxis. Dann sieht er den Altar, der an den un-    häufigen Trauma geworden.
bekannten Gott gerichtet ist. Die Athener beließen      Obwohl der Tod unvermeid-
die Inschrift sicherheitshalber über die Jahrhunder-    lich ist, hat die Angst vor ihm alle Macht, das Geld und
te, um nicht zu versäumen, auch den wahren Gott         den Ruhm verschlungen. Die Unsicherheit ist zu ei-
anzubeten. Athen war bekannt als Ort des Wissens,       nem untrennbaren Bestandteil des Lebens geworden.
der Philosophie und des radikalen Denkens. Dieser       So viele Menschen sind Opfer dieses „unbekannten
Vorfall hilft Paulus zu verstehen, dass die Menschen    Virus“ geworden, das ihre Lieben gekostet hat.
in Athen die Kenntnis Gottes brauchen, unabhängig       Es ist Zeit, dass der „unbekannte Gott“ bekannt ge-
von ihrem Wissen und ihrer Weisheit. Der Apostel        macht wird. Gott ist nicht ferne von einem jeden un-
Paulus verstand, dass die Athener tatsächlich auf der   ter uns. Er wirkt eindeutig im Leben der Menschen
Suche nach dem wahren Gott waren. Paulus nutzt          und Er hofft, dass sie ihn erreichen und finden. Er
diese Gelegenheit, um diesen „unbekannten Gott“         ist uns nahe –   ­ unabhängig von unserer Situation.
vorzustellen, den sie verehren, und bezieht sich        Wenn wir nur umkehrten und uns an Gott wenden
dabei auf Epimenides. „Was du also als unbekannt        und ihm erlauben würden, in unserer Ungleichheit
verehrst, das verkünde ich dir“ (Apostelgeschichte      und Zerbrochenheit zu wirken!
17, 23). Paulus verkündet Jesus Christus der Stadt      Er hat die Kontrolle und ist eng mit jeder Situation
Athen und erklärt das Werk Jesu Christi am Kreuz.       unseres Lebens verbunden. Es ist notwendig, dass
Dieser Vorfall aus der Apostelgeschichte lenkt unse-    wir ihm trotz des Chaos vertrauen. Er verdient unser
re Aufmerksamkeit auf die globale Corona-Pande-         Vertrauen. Wir erkennen oft nicht, dass wir auch auf
mie, die Millionen von Menschenleben gekostet hat.      der Suche nach Gott sind. Wenn Sie den Herrn nicht
Menschen waren schon immer auf der Suche nach           kennen oder sich nicht sicher sind, ob Sie dies tun,
mehr. Je mehr sie finden, desto mehr suchen sie! Sie    suchen Sie ihn, solange er gefunden werden kann.
streben nach Glück und dem Unerreichbaren. Der          Dies ist die Suche nach dem „unbekannten Glück“,
Besitz von Macht, Geld und Ruhm erweist sich in         dem „unbekannten Frieden“, der „unbekannten Lie-
der Pandemie jedoch als zwecklos.                       be“ und dem UNBEKANNTEN GOTT, der sich
Die Menschheit hat nicht erkannt, dass Gott in der      durch Jesus Christus BEKANNT gemacht hat.
Lage ist, ihnen bei all dem Aufruhr zu helfen. Die        Übersetzung aus dem Englischen: Antje Lanzendorf

                                                                                     KIRCHE weltweit 2/2021        3
SAMMLUNGEN IM KOLONIALEN KONTEXT - SLUB: Qucosa
RESTITUTION

    Objekte, die mehr erzählen, als man sieht
    Restitution als Anfang, nicht als Ende der gemeinsamen Geschichte
    Ethnologische Sammlungen sehen sich vermehrt mit dem Vorwurf der Raubkunst konfrontiert. Das Leipziger Grassi-
    Museum versucht seit vielen Jahren, sensibel mit Rückgabeanträgen umzugehen. Nicht nur Kunstwerke stehen zur
    Debatte, sondern auch einfache Objekte mit komplizierter Geschichte, die ihren Gemeinschaften viel bedeuten.
    Von Miriam Hamburger, Provenienzforscherin, GRASSI Museum für Völkerkunde zu Leipzig

    Im Jahr 1839 schickten Missionare der Lutherischen                           die 1897 im heutigen Nigeria geplündert und ver-
    Missionsgesellschaft Dresden Objekte von ihren Pos-                          kauft wurden und aus heutiger Sicht unrechtmä-
    ten in Adelaide, Australien, nach Dresden. Vier die-                         ßig erworben wurden. Es gibt auch Fälle, in denen
    ser Objekte – zwei Keulen, ein Netz und ein Speer                            Objekte in gutem Glauben gehandelt, gekauft und
    – waren Alltagsgegenstände, die den Missionaren                              verkauft wurden. Diese Fälle sind kompliziert und
                                                                                 sensibel zu behandeln, weil sie häufig emotional auf-
                                                                                 geladen sind. Sie erfordern eine historische Aufar-
                                                                                 beitung nicht nur auf politischer, sondern auch auf
                                                                                 persönlicher Ebene.
                                                                                 Derzeit vollzieht sich in diesem Kontext ein großes
                                                                                 Umdenken für Museumssammlungen. Zukünfti-
                                                                                 ge Entscheidungen über Exponate werden von den
                                                                                 Geschichten abhängen, die sie erzählen können. Die
                                                                                 Kaurna-Objekte stehen für eine dieser Geschichten.

                                                                                   Produkte für die naturforschenden Freunde
                                                                                 Archivrecherchen zu diesen vier Objekten zeigen,
                                                                                 dass sie 1840 in die Sammlung des Historischen
                                                                                 Museums Dresden integriert wurden. Vieles bleibt
                                                                                 unklar darüber, wie sie erworben und nach Dresden
                                                                                 gebracht wurden. Diese Suche nach Akten, Fakten
    2011 konnten Dr. Alitya Rigney (l.) und Verna Koolmatrie (2.v.l.) erstmals
                                                                                 und die Rückverfolgung des Weges in die heutigen
    die Artefakte ansehen, die 1839 von Australien nach Sachsen kamen.
                                                                                 Sammlungen wird Provenienzforschung genannt.
                                                                                 Forscherinnen und Forscher können Archivmate-
    Beispiele für das Leben und die Kultur der Aborigine-                        rial wie Inventarbücher oder Tagebucheinträge von
    Gesellschaft der Kaurna zeigten. Heute sind solche                           Sammler*innen nutzen, um mehr über den Erwerb
    Gegenstände in ethnographischen Museen in Euro-                              von Objekten herauszufinden. Mündliche Überlie-
    pa relativ häufig zu sehen. Sie sind nicht sonderlich                        ferungen (Oral History) und das kollektive Gedächt-
    spektakulär oder kostbar. Warum also ist den Kaurna                          nis sind ebenfalls ein Schlüssel, um diese Geschich-
    wichtig, dass die Keulen, der Speer und das Netz in                          ten zu enträtseln. Die Provenienzforschung fragt:
    das Land der Kaurna zurückgegeben werden?                                    Wer hat dieses Objekt hergestellt und benutzt? Auf
                                                                                 welchen Wegen und unter welchen Umständen ist
                                                                                 es gereist? Und wer hat es bei der Weitergabe in den
      Wiedergutmachung von historischem Unrecht
                                                                                 Händen gehabt?
    Restitution oder De-akzession im Kontext ethnogra-                           Die Ergebnisse der Provenienzforschung zu den ge-
    phischer Museen bedeutet die Rückgabe identitäts-                            nannten vier Objekten führten auf die deutschen
    stiftender, kultureller oder sakraler Gegenstände an                         Missionare Clamor Wilhelm Schürmann und Chris-
    die Gemeinschaften, in denen sie entstanden sind.                            tian Gottlob Teichelmann zurück. Ihre Entscheidung,
    Sie wird beispielsweise praktiziert, um historisches                         Objekte an ein Museum in Deutschland zu schicken,
    Unrecht beim Erwerb dieser Dinge anzuerkennen.                               ist eingebettet in den Kontext der englischen Koloni-
    Heiß diskutiert werden derzeit die Benin-Bronzen,                            alzeit in Australien.

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PROVENIENZFORSCHUNG

Mehr und mehr entscheiden sich Museen für eine de- rische Rechtmäßigkeit oder Moral des Platzes je-
koloniale Methodik in der Provenienzforschung, bei des einzelnen Objekts in der Sammlung – und die
der Machthierarchien der Kolonialzeit neu bewertet Sammlungen als Ganzes – beginnen. Und die Dis-
werden und die Ethik des Objekterwerbs berücksich- kussion ist individuell: Jede Sammlung und jedes
tigt wird. Restitutionen stehen in der Regel erst am Objekt erzählt seine eigene Geschichte.
Ende einer umfassenden gemeinsamen Provenienz- Aber die Provenienzforschung ist manchmal wie
forschung. Aber nicht alle Provenienzforschungspro- ein Puzzle, bei dem nicht alle Teile verfügbar sind
jekte führen zu einer Restitution. Egal mit welchem – durch Kriegsverluste, fehlendes Archivmaterial
Ausgang, die Ergebnisse                                                          oder Handlungen, die
gehören in die Dokumen-               Die Provenienzforschung fragt:             nicht dokumentiert wur-
tation der Objekte.                                                              den. Die genauen Details
Schürmann und Teichel-              Wer hat dieses Objekt hergestellt            des Erwerbs dieser vier
mann bekamen den Auf-               und benutzt? Auf welchen Wegen               Kaurna-Objekte sind un-
trag (publiziert in Acta            und unter welchen Umständen ist              klar und werden es wohl
Historico-Ecclesiastica Se-        es gereist? Und wer hat es bei der            leider bleiben. Was jedoch
culi XIX, 1837) „das Mis-                                                        klar ist, ist das Wissen, das
sionswerk in Europa da-           Weitergabe in den Händen gehabt?               diese Objekte den Kaurna
durch zu fördern, dass Sie,                                                      heute vermitteln können.
ohne bedeutenden Kostenaufwand, von den Produk- Durch die koloniale Gesetzgebung und Entführung
ten Süd-Australiens für die naturforschenden Freun- der Aborigine-Kinder wurde Menschen wie den
de unserer Gesellschaft einige Exemplare übersenden Kaurna oft verboten, traditionelle Objekte herzustel-
[...] Liebesdienst zur Beförderung der Wissenschaft“. len und zu benutzen, was die Weitergabe von Wissen
Die Mission, bei der Schürmann und Teichelmann extrem einschränkte. Dadurch gibt es nur wenige his-
gearbeitet haben, und ihre Biographien sind bereits torische Beispiele für die eigene materielle Kultur bei
erforscht. Die beiden Männer haben zum Beispiel die den Kaurna selbst. Diese koloniale Vergangenheit ist
erste Dokumentation der Kaurna-Sprache erstellt, ein wichtiger Faktor bei der Betrachtung einer Resti-
einschließlich grammatikalischer Strukturen. Die tution nicht nur für diese Objekte, sondern für viele
vier Objekte wurden 1839, ein Jahr nach der Ankunft Objekte, die in dieser Zeit erworben wurden.
der Missionare in Adelaide, gesammelt und 1840 Die Restitution eines Objekts erfolgt nicht nur ma-
dem Historischen Museum Dresden geschenkt. 1877 teriell, also physisch, sondern auch immateriell. Sie
wurden sie an das Zoologische und Anthropologisch- steht für die Weiter- beziehungsweise Rückgabe von
Ethnographische Museum (heute Museum für Völ- Informationen. Diese immaterielle Restitution kann
kerkunde Dresden) übergeben.                          die Geschichte eines Objekts wiederherstellen und
                                                      helfen, Lücken zu füllen, wenn Dinge und/oder Wis-
                                                      sen verloren gegangen sind. Die Kaurna-Objekte
  Jedes Objekt erzählt seine eigene Geschichte.
                                                      sind wichtige historische Zeugnisse. Sie verbinden
In den letzten Jahren ist die Provenienzforschung die Kaurna heute mit ihren Vorfahren und ihrer Ge-
dynamisch gewachsen. 2018 richtete das Deutsche schichte. Sie sind identitätsstiftend. Darüber hinaus
Zentrum für Kulturgutverluste einen Forschungs- ermöglichen die Keulen, das Netz und der Speer,
und Förderbereich zu Kultur- und Sammlungsgut dass diese Art von Objekten wieder angefertigt
aus kolonialen Kontexten ein, der Projekte auf frei- werden können. Dadurch wird das kulturelle Erbe
beruflichen und institutionellen Ebenen fördert, um wiederbelebt und kann sich von selbst regenerieren.
die historischen Wege der Objekte herauszufinden. Wissen kann weitergegeben werden und wachsen.
Das Zentrum erstellt Richtlinien, die Themen wie
ethische Grundlagen für den Umgang mit Objekten
                                                              Historische Privilegien überwinden
aus kolonialen Kontexten und deren Dokumentati-
on und Vermittlung sowie Hinweise zu rassismus- Aus diesem Grund kann die Provenienzforschung
kritischer Sprache und anderen Begrifflichkeiten bedeutende positive Veränderungen bewirken. Zu-
enthalten. Mit einer gründlichen Erforschung von sammen mit ethnographischen Forschungen kön-
lokalgeschichtlichen Kontexten können Museen nen traditionelle Praktiken häufig wieder zeitge-
und Institutionen die Diskussion über die histo- mäß werden. Europäische Gemeinschaften sollten

                                                                                    KIRCHE weltweit 2/2021       5
SAMMLUNGEN IM KOLONIALEN KONTEXT - SLUB: Qucosa
2019 wurden in einer feierlichen Zeremonie im Leipziger Grassi-Museum 45 Gebeine und Haarproben, die sich auf Menschen aus den
    Gunaikurai, Menang und Ngarrindjeri Communities aus Australien zurückverfolgen ließen, an Delegierte dieser Gemeinschaften übergeben.

    ihre Verantwortung dafür übernehmen. Sie besitzen                   gang anbieten sowie die Forschung durch Mitglieder
    wichtige Informationen zu den Objekten und ihren                    der Gemeinschaft ermöglichen.
    Sammlungsgeschichten. Es ist an ihnen, die Ethik                    Dazu ist der spirituelle Wert der physischen Präsenz
    und Pragmatik ihres Besitzes neu zu betrachten. Auf                 von Objekten nicht zu unterschätzen. Obwohl Objek-
    diese Weise überdenken sie historische Privilegien,                 te aus allen Blickwinkeln in hoher Auflösung fotogra-
    die häufig Wissenschaft gegenüber Menschenrechten                   fiert oder in 3D nachgedruckt werden können, über-
    begünstigt haben. Diese Praktiken zeigen, wie sich                  sehen Kopien die spirituelle Bedeutung bestimmter
    eine Gesellschaft mit Fragen kultureller Integration,               Objekte. Ein Kaurna-Schild, das in der Art Gallery
    Wiedergutmachung, und Gerechtigkeit beschäftigt.                    of South Australia (Kunstmuseum von Südaustrali-
    Das Wissen aus der Provenienzforschung ruht nicht                   en) steht, wurde zum Beispiel vom einem Kaurna-
    nur im Bücherregal oder zirkuliert in akademischen                  Ältesten so beschrieben, dass es für viele Kaurna
    Kreisen, sondern wird auch geteilt und getauscht                    „den Geist und den Schöpfer in sich trägt“ sowie die
    über Online-Plattformen, Apps und international                     Weisheit des Landes, der Kultur und des Volkes. Die-
    zugängliche Datenbanken in mehreren Sprachen.                       se kulturelle und manchmal auch religiöse Bedeutung
    Die Objekte, die in den Herkunftsgemeinschaften                     ist online nicht gut nachvollziehbar. Das Ziel der Res-
    vorhanden sind, zeigen die Priorität des unkompli-                  titution berücksichtigt dabei nicht nur das Wohlerge-
    zierten Zugangs der Gemeinde zu ihrem eigenen                       hen des Objekts, sondern auch das Wohlergehen der
    materiellen Erbe.                                                   Gemeinschaft, in die es zurück gebracht wird.

     Spirituelle Bedeutung schwer zu digitalisieren                              Suche nach den richtigen Partnern
    Nun könnte das Argument kommen, dass es im di-                      Viele Menschen hierzulande stellen sich die Frage:
    gitalen Zeitalter gar nicht mehr nötig ist, Objekte zu              Werden die Objekte, die das Museum verlassen, si-
    zeigen. Digitale Plattformen bieten doch gute Über-                 cher sein? Werden sie verfallen oder landen sie auf
    sichten über Sammlungen an und zusätzlich sorgen                    dem Kunstmarkt und dann in privaten Händen, um
    sie für institutionelle Transparenz. Aber diese Trans-              nie wieder gesehen zu werden? Diese Befürchtungen
    parenz ist zweischneidig: Manche Objekte sind re-                   sind nicht unbegründet. Das Risiko, dass einige Ob-
    ligiös oder kulturell bedeutsam und sind deswegen                   jekte aus dem öffentlichen Raum verschwinden, kann
    nicht geeignet, von anderen Gemeinschaften oder                     den Erhalt des kulturellen Erbes und dessen Nutzung
    sogar bestimmten Mitgliedern einer Gemeinschaft                     für Bildung und Forschung gefährden. Dafür hat der
    gesehen zu werden. Sie wahllos oder ohne Zustim-                    Zustand eines Objektes eine zu hohe Priorität.
    mung zu veröffentlichen, kann gegen den Konsens                     Aus diesen Gründen kann es lange dauern, bis eine
    der Gemeinschaft verstoßen. Auch wenn ein einge-                    sichere Restitution an den richtigen Partner stattfin-
    schränkter Online-Zugang eine Option ist, wird die-                 den kann. Rückgaben erfolgen manchmal an Museen,
    ser immer noch durch das Museum vermittelt. Das                     Geschichtsvereine oder Gemeindezentren. Wenn dort
    direkte Vorhandensein eines Objekts kann einen                      zu wenig ausgebildetes Personal vorhanden ist, ist es
    unmittelbaren und kulturell passend regulierten Zu-                 wichtig, Wege zu finden, wie eine neue Generation

6   KIRCHE weltweit 2/2021
SAMMLUNGEN IM KOLONIALEN KONTEXT - SLUB: Qucosa
DEKOLONISIERUNG

von Kuratorinnen, Konservatoren und Restaurato- die Kaurna selbst wieder zugänglich und damit ein
rinnen ausgebildet werden kann. Es ist auch möglich, Teil deren Alltags werden können. Dieses Wissen
dass manche Gemeinschaften die Objekte nicht in der kann auch gerecht geteilt werden und enthält einen
Art und Weise aufbewahren wollen, wie es die europä- Wert, der über den materiellen hinausgeht.
ischen Museen anstreben würden, sondern sie lieber Wenn ein Objekt in seinen Herkunftsort zurückkehrt,
wieder in ihr kulturelles                                                          wie die Kaurna-Objekte,
Leben integrieren wollen.
Am wichtigsten ist, dass
                                Es ist an den deutschen Museen, die sind                 sie nicht weg. Die In-
                                                                                   formationen, die sich nicht
die Provenienzforschung Ethik und Pragmatik ihres Besitzes neu nur aus der Provenienz-
gründlich ist und der Aus- zu betrachten. Auf diese Weise über- forschung, sondern auch
tausch logistisch gut orga- denken sie historische Privilegien, die aus den mündlichen und
nisiert und kulturell ange-                                                        traditionellen Geschich-
passt wird.
                               häufig Wissenschaft gegenüber Men- ten der Gemeinschaft
Im Fall der vier Objekte           schenrechten begünstigt haben.                  ergeben, werden doku-
haben Vertreterinnen der                                                           mentiert, bewahrt, erzählt
Kaurna bei ihrem Besuch 2011 darum gebeten, dass und für spätere Generationen gesichert, vor allem für
die Objekte nach Adelaide zurückkehren, wo sie im die Kaurna selbst. Der Austausch von Objekten und
Tauondi Aboriginal Community College aufbewahrt Geschichten kann Museumssammlungen ergänzen.
und ausgestellt werden sollen. Die Objekte wären dann Diese Vielzahl von Tauschvorgängen kann zu mehr
sowohl für die Kaurna vor Ort zugänglich als auch für Informationen, Wissen, Objekten und Netzwerken
die Lehrer, Professorinnen und Studierenden, die diese führen, so dass die Museen nicht leer, sondern viel-
Objekte in ihrer Forschung verwenden können.           leicht reicher bestückt sind als zuvor.

      Beim Loslassen ist viel zu gewinnen                                                                                                                 Weitere Informationen
Einige werden sich vielleicht fragen, ob Besucherin-                                                                                                                                         Deutscher Museumsbund (2021):
                                                                                             Leitfaden Umgang mit Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten

nen und Besucher zukünftig in Deutschland durch            Für Museen. Mit Museen.
                                                            Ganz in Ihrem Interesse.
                                                                                                                                                                  Leitfaden

                                                                                                                                                                  Umgang mit Sammlungsgut
                                                                                                                                                                  aus kolonialen Kontexten   Umgang mit Sammlungsgut aus
leere Museen laufen, wenn die Objekte zurückgege-
                                               Wir setzen uns ein für eine vielfältige und

                                                                                                                                                                                             Kolonialen Kontexten
                                                      zukunftsfähige Museumslandschaft
                                                sowie für die Interessen der Museen und
                                                  ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

ben werden. Allein die riesige Anzahl an Objekten                                                                                                                                                     * www.museumsbund.de/
in ethnographischen Sammlungen und die Dauer                                                                                                                                                  publikationen/leitfaden-zum-umgang-
der sorgfältigen Provenienzforschung, die für eine                                                                                                                                              mit-sammlungsgut-aus-kolonialen-
Restitution nötig ist, schließt leere Museumshallen
                                                                                               Deutscher Museumsbund

                                                           Deutscher Museumsbund e. V.
                                                           In der Halde 1 · 14195 Berlin

                                                                                                                                                                                                                         kontexten
                                                                       museumsbund.de

aus. Bisher sind auch nur wenige Objekte für eine
Rückführung tatsächlich angefragt.                                                                                                                        Zum Stand der Provenienzforschungen, der Restitution und
Letztendlich liegt in Deutschland die Entscheidung                                                                                                        den Dekolonisierungsbemühungen haben die staatlichen
nicht bei einzelnen Museen. Da die Museen in un-                                                                                                          sächsischen ethnographischen Museen in Dresden, Leipzig
terschiedlichen Trägerschaften sind, müssen die je-                                                                                                       und Herrnhut eine neue Internetplattform eingerichtet.
weiligen zuständigen Stellen (Stadträte, Landtage,                                                                                                         * https://grassi-voelkerkunde.skd.museum/forschung/
Ministerien, Bundestag) über eine De-akzession                                                                                                                       dekolonisierung-restitution-und-repatriierung/
entscheiden, was weitere Zeit und gründliche Ent-
scheidungsprozesse fordert.                                                                                                                               Die boasblogs (gegründet 2016) sind eine Serie von the-
Dennoch ist beim Loslassen viel zu gewinnen. Die                                                                                                          menbezogenen Blogs, die sich zum Ziel gesetzt haben,
Kaurna-Objekte haben sowohl eine große Bedeu-                                                                                                             aktuelle Themen und Diskussionen rund um die ethnolo-
tung in den Staatlichen Ethnographischen Samm-                                                                                                            gischen Wissenschaften aufzugreifen.
lungen Sachsen als auch bei den Kaurna. Sie stellen
einer der frühesten Beispiele für Missionssamm-                                                                                                                                     * https://boasblogs.org/de
lungen aus Australien dar und sind noch immer in
gutem Zustand, sodass sie heute öffentlich gezeigt                                                                                                        Felwine Sarr, Bénédicte Savoy (2018): The Restitution
werden können. Die weitere Forschung zu diesen                                                                                                            of African Cultural Heritage. Toward a New Relati-
Objekten wird neue Erkenntnisse zur indigenen Ge-                                                                                                         onal Ethics
schichte erbringen. Darüber hinaus werden sie für                                                                                                                            * http://restitutionreport2018.com

                                                                                                                                                                                                       KIRCHE weltweit 2/2021        7
SAMMLUNGEN IM KOLONIALEN KONTEXT - SLUB: Qucosa
PARTNERSICHTEN

    Es geht um mehr als eine bloße Rückgabe
    Von der Chance, Wunden zu heilen, und der Gefahr eines Affronts
    Wie wird die Restitutionsdebatte von Menschen gesehen, die aus einst kolonisierten Ländern stammen? Zwei
    Stipendiatinnen der Missionsakademie Hamburg sowie der Geschäftsführer des Theologischen Hochlandse-
    minars Ogelbeng, Papua-Neuguinea, haben sich mit der Frage auseinandergesetzt, welche Objekte zurückge-
    geben werden sollten, warum und vor allem auch wie. Deutlich ist der Wunsch nach einem Heilungsprozess.

    Das Erzählen von Geschichten erfolgt in verschie-          braucht den weiteren Schritt der Bitte um Vergebung
    denen Formen, sei es durch Lieder, Gedichte, Tänze,        für den Verlust ihrer Identität und ihres ethnischen
    Gemälde, Kleidungsstücke, Werkzeuge und ähnli-             Stolzes, Versöhnung und Heilung der vom Kolonia-
    ches. Das Erzählen von Geschichten – einschließlich        lismus zerbrochenen Seelen. Und auf die gleiche Wei-
    Sprache, Rhythmus und Ton – sagt viel über eine            se ist die Versöhnung und Heilung der Seelen nötig,
    Kultur, das Leben und die Entwicklung eines Volkes.        die von Gier und Überlegenheit geblendet sind. Es ist
    Lassen Sie mich Ihnen einen Teil meiner Geschichte         ein Prozess, ein ständiger Austausch von Gesprächen
    erzählen – meiner Kultur und meines Volkes.                und Geschichten, eine Anerkennung des Raumes des
    Als ich jünger war, habe ich nie eine Liebe zu Museen      anderen, ein Raum des einfachen Seins. Es sind der
    entwickelt, weil sie ein Ort waren, an dem alte Dinge      Zyklus und der Prozess, unsere Geschichten zu erzäh-
    aufbewahrt werden – ein Beweis für Unzivilisiertheit       len und gemeinsam zu heilen.
    und Barbarei. Zu dieser Zeit kannte ich keinen Stolz                    Niza Joy Santiago, Hamburg/Philippinen
    auf die Technologie meiner Vorfahren, weil sie als alt
    und rückständig betrachtet wurde. Obwohl die Muse-         Der Begriff „Rückerstattung“ weist darauf hin, dass et-
    en darauf abgezielt haben mögen, dass ihr Publikum         was unrechtmäßig erworben wurde. Daher muss das
    unsere Kultur und unsere Geschichte wertschätzt,           Gestohlene zurückgegeben werden. In der aktuellen
    wurde es nicht durch die Lehren in der Schule, in der      Debatte gibt es meines Erachtens etliche Vorurteile.
    Kirche und anderen Bereichen des Gemeinschaftsle-          Erstens muss akzeptiert werden, dass in der Vergan-
    bens unterstützt. Es gab eine sichtbare koloniale Men-     genheit viele Mitarbeitende der Mission Gegenstände
    talität, eine Mentalität, dass die philippinische Kultur   gestohlen haben. Ohne Frage waren sie hingebungs-
    und Identität denen der Menschen aus dem Westen            volle Christinnen und Christen; bereit, ihr Leben zu
    unterlegen ist, die uns jahrhundertelang kolonisiert       opfern, um die Gute Nachricht von Jesus Christus zu
    und unsere Denk- und Seinsweisen verändert haben.          verbreiten. Es ist ihnen überhaupt nicht in den Sinn
    Diese Sichtweise wurde von Museen im Westen un-            gekommen, dass diese Objekte jemandem gehö-
    termauert. Bilder, Kleidungsstücke und andere Arte-        ren, weil es auch niemand einforderte. Die meisten
    fakte kolonisierter Kulturen wurden so gezeigt, dass       Missionar*innen haben vermutlich nicht um Erlaub-
    sie ihre Geschichte in westlicher Perspektive erzäh-       nis gebeten, weil sie sich zur Mitnahme berechtigt
    len. Meistens lief diese Darstellung auf Barbarei und      fühlten. Dieser Akt des „Raubes“ spiegelt die harte und
    Unzivilisiertheit hinaus, wodurch die Kolonisierung        schmerzhafte Realität wider: Missionar*in zu sein be-
    gerechtfertigt und verherrlicht wurde.                     deutete in der Vergangenheit für viele, anderen überle-
    Die Rückgabe der Artefakte oder sogar der Gebei-           gen zu sein, weil sie einem göttlichen Auftrag folgten.
    ne von Vorfahren einer bestimmten Kultur wäre ein          Zweitens sollten auch die europäischen Kirchen aner-
    guter Anfang, sollte aber nicht das Ende sein. Es sind     kennen, dass sie durch die Einrichtung von Museen
    nicht nur die Teller, Messer, Gläser oder Knochen          mit diesen einzigartigen, exotischen, fremden und
    einer Kultur, die von den Kolonisatoren als Trophä-        seltenen Objekten (absichtlich oder unbeabsichtigt)
    en ihrer Stärke und Macht weggenommen und nach             finanzielle und kulturelle Gewinne generiert haben.
    Hause gebracht wurden, sondern es sind die Iden-           Das Zeigen dieser Objekte führte zu einer noch stär-
    tität, die Menschlichkeit, die Denk- und Seinsweise        keren Überheblichkeit gegenüber den Herkunftslän-
    eines Volkes, die gestohlen, objektiviert und in Glas-     dern. Museen erinnern daran, dass sie diese Objekte
    behälter gepackt wurden.                                   bewahrt haben, und verdeutlichen damit indirekt,
    Der Prozess der Dekolonialisierung ist nicht mit der       dass die Europäer*innen „zivilisierter“ waren als an-
    bloßen Rückgabe des Gestohlenen beendet. Es                dere. Ein öffentliches Geständnis dieser korporativen

8   KIRCHE weltweit 2/2021
SAMMLUNGEN IM KOLONIALEN KONTEXT - SLUB: Qucosa
PARTNERSICHTEN

Sünde und die Bitte um Vergebung von Gott und den         Kategorie 2 ist im Zusammenhang mit Gedanken an
Völkern, von denen diese Gegenstände gestohlen            Rückgabe geradezu besorgniserregend. Wenn Gegen-
wurden, ist angebracht.                                   stände jeglicher Art als Geschenk gegeben wurden, ist
Drittens wäre es nur gerecht, den materiellen und im-     eine Rückgabe in der melanesischen Kultur sehr be-
materiellen Gewinn, der durch die Ausstellungen er-       leidigend und damit inakzeptabel. Wir sind eine ge-
zielt wurde, zu berechnen. Nur Transparenz kann zei-      meinschaftsorientierte Gesellschaft und alles, was wir
gen, ob der finanzielle Wohlstand einiger europäischer    tun, muss im Einklang mit den Werten und Überzeu-
Länder tatsächlich auf diesem Plünderungsakt beruht.      gungen unserer Gemeinschaft stehen. Daher ist alles,
Das wäre eine echte Wiedergutmachung, die von Reue
und nicht nur politischer Korrektheit zeugt.
Viertens sollte es einen Konsens zwischen dem „Räu-
ber“ und dem „Opfer“ geben. Im Dialog ließe sich
die „Räuber-Opfer-Beziehung“ in eine „gemeinsame
Pilgerschaft“ in die Vergangenheit umwandeln. Es ist
eine schmerzhafte Reise, die nichts mit Schuld zu tun
hat. Es geht um Heilung und eine bessere Zukunft für
die Menschheit und die Schöpfung. Es muss geklärt
werden, was mit diesen Objekten geschehen soll, wie
ihre Schönheit und ihr Schmerz zum Wohle des Lan-
des und der Nation, aus denen sie stammen, erhalten
und bewahrt werden sollen. So wird durch das bei-
derseitige Hören der verschiedenen Erzählungen eine
zerbrochene Beziehung wiederhergestellt.
„Weggenossen auf Pilgerschaft“ entdecken vielleicht
auch Erzählungen über einen Austausch von Ge-             Teilnehmende der Kundgebung „Restitution Now!“ forderten 2018 vor
schenken. Das Schenken ist in vielen Kulturen ein         dem Berliner Bode-Museum die Rückgabe von Beutekunst aus Afrika.
Zeichen des Vertrauens. Wenn sich als „gestohlen“
wahrgenommene Objekte als Geschenk von Einhei-
mischen herausstellen, dann könnte die Rückgabe           was auf diese Weise gegeben wird, als Geschenk der
auch als Symbol der Heilung und nicht nur als Akt         Freundschaft anzunehmen, um die Beziehungen zu
der Rückkehr dienen.                                      stärken. Daher ist es in unserem Kontext sehr unhöf-
Der erzielte Gewinn sollte „vierfach“ (wie Zachäus        lich, ein Objekt an den/die Gebende/n zurückzuge-
in Lukas 19,8!) zurückgegeben werden. Es könnte           ben. Es signalisiert, dass die in der Vergangenheit auf-
damit zum Beispiel ein Museum entstehen. Lassen           gebaute Beziehung keinen Wert mehr hat. Menschen,
Sie die Herkunftsgesellschaften selbst entscheiden,       die die traditionelle melanesische Weltanschauung
was das Beste ist! Das ist ihr Recht. Vermeiden Sie       respektieren und schätzen, werden diese Handlung
den Geist der Überlegenheit und des Paternalismus         als respektlos interpretieren.
und zwingen Sie uns nicht (wieder) unbewusst auf,         Objekte aus Kategorie 3 sollten aus Überzeugung
was zu tun ist, wenn diese Objekte in ihre „Heimat“       zurückgegeben werden. Wenn etwas auf unangemes-
zurückgebracht werden.                                    sene Weise außer Landes gebracht wurde, sollte man
           Maraike J.B. Bangun, Hamburg/Indonesien        sein eigenes individuelles Urteil darüber fällen.
                                                          Es ist besser, alle spirituellen Gegenstände zu verbren-
Bei der Frage der Restitution müssen wir drei Ka-         nen oder einem Museum zu spenden, anstatt sie in
tegorien von Objekten unterscheiden: Objekte,             unser Land zurückzubringen. Der einzig wahre Gott
die von Fremden gekauft wurden; Objekte, die ge-          ist jederzeit und überall gegenwärtig und allmächtig.
schenkt wurden; Objekte, die ohne unser Wissen            Der Geist, den ein Objekt verkörpert, bleibt im Kon-
genommen wurden.                                          text der Gesellschaft, die an seine Existenz glaubt. Er
Kategorie 1 gehört dem neuen Eigentümer und er oder       reist nicht mit nach Übersee. Daher bleiben alle Ob-
sie behält sich das Recht vor zu entscheiden, was damit   jekte, die Papua-Neuguinea verlassen, gewöhnliche
zu tun ist. Eine Rücksendung ergibt für uns aus dieser    Objekte. Das ist meine persönliche Überzeugung.
Perspektive keinen Sinn.                                              Peter Gigmai, Ogelbeng, Papua-Neuguinea

                                                                                            KIRCHE weltweit 2/2021            9
SAMMLUNGEN IM KOLONIALEN KONTEXT - SLUB: Qucosa
AUSTRALIEN

   Zeugnisse der Identität und Geschichte
   Kinderbriefe an die Dresdner Mission sind nun australisches Weltkulturerbe
   1840 und 1843 erreichten Briefe die Dresdner Missionsgesellschaft, die von Kindern in der nahe Adelaide
   gegründeten Missionsschule in ihrer Muttersprache Kaurna geschrieben worden waren. Im Leipziger Archiv
   haben sie die Jahrzehnte überdauert und sind nun drei von fünf überhaupt noch existenten Dokumenten.
   Von Ravinder Salooja, Direktor des Leipziger Missionswerkes

   Am 26. Februar 2021 wurden drei Kaurna-Kinderbrie- Gale daran, die Kaurna- und die Ngarrindjeri-Sprache
   fe der Leipziger Mission in das australische Weltkultur- mit Hilfe der Wortsammlungen und Sprachbeschrei-
   erbe-Register aufgenommen. Die Corona-Pandemie bungen der Dresdner Missionare Clamor Wilhelm
   hat es möglich gemacht,                                                          Schürmann und Christi-
   dass ich früh morgens An meinen Bruder: Ich habe diesen Brief an Gottlob Teichelmann
   um 5 Uhr an der Online-         Ihnen allen geschickt. Schicken Sie mir wieder zu rekonstruie-
   Zeremonie in Australien
   teilnehmen konnte. Es war
                                 doch etwas für mich zuhause, z.B. Spiel- ren:           Es gab noch wenige
                                                                                    Menschen, die sich an
   bewegend für mich, Zeuge zeug. Dann werde ich zuhause viele Tage Worte, Redewendungen
   dieser Eintragung zu sein.     lang glücklich sein. Ich werde glücklich und Lieder erinnerten. Ihr
   Für die Kaurna-Gemein-          tanzen, wenn Sie mir Haushaltsgegen- Wissen zusammen mit Er-
   schaft der australischen                                                         kenntnissen aus verwand-
   Aborigines im Großraum
                                 stände hierher schicken. Diesen Brief hat ten Sprachen sowie den
   Adelaide bedeuten diese                  Ihnen Wailtyi geschrieben.              Sammlungen der Missi-
   Briefe von 1840 und 1843                                                         onare führten dazu, dass
   unheimlich viel: Sie sind drei von fünf schriftlichen Kaurna mit zwei weiteren Sprachen aus Südaustralien
   Zeugnissen ihrer Sprache aus dem 19. Jahrhundert. heute wieder gesprochen wird.
   Die Kaurna-Sprache galt bereits in der zweiten Hälfte In der Kultur der Aborigines ist die Sprache zusam-
   des 19. Jahrhunderts durch den Druck der deutschen men mit dem Boden und religiösen Riten identitäts-
   und englischen Einwanderung nach Südaustralien als stiftend. Der Besuch von Kira Bain von der Ngarrind-
   ausgestorben. Erst Ende der 1980er Jahre wagten sich jeri-Gemeinschaft im Oktober 2019 bei uns in Leip-
   die Sprachwissenschaftler Rob Amery und Mary Ann zig führte mir das noch einmal deutlich vor Augen:

                                                           Ausstellung „Sprachlosigkeit – Das
                                                           laute Verstummen“
                                                           Wie lässt sich über scheinbar Unaussprechliches spre-
                                                           chen? Wie überwinden Gesellschaften Zustände der
                                                           Sprachlosigkeit nach kollektiven Verlust- und Gewalter-
                                                           fahrungen? Die Ausstellung „Sprachlosigkeit – Das laute
                                                           Verstummen“ widmet sich vom 16. April bis 1. August
                                                           2021 im Japanischen Palais in Dresden der Frage, wie
                                                           man Phasen des Schweigens als Folge erlittener kollekti-
                                                           ver Traumata überwinden kann.
                                                           In der Ausstellung werden auch Faksimiles der Kaurna-
                                                           Kinderbriefe gezeigt, die inzwischen in die australische
                                                           Weltkulturerbeliste eingetragen wurden.

                                                                 https://japanisches-palais.skd.museum/ausstellungen/
                                                                                 sprachlosigkeit-das-laute-verstummen/

10 KIRCHE weltweit 2/2021
JAHRESFEST

Sie berichtete, dass Aborigines nicht ohne Einladung
das Gebiet einer fremden Gemeinschaft betreten und
dass sie sich an deren Grenze in deren lokaler Sprache
verständlich machen müssen. Deshalb ist die Wie-
                                                                              GÄSTE,
dererweckung (wie Rob Amery sich ausdrückt) der                           FREMDLINGE &
Aborigines-Sprachen so wichtig. Die Kaurna-Kinder-
briefe sind ein so bedeutsames Zeugnis, dass sie nun                      ANDERE HEILIGE
zum australischen Weltkulturerbe gehören.
                                                                            Epheser 2,19
      Briefe seit 2014 wieder in Australien
2014 übergaben unser Asien/Pazifik-Referent Hans-
Georg Tannhäuser und Geschäftsführer Martin Ha-
belt die Originalbriefe, die bis dahin im Archiv der
Leipziger Mission in den Franckeschen Stiftungen                    Sonntag, 18. Juli 2021
zu Halle lagen, an die Kaurna-Gemeinschaft. Sie
sind nun Teil der Sondergut-Sammlung der Univer-
sitätsbibliothek von Adelaide. Deren Leiterin Cheryl
Hoskin hat den Weltkulturerbe-Antrag der Kaurna-           Einladung zum 185. Jahresfest
Gemeinschaft entscheidend unterstützt.                    10 Uhr Gottesdienst in der Leipziger Nikolaikirche
Der Inhalt der Briefe ist eigentlich trivial; sie erin-            Liturgie: Direktor Ravinder Salooja, Leipzig
nern an Briefe aus heutigen Kinder-Patenschaften:                  Predigt: Pfarrerin Prof. Dr. Dorottya Nagy, Göt-
„Ich würde mich über Spielzeug freuen“, schreiben                  tingen, Amsterdam
Wailtyi und Pitpauwe. Auf der Rückseite haben die
Missionare eine Übertragung ins Deutsche beigefügt.       Der Gottesdienst wird im Live-Stream auf unserem
Die Briefe geben Zeugnis für den Erfolg der Leipzi-       YouTube-Kanal übertragen. Für die Anwesenden vor
ger Missionsschule in Adelaide. Allerdings entzog der     Ort gelten die Corona-Bestimmungen der Gemeinde.
britische Gouverneur nach kurzer Zeit der Leipziger
Australien-Mission und ihrer Schule seine Unterstüt-        *** ONLINE-VIDEO-PLATTFORM ZOOM ***
zung. Da die Missionsgesellschaft in dieser Zeit nicht        Technische Hilfestellung ab 13.30 Uhr
gut bei Kasse war und weil die Australien-Missionare      14 Uhr Begrüßung und Grußwort von Landesbischof
keine Tauferfolge vermelden konnten, wurde dieser                Tobias Bilz, Dresden
Arbeitsbereich schon 1846 wieder eingestellt.
Der Wert der Briefe besteht für die Kaurna-Gemein-        14.15 Umgang mit Vielfalt in Kirchgemeinden
schaft darin, ein Zeugnis ihrer Identität und ihrer             Thematischer Impuls und Austausch mit Frank
eigenen Geschichte wieder in den Händen halten zu               Koine, Jugendpastor im Erprobungsraum Wit-
können. Für uns – für das Leipziger Missionswerk in             tenberg, und anderen
Nachfolge der Dresdner/Leipziger Mission – ist es         14.45 Kleingruppen
eine Ehre, dass wir durch die Übergabe der Original-            • Angefragte Mission. Der Lernweg eines
briefe an die Gemeinschaft, von deren Angehörigen                 Leipziger Missionars
sie geschrieben wurden, einen Leben-stiftenden Bei-             • Vielfalt in der Kirchgemeinde
trag leisten konnten. Denn das ist es doch, worum es            • Mission in aller Öffentlichkeit
in der Mission geht: Dass wir ein Zeugnis geben von             • Aktuelle Situation in den Partnerkirchen
dem Gott, der Leben in Fülle für alle will.                     • Meet & Greet der Freiwilligen
In dieser Perspektive sehen wir schon die nächste Auf-
gabe auf uns zukommen: Die kritische Begutachtung         15.30 Pause
unserer rund 3.500 Objekte umfassenden ethnologi-         16 Uhr Abschlussrunde, Ende gegen 17 Uhr
schen Sammlung. Was verbirgt sich darin? Wie sind
die Objekte zu uns gekommen? Und welche Bedeutung         Die Zugangsdaten für die Online-Veranstaltung erhal-
haben sie? Wir würden uns freuen, wenn Sie uns darin      ten Sie bis Freitag, 16. Juli, 13 Uhr bei Kerstin Berger 
unterstützen, diese Herausforderung zu bewältigen.        0341 9940 643 @ Kerstin.Berger@LMW-Mission.de.

                                                                                       KIRCHE weltweit 2/2021 11
FÜRBITTE KONKRET

   Corona in Indien und Papua-Neuguinea
   Die Corona-Pandemie zeigt sich ganz unterschiedlich.
   In einer Region wächst der Optimismus, das Virus
   besiegt zu haben, in einer anderen wächst die Bedro-
   hung. Medikamente und Impfdosen sind ungleich
   verteilt. Große Unterschiede in der Belastbarkeit der
   Gesundheitssysteme werden sichtbar. Auch unsere
   Partner waren und sind zu unterschiedlichen Zeiten
   ganz unterschiedlich betroffen. Wir lassen deshalb
   nicht nach in der gegenseitigen Hilfe und Fürbitte.
   Gott, Du verbindest uns Menschen. In Angst und Unsi-
   cherheit werden wir uns nah. Wir teilen Fragen und Sor-
   gen, Nicht-Wissen und doch Ahnen, was kommen kann.
   Wir bitten für alle Kranken und die es werden, die
   Angst haben, dass das Virus sie erreicht, für alle
   Ärzt*innen und Pflegenden, für die, die in diesen Ta-
   gen um ihre Existenz bangen. Wir bitten Dich, dass        Im kirchlichen Kinderheim in Kamuthi in Tamil Nadu wurden mit Spen-
                                                             dengeldern finanzierte Hilfsgüter übergeben.
   Du uns alle bewahrst in diesen schweren Zeiten.
   Lass uns solidarisch teilen und anbieten, was uns an      den sie dann noch vor? Gott, steh den Menschen bei
   Hilfen möglich ist, damit in Zukunft nicht nur sicher     in ihrer Not. Stärke alle, die sich an Hilfsprogrammen
   leben kann und geschützt ist, wer reich ist.              beteiligen. Amen.
   Dankbar sind wir für die vielen Zeichen der ökumeni-
   schen Verbundenheit, die uns aus den verschiedenen                             Papua-Neuguinea
   Erdteilen erreichen und uns in der gemeinsamen Für-
   bitte vereinen. Amen.                                     Die Inselsituation erleichterte für Papua-Neu-
                                                             guinea zwar einerseits ein rigoroses Abschotten
                                                             gegenüber pandemischen Einflüssen und Infek-
                           Indien                            tionen, aber andererseits wurde damit das wirt-
   Nach einer Phase der Entspannung kam das Virus            schaftlich schlecht aufgestellte Land immer mehr
   im April und Mai zurück. Die Infektionszahlen sind        ins Abseits gedrängt. Auf Grund der begrenzten
   nicht mehr beherrschbar. Die Krankenhäuser sind           medizinischen Infrastruktur besteht zudem gro-
   überbelegt. Viele Menschen sterben. So makaber es         ße Angst vor Schwersterkrankungen, weil für die
   klingt: Es müssen Sonderregelungen für das Schla-         nötige Versorgung der Infizierten viel zu wenige
   gen von Holz getroffen werden. Die Verbrennung            Krankenhäuser zur Verfügung stehen.
   der Toten nach hinduistischem Brauch hat ungeahn-
   te Zahlen angenommen.                                     Herr, unser Gott, unsere Gedanken gehen nach Papua-
                                                             Neuguinea. Bei den Menschen herrscht große Unsi-
   Herr, unser Gott, wir kommen mit unserer Klage            cherheit über die Verbreitung des Coronavirus, da es
   zu Dir. In unserer indischen Partnerkirche in Tamil       immer noch sehr wenige Tests gibt. Wird es bei den
   Nadu sind bisher erst sehr wenige geimpft. Die Bevöl-     überschaubaren offiziellen Zahlen bleiben? Was bringt
   kerung fühlt sich von ihrer Regierung verlassen. Poli-    die Zukunft? Wir denken besonders an die vielen Kin-
   tische Kampagnen, Wahlerfolge und der Kampf gegen         der und Jugendlichen, deren ohnehin schon schwierige
   nichthinduistische Religionen scheinen wichtiger zu       Schul- und Ausbildungssituation immer wieder ausge-
   sein als mutige Strategien und staatliche Unterstüt-      bremst wurde.
   zungen in der Pandemie-Bekämpfung. Die Armen              Große Hoffnung wird auf baldige Impfungen gesetzt.
   leiden am meisten. Viele leben als Tagelöhner*innen       Lass uns unsere Impfvorräte und unser Knowhow
   weit entfernt von ihren Dörfern in den großen Städ-       weltweit so verteilen, damit Menschen aller Erdteile
   ten. Wie sollen sie nach Hause kommen? Und wen fin-       hoffnungsfroh in die Zukunft blicken können. Amen.

12 KIRCHE weltweit 2/2021
FÜRBITTE KONKRET

Verständigung zwischen den Religionen in Tansania
Das Grußwort der neuen tansanischen Präsidentin            Wir bitten um Frieden, Verständnis und gegenseitigen
Samia Suluhu Hassan zum christlichen Osterfest hat         Respekt im Miteinander der Religionsgemeinschaften
für Aufsehen gesorgt. Auf ihrem Twitter-Kanal war          in Tansania und allen anderen Ländern der Welt.
am 4. April zu lesen: „Ich wünsche allen Tansaniern        Gott der Versöhnung und Barmherzigkeit, Dein Sohn
Frohe Ostern. Lasst uns die Auferstehung von Jesus         Jesus hat gesagt: „Selig sind, die Frieden stiften; denn
Christus feiern, indem wir für unsere tansanische          sie werden Gottes Kinder heißen.“
Nation beten und den Frieden, die Liebe und den            In seinem friedenstiftenden Geist bitten wir Dich:
Zusammenhalt bewahren. Lasst uns unsere Bemü-              Segne die alltäglichen Begegnungen und das Gespräch
hungen fortsetzen, unser Land aufzubauen, indem            zwischen christlichen und muslimischen Gläubigen in
wir klug sind und fleißig arbeiten. Jesus ist auferstan-   Tansania, damit sie gemeinsam zum Frieden in ihrem
den, Halleluja, Halleluja.“                                Land beitragen.
Diese Worte der Präsidentin, die der muslimischen          Für die leitenden Verantwortlichen der Religionsge-
Religionsgemeinschaft angehört, bestärkten die             meinschaften, dass sie Toleranz und Gerechtigkeit
Hoffnung, dass sie nicht nur im politischen Bereich        üben, für eine menschenwürdige Gesellschaft eintreten
für Entspannung sorgen will, sondern sich auch für         und immer wieder das Gespräch suchen, um Konflikte
ein friedliches Miteinander der verschiedenen Re-          beizulegen.
ligionen in Tansania einsetzt. Denn die Beziehung          Lass uns alle, die wir uns als Glaubensverwandte zu
zwischen Christentum und Islam war in Tansania             Dir, als dem einen Gott bekennen, glaubwürdige Zeu-
während der vergangenen Jahre durchaus ange-               gen Deiner Gegenwart sein und in guter Nachbar-
spannt.                                                    schaft leben. Amen.

Freiwilligenprogramm
Die Corona-Pandemie stellt das Freiwilligenpro-
gramm weiterhin vor großer Herausforderungen.
Von zehn Freiwilligen aus unseren drei Partnerkir-
chen konnten bislang nur sechs Tansanier*innen
einreisen. Auch die in Deutschland ausgewählten
Freiwilligen ringen derzeit mit der Unsicherheit, ob
eine Ausreise im Herbst nach Indien und Tansania
wirklich realistisch ist.

Wir bitten Dich für die eingereisten Freiwilligen aus
Tansania, mögen sie trotz der coronabedingten Kon-
takteinschränkungen hier in Deutschland gut ankom-
men und wertvolle Begegnungen erleben und wichtige
Erfahrungen machen. Sei bei ihnen, wenn sie ihre Ein-      Gemeinsam in Quarantäne: Mary Sanga (l.) aus Ifakara, Jackrene
satzstellen und ihr Wohnumfeld erkunden.                   Sanga aus Matamba und Eva Jongo (r.) aus Sanya Juu, Tansania.
Sei auch mit den Freiwilligen in Indien, die aufgrund
der schrecklichen Situation in ihrem Land gerade nicht     Wir bitten Dich, sei bei allen Freiwilligen in der von
nach Deutschland ausreisen dürfen. Behüte sie und ihre     Ungeduld, Ungewissheit und Angst geprägten Zeit. Gib
Familien, dass sie gesund bleiben und unverzagt durch      ihnen und ihren Familien die nötige Gelassenheit und
die Zeit der harten Ausgangssperre kommen.                 das Verständnis für diese Situation.
Wir bitten Dich für Yanam in Papua-Neuguinea, der          Sei auch bei den Entscheidungstragenden, im LMW, in
weiterhin keine Möglichkeit hat, überhaupt ein Visum       den Einsatzstellen und den staatlichen Stellen hier und
zu beantragen, weil die Grenzen in Singapur immer          in den Partnerkirchen, die einschätzen müssen, was
noch geschlossen sind. Gib ihm die Kraft und die Ge-       verantwortlich und sinnvoll ist. Niemand soll zu Scha-
duld für die ungewisse Zeit des Wartens.                   den kommen. Amen.

                                                                                           KIRCHE weltweit 2/2021 13
SAMMLUNGEN IM LMW

   Die Sammlungen sind das Gedächtnis des Hauses
   Zu den historischen Beständen des Leipziger Missionswerkes
   Elke Bormann hat mit ihren 82 Lebensjahren fast 30 Jahre Erfahrung und Wissen zur Geschichte des Missi-
   onswerkes. Die Sammlungen sind vor allem ideell wichtig, weil sie viel über seine Historie erzählen. Sie mit
   den Menschen in den Partnerkirchen zu teilen, ist auch ihr ein Anliegen.
   Mit Elke Bormann sprach Antje Lanzendorf, Leiterin der LMW-Öffentlichkeitsarbeit.

   Die Sammlungen der Missionswerke in Deutschland                      oder gesendet worden. Vor allem die Ärzte und Mis-
   rücken vermehrt in den Blickpunkt, wenn es um ko-                    sionsschwestern sind häufig mit Geschenken be-
   loniale Kontexte geht. Worüber sprechen wir bei den                  dacht worden. Wir haben zum Beispiel ein Gnufell,
   Sammlungen des Leipziger Missionswerkes?                             das einst Schwester Erika Richter geschenkt wurde.
   Wir haben eine Reihe von Exponaten und Archivali-                    Vieles ist auch durch gezielte Ankäufe zu uns gekom-
   en aus kolonialer Zeit. Das betrifft zum einen unser                 men. Was die Missionare damals zu einem Spottpreis
   historisches Bildarchiv, zu dem auch Zeichnungen                     gekauft haben, hat heute einen ganz anderen Wert.
                                                                        Sie waren angehalten, Objekte zu besorgen, die den
                                                                        zukünftigen Missionaren das Leben und die Kultur
                                                                        in den Missionsgebieten verdeutlichen können. Da
                                                                        geht es zum Beispiel um Essgeschirr oder Schmuck.

                                                                        Was gibt es sonst noch an Besonderheiten?
                                                                        Wir haben ein paar Artefakte, die heute aus Grün-
                                                                        den des Naturschutzes nicht mehr ausgeführt werden
                                                                        dürfen, zum Beispiel einen präparierten Nil­pferdfuß.
                                                                        Wertvoll ist ein Büßerjoch aus Indien, das aber leider
                                                                        bei einer Umlagerung 1991 aus seiner Verankerung
                                                                        gestürzt ist und dabei stark beschädigt wurde. Das
                                                                        ist heutzutage in Indien selten und muss restauriert
                                                                        werden. Unser ältestes Objekt ist wohl eine steiner-
                                                                        ne Ratte, die das Reittier des Hindu-Gottes Ganesha
                                                                        symbolisiert. Ein indischer Archivar hat sie auf 500
   Gemeinsam mit dem emeritierten Leipziger Afrikanistikprofessor Dr.
                                                                        Jahre geschätzt. Belegen lässt sich das nicht.
   Adam Jones stöbert Elke Bormann im Magazin.
                                                                        Es wird ja vermehrt nach Schädeln gesucht. Können Sie
   und Landkarten gehören. Zum anderen haben wir                        diese für die Missionssammlung ausschließen?
   eine ethnologische Sammlung mit einigen Ritual-                      Menschliche Gebeine hat es niemals im Bestand ge-
   gegenständen, aber vor allem mit künstlerisch nicht                  geben.
   besonders wertvollen Alltagsgegenständen, die als
   Anschauungsobjekte für die angehenden Missio-                        Wie steht es insgesamt mit belegbaren Daten zu den
   nare und zur Spendenwerbung in den Gemeinden                         Exponaten?
   genutzt wurden. Sie haben großen ideellen Wert.                      Schlecht. Es wurde nicht erfasst, wer was mitgebracht
   Insgesamt sind es etwa 3.500 Stücke.                                 hat. Die genaue Herkunft eines Objekts spielte zur
   Zu erwähnen ist auch unser Depositum in den Fran-                    damaligen Zeit keine Rolle. Wie bei den Fotos sollten
   ckeschen Stiftungen in Halle. Palmenblatt- und an-                   auch die Exponate Allgemeingültigkeit besitzen. Nicht
   dere Handschriften sind natürlich auch bedeutende                    der Name des Missionars, der das Foto gemacht hat
   Zeugen der Vergangenheit.                                            oder der darauf zu sehen war, war wichtig, sondern
                                                                        das Motiv oder der Gegenstand selbst. Die Grundphi-
   Wie sind die Objekte ins LMW gelangt?                                losophie war: Nicht wer, wann, wo? Sondern jeder,
   Sie sind meist von den Missionsmitarbeitern, den                     jederzeit, überall. Das macht unsere Provenienzfor-
   Theologen aber auch Handwerkern, mitgebracht                         schung ausgesprochen schwer.

14 KIRCHE weltweit 2/2021
SAMMLUNGEN IM LMW

Für die erste Ausstellung 1913 ist zum Beispiel nur
vermerkt, um welche Art von Gegenstand es sich
handelt und wofür er genutzt wurde. Keine Her-
kunft, kein Entstehungsjahr.
Nur bei wenigen Einzelstücken gibt es Geschich-
ten zu den Objekten, wie bei der kleinen steiner-
nen Vishnu-Statue, die auch in unserer Ausstellung
zu sehen ist. Da haben wir eine Beschreibung von
Missionar Kabis, in der er deren Weg nachzeichnet.
Götterfiguren wurden auch an die Missionare über-
geben als Zeichen, dass sie für den indischen Chris-
ten nun keine Rolle mehr spielen.

Wie lassen sich diese Lücken heute in Erfahrung bringen?
Ich wüsste nicht wie. Die Missionsblätter haben klar
einen theologischen und personellen Schwerpunkt.
                                                           Historische Bilder und Exponate des LMW werden für andere Ausstel-
Über so etwas Landläufiges wie eine Kalebasse wur-         lungen ausgeliehen, wie hier für die Luther-Ausstellung 2017 in Berlin.
de dort nichts veröffentlicht. Am ehesten noch in
der „Kleinen Missionsglocke“ für Kinder.
Über die Ausbildung der Missionare am Missi-               investiert werden. Mir ist es wichtig, dass die Ob-
onsseminar gibt es leider keine wissenschaftlichen         jekte – unabhängig von ihrem Aufbewahrungsort –
Forschungen. Vielleicht sind in schriftlichen histo-       bewahrt und gegebenenfalls restauriert werden. Die
rischen Unterlagen Hinweise, mit welchen Gegen-            Frage, wem sie gehören oder wo sie liegen, ist für
ständen die Zöglinge ausgebildet wurden.                   mich nebenrangig.
Auch in den Briefen der Missionare könnten Hin-
weise zu finden sein. Das zu recherchieren ist ein         Das würden Menschen aus Indien oder Tansania vermut-
immenser Aufwand. Einige Missionare waren sehr             lich anderes sehen ...
eifrige Schreiber ...                                      Das mag sein. Aber man muss bedenken, dass die
Aber man muss auch sagen, dass am Anfang keine             Gegenstände mehr als 100 Jahre hier bewahrt wor-
Ausstellung oder gar ein Museum im Blick stand. Es         den sind, selbst zu DDR-Zeiten.
war keine systematische Sammlung geplant.                  Ich denke, der Austausch und das gemeinsame
                                                           Aufarbeiten sind wichtig. Es geht nicht darum, ob
Können Sie sich vorstellen, dass Missionare Gegen-         weiße Wissenschaftler besser sind. Aber sie haben
stände unrechtmäßig erworben haben?                        vielleicht an der einen oder anderen Stelle mehr
Es gab sicherlich unterschiedliche Einstellungen. Wir      Erfahrung. Dieses Wissen sollte geteilt werden und
wissen aus Briefen und Berichten, dass damals man-         es wäre schön, wenn dieses Angebot angenommen
che mehr, andere weniger mit den Kolonialherren            werden würde.
zusammengearbeitet haben. Einerseits waren die af-         Gleichzeitig sollten wir auch verstärkt unsere Gäste
rikanischen Menschen sehr arm und die Weißen so            in die Sammlungen führen, um sie zum einen mehr
privilegiert, dass sie manches unter Zeitwert erhalten     bekannt zu machen und zum anderen im Gespräch
haben. Andererseits waren die Missionare angesehe-         Weiteres über die Objekte zu lernen.
ne Personen, die hatten es nicht nötig, sich etwas mit
Gewalt zu beschaffen. Diebstahl verbietet sich von         Wenn das alles so aufwendig ist, warum gibt man die
selbst, wenn man die zehn Gebote ernst nimmt. Ich          Sammlungen dann nicht ab oder verkauft sie?
denke nicht, dass unsere Missionare sich da etwas ha-      Weil sie hier gewachsen sind! Das würde die Ge-
ben zu Schulden kommen lassen.                             schichte des Hauses entseelen. Alle vorherigen Ge-
                                                           nerationen haben sich auf ihre Weise bemüht, die
Wie sehen Sie die aktuelle Debatte um Provenienzfor-       Sammlung zu bewahren, die ihre Vorgängerinnen
schung, Rückgabe etc.?                                     und Vorgänger zusammengetragen haben. Solan-
Es ist ganz wichtig, dass Gerechtigkeit geschieht. Es      ge die Leipziger Mission besteht, sollte sie ihr Erbe
ist allerdings immer abzuwägen, wohin die Kräfte           nicht weggeben.

                                                                                                KIRCHE weltweit 2/2021 15
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