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MITTEILUNGSBLATT DES LEIPZIGER MISSIONSWERKES der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens und der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland 2/21 weltweit SAMMLUNGEN IM KOLONIALEN KONTEXT In etlichen Völkerkundemuseen finden sich Objekte, die von Missionaren während der Zeit des Kolonialismus nach Deutschland geschickt wurden. Auch im Leipziger Missi- onshaus gibt es eine kleine ethnologische Sammlung. Die Herkunft der Gegenstände ist selten nachweisbar. Wie soll man heute mit diesen Objekten umgehen? TANSANIA NACH DEM TOD DES PRÄSIDENTEN Die versöhnlichen Signale der neuen tansanischen Präsidentin Samia Suluhu Hassan an die Opposition und die Medien lassen auf eine gute Entwicklung des Landes hoffen. MITGLIEDERVERSAMMLUNG DES FREUNDESKREISES Der Freundes- und Förderkreis des Leipziger Missionswerkes e.V. (FFK) lädt am 17. Juli 2021 zur Mitgliederversammlung ins Leipziger Missionshaus ein.
EDITORIAL & INHALT Liebe Leserinnen Inhalt und Leser, „spannend“: Das ist für mich 2 Editorial die Beschreibung, die mir in 3 James Stephen den Sinn kommt. Spannend Meditation sind die thematischen Ver- tiefungen, denen wir unter 4 Miriam Hamburger unserem Jahresthema „glaub- Objekte, die mehr erzählen, als man sieht würdig? Mission postkolonial“ Restitution als Anfang, nicht als Ende folgen. der gemeinsamen Geschichte „Spannend“: Das sind auch die Reaktionen, die wir zu 8 Statements unseren Veranstaltungen erhalten. Von „Endlich!“ über Es geht um mehr als eine bloße Rückgabe „Bleibt sowieso alles irrelevant …“ bis hin zu „Nun zer- Von der Chance, Wunden zu heilen, und der stört Ihr auch noch die Reste der Mission“ ist alles dabei. Gefahr eines Affronts Die einen fürchten – so scheint’s – nicht nur, dass durch unser Jahresthema der Rückhalt für das Missionswerk 10 Ravinder Salooja schwindet, sondern auch, dass wir die Einsatzbereit- Zeugnisse der Identität und Geschichte schaft der Vorfahren und das Gute, das entstanden ist, Kinderbriefe an die Dresdner Mission sind entwerten wollen. Die anderen nehme ich so wahr, dass nun australisches Weltkulturerbe sie von Kirche und erst recht von einem Missionswerk 12 Fürbitte konkret zum Thema der Verwicklung in den Kolonialismus nichts mehr erwarten, weil wir für sie zu wenig selbstkritisch, zu 14 Interview parteilich, zu wenig konstruktiv sind. „Spannend“ ist das Die Sammlungen sind das Gedächtnis auch insofern, als wir im Missionswerk unter uns durch- des Hauses aus verschiedene Positionen innerhalb der thematischen Zu den historischen Beständen des Leipziger Entfaltung unseres Jahresthemas einnehmen. Missionswerkes „Spannend“: „Mission“ bedeutet in einem weltweiten 16 Isabelle Reimann Konsens heute „Zeugnis geben von Gott, der das Leben Schlüssel zur eigenen Geschichte in Fülle für alle will“. Es geht also um lebensorientier- Das Leipziger Missionsarchiv als Quelle zur tes Denken und Handeln. In diesem Sinne habe ich die Provenienzforschung „Klagezeit“ in Leipzig von Januar bis April 2021 als eine äußerst missionarische Initiative verstanden: In einer Zeit 18 Daniel Keiling verschlossener Räume und schweigender Stimmen hat Einzige Chefin einer Regierung in Afrika die Kirche jede Woche freitags ihren Raum geöffnet dafür, Tansanias neue Präsidentin Samia Suluhu dass Klage laut werden konnte. Diese Möglichkeit, die Hassan setzt positive Zeichen Stimme laut werden zu lassen, habe ich als lebensorien- 20 Nachrichten tiertes Handeln der Kirche verstanden, Mission also im besten Sinne und ganz im Dienste des Nächsten, unab- 21 Nachrufe hängig von der religiösen Zugehörigkeit der Teilnehmen- 22 Geburtstage, Impressum den und davon, sie für Christus oder die Kirche gewinnen zu wollen. 23 Termine „Spannend“: Wir freuen uns auf Ihre Zuschriften und 24 Vierteljahresprojekt Antworten auf unsere Impulse. Wir möchten beitragen zu einer Welt ohne Benachteiligung und Hass. Wohin wird unsere gemeinsame thematische Reise gehen? Zum Titelbild: Das Bild zeigt Figuren aus Tansania Ihr im Magazin des Leipziger Missionswerkes. Im Hin- tergrund ist eine Maske zu sehen. Die Objekte un- bekannter Herkunft stammen mit großer Sicherheit nicht aus der Kolonialzeit, sondern kamen weitge- Ravinder Salooja, Direktor des Leipziger Missionswerkes hend nach dem zweiten Weltkrieg nach Leipzig. 2 KIRCHE weltweit 2/2021
MEDITATION Meditation Von James Stephen, Süd-Nord-Freiwilliger des LMW aus Chennai, Indien Gott ist nicht ferne von einem jeden unter uns. Denn in ihm leben, weben und sind wir. Monatsspruch Juli 2021: Apostelgeschichte 17, 27 In der Antike wurde die griechische Stadt Athen Entwicklung der Medizin von einer Seuche geplagt. Verschiedene Ideen wur- hat den Weg zur globalen den umgesetzt, um sie zu beenden. Ein Philosoph Ernüchterung geebnet, die namens Epimenides schlug vor, Schafe sich in der sie vor der Erkenntnis Got- Stadt verstreuen zu lassen. Dort, wo sie sich nieder- tes blind macht. Das Leben legten, sollten sie auf dem Altar des „Unbekannten der Menschen hat unheilbare Gottes“ geopfert werden, wenn es keinen Schrein Wendungen genommen. Die oder Tempel in der Nähe gäbe. So geschah es. Die Kranken leiden unter der Iso- Intensität der Pest habe nach diesem Opfer in Athen lation. Die Angehörigen an nachgelassen, so wird berichtet. das tödliche Virus zu verlieren 600 Jahre später besuchte Apostel Paulus Athen. Die und sie ein letztes Mal nicht Stadt war voll mit Idolen und der Götzendienst gän- sehen zu können, ist zu einem gige Praxis. Dann sieht er den Altar, der an den un- häufigen Trauma geworden. bekannten Gott gerichtet ist. Die Athener beließen Obwohl der Tod unvermeid- die Inschrift sicherheitshalber über die Jahrhunder- lich ist, hat die Angst vor ihm alle Macht, das Geld und te, um nicht zu versäumen, auch den wahren Gott den Ruhm verschlungen. Die Unsicherheit ist zu ei- anzubeten. Athen war bekannt als Ort des Wissens, nem untrennbaren Bestandteil des Lebens geworden. der Philosophie und des radikalen Denkens. Dieser So viele Menschen sind Opfer dieses „unbekannten Vorfall hilft Paulus zu verstehen, dass die Menschen Virus“ geworden, das ihre Lieben gekostet hat. in Athen die Kenntnis Gottes brauchen, unabhängig Es ist Zeit, dass der „unbekannte Gott“ bekannt ge- von ihrem Wissen und ihrer Weisheit. Der Apostel macht wird. Gott ist nicht ferne von einem jeden un- Paulus verstand, dass die Athener tatsächlich auf der ter uns. Er wirkt eindeutig im Leben der Menschen Suche nach dem wahren Gott waren. Paulus nutzt und Er hofft, dass sie ihn erreichen und finden. Er diese Gelegenheit, um diesen „unbekannten Gott“ ist uns nahe – unabhängig von unserer Situation. vorzustellen, den sie verehren, und bezieht sich Wenn wir nur umkehrten und uns an Gott wenden dabei auf Epimenides. „Was du also als unbekannt und ihm erlauben würden, in unserer Ungleichheit verehrst, das verkünde ich dir“ (Apostelgeschichte und Zerbrochenheit zu wirken! 17, 23). Paulus verkündet Jesus Christus der Stadt Er hat die Kontrolle und ist eng mit jeder Situation Athen und erklärt das Werk Jesu Christi am Kreuz. unseres Lebens verbunden. Es ist notwendig, dass Dieser Vorfall aus der Apostelgeschichte lenkt unse- wir ihm trotz des Chaos vertrauen. Er verdient unser re Aufmerksamkeit auf die globale Corona-Pande- Vertrauen. Wir erkennen oft nicht, dass wir auch auf mie, die Millionen von Menschenleben gekostet hat. der Suche nach Gott sind. Wenn Sie den Herrn nicht Menschen waren schon immer auf der Suche nach kennen oder sich nicht sicher sind, ob Sie dies tun, mehr. Je mehr sie finden, desto mehr suchen sie! Sie suchen Sie ihn, solange er gefunden werden kann. streben nach Glück und dem Unerreichbaren. Der Dies ist die Suche nach dem „unbekannten Glück“, Besitz von Macht, Geld und Ruhm erweist sich in dem „unbekannten Frieden“, der „unbekannten Lie- der Pandemie jedoch als zwecklos. be“ und dem UNBEKANNTEN GOTT, der sich Die Menschheit hat nicht erkannt, dass Gott in der durch Jesus Christus BEKANNT gemacht hat. Lage ist, ihnen bei all dem Aufruhr zu helfen. Die Übersetzung aus dem Englischen: Antje Lanzendorf KIRCHE weltweit 2/2021 3
RESTITUTION Objekte, die mehr erzählen, als man sieht Restitution als Anfang, nicht als Ende der gemeinsamen Geschichte Ethnologische Sammlungen sehen sich vermehrt mit dem Vorwurf der Raubkunst konfrontiert. Das Leipziger Grassi- Museum versucht seit vielen Jahren, sensibel mit Rückgabeanträgen umzugehen. Nicht nur Kunstwerke stehen zur Debatte, sondern auch einfache Objekte mit komplizierter Geschichte, die ihren Gemeinschaften viel bedeuten. Von Miriam Hamburger, Provenienzforscherin, GRASSI Museum für Völkerkunde zu Leipzig Im Jahr 1839 schickten Missionare der Lutherischen die 1897 im heutigen Nigeria geplündert und ver- Missionsgesellschaft Dresden Objekte von ihren Pos- kauft wurden und aus heutiger Sicht unrechtmä- ten in Adelaide, Australien, nach Dresden. Vier die- ßig erworben wurden. Es gibt auch Fälle, in denen ser Objekte – zwei Keulen, ein Netz und ein Speer Objekte in gutem Glauben gehandelt, gekauft und – waren Alltagsgegenstände, die den Missionaren verkauft wurden. Diese Fälle sind kompliziert und sensibel zu behandeln, weil sie häufig emotional auf- geladen sind. Sie erfordern eine historische Aufar- beitung nicht nur auf politischer, sondern auch auf persönlicher Ebene. Derzeit vollzieht sich in diesem Kontext ein großes Umdenken für Museumssammlungen. Zukünfti- ge Entscheidungen über Exponate werden von den Geschichten abhängen, die sie erzählen können. Die Kaurna-Objekte stehen für eine dieser Geschichten. Produkte für die naturforschenden Freunde Archivrecherchen zu diesen vier Objekten zeigen, dass sie 1840 in die Sammlung des Historischen Museums Dresden integriert wurden. Vieles bleibt unklar darüber, wie sie erworben und nach Dresden gebracht wurden. Diese Suche nach Akten, Fakten 2011 konnten Dr. Alitya Rigney (l.) und Verna Koolmatrie (2.v.l.) erstmals und die Rückverfolgung des Weges in die heutigen die Artefakte ansehen, die 1839 von Australien nach Sachsen kamen. Sammlungen wird Provenienzforschung genannt. Forscherinnen und Forscher können Archivmate- Beispiele für das Leben und die Kultur der Aborigine- rial wie Inventarbücher oder Tagebucheinträge von Gesellschaft der Kaurna zeigten. Heute sind solche Sammler*innen nutzen, um mehr über den Erwerb Gegenstände in ethnographischen Museen in Euro- von Objekten herauszufinden. Mündliche Überlie- pa relativ häufig zu sehen. Sie sind nicht sonderlich ferungen (Oral History) und das kollektive Gedächt- spektakulär oder kostbar. Warum also ist den Kaurna nis sind ebenfalls ein Schlüssel, um diese Geschich- wichtig, dass die Keulen, der Speer und das Netz in ten zu enträtseln. Die Provenienzforschung fragt: das Land der Kaurna zurückgegeben werden? Wer hat dieses Objekt hergestellt und benutzt? Auf welchen Wegen und unter welchen Umständen ist es gereist? Und wer hat es bei der Weitergabe in den Wiedergutmachung von historischem Unrecht Händen gehabt? Restitution oder De-akzession im Kontext ethnogra- Die Ergebnisse der Provenienzforschung zu den ge- phischer Museen bedeutet die Rückgabe identitäts- nannten vier Objekten führten auf die deutschen stiftender, kultureller oder sakraler Gegenstände an Missionare Clamor Wilhelm Schürmann und Chris- die Gemeinschaften, in denen sie entstanden sind. tian Gottlob Teichelmann zurück. Ihre Entscheidung, Sie wird beispielsweise praktiziert, um historisches Objekte an ein Museum in Deutschland zu schicken, Unrecht beim Erwerb dieser Dinge anzuerkennen. ist eingebettet in den Kontext der englischen Koloni- Heiß diskutiert werden derzeit die Benin-Bronzen, alzeit in Australien. 4 KIRCHE weltweit 2/2021
PROVENIENZFORSCHUNG Mehr und mehr entscheiden sich Museen für eine de- rische Rechtmäßigkeit oder Moral des Platzes je- koloniale Methodik in der Provenienzforschung, bei des einzelnen Objekts in der Sammlung – und die der Machthierarchien der Kolonialzeit neu bewertet Sammlungen als Ganzes – beginnen. Und die Dis- werden und die Ethik des Objekterwerbs berücksich- kussion ist individuell: Jede Sammlung und jedes tigt wird. Restitutionen stehen in der Regel erst am Objekt erzählt seine eigene Geschichte. Ende einer umfassenden gemeinsamen Provenienz- Aber die Provenienzforschung ist manchmal wie forschung. Aber nicht alle Provenienzforschungspro- ein Puzzle, bei dem nicht alle Teile verfügbar sind jekte führen zu einer Restitution. Egal mit welchem – durch Kriegsverluste, fehlendes Archivmaterial Ausgang, die Ergebnisse oder Handlungen, die gehören in die Dokumen- Die Provenienzforschung fragt: nicht dokumentiert wur- tation der Objekte. den. Die genauen Details Schürmann und Teichel- Wer hat dieses Objekt hergestellt des Erwerbs dieser vier mann bekamen den Auf- und benutzt? Auf welchen Wegen Kaurna-Objekte sind un- trag (publiziert in Acta und unter welchen Umständen ist klar und werden es wohl Historico-Ecclesiastica Se- es gereist? Und wer hat es bei der leider bleiben. Was jedoch culi XIX, 1837) „das Mis- klar ist, ist das Wissen, das sionswerk in Europa da- Weitergabe in den Händen gehabt? diese Objekte den Kaurna durch zu fördern, dass Sie, heute vermitteln können. ohne bedeutenden Kostenaufwand, von den Produk- Durch die koloniale Gesetzgebung und Entführung ten Süd-Australiens für die naturforschenden Freun- der Aborigine-Kinder wurde Menschen wie den de unserer Gesellschaft einige Exemplare übersenden Kaurna oft verboten, traditionelle Objekte herzustel- [...] Liebesdienst zur Beförderung der Wissenschaft“. len und zu benutzen, was die Weitergabe von Wissen Die Mission, bei der Schürmann und Teichelmann extrem einschränkte. Dadurch gibt es nur wenige his- gearbeitet haben, und ihre Biographien sind bereits torische Beispiele für die eigene materielle Kultur bei erforscht. Die beiden Männer haben zum Beispiel die den Kaurna selbst. Diese koloniale Vergangenheit ist erste Dokumentation der Kaurna-Sprache erstellt, ein wichtiger Faktor bei der Betrachtung einer Resti- einschließlich grammatikalischer Strukturen. Die tution nicht nur für diese Objekte, sondern für viele vier Objekte wurden 1839, ein Jahr nach der Ankunft Objekte, die in dieser Zeit erworben wurden. der Missionare in Adelaide, gesammelt und 1840 Die Restitution eines Objekts erfolgt nicht nur ma- dem Historischen Museum Dresden geschenkt. 1877 teriell, also physisch, sondern auch immateriell. Sie wurden sie an das Zoologische und Anthropologisch- steht für die Weiter- beziehungsweise Rückgabe von Ethnographische Museum (heute Museum für Völ- Informationen. Diese immaterielle Restitution kann kerkunde Dresden) übergeben. die Geschichte eines Objekts wiederherstellen und helfen, Lücken zu füllen, wenn Dinge und/oder Wis- sen verloren gegangen sind. Die Kaurna-Objekte Jedes Objekt erzählt seine eigene Geschichte. sind wichtige historische Zeugnisse. Sie verbinden In den letzten Jahren ist die Provenienzforschung die Kaurna heute mit ihren Vorfahren und ihrer Ge- dynamisch gewachsen. 2018 richtete das Deutsche schichte. Sie sind identitätsstiftend. Darüber hinaus Zentrum für Kulturgutverluste einen Forschungs- ermöglichen die Keulen, das Netz und der Speer, und Förderbereich zu Kultur- und Sammlungsgut dass diese Art von Objekten wieder angefertigt aus kolonialen Kontexten ein, der Projekte auf frei- werden können. Dadurch wird das kulturelle Erbe beruflichen und institutionellen Ebenen fördert, um wiederbelebt und kann sich von selbst regenerieren. die historischen Wege der Objekte herauszufinden. Wissen kann weitergegeben werden und wachsen. Das Zentrum erstellt Richtlinien, die Themen wie ethische Grundlagen für den Umgang mit Objekten Historische Privilegien überwinden aus kolonialen Kontexten und deren Dokumentati- on und Vermittlung sowie Hinweise zu rassismus- Aus diesem Grund kann die Provenienzforschung kritischer Sprache und anderen Begrifflichkeiten bedeutende positive Veränderungen bewirken. Zu- enthalten. Mit einer gründlichen Erforschung von sammen mit ethnographischen Forschungen kön- lokalgeschichtlichen Kontexten können Museen nen traditionelle Praktiken häufig wieder zeitge- und Institutionen die Diskussion über die histo- mäß werden. Europäische Gemeinschaften sollten KIRCHE weltweit 2/2021 5
2019 wurden in einer feierlichen Zeremonie im Leipziger Grassi-Museum 45 Gebeine und Haarproben, die sich auf Menschen aus den Gunaikurai, Menang und Ngarrindjeri Communities aus Australien zurückverfolgen ließen, an Delegierte dieser Gemeinschaften übergeben. ihre Verantwortung dafür übernehmen. Sie besitzen gang anbieten sowie die Forschung durch Mitglieder wichtige Informationen zu den Objekten und ihren der Gemeinschaft ermöglichen. Sammlungsgeschichten. Es ist an ihnen, die Ethik Dazu ist der spirituelle Wert der physischen Präsenz und Pragmatik ihres Besitzes neu zu betrachten. Auf von Objekten nicht zu unterschätzen. Obwohl Objek- diese Weise überdenken sie historische Privilegien, te aus allen Blickwinkeln in hoher Auflösung fotogra- die häufig Wissenschaft gegenüber Menschenrechten fiert oder in 3D nachgedruckt werden können, über- begünstigt haben. Diese Praktiken zeigen, wie sich sehen Kopien die spirituelle Bedeutung bestimmter eine Gesellschaft mit Fragen kultureller Integration, Objekte. Ein Kaurna-Schild, das in der Art Gallery Wiedergutmachung, und Gerechtigkeit beschäftigt. of South Australia (Kunstmuseum von Südaustrali- Das Wissen aus der Provenienzforschung ruht nicht en) steht, wurde zum Beispiel vom einem Kaurna- nur im Bücherregal oder zirkuliert in akademischen Ältesten so beschrieben, dass es für viele Kaurna Kreisen, sondern wird auch geteilt und getauscht „den Geist und den Schöpfer in sich trägt“ sowie die über Online-Plattformen, Apps und international Weisheit des Landes, der Kultur und des Volkes. Die- zugängliche Datenbanken in mehreren Sprachen. se kulturelle und manchmal auch religiöse Bedeutung Die Objekte, die in den Herkunftsgemeinschaften ist online nicht gut nachvollziehbar. Das Ziel der Res- vorhanden sind, zeigen die Priorität des unkompli- titution berücksichtigt dabei nicht nur das Wohlerge- zierten Zugangs der Gemeinde zu ihrem eigenen hen des Objekts, sondern auch das Wohlergehen der materiellen Erbe. Gemeinschaft, in die es zurück gebracht wird. Spirituelle Bedeutung schwer zu digitalisieren Suche nach den richtigen Partnern Nun könnte das Argument kommen, dass es im di- Viele Menschen hierzulande stellen sich die Frage: gitalen Zeitalter gar nicht mehr nötig ist, Objekte zu Werden die Objekte, die das Museum verlassen, si- zeigen. Digitale Plattformen bieten doch gute Über- cher sein? Werden sie verfallen oder landen sie auf sichten über Sammlungen an und zusätzlich sorgen dem Kunstmarkt und dann in privaten Händen, um sie für institutionelle Transparenz. Aber diese Trans- nie wieder gesehen zu werden? Diese Befürchtungen parenz ist zweischneidig: Manche Objekte sind re- sind nicht unbegründet. Das Risiko, dass einige Ob- ligiös oder kulturell bedeutsam und sind deswegen jekte aus dem öffentlichen Raum verschwinden, kann nicht geeignet, von anderen Gemeinschaften oder den Erhalt des kulturellen Erbes und dessen Nutzung sogar bestimmten Mitgliedern einer Gemeinschaft für Bildung und Forschung gefährden. Dafür hat der gesehen zu werden. Sie wahllos oder ohne Zustim- Zustand eines Objektes eine zu hohe Priorität. mung zu veröffentlichen, kann gegen den Konsens Aus diesen Gründen kann es lange dauern, bis eine der Gemeinschaft verstoßen. Auch wenn ein einge- sichere Restitution an den richtigen Partner stattfin- schränkter Online-Zugang eine Option ist, wird die- den kann. Rückgaben erfolgen manchmal an Museen, ser immer noch durch das Museum vermittelt. Das Geschichtsvereine oder Gemeindezentren. Wenn dort direkte Vorhandensein eines Objekts kann einen zu wenig ausgebildetes Personal vorhanden ist, ist es unmittelbaren und kulturell passend regulierten Zu- wichtig, Wege zu finden, wie eine neue Generation 6 KIRCHE weltweit 2/2021
DEKOLONISIERUNG von Kuratorinnen, Konservatoren und Restaurato- die Kaurna selbst wieder zugänglich und damit ein rinnen ausgebildet werden kann. Es ist auch möglich, Teil deren Alltags werden können. Dieses Wissen dass manche Gemeinschaften die Objekte nicht in der kann auch gerecht geteilt werden und enthält einen Art und Weise aufbewahren wollen, wie es die europä- Wert, der über den materiellen hinausgeht. ischen Museen anstreben würden, sondern sie lieber Wenn ein Objekt in seinen Herkunftsort zurückkehrt, wieder in ihr kulturelles wie die Kaurna-Objekte, Leben integrieren wollen. Am wichtigsten ist, dass Es ist an den deutschen Museen, die sind sie nicht weg. Die In- formationen, die sich nicht die Provenienzforschung Ethik und Pragmatik ihres Besitzes neu nur aus der Provenienz- gründlich ist und der Aus- zu betrachten. Auf diese Weise über- forschung, sondern auch tausch logistisch gut orga- denken sie historische Privilegien, die aus den mündlichen und nisiert und kulturell ange- traditionellen Geschich- passt wird. häufig Wissenschaft gegenüber Men- ten der Gemeinschaft Im Fall der vier Objekte schenrechten begünstigt haben. ergeben, werden doku- haben Vertreterinnen der mentiert, bewahrt, erzählt Kaurna bei ihrem Besuch 2011 darum gebeten, dass und für spätere Generationen gesichert, vor allem für die Objekte nach Adelaide zurückkehren, wo sie im die Kaurna selbst. Der Austausch von Objekten und Tauondi Aboriginal Community College aufbewahrt Geschichten kann Museumssammlungen ergänzen. und ausgestellt werden sollen. Die Objekte wären dann Diese Vielzahl von Tauschvorgängen kann zu mehr sowohl für die Kaurna vor Ort zugänglich als auch für Informationen, Wissen, Objekten und Netzwerken die Lehrer, Professorinnen und Studierenden, die diese führen, so dass die Museen nicht leer, sondern viel- Objekte in ihrer Forschung verwenden können. leicht reicher bestückt sind als zuvor. Beim Loslassen ist viel zu gewinnen Weitere Informationen Einige werden sich vielleicht fragen, ob Besucherin- Deutscher Museumsbund (2021): Leitfaden Umgang mit Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten nen und Besucher zukünftig in Deutschland durch Für Museen. Mit Museen. Ganz in Ihrem Interesse. Leitfaden Umgang mit Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten Umgang mit Sammlungsgut aus leere Museen laufen, wenn die Objekte zurückgege- Wir setzen uns ein für eine vielfältige und Kolonialen Kontexten zukunftsfähige Museumslandschaft sowie für die Interessen der Museen und ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. ben werden. Allein die riesige Anzahl an Objekten * www.museumsbund.de/ in ethnographischen Sammlungen und die Dauer publikationen/leitfaden-zum-umgang- der sorgfältigen Provenienzforschung, die für eine mit-sammlungsgut-aus-kolonialen- Restitution nötig ist, schließt leere Museumshallen Deutscher Museumsbund Deutscher Museumsbund e. V. In der Halde 1 · 14195 Berlin kontexten museumsbund.de aus. Bisher sind auch nur wenige Objekte für eine Rückführung tatsächlich angefragt. Zum Stand der Provenienzforschungen, der Restitution und Letztendlich liegt in Deutschland die Entscheidung den Dekolonisierungsbemühungen haben die staatlichen nicht bei einzelnen Museen. Da die Museen in un- sächsischen ethnographischen Museen in Dresden, Leipzig terschiedlichen Trägerschaften sind, müssen die je- und Herrnhut eine neue Internetplattform eingerichtet. weiligen zuständigen Stellen (Stadträte, Landtage, * https://grassi-voelkerkunde.skd.museum/forschung/ Ministerien, Bundestag) über eine De-akzession dekolonisierung-restitution-und-repatriierung/ entscheiden, was weitere Zeit und gründliche Ent- scheidungsprozesse fordert. Die boasblogs (gegründet 2016) sind eine Serie von the- Dennoch ist beim Loslassen viel zu gewinnen. Die menbezogenen Blogs, die sich zum Ziel gesetzt haben, Kaurna-Objekte haben sowohl eine große Bedeu- aktuelle Themen und Diskussionen rund um die ethnolo- tung in den Staatlichen Ethnographischen Samm- gischen Wissenschaften aufzugreifen. lungen Sachsen als auch bei den Kaurna. Sie stellen einer der frühesten Beispiele für Missionssamm- * https://boasblogs.org/de lungen aus Australien dar und sind noch immer in gutem Zustand, sodass sie heute öffentlich gezeigt Felwine Sarr, Bénédicte Savoy (2018): The Restitution werden können. Die weitere Forschung zu diesen of African Cultural Heritage. Toward a New Relati- Objekten wird neue Erkenntnisse zur indigenen Ge- onal Ethics schichte erbringen. Darüber hinaus werden sie für * http://restitutionreport2018.com KIRCHE weltweit 2/2021 7
PARTNERSICHTEN Es geht um mehr als eine bloße Rückgabe Von der Chance, Wunden zu heilen, und der Gefahr eines Affronts Wie wird die Restitutionsdebatte von Menschen gesehen, die aus einst kolonisierten Ländern stammen? Zwei Stipendiatinnen der Missionsakademie Hamburg sowie der Geschäftsführer des Theologischen Hochlandse- minars Ogelbeng, Papua-Neuguinea, haben sich mit der Frage auseinandergesetzt, welche Objekte zurückge- geben werden sollten, warum und vor allem auch wie. Deutlich ist der Wunsch nach einem Heilungsprozess. Das Erzählen von Geschichten erfolgt in verschie- braucht den weiteren Schritt der Bitte um Vergebung denen Formen, sei es durch Lieder, Gedichte, Tänze, für den Verlust ihrer Identität und ihres ethnischen Gemälde, Kleidungsstücke, Werkzeuge und ähnli- Stolzes, Versöhnung und Heilung der vom Kolonia- ches. Das Erzählen von Geschichten – einschließlich lismus zerbrochenen Seelen. Und auf die gleiche Wei- Sprache, Rhythmus und Ton – sagt viel über eine se ist die Versöhnung und Heilung der Seelen nötig, Kultur, das Leben und die Entwicklung eines Volkes. die von Gier und Überlegenheit geblendet sind. Es ist Lassen Sie mich Ihnen einen Teil meiner Geschichte ein Prozess, ein ständiger Austausch von Gesprächen erzählen – meiner Kultur und meines Volkes. und Geschichten, eine Anerkennung des Raumes des Als ich jünger war, habe ich nie eine Liebe zu Museen anderen, ein Raum des einfachen Seins. Es sind der entwickelt, weil sie ein Ort waren, an dem alte Dinge Zyklus und der Prozess, unsere Geschichten zu erzäh- aufbewahrt werden – ein Beweis für Unzivilisiertheit len und gemeinsam zu heilen. und Barbarei. Zu dieser Zeit kannte ich keinen Stolz Niza Joy Santiago, Hamburg/Philippinen auf die Technologie meiner Vorfahren, weil sie als alt und rückständig betrachtet wurde. Obwohl die Muse- Der Begriff „Rückerstattung“ weist darauf hin, dass et- en darauf abgezielt haben mögen, dass ihr Publikum was unrechtmäßig erworben wurde. Daher muss das unsere Kultur und unsere Geschichte wertschätzt, Gestohlene zurückgegeben werden. In der aktuellen wurde es nicht durch die Lehren in der Schule, in der Debatte gibt es meines Erachtens etliche Vorurteile. Kirche und anderen Bereichen des Gemeinschaftsle- Erstens muss akzeptiert werden, dass in der Vergan- bens unterstützt. Es gab eine sichtbare koloniale Men- genheit viele Mitarbeitende der Mission Gegenstände talität, eine Mentalität, dass die philippinische Kultur gestohlen haben. Ohne Frage waren sie hingebungs- und Identität denen der Menschen aus dem Westen volle Christinnen und Christen; bereit, ihr Leben zu unterlegen ist, die uns jahrhundertelang kolonisiert opfern, um die Gute Nachricht von Jesus Christus zu und unsere Denk- und Seinsweisen verändert haben. verbreiten. Es ist ihnen überhaupt nicht in den Sinn Diese Sichtweise wurde von Museen im Westen un- gekommen, dass diese Objekte jemandem gehö- termauert. Bilder, Kleidungsstücke und andere Arte- ren, weil es auch niemand einforderte. Die meisten fakte kolonisierter Kulturen wurden so gezeigt, dass Missionar*innen haben vermutlich nicht um Erlaub- sie ihre Geschichte in westlicher Perspektive erzäh- nis gebeten, weil sie sich zur Mitnahme berechtigt len. Meistens lief diese Darstellung auf Barbarei und fühlten. Dieser Akt des „Raubes“ spiegelt die harte und Unzivilisiertheit hinaus, wodurch die Kolonisierung schmerzhafte Realität wider: Missionar*in zu sein be- gerechtfertigt und verherrlicht wurde. deutete in der Vergangenheit für viele, anderen überle- Die Rückgabe der Artefakte oder sogar der Gebei- gen zu sein, weil sie einem göttlichen Auftrag folgten. ne von Vorfahren einer bestimmten Kultur wäre ein Zweitens sollten auch die europäischen Kirchen aner- guter Anfang, sollte aber nicht das Ende sein. Es sind kennen, dass sie durch die Einrichtung von Museen nicht nur die Teller, Messer, Gläser oder Knochen mit diesen einzigartigen, exotischen, fremden und einer Kultur, die von den Kolonisatoren als Trophä- seltenen Objekten (absichtlich oder unbeabsichtigt) en ihrer Stärke und Macht weggenommen und nach finanzielle und kulturelle Gewinne generiert haben. Hause gebracht wurden, sondern es sind die Iden- Das Zeigen dieser Objekte führte zu einer noch stär- tität, die Menschlichkeit, die Denk- und Seinsweise keren Überheblichkeit gegenüber den Herkunftslän- eines Volkes, die gestohlen, objektiviert und in Glas- dern. Museen erinnern daran, dass sie diese Objekte behälter gepackt wurden. bewahrt haben, und verdeutlichen damit indirekt, Der Prozess der Dekolonialisierung ist nicht mit der dass die Europäer*innen „zivilisierter“ waren als an- bloßen Rückgabe des Gestohlenen beendet. Es dere. Ein öffentliches Geständnis dieser korporativen 8 KIRCHE weltweit 2/2021
PARTNERSICHTEN Sünde und die Bitte um Vergebung von Gott und den Kategorie 2 ist im Zusammenhang mit Gedanken an Völkern, von denen diese Gegenstände gestohlen Rückgabe geradezu besorgniserregend. Wenn Gegen- wurden, ist angebracht. stände jeglicher Art als Geschenk gegeben wurden, ist Drittens wäre es nur gerecht, den materiellen und im- eine Rückgabe in der melanesischen Kultur sehr be- materiellen Gewinn, der durch die Ausstellungen er- leidigend und damit inakzeptabel. Wir sind eine ge- zielt wurde, zu berechnen. Nur Transparenz kann zei- meinschaftsorientierte Gesellschaft und alles, was wir gen, ob der finanzielle Wohlstand einiger europäischer tun, muss im Einklang mit den Werten und Überzeu- Länder tatsächlich auf diesem Plünderungsakt beruht. gungen unserer Gemeinschaft stehen. Daher ist alles, Das wäre eine echte Wiedergutmachung, die von Reue und nicht nur politischer Korrektheit zeugt. Viertens sollte es einen Konsens zwischen dem „Räu- ber“ und dem „Opfer“ geben. Im Dialog ließe sich die „Räuber-Opfer-Beziehung“ in eine „gemeinsame Pilgerschaft“ in die Vergangenheit umwandeln. Es ist eine schmerzhafte Reise, die nichts mit Schuld zu tun hat. Es geht um Heilung und eine bessere Zukunft für die Menschheit und die Schöpfung. Es muss geklärt werden, was mit diesen Objekten geschehen soll, wie ihre Schönheit und ihr Schmerz zum Wohle des Lan- des und der Nation, aus denen sie stammen, erhalten und bewahrt werden sollen. So wird durch das bei- derseitige Hören der verschiedenen Erzählungen eine zerbrochene Beziehung wiederhergestellt. „Weggenossen auf Pilgerschaft“ entdecken vielleicht auch Erzählungen über einen Austausch von Ge- Teilnehmende der Kundgebung „Restitution Now!“ forderten 2018 vor schenken. Das Schenken ist in vielen Kulturen ein dem Berliner Bode-Museum die Rückgabe von Beutekunst aus Afrika. Zeichen des Vertrauens. Wenn sich als „gestohlen“ wahrgenommene Objekte als Geschenk von Einhei- mischen herausstellen, dann könnte die Rückgabe was auf diese Weise gegeben wird, als Geschenk der auch als Symbol der Heilung und nicht nur als Akt Freundschaft anzunehmen, um die Beziehungen zu der Rückkehr dienen. stärken. Daher ist es in unserem Kontext sehr unhöf- Der erzielte Gewinn sollte „vierfach“ (wie Zachäus lich, ein Objekt an den/die Gebende/n zurückzuge- in Lukas 19,8!) zurückgegeben werden. Es könnte ben. Es signalisiert, dass die in der Vergangenheit auf- damit zum Beispiel ein Museum entstehen. Lassen gebaute Beziehung keinen Wert mehr hat. Menschen, Sie die Herkunftsgesellschaften selbst entscheiden, die die traditionelle melanesische Weltanschauung was das Beste ist! Das ist ihr Recht. Vermeiden Sie respektieren und schätzen, werden diese Handlung den Geist der Überlegenheit und des Paternalismus als respektlos interpretieren. und zwingen Sie uns nicht (wieder) unbewusst auf, Objekte aus Kategorie 3 sollten aus Überzeugung was zu tun ist, wenn diese Objekte in ihre „Heimat“ zurückgegeben werden. Wenn etwas auf unangemes- zurückgebracht werden. sene Weise außer Landes gebracht wurde, sollte man Maraike J.B. Bangun, Hamburg/Indonesien sein eigenes individuelles Urteil darüber fällen. Es ist besser, alle spirituellen Gegenstände zu verbren- Bei der Frage der Restitution müssen wir drei Ka- nen oder einem Museum zu spenden, anstatt sie in tegorien von Objekten unterscheiden: Objekte, unser Land zurückzubringen. Der einzig wahre Gott die von Fremden gekauft wurden; Objekte, die ge- ist jederzeit und überall gegenwärtig und allmächtig. schenkt wurden; Objekte, die ohne unser Wissen Der Geist, den ein Objekt verkörpert, bleibt im Kon- genommen wurden. text der Gesellschaft, die an seine Existenz glaubt. Er Kategorie 1 gehört dem neuen Eigentümer und er oder reist nicht mit nach Übersee. Daher bleiben alle Ob- sie behält sich das Recht vor zu entscheiden, was damit jekte, die Papua-Neuguinea verlassen, gewöhnliche zu tun ist. Eine Rücksendung ergibt für uns aus dieser Objekte. Das ist meine persönliche Überzeugung. Perspektive keinen Sinn. Peter Gigmai, Ogelbeng, Papua-Neuguinea KIRCHE weltweit 2/2021 9
AUSTRALIEN Zeugnisse der Identität und Geschichte Kinderbriefe an die Dresdner Mission sind nun australisches Weltkulturerbe 1840 und 1843 erreichten Briefe die Dresdner Missionsgesellschaft, die von Kindern in der nahe Adelaide gegründeten Missionsschule in ihrer Muttersprache Kaurna geschrieben worden waren. Im Leipziger Archiv haben sie die Jahrzehnte überdauert und sind nun drei von fünf überhaupt noch existenten Dokumenten. Von Ravinder Salooja, Direktor des Leipziger Missionswerkes Am 26. Februar 2021 wurden drei Kaurna-Kinderbrie- Gale daran, die Kaurna- und die Ngarrindjeri-Sprache fe der Leipziger Mission in das australische Weltkultur- mit Hilfe der Wortsammlungen und Sprachbeschrei- erbe-Register aufgenommen. Die Corona-Pandemie bungen der Dresdner Missionare Clamor Wilhelm hat es möglich gemacht, Schürmann und Christi- dass ich früh morgens An meinen Bruder: Ich habe diesen Brief an Gottlob Teichelmann um 5 Uhr an der Online- Ihnen allen geschickt. Schicken Sie mir wieder zu rekonstruie- Zeremonie in Australien teilnehmen konnte. Es war doch etwas für mich zuhause, z.B. Spiel- ren: Es gab noch wenige Menschen, die sich an bewegend für mich, Zeuge zeug. Dann werde ich zuhause viele Tage Worte, Redewendungen dieser Eintragung zu sein. lang glücklich sein. Ich werde glücklich und Lieder erinnerten. Ihr Für die Kaurna-Gemein- tanzen, wenn Sie mir Haushaltsgegen- Wissen zusammen mit Er- schaft der australischen kenntnissen aus verwand- Aborigines im Großraum stände hierher schicken. Diesen Brief hat ten Sprachen sowie den Adelaide bedeuten diese Ihnen Wailtyi geschrieben. Sammlungen der Missi- Briefe von 1840 und 1843 onare führten dazu, dass unheimlich viel: Sie sind drei von fünf schriftlichen Kaurna mit zwei weiteren Sprachen aus Südaustralien Zeugnissen ihrer Sprache aus dem 19. Jahrhundert. heute wieder gesprochen wird. Die Kaurna-Sprache galt bereits in der zweiten Hälfte In der Kultur der Aborigines ist die Sprache zusam- des 19. Jahrhunderts durch den Druck der deutschen men mit dem Boden und religiösen Riten identitäts- und englischen Einwanderung nach Südaustralien als stiftend. Der Besuch von Kira Bain von der Ngarrind- ausgestorben. Erst Ende der 1980er Jahre wagten sich jeri-Gemeinschaft im Oktober 2019 bei uns in Leip- die Sprachwissenschaftler Rob Amery und Mary Ann zig führte mir das noch einmal deutlich vor Augen: Ausstellung „Sprachlosigkeit – Das laute Verstummen“ Wie lässt sich über scheinbar Unaussprechliches spre- chen? Wie überwinden Gesellschaften Zustände der Sprachlosigkeit nach kollektiven Verlust- und Gewalter- fahrungen? Die Ausstellung „Sprachlosigkeit – Das laute Verstummen“ widmet sich vom 16. April bis 1. August 2021 im Japanischen Palais in Dresden der Frage, wie man Phasen des Schweigens als Folge erlittener kollekti- ver Traumata überwinden kann. In der Ausstellung werden auch Faksimiles der Kaurna- Kinderbriefe gezeigt, die inzwischen in die australische Weltkulturerbeliste eingetragen wurden. https://japanisches-palais.skd.museum/ausstellungen/ sprachlosigkeit-das-laute-verstummen/ 10 KIRCHE weltweit 2/2021
JAHRESFEST Sie berichtete, dass Aborigines nicht ohne Einladung das Gebiet einer fremden Gemeinschaft betreten und dass sie sich an deren Grenze in deren lokaler Sprache verständlich machen müssen. Deshalb ist die Wie- GÄSTE, dererweckung (wie Rob Amery sich ausdrückt) der FREMDLINGE & Aborigines-Sprachen so wichtig. Die Kaurna-Kinder- briefe sind ein so bedeutsames Zeugnis, dass sie nun ANDERE HEILIGE zum australischen Weltkulturerbe gehören. Epheser 2,19 Briefe seit 2014 wieder in Australien 2014 übergaben unser Asien/Pazifik-Referent Hans- Georg Tannhäuser und Geschäftsführer Martin Ha- belt die Originalbriefe, die bis dahin im Archiv der Leipziger Mission in den Franckeschen Stiftungen Sonntag, 18. Juli 2021 zu Halle lagen, an die Kaurna-Gemeinschaft. Sie sind nun Teil der Sondergut-Sammlung der Univer- sitätsbibliothek von Adelaide. Deren Leiterin Cheryl Hoskin hat den Weltkulturerbe-Antrag der Kaurna- Einladung zum 185. Jahresfest Gemeinschaft entscheidend unterstützt. 10 Uhr Gottesdienst in der Leipziger Nikolaikirche Der Inhalt der Briefe ist eigentlich trivial; sie erin- Liturgie: Direktor Ravinder Salooja, Leipzig nern an Briefe aus heutigen Kinder-Patenschaften: Predigt: Pfarrerin Prof. Dr. Dorottya Nagy, Göt- „Ich würde mich über Spielzeug freuen“, schreiben tingen, Amsterdam Wailtyi und Pitpauwe. Auf der Rückseite haben die Missionare eine Übertragung ins Deutsche beigefügt. Der Gottesdienst wird im Live-Stream auf unserem Die Briefe geben Zeugnis für den Erfolg der Leipzi- YouTube-Kanal übertragen. Für die Anwesenden vor ger Missionsschule in Adelaide. Allerdings entzog der Ort gelten die Corona-Bestimmungen der Gemeinde. britische Gouverneur nach kurzer Zeit der Leipziger Australien-Mission und ihrer Schule seine Unterstüt- *** ONLINE-VIDEO-PLATTFORM ZOOM *** zung. Da die Missionsgesellschaft in dieser Zeit nicht Technische Hilfestellung ab 13.30 Uhr gut bei Kasse war und weil die Australien-Missionare 14 Uhr Begrüßung und Grußwort von Landesbischof keine Tauferfolge vermelden konnten, wurde dieser Tobias Bilz, Dresden Arbeitsbereich schon 1846 wieder eingestellt. Der Wert der Briefe besteht für die Kaurna-Gemein- 14.15 Umgang mit Vielfalt in Kirchgemeinden schaft darin, ein Zeugnis ihrer Identität und ihrer Thematischer Impuls und Austausch mit Frank eigenen Geschichte wieder in den Händen halten zu Koine, Jugendpastor im Erprobungsraum Wit- können. Für uns – für das Leipziger Missionswerk in tenberg, und anderen Nachfolge der Dresdner/Leipziger Mission – ist es 14.45 Kleingruppen eine Ehre, dass wir durch die Übergabe der Original- • Angefragte Mission. Der Lernweg eines briefe an die Gemeinschaft, von deren Angehörigen Leipziger Missionars sie geschrieben wurden, einen Leben-stiftenden Bei- • Vielfalt in der Kirchgemeinde trag leisten konnten. Denn das ist es doch, worum es • Mission in aller Öffentlichkeit in der Mission geht: Dass wir ein Zeugnis geben von • Aktuelle Situation in den Partnerkirchen dem Gott, der Leben in Fülle für alle will. • Meet & Greet der Freiwilligen In dieser Perspektive sehen wir schon die nächste Auf- gabe auf uns zukommen: Die kritische Begutachtung 15.30 Pause unserer rund 3.500 Objekte umfassenden ethnologi- 16 Uhr Abschlussrunde, Ende gegen 17 Uhr schen Sammlung. Was verbirgt sich darin? Wie sind die Objekte zu uns gekommen? Und welche Bedeutung Die Zugangsdaten für die Online-Veranstaltung erhal- haben sie? Wir würden uns freuen, wenn Sie uns darin ten Sie bis Freitag, 16. Juli, 13 Uhr bei Kerstin Berger unterstützen, diese Herausforderung zu bewältigen. 0341 9940 643 @ Kerstin.Berger@LMW-Mission.de. KIRCHE weltweit 2/2021 11
FÜRBITTE KONKRET Corona in Indien und Papua-Neuguinea Die Corona-Pandemie zeigt sich ganz unterschiedlich. In einer Region wächst der Optimismus, das Virus besiegt zu haben, in einer anderen wächst die Bedro- hung. Medikamente und Impfdosen sind ungleich verteilt. Große Unterschiede in der Belastbarkeit der Gesundheitssysteme werden sichtbar. Auch unsere Partner waren und sind zu unterschiedlichen Zeiten ganz unterschiedlich betroffen. Wir lassen deshalb nicht nach in der gegenseitigen Hilfe und Fürbitte. Gott, Du verbindest uns Menschen. In Angst und Unsi- cherheit werden wir uns nah. Wir teilen Fragen und Sor- gen, Nicht-Wissen und doch Ahnen, was kommen kann. Wir bitten für alle Kranken und die es werden, die Angst haben, dass das Virus sie erreicht, für alle Ärzt*innen und Pflegenden, für die, die in diesen Ta- gen um ihre Existenz bangen. Wir bitten Dich, dass Im kirchlichen Kinderheim in Kamuthi in Tamil Nadu wurden mit Spen- dengeldern finanzierte Hilfsgüter übergeben. Du uns alle bewahrst in diesen schweren Zeiten. Lass uns solidarisch teilen und anbieten, was uns an den sie dann noch vor? Gott, steh den Menschen bei Hilfen möglich ist, damit in Zukunft nicht nur sicher in ihrer Not. Stärke alle, die sich an Hilfsprogrammen leben kann und geschützt ist, wer reich ist. beteiligen. Amen. Dankbar sind wir für die vielen Zeichen der ökumeni- schen Verbundenheit, die uns aus den verschiedenen Papua-Neuguinea Erdteilen erreichen und uns in der gemeinsamen Für- bitte vereinen. Amen. Die Inselsituation erleichterte für Papua-Neu- guinea zwar einerseits ein rigoroses Abschotten gegenüber pandemischen Einflüssen und Infek- Indien tionen, aber andererseits wurde damit das wirt- Nach einer Phase der Entspannung kam das Virus schaftlich schlecht aufgestellte Land immer mehr im April und Mai zurück. Die Infektionszahlen sind ins Abseits gedrängt. Auf Grund der begrenzten nicht mehr beherrschbar. Die Krankenhäuser sind medizinischen Infrastruktur besteht zudem gro- überbelegt. Viele Menschen sterben. So makaber es ße Angst vor Schwersterkrankungen, weil für die klingt: Es müssen Sonderregelungen für das Schla- nötige Versorgung der Infizierten viel zu wenige gen von Holz getroffen werden. Die Verbrennung Krankenhäuser zur Verfügung stehen. der Toten nach hinduistischem Brauch hat ungeahn- te Zahlen angenommen. Herr, unser Gott, unsere Gedanken gehen nach Papua- Neuguinea. Bei den Menschen herrscht große Unsi- Herr, unser Gott, wir kommen mit unserer Klage cherheit über die Verbreitung des Coronavirus, da es zu Dir. In unserer indischen Partnerkirche in Tamil immer noch sehr wenige Tests gibt. Wird es bei den Nadu sind bisher erst sehr wenige geimpft. Die Bevöl- überschaubaren offiziellen Zahlen bleiben? Was bringt kerung fühlt sich von ihrer Regierung verlassen. Poli- die Zukunft? Wir denken besonders an die vielen Kin- tische Kampagnen, Wahlerfolge und der Kampf gegen der und Jugendlichen, deren ohnehin schon schwierige nichthinduistische Religionen scheinen wichtiger zu Schul- und Ausbildungssituation immer wieder ausge- sein als mutige Strategien und staatliche Unterstüt- bremst wurde. zungen in der Pandemie-Bekämpfung. Die Armen Große Hoffnung wird auf baldige Impfungen gesetzt. leiden am meisten. Viele leben als Tagelöhner*innen Lass uns unsere Impfvorräte und unser Knowhow weit entfernt von ihren Dörfern in den großen Städ- weltweit so verteilen, damit Menschen aller Erdteile ten. Wie sollen sie nach Hause kommen? Und wen fin- hoffnungsfroh in die Zukunft blicken können. Amen. 12 KIRCHE weltweit 2/2021
FÜRBITTE KONKRET Verständigung zwischen den Religionen in Tansania Das Grußwort der neuen tansanischen Präsidentin Wir bitten um Frieden, Verständnis und gegenseitigen Samia Suluhu Hassan zum christlichen Osterfest hat Respekt im Miteinander der Religionsgemeinschaften für Aufsehen gesorgt. Auf ihrem Twitter-Kanal war in Tansania und allen anderen Ländern der Welt. am 4. April zu lesen: „Ich wünsche allen Tansaniern Gott der Versöhnung und Barmherzigkeit, Dein Sohn Frohe Ostern. Lasst uns die Auferstehung von Jesus Jesus hat gesagt: „Selig sind, die Frieden stiften; denn Christus feiern, indem wir für unsere tansanische sie werden Gottes Kinder heißen.“ Nation beten und den Frieden, die Liebe und den In seinem friedenstiftenden Geist bitten wir Dich: Zusammenhalt bewahren. Lasst uns unsere Bemü- Segne die alltäglichen Begegnungen und das Gespräch hungen fortsetzen, unser Land aufzubauen, indem zwischen christlichen und muslimischen Gläubigen in wir klug sind und fleißig arbeiten. Jesus ist auferstan- Tansania, damit sie gemeinsam zum Frieden in ihrem den, Halleluja, Halleluja.“ Land beitragen. Diese Worte der Präsidentin, die der muslimischen Für die leitenden Verantwortlichen der Religionsge- Religionsgemeinschaft angehört, bestärkten die meinschaften, dass sie Toleranz und Gerechtigkeit Hoffnung, dass sie nicht nur im politischen Bereich üben, für eine menschenwürdige Gesellschaft eintreten für Entspannung sorgen will, sondern sich auch für und immer wieder das Gespräch suchen, um Konflikte ein friedliches Miteinander der verschiedenen Re- beizulegen. ligionen in Tansania einsetzt. Denn die Beziehung Lass uns alle, die wir uns als Glaubensverwandte zu zwischen Christentum und Islam war in Tansania Dir, als dem einen Gott bekennen, glaubwürdige Zeu- während der vergangenen Jahre durchaus ange- gen Deiner Gegenwart sein und in guter Nachbar- spannt. schaft leben. Amen. Freiwilligenprogramm Die Corona-Pandemie stellt das Freiwilligenpro- gramm weiterhin vor großer Herausforderungen. Von zehn Freiwilligen aus unseren drei Partnerkir- chen konnten bislang nur sechs Tansanier*innen einreisen. Auch die in Deutschland ausgewählten Freiwilligen ringen derzeit mit der Unsicherheit, ob eine Ausreise im Herbst nach Indien und Tansania wirklich realistisch ist. Wir bitten Dich für die eingereisten Freiwilligen aus Tansania, mögen sie trotz der coronabedingten Kon- takteinschränkungen hier in Deutschland gut ankom- men und wertvolle Begegnungen erleben und wichtige Erfahrungen machen. Sei bei ihnen, wenn sie ihre Ein- Gemeinsam in Quarantäne: Mary Sanga (l.) aus Ifakara, Jackrene satzstellen und ihr Wohnumfeld erkunden. Sanga aus Matamba und Eva Jongo (r.) aus Sanya Juu, Tansania. Sei auch mit den Freiwilligen in Indien, die aufgrund der schrecklichen Situation in ihrem Land gerade nicht Wir bitten Dich, sei bei allen Freiwilligen in der von nach Deutschland ausreisen dürfen. Behüte sie und ihre Ungeduld, Ungewissheit und Angst geprägten Zeit. Gib Familien, dass sie gesund bleiben und unverzagt durch ihnen und ihren Familien die nötige Gelassenheit und die Zeit der harten Ausgangssperre kommen. das Verständnis für diese Situation. Wir bitten Dich für Yanam in Papua-Neuguinea, der Sei auch bei den Entscheidungstragenden, im LMW, in weiterhin keine Möglichkeit hat, überhaupt ein Visum den Einsatzstellen und den staatlichen Stellen hier und zu beantragen, weil die Grenzen in Singapur immer in den Partnerkirchen, die einschätzen müssen, was noch geschlossen sind. Gib ihm die Kraft und die Ge- verantwortlich und sinnvoll ist. Niemand soll zu Scha- duld für die ungewisse Zeit des Wartens. den kommen. Amen. KIRCHE weltweit 2/2021 13
SAMMLUNGEN IM LMW Die Sammlungen sind das Gedächtnis des Hauses Zu den historischen Beständen des Leipziger Missionswerkes Elke Bormann hat mit ihren 82 Lebensjahren fast 30 Jahre Erfahrung und Wissen zur Geschichte des Missi- onswerkes. Die Sammlungen sind vor allem ideell wichtig, weil sie viel über seine Historie erzählen. Sie mit den Menschen in den Partnerkirchen zu teilen, ist auch ihr ein Anliegen. Mit Elke Bormann sprach Antje Lanzendorf, Leiterin der LMW-Öffentlichkeitsarbeit. Die Sammlungen der Missionswerke in Deutschland oder gesendet worden. Vor allem die Ärzte und Mis- rücken vermehrt in den Blickpunkt, wenn es um ko- sionsschwestern sind häufig mit Geschenken be- loniale Kontexte geht. Worüber sprechen wir bei den dacht worden. Wir haben zum Beispiel ein Gnufell, Sammlungen des Leipziger Missionswerkes? das einst Schwester Erika Richter geschenkt wurde. Wir haben eine Reihe von Exponaten und Archivali- Vieles ist auch durch gezielte Ankäufe zu uns gekom- en aus kolonialer Zeit. Das betrifft zum einen unser men. Was die Missionare damals zu einem Spottpreis historisches Bildarchiv, zu dem auch Zeichnungen gekauft haben, hat heute einen ganz anderen Wert. Sie waren angehalten, Objekte zu besorgen, die den zukünftigen Missionaren das Leben und die Kultur in den Missionsgebieten verdeutlichen können. Da geht es zum Beispiel um Essgeschirr oder Schmuck. Was gibt es sonst noch an Besonderheiten? Wir haben ein paar Artefakte, die heute aus Grün- den des Naturschutzes nicht mehr ausgeführt werden dürfen, zum Beispiel einen präparierten Nilpferdfuß. Wertvoll ist ein Büßerjoch aus Indien, das aber leider bei einer Umlagerung 1991 aus seiner Verankerung gestürzt ist und dabei stark beschädigt wurde. Das ist heutzutage in Indien selten und muss restauriert werden. Unser ältestes Objekt ist wohl eine steiner- ne Ratte, die das Reittier des Hindu-Gottes Ganesha symbolisiert. Ein indischer Archivar hat sie auf 500 Gemeinsam mit dem emeritierten Leipziger Afrikanistikprofessor Dr. Jahre geschätzt. Belegen lässt sich das nicht. Adam Jones stöbert Elke Bormann im Magazin. Es wird ja vermehrt nach Schädeln gesucht. Können Sie und Landkarten gehören. Zum anderen haben wir diese für die Missionssammlung ausschließen? eine ethnologische Sammlung mit einigen Ritual- Menschliche Gebeine hat es niemals im Bestand ge- gegenständen, aber vor allem mit künstlerisch nicht geben. besonders wertvollen Alltagsgegenständen, die als Anschauungsobjekte für die angehenden Missio- Wie steht es insgesamt mit belegbaren Daten zu den nare und zur Spendenwerbung in den Gemeinden Exponaten? genutzt wurden. Sie haben großen ideellen Wert. Schlecht. Es wurde nicht erfasst, wer was mitgebracht Insgesamt sind es etwa 3.500 Stücke. hat. Die genaue Herkunft eines Objekts spielte zur Zu erwähnen ist auch unser Depositum in den Fran- damaligen Zeit keine Rolle. Wie bei den Fotos sollten ckeschen Stiftungen in Halle. Palmenblatt- und an- auch die Exponate Allgemeingültigkeit besitzen. Nicht dere Handschriften sind natürlich auch bedeutende der Name des Missionars, der das Foto gemacht hat Zeugen der Vergangenheit. oder der darauf zu sehen war, war wichtig, sondern das Motiv oder der Gegenstand selbst. Die Grundphi- Wie sind die Objekte ins LMW gelangt? losophie war: Nicht wer, wann, wo? Sondern jeder, Sie sind meist von den Missionsmitarbeitern, den jederzeit, überall. Das macht unsere Provenienzfor- Theologen aber auch Handwerkern, mitgebracht schung ausgesprochen schwer. 14 KIRCHE weltweit 2/2021
SAMMLUNGEN IM LMW Für die erste Ausstellung 1913 ist zum Beispiel nur vermerkt, um welche Art von Gegenstand es sich handelt und wofür er genutzt wurde. Keine Her- kunft, kein Entstehungsjahr. Nur bei wenigen Einzelstücken gibt es Geschich- ten zu den Objekten, wie bei der kleinen steiner- nen Vishnu-Statue, die auch in unserer Ausstellung zu sehen ist. Da haben wir eine Beschreibung von Missionar Kabis, in der er deren Weg nachzeichnet. Götterfiguren wurden auch an die Missionare über- geben als Zeichen, dass sie für den indischen Chris- ten nun keine Rolle mehr spielen. Wie lassen sich diese Lücken heute in Erfahrung bringen? Ich wüsste nicht wie. Die Missionsblätter haben klar einen theologischen und personellen Schwerpunkt. Historische Bilder und Exponate des LMW werden für andere Ausstel- Über so etwas Landläufiges wie eine Kalebasse wur- lungen ausgeliehen, wie hier für die Luther-Ausstellung 2017 in Berlin. de dort nichts veröffentlicht. Am ehesten noch in der „Kleinen Missionsglocke“ für Kinder. Über die Ausbildung der Missionare am Missi- investiert werden. Mir ist es wichtig, dass die Ob- onsseminar gibt es leider keine wissenschaftlichen jekte – unabhängig von ihrem Aufbewahrungsort – Forschungen. Vielleicht sind in schriftlichen histo- bewahrt und gegebenenfalls restauriert werden. Die rischen Unterlagen Hinweise, mit welchen Gegen- Frage, wem sie gehören oder wo sie liegen, ist für ständen die Zöglinge ausgebildet wurden. mich nebenrangig. Auch in den Briefen der Missionare könnten Hin- weise zu finden sein. Das zu recherchieren ist ein Das würden Menschen aus Indien oder Tansania vermut- immenser Aufwand. Einige Missionare waren sehr lich anderes sehen ... eifrige Schreiber ... Das mag sein. Aber man muss bedenken, dass die Aber man muss auch sagen, dass am Anfang keine Gegenstände mehr als 100 Jahre hier bewahrt wor- Ausstellung oder gar ein Museum im Blick stand. Es den sind, selbst zu DDR-Zeiten. war keine systematische Sammlung geplant. Ich denke, der Austausch und das gemeinsame Aufarbeiten sind wichtig. Es geht nicht darum, ob Können Sie sich vorstellen, dass Missionare Gegen- weiße Wissenschaftler besser sind. Aber sie haben stände unrechtmäßig erworben haben? vielleicht an der einen oder anderen Stelle mehr Es gab sicherlich unterschiedliche Einstellungen. Wir Erfahrung. Dieses Wissen sollte geteilt werden und wissen aus Briefen und Berichten, dass damals man- es wäre schön, wenn dieses Angebot angenommen che mehr, andere weniger mit den Kolonialherren werden würde. zusammengearbeitet haben. Einerseits waren die af- Gleichzeitig sollten wir auch verstärkt unsere Gäste rikanischen Menschen sehr arm und die Weißen so in die Sammlungen führen, um sie zum einen mehr privilegiert, dass sie manches unter Zeitwert erhalten bekannt zu machen und zum anderen im Gespräch haben. Andererseits waren die Missionare angesehe- Weiteres über die Objekte zu lernen. ne Personen, die hatten es nicht nötig, sich etwas mit Gewalt zu beschaffen. Diebstahl verbietet sich von Wenn das alles so aufwendig ist, warum gibt man die selbst, wenn man die zehn Gebote ernst nimmt. Ich Sammlungen dann nicht ab oder verkauft sie? denke nicht, dass unsere Missionare sich da etwas ha- Weil sie hier gewachsen sind! Das würde die Ge- ben zu Schulden kommen lassen. schichte des Hauses entseelen. Alle vorherigen Ge- nerationen haben sich auf ihre Weise bemüht, die Wie sehen Sie die aktuelle Debatte um Provenienzfor- Sammlung zu bewahren, die ihre Vorgängerinnen schung, Rückgabe etc.? und Vorgänger zusammengetragen haben. Solan- Es ist ganz wichtig, dass Gerechtigkeit geschieht. Es ge die Leipziger Mission besteht, sollte sie ihr Erbe ist allerdings immer abzuwägen, wohin die Kräfte nicht weggeben. KIRCHE weltweit 2/2021 15
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