Paralympics Zeitung - Tagesspiegel
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TAGESSPIEGEL Freitag, 4. März 2022 Paralympics Zeitung In Kooperation mit der s zu A ktuelle len auf de n S pie gel.de tagesspie Gold für die Ukraine Die Mannschaft startet im Zeichen des Friedens Hoch! Drauf! Zack! Guide Paula Brenzel gibt die Kommandos
Inhalt 4 | UKRAINE VOR ORT Die Mannschaft hat es zu den Spielen geschafft 5 | „DER DRUCK WAR GROSS“ Impressum DBS-Präsident Beucher über 11 | MIT 100 SACHEN Herausgeber: Lorenz Maroldt, den Ausschluss Russlands Christian Tretbar Eine sehbeeinträchtigte Redaktion: Benjamin Apitius (Leitung), Skirennfahrerin und ihr Guide Mona Alker, Magdalena Austermann, 6 | ZIELEN NACH GEHÖR Zoe Bunje, Elena Deutscher, Diese sechs Sportarten suchen Lilith Diringer, Max Fluder, 12 | MALEN NACH QUALEN Lennart Glaser, Delia Kornelsen, in Peking ihre Sieger Eine Künstlerin zeichnet Sportler Hannah Prasuhn – und verliebt sich in einen Artdirektion: Sabine Wilms 7 | MIXED ZONE Layout: Barbara Paschmann Herstellung: Daniela Weber Kartoffelvoodoo, Ruhetage 13 | OH SCHNEEMIJE Verlagsleitung: Nadja Holzmaier und Trichterfräsen Projektleitung: Claudia Kleist, Die Spiele in Peking Yvonne Heisig im Nachhaltigkeitscheck Social Media: Ann-Kathrin Hipp (Leitung), 8 | MARKE EIGENBAU Benjamin Brown, Max Emrich An den Monoskis der Profis Titelbild: Noemi Ristau und 14 | TRAUM STATT TRAUMA werkeln wahre Tüftler Guide Paula Brenzel. Willi Struwe lässt sich von Foto: Ralf Kuckuck/Imago einem Unfall nicht aufhalten 9 | KRÖNUNG Die Paralympics Zeitung ist ein NACH KRISE Gemeinschaftsprojekt von Tagesspiegel 15 | ERFOLGSZWANG und der Deutschen Gesetzlichen Anna-Lena Forster ist China will im Wintersport Unfallversicherung. Deutschlands groß rauskommen Gold-Hoffnung Mehr Artikel und Videos unter: tagesspiegel.de/paralympics 15 | AUF ANFANG und dguv.de/pz 10 | LIEBES Neues Team, neue Halle – TAGEBUCH Unser Social-Media-Team berichtet Chinas Rollstuhlcurler wollen rund um die Uhr von den Spielen. Johanna ihren Titel verteidigen Folgen Sie uns auf: Recktenwald instagram.com/ParalympicsZeitung facebook.com/ParalympicsZeitung hält ihre Sorgen twitter.com/parazeitung vor Corona fest Im Krisenmodus Paralympische Spiele bedeuten normalerweise spannende Wettkämpfe mit beeindruckenden Höchstleistungen der teilnehmenden Athletinnen und Athleten. Doch die Unbeschwertheit der diesjährigen paralympischen Winterspiele war schon durch die anhaltende Pandemie und den umstrittenen Austragungsort Peking dahin, aber der Krieg zwischen der Ukraine und Russland verleiht dem Ganzen jetzt nochmal eine ganz andere Dimension. Das Redaktionsteam der Paralympics Zeitung von Tagesspiegel und Deutscher Gesetzlicher Foto: Thilo Rückeis, David McIntyre und Joachim Sielski/beide Imago Unfallversicherung muss sich auch dieses Mal, wie bereits im vergangenen Sommer bei den Paralympics in Tokio, ganz besonderen Herausforderungen stellen. Neun junge Journalistinnen und Journalisten, die schon im letzten Jahr dabei waren, berichten täglich über die außergewöhnlichen Wettkämpfe in der Digitalen Se- rie und im Tagesspiegel. Wieder ist es nicht möglich, live vor Ort zu sein, wieder sind die sozialen Medien die ein- zige Verbindung zu den Akteuren in den Wettkampfstät- ten. Und doch und gerade wegen der Umstände ist die Motivation für das gesamte Team größer denn je. Der olympische Gedanke eint Sportlerinnen und Sport- ler, Reporterinnen und Reporter. Die Paralympics in Pe- king werden ein Zeichen setzen für Frieden, für Völkerver- ständigung und für Hoffnung. CLAUDIA KLEIST
Hochachtung! Eine größere Herausforderung als bei diesen Paralympics hat es für Sportlerinnen und Sportler wohl noch nicht gegeben. Jeder Mensch Da sind die besonderen Umstände in Peking, die kaum Fröhlichkeit aufkommen lassen; es fehlen die Zuschauer, die ihnen sonst eine Extraportion Energie verschaffen; zählt! dazu kommt die Sorge, von der Pandemie aus dem Rennen Die Paralympischen Spiele in Peking finden statt, genommen zu werden; und über allem lastet jetzt auch noch während in Europa ein Krieg seine Opfer fordert. ein Krieg. Auch für das Team der Paralympics Zeitung ist Ein vor kurzem noch unglaublicher Satz. Die Ukraine muss das ein mentaler Kraftakt. Die jungen Journalistinnen und sich gegen einen militärischen Angriff von Putins Russland Journalisten haben sich akribisch vorbereitet und sich verteidigen. Es sterben Zivilisten, Hunderttausende sind gefreut auf die Reise nach Peking – aber zum zweiten Mal auf der Flucht. Die Paralympioniken aus der Ukraine hintereinander berichten sie nur aus der Ferne. Ich habe werden trotzdem in Peking starten. Auch das ist ein Weg, größte Hochachtung vor allen, die sich dennoch auf die Lage in ihrem Land aufmerksam zu machen. mit Leidenschaft und voller Konzentration daran machen, Die Nachwuchs-Redaktion der Paralympics Zeitung auch diese Paralympischen Spiele zu einem unvergesslichen wird auch diese Paralympischen Spiele begleiten. Ereignis werden zu lassen – sei es als Sportler oder Reporter. Aufgrund der Pandemie ist sie nicht in Peking, Und sie können gewiss sein: Wir schauen hin und sind dabei. aber auch von Deutschland aus wird sie Diese Ausgabe der Paralympics Zeitung ist dafür der paralympischen Idee Geltung verschaffen: ein großartiger Auftakt – vielen Dank allen, Jeder Mensch zählt, ganz gleich, welche Einschränkung die das möglich gemacht haben! er mitbringt. Diese Botschaft zu vermitteln, Lorenz Maroldt, Chefredakteur des Tagesspiegels ist jetzt wichtiger denn je. Manfred Wirsch, Vorstandsvorsitzender der DGUV Foto: Future Image/Imago Foto: promo Ich drücke die Daumen! Sport bringt Menschen zusammen – egal ob mit Behinderungen oder ohne. Dafür stehen die Paralympics. Hier können Sportlerinnen und Sportler zeigen, dass Höchstleistungen trotz Einschränkungen möglich sind. Ihr Engagement und ihr Einsatz beweisen: Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. Das erklärt die weltweit wachsende Begeisterung für die Paralympics. Das macht die Athletinnen und Athleten zu so großen Vorbildern. Foto: Bundesregierung/Thomas Köhler Sie alle geben ihr Bestes, zeigen tolle Leistungen, hoffen darauf, ins Finale zu kommen und es am Ende sogar auf das Siegertreppchen zu schaffen.Sportlich fair und mit Teamgeist auch gegenüber den Mitkämpferinnen und Athleten der anderen Mannschaften. Auch das zeichnet die Paralympics aus. Olaf Scholz, In diesem Jahr finden die paralympischen Winterspiele unter besonderen Bedingungen Bundeskanzler statt. Der kriegerische Überfall auf die Ukraine überschattet die Unbeschwertheit des Olympischen Sports. In diesen dunklen Tagen ist es gut, dass die Sportlerinnen und Sportler mit den Paralympics den Gedanken des Olympischen Friedens in die Welt hineintragen. Den Athletinnen und Athleten der Paralympics gehören unsere Bewunderung und unser Respekt. Ich weiß, dass die Corona-Pandemie die Trainings- und Wettkampfbedingungen für viele von ihnen immer noch einschränkt. Umso stärker drücke ich allen Sportlerinnen und Sportlern von Team Deutschland die Daumen. Ich wünsche einen fairen Wettkampf und viel Erfolg!
4 | Tagesspiegel Paralympics Zeitung Im Schatten der Spiele. Russlands Präsident Wladimir Putin hat den symbolischen olympischen Frieden bereits zum dritten Mal gebrochen: 2008 mit dem Kaukasuskrieg am Tag der Eröffnung der Sommer- Paralympics von Peking, dann 2014 als Gastgeber der Spiele mit der Annexion der Krim und nun mit dem Krieg in der Ukraine. Wie 2022 trat auch in Sotschi die Mannschaft der Ukraine an und nutzte dies als Symbolkraft für den Frieden. Bei der Eröffnungsfeier vertrat aus Protest lediglich Mykhaylo Tkachenko (Foto) sein Land. Bei Sieger- ehrungen deckten die ukrainischen Sportler die Medaillen mit den Händen ab. Der Deutsche Behindertensportverband lud die gesamte Mannschaft der Ukraine Fotos: Kevin Müller/DBS, Julian Stratenschulte/dpa ins Deutsche Haus ein und versicherte ihr seine Solidarität. Das Bild mit den deutschen und ukrainischen Fahnen ging um die Welt. Das richtige king geschafft hatte und trotz der Situation DassRussland den Frieden nichtschon wäh- im eigenen Land an den Start geht. „Es ist rend Olympia gebrochen hat, sieht der Ex- ein Wunder, dass wir hier sind“, sagt Valerij perte in der Freundschaft zu China begrün- Zeichen Schuskewitsch, der Präsident des Nationa- det: „Meiner Ansicht nach eine Frage der di- len Paralympischen Komitees der Ukraine: plomatischen Taktik. Eine Woche eher hätte „Der einfachste Weg wäre gewesen, in der China sehr verärgert.“ Seine Position zum Ukraine zu bleiben. Aber wenn die Ukraine Ausschluss der Russen bei den Paralympics beiden Spielen abwesendist, würde dies be- ist klar: „Ich finde es zynisch zu sagen, wäh- deuten, dass es die Ukraine in der Welt nicht rend die einen mit Raketen auf zivile Städte Die Ukraine wird in Peking mehr gibt.“ Ein Teil der Mannschaft war zu Kriegsbeginn in einem Trainingslager in Ita- schießen, sollen die anderen bei irgendwas um die Wette kämpfen.“ lien gewesen und von dort nach China aufge- Die Sportlerinnen und Sportler der übrigen an den Start gehen. Die Teams brochen. Der Teil aus der Ukraine musste erst außer Landes gebracht werden. Nationen, die in den kommenden neun Ta- gen an den Start gehen, wollen den Fokus der Russen und Belarussen Der russische Präsident Wladimir Putin hat nun auf ihre Leistungen lenken. „Nein, über mit dem Kriegsbeginn bereits zum dritten eine Geste der Solidarisierung mit den Mal den Olympischen Frieden gebrochen, Ukrainern habe ich bisher nicht nachge- dürfen nicht antreten der für gewöhnlich bis eine Woche nach den Paralympics gilt. Das erste Mal geschah dacht“, sagt Anna-Lena Forster, die bei der Eröffnungsfeier zusammen mit Martin Fleig dies 2008, als Putins Truppen in Georgien die deutsche Fahne trägt. Das IPC will sol- D einmarschierten. 2014 folgte die Beset- che Bekundungen wohl auch vermeiden. ie Ereignisse überschlugen sich in zung der Krim. Für Friedensforscher Wolf- Dieser Einschnitt in die Meinungsfreiheit den vergangenen Tagen. Nach der gang Dietrich ist diese Nähe zu den Olympi- sei ein Problem, erklärt Mareike Miller, Ka- Entscheidung vom Mittwoch, als schen Spielen vielleicht nicht zufällig: „Es pitänin der Rollstuhlbasketball-National- das Internationale Paralympische könnte Teil der kommunikativen Kriegsfüh- mannschaft und Präsidiumsmitglied bei Komitee (IPC) den Start der Athletinnen und Athleten Deutschland e.V.: „Sportlerinnen Athleten aus Russland und Belarus unter neutraler Flagge genehmigt hatte, wurde der Die Sportler wollen und Sportler, die sich innerhalb des men- schenrechtlich gedeckten Rahmens zu An- öffentliche Druck auf IPC-Präsident Andrew den Fokus auf ihre liegen ihrer Wahl äußern wollen, sollte Parsons zu groß. Begründung war gewesen, diese Möglichkeit offenstehen. Das gilt dass sich der Dachverband an seine Regeln Leistungen lenken auch für das Podium oder das Spielfeld.“ halteunddass „die Athletennicht die Aggres- Beiden Olympischen Spielen hatte der ukrai- soren“ des Krieges der Russen in der rung sein. Gerade bei diesem Krieg sehen nische Skeleton-Rennfahrer Vladyslav He- Ukraine seien. 16 Stunden später be- wir, wie wichtig das ist. Es sind ja nicht nur raskevych ein Schild mit der blau-gelben schloss der IPC-Vorstand nach einer eigens die Waffen, die da sprechen“, sagt der Pro- FlaggeundderAufschrift„NoWarinUkraine“ einberufenen Sitzung den Athletinnen und fessor von der Universität Innsbruck. Er und hochgehalten. Das IOC ergriff keine Sank- Athleten die Teilnahme an den Paralympics viele Altersgenossen seien mit diesem Res- tion – offizielle Erklärung: „,Kein Krieg’ sei in Peking nun doch zu verweigern. pekt vor dem Olympischen Gedanken aufge- eineBotschaft,mitderwirunsalleidentifizie- Stiller Umzug. Karl Quade, Chef de Mission der deutschen wachsen, erklärt er: „Mit dem Angriff auf die ren können.“ Miller geht fest davon aus, Aus Protest war die deutsche Mannschaft, hatte durchaus Respekt für Ukraine schändet Putin diesen Gedanken.“ dass einige Sportlerinnen und Sportler die Delegation mit einer Schweige- diese Rolle rückwärts. „Das ist in derinterna- Der Olympische Frieden wird von den Ver- Aufmerksamkeit der nächsten Tage nutzen minute in das paralympische Dorf in Peking eingezogen. tionalen Sportpolitiknoch nicht so häufigvor- einten Nationen per Resolution verabschie- werden, um Zeichen zu setzen. Dort tauschte es das Quartier gekommen“, sagt er. Die Entscheidung ver- det. „Es ist ein nobler Gedanke – aber nicht Für die Ukraine beginnt der Protest mit der mit der Ukraine, damit die hindere aber natürlich nicht den fürchterli- alle Menschen mit politischer oder militäri- bloßen Anwesenheit. „Sie ist ein Zeichen Athleten nicht direkt neben chen Krieg, deshalb gelte weiterhin „unser scher Verantwortung sind auch nobel“, dafür, dass die Ukraine ein Land war, ist den Sportlern Russlands hatten Mitgefühl den Menschen in der Ukraine“. sagt Dietrich: „Olympische Spiele wurden und bleibt“, sagt Schuskewitsch. wohnen müssen. Es ging für einen kurzen Moment unter, dass schon oft für politische Zwecke miss- ELENA DEUTSCHER, DELIA KORNELSEN, es die Mannschaft der Ukraine bis nach Pe- braucht. Ein Beispiel ist Berlin 1936.“ HANNAH PRASUHN
Paralympics Zeitung Tagesspiegel | 5 Herr Beucher, 2015 die Vergabe der Paralympics nach China, in ein Land, das nachweislich schwere Menschen- rechtsverletzungen begeht, seit 2020 eine Corona-Pan- demie und jetzt kurz vor Beginn ein Krieg in der Ukraine: Für wie wichtig und sinnvoll halten Sie dennoch eine Durchführung der Spiele? Es ist schlimm, was da gerade in und um die Ukraine herum passiert. Bei Kriegen gibt es immer nur Verlierer, und viele Verlierer bezahlen das mit dem Tod. Die Situation bedrückt schon sehr stark. Ein Krieg rückt alles in den Hintergrund. Nur sind Olympische und Paralympische Spiele seit ihrer Gründung eigentlich eine Friedensveranstaltung. Da tref- fen sich junge Menschen aus allen Teilen der Welt zu einem friedlichen und gewollt fairen Wettkampf miteinander. Es ist ja in der Historie festgelegt gewesen, dass während der Olympischen Spiele keine Kriegshandlungen stattfinden dürfen. Auch jetzt wurde von 193 Nationen diese Friedens- verpflichtung unterschrieben – und die hat die russische Re- gierung brutal gebrochen. Das Team der Ukraine wird an den Paralympics teilneh- men – Russland und Belarus wurden am Mittwoch erst unter neutraler Flagge zugelassen, dann nach breitem Protest am Donnerstag doch ausgeschlossen. Wie ha- Friedhelm Julius ben Sie diese Kehrtwende des Internationalen Paralym- Beucher, 75, pischen Komitees (IPC) erlebt? ist seit 2009 Präsident des Es war für uns hier eine gewisse Achterbahn der Gefühle. Deutschen Wir waren am Mittwoch so was von entsetzt. Wir hatten Behindertensport- kein Verständnis für die Unsensibilität der Entscheidung verbands. des IPC und haben das auch deutlich zum Ausdruck ge- Nach seiner Zeit bracht. Wir hätten es als unerträglich empfunden, dass als Lehrer und Direktor einer am Schießstand nebeneinanderliegend ukrainische und Foto: Joachim Hahne/Imago Schule war er russische und belarussische Sportlerinnen und Sportler zuvor zwölf Jahre im friedlichen Wettkampf schießen und 8000 Kilometer lang Mitglied weiter wird unfriedlich mit Waffen gemordet. des Deutschen Bundestages. Wie kam es beim IPC genau zu der Rücknahme? Dass die Entscheidung binnen 16 Stunden zurückgenom- „Ein Krieg men wurde, hätten wir uns nicht vorstellen können. Aber der öffentliche Druck war einfach zu immens. In der Nacht zu Donnerstag hatten auch wir ein eigenes Positionspapier mit den Österreichern herausgegeben. Diese Initiative rückt alles in muss von so vielen Seiten gekommen sein, dass da ein Um- denken stattgefunden hat. Ob man das jetzt als Rolle rück- wärts oder einen Weg zurück zur sportpolitischen Vernunft bezeichnet – ein bisschen Rückgrat gehört da zu. den Hintergrund“ Es ist mit Solidarisierungsaktionen und Protesten wäh- rend der Paralympics zu rechnen. Weite Teile der Spiele erklärt die Charta zum unpolitischen Raum. Ist das in der jetzigen Situation haltbar? Wir müssen uns in die Lage der Ukrainer versetzen. Die sind hierhin geflogen und wissen nicht, ob sie zurückkom- Herr Beucher, hat die Ausrichtung der Winterspiele den men, ob sie ihr Haus und ihre Familie so wiedertreffen wie sie sie verlassen haben. Je näher man sich mit einem indi- Ein Sportfest in Chinesen eher geschadet oder genutzt? Die Ausrichtung der Winterspiele hat denen genutzt. Zu- viduellen Schicksal befasst, desto eher ist man in der Lage, bestimmte Handlungsweisen zu erfassen. diesen Zeiten? mindest in der Binnenwahrnehmung. Der Nutzen weltweit ist in der demokratischen Welt – wenn man davon so spre- chen kann – eben mit dem faden Beigeschmack, dass Das Thema Meinungsfreiheit war in Bezug auf China oh- nehin omnipräsent. Werden Sie vor Ort für Ihre Werte In diesem Land? dort Spiele stattgefunden haben, wo drumherum hand- fest Menschenrechtsverletzungen begangen werden, ras- einstehen? Wenn Gelegenheit ist, dazu Stellung zu nehmen, werden wir das von deutscher Seite aus natürlich machen. Nur DBS-Präsident sistische Übergriffe und rücksichtslose Zerstörung von Umwelt und der Missachtung von Klimaschutz. ich gehe davon aus, dass unsere Darstellungsformen weitgehend eingeschränkt sind. Dreister, als es seitens Friedhelm Julius China hat in den Para-Wintersport massiv investiert. Ist mit dem großen Erfolg zu rechnen? einer chinesischen Regierungssprecherin geäußert wor- Talentfindung geht sicherlich – wenn man das mit Zwangs- den ist, konnte man das in der Geschichte der Olympi- schen und Paralympischen Spiele ja noch nie erleben. Beucher über den maßnahmen macht, wie wir das auch aus anderen Ländern kennen – schneller als bei uns, aber das ist Spekulation. Dass unverhohlen damit gedroht wird, wer sich zu den Zu- ständen in China äußert, muss wissen, dass er gegen gel- olympischen Frieden, Der chinesische Präsident Xi soll im Besitz eines Paar Ski sein. Würden Sie mit ihm auf die Piste gehen? tende Gesetze verstößt. Das heißt im Umkehrschluss: das Aus für Russland Ich denke, das wäre für ihn sehr unangenehm, denn er Wir sollen die Schnauze halten – das ist Maulkorb pur. käme ja nicht zum Skifahren – soviel hätte ich ihm an den Sie bezeichneten die Olympischen Spiele mal als das Kopf zu schleudern. Warmup für die Paralympics. Wie ist das dieses Jahr? Was die gesundheitlichen Präventionsmaßnahmen vor Ort und Skifahren mit Xi Deutschland reist mit 17 Sportlern nach Peking. Zwei Ungeimpfte wurden nicht nominiert. Gab es Versuche angeht, war das dieses Mal sogar noch wichtiger. Der enge seitens des Verbands, sie umzustimmen? Austausch mit dem DOSB brachte wichtige Erkenntnisse. Wie halten Sie es mit dem Fernbleiben vieler Politiker? Ich respektiere, dass sich einer nicht impfen lassen will, Es war ein wichtiger Abwägungsprozess: Den Sportlern alle aber dann kann er nicht für sein Individualverhalten die Sie waren früher Direktor an einer Schule: Welche Note guten Wünsche mitzugeben, aber nicht dem chinesischen Gesellschaft in Sippenhaft nehmen. Dann muss er auch geben Sie den Olympischen Spielen 2022? Regime die Gelegenheit zu geben, dass als indirekte Aner- mit den Konsequenzen leben. Da gab es bei uns keine Sportlich: zwei plus. Gesellschaftliches Umfeld: sechs. kennung ihrer Staatsführung zu sehen. Insofern ist ein diplo- Diskussion. Und auch keinen Aufschrei dieser Sportler. Organisation: zwei. Nachhaltigkeit im Hinblick auf die matischer Boykott richtig und okay – dass man dem chinesi- Wettkampfstätte: sechs. schen Staat nicht als Staffage zur Verfügung steht. DIE FRAGEN STELLTE DAS PZ-TEAM.
6 | Tagesspiegel Paralympics Zeitung Curling ohne Wischer, zielen nach Gehör 650 Teilnehmende treten in insgesamt 78 Wettbewerben an. In welcher Sportart herrscht Gleichstellung? Und wo läuft die Uhr langsamer? Das deutsche Team im Para-Ski-Alpin geht in Peking mit sechs Sportlern und Sportlerinnen und einem Guide an den Start. Klare Medaillen-Favoritin: Anna-Lena Forster. Die Monoskifahrerin gewann vor vier Jahren zweimal Gold bei den Winterspielen in Pyeongchang und präsentierte sich auch vor den Paralympics in Peking topfit. Bei den Para-Schneesport-Weltmeisterschaften holte sie vier Titel. Wettkämpfe im Ski Alpin werden in den Disziplinen Abfahrt, Super-G, Slalom, Riesenslalom und Super-Kombination ausgetragen. Besonders in den ersten beiden Disziplinen kommt es auf Geschwindigkeit an und es wird auf den längsten Skiern gefahren. Im Slalom sind die Ski kürzer, um eine hohe Wendigkeit zu ermöglichen. Die Strecke wird mit blauen und roten Toren abge- steckt, gefahren wird auf Zeit. ELD Beim Para-Biathlon stellen die Athletinnen und Athleten neben dem Absolvieren der Laufstrecken ihre Konzentrationsfähigkeit am Schießstand unter Beweis. Zwischen den Runden greifen sie zum Gewehr, je nach Distanz bis zu fünf Mal. Sportlerinnen und Sportler mit einer Sehbehinderung nutzen ein Lasergewehr und zielen nach Gehör. Foto: Alex Livesey/Getty Images Je höher der Ton auf dem Kopfhörer, desto genauer wird die Mitte der Scheibe anvisiert. Die Ziele stehen in allen Kategorien in einem Abstand von zehn Metern zum Schützen. Pro Fehlversuch gibt es eine Strafrunde oder eine Strafminute, abhängig von der Laufdistanz. Anders als bei Olympia tragen die Sprung ins Glück. Die Startklasse der oberschenkelamputierten Snowboarderin Sportlerinnen und Sportler ihr Gewehr nicht mit, Brenna Huckaby wurde gestrichen. Nach einer Klage darf die US-Amerikanerin ihre Titel von 2018 nun aber doch verteidigen – unter den weniger Beeinträchtigten. sondern erhalten es beim Schießen. Die Deutschen reisen unter anderem mit Martin Fleig, Paralympics-- sieger 2018, an. Die 15-jährige Linn Kazmaier debü- tiert mit ihrem Guide Florian Baumann. HAP/ZOB/DEK
Paralympics Zeitung Tagesspiegel | 7 Im Para-Langlauf gibt es Läufe über die Sprint-, Mittel- und Langdistanz – sie reichen von 800 Metern bis zu 20 Kilometern. Die Athletinnen MIXED ZONE und Athleten starten in den Kategorien sitzend, stehend oder bei einer Sehbeeinträchtigung zusammen mit einem Guide. In der Staffel treten Technik, die Sportlerinnen und Sportler aus allen drei Kategorien zusammen an. Im Para-Ski-Nordisch wird anhand begeistert eines Prozentsystems klassifiziert. Die Teilnehmenden werden auf Basis ihrer funktionellen Drei paralympische Dörfer (Peking, Möglichkeiten eingeteilt. Um Chancengleichheit Yanqing und Zhangjiakou), drei herzustellen oder sich ihr zumindest anzunähern, Werkstätte: Ottobock reist mit Foto: Li Ziheng/Imago gilt ein Faktorsystem mit Prozenten: Je stärker die Trichterfräsen, Infrarotwärmeofen körperliche Beeinträchtigung eines Athleten, desto langsamer läuft seine Wettkampfuhr. HAP/ZOB/DEK und Schweißgeräten zu den Spielen. Das 50-köpfige Team des Healthtech-Unternehmens erwartet 500 Reparaturen. Die Spiele im TV und im Netz PZ Gut 25 Stunden werden die öffent- Seit den Winterspielen 2014 in Sotschi rasen Paralympioniken auf dem Snowboard die Berge lich-rechtlichen Sender von den hinunter. In Peking sind drei deutsche Athleten Paralympics aus Peking berichten. dabei. Es gibt zwei Startklassen – für Sportlerinnen Los geht es am 4. März mit der und Sportler mit Beeinträchtigungen der unteren Eröffnungsfeier (12.50 Uhr) und oder oberen Extremitäten. In den beiden Disziplinen Snowboardcross und Banked Slalom fahren sie den ersten vier Wettkampftagen gegen die Zeit. Bei der Cross-Abfahrt starten (Samstag/ab 8.30 Uhr, So./10.15, mehrere Snowboarder gleichzeitig und liefern sich Mo. und Di./9.05) im ZDF. Von auf dem Hindernisparcour aus Schanzen, Kurven Mittwoch an übernimmt die ARD und Senken eine wilde Verfolgungsjagd. Im Banked Foto: Imago Slalom treten zwei Athleten auf einem (Mi. bis Fr./9.00, Sa. und So./5.30) getrennten Kurs aus Hügeln und mit vielen bis zur Abschlussfeier am 13. März Kartoffel- (ca. 10.30 Uhr). Neben den Zusam- Sprüngen im direkten Duell gegeneinander an. In Peking sind jeweils 119 Frauen und Männer in menfassungen bieten die Sender Voodoo insgesamt acht Entscheidungen dabei. LID täglich Livestreams an. Als Experten sind die beiden Josh Pauls hat mit dem US-Team ehemaligen Ski-Profis Anna der Para-Eishockeyspieler bei den Schaffelhuber (ARD) und Matthias Paralympics drei Goldmedaillen in Berg (ZDF) im Einsatz. Ein Interview Eine Eisfläche, fünf Feldspieler, ein Torwart, drei Folge gewonnen. Keinen mit Schaffelhuber, Hintergrundge- Drittel, und das Team mit den meisten Toren gewinnt unwesentlichen Anteil an diesem schichten und aktuelle Berichte – klingt wie Eishockey, ist es auch. Zumindest seit Triumph hat ein kleines Männchen, 2016. Seitdem heißt Para-Eishockey auch offiziell finden Sie in unserer digitalen Serie so, zuvor wurde der Sport Sledge-Hockey genannt – wie er einmal im „The Player’s während der Spiele auf tagesspie- weil bei der Mixed-Sportart die Athletinnen und Tribune“ verriet. In seinem ersten gel.de/paralympics-zeitung. PZ Athleten nicht auf Schlittschuhen, sondern mit Jahr unter den Nationalspielern einem Sitzschlitten über das Eis gleiten. Seit 1994 streichelte der Coach mit der Hand gehört Eishockey zum paralympischen Programm, das dominierende Team kommt aus den USA. über seinen Kopf und sagte: „Oh, Gespielt wird in Peking in zwei Vierer-Gruppen, der Sieger wird anschließend über ein K.-o.-System es fühlt sich an wie eine Kartoffel.“ Ein paar Monate später schenkten Samstags ermittelt. Das deutsche Team verpasste beim Ausscheidungsturnier in Berlin – wie schon 2018 – sie dem Neuling, der die Haare kurz trägt, eine „Mr. Potato Head“-Figur, Ruhetag die Qualifikation. Dafür feiert die Slowakei ihre paralympische Premiere. LEG in Deutschland bekannt aus dem Sheina Vaspi wird in Peking die Film „Toy Story“. Josh Pauls nahm erste Sportlerin sein, die Israel bei den Scherz sportlich und stellte Winterspielen vertritt. Die 20 Jahre das Männchen vor dem nächsten alte Skirennfahrerin, die nach einer Spiel in der Kabine auf – mit den Amputation stehend auf einem Bein Augen auf die Umkleide der Gegner fährt, trägt aufgrund ihres Glaubens Beim Rollstuhl-Curling sind Präzision, Taktik und gerichtet. Sie gewannen. Und der einen Rock über der Skihose und Strategie die harte Währung. Der Mannschaftssport Kartoffelvoodoo durch die macht samstags, am jüdischen wird auf einem 42,07 langen und 4,28 Meter breiten Eisfeld, dem „Rink“, gespielt. Jedes Team versucht, Kabinenwände funktionierte weiter. Sabbat, Pause. Neben Israel feiern den eigenen Curlingstein näher als das gegnerische Seit über zehn Jahren. Pauls, der auch Aserbaidschan und Puerto Team an die Mitte eines Zielkreises, genannt die US-Boys als Kapitän anführt, ist Rico ihre Winter-Premiere. PZ „Haus“, zu bugsieren. Für jeden Stein, der der Mitte des Hauses näher ist als der gegnerische Stein, gibt mit dem Männchen mittlerweile es einen Punkt. Jedes Team hat acht Steine pro verwachsen: „Ich bin nur eine Durchgang/„End“, von denen es acht gibt. riesige Kartoffel, die versucht, Rollstuhl-Curling wird in Mixed-Teams gespielt, pro Team gibt es mindestens einen Mann und eine Frau. Hockey zu spielen“, sagte er: „Und Im Olympia-Vergleich wird bei der Rollstuhlversion bin ziemlich gut darin geworden.“ PZ das Eis vor dem Stein nicht gewischt. MAF
8 | Tagesspiegel Paralympics Zeitung Zeit ist Gold. Jede Verbesserung an ihrem Monoski bringt Anna-Lena Forster mehr Speed. Vereinfacht erklärt besteht ein Monoski aus einer Sitzschale, einem Rahmen mit Stoßdämpfer und ei- nem Ski. Die Sitzschale ist auf dem Rahmen befes- tigt, welcher über zwei bewegliche Schwingen auf einer Bindungssohle mit dem Ski verbunden ist. „Die Sitzschale ist das Bindeglied zwischen Körper und Sportgerät, vergleichbar mit einem Skischuh. Die muss ordentlich eng passen. Nur so lassen sich die Impulse aus der Hüfte oder aus dem Ober- körper auf das Sportgerät übertragen“, erklärt Bra- xenthaler. Die Sitzschale, in der sich Forster mit Gurten festschnallt, darf nicht zu eng sein – „ich sitze da stundenlang drin, da darf ich keine Druck- stellen bekommen“, sagt die 26-Jährige. Zwischen Bindungssohle und Rahmen befindet sich der Stoßdämpfer. Der federt Unebenheiten und Schläge ab. Die Konstruktion passt durch die Foto: Marcus Hartmann/Imago Skischuh-ähnliche Sohle in die Bindung eines regu- lären Profi-Skis. Es gelten die gleichen Normen wie im Nichtbehindertensport: Im Slalom und Riesen- slalom wird auf einem kürzeren Ski gefahren, in den Speed-Disziplinen Super-G und Abfahrt wird der längste Ski angeschnallt. „Wir fahren mit einem ho- Harte U hen Z-Wert, damit die Bindung bei einem Sturz nicht nzählige Arbeitsstunden sind in die Pro- auslöst“, sagt Braxenthaler. duktion von Anna-Lena Forsters Monoski Neben dem Monoski nutzen die Athletinnen und Ath- geflossen. Denn wenn die zweimalige Pa- leten zusätzlich Krückski, um sich beim Start abzu- Schale ralympics-Siegerin die Piste hinunterfegt, drücken und auf der Piste die Spur zu halten. Sie muss sie sich auf ihr Sportgerät verlassen können. ähneln kürzeren Ski-Stöckern, die an ihren Enden Ihre Bewegungen müssen sich auf den Ski übertra- zusätzliche Mini-Ski montiert haben. gen lassen, egal ob sie sich um die Tore schlängelt oder lange Kurven zieht. Monoski werden von vielen Herstellern für Men- Mithilfe eines 3D-Scans Schnell wie ein Kleinwagen schen mit Amputationen oder Lähmungen haupt- wurde ein Prototyp sächlich für den Breitensport angeboten. Um damit Rennen auf paralympischen Niveau fahren zu kön- für den Sitz entwickelt und genauso teuer: nen, musste Forster einiges an ihrem Monoski än- dern lassen. „Da ist es wichtig, die richtigen Leute Da Forster von Geburt an kein rechtes und ein verkürz- Ein Monoski wird an der Hand zu haben“, sagt sie. tes linkes Bein hat, muss ihre Sitzschale eigens für Einer von ihnen war auch Martin Braxenthaler – Pio- sie angefertigt werden. Diese Maßanpassung über- nier auf dem Gebiet „Monoski der Marke Eigenbau“. nimmt seit fast zehn Jahren das Sanitätshaus Trapp aufwendig produziert und Der 49-Jährige ist selbst Paralympics-Sieger und hat schon vor 20 Jahren ein Breitensportmodell auf in Friedrichshafen. Seit 2018 kümmert sich auch der Orthopädietechnikmeister Felix Kruse darum. Mit- seine Bedürfnisse umgerüstet. Mit befreundeten In- hilfe eines Gipsabdrucks, eines 3D-Scans und eines gleicht einem Kunstwerk genieuren aus dem Motorsport fing der gelernte Kfz-Mechaniker damals an zu tüfteln. Zusammen fer- Modells entwickelte er einen Prototypen, den Anna-Lena Forster seit 2019 fuhr. Vergangenen No- tigten sie eine Sitzschale aus Carbon statt aus Kunst- vember stieg sie nun auf die finale Version um. stoff und bauten auch den Rahmen nach, wobei sie Ski, Rahmen, Stoßdämpfung und Sitzschale: Alles sich am Breitensportgerät orientierten. „Was gut zusammen so teuer wie ein Kleinwagen, sagt Bra- war, haben wir übernommen, und was nicht optimal xenthaler. Doch das Gefühl, die Piste runterzubret- war, haben wir versucht zu verbessern“, sagt Braxen- tern – für den Rollstuhlfahrer einfach unbezahlbar: thaler, der den deutschen Para-Ski-Alpin-Kader nach „Es fühlt sich an, als würde ich über den Schnee seinem Karriereende als Co-Trainer betreute. fliegen.“ ELENA DEUTSCHER ANZEIGE Die digitale Serie Täglich auf tagesspiegel.de In Kooperation mit
Paralympics Zeitung Tagesspiegel | 9 Weicher Kern Die Pandemie stürzte Anna-Lena Forster in eine Sinnkrise. In Peking ruhen auf ihr die deutschen Medaillenhoffnungen H erzlichen Glückwunsch zu Gold! – in dem Ihre Gedanken zur Corona-Pandemie zeigen ein an- In Peking möchte sie sich mit scharfer Kritik aller- Moment, als Anna-Lena Forster zum ers- deres Bild der sonst so fröhlichen Sportlerin dings zurückhalten. „Man hat schon ein bisschen ten Mal ihren WM-Triumph realisiert, liest Anna-Lena Forster. Es zeigt das Bild einer jungen Schiss, dass man etwas falsch macht – und man sie diese Zeilen. Festgehalten auf einem Frau, deren Interessen weit über den Sport hinaus- auch nicht weiß, ob das Konsequenzen hat“, sagt großen Plakat vor ihrem Elternhaus in Singen, mit reichen. Und die etwas bewegen will: Seit kurzem sie. Auch Mutter Forster wünscht sich, dass ihre dem sie nach ihren vier Titeln von Lillehammer ist sie Mitglied bei „Athleten Deutschland“, einem Tochter „keine dicke Lippe riskiert“. Ende Januar von Familie und Freunden empfangen Verein, der für die Bedürfnisse deutscher Kaderath- Beide hoffen, dass der Sport im Vordergrund steht. wird. „Da wurde mir bewusst: Krass, das waren die letinnen und -athleten eintritt. Ihre Stimme erhe- Mit „mindestens einer weiteren Goldmedaille“ will Weltmeisterschaften“, beschreibt die 26-Jährige ben, das möchte Forster in Zukunft öfter machen. Anna-Lena Forster heimkehren. Die größte Chance diesen Moment. Mittlerweile liegt das Plakat einge- Dass die Winterspiele in einem Land stattfinden, in hat sie im Slalom. Aber egal ob in ihrer Paradediszip- rollt im Haus – aber es wartet nur darauf, zu ihrer dem Menschenrechte mit Füßen getreten und die lin oder in der Abfahrt, Super-Kombination, im Rie- Rückkehr aus Peking wieder aufgehängt zu werden. Meinungsfreiheit eingeschränkt werde, „das belas- senslalom oder Super-G – eines ist sicher: Gewinnt An einem Morgen Mitte Februar blitzt auf ihrem tet einen auch ein Stück weit“, gibt sie zu. Über ei- sie in Peking ein Rennen, hängt das „Herzlichen Oberteil ein goldenes Wappenschild, das einen nen persönlichen Boykott habe sie aber nie ernst- Glückwunsch zu Gold“-Plakat wieder vor dem Haus schwarzen Adler umrahmt. Es sei zwar nur „irgend- haft nachgedacht: „Dafür trainiere ich einfach zu und wird ihr dabei helfen, den nächsten großen Er- ein altes Einkleidungsteil“, erzählt sie lachend im hart und stecke da zu viel Zeit rein.“ folg zu realisieren. MAGDALENA AUSTERMANN Videocall und ihre Augen formen sich dabei zu Schlitzen. Doch lässt es erahnen, wie erfolgreich sie als Leistungssportlerin bisher bereits war. Dabei hätten ihr wohl die wenigsten eine Profikar- Nicht alles Gold, was riere zugetraut. Forster, die von Geburt an kein rech- glänzt. tes und ein verkürztes linkes Bein hat, wächst in Das Training einer skiverrückten Familie auf. Mit sechs Jahren während nehmen Vater Jürgen und Mutter Sybille sie zum der Lockdowns ersten Mal mit auf die Skipiste ins Kaunertal. „Wir brachte Skirennfahrerin haben immer gesagt: Geht nicht, gibt’s nicht“, be- Anna-Lena schreibt Mutter Forster den Umgang mit der Behin- Forster derung ihrer Tochter. Deshalb wird die kleine zum Grübeln. Anna-Lena in einem von der ehemaligen Paralym- Forster startet in Peking in fünf Disziplinen – Slalom ist ihre liebste picssiegerin Gerda Pamler organisierten Schnupper- kurs in einen Monoskibob gesetzt. Als Liebe auf den ersten Blick kann man ihre erste Begegnung mit dem Sportgerät allerdings nicht beschreiben. „Ich war am Anfang ein bisschen quengelig, weil es sehr kalt war und auch der Monoski noch nicht rich- tig gepasst hat“, erzählt Forster heute schmun- zelnd. Bald jedoch entdeckt sie den Spaß am alpi- nen Sport. Pamler erkennt ihr Talent und bringt sie in den Kader der Para-Ski-Nationalmannschaft – zehn Jahre nach ihrem ersten Weltcuprennen darf sie sich nun fünfmalige Weltmeisterin und zweima- lige Paralympicssiegerin nennen. In Peking soll sie mehr als nur die beiden Titel aus Pyeongchang verteidigen. „Wir reisen mit dem An- spruch rüber, dass sie in jeder Disziplin Gold holen kann“, sagt Bundestrainer Justus Wolf. Doch Mitte Februar steht aufgrund einer Erkältung erstmal eine Trainingspause an. „Jetzt heißt es erst mal ausku- rieren“, sagt sie verschnupft – und ein Glück sei es keine Corona-Erkrankung. Die wäre so kurz vor dem Abflug nach China das Worst-Case-Szenario. Bisher kommt Forster Corona-frei durch die Pande- mie. Trotzdem hat sie das Virus in den vergangenen zwei Jahren stark beeinflusst – auch wenn der Trai- ningsbetrieb eigentlich gar nicht darunter litt. „Man hat sich schon gefragt, was sein Sport gerade ei- gentlich überhaupt wert ist, während die ganze Welt mit einer Pandemie zu kämpfen hat.“ Es sind ehrli- Foto: Ralf Kuckuck/Imago che Worte. Forster spricht von mentalen Problemen und einer Traurigkeit, die sie über Monate hinweg begleitete. „Es ist so ein bisschen der Welt- schmerz, der einen hemmt, beeinflusst und traurig macht.“ Durch Gespräche mit Teamkolleginnen und -kollegen, die mit ähnlichen Gedanken kämp- fen, schafft sie den Weg aus dem negativen Loch.
10 | Tagesspiegel Paralympics Zeitung Jahrelang arbeiteten die Sportlerinnen und fahren, doch jetzt bin ich schon wieder in Sportler auf das Event hin. Doch je näher Freiburg. Wir hatten positive Fälle in der die Paralympics in diesem Winter rückten, Mannschaft! Das kam am Montag raus, desto größer wurde die Angst vor einer Infek- seitdem haben wir uns im Trainingslager tion. Ein positiver Coronatest vor Peking noch krasser isoliert: Wir haben auf dem konnte jeden Traum zerplatzen lassen. Die Zimmer gegessen und sind nur fürs Trai- Biathletin Johanna Recktenwald teilte ihre ning raus gegangen. Ich hätte gern einen Sorgen mit uns. Und ihre Freuden. PCR-Test gemacht, aber das war schwierig vor Ort. Die Schnelltests waren seit Montag 28. Januar immer negativ, es hat auch niemand Symp- tome gehabt, auch jetzt nach fünf Tagen Ich kann es kaum glauben, Valle (Guide Va- nicht. Anfangs hatte ich Schiss, aber je lentin Haag, Anm. d. R.) und ich sind für die mehr Tage vergangen sind, desto entspann- Paralympics nominiert! Ich bin überwältigt, ter wurde ich. Ich habe in Freiburg gerade unendlich dankbar und glücklich, dass ich noch einen PCR-Test gemacht. diese Erfahrung in meinem Leben mitneh- men darf. In vier Wochen geht der Flieger. Jetzt zählt es, gesund zu bleiben und noch 19. Februar Mein Ergebnis ist negativ! Wäre ich positiv, ein paar ordentliche Trainingseinheiten zu hätte ich es mit sieben Tagen Quarantäne absolvieren. vielleicht trotzdem noch zu den Spielen ge- 31. Januar schafft … Aber wenn man jetzt krank ist, hat man halt keine gute Vorbereitung. So ein Vi- In Freiburg mache ich nichts mehr groß. rus steckt der Körper ja nicht einfach weg, Ich gehe auch nicht mehr zu den Präsenz- auch wenn man keine Symptome hat. veranstaltungen an der Uni, das ist alles zu risikoreich. Uni, Sport, Corona, es kommt alles zusammen, und es ist schon 20. Februar Foto: Stanislav Krasilnikov/Imago, Ralf Kuckuck/Imago (Portrait) Ich bin in meiner WG und werde mich die ein bisschen dieser Druck da: Man darf nächsten Tage hauptsächlich in meinem sich auf keinen Fall infizieren, man darf Zimmer aufhalten. Vielleicht gehe ich mal keine Leute mehr sehen – dabei würde mir ein bisschen raus, spazieren, frische Luft das gerade jetzt mehr Kraft geben, und ich schnappen und den Kopf freikriegen. Das hätte mehr Abwechslung. Die einzigen wird vielleicht einsam. Aber ich hoffe, Kontakte, die ich außerhalb des Sports ge- dass alles gut wird. Wird’s bestimmt! rade habe, sind meine zwei Mitbewohne- rinnen in der WG. Beide sind auch Sportle- rinnen und testen sich regelmäßig. 22. Februar Es ist schon hart. Die Selbstisolation zehrt Husten! Wir haben ein Problem! Vor der Reise negativ – und positiv in Peking: 2. Februar So erging es Olympiateilnehmer Eric Frenzel. Er musste ins Quarantänehotel. sehr. In der WG versuche ich in die Küche zu gehen, wenn sonst niemand da ist, um Ich habe meine Familie besucht. Seit eini- mir Essen zu machen. Ich habe meine Mit- ger Zeit schon wäge ich ab, wen ich sehen bewohnerin und ihre Freundinnen, die bei Reise kann und wen nicht, mache mir mega viele uns sind, ein paar Mal gebeten, die Maske Gedanken dazu. Meine Familie hatte ich anzuziehen. Ich verstehe auch, dass die das letzte Mal an Weihnachten gesehen. das nervt … So in der eigenen Wohnung Wenn ich jetzt nicht gefahren wäre, dann sein und dann mit Maske … Umso mehr zum Mond erst wieder nach Peking, im März also. bin ich froh, dass die das respektieren. Mein Freund geht für mich einkaufen, auch 5. Februar dafür bin ich mega dankbar. Heute war richtig schönes Wetter, die Sonne hat geschienen und wir waren eine längere Tour Langlaufen, das hat voll Spaß 24. Februar Einen Monat vor Peking hieß es: Ich habe einfach alles getan, was ich tun gemacht. Jetzt muss ich noch lernen und kann, um eine Infektion zu vermeiden. Ich Koffer packen. Morgen geht’s für zwei Wo- habe mir nichts vorzuwerfen. Morgen fah- chen ins Trainingslager nach Livigno. Jetzt bloß nicht anstecken! ren wir um zehn Uhr zum Flughafen, mit- tags müssen wir unser Gepäck abgeben, 6. Februar es gibt noch die Verabschiedung mit dem Seit zwei Tagen laufen die Olympischen Spiele. Ich sehe die Ski-Strecken, auf de- Ein Corona-Tagebuch Bundespräsidenten, und abends um zehn vor sechs geht der Flieger nach Peking! nen ich bald langlaufen werde, schaue Ins- tagram-Storys von Sportlern im Speise- 2. März saal, in dem ich bald essen werde. So rich- Mal am Tag unsere Hände und desinfizie- ich würde mich in die ein bisschen vorsichti- Geschafft! Die Leute laufen hier überall in tig habe ich das noch gar nicht realisiert. gere Gruppe einordnen, ich merke aber ren sie, machen jeden Tag einen Schnell- diesen Ganzkörperanzügen rum. Im Es- Das ist schon irgendwie cool gerade. Aber test. Beim Essen müssen wir am meisten auch, wie ich gerade aktuell ein bisschen senssaal ist es zum Beispiel so: Man steht krass: Eric Frenzel und Terence Weber sind aufpassen, Abstand zu halten und uns sensibler reagiere als in anderen Phasen. gerade von seinem Platz auf, schon stehen positiv getestet worden. Boah, da hofft nicht so krass mit den anderen Hotelgäs- Wenn andere Hotelgäste am Buffet einem da Menschen und desinfizieren. Es klebt al- man einfach, dass es einem nicht auch so ten und untereinander zu vermischen. Ich so arg auf die Pelle rücken oder ich im Flur les, ob auf den Sitzen im Bus oder auf den geht. Ich habe vor kurzem einen Podcast fühle mich wohl hier. Und sicher. Leuten begegne, die keine Maske haben, Stühlen beim Testen – ich sitze da gefühlt mit Eric Frenzel gehört, in dem er erzählt rege ich mich auf. Ab und zu kriege ich mit, im Nassen, alles ist so richtig mit einem hat, wie krass die ganze Familie darauf ge- achtet hat, sich nicht zu infizieren, die Kin- 11. Februar wenn jemand erzählt, dass er eine rote Film von Desinfektionsmitteln überzogen. Wir haben aber viel Spaß hier, Valle und ich Manchmal frage ich mich, wie es wäre, Warnapp hat. Ich hatte tatsächlich noch nie der gingen nicht mehr in den Kindergarten. sind immer unterwegs und erkunden alles. wenn mein PCR-Test vor der Abreise positiv eine – wundert mich auch. Und dann ist er jetzt doch positiv. Ich frage Der ganze Druck und alles der letzten Wo- mich: Wie kann ich so was verhindern? wäre. Man kann ja auch einfach einen posi- tiven PCR-Test ohne Symptome haben. Ich 13. Februar chen – das ist jetzt einfach viel besser! PROTOKOLL: DELIA KORNELSEN 8. Februar habe da schon ein bisschen Schiss … Es hilft, daran zu denken, was unser Trainer Durch den höheren CT-Wert in China kann mal gesagt hat: „Es bringt nichts, sich jetzt Die Tage in Livigno sehen so aus: aufste- hen, essen, Training, essen, für die Uni ler- es auch sein, dass man in Deutschland ne- ständig einen Kopf zu machen. Wir schüt- Johanna Reckten- nen, Interviewanfragen koordinieren, Rege- gativ ist und bei der Ankunft in China posi- zen uns bestmöglich, und alles andere liegt wald geht bestens neration und hoffentlich ein Mittagsschlaf, tiv. Im Trainingslager gibt es Leute, die nicht mehr in unserer Hand.“ vorbereitet in ihre krass vorsichtig sind und die wirklich im- ersten Paralympics. Training, Physio, Grundlagenschießen, es- sen, Mannschaftsbesprechung, Zeit für mer die Maske aufhaben außer beim Es- 18. Februar Die freie Zeit will sich die 20-Jährige Freunde und Freundinnen, vielleicht auch sen. Bei manch anderen hat man das Ge- Die Situation hat sich zugespitzt. Eigent- vor allem mit lernen. Sonst waschen wir bestimmt 100 fühl, die juckt es jetzt nicht wirklich so. Also lich sollten wir erst morgen nach Hause Podcasts vertreiben.
Paralympics Zeitung Tagesspiegel | 11 Fotos: Christoph Gramann, Instagram (Portrait) Drei Punkte für ein Halleluja. Hoch! Die seh- nicht vertrauensvoll) bis zehn (sehr vertrauensvoll) beeinträchtigte ten oder für Prüfungen zu lernen – auch in Zeiten, in gibt sich die 22-Jährige „je nach Lebensbereich Skirennfahrerin denen die volle Konzentration auf dem Skifahren eine Sieben bis Acht“. Geheimnisse von anderen Noemi Ristau, liegt und sie wie Anfang des Jahres bei Weltmeister- links, bereitet Drauf! für sich zu behalten, sei gar nicht ihr Ding, erzählt schaften starten. „Wenn man sechs bis sieben sich auf ihre sie lachend. Brenzels beste Freundin Luisa relati- Stunden auf der Piste ist und sich dann an den Abfahrt vor. viert diese Aussage aber: „Das ist eher bei familiä- Guide Paula Schreibtisch setzt, ist man sehr erschöpft, und es ren Angelegenheiten so. Sie vertraut mir das schon Brenzel, bleibt nicht so viel Stoff hängen“, sagt sie und gibt Zack! an, weil sie mit mir darüber reden kann.“ Ansons- rechts und einen ehrlichen Einblick in ihr Leben zwischen Profi- ten sei Paula Brenzel eine Person, „der man jeder- unten, gibt sport und Studium. zeit sein Herz ausschütten und zu 100 Prozent ver- Anweisungen. Aktuell liegt die Priorität auf dem Skifahren. Seit Be- trauen kann“, sagt sie. Wie gut also, dass Noemi ginn ihrer Zusammenarbeit trainierte das Duo auf die Ristau nicht Teil der Familie ist – obwohl das ge- Paralympics hin. Auf diesem Weg musste vor allem samte Para-Ski-Alpin-Team für sie mittlerweile zu Noemi Ristau einige Rückschläge einstecken. Einer „einer eigenen kleinen Familie“ geworden ist. Schulterverletzung folgten psychische Probleme Im Ski Alpin rast Aus ihrem Umfeld haben viele Brenzel dieses Team- work gar nicht zugetraut. In der Jugend fuhr sie ambi- während der Corona-Pandemie und ein Kreuzban- driss im September – schwieriger hätte das Jahr vor Paula Brenzel als tioniert Ski – als Individualsportlerin. „Ich war immer eher die Einzelkämpferin“, erzählt sie. Als sie sich Peking kaum laufen können. „Wir sind erst seit De- zember wieder im Training und haben viele Trainings- 2018 nach dem Abitur und einem Auslandsaufent- tage verpasst“, erzählt Brenzel, die während dieser Guide von Noemi halt neu orientierte, wurde sie durch eine Rundmail auf Ristaus Suche nach einem neuen Guide aufmerk- schwierigen Phase immer an der Seite einer der „wichtigsten Personen ihres Lebens“ stand. Des- Ristau voraus. sam. Brenzels Eltern, die im hessischen Skiverband aktiv sind, druckten das Schreiben aus und diskutier- halb schrauben die beiden ihre Erwartungen an Pe- king etwas runter und freuen sich über jede Medaille. ten darüber am Mittagstisch. „Das war witzig, wir ha- Vor einem Jahr glaubten sie noch „sicher an Gold“. Bei 100 Sachen ben überlegt, ob wir jemanden kennen, der dafür in- frage kommt“, erzählt sie schmunzelnd. Irgendwann Brenzel möchte die Erfahrung bei den Paralympics ge- nießen. Auch wenn der Fokus vor Ort „zu hundert Pro- zählt da nur brachte sich Brenzel, die zu den besten Skifahrerin- nen in Hessen zählt, einfach selbst ins Spiel – und zent auf dem Sport liegen soll“, beschäftigt sie sich mit der Kritik am Gastgeberland und besonders die dann ging alles ganz schnell. Bei einem ersten Kaf- Klima-Problematik macht der Veganerin zu schaffen. Vertrauen fee in Ristaus Heimatstadt Marburg stimmte die Har- monie sofort, ein gemeinsames Training bestätigte „Wenn ich sehe, was da an Wasser verschwendet wird, da läuft es mir eiskalt den Rücken runter“, sagt U das gute Gefühl auch auf der Skipiste. sie. Aufgrund der Pandemie befürchtet sie, dass das nd zieh, reeeeeein, halten, halten, halten Brenzel hatte zuvor nie Berührungspunkte mit Men- Leitbild, das Paralympische Spiele haben sollten – und jetzt Hocke und draaaaauf! So tönt es schen mit Behinderung gehabt. „Ich habe gelernt, andere Nationen kennenzulernen und einen gemein- über die Skipiste, wenn Paula Brenzel und dass es keinen Grund gibt, sich einen Kopf zu ma- samen Gewinner auszumachen – wegfällt. Noemi Ristau gemeinsam eine Skipiste hi- chen“, sagt sie zu ihren anfänglichen Ängsten. Trotzdem freut sie sich darauf ihr Bestes in dem zu nunterjagen. Die sehbeeinträchtigte Ristau muss Auch der neunjährige Altersunterschied der beiden geben, was sie am liebsten macht: als Guide vor sich nahezu allein auf die Kommandos von Guide Frauen war kein Hindernis. „Ich konnte mich schon Noemi Ristau den Berg hinunterzujagen. Auf die Un- Brenzel verlassen, wenn sie ihr mit einer Sehkraft immer eher mit Älteren identifizieren“, erzählt Bren- terstützung ihrer besten Freundin Luisa kann sie da- von zwei Prozent mit bis zu 100 Sachen folgt. zel. Freundin Luisa bemerkte durch Brenzels Kon- bei wie immer zählen. „Ich werde mir für die Wett- „Ich habe schon irgendwie ihr Leben in der Hand“, takt zu Ristau eine positive Entwicklung, sie sei kämpfe nachts einen Wecker stellen und die Ren- sagt Brenzel. „Der Guide muss das eigene Fahren „sehr erwachsen geworden“. nen verfolgen“, versichert sie. Sie wünscht den bei- so verinnerlicht haben, dass er auch noch nach hin- Obwohl das Team Brenzel/Ristau mehr als 120 den, dass sie „eine Medaille holen und dabei im- ten sehen kann“, sagte Ristau einmal der „Diag- Tage im Jahr zusammen verbringt und von Septem- mer zusammenhalten und ein starkes Team sind“. nose Lebensfroh“. Die Grundlage dieses Zweier- ber bis Mai gemeinsam unterwegs ist, baut sich Dafür bedarf es vor allem eines: gegenseitiges Ver- teams muss bedingungsloses Vertrauen sein. Brenzel nebenher ein eigenständiges Leben auf. trauen. MAGDALENA AUSTERMANN Doch für so vertrauenswürdig hielt sich Brenzel ja Seit 2018 geht sie ihrem Sportmanagement-Stu- eigentlich nie – auf einer Skala von eins (überhaupt dium in Jena nach, das sie in diesem Jahr mit dem Bachelor abschließen möchte. Die junge Frau nutzt jede freie Sekunde, um Vorlesungen nachzuarbei-
12 | Tagesspiegel Paralympics Zeitung danach direkt analysieren“, beschreibt die heutige Stefanie Fleig ihre Bewunderung während des damaligen Fernsehberichts. Als sich der Paralympics-Sieger von 2018 kurz darauf bei ihr meldete, schrieben sich die beiden ein paar Monate lang hin und her. Sie schrieben über alles Mögliche. Ih- ren Alltag, sich selbst, über ihre Behinde- rung. „Wir waren beide voneinander faszi- niert“, erinnert sich Stefanie Fleig. „Wir ha- ben beide eine Leidenschaft: Ich die Kunst, und er den Sport. Wir wissen, was es heißt, dafür zu arbeiten und sein Herzblut reinzu- stecken.“ Nach einem halben Jahr trafen sie sich das erste Mal, Stefanie Fleig fuhr ein paar Tage zu Martin nach Freiburg. Er holte sie am Hauptbahnhof ab. „Wir waren so aufgeregt, uns endlich zu sehen.“ Sie schreiben sich lange – dann halten sie es nicht mehr aus Anfangs war nicht klar, was aus ihrem Ken- nenlernen werden würde. Sie hatten Angst, ob sie gegenseitig mit der Behinde- rung der anderen Person klarkommen wür- den. Stefanie Fleig konnte entgegen der Prognosen ihrer Ärzte wieder gehen, aber ist seit ihrem Unfall an einem posttrauma- tischen Schmerzsyndrom erkrankt. Martin Fleig kam mit einer Spina bifida aperta (im Sprachgebrauch als „offener Rü- cken“ bekannt) auf die Welt und sitzt im Roll- stuhl. „Unsere Behinderungen sind sehr un- terschiedlich“, erklärt Stefanie ihre Sorgen beim Kennenlernen. Doch sie lernten einan- der zu verstehen. „Ich persönlich fand es sehr hilfreich ihn kennenzulernen, da er viel gelassener mit seiner Behinderung umgeht als ich“, sagt Stefanie Fleig heute. Nicht immer war ihre Beziehung einfach. Eine Zeit lang führten die beiden eine Fern- beziehung. Stefanie Fleig lebte in Mün- Gemalt und chen, Martin in Freiburg. „Der Sport stand häufig an erster Stelle“, sagt sie rückbli- ckend. Doch beide überwanden diese Schwierigkeiten und unterstützen sich bis gefunden heute gegenseitig. Wenn Stefanie mal nicht mehr laufen kann, geht Martin ein- kaufen oder führt ihren Dackel Douglas spazieren. Zu Hause analysieren sie ge- meinsam die sportlichen Auftritte Fleigs, wenn seine Frau Zeit hat, ist sie beim Trai- Sie zeichnet ihn, er sucht sie: Die Geschichte ning und den Meisterschaften mit dabei, feuert ihn vom Rand der Loipe aus an. Im- mer wieder hat sie dann auch ihr iPad da- von Martin Fleig, einer Künstlerin und der Liebe bei und illustriert die vorbeiziehenden Sportlerinnen und Sportler. G Vor allem Biathlon hat es ihr angetan: „Mir ewissermaßen begann ihre Dass sich Stefanie Fleig damals über- gefällt die Kombination aus Schnelligkeit, Liebe mit Kunst. Als Stefanie haupt für den Para-Sport interessierte, war Präzision und Ausdauer“, sagt Stefanie Fleig vor fünf Jahren einen Be- kein Zufall. 2015 hatte sie selbst einen Fleig. Sie sei überrascht gewesen, als sie richt über die Para-Ski-Nor- Unfall gehabt und konnte danach nicht den Sport das erste Mal sah. Bei Behinder- disch-WM im Fernsehen sah, war sie beein- mehr laufen. „Ich war frustriert und depri- tensport denke man ja erstmal an Rollstuhl- Foto: promo, Illustration: Stefanie Fleig für den Tagesspiegel druckt von Biathlet Martin Fleig, seiner Ener- miert. Plötzlich war ich behindert“, erzählt basketball oder Sportler mit Prothesen. gie, der klaren Konzentration am Schieß- sie. Damals studierte sie Kunst, gemalt Heute, fünf Jahre nachdem der Fernsehbe- stand, seinen Bewegungen auf dem Schlit- hatte sie eigentlich schon immer. „In der richt Stefanie auf dem Sofa verzauberte, ten. Er zog sie so sehr in den Bann, dass sie Malerei fand ich eine Art Therapie“, sagt sind die beiden verheiratet und für Martin ihn vom Sofa aus zeichnete und das Bild an- sie. Fleig habe sich mit ihrer Behinderung Fleig geht es zum dritten Mal in seiner Sport- schließend auf Instagram postete. Martin aber auch generell mit Behinderungen und laufbahn zu den Paralympics. Aufgrund der Fleig bekam davon Wind und fragte nach ei- dem Behindertensport beschäftigt, das Corona-Pandemie wird seine Frau – anders nem Druck ihrer Arbeit. „Dann begannen habe ihr Kraft gegeben. „Nach meinem Un- als in Pyeongchang vor vier Jahren – dieses wir uns zu schreiben“, erinnert sich die Illus- fall verbrachte ich viel Zeit in Wartezim- Mal nicht vor Ort mitfiebern. Stefanie Fleig tratorin: „Und hörten nie wieder auf.“ Aus mern bei Ärzten“, erzählt sie, „und begann Topf und Dackel. Martin und fährt mit Douglas zu ihrer Mutter nach Mün- Nachrichten auf Instagram wurde Liebe. irgendwann auf meinem iPad zu malen.“ Stefanie Fleig leben in Freiburg chen – dort schlagen die Herzen dann vor Heute sind sie verheiratet. Es waren vor allem Sportlerinnen und mit ihrem Hund Douglas. dem Fernseher höher. ZOE BUNJE Sportler, die sie malte. Doch nicht jeder Athlet faszinierte sie dabei so sehr wie Martin Fleig. „Er ist sehr fokus- siert und zielstrebig, er konnte sein Rennen
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