ORDINARY HEROES. FILME VON ANN HUI PIONIERINNEN DES ARABISCHEN DOKUMENTARFILMKINOS COLLECTION ON SCREEN. THE OTHER - MÄRZ BIS 2. MAI 2023

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ORDINARY HEROES. FILME VON ANN HUI PIONIERINNEN DES ARABISCHEN DOKUMENTARFILMKINOS COLLECTION ON SCREEN. THE OTHER - MÄRZ BIS 2. MAI 2023
2. MÄRZ BIS 2. MAI 2023
ORDINARY HEROES. FILME VON ANN HUI
 PIONIERINNEN DES ARABISCHEN
­DOKUMENTARFILMKINOS
COLLECTION ON SCREEN. THE OTHER

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ORDINARY HEROES. FILME VON ANN HUI PIONIERINNEN DES ARABISCHEN DOKUMENTARFILMKINOS COLLECTION ON SCREEN. THE OTHER - MÄRZ BIS 2. MAI 2023
Willkommen im
Österreichischen Filmmuseum
Das Österreichische Filmmuseum widmet sich seit 1964 der Sammlung,
Bewahrung, Erforschung und Vermittlung des Mediums Film in all
seinen Aspekten. Das beinhaltet ganz zentral die Ausstellung und
Vermittlung von Film – als Kunstform, Kulturtechnik und Zeitdoku-
ment – in unserem Kinosaal, dem »Unsichtbaren Kino« in der Albertina.
   Wir sind bestrebt, Werke aus der Geschichte des Films im jeweili-
gen Originalformat und in den weltweit bestmöglich erhaltenen
Filmkopien (35mm bzw. 16mm) zu zeigen. Aus konservatorischen
oder kuratorischen Gründen ergibt sich aber immer öfter die Not-
wendigkeit, auch auf Film hergestellte Werke digital vorzuführen,
weil kein Filmmaterial zugänglich ist.
   Filme werden bei uns grundsätzlich in ihrer originalen Sprachfas-
sung gezeigt und gegebenenfalls untertitelt. Für unsere internatio-
nalen Gäste weisen wir Vorführungen in englischer Sprache bzw.
englischer Untertitelfassung gesondert aus.
Screenings in English or with English subtitles are marked with this symbol ★

INHALT
Allgemeine Informationen 2
Ordinary Heroes Filme von Ann Hui 3
Permissible Dreams Pionierinnen des arabischen Dokumentarfilmkinos 16
Collection on Screen Joe Hisaishi, Filmkomponist 31
Collection on Screen The Other – Ich ist ein/e Andere/r/s 36
Sanja Iveković Works of Heart (1974–2022): Artist’s Choice Nr. 3 49
Kino für die Kleinsten Cinemini on tour: Lass uns tanzen! 51
Werkstattgespräche mit Filmpionierinnen Elfi Mikesch 52
Collection on Screen Meets Filmpionierinnen 54
Schule Friedl Kubelka Final Screening Klasse 22/23 55
Collection on Screen Lav Diaz – Teil 4 56
Treibgut Eumig: Vom Funken zur Projektion 57
Zyklisches Programm Was ist Film 45–62 59
Spielplan. Alle Filme von 2. März bis 2. Mai 2023 65
Dank 71
Impressum 72
Innerhalb eines Themas sind die Filme in der Reihenfolge ihrer Programmierung
geordnet.
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ALLGEMEINE INFORMATIONEN
SPIELORT/VEREINSSITZ 1010 Wien, Augustinerstraße 1
TICKETS
Kassa: geöffnet ab einer Stunde vor Beginn der ersten Vorführung
Mitglieder: 6 Euro
Ohne Mitgliedschaft: 10,50 Euro
Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre: 6 Euro
Studierende mit Mitgliedschaft: 5 Euro / Regelmäßige Programme
(Collection on Screen, Was ist Film, Treibgut, Werkstattgespräche mit Filmpionierinnen): 3 Euro
Studierende ohne Mitgliedschaft: 9,50 Euro
Zehnerblock für Mitglieder: 45 Euro
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TELEFONISCHE KARTENRESERVIERUNG T 01/533 70 54
MITGLIEDSCHAFTEN 2023
Jahresmitgliedschaft: 15 Euro
Jahrespartnermitgliedschaft: 25 Euro
Fördernde Mitgliedschaft: ab 70 Euro
Fördernde Partnermitgliedschaft: ab 120 Euro
VORTEILE FÜR ALLE MITGLIEDER
Ticket 6 statt 10,50 Euro, Zehnerblock 45 Euro, postalische Zusendung
des Programmhefts und freier Eintritt am Geburtstag.
ZUSÄTZLICHE VORTEILE FÜR FÖRDERNDE MITGLIEDER
Exklusive Einladungen zu Vorpremieren und zu Führungen in Partnermuseen,
freier Eintritt zu ausgewählten Vorstellungen.
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ABKÜRZUNGEN
UT Untertitel ZT Zwischentitel
   Veranstaltungen mit Gästen oder Einführungen ★ English language or subtitles
FILMTEXTE VON
Christoph Huber, Boris Nelepo, Andrea Pollach, Julia Pühringer, Elisabeth Streit, Alexis Tioseco,
Harry Tomicek, Janneke van Dalen, Stefanie Van de Peer, Tom Waibel, Katja Wiederspahn,
Constantin Wulff, Stefanie Zingl

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2. MÄRZ BIS 29. APRIL 2023

Ordinary Heroes
Filme von Ann Hui

Im Jahr 2020 wurde Ann Hui bei den 77. Filmfestspielen von Venedig The Golden Era
mit dem Goldenen Löwen für ihr Lebenswerk ausgezeichnet. Erstmals (2014)
ging dieser renommierte Preis an eine Regisseurin, aber für Hui ist
selbst das nur eine weitere Zeile in ihrem Lebenslauf. Die Hong Kong
Film Academy hat vier ihrer Filme in die Liste der hundert besten chi-
nesischen Filme aller Zeiten aufgenommen (The Secret [1979], The
Spooky Bunch [1980], Summer Snow [1995] und Boat People [1982]).
Dass sie sechsmal in der Kategorie Beste Regie gewonnen hat, ist der
bisherige Rekord bei den Hongkong Film Awards. Seit der Einführung
dieser Preisverleihung vor vier Jahrzehnten gab es nur zwei Filme, die
in allen wichtigen Kategorien eines Jahres gewonnen haben und bei-
de wurden von Ann Hui inszeniert (Summer Snow sowie A Simple Life
[2011]). Hui nahm an den wichtigsten Filmfestivals teil: Cannes, Venedig

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und Berlin. Zudem wurde sie 1997 als letzte Hongkongerin mit dem Our Time Will
Most Excellent Order of the British Empire ausgezeichnet. Doch trotz Come (2017)
all dieser Anerkennung bleibt Ann Hui eine schwer fassbare Figur.
    Sie wurde 1947 in Anshan in der Mandschurei geboren, kurz bevor
die Stadt von der Volksbefreiungsarmee eingenommen wurde. Zu-
sammen mit ihrer japanischen Mutter und ihrem chinesischen Vater
zog Hui zwei Jahre später nach Macau, als sie fünf Jahre alt war, ließ
sich ihre Familie schließlich in Hongkong nieder. Hui studierte Litera-
tur an der Universität von Hongkong, bevor sie 1972 an die London
Film School ging. Nach ihrer Rückkehr assistierte sie dem einflussrei-
chen Filmemacher King Hu und war unter anderem für das Korrektur-
lesen der englischen Untertitel für sein Martial-Arts-Meisterwerk
A Touch of Zen (1971) zuständig. Anschließend arbeitete sie für das
Fernsehen und führte Regie bei Dokudramen, Nachrichtensendun-
gen und kurzen Spielfilmen. Die Neue Welle in Hongkong wurde von
Regisseur*innen geprägt, die vom Fernsehen auf die große Lein-
wand wechselten. Hui ist die Pionierin dieser Welle und die einzige
Frau der ersten Generation der Bewegung. Mit 28 Spielfilmen zählt
sie neben Tsui Hark zu den produktivsten Filmemacher*innen der
Gruppe.

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Motive wie die Vergänglichkeit und die Suche nach einem Zuhause,
die Anstrengungen um den familiären Zusammenhalt, ein sinnliches
Erinnern an die Vergangenheit oder das Ringen um eine eigene Iden-
tität schöpft Ann Hui aus ihrer Biografie. Sie zeigt die Verwüstungen
und Wirren des 20. Jahrhunderts sowie deren Spuren, die sie bei
Menschen hinterlassen haben, mit einer solchen Klarheit und Emoti-
onalität, dass man ihre Filmografie als Schlüssel zum ostasiatischen
Kino verstehen kann. In Interviews spricht Hui gewöhnlich bescheiden
über sich selbst als Künstlerin, reklamiert aber die Absicht, eine Chro-
nik des Lebens in Hongkong schaffen zu wollen, durchaus für sich.
     Ann Hui ist eine Filmemacherin, deren Gesamtwerk größer ist als
die Summe ihrer einzelnen Filme. Ihre Werke bilden verschiedene
­Zyklen, die sich aufeinander beziehen. In der Tradition eines Hong-
 kong-Kinos, das populäre Genres
 künstlerisch interpretiert, machen
 Genrefilme etwa die Hälfte von Huis
 Filmografie aus: Action, Geister­
 geschichten, Melodramen, Thriller,
 Kriegsdramen und Horror. Zudem
 ist sie wahrscheinlich die einzige Re-
 gisseur*in im ostasiatischen Kino,
 die solch ein detailliertes Panorama
 aktivistischer Bewegungen und so-
 zialer Einrichtungen zeigt. Schon in
 ihrer Fernseharbeit beschäftigt sie
 sich ausführlich mit Themen wie
 Flucht, Sozialarbeit oder Korruption
 und tut dies in Folge auch in ihren
 Kinofilmen.
     Als eine Regisseurin, die eine intensive Zusammenarbeit mit ihren Ann Hui
 Schauspieler*innen pflegt, kann ihre Filmografie als Verzeichnis der
 wichtigsten Protagonist*innen des Hongkong-Kinos gelesen wer-
 den: Andy Lau, Josephine Siao, Chow Yun-fat, Maggie Cheung, Cora
 Miao, Deanie Ip, Anita Mui, Michelle Yeoh, Jacky Cheung und Lee
 Kang-sheng, um nur einige zu nennen. Das Kino selbst wird selten
 zum Thema ihrer Filme, aber A Simple Life – in dem ein Filmprodu-
 zent immer wieder aufs Festland reist, um in China an historischen
 Filmen zu arbeiten – dient als bittere Metapher für die Filmindustrie
 Hongkongs und ihren Niedergang.

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ORDINARY HEROES. FILME VON ANN HUI PIONIERINNEN DES ARABISCHEN DOKUMENTARFILMKINOS COLLECTION ON SCREEN. THE OTHER - MÄRZ BIS 2. MAI 2023
Wie viele Filmemacherinnen ihrer Generation zögert auch Ann Hui,        Love After Love
sich als Feministin zu bezeichnen. Dennoch gehören ihre besten Ar-          (2020)
beiten zu den Höhepunkten eines feministischen Kinos. In Interviews
hat Hui erklärt, dass es ihr »einfach leichter fällt, sich mit weiblichen
Charakteren zu identifizieren«. Frauen sind in ihrem Kino oft die trei-
bende Kraft. Über Politik spricht sie in der Regel nur ungern, da sie
sich nicht als Expertin sieht. Dennoch ist fast jeder ihrer Filme tief in
einen politischen und historischen Kontext eingebettet.
    Ihre formale Methode basiert auf einer Polyphonie von Stimmen
und einer Vielzahl von Blickwinkeln. Dabei kann es sich um innere Mo-
nologe der Figuren handeln, um Briefe, die sie schreiben, um ihre ge-
äußerten Gedanken oder um Interviews. Ihre Berufung als Chronis-
tin, ihre beachtliche Fernseharbeit, ihre Themenvielfalt, insbesondere
ihre Aufmerksamkeit für Minderheiten und Entrechtete aller Couleurs,
Aktivist*innen und soziale Strukturen, stellen sie in die Nähe von Re-
gisseur*innen wie Želimir Žilnik. Im Gegensatz zu Žilnik ist sie jedoch
keine aktivistische Filmemacherin, sondern vielmehr eine Beobach-
terin, die daraus ihre Themen schöpft.
    Was ist Politik? Wie kann Aktivismus aussehen und was kann              In Kooperation
sein Ziel sein? Für Ann Hui scheint das Streben nach Liebe und Zärt-        mit Red Lotus
                                                                            Asian Film
lichkeit, auch wenn es vergebens ist, eine politische Geste zu sein.        Festival Vienna
(Boris Nelepo)                                                              red-lotus.org

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Tin shui wai dik yat yu ye (The Way We Are)
Ann Hui. HK, 2008, DCP, Farbe und sw, 90 min. Kantonesisch mit engl. UT ★
Das Aufkommen der Digitaltechnik eröffnete eine neue Phase in Ann               DONNERSTAG
Huis Arbeit. The Way We Are, ihr digitales Debüt, ist eine fast intime          2.3. / 20.30
Chronik der Freundschaft zwischen zwei älteren Nachbarinnen: die                   In Anwesen-
eine ist eine alleinerziehende Mutter, die im Supermarkt arbeitet, die          heit von Ann Hui
andere eine einsame Großmutter, der der Kontakt zu ihrem Enkel ver-
wehrt wurde. Als Schauplatz für ihre erste Arbeit mit der HD-Technik            SAMSTAG
wählte Hui die Satellitenstadt Tin Shui Wai in den New Territories von          1.4. / 20.30
Hongkong, die wegen ihrer sozialen und kriminellen Probleme als
»Stadt der Traurigkeit« bekannt ist (auch Pedro Costas wechselte
zum digitalen Bild, um die armen Außenbezirke von Lissabon einzu-
fangen). Dieser herzerwärmende Film, der auf Chinesisch Der Tag
und die Nacht von Tin Shui Wai heißt, ist Huis Einstieg in den Mikro-
kosmos dieser Satellitenstadt. Im darauffolgenden Jahr drehte sie
dort Night and Fog (2009), ein Drama über häusliche Gewalt. (B. N.)

Yi ma de hou xian dai sheng huo
(The Postmodern Life of My Aunt)
Ann Hui. HK/CN, 2006, DCP (von 35mm), Farbe, 111 min. Mandarin mit engl. UT ★
Ann Hui sagte in einem Interview, eine ihrer Begabungen sei das                 FREITAG
­komische Fach als Darstellerin. Dieser Film macht deutlich, dass sie es        3.3. / 18.00
 auch als Regisseurin blendend beherrscht. Die ehemalige Englisch-                 In Anwesen-
 lehrerin Ye Rutang (Siqin Gaowa) – eine Art traurige Clown- oder               heit von Ann Hui
 ­Pierrette-Figur – lebt allein in einer Mietwohnung im anspruchsvollen
  Shanghai und gerät in die Fänge einiger Betrüger*innen. Einer von             DONNERSTAG
  ihnen, der Schönling Pan Zhichang (Chow Yun-fat in einer komischen            6.4. / 20.30
  Rolle!), scheint Yes Leben ein Stück weit mit ihr teilen zu wollen.
  Selbst durch und durch fehlbar, ist sie dennoch eine würdevolle
  Kämpferin für ein gutes Leben im Schlechten. Trotzig – und wahn­
  witzig – verteidigt sie ihre Integrität und bietet den korrumpierenden
  gesellschaftlichen Verhältnissen die Stirn. Bis zu der schmerzlichen
  Erkenntnis am Ende des Films, dass unsere Physis im Alter eine Grenze
  markiert, die noch die größten Lebensentscheidungen auf den Prüf-
  stand stellt. (K. W.)

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Tao Jie (A Simple Life)
Ann Hui. HK/CN, 2011, DCP, Farbe, 118 min. Mandarin mit engl. UT ★
Nach The Postmodern Life of My Aunt Ann Huis zweiter hypnotischer SAMSTAG
Film mit Kameramann (und Regisseur) Yu Lik-wai, der auch mit 4.3. / 18.00
­Regisseuren wie Lou Ye und Jia Zhang-ke gearbeitet hat: Tao Ah
 ­(Deanie Ip), als Adoptivkind aufgewachsen, hat vier Generationen
  der Familie Leung gedient und ist nun die Haushälterin von Roger
  Leung (großartig: Andy Lau), der geboren wurde, als sie schon viele
  Jahre im Haushalt tätig war. Roger, Filmproduzent und Single, trifft
  sich in Peking mit einigen Vertreter*innen der Hong­konger Filmwelt
  (Gastauftritte von Tsui Hark, Sammo Hung u. a.). Als er nach Hause zu-
  rückkehrt, liegt Tao Ah bewusstlos in der Wohnung. Im Krankenhaus
  wird ein Schlaganfall festgestellt, weshalb Tao ihre Arbeit beenden
  und in ein Altersheim ziehen möchte. Das ist der Anfang ­eines lang-
  wierigen Kampfes um Selbstbestimmung und Würde im Alter. Nicht
  zuletzt aufgrund der langjährigen persönlichen Beziehung zwischen
  Deanie Ip und Andy Lau geht dieser Film, ganz sanft und leise, tief
  ­unter die Haut. (K. W.)

MÄRZ / APRIL 2023 Ordinary Heroes. Filme von Ann Hui                        8
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Fung gip (The Secret)
Ann Hui. HK, 1979, DCP (von 35mm), Farbe, 85 min. Kantonesisch mit engl. UT ★
In ihrem Spielfilmdebüt, das zum Meilenstein der Hongkonger Neuen               MITTWOCH
Welle wurde, untersucht Ann Hui einen Doppelmord und versucht,                  8.3. / 18.00
die Ereignisse, die zu diesem Verbrechen führten, zu rekonstruieren.
Dabei ließ sie sich von Filmen von Alain Resnais und Roman Polanski             SAMSTAG
ebenso inspirieren wie vom italienischen Giallo. Ihre Masterarbeit an           8.4. / 20.30
der Universität von Hongkong widmete Ann Hui dem Werk von Alain
Robbe-Grillet. Wenn einer ihrer Filme durch ihr Studium beeinflusst             Courtesy Hong
wurde, dann ist es The Secret mit seiner avantgardistischen Montage.            Kong Film Archive
Mehr als eine Stilübung ist das die erste Annäherung an ihre komplexe
Erzählweise, bei der unterschiedliche Blickwinkel n     ­ ebeneinander
existieren und es keine singuläre Wahrheit gibt (wie in The Golden
Era). Auch wenn The Secret zur inoffiziellen »Trilogie der trauernden
Geister« gehört, ist er kein übernatürlicher Film, a
                                                   ­ nders als sein Nach-
folger The Spooky Bunch (1980), in dem Hui mystische Motive, Horror,
anthropologische Studien und exzentrische Komödie verwebt. (B. N.)

Tau ban no hoi (Boat People)
Ann Hui. HK, 1982, 35mm, Farbe, 109 min.
Kantonesisch/Vietnamesisch/Japanisch/Englisch mit frz./engl. UT ★
Einer der bekanntesten Filme von Ann Hui bildet den Abschluss ihrer             DONNERSTAG
»Vietnam-Trilogie«. Anders als es der Titel vermuten lässt, schildert           9.3. / 20.30
Boat People Ereignisse, bevor die Flüchtenden versuchen, die Grenze
auf dem Wasserweg zu überqueren. Drei Jahre nach dem Krieg wird                 MITTWOCH
ein japanischer Fotojournalist (George Lam) – der als Erzähler durch            12.4. / 20.30
den Film führt – vom Ho-Chi-Minh-Regime eingeladen, das Leben in
Vietnam zu dokumentieren. Auf eigene Faust besucht er eine ge-                  Courtesy BFI
schlossene Wirtschaftszone, in der die Menschen »umerzogen« wer-                National Archive
den. Der französische Filmtitel spricht für sich selbst: Ticket to Hell. Als
Boat People aus dem Wettbewerb in Cannes zurückgezogen wurde,
kam es zu einem Skandal. Die linke Presse geißelte Boat People als
antikommunistische Propaganda. Den vietnamesischen Emigrant*in­
nen waren die Darstellungen der Verbrechen des Regimes zu wenig
deutlich. Boat People lässt sich auch als Vorwarnung für die Zukunft
Hongkongs lesen, die Ironie dabei ist, dass Hui eine der ersten Hong-
konger Regisseur*innen war, die auf dem Boden der Volksrepublik
China, auf der Insel Hainan, drehte (woraufhin der Film in Taiwan ver-
boten wurde). (B. N.)

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Qing cheng zhi lian (Love in a Fallen City)
Ann Hui. HK, 1984, 35mm, Farbe, 93 min. Kantonesisch mit engl. UT ★
Eine zarte Liebesgeschichte vor dem Hintergrund des Einmarsches der        FREITAG
japanischen Truppen in Hongkong 1941. Wie bei Ann Huis Eighteen            10.3. / 18.00
Springs (1987) und Love After Love (2020) basiert auch dieses Dreh-
buch auf einem Text der chinesisch-amerikanischen Autorin Eileen           SAMSTAG
Chang (ihre Erzählungen waren später auch Vorlagen für Regisseure          22.4. / 20.30
wie Stanley Kwan, Hou Hsiao-hsien und Ang Lee). Wieder steht eines
der Leitmotive im Werk von Hui im Mittelpunkt, die »reife« Liebe: Bai      Courtesy Hong
Liu-su (Cora Miao) sitzt im Kreis der Familie in Shanghai, die sich        Kong Film Archive
­darin einig ist, dass Liu-su in die Familie des seit Jahren von ihr ge-
 schiedenen Mannes zurückkehren soll. Nach seinem Tod soll sie nun
 ihr Erbteil beanspruchen. Die Situation ist so unerträglich, dass sie
 die Möglichkeit, nach Hongkong zu gehen, rasch ergreift, nicht zu-
 letzt weil sie einen Mann kennengelernt hat (ein umwerfender Chow
 Yun-fat als Fan Liu-yuan), der ihr gefallen könnte. Doch ihr Herz
 scheint bei seinem Anblick zögerlich, sehr zögerlich. (K. W.)

MÄRZ / APRIL 2023 Ordinary Heroes. Filme von Ann Hui                                       10
Shanghai jiagi (My American Grandson)
Ann Hui. HK, 1991, 35mm, Farbe, 100 min. Kantonesisch mit engl. UT ★
My American Grandson ist eine gefühlvolle Komödie über einen her-          SAMSTAG
anwachsenden Jungen, der von seinen in die USA ausgewanderten              11.3. / 18.00
Eltern zu seinem Großvater nach Shanghai geschickt wird. Es war Huis
erster Ausflug in jene Metropole, die zu einer der Hauptstädte ihres       SAMSTAG
Kinos werden sollte. Auch wenn es sich bei My American Grandson            15.4. / 20.30
um eine leichtere Variante ihres autobiografischen Song of the Exile
(1990) handelt, ist das Thema der Emigration ebenso zentral (die           Courtesy Hong
Hongkonger*innen verließen das Land in den 1990er Jahren in gro-           Kong Film Archive
ßer Zahl). Übrigens hat auch Želimir Žilnik eine Tragikomödie über
kulturelle Unterschiede gedreht, The Second ­Generation (1983), in
der sich ein in Westdeutschland aufgewachsener Junge in Jugo­
slawien nicht zu Hause fühlen, aber auch in der neuen Heimat nicht
zu sich selbst finden kann. My American Grandson ist die erste von
drei Kollaborationen von Hui mit Mark Lee Ping-bing, dem Kamera-
mann der meisten Filme von Hou Hsiao-hsien und Wong Kar-wais
In the Mood for Love. (B. N.)

Ji dao zhui zong (Zodiac Killers)
Ann Hui. HK, 1991, 35mm, Farbe, 97 min.
Kantonesisch/Japanisch/Mandarin mit engl. UT ★
Exil und Vertreibung sind wiederkehrende Motive im Werk von An             MONTAG
Hui, die auch in Zodiac Killers – diesmal im Genre des Actionfilms –       13.3. / 18.00
eine wesentliche Rolle spielen. Der in Japan gedrehte Film erzählt die
Geschichte junger Hongkonger*innen, die in Yakuza-Bandenkriege             FREITAG
verwickelt sind. In diesem eleganten Pendant zu The Story of Woo           21.4. / 20.30
Viet (1981) ist das nächtliche T
                               ­ okio in Huis charakteristische Blautöne
getaucht. Die Regisseurin bleibt ihrer Methode treu, sich frei zwi-        Courtesy Hong
schen ­Genre und Arthouse zu bewegen. Das Drehbuch stammt von              Kong Film Archive
Raymond To, Autor von Tsui Harks Shanghai Blues und Peking Opera
Blues und Lehrer von Andy Lau, der hier die Hauptrolle spielt, und Wu
Nien-jen, der als Drehbuchautor und Schauspieler ein wesentlicher
Mitarbeiter von Hou Hsiao-hsien und Edward Yang war. Ann Hui
schließlich arbeitete hier zum dritten und letzten Mal mit dem Kamera­
mann David Chung (The Secret, Boat People) zusammen. (B. N.)

MÄRZ / APRIL 2023 Ordinary Heroes. Filme von Ann Hui                                       11
Nu ren si shi (Summer Snow)
Ann Hui. HK, 1995, 35mm, Farbe, 101 min. Kantonesisch mit engl. UT ★
Wie der Filmtheoretiker David Bordwell feststellte, trug Ann Hui         FREITAG
­wesentlich »zum humanistischen Weltkino bei, das von Regisseuren        17.3. / 18.00
 wie Kurosawa, Kiarostami und Satayajit Ray geprägt wurde«. Zwei
 Meisterwerke über das Altern und die Pflege kranker Menschen be-        DONNERSTAG
 stätigen diese Einschätzung. Eines davon ist Summer Snow, in dem        30.3. / 20.30
 die Protagonistin neben ihren Pflichten im Haushalt, der Erziehung
 ihres Sohnes und ihrer Arbeit in einem Büro auch noch die Pflege
 ­ihres an Alzheimer erkrankten Schwiegervaters übernehmen muss.
  Dazu kommt, dass sie sich an ihrem Arbeitsplatz angesichts effizien-
  ter und schneller scheinender Computer zunehmend überflüssig fühlt.
  Hauptdarstellerin Josephine Siao, die ihre Schauspielkarriere in den
  1960er Jahren im Alter von vier Jahren begann, wurde für Summer
  Snow auf der Berlinale 1995 als beste Darstellerin ausgezeichnet.
  A Simple Life (2012) bildet ein thematisches Diptychon mit Summer
  Snow, dessen chinesischer Titel übersetzt »A Woman at Forty« be-
  deutet – in Anlehnung an July Rhapsody (2002), der im Original
  »A Man at Eighty« heißt. (B. N.)

You ling ren jian (Visible Secret)
Ann Hui. HK, 2001, 35mm, Farbe, 98 min. Kantonesisch mit engl. UT ★
Zu Beginn des 21. Jahrhunderts befand sich das Hongkong-Kino in          SAMSTAG
­einer schwierigen Lage. Sie wurde nicht nur durch die Umwandlung        18.3. / 18.00
 der ehemaligen Kolonie in eine »Sonderverwaltungszone« am 1. Juli
 1997 beeinträchtigt, sondern auch durch die Weltwirtschaftskrise von    MONTAG
 1998, die mit dem Zusammenbruch des Hongkonger Immobilien-              17.4. / 20.30
 marktes begann. Die Industrie, die noch vor kurzem Hunderte von
 Filmen pro Jahr produziert hatte, reduzierte die Produktion im Jahr
 2000 auf nur noch dreißig Filme. Ann Hui begann das Jahrzehnt mit
 Visible Secret, einem unheimlichen Horrorfilm über einen jungen
 ­Friseur namens Peter (Sänger und Schauspieler Eason Chan), der
  sich mit dem seltsamen Mädchen June trifft, das behauptet, Ge-
  spenster zu sehen. Natürlich hat alles Unglück, das ihnen passiert,
  mit einem Fluch aus der Vergangenheit zu tun. June wird von Schau-
  spielerin und Model Shu Qi verkörpert, die auch in Hou Hsiao-hsiens
  Millennium Mambo (2001) und The Assassin (2015) zu sehen ist. Abe
  Kwong, der Drehbuchautor von Visible Secret, ­    führte im darauf­
folgenden Jahr bei einem Sequel selbst Regie. (B. N.)

MÄRZ / APRIL 2023 Ordinary Heroes. Filme von Ann Hui                                     12
Visible Secret (2001)

Nan ren si shi (July Rhapsody)
Ann Hui. HK, 2002, DCP (von 35mm), Farbe, 103 min.
Kantonesisch mit Mandarin/engl. UT ★
Eine elliptische Erzählung über die verschlungenen Pfade der Liebe,          MONTAG
die Ann Hui, Meisterin der leisen Töne, als Film im Film mit federleich-     20.3. / 20.30
ter Hand zu inszenieren weiß: Lam Yiu-kwok (Jacky Cheung) setzt
­einiges daran, seinen jugendlichen Schüler*innen die Schönheiten            SONNTAG
 der chinesischen Literatur näher zu bringen. Es geht locker zu in sei-      23.4. / 20.30
 nem Unterricht, er ist unkonventionell und scherzt gerne. Eine Schü-
 lerin ist besonders fasziniert, schnell wird klar, sie erträumt sich viel
 mehr mit ihm. Yiu-kwok wiederum ist außerhalb des Unterrichts
 ziemlich eingespannt mit zwei halbwüchsigen Söhnen und einer um-
 werfenden Frau an seiner Seite (Anita Mui als Lam Man-ching), große
 Sprünge können sie sich mit seinem Gehalt aber nicht erlauben. Als
 jedoch Yiu-kwoks und Man-chings alter Lehrer auf den Plan tritt, wird
 plötzlich ein paar Kapitel in der Biografie des Paares zurückgeblättert
 und es tritt ein Drama zutage, das ihrer Liebe von Anfang an zugrunde
 lag. (K. W.)

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Ming yue ji shi you (Our Time Will Come)
Ann Hui. CN/HK, 2017, DCP, Farbe, 133 min. Mandarin mit engl. UT ★
Die Premiere dieses Spionage-Kriegsdramas fiel mit dem 20. Jahres- MITTWOCH
tag der Übergabe Hongkongs zusammen. Our Time Will Come spielt 22.3. / 20.30
zur Zeit der japanischen Okkupation der Stadt und porträtiert den
Widerstand im Untergrund. Eine junge Lehrerin (gespielt vom chine-
sischen Star Zhou Xun) schließt sich einer Mission zur Rettung des
Schriftstellers Mao Dun an. Das Motiv der chinesischen Poesie, das
bereits in Song of the Exile (1990) und July Rhapsody (2002) auf-
tauchte, wird hier weitergeführt. Reale Ereignisse sind für Ann Hui oft
ein Ausgangspunkt, die sie mitunter in semidokumentarische Rah-
menhandlungen übersetzt (hier in Form von Schwarz-Weiß-Seg-
menten, in denen Hui die Rolle einer Filmemacherin übernimmt, die
Zeitzeug*innen interviewt). Wie zu einem Mosaik lassen sich manche
Filme von Ann Hui zusammenfügen, die zur gleichen filmischen Zeit
spielen: die leidenschaftliche Liebesgeschichte in Love in a Fallen
City (1984) und die Lebensgeschichte der Heldin in The Golden Era
(2014), die irgendwo nebenan im Sterben liegt. Our Time Will Come
ist die vierte Zusammenarbeit mit Yu Lik-wai, dem Kameramann der
meisten Filme von Jia Zhangke und selbst Regisseur. (B. N.)

Huang jin shi dai (The Golden Era)
Ann Hui. CN/HK, 2014, DCP, Farbe, 177 min. Mandarin mit engl. UT ★
Es heißt, Ann Hui ist in einem Haushalt aufgewachsen, in dem Zitate SAMSTAG
aus der chinesischen Literaturgeschichte an der Tagesordnung waren. 25.3. / 20.30
Zudem hat sie selbst Literatur studiert. Die (Wieder-)Entdeckung
­feministischer Schriftsteller*innen aus der Ahn*innengalerie chinesi-
 scher Literatur ist allerdings Ann Huis ureigenster Beitrag zum (nicht
 nur) filmischen Gedächtnis des Landes. The Golden Era erzählt die
 Lebens­geschichte von Xiao Hong (1911–1942, in der Hauptrolle: Tang
 Wei) ganz ohne Anspruch auf Vollständigkeit, vielmehr mit Mut zur
 Lücke und dem brennenden Anliegen, das Schaffen der Autorin in
 die zeitgenössischen politischen Diskurse in China einzubetten: die
 Geburt der modernen chinesischen Literatur revisited. Für das größ-
 tenteils uninformierte westliche Publikum entsteht hier der Auftrag,
 ja, die Verpflichtung, sich einzudenken und, ja, vielleicht auch nach-
 zulesen, was die Menschen im China der 1930er und 40er Jahre be-
 wegt hat. Ann Huis Einladung, dieses Abenteuer zu wagen, ist jeden-
 falls überzeugend. (K. W.)

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Di yi lu xiang (Love After Love)
Ann Hui. CN, 2020, DCP, Farbe, 144 min. Mandarin mit engl. UT ★
Eileen Chang, auf deren Kurzgeschichte der Film basiert, war eine           MONTAG
kühne Literatin, die in ihren Arbeiten die Lebens- und Liebesverhält-       27.3. / 20.30
nisse der vorrevolutionären chinesischen Bourgeoisie verewigt hat.
Ann Hui nimmt sich der Geschichte mit einer Inszenierung an, die je-        FREITAG
derzeit die Möglichkeit einer Neuinterpretation eröffnet. Die Identifi-     14.4. / 20.30
kation mit den Figuren der Handlung ist nicht erforderlich oder er-
wünscht: Weilong, einem jungen Mädchen aus Shanghai, geht das
Geld aus. Um ihr Studium bezahlen zu können, bittet sie die Tante um
Hilfe. Diese führt ein zwielichtiges Leben, und Weilong wird immer
mehr in das Buhlen der Tante um die Gunst der Reichen und Mächti-
gen hineingezogen. Als sich Weilong dann auch noch zu Playboy
George Chiao hingezogen fühlt, führt die Tante durch Intrigen eine
Hochzeit herbei. Um die Beziehung am Leben zu erhalten, muss Wei-
long jedoch ihre Seele verkaufen. Ein wahrhaft schwüles Drama um
»Schuld und Sühne«, mit kühlem Kopf inszeniert. (K. W.)

Shu jian en chou lou (The Romance of Book and Sword)
Ann Hui. HK/CN, 1987, 35mm, Farbe, 94 min. Mandarin mit dt. UT
Eine der ersten Hongkong-Produktionen, die auf dem chinesischen             MITTWOCH
Festland mit überwiegend chinesischen Schauspieler*innen gedreht            19.4. / 20.30
wurde und eine Adaption des gleichnamigen Buches von Louis Cha,
der unter dem Pseudonym Jin Yong bekannt ist. Nach seinen Werken            SAMSTAG
wurden rund hundert Wuxia-Filme gedreht (darunter Ashes of Time             29.4. / 18.00
[1994] von Wong Kar-wai). Huis Interpretation des Genres stellt die
Kampfkünste auf eine realistischere, alltäglichere Weise dar, ohne          Courtesy
fliegende Held*innen. Die Geschichte spielt im 18. Jahrhundert, wäh-        Arsenal – Institut
                                                                            für Film und
rend der Herrschaft der Qing-Dynastie, die die geheime Gesellschaft         Videokunst
der Roten Blüten zu stürzen versucht, um die Herrschaft des Han-­
Volkes wiederherzustellen. Ein politisches und philosophisches Para-
doxon ganz im Sinne von Ann Hui steht im Mittelpunkt des Films:
Lohnt es sich, einen blutigen Krieg mit dem einzigen Ziel zu entfes-
seln, das Qing-Reich zu stürzen? Ihr Fazit fällt bitter aus: Die Schlech-
tigkeit der großen Politik führt unweigerlich zu Verrat und Nieder­
lage. (B. N.)

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23. MÄRZ BIS 29. APRIL 2023

 Permissible Dreams
 Pionierinnen des arabischen
­Dokumentarfilmkinos­
Permissible Dreams stellt historische Dokumentarfilme arabischer
Filmemacherinnen vor und würdigt die Vielfalt und die Innovations-
kraft ihrer inspirierenden Arbeit. Wenn man an feministisches Film-
schaffen denkt, dann zuerst an europäische und US-amerikanische
Werke aus den 1970ern. So großartig diese Arbeiten unbestritten
sind, als Europäer*innen können wir viel mehr über die Welt lernen,
wenn wir uns auch von einer westlichen Perspektive wenig beachte-
teten Gegenden zuwenden. Permissible Dreams will dieser konstan-
ten Vernachlässigung entgegenwirken, indem der Fokus auf die Rolle
von Frauen aus der arabischen Welt und ihre Filme gerichtet wird,
­jüdische, berberische und anderer nicht-arabische Filmemacherinnen
 eingeschlossen. Damit präsentieren wir die Vielfalt des politischen
 und feministischen Filmschaffens aus jenem Gebiet, das als Naher
 Osten, arabische Welt oder Südwestasien und Nordafrika bekannt
 ist. So wollen wir eine kritische Auseinandersetzung mit der anhalten-
 den (west-)europäischen Dominanz anstoßen, die sich nicht nur in
 den Bereichen ­Finanzierung und Infrastruktur manifestiert, sondern
 auch auf Konservierungs- und Restaurierungsmaßnahmen auswirkt:
 Oft sind es die Filmemacherinnen selbst, die Lobbyarbeit leisten
 müssen, um ihr filmisches Erbe zu sichern.
      Permissible Dreams widmet sich einigen der mutigsten und interes-
 santesten Dokumentarfilmen von arabischen Regisseurinnen, die ab
 den späten 1960ern Frauengeschichte(n) aufzeichneten. Dieses Pro-
 gramm zeigt Filme, die der Zensur zum Opfer gefallen sind, und
 ­Filme, die – versehentlich oder absichtlich – ignoriert wurden; Filme,
  die verboten wurden, auf Schwarzen Listen standen oder einfach in
  den ­Regalen von staatlichen Archiven verschwanden. Diese Archive
  erhielten (und erhalten immer noch) nicht die Unterstützung oder
  ­Finanzierung, die sie benötigen würden, um das Filmerbe zu be­
   wahren.
      Auch die Machart und die Themen der Filme selbst bewegten sich
   oft im Spannungsfeld von (Selbst-)Zensur und anderen Widerstän-

MÄRZ / APRIL 2023 Permissible Dreams                                       16
den, was sie nicht nur inhaltlich, sondern auch formal aktivistisch und    Beyrouth,
politisch macht. Der Titel dieser Schau, Permissible Dreams, spiegelt      ma ville / Beirut
                                                                           Madinati (Beirut,
diesen Zusammenhang wider: Die Filmemacherinnen loten mit unter-           My City, 1982,
schiedlichen formalen Strategien die Grenzen des Erlaubten aus. Wie        Jocelyne Saab)
Aziza, eine von Ateyyat El Abnoudy interviewte Frau, im Film Permissible
Dreams sagt: »Ich träume nie von Dingen, die ich mir nicht leisten
kann. […] Meine Träume sind verwirklichbar.« Damit liefert sie die
­Inspiration für Abnoudys subversive Herangehensweise an politische
 Realitäten.
    Für manche mag es überraschend sein, dass arabische Frauen schon
 seit der Erfindung des Kinos Filme machten; tatsächlich produzierte
 Aziza Amir bereits in den 1920ern populäre ägyptische Filme und
 spielte in ihnen mit, während Haydée Chikly aus Tunesien ihre e­ igenen
 Drehbücher schrieb und in ihren Filmen, die ihr Vater inszenierte,
 ebenfalls Hauptrollen übernahm. Als arabische Frauen – nicht zuletzt
 dank der leichteren Verfügbarkeit von Aufnahmegeräten – dann ver-
 mehrt zur Kamera griffen, wurde die Welt gerade von revolutionären
 Bewegungen rund um die Entkolonialisierung erschüttert. Die späten

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1960er waren eine Zeit, in der Künstler*innen und Aktivist*innen aus
dem globalen Süden die Auseinandersetzung mit der visuellen Kultur
neu belebten: Der Film wurde zu einem Instrument der Emanzipation
von Nationen, Gemeinschaften und Menschen. Frauen griffen selbst-
bewusster als je zuvor zur Kamera und stellten sicher, dass ihre Anlie-
gen und Prioritäten auch auf der Leinwand vertreten waren.
     Filmemachen ist in der arabischen Welt oft eine Sache des Idealis-
mus und des Aktivismus, insbesondere für Frauen. Trotz vieler prakti-
scher und ideologischer Schwierigkeiten haben Regisseurinnen Wege
gefunden, in ihren Filmen dissidente Haltungen auf unterschiedlichste
Arten zu verhandeln. Folglich sind alle Filme in diesem Programm –
ob sie nun experimentell, essayistisch oder poetisch sind – an sich
politisch. Damit sind diese Filmpionierinnen, deren Geschichte wir
nachzeichnen, eine Inspiration für ihre Protagonist*innen, ihr Publikum
und die Filmemacherinnen, die in ihre Fußstapfen traten.
     Permissible Dreams stellt Regisseurinnen aus mehreren Ländern
in den Mittelpunkt: Ateyyat El Abnoudy aus Ägypten, Jocelyne Saab
und Heiny Srour aus dem Libanon, Selma Baccar aus Tunesien, Assia
Djebar aus Algerien, Mai Masri, Layaly Badr und Khadijeh Habashneh
aus Palästina, Izza Génini aus Marokko und Hala Alabdallah ­Yakoub
aus Syrien. Dass wir diese Filmemacherinnen als Pionierinnen be-
zeichnen, hat mehrere Gründe. So war Izza Génini zwar nicht die ers-
te Dokumentarfilmemacherin in Marokko (das war Farida Bourquia),
aber in über zwanzig Filmen hat Génini einen einheitlichen Stil ent­
wickelt und wiederkehrende Themen behandelt, darunter das kultu-
relle Erbe, ethnische Vielfalt und Musik. Darüber hinaus hat sie einen
wesentlichen Beitrag zum weltweiten Vertrieb von marokkanischen
Dokumentarfilmen geleistet.
     Manche dieser Pionierinnen begannen erst spät mit ihrer filmi-
schen Arbeit, wie etwa Hala Alabdallah Yakoub, die 2006 erstmals
­Regie führte, nachdem sie vorher als Produzentin und Koregisseurin
 tätig war. Andere, wie etwa Assia Djebar, waren in ihrem Land bis in
 die 2000er die einzigen Frauen, die Dokumentarfilme drehten. In
 ­Algerien etwa ist das Filmemachen immer noch ein komplexes und
  gefährliches Unterfangen, weswegen mitunter im Exil oder grenz-
  überschreitend gearbeitet wird.
     Auch in Palästina gibt es nicht viele ortsansässige Filmemacherin-
  nen, da es äußerst schwierig ist, die Mittel zu finden, um innerhalb
  der besetzten Gebiete Filme zu machen, und viele Palästinenser*in-

MÄRZ / APRIL 2023 Permissible Dreams                                      18
nen im Exil leben. Mai Masri, eine im Libanon lebende Palästinen­        Al-Sandawich
serin, war die erste Frau, die ihre Landsleute in Flüchtlingslagern      (The Sandwich,
                                                                         1975, Ateyyat
­porträtierte und damit eine Richtung skizzierte, der andere Filmema-    El Abnoudy)
 cherinnen innerhalb und außerhalb Palästinas folgten. Ateyyat El Ab-
 noudy wird auch als »Mutter des ägyptischen Dokumentarfilms« be-
 zeichnet, denn in Ägypten waren Anfang der 1970er vor allem Filme
 aus dem »Goldenen Zeitalter« der 1940er und 1950er beliebt. Jocelyne
 Saab arbeitete zunächst als Journalistin, als das libanesische Kino
 ­parallel zum ägyptischen Kino (in dem viele libanesische Stars aktiv
  waren) ein schnelles Wachstum verzeichnete. Als der lang andau-
  ernde libanesische Bürgerkrieg begann, wandte sie sich dem Doku-
  mentarfilm zu.
     Permissible Dreams zeigt, wie die Filmemacherinnen ihre dissi-
  denten Filmpraktiken und Ideale, ihren kulturellen und politischen
  Widerstand an Orten entwickelten, an denen Zensur, konservative
  Moralvorstellungen und fehlende Investitionen die Produktion und
  den Vertrieb von Dokumentarfilmen erschweren. Sie alle verbindet
  eine pragmatische Haltung in ihren jeweiligen Lebens- und Arbeits-
  kontexten sowie eine daraus resultierende künstlerische und subver-
  sive Kraft. (Stefanie Van de Peer)

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Fatma 75
Selma Baccar. TN, 1975, DCP, Farbe, 60 min.
Arabisch mit engl. UT ★
Fatma 75 ist der bekannteste femi-
nistische Dokumentarfilm aus der
arabischen Welt. Der kraftvolle Essay
schildert feministische Geschichte,
wobei er sowohl tunesische als auch
nichtarabische Tabus und stereoty-
pe Ansichten über arabische Frauen
in Frage stellt. Fatma 75 stellt klar, welch wichtige Rolle Frauen in der    DONNERSTAG
tunesischen Geschichte spielten. Die historische Auseinandersetzung          23.3. / 20.30
mit weiblichen Perspektiven und Erfahrungen zieht sich durch das Ge-
samtwerk von Selma Baccar, die mit Fatma 75 als erste tunesische             FREITAG
Frau einen abendfüllenden Film realisiere. Baccar studierte Psycholo-        21.4. / 18.00
gie und entdeckte ihr Interesse am kollektiven Filmemachen in ihrem
örtlichen Amateurfilmclub. Während der tunesischen Jasminrevolution
(2011) wurde sie in das Gremium ­gewählt, das für die Ausarbeitung
einer neuen tunesischen Verfassung für die Zeit nach dem Sturz von
Präsident Zine El Abidine Ben Ali zuständig war. Derzeit schreibt sie
ihre Memoiren. (S. P.)

Café du genre
Aïta Izza Génini. FR/MA, 1988, DCP, Farbe, 28 min.
Französisch/Arabisch mit engl. UT ★
Les Almées, danseuses orientales (Belly Dancers, Oriental Dancers)
Jocelyne Saab. FR, 1989, DCP, Farbe, 26 min. Französisch mit engl. UT ★
Café du genre (1 + 5) (Gender Café [1 + 5])
Jocelyne Saab. FR, 2013, DCP, Farbe, 4 + 4 min. Französisch mit engl. UT ★
Musik und Tanz als politischer Ausdruck: Izza Géninis erster Kurzfilm FREITAG
Aïta schildert das Wander­leben weiblicher Troubadoure, die auf 24.3. / 18.00
den Moussem-Festivals in ­Marokko die Aïta singen. In Les Almées,
danseuses orientales stehen die Almäen im Mittelpunkt: Bauchtänze-
rinnen, die bei Hochzeiten und Beschneidungsfeiern auftreten, inspi-
riert von den Stars der 1940er und 1950er Jahre. Café du genre be-
schäftigt sich anhand k­ urzer Interviews mit Künstler*innen mit den
Themen Geschlecht, Körper, Sexualität und Identität. Im Mittelpunkt
stehen der ägyptische Choreograf Walid Aouni und der libanesische
Tänzer Alexandre Paulikevitch. (S. P.)

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Frühe Kurzfilme von Ateyyat El Abnoudy
Husan al-Tin (Horse of Mud)
Ateyyat El Abnoudy. EG, 1971, DCP (von 16mm), sw, 12 min. Arabisch mit engl. UT ★
Ughniyat Touha al-Hazina (Sad Song of Touha)
Ateyyat El Abnoudy. EG, 1972, DCP (von 16mm), sw, 12 min. Arabisch mit engl. UT ★
Al-Sandawich (The Sandwich)
Ateyyat El Abnoudy. EG, 1975, DCP (von 16mm), Farbe, 12 min.
Arabisch mit engl. UT ★
Diese frühen Werke von Ateyyat El Abnoudy, der »Mutter des ägyp­ FREITAG
tischen Dokumentarfilms«, entstanden teilweise noch während ihrer 24.3. / 20.30
Studienzeit am Kairoer Filminstitut. Horse of Mud dokumentiert die
Lehmziegelherstellung am Nilufer und zeigt die harte Arbeit, die von
den Ärmsten verrichtet wird, als Choreografie. Sad Song of Touha
konzentriert sich auf Straßenkünstler*innen und Akrobat*innen. El
Abnoudys damaliger Ehemann, der Dichter und Marxist Abdel-Rah-
man El Abnoudy, liest dazu auf der Tonspur eines seiner Gedichte. Mit
The Sandwich wendet sich die Regisseurin dem Landleben zu und
porträtiert autark lebende Frauen und Kinder. El Abnoudys Filme wur-
den international ausgezeichnet, aber in Ägypten kritisiert, weil sie
mit ihrer Kamera »in den Schlamm der Gesellschaft« eintauche und
statt Leinwandstars die Lebenswelten der Unterschicht zeigte. (S. P.)

La Zerda, ou les chants de l’oubli
(The Zerda, or the Songs of Oblivion)
Assia Djebar. DZ, 1982, DCP (von 16mm), sw, 60 min.
Arabisch/Französisch mit engl./dt. UT ★
Koloniale Fotografien und Filmaufnahmen über den Maghreb unter                      SAMSTAG
französischer Herrschaft liegen diesem poetisch-politischen Found-                  25.3. / 18.00
Footage-Essay zugrunde. Zusammen mit ihrem damaligen Ehe-
mann, dem Dichter Malek Alloula, analysiert Djebar den kolonialen                   MONTAG
Blick, den die poetische Erzählstimme eindringlich hinterfragt. Die                 24.4. / 18.00
kontemplative Montage von Schwarzweißbildern aus den Jahren
1912 bis 1942 legt filmische und politische Ungerechtigkeiten offen                 Courtesy
und konfrontiert die französische Kolonialmacht mit ihrem voyeuris-                 Arsenal – Institut
                                                                                    für Film und
tischen Blick auf die Bewohner*innen Nordafrikas. Strukturiert ist                  Videokunst
der Film nach den musikalischen Prinzipien der Zerda, in vier Sätzen,
die jeweils ein vergessenes Lied – oder ein Lied des Vergessens – dar-
stellen. La Zerda, ou les chants de l’oubli gewann bei der Berlinale
1983 den Sonderpreis für den besten historischen Film. (S. P.)

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Jocelyne Saab: Der Blick hinter die Schlagzeilen
Kadhafi: l’Islam en marche (Gaddafi: The Green March)
Jocelyne Saab, Jean-François Chauvel. FR, 1973, DCP (von 16mm), Farbe, 28 min.
Arabisch/Französisch mit engl. UT ★
Irak: La Guerre au Kurdistan (Iraq: War in Kurdistan)
Jocelyne Saab. FR, 1974, DCP (von 16mm), Farbe, 16 min. Französisch mit engl. UT ★
Les nouveaux croisés de l’orient (New Crusaders of the Orient)
Jocelyne Saab. LB, 1975, DCP (von 16mm), Farbe, 10 min.
Arabisch/Französisch mit engl. UT ★
Iran: L’Utopie en marche (Iran: Utopia on the Move)
Jocelyne Saab. LB, 1980, DCP (von 16mm), Farbe, 52 min. Französisch mit engl. UT ★
Jocelyne Saab war eine der ersten Journalistinnen, die die arabische                 DONNERSTAG
Welt auf der Suche nach den Geschichten hinter den Schlagzeilen                      30.3. / 18.00
bereiste. Sie wollte mit eigenen Augen sehen, was vor Ort geschieht.
Als eine der wenigen arabischen Journalist*innen hatte sie Zugang                    MONTAG
zu mehr und anderen Quellen als die Europäer*innen. Daher müssen                     24.4. / 20.30
diese Filme auch in ihrem historischen Kontext gesehen werden. Ihre
Dokumentarfilme über den Irak und den Iran zeigen Interviews mit
Menschen auf der Straße, die ihrem täglichen Leben nachgehen.
Ohne Sensationsgier zeigt sie ein tiefgreifendes Interesse an den
­Geschichten der Menschen in Zeiten von Konflikten und politischen
 Umbrüchen. Die Filme, die Saab im Libyen der 1970er gedreht hat
 (ein Interview mit Gaddafi und das Portrait eines französischen Söld-
 ners), sind zutiefst geprägt von ihren Einblicken in die Region. (S. P.)

Hey! La tensi el kamoun (Hey, Don’t Forget the Cumin!)
Hala Alabdallah Yakoub, SY/FR/TN, 2008, DCP, Farbe, 66 min.
Arabisch/Französisch mit engl. UT ★
Hey! Don’t Forget the Cumin ist Hala Alabdallas zweiter Film und in SAMSTAG
seiner detaillierten Auseinandersetzung mit drei Künstler*innen wie 1.4. / 18.00
sein Vorgänger nichtlinear und experimentell gestaltet: Jamil Hatmal,
ein syrischer Schriftsteller, Sarah Kane, eine britische Dramatikerin,
und Darina Al Joundi, eine libanesische Schauspielerin. Exil und Ent-
fremdung sind die zentralen Figuren dieses Dreifachporträts, das
Einblicke liefert, wie Künstler*innen mit der existenziellen Krise um-
gehen. Durch die vielen Verweise auf Kunst und Literatur gelingt
Alabdallah ein trotzig-antikonformistisches Statement gegen Des­
illusionierung und damit zwischen den Zeilen eine scharfe Kritik an
der repressiven Baath-­Partei. (S. P.)

MÄRZ / APRIL 2023 Permissible Dreams                                                                 22
Izza Génini: Traditionen und Kulturerbe
Pour le Plaisir des Yeux (For the Eyes’ Delight) Izza Génini.
FR/MA, 1997/98 , DCP, Farbe, 51 min. Arabisch/Französisch mit engl. UT ★
Rhythms de Marrakech (Rhythms of Marrakesh) Izza Génini.
FR/MA, 1989, DCP (von 16mm), Farbe, 26 min. Arabisch/Französisch mit engl. UT ★
Izza Géninis Dokumentarfilme spiegeln ihre tiefe und komplexe Be- MONTAG
ziehung zu marokkanischen Traditionen wider. In Pour le Plaisir des 3.4. / 20.30
Yeux reist sie durch das Land und untersucht Form und Ausdruck
weiblicher Schönheit. Dabei knüpft sie enge Beziehungen zu Make-
up-Künstlerinnen und zeigt, dass die traditionelle Rolle der Ziyana
wieder an Bedeutung gewonnen hat. Traditionell ist die Ziyana eine
weibliche Begleiterin, die sich um die Schönheit einer Frau an ihrem
Hochzeitstag oder bei anderen wichtigen Zeremonien kümmert.
Rhythms de Marrakech feiert die marokkanische Kultur anhand ihrer
Volksmusik. Der Film folgt Bewohner*innen der Stadt am Achoura-
Fest, bei dem sich große Gruppen versammeln, um die Geburt des
Propheten Mohammed zu feiern. Dieser introspektive Blick auf das
Festival zelebriert Kultur und Traditionen Marokkos anhand der Er-
fahrungen von Menschen aus der »roten Stadt« mit Musik als ent-
scheidendem Element. (S. P.)

Le Sahara n’est pas à vendre (The Sahara is Not for Sale)
Jocelyne Saab. FR/MA/DZ, 1977, DCP (von 16mm), Farbe, 75 min.
Arabisch/Französisch/Spanisch mit engl. UT ★
Saab lehnte die Bezeichnung »arabische« Filmemacherin ab und ihr                  MITTWOCH
Internationalismus ließ sie über Gebiete berichten, in denen Grenzen              5.4. / 18.00
überschritten wurden, im wörtlichen und im übertragenen Sinn.
­Dieser Film aus dem Herzen der Wüste betrachtet den Westsahara-                  SAMSTAG
 Konflikt von allen Seiten, schließt niemanden aus und verschränkt                22.4. / 18.00
 diese Zeugnisse mit kontemplativen Aufnahmen der Wüstenland-
 schaft. Der unabhängig gedrehte Film wurde von Marokkos Regie-
 rung unterstützt und vom algerischen Fernsehen mitfinanziert: Das
 belegt die komplexe Situation in einem Gebiet, das oft als letzte
 ­Kolonie im afrikanischen Kontinent bezeichnet wird. Nach diesem
  Film konnte Saab Marokko zwei Jahrzehnte lang nicht mehr besuchen.
  Die persönliche und visuelle Qualität ihrer Reportage-Dokumente
  hebt sich von anderen ­Berichten dieser Zeit ab, Saabs direkte Ausein-
  andersetzung mit der Bedeutung von Grenzen und Selbstbestim-
  mung sind Zeugnisse ­eines idealistischen Journalismus. (S. P.)

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Kinder in Konfliktzonen
Atfal Al-Harb / Les enfants de la guerre (The Children of War)
Jocelyne Saab. FR, 1976, 16mm, Farbe und sw, 10 min.
Arabisch/Französisch mit engl. UT ★ ↖
Children without Childhood
Khadijeh Habashneh. PS, 1979/80, DCP (von 16mm), Farbe, 23 min.
Arabisch mit engl. UT ★
Al-Tariq Illa Filastin (Der Weg nach Palästina)
Layaly Badr. DDR/PS, 1985, 16mm, Farbe, 7 min. Arabisch mit engl. UT ★ ↗
Children of Shatila
Mai Masri. LB, 1998, DCP, Farbe, 50 min. Arabisch mit engl. UT ★
Kinder spielen in Kriegsdokumentationen, insbesondere in palästinen-       FREITAG
sischen Filmen, eine wichtige Rolle. Dafür gibt es sowohl praktische als   7.4. / 18.00
auch metaphorische Gründe: Die Bevölkerung wurde aufgrund des
langen Krieges jünger, während Kinder im Film Zeugenschaft, Erinne-        MITTWOCH
rung und historische Entwicklung repräsentieren. In Les enfants de la      26.4. / 18.00
guerre filmte Jocelyne Saab die Kinder von Quarantina, einer musli-
mischen Barackensiedlung in Beirut, nur wenige Tage nach dem Mas-
saker von 1976. Children without Childhood handelt vom Leben der
Kinder, die das Massaker von Tel El-Zaatar 1975 überlebt haben. In
The Road to Palestine beschreiben die Kinder ein Palästina, das sie
nie gesehen haben, in Children of Shatila setzen sich die Kinder mit
ihrer Realität auseinander, Flüchtlinge in einem Lager zu sein, das
Massaker, Belagerung und Hunger überstanden hat. In jedem dieser
Filme haben die Filmemacherinnen den Kindern Werkzeuge für ihre
Kreativität an die Hand gegeben, ihre künstlerischen Arbeiten zeigen
die Bedeutung von Trauma und Widerstandsfähigkeit. (S. P.)

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Ana alati tahmol azouhour ila qabriha
(I’m the One Who Brings Flowers to her Grave)
Hala Alabdallah Yakoub, Ammar Al Beik. SY/FR, 2006, DCP, sw, 105 min.
Arabisch mit engl. UT ★
Wie ein roter Faden zieht sich eine emotionale Subjektivität durch SAMSTAG
das Werk der syrischen Dokumentarfilmerin Hala Alabdallah: Wie las- 8.4. / 18.00
sen sich die erlebten Erfahrungen von politischem Aufruhr und Exil in
Poesie und Kunst übersetzen? Alabdallahs erster Film ist ein lyrisches
Porträt der Solidarität zwischen ihr und ihren drei besten Freundin-
nen im Wandel der Zeit. Die Filmemacherin experimentiert mit der
Form der Repräsentation: Die emotionale und poetische Erzählung
ist trotzig nicht-linear, persönlich und subjektiv. So werden die Nor-
men und Werte von Politik, Kunst und des Filmemachens eher hinter-
fragt und erfühlt statt erklärt oder verdeutlicht. Der Titel des Films
verweist auf Alabdallahs syrischen Lieblingsdichter Daad Haddad
und sein Gedicht über das Leiden für die Kunst. (S. P.)

Jocelyne Saab: Urbanes Ägypten
Égypte, Cité des morts / Madinat Al-Mawta (Egypt, the City of the Dead)
Jocelyne Saab. LB, 1977, DCP (von 16mm), Farbe, 35 min.
Arabisch/Französisch mit engl. UT ★
L’Architecte de Louxor (The Architect of Luxor) Jocelyne Saab.
FR, 1986, DCP (von 16mm), Farbe, 18 min. Arabisch/Französisch mit engl. UT ★
Les fantômes d’Alexandrie (The Phantoms of Alexandria)
Jocelyne Saab. FR, 1986, DCP (von 16mm), Farbe, 17 min.
Arabisch/Französisch mit engl. UT ★
Jocelyne Saab liebte Ägypten, das der gebürtigen Libanesin zur                 MONTAG
zweiten Heimat wurde. In diesen drei Filmen entwirft Saab einzig­              10.4. / 20.30
artige Porträts ägyptischer Städte, gesehen durch ihre eigenen und
die Augen anderer Künstler*innen. Egypt, the City of the Dead begibt           DONNERSTAG
sich auf die Suche nach den Ursprüngen von Kairo. Während Saabs                27.4. / 18.00
Heimatstadt Beirut in Schutt und Asche gelegt wird, findet sie hier
Spuren von Traditionen, die von der zunehmenden Globalisierung
bedroht sind. In L’Architecte de Louxor erklärt der Architekt und Philo-
soph Olivier Sednaoui, wie er sein Lehmziegelhaus gebaut hat in
­einer architektonischen Harmonie, die Ende des 20. Jahrhunderts in
 Vergessenheit gerät. Les ­fantômes d’Alexandrie erkundet die vielen
 Geschichten der Stadt, inspiriert von den Texten des Lyrikers Konstan­
 tínos Pétrou Kaváfis und des Schrift­stellers Lawrence Durrell. (S. P.)

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Jocelyne Saab: Der Libanesische Bürgerkrieg
Le Liban dans la Tourmente (Lebanon in Torment)
Jocelyne Saab. LB, 1975, DCP (von 16mm), Farbe, 75 min.
Arabisch/Französisch mit engl. UT ★
La Tueuse (The Woman Killer) Jocelyne Saab.
FR, 1988, DCP (von 16mm), Farbe, 10 min. Arabisch/Französisch mit engl. UT ★
Jocelyne Saab verstand es wie keine andere, die Komplexität des                MITTWOCH
Konflikts in ihrem Landes darzustellen. In Le Liban dans la Tourmente          12.4. / 18.00
erkundet sie die Lebenswirklichkeit der Palästinenser*innen im Liba-
non. Am 13. April 1975 wurden palästinensische Zivilist*innen von              MITTWOCH
Phalangisten-Milizen erschossen, Monate später erweisen sich die               26.4. / 20.30
Zahlen der Opfer als noch erschreckender: 6.000 Tote, 20.000 Ver-
letzte, tägliche Entführungen und eine halb zerstörte Hauptstadt. Der
Film ist ein einzigartiges Dokument über den libanesischen Bürger-
krieg und offenbart die Ursprünge des Konflikts aus der Sicht einer
stolzen Gesellschaft, die in den Krieg zog. In La Tueuse porträtiert Saab
Jocelyne Khoueiry, die 1976, während des libanesischen Bürgerkriegs,
als Muse der Phalangisten-Miliz in Beirut galt. Mit ihrem Frauenkom-
mando war sie auch für mehrere blutige Operationen verantwortlich.
Jahre später wandte sie sich einem spirituellen Leben zu und gründete
einen Orden. (S. P.)

Saat el Fahrir Dakkat, Barra ya Isti Mar
(The Hour of Liberation Has Arrived)
Heiny Srour. FR/LB/UK, 1974, DCP (von 35mm), Farbe und sw, 62 min.
Arabisch mit engl. UT ★
The Hour of Liberation Has Arrived war 1974 der erste Film einer ara-          DONNERSTAG
bischen Regisseurin bei den Filmfestspielen von Cannes. Heiny Srour            13.4. / 18.00
porträtiert darin die revolutionären Kämpfer*innen von Dhufar, die                In Anwesen-
angesichts der imperialen Vorherrschaft zur Einheit aufrufen. Die              heit von
                                                                               Heiny Srour
Dhufar-Befreiungsfront gegen das anglo-sultanische Regime zog
von 1964 bis 1976 weitere Kämpfer*innen aus dem Oman und dem
Osten der Arabischen Halbinsel an. Die Bewegung schuf soziale,                 SAMSTAG
­kulturelle, wirtschaftliche und militärische Strukturen, die von einer        29.4. / 20.30
 antikapitalistischen und antiimperialistischen Befreiungsideologie
 getragen wurden. Srour unterstreicht die starken feministischen
 ­Unterströmungen des Dhufari-Befreiungskampfes als festen Bestand-
  teil der Ideologie der Bewegung. Auch stilistisch ist der Film radikal,
  da er mit formalen Elementen des Dritten Kinos arbeitet. (S. P.)

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Saat el Tahrir Dakkat (The Hour of Liberation Has Arrived, 1974, Heiny Srour)

Ayyam ad-dimuqratiya (Days of Democracy)
Ateyyat El Abnoudy. EG, 1996, DCP, Farbe, 70 min. Arabisch mit engl. UT ★
Days of Democracy, El Abnoudys erfolgreichster und international FREITAG
bekanntester Film, ist ein politisch inspiriertes und unverblümt femi- 14.4. / 18.00
nistisches Porträt jener Frauen, die 1995 für das ägyptische Parlament
kandidierten. Die Filmemacherin verknüpft die Geschichte der ägyp-
tischen Pharaonenzeit mit der emanzipatorischen Stoßrichtung ihrer
Arbeit und der Frauenbewegung. Durch den Bezug zur fernen Ver-
gangenheit kann das heutige Publikum eine Verbindung zur gegen-
wärtigen politischen Situation herstellen: El Abnoudy will bewusst
vor Augen führen, dass die Wahl einer Frau ins Parlament praktisch
unmöglich ist. Der versteckte Aktivismus des Films zeigt sich im ironi-
schen Off-Kommentar und der Struktur, in der Interviews und Frauen­
geschichten präsentiert werden: Sie erzeugen ein tieferes Verständ-
nis dafür, welche Rolle Frauen im Parlament spielen könnten. (S. P.)

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Retrouver Oulad Moumen (Return to Oulad Moumen, 1994, Izza Génini)

Comme si nous attrapions un cobra
(As if We Were Catching a Cobra)
Hala Alabdallah Yakoub. SY/AE/FR, 2012, DCP, Farbe, 120 min.
Arabisch mit engl. UT ★
In ihrem dritten Dokumentarfilm untersucht Hala Alabdalla die Kunst SAMSTAG
der Karikatur. Ihre politische Bedeutung in Ägypten und Syrien liegt 15.4. / 18.00
nicht nur in der Ausdruckmöglichkeit von Dissidenz, sondern im iden-
titätsstiftenden Potenzial angesichts der Unterdrückung, sowohl für
die Künstler*innen wie auch ihr Publikum. Alabdalla begann mit der
Arbeit an diesem Film unmittelbar vor Beginn der Revolution in Kairo
2011, der Aufstand tritt im Lauf des Films immer mehr in den Vorder-
grund. In dieser subjektiven, intimen und emotionalen Studie be-
fragt die Filmemacherin junge und bekannte Künstler*innen (u. a.
den syrischen politischen Karikaturisten Ali Ferzat), die für Meinungs-
freiheit und soziale Gerechtigkeit einstehen. Die Kraft des künstleri-
schen Ausdrucks ist für viele eine Quelle der Resilienz. (S. P.)

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